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Zum Aufführungsrecht<br />

• Das Recht zur Aufführung erteilt der<br />

teaterverlag elgg, CH-3123 Belp<br />

Tel. + 41 (0)31 819 42 09<br />

www.theaterverlage.ch / information@theaterverlage.ch<br />

Montag - Freitag von 09.00 bis 11.30 Uhr & 13.30 bis 17.00 Uhr<br />

• Der Bezug der nötigen Texthefte - Anzahl Rollen plus 1 - berechtigt<br />

nicht zur Aufführung.<br />

• Es sind darüber hinaus angemessene Tantièmen zu bezahlen.<br />

• Mit dem Verlag ist vor den Aufführungen ein Aufführungsvertrag<br />

abzuschliessen, der festhält, wo, wann, wie oft und zu welchen<br />

Bedingungen dieses Stück gespielt werden darf.<br />

• Auch die Aufführung einzelner Teile aus diesem Textheft ist<br />

tantièmenpflichtig und bedarf einer Bewilligung durch den Verlag.<br />

• Bei eventuellen Gastspielen mit diesem Stück, hat die aufführende<br />

Spielgruppe die Tantième zu bezahlen.<br />

• Das Abschreiben oder Kopieren dieses Spieltextes - auch<br />

auszugsweise - ist nicht gestattet (dies gilt auch für<br />

Computerdateien).<br />

• Übertragungen in andere Mundarten oder von der Schriftsprache in<br />

die Mundart sind nur mit der Erlaubnis von Verlag und Verfasser<br />

gestattet.<br />

• Dieser Text ist nach dem Urheberrechtsgesetz vom 1. Juli 1993<br />

geschützt. Widerhandlungen gegen die urheberrechtlichen<br />

Bestimmungen sind strafbar.<br />

• Für Schulen gelten besondere Bestimmungen.<br />

"Es gibt Leute, die ein Theaterstück als etwas "Gegebenes"<br />

hinnehmen, ohne zu bedenken, dass es erst in einem Hirn erdacht,<br />

von einer Hand geschrieben werden musste.“<br />

Rudolf Joho


Frank Haldemann<br />

Transway<br />

Ein Tanz-Theater<br />

Besetzung 1 Frau, 4 Männer<br />

Bilder Untergrundbahnstationen, In der Transway<br />

«Fortbewegung mit Stil.»<br />

Die Transway ist eines der Statussymbole der neuen Stadt, ihr<br />

dezenter Lärm Zukunftsmusik. Allerdings fügt sich niemand<br />

ihrem Rhythmus und unterwirft seine Bewegungen der<br />

Diktatur des öffentlichen Raumes, ohne Erinnerung an<br />

Melodien und Schreie von gestern. Die alten Feind– und<br />

Freundesbilder prägen die Biographien nachhaltig, trotz ihrer<br />

inzwischen hinfälligen Gültigkeit. Wenn einzelne Szenen<br />

auch historische Assoziationen wecken mögen, bleibt das<br />

zentrale Begriffspaar Ost/West insgesamt eine beliebige Metapher<br />

für die Dichotomisierung jeglichen Raumes.<br />

«Über die Gräber, über die Zeit. Hinweg.»<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

elgger schaulust 5


Personen<br />

BLINDER<br />

MANN<br />

KREUZSTÄDTER<br />

SCARLET<br />

NEWSMANN<br />

STIMMEN<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 2 -


<strong>transway</strong><br />

CHOR<br />

I<br />

wir rollen, rollen, rollen<br />

über die gräber, über die zeit<br />

hinweg.<br />

die frauen stecken ihre köpfe zusammen<br />

die männer tumulten<br />

flüstergeschichten, clowngeschichten<br />

tausendjährige geschichte<br />

ausgeschrien, ausgeweint.<br />

in der <strong>transway</strong>, bon voyage<br />

von ost nach west, von west nach ost, dazwischen<br />

kreuzstadt.<br />

wir rollen, rollen, rollen<br />

über die gräber, über die zeit<br />

hinweg.<br />

man ist jung, man ist schön<br />

zauberhafte melodien des lebens<br />

über dächern in der luft<br />

poesie, nostalgie<br />

ausgeschrien, ausgeweint.<br />

in der <strong>transway</strong>, bon voyage<br />

dem westmann in oststadt, dem ostmann in weststadt<br />

bunte blumen auf das grab<br />

verrückt.<br />

wir rollen, rollen, rollen<br />

über die gräber, über die zeit<br />

hinweg.<br />

der himmel hat sich einmal mehr gedreht<br />

man hat keine wahl<br />

fortbewegung mit stil<br />

man sitzt sich gegenüber<br />

ausgeschrien, ausgeweint.<br />

in der <strong>transway</strong>, bon voyage<br />

von ost nach west, von west nach ost, dazwischen<br />

kreuzstadt irgendwo<br />

verrückt.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 3 -


SCARLET<br />

MANN<br />

BLINDER<br />

II<br />

lärm der heranbrausenden <strong>transway</strong>. SCARLET,<br />

MANN und BLINDER, erst regungslos wartend, steigen<br />

zu. SCARLET am fenster, daneben BLINDER,<br />

gegenüber MANN.<br />

das warten hat ein ende, nicht wahr.<br />

<strong>transway</strong> 757. von ost nach west, west nach ost. dazwischen<br />

kreuzstadt.<br />

wir sind an der schwelle.<br />

türenschlagen, <strong>transway</strong>-lärm. KREUZSTÄDTER<br />

setzt sich neben MANN.<br />

NEWSMANN steigt zu, hinter ihm türenschlagen. kauft news. wir<br />

sind news. alles ist news. eine neue news für eine neue<br />

stadt. MANN kauft eine zeitung. wir sind news. alles<br />

ist news. eine neue news für eine neue stadt.<br />

MANN<br />

SCARLET<br />

MANN<br />

BLINDER<br />

KREUZST.<br />

die richtung stimmt.<br />

in eine andere zeit. blick aus dem fenster. eine winterstadt.<br />

winter 1998. eine runde zahl, sehr rund.<br />

1998, es geht voran. das leuchtet ein. sogar einem blinden.<br />

schreiende menschenmenge, euphorie.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

welch ein irrtum. grandiose selbsttäuschung. die grölende<br />

masse, das fahnenmeer. tausende von nullen<br />

aufgeschürt von einem nullgesicht. tausende von nullen,<br />

das macht eine runde zahl. ganz weststadt auf den<br />

beinen. ich nehme die <strong>transway</strong> jeden tag. von west<br />

nach ost. kreuzstadt, ich suche das ganze gottlose gebiet<br />

ab. tag für tag nach dir. vielleicht hast du mich<br />

verlassen seither. unsere scheinheiligen nullgesichter<br />

mit totenschritt. vielleicht.<br />

- 4 -


MANN<br />

KREUZST.<br />

SCARLET<br />

MANN<br />

BLINDER<br />

<strong>transway</strong><br />

liest news. man ist ausgeglichen heutzutage. politischer<br />

optimismus, grosszügige freisinnigkeit, positives demokratieverständnis.<br />

die dritte diktatur. das terrain ist frei. dieses mal keine<br />

parolen, ideologien. wir werden ersaufen in indifferenz,<br />

gleichgültigkeit, uninteressiertheit. ohne viel aufsehen,<br />

diskret. von gestern die zeit der lauten schritte.<br />

natürlich leugnen wir, leugnen ist menschlich. gesenkter<br />

blick. das terrain ist frei. für unsere dritte diktatur.<br />

wir haben sie gewollt. gebettet auf indifferenz,<br />

schrecklicher denn je. das terrain ist frei.<br />

zum MANN. man weiss er ist verrückt, opfer seiner<br />

gedanken.<br />

die todesstrafe als alternative nicht abgründig. terroristen,<br />

gesindel, schwarzmaler, hetzredner. feinde der<br />

ordre public. unsere stadt.<br />

äusserst effizient, perfekt effizient. lacht laut, hart,<br />

zerreissend. im hintergrund geigenmelodie. spiel die<br />

totengeige, spiel.<br />

traurige marionettengesichter. ich habe dich studiert,<br />

psyche der masse. ich, der stadtfeind. eure ängste, euer<br />

hass, die euphorie, die liebe. ihr braucht mich, hilflose<br />

marionettengesichter. ganz weststadt brennt. dann oststadt.<br />

ihr seid dabei, jeder einzelne.<br />

zum KREUZSTÄDTER. hübsches mädchen. um die<br />

zwanzig. beste studentin im grundkurs I. lieblich, lokken.<br />

sie ist jung, sie ist schön. sie kennt die worte, die<br />

sich drehen. verhext.<br />

zu SCARLET. von ost nach west, nicht wahr. die<br />

frauen stecken ihre köpfe zusammen, die männer tumulten.<br />

von west nach ost. und kreuzstadt. ein traum.<br />

bunt, zu bunt vielleicht.<br />

zum MANN. <strong>transway</strong> von ost nach west durch die<br />

stadt. eure tribunale sind mir auf den fersen, heisst es.<br />

ich, der stadtfeind.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 5 -


eure launen, eure vergessliche moral. befreiung. ich<br />

laste auf euch wie ein fluch, tief im innern. befreit euch<br />

von euch selbst, wenn ihr könnt.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 6 -


SCARLET<br />

III<br />

<strong>transway</strong><br />

<strong>transway</strong>-lärm. SCARLET blickt zum fenster, gedankenversunken.<br />

MANN liest zeitung. KREUZ-<br />

STÄDTER schaut auf ein zerknittertes photo und<br />

lächelt. BLINDER regungslos, hände auf spazierstock<br />

gestützt.<br />

meine 17 jahre. ein zartes mädchen. mandelaugen,<br />

hübsch, langes haar, schwarz. anders. man dreht sich<br />

um mit schneidendem blick.<br />

in oststadt am ende. man atmet tief in die schwarze<br />

nacht hinein. glasklar. weitgespannt. man ist jung, man<br />

ist schön, zauberhafte melodien des lebens.<br />

der westmann neben uns ein künstler. er sagt, er male<br />

die wirklichkeit in uns, zwischen uns, um uns herum. er<br />

raucht eine zigarre auf dem balkon. er lächelt mir zu,<br />

unbeschreiblich. der westmann.<br />

man erzählt sich geschichten über den westmann, allerhand.<br />

in unserem quartier. die frauen stecken ihre<br />

köpfe zusammen, die männer tumulten. man mag den<br />

westmann nicht hier. unsereins, das weiss man.<br />

er malt die wirklichkeit mit kräftigen, bunten farben. zu<br />

bunt vielleicht. ich trage ein rotes kleid an jenem tag,<br />

ein sommerkleid. er bringt mich um, wenn... der westmann<br />

malt mich. er berührt mein gesicht, meine hände,<br />

mein... alles.<br />

es zerreisst mich, es fliesst. unaufhaltsam ewig zerreissend<br />

auf mich zu. das muss es sein. der westmann.<br />

es gäbe keine worte. im nichts.<br />

zurück. ich trage mein bild im arm. der boden ist kühl<br />

an jenem tag. ich fühle mich selbst, meine gedanken.<br />

die nacht. spät. das leben in mir. nahe.<br />

ich falle. es ist der ostmannn, kartenspielerfreund meines<br />

vaters. ich erkenne ihn am whiskygeruch. ich bin<br />

tot.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 7 -


KREUZST.<br />

MANN<br />

BLINDER<br />

KREUZST.<br />

MANN<br />

IV<br />

<strong>transway</strong>-lärm.<br />

winterabend, davor im café ravelli. kreuzstadt, wo<br />

sonst. sie ist jung, schön. ein dunkles kleid. sie weiss es<br />

nicht, sie kann es nicht wissen. verhexte natürlichkeit.<br />

das hat die welt nicht gesehen. rendez-vous im cafe<br />

ravelli. ideale lokalität. sie sagt, man atmet frei im<br />

ravelli, wo sich gedanken treffen. rendez-vous an einem<br />

wintertag.<br />

weiss. mit blumenstrauss. sie ist schön, jung, sie kennt<br />

die worte, die sich drehen. das ist lange her.<br />

trauriges bild, absteige für kreuzstädter. er hat sich<br />

selbst in die nesseln gesetzt, dieser politische querkopf.<br />

80jähriger nostalgiker, sicherlich etwas verkalkt.<br />

unser angebot, das geschäft seines lebens, bar auf die<br />

hand. überbauungsprogramm kreuzstadt. trauriges bild.<br />

gestern haben wir die juke-box abgeholt. der alte neinsager<br />

steht an der bar, mutterseelenallein. wartet auf<br />

kundschaft. hat die kurve nicht gekratzt, leider.<br />

kundschaft durchgebrannt. einfach nicht mehr da. lokalität<br />

gewechselt, leise. man sitzt sich gegenüber. gedächtniskürze.<br />

an einem anderen ort, in einer anderen<br />

zeit.<br />

studentenparolen im hörsaal drei. vollgepackt, wie<br />

kann das sein, das ist ein kurs. rechtsphilosophie. wissenschaftliche<br />

veranstaltung, man politisiert nicht, man<br />

betrachtet die dinge mit wissenschaftlicher distanz.<br />

objektive vernunft. der hörsaal drei brennt. universität<br />

kreuzstadt zwischen ost und west. ich habe versagt.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

die neue republik braucht eine angepasste intelligenzija.<br />

innovativ. auf keinen fall nostalgische tränensäcke.<br />

verschwiegene aufgeschlossenheit, kein verwelktes<br />

ideologiegeträume in der neuen republik. man<br />

fährt sie jetzt von west nach ost. kreuzstadt, unter dem<br />

boden zumeist.<br />

- 8 -


KREUZST.<br />

SCARLET<br />

MANN<br />

SCARLET<br />

<strong>transway</strong><br />

die rechtsphilosophie hat mich an den nagel gehängt,<br />

sie hatte recht. professorenvogelscheuche mit ambitionen.<br />

beim ersten windstoss die schönen prinzipien in<br />

den wind geschlagen. feiges professorengesicht mit titel,<br />

mit lehrstuhl. das war ihnen nicht genug, sind an<br />

mir vorbeigegangen die studenten. die theorien, das<br />

war ihnen nicht genug. sie haben die situation selbst in<br />

die hand genommen. die rechtsphilosophie hat mich an<br />

den nagel gehängt, sie hatte recht. ich bin mitgelaufen,<br />

als sie über den ostjungen stapften. lautlos.<br />

er ist verrückt, das weiss man. sie haben sie abgeholt.<br />

das war zuviel, er ist verrückt. deshalb.<br />

jugendlicher leichtsinn?<br />

koordinationsfehler, davon sprach man damals.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 9 -


V<br />

platz der freiheit. <strong>transway</strong>-lärm und -wind, strassenmusik,<br />

hastiges vorbeigehen. der MANN schmettert<br />

eine münze auf den boden, worauf das gitarrenspiel<br />

sofort verklingt.<br />

NEWSMANN tod der zweiten diktatur. es war eine gewaltfreie revolution.<br />

vom volk für das volk. von unten nach oben.<br />

eine echte civil resistance, beispielhaft, tugendhafte<br />

bürgerbefreiung. waffe des ethisch überlegenen. es war<br />

kein putsch, keine billige machtinszenierung. man war<br />

moralrevolutionär. ich war dabei. ein luftzug greift in<br />

die zeitungen, NEWSMANN bringt seinen<br />

verkaufsstand in sicherheit. eine postrevolutionäre gesellschaft,<br />

westplatz heisst jetzt freiheitsplatz. unsere<br />

befreiungstribunale sind ihm auf der spur. helfer und<br />

helfershelfer ausgelöscht. man bewegt sich frei jetzt.<br />

von ost nach west. kreuzstadt. man reist in der<br />

<strong>transway</strong>. man liest news, demokratisches sprachrohr<br />

der öffentlichen meinung. freiheitliche ordnung des<br />

denkens. nimmt eine news-zigarette, zündet sie mit<br />

dem news-feuerzeug an. werbegeschenk.<br />

ich bin der newsmann, ich verkaufe news. täglich. mein<br />

chef sagt, die revolution ist passé. er hat recht, man<br />

muss nach vorn schauen. die vergangenheit ist<br />

vergangenes, das macht sinn. man muss sich anpassen<br />

an das neue. ich bin jetzt newsverkäufer. im dienste der<br />

freien presse. man ist zufrieden mit mir. man schätzt<br />

mich. mein chef zählt auf mich. er sagt, bringen sie die<br />

news an den mann, mann.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

ein hervorragender mensch, mein chef. ein richtiger<br />

monopolist der infomationsfreiheit. wir haben expandiert.<br />

natürlich im sinne des freien marktes.<br />

freiheitlich. man ist nun mal nummer eins. fabelhaft.<br />

dieser mann. vor allem, glasklare vergangenheit.<br />

nirgendwo mitgemischt, keine partei bezogen, glasklare<br />

nicht–vergangenheit.<br />

- 10 -


<strong>transway</strong><br />

kauft news. eine zeit, eine news. jetzt inklusive, das<br />

news-feuerzeug für den treuen news-leser. das angebot.<br />

lesen sie news. eine neue news für eine neue stadt.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 11 -


SCARLET<br />

MANN etc.<br />

SCARLET<br />

MANN etc.<br />

SCARLET<br />

MANN etc.<br />

SCARLET<br />

VI<br />

la vie en rose. SCARLET, BLINDER, KREUZ-<br />

STÄDTER und MANN stehen im hintergrund.<br />

MANN, KREUZSTÄDTER und BLINDER jeweils<br />

unisono:<br />

der westmann!<br />

sie haben den westmann abgeholt, kartenspielerfreunde<br />

meines vaters.<br />

der westmann!<br />

auf meinen knien. er schlägt zu, er kennt keine gnade.<br />

seine frauenschlägerhände. ich denke. an meine mutter.<br />

der westmann!<br />

auf meinen knien. ich flehe sie an. sie sagen, der westmann<br />

ist ein kinderschänder. sie halten mein bild in die<br />

luft. kinderschänder. sie spucken darauf für ihre<br />

zwecke. das ganze quartier. die frauen stecken ihre<br />

köpfe zusammen, die männer tumulten.<br />

er führt sie an, er klagt an. hauptankläger im fall westmann.<br />

er hat sie in der hand, es sitzt tief im innern. sein<br />

stinkender whiskygeruch. er kommt über uns bei nacht.<br />

dieser ätzende geruch. dreckig, nach whisky. betäubend.<br />

der westmann!<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

der westmann brennt. die ganze stadt brennt, eine tausendjährige<br />

geschichte. sie haben sie getötet, unsere<br />

wahrheit. wir brennen. von ost nach west und kreuzstadt<br />

dazwischen. wir brennen. mitsamt unseren lügen<br />

und lügeslügen. sie reichen bis in den gottlosen himmel<br />

über unseren dächern. und wir ersticken daran. der<br />

westmann ist tot. er ist tot. wir haben ihn auf dem<br />

gewissen.<br />

- 12 -


SCARLET<br />

KREUZST.<br />

SCARLET<br />

KREUZST.<br />

MANN<br />

SCARLET<br />

MANN<br />

SCARLET<br />

KREUZST.<br />

SCARLET<br />

KREUZST.<br />

VII<br />

<strong>transway</strong><br />

<strong>transway</strong>-lärm. schritte gleichmässig schwer, gleichschritte.<br />

es beginnt.<br />

in schwarz.<br />

junge gesichter. so ernst. den schienen entlang. schnurgerade<br />

und kein lächeln. im gleichschritt. kurzgeschoren,<br />

kein lächeln.<br />

trauerzug.<br />

feiertag der neuen republik, kundgebung des fortschritts.<br />

fröhliches beisammensein im namen des<br />

neuen. der vergangenheit einen tritt verpassen. alles<br />

diskret, alles im rahmen. seriös. dem emotionalen gedusel<br />

einen strick umlegen. schnurgerade.<br />

uralt. dieser schritt, dieses gesicht, dieser blick. uralt.<br />

langsames kriechen, den schienen entlang. endlos.<br />

alles auslöschen. verdammte vergangenheit, verdammtes<br />

ticken. im keim. zu staub. zündet sie an,<br />

zündet. einen stoss in den rücken. jetzt.<br />

der alte mann, kahles faltengesicht, auf seinem kopf<br />

ganz kreuzstadt. er lächelt. ein wenig verrückt vielleicht.<br />

er lächelt. seine augen kugelrund. wie ein kind<br />

wirft er seine arme in die höhe. er tanzt, wie es scheint.<br />

tanzen. der alte.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

verrücktentanz.<br />

die schritte werden lauter.<br />

traurig. der alte, er tanzt. den schienen entlang. er<br />

tanzt. der alte. tanzen.<br />

winterbäume.<br />

kahl.<br />

- 13 -


SCARLET<br />

MANN<br />

BLINDER<br />

MANN<br />

SCARLET<br />

abgelebt.<br />

zeigt zeitung. es geht daraus hervor, jahreszeit löst jahreszeit<br />

ab. lauf der dinge. de facto. die baumzählerhysterie<br />

geht um in diesem jahrhundert. am ende. man<br />

zählt bäume, natürlich erkennt man nicht. engstirnige<br />

baumzähler auf verunsicherungskampagne. natürlich<br />

keine zahlen, nichts konkretes, zerstörerisches herumgetrampel<br />

auf details. ja, ja, feuermelder nutzlos einschlagen.<br />

viel lärm gemacht, sonst nichts.<br />

lauf der dinge. de facto. die platte kratzt, verstaubt vielleicht<br />

im lauf der dinge. sie kratzt ihn ab. lauf der<br />

dinge. etwas kratzig, dennoch, ein lauf der dinge.<br />

der realität ins gesicht sehen. mit niveau der hysterie<br />

widerstehen. mit vernunft einmal zurücklehnen, gelassenheit.<br />

statistiken sprechen lassen. hitzköpfiger baumzählerphilosophie<br />

auf den grund gehen mit zahlen,<br />

fakten. vor allem ausgewogene information. news lesen,<br />

news sprechen lassen.<br />

winterbäume. weiss. die farben ändern sich von zeit zu<br />

zeit. ist das nicht merkwürdig. manchmal drehe ich<br />

mich nach ihnen um. ich ziehe den kopf ein, renne über<br />

die strasse. in meinem kopf maschinengewehre, mechanisch.<br />

ich lehne mich an die wand ausser atem. die<br />

stadt ist ruhig, kein mensch auf der strasse. ist das nicht<br />

merkwürdig. dabei weiss ich, es ist vorbei. es ist wie<br />

ein film in meinem kopf. dabei gibt es sie doch gar<br />

nicht mehr. das weiss man.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

sie sucht blickkontakt. MANN liest zeitung, BLIN-<br />

DER den spazierstock, KREUZSTÄDTER das fenster.<br />

sie blickt zu boden. nimmt dann lippenstift und<br />

spiegel aus der handtasche, betrachtet sich im<br />

spiegel, weilt bewegungslos, malt die lippen rot, legt<br />

lippenstift und spiegel in die handtasche zurück.<br />

erstarrt.<br />

- 14 -


KREUZST.<br />

MANN<br />

SCARLET<br />

BLINDER<br />

KREUZST.<br />

MANN<br />

MANN<br />

BLINDER<br />

VIII<br />

<strong>transway</strong>-lärm<br />

<strong>transway</strong><br />

gratisticket in die hölle, gratis direkt in die hölle mit<br />

der <strong>transway</strong>. die geschichte hat keine zeit. jetzt kein<br />

gesicht. man rasselt vorbei in der <strong>transway</strong>. gratisticket<br />

in die hölle. wir rollen, rollen, rollen über die gräber<br />

unserer zeit. an unseren fenstern fliegen sie vorbei, die<br />

mitleidigen gesichter der vergangenheit. eine sekunde.<br />

leblose antiquitäten ohne sinn. nichts hat sinn. wir haben<br />

es so gewollt, wir haben das los gezogen. wir rollen,<br />

rollen über dieses leblose jahrhundert hinweg. es<br />

hat sich ausgeweint, es hat sich ausgeschrien. einsame<br />

fahrt zur hölle, bon voyage.<br />

es geht abwärts.<br />

irgendwie.<br />

stetig.<br />

man hat keine wahl in diesem tunnel, unter dem boden.<br />

steig ab, wenn du kannst. oben ein kartenhaus, fahr<br />

darunter durch. steig ab, wenn. der boden bebt unter<br />

ihren füssen.<br />

optimale verbindung unser hauptanliegen. sozusagen<br />

eine stadt, eine verbindung. <strong>transway</strong> als pochendes<br />

herz. verkehrstechnische prioritäten setzen, grandioses<br />

projekt. einmalige chance. fortbewegung mit stil. technologie<br />

im dienst der menschheit, im namen der verständigung.<br />

tagtäglich durch den tunnel hindurch. das<br />

vertrauen gewinnen. in uns, in die stadt. tagtäglich die<br />

wirklichkeit vorleben. tagtäglich, als politik der taten.<br />

eine politik auf dem boden sozusagen. auf dem boden.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

stille. unerwartetes erlöschen der lichter.<br />

schreit. um gottes willen.<br />

gott ist tot. rotes notlicht.<br />

- 15 -


MANN<br />

KREUZST.<br />

SCARLET<br />

KREUZST.<br />

MANN<br />

SCARLET<br />

KREUZST.<br />

MANN<br />

BLINDER<br />

MANN<br />

SCARLET<br />

gott interessiert nicht.<br />

ist allein, fanclub durchgebrannt, leise.<br />

gott hat uns vergessen vielleicht.<br />

es werde licht. licht.<br />

zündet news-feuerzeug an. BLINDER raucht. in<br />

kreuzstadt natürlich, wo sonst. die lichter gehen aus,<br />

man tappt im dunkeln. in kreuzstadt, das versteht sich.<br />

wo sonst.<br />

kreuzstadt.<br />

eure begriffsdiktatur. flüstert sie uns ein, flüstert das<br />

richtige wort zur richtigen zeit. gebt sie uns eure begriffe.<br />

auf papier. wir glauben euch tief im innern.<br />

nennt uns beim namen. man erinnert sich früher oder<br />

später an den begriff. sein gesicht.<br />

unter uns, im vertrauen.<br />

man ist unter sich in diesen tagen. vis-à-vis, eine nette<br />

runde, gediegene stimmung. ja, ja, zu späterer stunde.<br />

man legt die karten auf den tisch, katze aus dem sack.<br />

nette runde am tisch vierzehn zu fortgeschrittener<br />

stunde, sehr nett.<br />

unter uns. die stimmen sind da, im westen. der westler<br />

lacht gern. eine fröhliche natur mit witz. warum humorlos<br />

sein in einer humorlosen zeit. nichts boshaftes,<br />

nicht ernst zu nehmen. ein witz. gut gemeint, mitlachen.<br />

verbrennt sich die finger, aufschrei.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

es geht mir durch den kopf, sie nennen das kreuzstadt.<br />

dazwischen, auf der grenze zwischen ost und west. man<br />

nennt das kreuzstadt seit ich denken kann. es steht<br />

nicht geschrieben, nirgendwo. das weiss man. ein blick<br />

aus der zeitung. kreuzstadt. so nennen sie es seit jeher.<br />

es geht mir durch den kopf.<br />

- 16 -


MANN<br />

STIMME<br />

KREUZST.<br />

MANN<br />

KREUZST.<br />

MANN<br />

<strong>transway</strong><br />

hebt den arm von SCARLET hoch, lässt ihn fallen.<br />

was wollt ihr denn zu grabe tragen. erspart uns euren<br />

kreuzstädter trübsinn. wir finden dafür keine verwendung,<br />

beim besten willen. eure moralpredigt made in<br />

kreuzstadt. bitte, kein bedarf.<br />

lächeln, meine damen, meine herren, lächeln. in der<br />

dritten republik kein grabgesang, keine ermahnung. vor<br />

allem das nicht.<br />

wen tragt ihr zu grabe, ihr schwarzen kreuzstadtkrähen.<br />

euren trübsinn. das muss es sein. euren kreuzstädter<br />

trübsinn. schallendes lachen.<br />

herr kollege. also, was ist das, ein kreuzstädter beim<br />

liebesspiel? also? kommen sie schon, herr kollege.<br />

nicht erraten? na gut, eine katastrophe. dreht sich im<br />

kreis, lacht laut. eine katastrophe, herr kollege, eine<br />

katastrophe. katastrophe! zündet feuerzeug an.<br />

verhallt im tunnel. hilfe, hilfe.<br />

die stadt schläft, über unseren köpfen, tief und still. sie<br />

schläft, sie hört uns nicht. im winterschlaf. tief und<br />

still.<br />

wirft das erlöschende feuerzeug zu boden, nimmt sein<br />

tragbares telefon aus dem aktenkoffer. ich bin ein<br />

stadtangestellter. ich kenne meine rechte, meine<br />

pflichten. ich arbeite für die stadt, im dienste der stadt.<br />

ich kenne meine rechte. ausnahmslos. auch in kreuzstadt.<br />

das wäre noch schöner. ich weiss bescheid, ich<br />

kenne meine rechte. jawohl.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

die stadt schläft zur zeit. tief, still. sie wartet auf ein<br />

comeback. wer weiss. sie schläft. es ist etwas still da<br />

oben, etwas totenstill. vielleicht zu still. sie träumt sich<br />

etwas zusammen, etwas ganz verrücktes. ein comeback.<br />

sie träumt, in totenstille.<br />

es bringt uns an den abgrund, früher oder später. missachtung<br />

der bürokratischen funktionalität, stadtordnung<br />

mit füssen treten. ich bin stadtbürokrat. ich kenne meine<br />

rechte, meine pflichten.<br />

- 17 -


BLINDER<br />

MANN<br />

BLINDER<br />

SCARLET<br />

BLINDER<br />

IX<br />

wind, schepperndes blech. BLINDER im vordergrund,<br />

raucht zigarre. SCARLET, MANN mit regenschirm,<br />

KREUZSTÄDTER stehen im hintergrund,<br />

unbeweglich.<br />

etwas wind angesagt. ein wenig windböen, ein wenig<br />

windhurrikane. nichts ernstes. windige angelegenheit,<br />

sozusagen.<br />

SCARLET, MANN, KREUZSTÄDTER drehen sich<br />

marionettenhaft im wind. abruptes stehenbleiben.<br />

kleines unwetter im anflug, ein wenig unerwartet natürlich.<br />

kein grund zur panik, ein wenig anpassung, ein<br />

wenig umdenken. öffnet regenschirm. vor allem vertrauen.<br />

SCARLET, MANN, KREUZSTÄDTER kämpfen gegen<br />

den wind.<br />

tanzt euren traum, euren verrückten traum. die ganze<br />

nacht. der himmel hat sich gedreht. tanzt die ganze<br />

nacht. traumtanz.<br />

SCARLET, MANN, KREUZSTÄDTER bleiben stehen.<br />

ich weiss es nicht, ich kann es nicht wissen. es zeichnet<br />

sich ab über meinem kopf. es ist zu hoch. ich kann es<br />

nicht wissen.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

SCARLET, MANN, KREUZSTÄDTER drehen sich<br />

hilflos im sturm.<br />

tanzt den tanz. der himmel hat sich gedreht. es ist zeit<br />

für den geheimen tanz. es kommt über euch bei nacht,<br />

in tiefer nacht. es raubt euch den schlaf. der tanz, der<br />

windtanz. tanzt, tanzt. SCARLET, MANN, KREUZ-<br />

STÄDTER lachen euphorisch. tanzt über schreie, trä-<br />

- 18 -


KREUZST.<br />

BLINDER<br />

<strong>transway</strong><br />

nen, leiden und das gewissen hinweg. tanzt, tanzt im<br />

wind.<br />

SCARLET, MANN, KREUZSTÄDTER bleiben stehen.<br />

ich bin ein idealist. ich habe mich nicht verkauft in<br />

diesen windigen zeiten. natürlich, ein wenig zurückgezogen,<br />

in die innere revolte. die ideale sind frei. ich bin<br />

kein politiker. mit beiden beinen auf dem boden, das ist<br />

nicht meine aufgabe. ich bin denker, idealtheoretiker.<br />

ich erfinde ideale in meinem kopf. gewiss, es fällt einem<br />

nicht leicht. in diesen windigen zeiten. allzu windig.<br />

ich habe mich nicht verkauft. SCARLET, MANN,<br />

KREUZSTÄDTER im sturmwind. ich habe mich nicht<br />

verkauft. sturm wird stärker und flaut ab. stillstand.<br />

der himmel ist rot, blutrot. ihr wascht eure hände in<br />

unschuld, windtänzer. es war der wind, nur der wind.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 19 -


SCARLET<br />

MANN<br />

KREUZST.<br />

X<br />

<strong>transway</strong>-lärm. der BLINDE raucht zigarre, SCAR-<br />

LET geht zum fenster und setzt sich wieder. MANN<br />

trommelt mit den fingern auf den aktenkoffer.<br />

KREUZSTÄDTER schläft, atmet tief und entspannt.<br />

brems-lärm. stille.<br />

glauben sie mir, ich habe damit nichts zu tun. identitätskarte,<br />

ich trage sie nicht auf mir. ich vergesse das,<br />

verstehen sie. ganz seltsam, mein gedächtnis lässt mich<br />

im stich. ja, ja, man wird alt. heutzutage. ja. ich verstehe,<br />

sie prüfen identitäten. das leuchtet ein. ich versichere,<br />

ich habe damit nichts zu tun. mein alter 45<br />

jahre, nicht jünger, nicht älter. sie haben recht, ein<br />

wenig abgealtert. sie sagen, das sind die gedanken in<br />

meinem kopf. gedächtnisfalten.<br />

ich habe nichts zu verbergen. öffnet koffer und entnimmt<br />

ihm seine papiere. hier der beweis. ja, das ist<br />

korrekt, stadtfunktionär. ich habe nichts zu verbergen.<br />

ich nehme die <strong>transway</strong> täglich, abfahrt 8 uhr morgens.<br />

meine identität ist klar. ehrlicher mittelstädter, tugendhafte<br />

kleinarbeit. rückfahrt: 16 uhr 30. wühlt suchend<br />

in seinem koffer. natürlich, das ist ihr job, das versteht<br />

sich. ein job, wie jeder andere. ich verstehe. streckt<br />

sein <strong>transway</strong>-ticket in die luft. <strong>transway</strong>-dauerticket,<br />

herr kollege!<br />

eine kleine razzia im anflug. es scheint so. man hat sich<br />

daran gewöhnt als tunnelmensch. die erde bebt da<br />

oben. glauben sie mir herr identitätskontrolleur, man<br />

fühlt es bis zu uns herunter. dabei habe ich mich zurückgezogen,<br />

verabschiedet. es ist ruhestörung, lieber<br />

herr identitätsfachmann, glatte ruhestörung. dieser<br />

<strong>transway</strong>-lärm, dieser entsetzliche lärm. er holt uns<br />

heim jedes mal. dieses rattern, an uns vorbei, in sekundenschnelle.<br />

die gesichter kleben an den fenstern. eigentlich<br />

sind es keine gesichter. glauben sie mir. es ist<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 20 -


BLINDER<br />

MANN<br />

SCARLET<br />

<strong>transway</strong><br />

ein fluch, dieses lächeln auf ihren lippen. süsses lächeln.<br />

bittersüss an uns vorbei lächeln.<br />

zeit für den abgang, herr identitätsfrager. entnimmt seinem<br />

geldbeutel einen schein und lässt ihn auf den<br />

boden fallen. es ist ein einbahnverkehr, man bleibt<br />

sitzen in aller ruhe. es läuft ja nach fahrplan, genau<br />

nach fahrplan. keine panik, reine routine. bis zur endstation.<br />

zeit für ihren abgang, schlicht, dezent. abgang.<br />

<strong>transway</strong>-lärm (gegenverkehr).<br />

die westlinie, pünktlich nach fahrplan.<br />

<strong>transway</strong>-lärm.<br />

mit einem bunten blumenstrauss im arm. ich suche<br />

meinen kleinen traum. ein kleiner traum über den dächern.<br />

in der luft. ich fahre nach oststadt. von west<br />

nach ost in der <strong>transway</strong>. von zeit zu zeit. mit einem<br />

blumenstrauss, bunte blumen. ich trage einen blumenstrauss<br />

zu dir. er ist bunt, vielleicht zu bunt.<br />

zurück in oststadt. am ende. an den gesichtern vorbei,<br />

den gesichtern der zeit. kalt den rücken ‘runter. zurück<br />

in dieser stadt nach all dem. ich suche meinen kleinen<br />

traum. einen kleinen traum, ganz klein, ich suche ihn.<br />

in dieser stadt. in oststadt, in kreuzstadt, in weststadt.<br />

ich werde ihn nicht finden.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 21 -


SCARLET<br />

KREUZST.<br />

BLINDER<br />

MANN<br />

SCARLET<br />

KREUZST.<br />

BLINDER<br />

MANN<br />

BLINDER<br />

KREUZST.<br />

XI<br />

<strong>transway</strong>-lärm. MANN trägt sonnenbrille, schwitzt.<br />

SCARLET sonnt sich mit geschlossenen augen.<br />

KREUZSTÄDTER setzt sich schmutzige news-mütze<br />

auf. BLINDER teilnahmslos.<br />

ein platz an der sonne.<br />

sonnenlicht.<br />

im gesicht.<br />

diese hitze, diese unerträgliche hitze. dabei haben wir<br />

doch ein air-fresh-system. im achten stock, büro 238.<br />

geben sie mir den chef, dann den verantwortlichen. im<br />

urlaub. diese hitze. im büro 238 die fenster luftdicht<br />

verschlossen. kravattenpflicht. unerträglich, diese hitze.<br />

erbarmungslos die hitze.<br />

kinder. sie spielen in dieser jahreszeit. sie spielen im<br />

grünen. steigen auf den baum, uralter baum. kleine<br />

clowngesichter. sie lachen sich geschichten zusammen<br />

da oben, flüstergeschichten im grünen. das hat die welt<br />

nicht gesehen. unter dem weiten himmel, clowngeschichten.<br />

jetzt aber sofort vom baum herunter, schlingel du. eine<br />

tracht prügel gefällig. auf bäume steigen! lügengeschichten<br />

erzählen! ins bett! ohne abendessen!<br />

das ende der geschichte.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

diese hitze, diese widerwärtige hitze. gott sei dank, der<br />

hitzeurlaub ist gebucht. in einem monat geht es ab. sieben<br />

tage im schatten. familienfreundlich, angenehm<br />

kühl, alles inklusive, alles komplett. hitzige stadtrealität<br />

vergessen, im schatten.<br />

ein kleiner trip.<br />

gibt dem MANN einen freundschaftlichen klaps. auf<br />

die stinkende stadt gespuckt.<br />

- 22 -


<strong>transway</strong><br />

MANN<br />

SCARLET<br />

lächelnd auf distanz bedacht. man erlaubt sich ja sonst<br />

nichts.<br />

einen platz. an der sonne.<br />

XII<br />

BLINDER im vordergrund. MANN im hintergrund<br />

hält einen grossen pinsel in der hand. SCARLET und<br />

KREUZSTÄDTER halten sich aneinander fest.<br />

BLINDER dreht sich um, langsam, geht auf den<br />

MANN zu und führt die hand mit dem pinsel in den<br />

farbkessel. wieder im vordergrund zündet er sich eine<br />

zigarre an. sobald der MANN die rote farbe aus dem<br />

kessel auf die weisse fläche schleudert, beginnen<br />

SCARLET und KREUZSTÄDTER zu tanzen. zunehmende<br />

besessenheit, zunehmendes tempo. BLINDER<br />

unbewegt rauchend im vordergrund. sobald er die zigarre<br />

auf den boden wirft und mit dem schuh zerdrückt,<br />

erstarren MANN, SCARLET und KREUZ-<br />

STÄDTER.<br />

sirenenlärm aus der ferne, dann stille. dunkelheit.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 23 -


MANN<br />

KREUZST.<br />

MANN<br />

BLINDER<br />

SCARLET<br />

KREUZST.<br />

BLINDER<br />

KREUZST.<br />

BLINDER<br />

MANN<br />

KREUZST.<br />

BLINDER<br />

MANN<br />

KREUZST.<br />

BLINDER<br />

KREUZST.<br />

MANN<br />

BLINDER<br />

SCARLET<br />

KREUZST.<br />

XIII<br />

<strong>transway</strong>-lärm. im hintergrund rote farbe auf weisser<br />

fläche. regentropfen prasseln gegen das fenster.<br />

blickt aus dem fenster. die herren von der opposition.<br />

verregnete oppositionelle.<br />

philosophische hartnäckigkeit.<br />

dabei regnet es doch.<br />

in strömen.<br />

der trägt eine fliege. gelb mit weissen punkten.<br />

elegante erscheinung.<br />

geradezu charmant.<br />

zweifellos.<br />

die herren haben die <strong>transway</strong> verpasst.<br />

zu spät.<br />

verregnete, monologe haltend.<br />

das reicht nicht aus.<br />

beim besten willen.<br />

einsame geschichten erzählen, flüstergeschichten.<br />

nostalgie.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

poesie.<br />

das reicht nicht.<br />

im strömenden regen.<br />

meine damen. meine herren. herzlich willkommen.<br />

rechtsphilosophie grundkurs I. das thema. ja natürlich,<br />

das thema. zieht aktenordner aus der tasche, blättert.<br />

- 24 -


<strong>transway</strong><br />

recht. blättert, trocknet sich die stirn mit einem<br />

stofftaschentuch, liest wort für wort. subjektiv.<br />

objektiv. aristoteles. platon. zieht weiteren hefter aus<br />

der tasche. hobbes. in diesem sinne, homo homini<br />

lupus, beziehungsweise greift nach einem weiteren<br />

ordner und blättert suchend. beziehungsweise<br />

l'homme est un animal conflictuel mais sociable.<br />

meine damen. meine herren. die gruppe ist geschrumpft,<br />

es ist ersichtlich. lassen sie sich nicht anstecken,<br />

kolleginnen und kollegen von der hetzkampagne.<br />

wir sind überpositivisten, wir sind rechtsphilosophen,<br />

rechtliche denker. keine technokraten, anwendungsmaschinen.<br />

wir sind gerechtigkeitsidealisten. wir<br />

befreien das recht.<br />

meine damen, meine herren, kollegen. der kurs ist geschrumpft,<br />

das ist kein gutes zeichen.<br />

es fehlt jemand, das liegt auf der hand. in der ersten<br />

reihe. die studentin aus der ersten reihe. meine beste<br />

studentin ist einfach verschwunden. wie ist das möglich.<br />

das ist der kurs rechtsphilosophie grundkurs I.<br />

ich kenne sie, sie würde nie einen kurs von mir verpassen.<br />

ausgeschlossen. meine beste studentin.<br />

legt einen ordner in die tasche zurück. das würde sie<br />

nicht tun. sie glaubt an die philosophische grundlegung<br />

der gerechtigkeit. dass es etwas gibt. in uns, zwischen<br />

uns, um uns herum. lässt alle ordner fallen, bricht in<br />

sich zusammen.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 25 -


XIV<br />

<strong>transway</strong>-lärm.<br />

MANN zu SCARLET. entschuldigen sie.<br />

KREUZST. ich entschuldige.<br />

MANN<br />

MANN<br />

KREUZST.<br />

BLINDER<br />

KREUZST.<br />

MANN<br />

die uhrzeit? entnimmt seinem aktenkoffer einen fahrplan.<br />

die uhrzeit 16 uhr 44. das liegt mir vor. ein missverständnis,<br />

das muss es sein, ein irrtum.<br />

KREUZSTÄDTER nimmt einen wecker aus seiner<br />

plastiktasche, schriller weckton.<br />

ich wäre ihnen dankbar. verbindlicherweise.<br />

KREUZSTÄDTER reagiert nicht. MANN entreisst<br />

ihm den wecker, wirft ihn mit wucht nach hinten.<br />

das nennt man zeitlosigkeit.<br />

in einer zeitlosen zeit.<br />

saxophonmusik im tunnel, melancholischer jazz.<br />

am fenster. spiel uns dein lied, noch ein solo. ein kollege.<br />

wenn harry spielt, bebt der boden. bei uns ein<br />

star. der boden bebt. oben hat er es nicht weit gebracht,<br />

der gute harry. war irgendwie nicht sympathisch, der<br />

gute harry, unser lebenskünstler. immer nur ärger<br />

gehabt oben, unser künstler. kein sinn für kunst da<br />

oben. ruhestörung über ruhestörung, arbeitsbewilligung<br />

über arbeitsbewilligung. kein sinn für sein saxophon,<br />

für die feinheit des lebens, da oben.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

liest fahrplan. <strong>transway</strong> 757, ost-west-tangente.<br />

KREUZST. mit blick zum wecker. zeit 16 uhr 44.<br />

BLINDER 1998.<br />

SCARLET in einer stadt.<br />

- 26 -


STIMME<br />

XV<br />

<strong>transway</strong><br />

<strong>transway</strong>-lärm. NEWSMANN wischt die verstreut<br />

herumliegende zeitungen auf einen haufen.<br />

aus einem lautsprecher. willkommen in der stadt,<br />

willkommen. die stadt gewährt das recht auf einreise.<br />

die stadt respektiert die würde des menschen. die stadt<br />

ist eine demokratische, pluralistische, soziale gesellschaft.<br />

eins, zwei, drei. folgen sie dem grünen licht. wir<br />

bitten um ordnung. eins, zwei, drei. büro 39a bearbeitet<br />

ihren fall. wir bitten um kooperation, reibungsloses<br />

verfahren. einreiseschein, identitätskarte, kausalitätsdokument,<br />

stadtverwaltungsmarke. bei mittellosigkeit<br />

büro 44b. eins, zwei, drei. die stadt respektiert die<br />

würde des menschen. die stadt ist eine demokratische,<br />

pluralistische, soziale gesellschaft und so weiter.<br />

NEWSMANN singt und pfeift locker tanzend während er wischt.<br />

news, news, news, das ist blues, blues, blues…<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 27 -


SCARLET<br />

MANN<br />

SCARLET<br />

MANN<br />

BLINDER<br />

MANN<br />

SCARLET<br />

MANN<br />

SCARLET<br />

MANN<br />

SCARLET<br />

KREUZST.<br />

XVI<br />

metallernes, gleichmässiges ticken.<br />

dieses ticken.<br />

pardon?<br />

ticken.<br />

entschuldigen sie, ich kann ihren eindruck nicht teilen.<br />

bei aller achtung, da ist nichts. horcht. nichts.<br />

zum KREUZSTÄDTER. hätten sie etwas bemerkt. eine<br />

veränderung, neue verhältnisse?<br />

ticken im kopf.<br />

ja, ja, ticken im kopf. im kopf.<br />

eine bombe. es ist eine bombe, eine zeitbombe.<br />

meine dame, das ist 1998 in der dritten republik.<br />

sie sind unsichtbar, sie kommen in dein leben du weisst<br />

von nichts. du glaubst es geht weiter und weiter. du bist<br />

verrückt. du steigst in die <strong>transway</strong>. du wirst alt in ein<br />

paar sekunden. du bist verrückt. du glaubst, du hast<br />

alles in der hand. du steigst in die <strong>transway</strong> 757. du bist<br />

verrückt. kleiner mensch.<br />

es besteht kein grund zur panik. <strong>transway</strong> 757, alles<br />

nach plan.<br />

BLINDER lacht. MANN nimmt sein telephon, wählt<br />

mehrmals, niemand antwortet.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

es ist kalt.<br />

ich bin kein trinker: auf jeden fall kein chronischer<br />

trinker. das kann man nicht sagen. wissen sie, manchmal<br />

wird mir ganz traurig. ganz traurig. das ist meine<br />

krankheit, es wird mir traurig. ganz traurig. alles<br />

schwarz.<br />

- 28 -


SCARLET<br />

es ist kalt.<br />

<strong>transway</strong><br />

KREUZSTÄDTER lächelt ihr zu, durchsucht die taschen<br />

seines mantels und findet eine halbe zigarette.<br />

sucht nochmals und findet streichhölzer. gibt<br />

SCARLET die zigarette. SCARLET raucht. tiefes,<br />

entspanntes ausatmen.<br />

erlöschen der lichter. das ticken bleibt.<br />

© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />

Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />

Kein Aufführungsrecht.<br />

- 29 -

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