baumschnitt-04
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Zum Aufführungsrecht<br />
• Das Recht zur Aufführung erteilt der<br />
teaterverlag elgg, CH-3123 Belp<br />
Tel. + 41 (0)31 819 42 09<br />
www.theaterverlage.ch / information@theaterverlage.ch<br />
Montag - Freitag von 09.00 bis 11.30 Uhr & 13.30 bis 17.00 Uhr<br />
• Der Bezug der nötigen Texthefte - Anzahl Rollen plus 1 - berechtigt<br />
nicht zur Aufführung.<br />
• Es sind darüber hinaus angemessene Tantièmen zu bezahlen.<br />
• Mit dem Verlag ist vor den Aufführungen ein Aufführungsvertrag<br />
abzuschliessen, der festhält, wo, wann, wie oft und zu welchen<br />
Bedingungen dieses Stück gespielt werden darf.<br />
• Auch die Aufführung einzelner Teile aus diesem Textheft ist<br />
tantièmenpflichtig und bedarf einer Bewilligung durch den Verlag.<br />
• Bei eventuellen Gastspielen mit diesem Stück, hat die aufführende<br />
Spielgruppe die Tantième zu bezahlen.<br />
• Das Abschreiben oder Kopieren dieses Spieltextes - auch<br />
auszugsweise - ist nicht gestattet (dies gilt auch für<br />
Computerdateien).<br />
• Übertragungen in andere Mundarten oder von der Schriftsprache in<br />
die Mundart sind nur mit der Erlaubnis von Verlag und Verfasser<br />
gestattet.<br />
• Dieser Text ist nach dem Urheberrechtsgesetz vom 1. Juli 1993<br />
geschützt. Widerhandlungen gegen die urheberrechtlichen<br />
Bestimmungen sind strafbar.<br />
• Für Schulen gelten besondere Bestimmungen.<br />
"Es gibt Leute, die ein Theaterstück als etwas "Gegebenes"<br />
hinnehmen, ohne zu bedenken, dass es erst in einem Hirn erdacht,<br />
von einer Hand geschrieben werden musste.“<br />
Rudolf Joho
Ueli Remund<br />
Baumschnitt<br />
Oder die Nacherziehung des Friedrich Glauser<br />
Besetzung<br />
Bilder<br />
2 Damen / 4 Herren<br />
Obstgarten in Liestal / Wohnzimmer in Baden<br />
«Diese Form von Phantasie kann man nicht lernen, da bin<br />
ich sicher.»<br />
Friedrich Glauser schneidet als Angestellter einer Gärtnerei<br />
im Spätherbst Bäume und bindet das Schnittgut zu<br />
Reiswellen. Mit der schlecht bezahlten Arbeit bringt sich der<br />
Schweizer Schriftsteller mühsam durch. Im Gespräch mit<br />
dem ehemaligen Mithäftling Schreier erinnert er sich der Zeit<br />
in Baden beim Stadtschreiber Raschle, einem Gönner und<br />
Bewunderer junger Künstler: Raschle nahm Glauser bei sich<br />
auf, besorgte ihm Arbeit und wollte ihm das geeignete<br />
Umfeld für einen Ausstieg aus der Drogenabhängigkeit<br />
bieten. Der talentierte Aussenseiter sollte zudem Anschluss<br />
an Badens Bürgertum finden. Raschle fädelt die<br />
Nacherziehung geschickt ein. Aber seine Hilfe ist nicht frei<br />
von Hinterge-danken. Die Ehe mit der attraktiven Maugg<br />
droht an Lange-weile zu ersticken. Er hofft, der anregende<br />
Umgang mit dem Dichter, durchaus mit einer Prise Erotik<br />
gewürzt, werde die Beziehung beleben. Das Experiment<br />
scheint zu glücken. Zwischen Glauser und Maugg beginnt es<br />
zu knistern. Aber spät abends nach einem Fastnachtsball<br />
kommt es zum Eklat.<br />
Am Schluss des Stücks hat die Sucht Glauser einmal mehr<br />
dorthin gestellt, wo er im Grunde hingehörte und hinwollte:<br />
An den Rand, ins Zwielicht.<br />
«Ich denke, du siehst mit andern Augen als wir.»<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
elgger schaulust 29
Personen<br />
Friedrich Glauser genannt Fred<br />
Margrit Raschle genannt Maugg<br />
Hans Raschle<br />
Schreier<br />
Klara<br />
Jaro Chadima<br />
Ort<br />
1. & 4. Szene: In einem Obstgarten<br />
2. & 3. Szene: Wohnzimmer<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 2 -
Baumschnitt<br />
1. Szene<br />
In der Bühnenmitte steht ein grosser Obstbaum. Auf<br />
dem Bühnenboden unter dem Baum liegen Äste und<br />
Zweige. Für den Zuschauer sichtbar sind der Stamm<br />
und der Ansatz der Hauptäste. Es muss der Eindruck<br />
entstehen, dass Fred und Schreier im Astwerk<br />
herumklettern und den Baum schneiden. Man hört<br />
das Schnipsen einer Schere und die Sägegeräusche<br />
eines Fuchsschwanzes. Zweige und Äste fallen<br />
herunter.<br />
Schreier Ein Tag ist das heute.<br />
Fred Alles wie gewaschen.<br />
Schreier Ein Tag zum Feiern.<br />
Fred Du sagst es.<br />
Schreier Und wir armen Schweine von Baumgärtnern klettern in<br />
den Bäumen herum. Jetzt an der Sonne sitzen, vor sich<br />
ein Glas Roten, den Schatz daneben, die Hand auf<br />
seinem Hintern ...<br />
Fred Hör auf!<br />
Schreier Ich sag ja bloss.<br />
Fred Hör auf, sag ich dir.<br />
Schreier Bitte, wenn’s den Herrn stört ...<br />
Sie arbeiten weiter.<br />
Schreier nach einer Weile. Komm, wir machen eine Pause.<br />
Aber du willst wohl nicht. Bloss für eine Zigarette.<br />
Einen Stengel lang.<br />
Fred Später.<br />
Schreier Der Chef ist doch weg heut. Weisst du doch. Ist auf<br />
Kundenfang. Die andern arbeiten auswärts.<br />
Fred Ohne mich. Ich weiss, was ich zu tun habe.<br />
Schreier Ach du, du ... Musterschüler!<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 3 -
Fred Ich bin doch nicht blöd. Ich lass mich nicht wieder<br />
erwischen, schöner Herbsttag hin oder her. Aber mach<br />
doch Pause, wenn du willst.<br />
Schreier Ist nicht lustig, allein.<br />
Fred Nicht lustig so. Getraust dich nicht allein.<br />
Schreier Ach was.<br />
Fred Weisst nämlich genau, was geschieht, wenn uns der<br />
Alte erwischt. Der will uns doch loshaben auf den<br />
Winter und wartet auf einen Vorwand. Zwei entlässt er<br />
vielleicht nicht, aber einen sicher.<br />
Schreier Leck mich am Arsch.<br />
Die beiden Spieler werden am oberen Bühnenrand<br />
sichtbar. Ihre Arbeit überprüfend und ausbessernd<br />
steigen sie langsam vom Baum herunter.<br />
Schreier Aber dieses Wetter. Das sanfte Licht über den Feldern.<br />
Fred Kollege Schreier macht auf Lyrik.<br />
Schreier Und wir klettern wie die Affen in den Ästen herum.<br />
Fred Und das gefällt dir nicht? Unverständlich.<br />
Schreier Witzig!<br />
Fred Ist doch gar nicht übel, diese Arbeit.<br />
Schreier Jeden Tag das gleiche. Singt. „Drum sag ich’s noch<br />
einmal, Gott ist ...“<br />
Fred ironisch. Gleich gibt es Abwechslung.<br />
Schreier Abwechslung sagst du dem?<br />
Sie beginnen die heruntergefallenen Äste zusammenzutragen<br />
und auf einen Haufen zu werden.<br />
Schreier rezitiert im Arbeiten. „Herr, es ist Zeit. Der Sommer<br />
was sehr gross“ – was man vom Zahltag nicht<br />
behaupten kann ... eh, wo bin ich verblieben?<br />
Fred schaut von der Arbeit auf, offensichtlich erstaunt.<br />
„Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren und auf den<br />
Fluren lass die Winde los.“<br />
Schreier „Befiehl den letzten Früchten voll zu sein,“ eh ...<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
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- 4 -
Fred souffliert. „Gib ihnen ...“<br />
Baumschnitt<br />
Schreier stolz. „Gib ihnen noch zwei südlichere Tage, dränge sie<br />
zur Vollendung hin und jage die letzte Süsse in den<br />
schweren Wein.“ Zu Fred. Na? – „Wer jetzt kein Nest<br />
hat, baut sich keines mehr.“<br />
Fred verbessert. „Wer jetzt kein Haus hat ...“ Etwas mehr<br />
Ehrfurcht vor dem Dichter, wenn ich bitten darf.<br />
Schreier abweisende Geste. „Wer jetzt allein ist, wird es lange<br />
bleiben,“<br />
Fred „wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben“<br />
Schreier „und wird in den Alleen hin und her“<br />
Beide „unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.“<br />
Fred erstaunt. Der Schreier rezitiert Rilke.<br />
Schreier Ein ehemaliger Knastbruder liebt schöne Verse.<br />
Fred Der Schreier, den es bloss nach Weibern und anderer<br />
Leute Geld gelüstet ...<br />
Schreier ... hat Lust auf die Poesie, oder wie das heisst. Das geht<br />
dir nicht hinein, was?<br />
Fred Doch, sicher. Was nicht so leicht hineingeht ist die<br />
Tatsache, dass ein Knastbruder – offenbar Sinn für<br />
sprachliche Schönheit entwickelt. Das stellt unsere<br />
landläufigen Vorstellungen von Bildung grundsätzlich<br />
in Frage.<br />
Schreier Schlimm?<br />
Fred Nein, bloss interessant.<br />
Schreier Ah. Gleichwohl: Das passt nicht in dein . eh ...<br />
Fred Weltbild.<br />
Schreier Weltbild, was?<br />
Fred Quatsch.<br />
Schreier zieht einen Gedichtband aus der Rocktasche, schlägt<br />
ihn auf und liest.<br />
„Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe<br />
so müd geworden, dass es nichts mehr hält.<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 5 -
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe<br />
und hinter tausend Stäben keine Welt.“<br />
Wie der das macht? Ein paar Wörter – und du siehst<br />
alles vor dir. Alles ist da.<br />
Fred Kunst eben.<br />
Schreier Scheint so.<br />
Fred Das Buch kommt mir bekannt vor.<br />
Schreier Willst du es zurück?<br />
Fred Nein. Kann die Gedichte alle auswendig. Aber man<br />
könnt ja fragen.<br />
Schreier Ah ja. Hab ich ganz vergessen.<br />
Fred Einen Gedichtband klauen, hat man schon je sowas<br />
gehört? Ich begreif allmählich, weshalb ich dich trotz<br />
allem mag.<br />
Schreier Gleich und gleich ...<br />
Fred Wie bitte?<br />
Schreier Gleich und gleich gesellt sich gern.<br />
Fred Danke Schreier.<br />
Sie arbeiten still weiter.<br />
Schreier Ein typisches Reiche-Leute-Gedicht, das von der Zeit.<br />
Fred Ja?<br />
Schreier Seit wann baut unsereins Häuser und wandelt in<br />
Alleen?<br />
Fred In Baumkronen höchstens. Aber Briefe schreib ich.<br />
Sie holen den Reiswellenbock und zwei Spaltklötze<br />
auf die Bühne.<br />
Schreier Hab Gescheiteres zu tun nach zehn Stunden Arbeit.<br />
Fred Das brauche ich. Gegen das Spinnen.<br />
Schreier Schreiben gegen das Spinnen, aha.<br />
Fred Aber meist hab ich abends bloss den einen Wunsch:<br />
Ab in die Klappe.<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 6 -
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Baumschnitt<br />
Ich auch. Aber wenn möglich in Begleitung. Ich<br />
fürchte mich sonst so in der Nacht ... Du, ich hab dir<br />
doch von der neuen Serviertochter in der „Sonne“<br />
erzählt, weisst, die mit den grossen Titten. Letzten<br />
Samstag ...<br />
Bitte! Verschone mich!<br />
Nach einem Jahr Witzwil, einem Jahr ohne Weiber!<br />
Kannst doch nicht immer krampfen, musst doch auch<br />
einmal was haben.<br />
Wie dezent du dich ausdrücken kannst! Hab übrigens<br />
nichts gegen deine Nachtgeschichten, mag bloss nicht<br />
immer hören, was du mit deinen Frauen machst.<br />
Dafür hast du verdammt wenig Interesse. Ist doch nicht<br />
normal. Was sagt dein Arzt dazu?<br />
drohend. Sachte, sachte!<br />
Die beiden beginnen Reiswellen zu machen. Sie<br />
arbeiten routiniert, aber lustlos.<br />
Du schreibst also nur noch Briefe.<br />
Doch, natürlich schreib ich noch. Aber nicht mehr so<br />
viel wie in Witzwil.<br />
Was denn?<br />
Das interessiert dich?<br />
Über was Rechtes kann man mit dir ja nicht reden.<br />
Ah, deshalb. Also, ich schreibe Gedichte und<br />
gelegentlich eine Kurzgeschichte. Sobald ich Zeit habe,<br />
beginne ich einen Roman über meine Erlebnisse in der<br />
Fremdenlegion.<br />
Ich würde das Zeugs gerne lesen. Gefällt mir gut. Nicht<br />
so halbseidener Quatsch, sondern wie’s eben so läuft.<br />
Du wärst ein guter Literaturkritiker, Schreier. Müsstest<br />
bloss noch etwas gewählter formulieren. Aber du<br />
begreifst.<br />
Danke, Glauser! Mein Gott, wie stolz ich heute auf<br />
mich bin!<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 7 -
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
- 8 -<br />
Letzte Woche erschien eine meiner Kurzgeschichten<br />
im „Bund“. Im Feuilleton.<br />
Das heisst auf Deutsch?<br />
Im feinen Literaturteil. Bei der Kunst.<br />
Kunststück bei all deinen feinen Freunden! Lauter<br />
Doktoren, Professoren, Redaktoren!<br />
Übertreib nicht!<br />
Ich kenn dich doch. Glauser der Scharwenzler. Ich<br />
krampf mir in Witzwil den Buckel krumm und du<br />
verschwindest in der Anstaltsbibliothek. Wegen deiner<br />
zarten Gesundheit – und der guten Beziehungen zum<br />
Direktor. Gib’s zu. Ist doch so, oder?<br />
So hat jeder seine Talente. Neidisch?<br />
Nein. – Doch. Aber auf dein neues Kätzchen. Das ist<br />
Klasse! Rassig, gebildet. – Hab mich schon oft gefragt,<br />
wie du das machst.<br />
Wie ich was mache?<br />
Dass du solche Weiber bekommst. So ne halbe Portion<br />
von Hilfsgärtner.<br />
Ich bekomme sie nicht, Schreier, ich lerne sie kennen.<br />
Du weckst bei den Frauen Mitleid. Das ist deine<br />
Masche: Mitleid.<br />
Keine Masche. Viel eher – Ironisch – Schicksal.<br />
die folgenden vier Einsätze ironisch. Tragische<br />
Jugend.<br />
Du sagst es, Freund.<br />
Das muss ja schiefgehen.<br />
Wie wahr, wie wahr!<br />
Bei mir läuft’s auch schief. Bin völlig pleite.<br />
Bist du ja immer.<br />
Aber ich mach mir so meine Gedanken darüber.<br />
Hör auf.<br />
Ich hab eine prima Idee.<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Baumschnitt<br />
Was du nicht sagst! Ich könnt dich anzeigen wegen<br />
Anstiftung zum Diebstahl.<br />
Du machst wohl Witze. Entdeckt die Narbe an Freds<br />
Handgelenk. Zeig mal. Was ist das?<br />
Ach nichts.<br />
Woher hast du das?<br />
Ich hab mich mal verletzt.<br />
Packt auch das andere Handgelenk. Und da hast du<br />
dich auch verletzt, was? Du hast dir die Adern<br />
aufgeschnitten, stimmt’s?<br />
Ja, vor zwei Jahren. Da war ich ganz am Boden.<br />
Sieht gut aus. Zeigst du sie deinen Weibern? Die sind<br />
scharf auf sowas. Sicher!<br />
Bei allem denkst du immer nur ans eine. Du hast den<br />
Beruf verfehlt. Wie wär’s mit Leiter eines Mädcheninternats?<br />
Lauter junges Fleisch. Tag- und Nachtdienst.<br />
He, wär doch was?<br />
Gar nicht mal so dumm. Oder Lehrer für praktische<br />
Lebenskunde.<br />
Sie arbeiten still weiter.<br />
bemerkt, dass Fred abwesend ist. Was hast du?<br />
Das Gedicht vorhin. Vor sechs Jahren war’s im Winter<br />
1920. Eine Gedichtrezitation. Daran musst ich wieder<br />
denken.<br />
Lohnt sich das Zuhören?<br />
Für dich allemal.<br />
Also eine scharfe Sache?<br />
Wirst schon merken. – Ein verrückter Abend war das<br />
damals. Ich erinnere mich, als wär’s gestern gewesen.<br />
Wohnte damals in Baden, beim Stadtschreiber Raschle.<br />
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Kein Aufführungsrecht.<br />
- 9 -
Hans<br />
Maugg<br />
Hans<br />
Klara<br />
Maugg<br />
Klara<br />
Maugg<br />
Klara<br />
Maugg<br />
Klara<br />
Maugg<br />
Klara<br />
Maugg<br />
2. Szene<br />
Polstermöbel und Teetischchen im Jugendstil<br />
markieren das Wohnzimmer des Ehepaares Raschle.<br />
Gut sichtbar steht im Hintergrund auf der Kredenz<br />
ein Grammophon. An der Wand eine kleine<br />
Waffensammlung. Die Gruppe kommt von einem<br />
Fastnachtsball zurück, ist kostümiert und<br />
geschminkt. Maugg trägt ein Flamenco-Kleid, das<br />
ihre rassige Figur gut zur Geltung bringt. Hans<br />
Raschle, klein gedrungen, trägt Frack und Zylinder.<br />
Klara und Fred stellen zwei Charlots in identischer<br />
Kleidung dar. Auftritt der beiden Frauen und Hans.<br />
in Hochform. Nur hereinspaziert meine Herrschaften,<br />
nur hereinspaziert. Alle ruhn.<br />
gereizt. Musst du auch an der Fastnacht? ... Bitte.<br />
zu Klara Darf ich? Nimmt Klara den Mantel ab.<br />
Maugg bietet Klara einen Sessel an, Hans bringt die<br />
Mäntel zur Garderobe.<br />
Wie schön ihr es hier habt!<br />
Hier fühlen wir uns wohl. Aber es gibt viel zu tun.<br />
Kann ich mir denken.<br />
Wie geht’s in der Schule?<br />
Es ist sehr streng. Vierzig Schüler im Zaum halten, für<br />
alle da sein. Da weiss ich mir oft kaum mehr zu helfen.<br />
Das fordert einen, denke ich. Ich könnte es nicht.<br />
Man gewöhnt sich daran.<br />
Ständig um die Kinder herum. Ich brauch in meiner<br />
Nähe erwachsene, intelligente Leute.<br />
Aber mir gefällt es. Trotz allem. Immer nur zuhause<br />
arbeiten, ist ja auch nicht so verlockend.<br />
Wir wandern viel, gehen ins Theater und machen mit<br />
beim Leseverein. Bei mir muss etwas laufen, dann bin<br />
ich zufrieden.<br />
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- 10-
Hans<br />
Klara<br />
Wo bleibt Fred?<br />
Baumschnitt<br />
Ein Bekannter hat ihn aufgehalten. Aber er wird gleich<br />
kommen.<br />
Maugg Ein witziger Einfall mit euren Charlot-Kostümen. –<br />
Man sieht so auf einen Blick, dass ihr<br />
zusammengehört.<br />
Klara Wir kennen uns noch nicht lange. Vor drei Wochen<br />
sind wir uns an einer Vernissage begegnet, und er hat<br />
mich gefragt, ob ich mitkäme zum Fastnachtsball.<br />
Maugg Ah. – Du bist dabei, einen interessanten Mann kennenzulernen.<br />
Interessant, aber nicht einfach.<br />
Hans Was möchten die Herrschaften trinken? Kaffee? Wein?<br />
Oder zur Feier des Tages vielleicht ein Gläschen<br />
Henkell?<br />
Maugg Gute Idee.<br />
Auftritt Fred. Er zieht seinen Mantel aus.<br />
Klara Henkell?<br />
Maugg Du kennst den Namen Henkell nicht?<br />
Klara Nein.<br />
Maugg Sekt.<br />
Klara Ach so.<br />
Fred Nektar für die Haute Volée, Zeichen feiner Lebensart<br />
und dicker Portemonnaies.<br />
Hans zu Fred. Du nimmst Sirup mit Brunnenwasser, nehm<br />
ich an.<br />
Fred Erraten.<br />
Hans Bin schon unterwegs.<br />
Maugg Du hast noch nie etwas von Henkell gehört?<br />
Klara Nein.<br />
Fred zu Maugg. Trotzdem: Es besteht berechtigte Hoffnung<br />
für unsere Klara. Sie beherrscht, wie du unschwer<br />
feststellen kannst, schon den aufrechten Gang.<br />
Maugg Ich fragte ja bloss.<br />
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Kein Aufführungsrecht.<br />
- 11-
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
- 12-<br />
Völlig unverbindlich.<br />
Nun, wie hat es gefallen?<br />
Ein Hauch von Opernball, auf schweizerische Kleinstadtverhältnisse<br />
gestutzt. Bestrickend.<br />
Für einen gebürtigen Wiener und selbsternannten<br />
Dadaisten fast unzumutbar bieder, nehme ich an.<br />
Fred Nein wirklich, gar nicht übel. Aber in solcher<br />
Begleitung wird jeder Abend zum Erfolg.<br />
Maugg Oh, ein Kompliment. Für wen?<br />
Fred Selbstverständlich für alle.<br />
Maugg Erstaunlich.<br />
Klara will dem Gespräch eine andere Wendung geben. Ach,<br />
war das ein schöner Abend.<br />
Fred Und er ist noch lange nicht zu ende.<br />
Klara Hast du dich amüsiert?<br />
Maugg Ja, schon, ja. – Weshalb?<br />
Klara Ich dachte, es gefalle dir nicht.<br />
Maugg Doch doch, es war nett. Weshalb meinst du, es habe<br />
mir nicht gefallen?<br />
Klara Weil du alle Tänzer abgewiesen hast.<br />
Maugg Früher konnte ich vom Tanzen kaum genug<br />
bekommen, aber heute halt ich mich eher zurück.<br />
Fred hänselnd. Noblesse et vieillesse obligent.<br />
Maugg Ich hör schon gar nicht mehr hin.<br />
Klara versucht die peinliche Situation zu überspielen. Ah,<br />
mal nach Herzenslust tanzen, die Arbeit vergessen. Mir<br />
ist noch ganz schwindlig von der Musik und den<br />
schönen Kostümen.<br />
Maugg holt Sektgläser. Hast du das Kostüm der jungen Hasler<br />
gesehen?<br />
Klara Ja. Ganz raffiniert. Darin sähest du hinreissend aus.<br />
Maugg Danke. Aber ich weiss nicht, ob ich mich so ausstellen<br />
möchte ...<br />
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Kein Aufführungsrecht.
Baumschnitt<br />
Fred ... In Baden ... Einmal nur ein Fest, wo einen niemand<br />
kennt und man die Kleider so tief ausgeschnitten trägt,<br />
wie es die stolze Brust begehrt.<br />
Maugg gereizt. Hie und da müsste man dich gehörig schütteln.<br />
Klara Was sich liebt, das neckt sich.<br />
Maugg Auf Sprichwörter ist bekanntlich wenig Verlass.<br />
Hans taucht mit einer Sektflasche auf. Grosser<br />
Auftritt. Er ist um die gute Stimmung besorgt.<br />
Hans Vom Feinen das feinste. Exklusiv für unsere Gäste. Er<br />
beginnt die Flasche zu entkorken. Gleich knallt der<br />
Korken. Die Gläser her. Schön in eine Reihe. Er giesst<br />
ein. Man erhebe sich und die Gläser. Wir trinken auf<br />
das Wohl aller, aber vor allem auf dasjenige unseres<br />
Jungen, hoffnungsvollen Dichters Friedrich Glauser,<br />
auf unseren Fred. Möge der Aufenthalt bei uns in<br />
Baden für ihn zu einer fruchtbaren Zeit werden.<br />
Fred Danke. Und vielen Dank für eure Gastfreundschaft.<br />
Prosit.<br />
Alle prosten sich zu.<br />
Hans Bitte nicht heruntergiessen wie Sprudelwasser.<br />
Sekttrinken erfordert Aufmerksamkeit. Kleine<br />
Schlucke nehmen und diese kurz schlürfen, damit sich<br />
das prickelnde Bouquet entwickeln kann.<br />
Fred karikiert die Anweisungen von Hans durch<br />
übertriebenes Schlürfen. Die beiden Frauen können<br />
ein Kichern nicht unterdrücken. Hans lässt sich<br />
nichts anmerken.<br />
Klara Schmeckt ausgezeichnet. Aber nach dem vielen Wein<br />
noch Sekt ...<br />
Hans Es ist nur einmal im Jahr Fastnacht, und morgen<br />
beginnt wieder der Alltag mit seinen Pflichten. Die<br />
geregelte Arbeit, nicht wahr Fred?<br />
Fred Du sagst es, Finanzminister.<br />
Maugg aufgebracht. Hab ich recht gehört? Finanzminister<br />
nennt er dich?<br />
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Kein Aufführungsrecht.<br />
- 13-
Hans<br />
Fred<br />
Hans<br />
Fred<br />
Hans<br />
Fred<br />
Hans<br />
Fred<br />
Hans<br />
Fred<br />
Hans<br />
Fred<br />
Hans<br />
Fred<br />
Hans<br />
Maugg<br />
Hans<br />
zu Maugg. Ach, lass doch. Zu Fred. Nun, wie fühlt<br />
man sich als frischgebackener Zeitungsmann?<br />
Nicht schlecht, danke.<br />
Was machst du denn?<br />
Ich füttere die Zeitungsenten. Gelächter Ich mach mal<br />
dies, mal das. Vor allem mache ich Übersetzungen und<br />
korrigiere die Beiträge der Lokalberichterstatter.<br />
Und du fühlst dich wohl?<br />
Man kann mich gebrauchen, denk ich.<br />
Und was macht die Kunst? Die Poesie?<br />
Ach, nicht viel! Hie und da ein Gedicht, das ist alles.<br />
Es fehlt mir die Musse für eine grössere Arbeit.<br />
Alles einer Frage der Organisation und der Disziplin.<br />
Glaubst du?<br />
Unbedingt.<br />
Für dich vielleicht. Aber bei mir kommt es auf so<br />
vieles an. Auf die Stimmung vor allem. Klar, ich kann<br />
auch schreiben, wenn die Stimmung fehlt. Aber dann ...<br />
Ich möchte mich nicht als gutes Beispiel hinstellen,<br />
aber vielleicht könnte dir meine Arbeitsweise trotzdem<br />
eine Hilfe sein.<br />
Ich glaube kaum.<br />
Weshalb denn nicht?<br />
Hör doch auf, Hans. Das hat doch keinen Sinn. Für ihn<br />
ist das anders, glaub ihm doch.<br />
Glaub ich ihm ja. Aber ohne Disziplin gelingt einfach<br />
nichts. Zu Fred. Und das gilt auch für dich. Schau: Ab<br />
sieben Uhr erledige ich den Kleinkram, dann, solange<br />
ich noch frisch bin, die anspruchsvollste Arbeit:<br />
Schwierige Briefe und Protokolle, die genaue<br />
Formulierungen verlangen. Am Nachmittag die<br />
Sitzungen und danach, wenn die Zeit reicht, die täglich<br />
anfallende Arbeit für den Verkehrsverein, das<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
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Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Hans<br />
Fred<br />
Hans<br />
Fred<br />
Hans<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Hans<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Hans<br />
Fred<br />
Hans<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Hans<br />
Baumschnitt<br />
Fremdenblatt und das Militär. Diese Aufgabenfülle<br />
bewältigt man nur mit Disziplin.<br />
Das sehe ich ein.<br />
beobachtet die beiden Männer mit wachsender<br />
Unruhe. Hans! Lass ihn doch in Ruhe. Bitte.<br />
Künftig werde ich also von sieben bis acht eine<br />
Gedichtstrophe schreiben, danach von acht bis ...<br />
Spott du nur.<br />
Spott beiseite: Schön, wenn ich so einteilen könnte wie<br />
du.<br />
So tu es doch.<br />
Nochmals: Ich kann es nicht.<br />
Aber du kannst nicht leben ohne feste Formen und<br />
Prinzipien.<br />
Wer sagt denn, ich hätte keine Prinzipien.<br />
Da sind wir aber gespannt.<br />
Du und Prinzipien?<br />
Aber sicher.<br />
So? Welche denn?<br />
Ich gehorche dem Prinzip des Chaos. Gelächter.<br />
Auch Chaoten haben schliesslich ein Anrecht auf<br />
Prinzipien.<br />
Aber nun mal im Ernst.<br />
Im Ernst, ja. Ich könnte auch vom Prinzip der Anarchie<br />
reden.<br />
Auch das noch.<br />
Mit mehr Anarchie im täglichen Leben ginge es uns<br />
allen besser.<br />
Für wie blöd hältst du uns eigentlich?<br />
Ich sage, was ich denke.<br />
Chaos als Prinzip. Wenn das nicht originell ist! Aber<br />
du machst doch bloss aus der Not eine Tugend.<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 15-
Maugg<br />
Fred<br />
Hans<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Hans<br />
Maugg<br />
Hans<br />
Maugg<br />
Hans<br />
Klara<br />
Hans<br />
Fred<br />
Klara<br />
Fred<br />
Hans<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Genau. Du machst deine Schwäche zum Lebensprinzip.<br />
Nicht ungeschickt, aber gleichwohl bloss eine Ausrede.<br />
Ihr irrt, weil ... Zu Hans. ... schau, du darfst uns beide<br />
nicht vergleichen. Du kannst ein riesiges Arbeitspensum<br />
bewältigen, kannst die verschiedensten Dinge<br />
gleichzeitig tun, alles mögliche organisieren, daneben<br />
noch schrieben und malen in der Freizeit. – Ich aber,<br />
ich kann vielleicht mal ..., aber ich bin so unsicher ...<br />
jedenfalls ist die Literatur für mich ... ich brauche sie,<br />
obwohl das Schreiben für mich eine einzige Plage ist.<br />
Hier der Arbeiter, dort der Künstler.<br />
Nicht beleidigt sein, bitte!<br />
Könnte man noch über etwas anderes reden. Unsere<br />
Klara ist schon am Einschlafen.<br />
Entschuldige, Liebes, aber solche Gespräche mit Fred<br />
bringen uns doch weiter.<br />
Aber doch nicht jetzt!<br />
Dann gehen Fred und ich ins Herrenzimmer.<br />
Ach so.<br />
Hab doch bitte etwas Geduld!<br />
Anarchie bedeutet doch Unordnung, Gesetzlosigkeit.<br />
Ja. Ein Anarchist verlangt die absolute Freiheit.<br />
Vor allem hasst er das Befehlen und Gehorchen.<br />
Und das findest du vernünftig? Wie sollte ich ohne zu<br />
befehlen Schule halten?<br />
Man käme mit viel weniger Zwang und Regeln aus.<br />
Wir glauben halt alle, es brauche ein Oben und Unten.<br />
Und so drängelt jeder auf der Karriereleiter nach oben,<br />
tritt andern auf die Finger und lässt sich auf die Finger<br />
treten.<br />
Anarchie populär. Anarchie für Anfänger.<br />
Verlangt jemand nach einer Vorlesung?<br />
Behüte! Mir reicht’s schon so.<br />
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Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 16-
Fred<br />
Klara<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Baumschnitt<br />
Ich bin ziemlich vorbelastet. Schlechte Voraussetzungen<br />
für streng wissenschaftliche Analysen.<br />
Das macht neugierig.<br />
Für meinen Vater gibt es in der Erziehung nur eine<br />
brauchbare Form: Die Befehlsform.<br />
Sucht wohl jemand einen Sündenbock?<br />
Herr Glauser pflegte seien erzieherischen Eigenheiten.<br />
Wenn er nach Hause kam, spielte sich immer die<br />
gleiche Szene ab. Fred spielt vor. Punkt halb zwei<br />
rasselte der Schlüssel im Schloss der Wohnungstür.<br />
Der Herr Direktor trat ins Wohnzimmer und legte die<br />
Mappe ab, die scharf nach Juchten roch.<br />
„Guten Tag, mein Sohn.“<br />
„Guten Tag, Vater“.<br />
„Hast du gut gearbeitet?“<br />
„Ja, Vater.“<br />
„Die lateinische Schularbeit?“<br />
„Genügend.“<br />
„Was, genügend? Nicht einmal befriedigend. Das muss<br />
anders werden. Ich war stets der erste in der Schule,<br />
nicht wahr, Mutter?“<br />
„Ja , Alfons.“<br />
„Guten Tag, Mutter.“<br />
„Guten Tag, Alfons.“<br />
„Können wir essen?“<br />
„Gewiss, Alfons.“<br />
Eines Tages hatte ich genug. Unsere Köchin, die mich<br />
mit blankem Hass verfolgte, hängte mir einen<br />
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Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
Diebstahl an. Obwohl ich meine Unschuld beteuerte,<br />
glaubte mir der Vater nicht. Ich ging in Antiquariat,<br />
verkaufte meine Schulbücher, fuhr mit dem Tram auf<br />
den Staats-bahnhof und verlangte eine Fahrkarte nach<br />
Pressburg. Von dort wollte ich weiter wandern bis an<br />
das Schwarze Meer, kam aber nur bis Pressburg, wo<br />
mich die Polizei kassierte und ins Gefängnis brachte.<br />
Ins Gefängnis zu richtigen Räubern und Vaganten.<br />
Gegen Abend wollte mich der Wärter wieder<br />
- 17-
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Hans<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Hans<br />
Klara<br />
Maugg<br />
Klara<br />
Fred<br />
mitnehmen. Ich als Direktorensohn sollte doch nicht<br />
mit solchen Leuten zu Nacht essen. Aber ich wollte<br />
bleiben. Schliesslich gab mir der Mann einen Napf,<br />
und ich ass mit den Leuten, die man gemeinhin<br />
Gesindel nennt. Hier war man nicht allein. Lärm gab<br />
es, Gesang und Flüche, die ich nicht verstand.<br />
Merkwürdig, die Leute sahen mich als einen der ihren<br />
an. Sie waren freundlich, gar nicht untertänig. Leider<br />
dauerte die Herrlichkeit nicht lange. Der Wärter kam<br />
mich holen: Der Herr Kommissar hatte befohlen, mich<br />
in eine Einzelzelle zu führen. In dieser Einzelzelle<br />
schlief ich friedlich, bis mich Licht weckte. Vor der<br />
Pritsche stand mein Vater. Ja, so war es.<br />
Was hat diese Geschichte mit dem Thema Anarchie zu<br />
tun?<br />
Das liegt doch auf der Hand.<br />
Ach ja?<br />
Hoffentlich fühlst du dich auch in unserem Milieu<br />
wohl.<br />
Wir sollten wohl weniger baden, dafür um so<br />
ausgiebiger fluchen und zum Abendessen gemütlich<br />
Fressnäpfe verteilen.<br />
Ich fühle mich einmal mehr auf Anhieb verstanden.<br />
Mein seliger Vater, der Pfarrherr Raschle, war auch<br />
nicht eben die Sanftmut in Person. Aber das hat mir<br />
nicht geschadet, im Gegenteil.<br />
Ich glaub, ich litt nie unter meinen Eltern.<br />
Du hast es vergessen.<br />
Mag sein. Aber bei uns war das anders. Ich habe neun<br />
Geschwister, da blieb den Eltern wenig Zeit zum<br />
Erziehen. Man wuchs einfach auf.<br />
Jede Erziehungsmassnahme des Vaters sollte meinen<br />
Charakter bilden. Nichts war ihm dafür zu teuer und zu<br />
gut. Er steckte mich in das Landerziehungsheim<br />
Glarisegg. Eine Schule im Geiste Pestalozzis und der<br />
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Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 18-
Hans<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Hans<br />
Fred<br />
Hans<br />
Fred<br />
Hans<br />
Fred<br />
Hans<br />
Fred<br />
Hans<br />
Fred<br />
Hans<br />
Maugg<br />
Hans<br />
Baumschnitt<br />
deutschen Reformpädagogen. Ich fand dort hohe<br />
Ideale, viel guten Willen und lauter kaputte Jugend aus<br />
reichem Hause.<br />
Kaputt – und talentiert.<br />
Du brauchst bloss das richtige Umfeld und den richtig<br />
dosierten Freiraum, um dich entfalten zu können. Wir<br />
finden, du benötigst weiterhin eine gewisse Führung.<br />
Wie du weisst, möchten wir dich jedoch allmählich an<br />
mehr Verantwortung gewöhnen. Bald wirst du deshalb<br />
nicht mehr bei uns wohnen.<br />
Schade. Ich wohne gern bei euch. Mit genügend<br />
Freiraum. Mich dünkt, ich brauch keine Nacherziehung,<br />
ich brauche Nestwärme.<br />
Nestwärme? Das sagt ein erwachsener Mann.<br />
Weshalb denn nicht? Das hat mir gefehlt früher. Dem<br />
einen fehlt dies, dem andern das. Mir fehlt die<br />
Nestwärme.<br />
Wir werden dem Dichter weiterhin geben, was der<br />
Dichter braucht.<br />
Ich danke.<br />
Weisst du übrigens, dass ich mich auch ein wenig mit<br />
Schriftstellerei beschäftige?<br />
Ja, weiss ich.<br />
Woher denn?<br />
Ich fand ein Theaterstück von dir in der Bibliothek.<br />
Und Berichte aus dem Aktivdienst.<br />
Ah, die Artikel fürs Tagblatt. Wie findest du sie?<br />
Gut.<br />
Aber?<br />
Kein Aber.<br />
Stilistisch?<br />
Hans, es ist ihm doch peinlich!<br />
Sag ruhig, was du denkst.<br />
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Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 19-
Fred zögert. Das Schreiben fällt dir leicht.<br />
Hans Ich war Gerichtsschreiber. Das gibt Übung. Du findest<br />
wohl, es falle mir allzu leicht.<br />
Fred Nein, weshalb denn? – Aber mich wundert das<br />
Interesse für diese Berichte. Versteh mich recht ...<br />
Hans Das musst du mir erklären.<br />
Fred Du protokollierst den Dienstalltag: Genau und<br />
unpathetisch.<br />
Hans Trockene Protokolle – und die Leute lasen sie.<br />
Fred So meine ich es nicht, aber ...<br />
Hans Wie denn. Los, sag schon.<br />
Maugg Mein Gott, ist das spannend! Uns bleibt heute nichts<br />
erspart. Zu Klara. Willst du mal das Haus sehen?<br />
Klara Oh, gerne.<br />
Maugg Also komm, wir lassen die beiden Krieger allein. Ab.<br />
Hans Maugg, weshalb ... Zu Fred. Also, los.<br />
Fred Du beschreibst den Dienstalltag, und der war trostlos.<br />
Enge, stinkende Unterkünfte, tagelang exerzieren,<br />
nächtelang Wache stehen, in den Manövern immer<br />
wieder die gleichen Hügel erobern. Lauter Stumpfsinn.<br />
Hans Stumpfsinn, das gebe ich zu, aber nicht Unsinn. Wir<br />
wussten, wozu wir an der Grenze standen.<br />
Fred Aber es war ungefährlich.<br />
Hans Das wussten wir erst, als es vorbei war.<br />
Fred Im Ausland dagegen standen die jungen Leute im<br />
Sumpf der Schützengräben, warteten im Trommelfeuer<br />
jede Sekunde auf einen Volltreffer, schissen sich beim<br />
Angriff vor Angst die Hosen voll und sahen zu, wie<br />
ihre Kameraden von den Granaten zerfetzt wurden. So<br />
war der Krieg.<br />
Hans Und ich beschrieb zur gleichen Zeit vier Jahre<br />
Manöver. Aber ich finde es falsch, wenn man das eine<br />
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Kein Aufführungsrecht.<br />
- 20-
Fred<br />
Hans<br />
Fred<br />
Hans<br />
Fred<br />
Hans<br />
Fred<br />
Hans<br />
Fred<br />
Hans<br />
Fred<br />
Hans<br />
Baumschnitt<br />
Elend gegen das andere ausspielt. Die Kriegszeit war<br />
schlimm. Auch für uns in der Schweiz.<br />
Vor allem für die Frauen zuhause.<br />
Richtig. Aber ich beschrieb, was ich kenne und<br />
verstehe. Ich schrieb vom Militär.<br />
Ja. – Vielleicht haben die Kriegsjahre den Leuten<br />
gefallen. Vor allem den Männern und besonders den<br />
Offizieren. Endlich erlebte man etwas Schicksal.<br />
Klingt einleuchtend. Und etwas von oben herab.<br />
Aber ich denke, es war noch etwas anderes: In der<br />
Vorkriegszeit begannen die Arbeiter aufzumucken. Sie<br />
lebten nicht mehr im Elend, sie lebten bloss noch in<br />
Armut. Sie wurden selbstbewusst und kritisch. Da kam<br />
der Krieg den Mächtigen gerade recht. Das Denken<br />
wurde wieder abgeschafft und ersetzt durch blinden<br />
Gehorsam. Man liess sich schlauchen, denn es geschah<br />
fürs Vaterland. Es war nicht Schikane, es war<br />
Erziehung.<br />
Du redest wie ein Roter.<br />
Bin aber keiner. Bin überhaupt nichts.<br />
Du redest wie ein Sozi und das ist mir zu einseitig. Es<br />
gab nämlich auch die Solidarität zwischen den Klassen.<br />
Was du sagst, riecht nach Ressentiments gegen die<br />
Erfolgreichen und gegen die Armee.<br />
Ressentiments? Wohl möglich, ja. Aber mir gefiel die<br />
Rekrutenschule.<br />
Dir? Weshalb denn?<br />
Ja, weshalb? – Ich kann bloss vermuten. Schau, zum<br />
ersten Mal gehörte ich richtig dazu. Das war es, denke<br />
ich. Ja, dazugehören. Ich beherrsche sogar noch den<br />
Gewehrgriff. Ich bin zwar nicht mehr in Übung. Fred<br />
holt sich ein Gewehr und demonstriert es. Es sieht<br />
unbeholfen aus.<br />
Das soll ein Gewehrgriff sein? Gib mal her. Hans zeigt<br />
vor. Er kann ihn bedeutend besser.<br />
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Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 21-
Hans Schau, so sieht das aus. Dir fehlt halt fürs Militär die<br />
Rasse, der Schmiss. Du kannst zwar Verse schreiben,<br />
aber du eignest dich nicht als Führer, leider. Hans wirft<br />
ihm das Gewehr hin.<br />
Fred gereizt, verletzt. Dazu fehlt mir vor allem die nötige<br />
Schlichtheit im Geiste. Fred wirft Hans das Gewehr<br />
vor die Füsse, so dass dieser sich bücken muss, um es<br />
fangen zu können.<br />
Hans Ach so, der geistig unabhängige Intellektuelle. Der<br />
brav nachbetet, was auf dem Monte Verità die<br />
Möchtegern – Künstler meinen. Nein, mein Lieber, dir<br />
fehlt es vor allem an Persönlichkeit, an Stärke. – Du<br />
schonst mich nicht, also schone ich dich auch nicht.<br />
Fred Brauchst du nicht. Zudem stimmt es, was du sagst.<br />
Jedenfalls zum Teil.<br />
Klara und Maugg kommen zurück.<br />
Maugg Steckt ihr noch mitten im Grabenkrieg, oder kann man<br />
mit euch wieder vernünftig reden?<br />
Hans Stellungskrieg würde ich sagen.<br />
Klara Wir haben einen Vorschlag.<br />
Maugg Fred könnte uns etwas vorlesen.<br />
Hans Gute Idee!<br />
Fred So spät noch?<br />
Klara Weshalb nicht?<br />
Fred Ich habe leider nichts Fertiges anzubieten.<br />
Maugg Bitte, Fred.<br />
Klara Wär lieb von dir, Fred.<br />
Fred Ich weiss wirklich nicht, was ich euch ...<br />
Maugg Ziere dich nicht.<br />
Fred Ich ziere mich nicht. Ich weiss bloss nicht, ob es gut<br />
genug ist.<br />
Hans Ach was!<br />
Fred Gut, meinetwegen. Ab.<br />
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Kein Aufführungsrecht.<br />
- 22-
Maugg<br />
Hans<br />
Maugg<br />
Hans<br />
Maugg<br />
Hans<br />
Maugg<br />
Hans<br />
Maugg<br />
Hans<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Baumschnitt<br />
Der hat dich ganz schön zerzaust, mein Lieber!<br />
Findest du?<br />
Und der Stadtschreiber, eine Respektsperson, lässt es<br />
sich gefallen. Du solltest mehr auf deine Autorität<br />
achten.<br />
Ach, ich weiss nicht; er lässt sich doch nichts<br />
vormachen.<br />
Dass man sich von ihm dermassen imponieren lässt!<br />
Dir imponiert er wohl nicht?<br />
Verlier bitte unser Ziel nicht aus den Augen.<br />
Eben! Wie willst du sonst Einfluss auf ihn gewinnen?<br />
Man muss doch offen sein.<br />
Aber er braucht Hilfe, nicht du!<br />
Auftritt Fred.<br />
Noch ein Schlückchen Sekt? Alle stimmen zu. So. Der<br />
Dichter möge lesen! Seiner harrt die andächtige<br />
Gemeinde.<br />
Der „Dichter“ überhört den ironischen Unterton.<br />
Fred geht von der Bühne und tritt sogleich wieder<br />
auf, in theatralischer Pose, das Textblatt mit<br />
gestreckten Armen vor sich hertragend. Er beginnt in<br />
pathetischem Ton.<br />
Sonnet<br />
Vielleicht erkennst du nie die reifste Stunde,<br />
Auch wenn sie zärtlich dir zu Füssen blüht...<br />
Fred bricht ab, sieht sich um. Die Zuhörerschaft<br />
kichert. Nicht gut?<br />
Ich weiss nicht recht.<br />
Nochmals.<br />
Fred setzt sich und beginnt nochmals. Es wirkt nun<br />
bescheiden, fast unsicher.<br />
Vielleicht erkennst du nie die reifste Stunde,<br />
auch wenn sie zärtlich dir zu Füssen blüht.<br />
Denn deine Augen trauern immer, stumpf und müd<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 23-
über die alte, unvernarbte Wunde.<br />
Klara<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Hans<br />
Fred<br />
Hans<br />
Fred<br />
Hans<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Hans<br />
Und niemals findest du den weissen Tag der Sterne,<br />
weil deine Strasse, grau, dich weiterzieht,<br />
Taub bist du für das drohend – bunte Lied.<br />
Unsichtbar schmetternd aus der tiefsten Ferne.<br />
Die Stunden wandern, sie sind karg und grau,<br />
doch eine nickt vielleicht und will dich rufen<br />
mit sanftem Neigen, wie das Locken einer Frau.<br />
Du lässt sie ziehn, weil sie dich selbst verneint.<br />
An deinem Ende aber steht sie auf den Abendstufen<br />
und winkt noch einmal, spärlich, winkt und weint.<br />
Die Zuhörer sind sichtlich beeindruckt. Peinliche<br />
Pause.<br />
Schön. – Ich finde es schön, obwohl ich das Gedicht<br />
nicht begreife.<br />
Man braucht es nicht zu verstehen.<br />
leicht ironisch. Da zeigt sich Talent, um nicht zu sagen<br />
Genie.<br />
Ein grosses Versprechen für die Zukunft, aber erst ein<br />
Versprechen.<br />
Ach ja?<br />
Willst du meine Meinung hören?<br />
Gerne.<br />
Dem Gedicht fehlt die ... Einfachheit ... wie soll ich<br />
sagen ... die ...<br />
Kann seine Nervosität kaum meistern. Ich weiss.<br />
Schöne, poetische Bilder allerdings.<br />
Danke, fast zu viel des Lobes. Ich halte wenig von<br />
meinen Gedichten.<br />
Du bist allzu streng mit dir.<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 24-
Fred<br />
Maugg<br />
Klara<br />
Hans<br />
Fred<br />
Hans<br />
Klara<br />
Hans<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Hans<br />
Klara<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Baumschnitt<br />
Es sind doch bloss Fingerübungen.<br />
Dir fallen schöne, originelle Bilder ein. Diese Form<br />
von Phantasie kann man nicht lernen, da bin ich sicher.<br />
Ich denke, du siehst mit andern Augen als wir.<br />
Jedenfalls war es schön. Danke.<br />
Ja, besten Dank. Noch ein Gedicht?<br />
Lieber nicht. – Vielleicht würde uns etwas Musik ganz<br />
gut tun.<br />
Ja, finde ich auch.<br />
Musik? Sehr gerne!<br />
geht zum Grammophon. Ich darf euch mit etwas ganz<br />
Neuem überraschen. Er kramt eine Platte hervor, legt<br />
sie auf den Plattenteller, betätigt die Kurbel und senkt<br />
den Tonarm ab. Es ertönt das Gekrächze damaliger<br />
Schallplatten. Charleston, das Wildeste aus Amerika.<br />
zu Maugg. Kannst du Charleston tanzen?<br />
Kann ich, ja. Soll ich es dir zeigen?<br />
Ja, gerne.<br />
zu Klara. Darf ich bitten?<br />
Aber ich weiss nicht, wie man das tanzt.<br />
Komm nur.<br />
Hans beginnt mit Klara zu tanzen.<br />
Die Sessel werden zur Seite gerückt, um Platz zum<br />
Tanzen zu bekommen. Maugg wirkt wie verwandelt<br />
und freut sich auf den Tanz. Schau, so geht das. Sie<br />
tanzt ein paar Schritte vor. Fred schaut zu und<br />
versucht dann selber. Bald beherrscht er den Tanz<br />
genügend, um mit Maugg tanzen zu können. Beide<br />
zeigen ihre Freude am gemeinsamen Tanzen. Da<br />
wird Fred von einem Hustenanfall gepackt und muss<br />
den Tanz unterbrechen. Du rauchst einfach zu viel.<br />
Sie tanzen weiter, aber da folgt der nächste Anfall.<br />
Sie brechen den Tanz ab und setzen sich wieder.<br />
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Kein Aufführungsrecht.<br />
- 25-
Hans unterbricht die Musik. Fred erholt sich<br />
allmählich.<br />
Klara Geht’s?<br />
Fred Ja ja, es geht schon, danke. Ist schon wieder gut.<br />
Klara Eine verrückte Sache, dieser ...<br />
Fred Charleston.<br />
Klara Ja, Charleston.<br />
Fred Tanzt doch bloss weiter! Gleich mache ich auch wieder<br />
mit.<br />
Hans Wenn du meinst ...<br />
Fred Ja, alles in Ordnung!<br />
Hans bedient wieder das Grammophon. Maugg<br />
bewegt sich tanzend auf Fred zu und will mit ihm<br />
weitertanzen, doch dieser übersieht sie und bittet<br />
Klara zum Tanz. Die beiden wirken als glückliches<br />
Paar. Maugg geht beleidigt ab. Hans sieht sie<br />
abgehen und unterbricht die Musik wieder.<br />
Hans Was hast du denn?<br />
Maugg Ich bin müde. Ich gehe zu Bett.<br />
Hans Aber weshalb denn so plötzlich?<br />
Maugg Ich bin müde, das ist alles. Aber lasst euch bloss nicht<br />
stören. Gute Nacht. Ab.<br />
Fred Gute Nacht.<br />
Klara Gute Nacht. Und vielen Dank für den schönen Abend.<br />
Hans Aber Maugg, ich ... möchtest du nicht noch ...<br />
Hans eilt Maugg nach, hält inne und geht zurück<br />
zum Grammophon, unterbricht die Musik.<br />
Hans zu Fred. Weisst du, wie man das Grammophon<br />
bedient?<br />
Fred Nein.<br />
Hans Schau, so. Er zeigt vor. Dann vorsichtig den Tonkopf<br />
senken.<br />
Fred Gut. Aber du willst doch nicht ...<br />
- 26-<br />
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Kein Aufführungsrecht.
Hans<br />
Klara<br />
Hans<br />
Fred<br />
Hans<br />
Klara<br />
Hans<br />
Fred<br />
Klara<br />
Fred<br />
Klara<br />
Fred<br />
Klara<br />
Fred<br />
Klara<br />
Fred<br />
Klara<br />
Doch. Es ist Zeit.<br />
Schade.<br />
Baumschnitt<br />
Lasst euch bloss nicht stören. Und den Sekt findest du<br />
im Keller.<br />
Bleib noch ein wenig.<br />
schüttelt den Kopf. Es war schön und interessant.<br />
Klara, leb wohl! Fred!<br />
Dann geh ich auch.<br />
Aber weshalb denn? Fred ist hier zuhause. Gute Nacht.<br />
Ab.<br />
Verlegenheitspause. Die beiden sehen sich an,<br />
lächeln schüchtern. Fred steht auf und zündet sich<br />
eine Zigarette an, dann geht er zum Grammophon<br />
und legt eine Platte auf.<br />
Noch ein Tänzchen?<br />
Nein, es reicht.<br />
Fred setzt sich neben Klara. Sie lauschen der Musik.<br />
Fred nimmt Klaras Hand. Sie lässt ihn gewähren. Er<br />
gibt ihr einen Kuss auf die Wange. Plötzlich beginnt<br />
sie zu lachen.<br />
Was ist?<br />
Du hast von meiner Schminke auf der Nase. Da. Sie<br />
wischt die Schminke zärtlich weg. Schau.<br />
Das Fräulein Lehrerin ist nicht kussecht.<br />
Sollte es?<br />
Es wäre nicht unangenehm. Klara entzieht sich ihm<br />
mit einem koketten Lachen. Das haben wir gleich.<br />
Einen Augenblick, bitte. Er stellt die Musik ab und<br />
holt Watte und Vaseline. So, und nun bitte ruhig<br />
hinhalten. Er beginnt Klara abzuschminken.<br />
Was machst du denn?<br />
Ich restauriere.<br />
Ach, all die Arbeit futsch.<br />
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Fred<br />
Klara<br />
Fred<br />
Klara<br />
Fred<br />
Klara<br />
Fred<br />
Klara<br />
Fred<br />
Klara<br />
Fred<br />
Klara<br />
Fred<br />
Klara<br />
Fred<br />
Klara<br />
Fred<br />
Klara<br />
Kannst ja nicht als Gemälde zu Bett gehen?<br />
Wer sagt denn etwas von zu Bett gehen?<br />
Ich meinte bloss, Jungfer Klara. Noch hier etwas. Ja,<br />
sieht gut aus. Er schminkt bloss Klaras rechte<br />
Gesichtshälfte ab. So, wir besichtigen das Resultat.<br />
Fred führt Klara galant vor den Spiegel.<br />
Schaut in den Spiegel. Aber du bist gar nicht fertig.<br />
Betrachtet Klaras Gesicht. Reizvoll, was?<br />
Nicht überzeugt. Ja, ulkig.<br />
Klara holt sich Watte und Vaseline und schminkt die<br />
andere Gesichtshälfte ebenfalls ab, während Fred<br />
einen Professor parodierend auf und ab geht.<br />
„Die schizophrene Maske.“ Das wär etwas für die<br />
Psychiater im Burghölzli. Nicht die Schizo-Vreni,<br />
sondern die Schizo-Klara.<br />
Was bedeutet schizophren?<br />
Das weiss offenbar niemand so genau. Also: Als<br />
Schizophrenie bezeichnet man die Spaltung der Seele.<br />
Das ist etwas für die neuen Priester, genannt<br />
Psychiater. Immer wenn sie einen Menschen nicht<br />
begreifen, bezeichnen sie ihn als schizophren. Oder sie<br />
behaupten, er leide an Dementia praecox.<br />
Dementia praecox?<br />
Eine Art Irrsinn. Laut Gutachten eines Genfer Arztes<br />
eines meiner Leiden.<br />
Irrsinn? Finde ich nicht.<br />
Gell.<br />
Du kennst dich sehr gut aus in solchen Dingen. Ich<br />
staune, was du alles weisst.<br />
Und ich staune, was du alles nicht weisst.<br />
Oh, danke.<br />
Was lernt man eigentlich im Seminar?<br />
Sehr viel Moral.<br />
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Fred<br />
Klara<br />
Fred<br />
Klara<br />
Fred<br />
Fred<br />
Klara<br />
Fred<br />
Fred<br />
Klara<br />
Fred<br />
Klara<br />
Fred<br />
Also schädliches Zeug.<br />
Baumschnitt<br />
Damit wird ich schon fertig. Komm, jetzt spalten wir<br />
auch deine Persönlichkeit. Hinhalten, bitte!<br />
Klara schminkt Fred einen Keil auf die Stirn.<br />
Kennst du den Witz vom Barbier und dem eiligen<br />
Kunden?<br />
Nein.<br />
Ich vergass. Du bist Lehrerin. Also: Ein Kunde lässt<br />
sich die Haare schneiden, schaut immer wieder nervös<br />
auf die Uhr und sagt: „Ich sollte schon auf dem<br />
Bahnhof sein. Könnten Sie nicht etwas flinker<br />
arbeiten? Mein Coiffeur wäre mit dem Haarschnitt<br />
schon lange fertig“! Der Coiffeur sagt: „Das kann ich<br />
auch“, schneidet ihm die eine Hälfte kahl und sagt:<br />
„Das kostet drei Franken fünfzig, und morgen mache<br />
ich die andere Hälfte.“<br />
Klara reagiert auf den Witz nicht.<br />
Haha.<br />
Macht drei Franken fünfzig.<br />
besieht sich im Spiegel. Quatsch. Für diesen Pfusch<br />
solltest du eigentlich noch draufzahlen.<br />
Sie beschauen sich Wange an Wange im Spiegel.<br />
Nicht übel, wir zwei.<br />
Gar nicht.<br />
Durchaus reizvoll.<br />
Durchaus.<br />
Fred führt Klara betont galant aufs Sofa.<br />
Einen Augenblick bitte.<br />
Fred ab. Man hört ihn mit Gerätschaften hantieren.<br />
Klara verfolgt sein Tun unter der Tür, dann eilt sie<br />
auf ihren Platz zurück. Fred erscheint mit einer<br />
Handvoll Küchengeräten, die er zu einem Strauss<br />
gebündelt in der Hand hält. Er geht vor Klara auf die<br />
Knie. Theatralische Pose.<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 29-
Fred<br />
Klara<br />
pathetisch. Klara, möchtest du meine Lehrerin und<br />
Frau werden?<br />
Wie bitte?<br />
Fred Ich frage dich hiermit, ob du meine Frau werden<br />
möchtest.<br />
Klara Ich weiss nicht ... du spinnst doch. Was soll ich bloss<br />
antworten?<br />
Fred Ganz einfach: Ja oder nein.<br />
Klara Aber du machst bloss Spass, oder?<br />
Fred Nein durchaus nicht.<br />
Klara Wir kennen einander doch kaum.<br />
Fred Wirklich?<br />
Klara Wir sind zum ersten Mal zusammen ausgegangen –<br />
und du machst mir gleich einen Antrag.<br />
Fred Das ist kein Heiratsantrag, das ist ein Rettungsversuch.<br />
Klara Wie bitte?<br />
Fred Ein Rettungsversuch.<br />
Klara Ich versteh überhaupt nichts mehr.<br />
Fred Ich brauche jemand, der mich hält – der mich<br />
beschützt. Vor mir selber. Jemand wie dich. So lieb,<br />
besonnen und verlässlich.<br />
Klara Und all das, das bin ich?<br />
Fred Ich denke schon.<br />
Klara Ich dich beschützen?<br />
Fred Ja. Vor ... meinen Widersprüchen. Vor meinen<br />
Abhängigkeiten.<br />
Klara Du erwartest allen Ernstes ... Und ich sollte mich heute<br />
noch entscheiden?<br />
Fred Es muss nicht heute sein.<br />
Klara Aber dass du auf mich verfällst!<br />
Fred Weil du die richtige bist.<br />
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Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 30-
Baumschnitt<br />
Klara Du spinnst. Das mach doch bloss der Wein, die schöne<br />
Stimmung. Und morgen machst du einer anderen Frau<br />
den Hof.<br />
Fred Etwas muss man mir zugute halten. Ich kenne die<br />
Menschen.<br />
Klara Kann schon sein.<br />
Fred Meinst, ich sei ein Frauenheld? Dass ich nicht lache!<br />
Seh ich etwa danach aus?<br />
Klara ungehalten. Ich weiss doch nicht.<br />
Fred Frauen verführen! Diese lächerliche Balzerei, um sich<br />
etwas zu beweisen. Nein, ich ... ich brauche jemand<br />
zum Leben. Verstehst du denn nicht!<br />
Klara Du suchst einen Halt.<br />
Fred ungeduldig. Das sag ich doch.<br />
Klara Deswegen bist du hier bei der Familie Raschle.<br />
Fred Ja, ja. Ich bin ja froh, dass ich hier sein darf. Aber es<br />
ist auf die Dauer keine gute Lösung.<br />
Klara Auch ich habe meine Probleme. – Ich bin nicht so<br />
ausgeglichen. Das scheint bloss so. Vielleicht würde<br />
ich dich enttäuschen.<br />
Fred Nein, du nicht.<br />
Klara Es kommt alles so ... so überraschend. – Du hast etwas<br />
von Abhängigkeiten gesagt.<br />
Fred Ich dachte, du weisst über mich Bescheid. Weshalb<br />
mich die Raschles aufgenommen haben.<br />
Klara Nein, ich weiss es nicht ... so genau ... Wenn es ist, was<br />
ich vermute ...<br />
Fred ... dann möchtest du dich nicht an diese Person binden.<br />
Klara zögert. Ich weiss nicht ...<br />
Fred ernüchtert. Ist schon gut. – Und einer Frau nach dem<br />
ersten gemeinsamen Abend einen Antrag zu machen ...<br />
Klara ... ist schon etwas ungewöhnlich. Man kann es so nicht<br />
ernstnehmen. Das verstehst du doch, oder?<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 31-
Fred<br />
Klara<br />
Fred<br />
Klara<br />
Fred<br />
Klara<br />
Fred<br />
Klara<br />
Fred<br />
Klara<br />
Fred<br />
Klara<br />
Fred<br />
Klara<br />
Fred<br />
Klara<br />
Fred<br />
Klara<br />
Ja.<br />
Auch wenn ich dich mag. Das geht doch so nicht. Das<br />
müsste doch wachsen zwischen uns.<br />
Ja, natürlich. Wie wenn er erwachen würde. Weshalb<br />
mach ich das? Das kann doch nicht gut kommen, so. –<br />
Das war typisch Glauser vorhin: Verrückt, unmöglich,<br />
aber nicht unvernünftig. Du wärst eine gute Frau für<br />
mich. Aber ich für dich kein guter Mann.<br />
Du bist mir nicht gleichgültig, nein. Aber ich bin eine<br />
ganz normale Frau ...<br />
Eben.<br />
... und ich möchte eine Familie und einen Mann der die<br />
Familie ernähren kann.<br />
Eben.<br />
Was hast du denn gelernt?<br />
Ich habe Matur.<br />
Und bist Student?<br />
Ein Chemiestudium habe ich seinerzeit begonnen. Dem<br />
Vater zuliebe. Aber das war nichts. Ich will nicht<br />
studieren, ich will leben.<br />
Aber wie willst du denn ohne Studium und ohne<br />
Lehre...?<br />
Das weiss ich auch nicht. Ich möchte leben ... und<br />
schreiben.<br />
Es muss jeder selber wissen, was er will.<br />
Ja.<br />
nach einer Pause. Bitte sei mir nicht böse.<br />
Nein, bin ich nicht. Fred giesst sich sein Glas voll und<br />
leert es. Er kann seine Enttäuschung nicht verbergen.<br />
Er scheint jetzt viel älter zu sein.<br />
Wie deine Hand zittert!<br />
Fred sieht Klara an, blickt dann auf seine Hand und<br />
stellt das Glas vorsichtig ab.<br />
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Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 32-
Klara<br />
Fred<br />
Klara<br />
Fred<br />
Klara<br />
Fred<br />
Klara<br />
Fred<br />
Fred<br />
Baumschnitt<br />
Können wir uns weiterhin sehen? – Ich möchte schon.<br />
Gerne, ja.<br />
Ich will nach Hause. Begleitest du mich?<br />
Klar.<br />
Sie machen sich bereit. Unter der Tür betrachten sie<br />
sich gegenseitig und beginnen zu lachen.<br />
Wenn uns jemand so sieht!<br />
Wenn schon!<br />
Das war ein schöner Abend. Vielen Dank.<br />
Aber doch nicht so förmlich! Er küsst sie. Zögernd<br />
erwidert sie den Kuss.<br />
Komm jetzt.<br />
Beide ab.<br />
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Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 33-
Maugg<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
3. Szene<br />
Fred tritt auf, noch immer im Charlot-Kostüm. Er<br />
hat Klara heimgebracht. Nachdem er Licht gemacht<br />
hat, lässt er sich in einen Sessel fallen. Er sucht in<br />
den Taschen nach Zigaretten und stellt fest, dass das<br />
Päckchen leer ist. Er holt einen Packen Tabak und<br />
einen Zigarettenapparat hervor. Nun beginnt er sich<br />
selber eine Zigarette zu drehen. Bevor er das<br />
Zigarettenpapier verklebt, kramt er aus einer inneren<br />
Kitteltaschen ein Fläschchen hervor. Er öffnet es und<br />
träufelt vorsichtig ein wenig von der Opiumlösung<br />
über den Tabak. Das Fläschchen verschwindet wieder<br />
in der Tasche, die Zigarette wird verklebt und<br />
angezündet. Während Glauser zu rauchen beginnt,<br />
erscheint Maugg unter der Tür. Über dem<br />
Nachthemd trägt sie einen Morgenrock.<br />
Schon zurück?<br />
Fred sieht sich erschrocken um.<br />
Hab ich dich erschreckt?<br />
Überflüssige Frage.<br />
Überrascht, mich hier anzutreffen?<br />
Schon, ja. Brave Ehefrauen sollten längst im tiefsten<br />
Schlummer liegen und von versäumten Abenteuern<br />
träumen.<br />
Vielleicht errätst du, weshalb ich auf dich gewartet<br />
habe.<br />
Gespielt gleichmütig. Keine Ahnung.<br />
So?<br />
Komm setzt dich doch! Besorgt. Was hast du denn?<br />
heftig. Nichts! Beherrschter. Nichts.<br />
Da ist doch was.<br />
sucht die richtigen Worte. Ich bin beunruhigt.<br />
Beunruhigt?<br />
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Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 34-
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
heftig. Wie du zur Sache gehst!<br />
Zu welcher Sache?<br />
Spiel nicht den Naiven.<br />
Klara?<br />
Ja.<br />
Aber was soll denn das?<br />
Baumschnitt<br />
Wenn schon, dann schuldest du eine Erklärung.<br />
Ja?<br />
heftig. Glaubst du im Ernst, die hat dich nötig?<br />
Nein, aber ich sie.<br />
So. Und du findest es keine Zumutung, dich dermassen<br />
aufzudrängen?<br />
Gerichtsverhandlung morgens um vier! Ich verweigere<br />
jede Aussage und gehe jetzt schlafen. Will gehen.<br />
Lass die Klara in Ruhe.<br />
Die braucht keinen Beistand. Ist volljährig.<br />
Die möchte einen Mann, nicht einen Pflegefall.<br />
Einen Charme entwickelst du heute!<br />
Lass die Finger von Klara. Die passt nicht zu dir.<br />
Doch.<br />
Zum Glück wird da nichts draus.<br />
Endlich begreife ich. Ereifert sich. Du hast gelauscht.<br />
Du spionierst mir nach.<br />
Das ist nicht wahr.<br />
Aus purem Verantwortungsgefühl mischst du dich also<br />
in meine privatesten Angelegenheiten.<br />
Ich bin mitbetroffen. Und daran bist du nicht<br />
unschuldig.<br />
Ich staune.<br />
heftig. Was hast du mir auf der Schlittenfahrt vor zwei<br />
Wochen gesagt?<br />
Dazu stehe ich. Auch jetzt.<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 35-
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Mir erzählst du von Ähnlichkeit der Charaktere, von<br />
Nähe und Zärtlichkeit. All dies verlogene Zeug. Und<br />
dann machst du vor mir einer Zufallsbekanntschaft<br />
hemmungslos den Hof.<br />
Hemmungslos.<br />
Erzählst mir, hier habest du ein Zuhause gefunden.<br />
Meine Bekanntschaft hat doch nichts mit uns zwei oder<br />
meinem Zuhause zu tun. Ich schätze eure<br />
Hilfsbereitschaft ...<br />
Reden, das kannst du! Mitleid erwecken. – Aus der<br />
Gosse haben wir dich aufgelesen. Uns hast du es zu<br />
verdanken, dass du wie ein erwachsener Mensch leben<br />
kannst. Das stimmt doch, oder?<br />
Ja, ja, es stimmt.<br />
Also.<br />
Und aus Dankbarkeit für diese Gnade sollte ich wohl<br />
Tag und Nacht vor dir auf den Knien liegen. So würde<br />
es dir gefallen.<br />
Ich mag dein Geschwätz nicht mehr hören.<br />
So, ein Schwätzer! Besten Dank für die Offenheit. Sie<br />
enthebt mich gewisser Rücksichten. Reden wir also<br />
mal ehrlich miteinander. Und offen! Ausgerechnet du<br />
machst mir Vorwürfe! Von wegen Treue! Dabei<br />
schleichst du mir seit Wochen nach. Du bist doch bloss<br />
enttäuscht. Ich bin leider zu anständig, mit dir ins Bett<br />
zu hüpfen und deinem Finanzminister ein paar<br />
stattliche Hörner aufzusetzen. Ja, das möchtest du –<br />
und nichts anderes. Deine elterlichen Gefühle für mich,<br />
alles Quatsch, alles Vorwand. Das machst du dir bloss<br />
vor, du ...<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
Peinliche Pause. Beide schauen sich an, betroffen<br />
über die Heftigkeit des Gesprächs.<br />
Fred Entschuldige. Ich habe es nicht so gemeint.<br />
Entschuldige bitte.<br />
- 36-
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Hans<br />
Maugg<br />
Hans<br />
Baumschnitt<br />
kalt. Doch, genau so hast du es gemeint. Du hast<br />
tatsächlich geglaubt, ich könnte mich für einen Mann<br />
wie dich interessieren. Hast geglaubt, ich könnte für<br />
dich etwas anderes als Mitleid empfinden. Schau doch<br />
mal in den Spiegel.<br />
tonlos. Du lügst. Du weisst es bloss nicht. Aber du<br />
lügst, da bin ich sicher.<br />
Wenn du einen Flirt nicht von einer Affäre unterscheiden<br />
kannst, dann bist du entweder noch zu grün,<br />
oder dir ist nicht zu helfen.<br />
Darauf hab ich gewartet. Aber mich täuschst du nicht.<br />
Red du nur. Mit dir bin ich fertig. Endgültig. Das lass<br />
ich mir nicht bieten von so einem ... einem Versager.<br />
Ja, ich bin ein Versager. Das weiss ich selber nur zu<br />
gut. Das brauchst du mir nicht zu sagen. Und für solch<br />
einen Wicht darf sich doch die Frau des<br />
Stadtschreibers nicht interessieren. Das wär doch<br />
richtig unfein. Vor allem wär das nicht standesgemäss,<br />
nicht wahr, Frau Stadtschreiber.<br />
Und so einer spielt sich hier auf, markiert den<br />
Charmeur, den Weltmann.<br />
Das stört dich, gell. Hättest gern einen, der dir die<br />
Schuhe leckt. Aber nein, der Pflegefall ist arrogant,<br />
scheint es. Er weiss, er ist ein Versager, aber dieser<br />
Versager hat immer noch mehr Gewicht als ihr<br />
Erfolgsmenschen, ihr Zeiteinteiler, ihr Heuchler, ihr<br />
selbstgerechten Heuchler!<br />
Fred ist am Ende. Er lässt sich in einen Stuhl fallen.<br />
Hans steht schlaftrunken unter der Tür. Er trägt<br />
einen Pyjama.<br />
Was ist los? Ihr macht ja einen Lärm!<br />
Ach, wir haben diskutiert und sind uns wieder mal<br />
nicht einig geworden.<br />
Um diese Zeit? So diskutiert meinetwegen weiter, aber<br />
so, dass ich schlafen kann.<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 37-
Maugg<br />
Hans<br />
Chadima<br />
Maugg<br />
Hans<br />
Chadima<br />
Hans<br />
Chadima<br />
Hans<br />
Maugg<br />
Chadima<br />
Maugg<br />
Hans<br />
Fred<br />
Chadima<br />
Es klingelt.<br />
Ich gehe. Geht zur Tür.<br />
Stimmen im Gang. Maugg erscheint mit einer<br />
maskierten Person. Sie trägt einen Korb. Einen Ring<br />
mit Rauchwürsten hat sie sich um den Hals gelegt.<br />
Nur herein. Für ein Gläschen ist es nie zu spät, will<br />
sagen, zu früh.<br />
Hans holt sich im Nebenraum seinen Morgenrock.<br />
Chadima tritt auf. Er ist guter Laune und leicht<br />
angeheitert.<br />
Ich sah auf dem Heimweg Licht in eurem Wohnzimmer,<br />
da sagte ich mir: Schau noch schnell herein.<br />
Chadima zieht die Maske aus.<br />
Ah, unser Jaro! Schön, dass du noch vorbeikommst.<br />
Was darf ich ihnen anbieten, Herr Chadima?<br />
Vielleicht einen Schluck Wein. Ich spendiere die<br />
Wurst dazu.<br />
Machen wir.<br />
Hans holt sich eine Flasche aus dem kleinen<br />
Weingestell im Salon, öffnet die Flasche.<br />
Ich muss meinen zweiten Preis loswerden.<br />
Maugg?<br />
Kann etwas gebrauchen. Zu Chadima. Willst du die<br />
Wurst tatsächlich anschneiden?<br />
Hans bedient.<br />
Ja. Ich habe Hunger.<br />
Ich hole eine Messer. Ab.<br />
Fred? Fred versucht sich wieder unter Kontrolle zu<br />
bringen.<br />
Nein danke. Zu Chadima. Deine Maske ist mir am Ball<br />
sogleich aufgefallen. Aber ich habe dich nicht erkannt.<br />
Auch in dieser Hinsicht war die Verkleidung offenbar<br />
ein Erfolg.<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 38-
Fred<br />
Chadima<br />
Hans<br />
Du hast also den zweiten Rang erreicht?<br />
Ja, habe ich.<br />
Baumschnitt<br />
Bravo! Talent setzt sich durch. Das sage ich auch Fred<br />
immer wieder.<br />
Chadima Leider hat meine Kostümierung wenig mit meiner<br />
Malerei zu tun.<br />
Hans Geschmack! Phantasie! Aber was stellt es denn dar,<br />
euer Kostüm?<br />
Fred Darf man raten?<br />
Chadima Bitte.<br />
Hans Schwierig, schwierig! – Der wilde Mann.<br />
Chadima Lauwarm.<br />
Fred Einen Gegensatz. Es scheint um Gegensätze zu gehen.<br />
Chadima Warm.<br />
Hans Ordnung und Chaos.<br />
Chadima Heiss. Ich nenne es den Tabubrecher.<br />
Maugg bringt ein Messer und beginnt die Wurst<br />
aufzuschneiden.<br />
Chadima Und ihr habt offenbar zuhause noch tüchtig<br />
weitergefeiert.<br />
Hans Haben wir. Auf ihre Ausstellung, Herr Chadima.<br />
Alle prosten sich zu.<br />
Maugg Berauschend war das Fest hier nicht, trotz des vielen<br />
Champagners. Wir haben nämlich literarische<br />
Gespräche geführt und uns über den Krieg um<br />
zwanzigsten Jahrhundert unterhalten.<br />
Chadima An der Fasnacht? Zeit also, sich an die angenehmen<br />
Dinge des Lebens zu halten. Greift zu! – Was hat der<br />
Weltkrieg mit der Fasnacht zu tun?<br />
Chadima isst mit Appetit, die andern bloss des<br />
Anstandes wegen.<br />
Maugg Das frage ich mich auch. Hat sich so ergeben. Fred, hol<br />
doch bitte die dreibändige Kriegsgeschichte.<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 39-
Fred<br />
Hans<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Maugg<br />
Chadima<br />
Maugg<br />
Hans<br />
Maugg<br />
Chadima<br />
Maugg<br />
Chadima<br />
Maugg<br />
Chadima<br />
Maugg<br />
Chadima<br />
Hans<br />
Chadima<br />
Maugg<br />
erschrocken. Was soll ich? Aber doch nicht jetzt!<br />
Lass doch Maugg.<br />
Ich bin halt wieder wach. Fred, bitte!<br />
Ich begreife dich nicht. Zuerst beklagst du dich, und<br />
dann ...<br />
Ich bestehe darauf.<br />
Fred kopfschüttelnd ab.<br />
Was macht die Ausstellung?<br />
Ich komme voran. Die Vernissage wie geplant.<br />
Gut. Wir ziehen deine Ausstellung gross auf. Das muss<br />
Eindruck machen. Und wenn Hans seine Beziehungen<br />
spielen lässt ...<br />
Aber Maugg!<br />
Jeder liefert eben seinen Beitrag.<br />
Ich komme schon jetzt vor Lampenfieber fast um.<br />
Aber nicht doch.<br />
Ob die Leute meine Malerei mögen? Ich als<br />
Kunstliebhaber würde mich jedenfalls nicht kaufen. Zu<br />
ausgefallen.<br />
Es wird ihnen gefallen, weil du gefällst.<br />
Bloss deswegen?<br />
Natürlich nicht.<br />
Ich höre schon die Bemerkungen: „Und das soll Kunst<br />
sein? Das könnte ich auch. Der soll mal richtig malen<br />
lernen, dieser Schmierfink.“ Aber ich mache halt, was<br />
mich selber überzeugt.<br />
Recht so. Wir werden Sie jedenfalls mit allen Kräften<br />
unterstützen.<br />
Aber dafür lässt ihr mich mit meiner Wurst im Stich.<br />
Greift zu!<br />
Ja, danke. – Toll siehst du aus in deinem Kostüm. Hast<br />
du es selber gemacht?<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 40-
Chadima<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Chadima<br />
Hans<br />
Chadima<br />
Baumschnitt<br />
Meine Freundin hat mir geholfen. – Was ist denn hier<br />
los? Ihr seid so ... ich weiss nicht recht ...<br />
Was sollte schon los sein?<br />
tritt auf. Ich finde die Bücher nicht.<br />
Aber sie sind doch nicht zu übersehen.<br />
Dann gewinnen wir den Weltkrieg halt ein andermal.<br />
Finde ich auch.<br />
Fred, hilfst du mir bei der Vernissage?<br />
Fred Wenn ich das kann ...<br />
Chadima<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Chadima<br />
Fred<br />
Chadima<br />
Fred<br />
Chadima<br />
Hans<br />
Chadima<br />
Fred<br />
Chadima<br />
Fred<br />
Chadima<br />
Fred<br />
Klar, kannst du.<br />
Spiel doch Klavier. Das gibt dem ganzen einen<br />
schönen Rahmen.<br />
Rahmen schon. Aber schön?<br />
Jetzt ziert er sich schon wieder.<br />
Aber du könntest doch etwas vorlesen.<br />
Das schon eher.<br />
Ein paar Gedichte. Am liebsten aus deiner Dadaismus-<br />
Zeit.<br />
Dadaismus, das ist vorbei. Wenn Dada da ist, ist Dada<br />
da. Und wenn es nicht mehr da ist, ist es nicht mehr da.<br />
C’est ça. Wenn du willst, lese ich Gedichte, aber neue.<br />
Schön. Das geht gut zusammen, deine Gedichte und<br />
meine Bilder.<br />
zu Fred. Und es bringt dich hier ins Gespräch.<br />
Du könntest doch auch etwas zu den Bildern sagen.<br />
Das traust du mir zu?<br />
Klar. Du hast ein sicheres Urteil. Das weisst du doch.<br />
Du kannst Kunst unvoreingenommen betrachten.<br />
Ich überleg es mir.<br />
Ich melde mich.<br />
Ist gut.<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 41-
Chadima<br />
Fred<br />
Chadima<br />
Fred<br />
- 42-<br />
Weil du mir hilfst, bring ich auch noch etwas mehr<br />
Geduld auf.<br />
Danke.<br />
Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben.<br />
gereizt. Ja, ja, ich verspreche dir, das kommt bald in<br />
Ordnung.<br />
Chadima Aber greift doch zu! Die Wurst schaffen wir doch,<br />
oder?<br />
Maugg Tut mir leid, Jaro, aber der Appetit fehlt.<br />
Chadima Seid ihr eine müde Gesellschaft. Und sowas will meine<br />
Ausstellung zum Erfolg machen. Also los! Greift zu.<br />
Hans Wir tun unser bestes, Jaro, aber ...<br />
Chadima Nun, da wir weder den Weltkrieg gewinnen noch die<br />
Dauerwurst besiegen können, entscheide ich mich wohl<br />
oder übel für die Bettruhe.<br />
Maugg Du willst schon wieder gehen?<br />
Chadima Ich bin fest entschlossen, die Ballnacht vorzeitig zu<br />
beenden.<br />
Maugg Wir sehen uns bald wieder, ja?<br />
Chadima Sicher. Zu Fred. Bei dieser Gelegenheit liesse sich<br />
dann auch das Geschäftliche regeln. Es muss klappen.<br />
Auf Wiedersehen. Chadima ab.<br />
Hans zu Fred. Eigenartig, euer Gespräch.<br />
Maugg Was war denn?<br />
Fred Eine Privatsache.<br />
Maugg Ah?<br />
Fred Ich denke, ich ziehe mich auch zurück. Gute Nacht.<br />
Hans Gute Nacht.<br />
Maugg macht es sich auf dem Sofa gemütlich. Hans<br />
räumt auf.<br />
Maugg Du machst mich nervös. Lass doch! Ich mach das<br />
schon.<br />
Hans Tu dies, lass das ...<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.
Baumschnitt<br />
Maugg Was ist?<br />
Hans Wie du auf die Männer losgehst!<br />
Maugg Das bisschen Flirten raubt dir hoffentlich nicht den<br />
Verstand.<br />
Hans Jetzt ist aber genug. Ich bin grosszügig und diskret, das<br />
weisst du. Man möchte seine Wirkung auf Männer<br />
erleben, das versteh ich doch. Ich bin doch grosszügig,<br />
oder? Du musst doch selber zugeben, dass ich<br />
grosszügig bin.<br />
Maugg Ja, gewiss.<br />
Hans Aber bitte, mach es mir nicht zu schwer. Mach mich<br />
nicht lächerlich in der Öffentlichkeit.<br />
Maugg Ich dich lächerlich machen? Ich glaube, ich hör nicht<br />
recht. Das war doch nichts, vorhin mit Jaro. Ist doch<br />
völlig harmlos.<br />
Hans Ja, sicher, obwohl ... es ist halt eine Frage des Stils,<br />
finde ich.<br />
Maugg Also, man könnte meinen ...<br />
Hans Ich ertrage das einfach nicht mehr.<br />
Maugg Ich sage nochmals: Da war nichts. Gar nichts. Du<br />
siehst Gespenster. Mein Gott, was ist denn bloss mit<br />
euch allen?<br />
Hans Es ist doch ... es ist wegen Fred. Das stört mich. Weisst<br />
du, dass über uns geklatscht wird?<br />
Maugg Nein, weiss ich nicht.<br />
Hans Die Kollegen machen über euch beide Anspielungen.<br />
Das willst du sicher auch nicht, oder?<br />
Maugg Nein, natürlich nicht.<br />
Hans Beim Jassen letzten Mittwoch hat mich der Ernst<br />
gefragt: „Wie geht es dem neuen Kostgänger – und der<br />
Frau?“ Alle drei haben vielsagend gelächelt. Am<br />
liebsten hätte ich ihnen die Karten an die hämischen<br />
Visagen geschmissen. Ganz klar, dass man unseren<br />
„Fall“ verhandelt hat. Giesst nach und trinkt hastig.<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
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Kein Aufführungsrecht.<br />
- 43-
Maugg Unsern Fall? Was meinst du eigentlich? Es gibt gar<br />
keinen Fall. – Du machst mir also Vorwürfe. – Ich<br />
verstehe dich nicht. Entweder bist du grosszügig, wie<br />
du das nennst, und dann brauchen wir uns nicht<br />
darüber zu unterhalten, oder ...<br />
Hans Du verstehst mich schon.<br />
Maugg Nichts verstehe ich.<br />
Hans Stell dich bloss nicht so an.<br />
Maugg Los, sag doch, was du mir vorzuwerfen hast.<br />
Hans Nichts kann ich dir vorwerfen. Ich meine, nichts<br />
Konkretes. Ich spioniere niemandem nach.<br />
Maugg Das möchte ich allerdings hoffen.<br />
Hans Aber ich bin nicht blind. Ich seh doch, wie ihr einander<br />
beobachtet.<br />
Maugg Das bildest du dir ein.<br />
Hans Nein. Du merkst wohl selber nicht, wie deine Augen<br />
dich verraten. Ich spüre zwischen dir und Fred eine<br />
Vertrautheit, die mich ... ja, die mich ausschliesst.<br />
Sowas spürt man doch.<br />
Maugg Ach, du übertreibst. Irgendwie gefällt er mir, das will<br />
ich gar nicht leugnen, aber ... vieles an ihm stört mich.<br />
Mal ist er so, mal so. – Ich weiss selbst nicht,<br />
manchmal hasse ich ihn, ich könnte ihn ... Er ist so<br />
unfertig, so voller Fehler. – Ich betrüge dich nicht.<br />
Hans Etwas Freude und Verliebtheit mag ich dir doch<br />
gönnen.<br />
Maugg Hör jetzt auf.<br />
Hans Bevor Fred zu uns kam, warst du so stumpf, so ...<br />
traurig, und da dachte ich mir, ein anderer Mann<br />
könnte dich vielleicht etwas aufheitern.<br />
Maugg Deshalb also hast du ihn zu uns genommen?<br />
Hans Nicht bloss deshalb. Vor allem will ich ihm helfen,<br />
aber ich dachte mir ... du würdest begreifen. Ohne<br />
grosse Worte. Eine kleine Romanze, ganz diskret ...<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 44-
Maugg<br />
... und jetzt fürchtest du den Ernstfall.<br />
Baumschnitt<br />
Hans Ich möchte dich nicht verlieren. Wir gehören doch<br />
zusammen. Trotz allem.<br />
Maugg Was bist du bloss für ein Kerl? – Ich weiss nicht mehr,<br />
wo mir der Kopf steht. – Am besten, wir machen jetzt<br />
gleich sauberen Tisch, wo wir schon am Aufräumen<br />
sind.<br />
Hans Sauberen Tisch?<br />
Maugg Ja. Weg mit allen Heimlichkeiten und Lügen.<br />
Hans Was ... was hast du vor?<br />
Maugg Wirst gleich hören! Sie geht ab, ruft Fred. Fred!<br />
Fred von oben. Ja, was ist?<br />
Maugg Komm bitte noch einmal herunter.<br />
Fred mürrisch. Moment.<br />
Hans Muss das sein, jetzt noch?<br />
Fred unter der Tür. Er hat sich flüchtig abgeschminkt. Ja?<br />
Maugg Wir sind eben am Aufräumen, gewissermassen ... und<br />
da musst auch du deinen Beitrag leisten.<br />
Fred Ich bin todmüde. Ich mag jetzt nicht. Das kann doch<br />
bis morgen warten. Will ab.<br />
Maugg Die Bücher, Fred. Fred ist mit einem Schlag hellwach.<br />
Es fällt mir schwer, davon zu beginnen ... Ich wollte<br />
dich schonen und dir mit dem Wink heute abend eine<br />
letzte Gelegenheit geben, die Sache unauffällig in<br />
Ordnung zu bringen. Aber ich denke, es ist besser,<br />
gleich jetzt ... Weisst du, wo die verschwundenen<br />
Bücher sind?<br />
Fred Weshalb sollte ich?<br />
Maugg geht zum Schrank, holt die dort versteckten Bücher<br />
heraus und legt sie vor Fred auf den Tisch. Hier sind<br />
sie. Im ersten Band steht eine Widmung. Schlägt das<br />
Buch auf. Du musst sie übersehen haben.<br />
Fred Aber ...<br />
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Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 45-
Maugg Sonst hättest du andere Bücher aufs Antiquariat<br />
geschleppt, um deinen Opiumverbrauch zu finanzieren.<br />
Der Antiquar hat sich bei mir erkundigt, ob wir diese<br />
Bände tatsächlich verkaufen möchten. Sie seien ihm<br />
von einem unbekannten jungen Mann angeboten<br />
worden.<br />
Grosse Betroffenheit. Fred setzt sich.<br />
Hans Aber das ist ja unglaublich.<br />
Maugg Das war vor drei Wochen. Seither habe ich dich<br />
genauer beobachtet, und ich merkte ... manchmal bist<br />
du so, wie soll ich sagen ... so überdreht. Wie heute<br />
abend zum Beispiel. Ich bat den Apotheker Wismer,<br />
auf einen Mann zu achten, der regelmässig Rauschgift<br />
bezieht. Einmal pro Woche kommst du mit einem<br />
Arztrezept vorbei und holst dir Opiumtinktur, oder wie<br />
das Zeug heisst. Er überprüfte die Rezepte. Sie waren<br />
gefälscht.<br />
Hans Fassungslos. Und mir hast du nichts davon gesagt.<br />
Maugg Ich wollte zuwarten. Schauen, wie sich die<br />
Angelegenheit entwickelt.<br />
Hans Ah, wolltest du! Zuwarten sagst du? Du hast doch<br />
gesagt, wir wollten reinen Tisch machen. Ich würde<br />
sagen, du wolltest die Affäre vertuschen. Zwar bin ich<br />
es, der für Fred verantwortlich ist, aber das bedeutet<br />
offenbar durchaus nicht, deswegen ein Recht auf<br />
Information zu haben.<br />
Maugg Hans, es war doch nicht ...<br />
Hans Vielleicht war es dir ganz recht, gegen Fred etwas in<br />
der Hand zu haben.<br />
Maugg Das ist ...<br />
Hans ... eine Behauptung, ich weiss, aber sie ist nicht so<br />
abwegig. Ganz und gar nicht abwegig. Redet sich in<br />
Rage. Allmählich frage ich mich, was ich hier noch<br />
verloren habe. Bloss weil der Herr Dichter sich eine<br />
Freundin angelacht hat ...<br />
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Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 46-
Maugg Das stimmt nicht, was du da ...<br />
Hans<br />
Fred<br />
Baumschnitt<br />
... darf sogar ich wissen, was hier läuft. Zu Fred. Und<br />
was war vorhin mit Chadima? Da ist doch auch etwas<br />
faul. – Los, red schon!<br />
tonlos. Eine Geldsache. – Ich schulde ihm etwas Geld.<br />
Hans Etwas Geld, dacht ich’s mir doch. Er packt Freds<br />
Handgelenk, streift ihm den Hemdärmel zurück und<br />
beschaut sich den Unterarm.<br />
Fred Ich spritze nicht.<br />
Hans Was machst du mit dem Zeug?<br />
Fred Ist das so wichtig?<br />
Hans Ich werde wohl ein Anrecht darauf haben zu wissen ...<br />
Fred Ich mische es in den Tabak ...<br />
Hans Etwas Neues?<br />
Fred Nein. Das habe ich schon immer gemacht.<br />
Hans brüllt. Bist du eigentlich völlig übergeschnappt? Ist<br />
hier eigentlich alles ... Wir holen dich aus der Anstalt,<br />
bezahlen dir deine Schulden, wir halten dir die Berner<br />
Polizei vom Halse. Ich suche dir eine Stelle. Zwar<br />
herrscht Arbeitslosigkeit, aber man findet dem Herrn<br />
schliesslich einen Platz, man füttert ihn, man bietet ihm<br />
ein Heim ... und was tut er, was! Wie findest du das?<br />
Fred tonlos. Schrecklich.<br />
Hans Aber wie kannst du uns bloss so enttäuschen. Wie<br />
könnt ihr beide ... Zu Fred. So red schon!<br />
Fred Ich ... ich schäme mich ja so. Aber es ist einfach stärker<br />
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Kein Aufführungsrecht.<br />
als ich. Ich kann mich nicht dagegen wehren. Der<br />
Körper streikt, wenn er den Stoff nicht bekommt. Die<br />
Magenkrämpfe. Alles zittert. Ich kann nicht mehr<br />
schlafen. Nicht mehr arbeiten. Ich kann nichts Rechtes<br />
mehr denken, ich ... Ihr müsst mir glauben, ich gab mir<br />
Mühe. Und eine Zeitlang ging’s ja gut. Ich sagte mir,<br />
ich fühl mich da wohl, ich hab da ein Zuhause, hier<br />
geht es. Aber dann ... Zu Maugg. Dich immer in der<br />
- 47-
Nähe, die neue Arbeit. Ich will mich nicht entschuldigen.<br />
Es gibt keine Entschuldigung, ich weiss.<br />
Ihr habt keine Schuld ... Ich ... ich eigne mich halt nicht<br />
für das Leben hier. Leise. Ich halt das nicht aus. Ich<br />
halte das hier einfach nicht aus ... Was soll ich tun?<br />
Sagt mir doch, was ich tun soll! – Bitte, sagt dem<br />
Vormund nichts! Ich will nicht zurück in die Anstalt.<br />
Bitte, verratet mich nicht!<br />
Hans Und ich wollte dich zur Selbständigkeit erziehen, ich<br />
Idiot.<br />
Fred Meldet ihr es dem Vormund?<br />
Hans Ich weiss nicht.<br />
Fred Bitte, sagt ihm nichts, bitte! Ich geh nicht mehr zurück<br />
in die Anstalt!<br />
Hans Wenn man in der Freiheit nicht leben kann ...<br />
Fred Vielleicht gibt es noch andere Möglichkeiten.<br />
Hans Wer’s glaubt! Ich nicht. Ich glaub nichts mehr. Ab.<br />
Fred lässt sich in einen Sessel fallen und starrt vor<br />
sich hin. Maugg geht ans Fenster, sieht hinaus.<br />
Fred Bist du jetzt zufrieden?<br />
Maugg Zufrieden, zufrieden! Ich bin nicht zufrieden.<br />
Fred Du hast dich gerächt. Und wie!<br />
Maugg Ich bereu’s ja schon. Aber es wär auch sonst<br />
herausgekommen.<br />
Fred Ja. Hast wohl recht, ja. Es kommt immer aus. – Immer<br />
das gleiche. – Was soll ich bloss tun?<br />
Maugg Ich weiss nicht. Hier kannst du nicht bleiben.<br />
Fred Ich muss irgendwo hin, wo alles anders ist als hier. Das<br />
hier, diese Enge, die ständige Versuchung, das halte<br />
ich nicht mehr aus. – Ich gehe in die Legion. Jawohl,<br />
ich gehe in die Legion.<br />
Maugg Wohin?<br />
Fred In die Fremdenlegion. – Dreck zu Dreck.<br />
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Kein Aufführungsrecht.<br />
- 48-
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Fred<br />
Maugg<br />
Red nicht so. – Fremdenlegion? Du?<br />
Baumschnitt<br />
Ja, ich. Niemand traut es mir zu. Aber ich zeige es<br />
ihnen. Euch allen zeig ich es. Ich kann mehr, als ihr<br />
denkt. Ich kann hart sein, wenn ich will. Ich hab<br />
Disziplin, wenn ich will. Ja, ich kann ein Mann sein.<br />
Wie die andern. – Glaubst du nicht? Du glaubst mir<br />
nicht.<br />
Ich glaube dir doch. Es ist ja gut.<br />
Maugg geht auf Fred zu. Sie legt ihre Hand auf die<br />
seine und will abgehen. Fred hält die Hand fest.<br />
Maugg hält inne, die beiden sehen sich an. Sie lässt<br />
sich von Fred zum Diwan führen. Sie setzen sich.<br />
Maugg streichelt Freds Gesicht, entdeckt die<br />
verbliebene Schminke auf ihren Fingern. Sie nimmt<br />
auf dem Tisch Watte und Vaseline und beginnt Fred<br />
behutsam abzuschminken.<br />
Du hast recht, ich denke immer an dich, ich muss dich<br />
immer wieder ansehen. Ich hab dich gern. Trotz allem.<br />
Ich dich auch. Was ich dir im Schlitten gesagt habe,<br />
das stimmt. Jedes Wort. – Wie schön du bist.<br />
Was sagst du?<br />
Du hast schon verstanden.<br />
Es gibt auch für dich einen Weg. Du bist ja noch so<br />
jung.<br />
Alles zieht mich zu dir.<br />
Ja.<br />
Aber du bist nicht gut für mich.<br />
Du auch nicht.<br />
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Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 49-
4. Szene<br />
Ähnliches Bild wie in der 1. Szene. Fred und Schreier<br />
sind am Reiswellenbinden. Der Reiswellenbock steht<br />
am andern Bühnenrand, und das Aussehen des<br />
Baumes ist verändert worden, so dass der Eindruck<br />
entsteht, das Bühnenbild zeige den folgenden Baum<br />
in einem Obstgarten.<br />
Fred Ich wusste, der Raschle würde mich verpfeifen. Tat er<br />
auch. So floh ich am nächsten Tag über die Grenze zu<br />
meinem Vater nach Deutschland. Er war einverstanden<br />
mit der Fremdenlegion. Das war ganz in seinem Sinne.<br />
So war er den Sohn und Schandfleck los. Zudem<br />
wusste er, in Nordafrika habe ich kaum Zugang zu<br />
Drogen. Er besorgte mir die Papiere und ich verschwand.<br />
Pause. Tut mir gar nicht gut, sowas<br />
aufzuwärmen.<br />
Schreier Ach was! Schnee von gestern.<br />
Fred Nun ja, was soll’s!<br />
Schreier Eigentlich klar.<br />
Fred Was?<br />
Schreier Dass der Raschle rot sah. Nach allem.<br />
Fred Sicher.<br />
Schreier Und die Maugg, oder wie sie hiess, wie war das?<br />
Fred Vorbei.<br />
Schreier So ist das halt.<br />
Fred Hab sie nie mehr gesehen. Hab ihr geschrieben aus der<br />
Legion, bekam noch einen Brief von ihr. Aber dann ...<br />
Auch mit der Klara war es aus. – Die Maugg, die<br />
wollte mir nicht aus dem Kopf.<br />
Schreier Wenn die war, wie du sagst ...<br />
Fred Du wärst verrückt geworden, Schreier.<br />
Schreier Hast du sie überhaupt gevögelt, deine Klassestute?<br />
Fred Womit wir beim Thema wären.<br />
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Kein Aufführungsrecht.<br />
- 50-
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Baumschnitt<br />
Dazu warst du viel zu nobel, es ihr ordentlich zu<br />
besorgen, oder? Du verhaust doch die besten Gelegenheiten.<br />
Oder du kannst gar nicht. Wegen dem Stoff.<br />
Hör auf.<br />
Du bist schon ein Arsch, Glaus. Dümmer als du, das<br />
gibt’s gar nicht. Klauen beim Gönner und Wohltäter –<br />
also, ich muss schon sagen ...<br />
Ich hätt dir nichts erzählen sollen. Ist nur für<br />
Erwachsene.<br />
Verkauft Bücher mit einer Widmung drin!<br />
Jetzt reicht’s.<br />
Sowas von Arsch.<br />
Das geniesst du, was! Einer, der blöder ist.<br />
Wie bitte? Ich bin also blöd. Ich hab recht gehört: Ich<br />
bin blöd, he. Das büsst du mir. Ich fordere dich zum<br />
Duel! Gertel oder Stock?<br />
Ich prügle mich nicht. Schon gar nicht mit Idioten.<br />
Du getraust dich bloss nicht. Hast einfach Schiss, he.<br />
Schreier bedrängt Fred und zwingt ihn zur<br />
Gegenwehr.<br />
Eingedenk der Höhe von Arzthonoraren wähle ich den<br />
Prügel.<br />
Die beiden stellen sich zum Fechtduell auf, nachdem<br />
sie sich vergewissert haben, dass niemand in der<br />
Nähe ist. Während des folgenden Dialogs ein<br />
Stockgefecht.<br />
Das läuft bei mir immer gleich. Immer wieder mache<br />
ich die gleichen Fehler und lasse enttäuschte Leute<br />
zurück. Deshalb nehme ich mir jetzt nur noch Gauner<br />
als Freunde. Geht besser so.<br />
Ich sag ja: Ein Kompliment ums andere heute. Und so<br />
einen will man nacherziehen! Eher bringt man einen<br />
Esel aufs hohe Seil als den Glauser zur Vernunft.<br />
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Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 51-
Fred Ich will dich lehren, Schreier, meine überlegene<br />
Intelligenz in Frage zu stellen. Es haben nicht alle die<br />
gleiche Erfahrung im Klauen.<br />
Schreier Witzbold.<br />
Fred bringt Schreier in Bedrängnis. Das hast du nicht<br />
gedacht, he! Technik gegen rohe Kraft. Nimmst du<br />
alles zurück?<br />
Schreier Kein Wort.<br />
Fred Nimm’s zurück!<br />
Schreier Ja, ja.<br />
Fred Gib zu, dass ich der beste reiswellenbindende Dichter<br />
bin.<br />
Schreier Ja, schon gut.<br />
Fred Bestätige zudem, dass es keinen bekannteren Autor<br />
unter den schweizerischen Hilfsgärtnern gibt.<br />
Schreier Ja.<br />
Fred lässt von Schreier ab. Beide beginnen wieder zu<br />
arbeiten.<br />
Schreier Aber du bist gleichwohl ...<br />
Fred Vorsicht, Schreier.<br />
Schreier Das gibt wohl bald mal eine Kurzgeschichte.<br />
Fred Vielleicht.<br />
Schreier Leute wie du leben ja bloss, dass sie’s aufschreiben<br />
können.<br />
Pause, Fred greift hastig nach dem Zigarettenpäckchen,<br />
nimmt eine Zigarette heraus, zündet an<br />
und inhaliert in der Art stark abhängiger Raucher.<br />
Schreier beobachtet ihn dabei und zündet sich dann<br />
selber eine Zigarette an.<br />
Glaus, Glaus, du warst auch schon besser dran. Wie du<br />
das Zeugs herunterziehst. Bis zu den Schuhsohlen.<br />
Schade, dass du solch ein Suchthaufen bist.<br />
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Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 52-
Baumschnitt<br />
Fred hebt resigniert die Schultern. Bitte nicht übertreiben.<br />
Zwar komme ich noch immer nicht ganz ohne Stoff<br />
aus, aber ich habe die Sache unter Kontrolle.<br />
Schreier Wer’s glaubt.<br />
Fred Sicher.<br />
Schreier Wer’s glaubt.<br />
Fred Wenn es mir privat gut läuft, habe ich die Sache unter<br />
Kontrolle. Ich hoffe immer noch, eines Tages komme<br />
ich davon los. Wie soll man das sonst ertragen?<br />
Schreier Halt einfach leben, oder. Was soll’s schon.<br />
Fred Ja. Leben. Und schreiben.<br />
Schreier So plagt jeden etwas. Mich die Finanzen.<br />
Fred Was du nicht sagst? Besser einteilen, Schreier.<br />
Schreier äfft Fred nach. „Besser einteilen, Schreier.“ Mit 70<br />
Rappen Stundenlohn. Was will man da einteilen? So<br />
kann doch kein Mensch leben. Und etwas Spass gehört<br />
einfach dazu.<br />
Fred Für mich reicht’s.<br />
Schreier Weshalb reicht es, he? Am Wochenende bist du bei<br />
Freunden oder bei deiner Tänzerin. So könnt ich’s<br />
auch.<br />
Fred Und du bei deiner Köchin.<br />
Schreier nach einer Pause leise. Glauser, hör gut zu: Ich hab<br />
eine Idee, wie man die Finanzen ins Lot bringen kann.<br />
Beim Chef der Freundin lässt sich was machen. Ein<br />
paar schnelle Rubel. Absolut sichere Sache.<br />
Fred So. Wirst du eigentlich nie gescheiter?<br />
Schreier Ich sag dir, absolut kein Risiko.<br />
Fred Kein Risiko. Aha.<br />
Schreier Bombensichere Sache. Kinderleicht. Sicher.<br />
Fred Ohne mich.<br />
Schreier Komm schon, Glaus!<br />
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Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 53-
Fred Weisst doch, wie das ausgeht. Wen nimmt die Polizei<br />
wohl zuerst unter die Lupe, he? Du als Betrüger und<br />
Dieb, das klappt doch nicht. Wann merkst du das<br />
endlich! Kleine Fische wie du, die bleiben immer<br />
hängen.<br />
Schreier Hast ja recht, vielleicht. Ist ja vernünftig, was du sagst.<br />
Trotzdem ...<br />
Fred Ja?<br />
Schreier Immer bloss vernünftig, ist doch kein Leben.<br />
Fred Wem sagst du das?<br />
Schreier Hilf doch! Nur ein einziges Mal.<br />
Fred Nein.<br />
Schreier Verdammt! So ein guter Plan!<br />
Die Äste sind verarbeitet. Schreier spannt das letzte<br />
Reiswellenbündel. Fred bindet es mit Draht. Schreier<br />
löst den Spannstock, und Fred legt die Reiswelle auf<br />
die grösser gewordene Beige. Die beiden Gärtner<br />
stecken die „Fuchsschwänze“ in den Gürtel und<br />
steigen wieder in den Baum hinauf, bis sie für die<br />
Zuschauer nicht mehr zu sehen sind.<br />
Schreier Wetten, du hast keinen Stoff mehr.<br />
Fred Woher willst du ...<br />
Schreier Ich kenn dich doch. So, wie deine Hände zittern ... Du<br />
fühlst dich mies, stimmt’s?<br />
Fred Ehrlich gesagt, mir ging’s auch schon besser.<br />
Schreier Du brauchst etwas. Dringend. Schläfst kaum mehr.<br />
Alles tut dir weh.<br />
Fred Hör auf, du ...<br />
Schreier Ein Vorschlag unter Freunden: Du hilfst mir – und ich<br />
hol dir den Stoff. Ich geh nach Basel und schau, was zu<br />
machen ist.<br />
Fred Sicher?<br />
Schreier Sicher. Schon morgen, wenn du willst. Genug Stoff,<br />
Glaus. Schon morgen.<br />
- 54-<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Fred<br />
Das darfst du nicht. Nicht so, Schreier.<br />
Baumschnitt<br />
Opium, soviel du willst. Da kannst du absegeln.<br />
Nicht, Schreier. Das ist nicht recht. Das kommt nicht<br />
gut. Vergiss es!<br />
Überleg’s dir.<br />
Die beiden sind im Geäst verschwunden. Säge- und<br />
Scherengeräusche, fallende Äste.<br />
Schluss jetzt.<br />
Du willst mir Moral beibringen? Ausgerechnet du?<br />
Zieht seine Gönner übers Bett herunter und will mir<br />
Moral beibringen.<br />
Ein Witz. Ich will dir bloss helfen. – Ist einfach<br />
schwer, finde ich.<br />
Was?<br />
So leben, dass es geht.<br />
bis Schluss ironisch. Ach ja. Wie sagt der Franzos:<br />
C’est la vie.<br />
Bien sur, que c’est la vie. – Man sollte uns halt doch<br />
nacherziehen.<br />
Was?<br />
Nacherziehen. Bis es passt.<br />
Jawohl, Korporal!<br />
Zack! Alles weg, was stört.<br />
Kannst du lange schneiden bei uns. Falsch gewachsen!<br />
Nicht aufgepfropft. Nur eigenes Holz. Knorrig und<br />
unansehnlich. Pathetisch. Aber auch wüste Bäume<br />
tragen Frucht.<br />
mit einem Lachen. Schön gesagt, Dichter, schön<br />
gesagt.<br />
Trotzdem kaum zu verantworten, wir zwei.<br />
Du, wir gründen zusammen eine GMBH.<br />
He?<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 55-
Schreier<br />
Fred<br />
Schreier<br />
Eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung.<br />
Schon eher eine BGMGV.<br />
He?<br />
Fred Eine beschränkte Gesellschaft mit gelegentlicher<br />
Verhaftung.<br />
Schreier Das ist gut. Wie sagst du? Eine beschränkte<br />
Gesellschaft ...<br />
Fred ... mit gelegentlicher Verhaftung.<br />
Sie steigern sich in einen Lachanfall.<br />
Schreier Nicht schlecht! Eine BGM ...<br />
Fred GV. Eine beschränkte Gesellschaft ...<br />
Schreier ... mit gelegentlicher ...<br />
Fred ... Verhaftung. Wir gründen eine B<br />
Schreier G<br />
Fred M<br />
Schreier G<br />
Fred V. Eine ... Gelächter.<br />
Während das Licht langsam ausgeht, Arbeitsgeräusche<br />
und gelegentliches Gelächter, das leiser<br />
wird.<br />
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Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 56-
Baumschnitt<br />
Anhang<br />
Friedrich Glauser über sich selbst:<br />
„1896 geboren in Wien von österreichischer Mutter und Schweizer<br />
Vater. Grossvater väterlicherseits Goldgräber in Kalifornien (sans<br />
blague), mütterlicherseits Hofrat (schöne Mischung, wie?). Volksschule,<br />
drei Klassen Gymnasium in Wien. Dann drei Jahre Landerziehungsheim<br />
Glarisegg. Dann drei Jahre Collège de Genève. Dort kurz<br />
vor der Matur hinausgeschmissen, weil ich einen literarischen Artikel<br />
über einen Gedichtband eines Lehrers am dortigen Collège verfasst<br />
hatte. Kantonale Matura in Zürich. Ein Semester Chemie. Dann<br />
Dadaismus. Vater wollte mich internieren lassen und unter Vormundschaft<br />
stellen. Flucht nach Genf. Rest können Sie in „Morphium“<br />
nachlesen. Ein Jahr (1919) in Münsingen interniert. Flucht von dort.<br />
Ein Jahr Ascona. Verhaftung wegen Mo. Rücktransport. Drei Monate<br />
Burghölzli (Gegenexpertise, weil Genf mich für schizophren erklärt<br />
hatte). 1921-23 Fremdenlegion. Dann Paris Plongeur. Belgien Kohlengruben.<br />
Später in Charleroi Krankenwärter. Wieder Mo. Internierung in<br />
Belgien. Rücktransport in die Schweiz. Ein Jahr administrativ Witzwil.<br />
Nachher ein Jahr Handlanger in einer Baumschule. Analyse (ein Jahr)<br />
während der ich in Münsingen weiter als Handlanger in einer<br />
Baumschule gearbeitet habe. Als Gärtner nach Basel, dann nach<br />
Winterthur. In dieser Zeit den Legionsroman geschrieben (1928/29).<br />
30/31 Jahreskurs, Gartenbaumschule Oeschberg. Juli 31 Nachanalyse.<br />
Jänner 32 bis Juli 32 Paris als „freier Schriftsteller“ (wie man so schön<br />
sagt). Zum Besuch meines Vaters nach Mannheim. Dort wegen<br />
falscher Rezepte arretiert, Rücktransport in die Schweiz. Von 32 bis<br />
Mai 36 interniert. Et puis voilà. Ce n’est pas très beau...“<br />
Um im Tone Glausers fortzufahren: Mai 1936 in Zürich. Vorlesung aus<br />
„Wachmeister Studer“ bei R. J. Humm. Aufenthalt in Angles bei<br />
Chartres. Februar 1937 Wechsel des Domizils nach „La Bernerie“ in<br />
der Bretagne. Im April 1937 ist er in Basel, liest vor aus seinem Roman<br />
„Gourrama“. Entziehung in Prangins (Juli 1937). Am 1. November<br />
dieses Jahres stirbt sein Vater. Reisen nach Marseille und Collioure<br />
(Dezember 1937 und Januar 1938). Dann wieder in Basel, Aufenthalt<br />
in der Psychiatrischen Klinik Friedmatt (Februar – März 1938). Entwöhnungskur<br />
mit Insulin. [Josef Halperin: „Dieses (Insulin) macht den<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 57-
Körper steif, und so – in Brückenstellung – glitt er eines Tages im<br />
Baderaum aus und schlug mit dem Hinterkopf auf die Steinfliessen. Er<br />
erlitt eine schwere Gehirnerschütterung.“] Im Mai Fahrt nach Nervi bei<br />
Genua zur Erholung. Nach vielen Schwierigkeiten sind die Papiere<br />
beisammen, damit die Ehe mit seiner Lebensgefährtin geschlossen<br />
werden kann. Die Heirat ist auf den 7. Dezember angesetzt. Am 6.<br />
Dezember, nach dem Nachtessen, erleidet Glauser einen Hirnschlag. Er<br />
stirbt am 8. Dezember in Nervi. Am 21. Dezember 1938 findet auf dem<br />
Friedhof Manegg in Zürich die Bestattung seiner Asche statt.<br />
Zweiter Teil des Lebenslaufes nach Hugo Lebers Vorwort in<br />
„Gourrama“ Ausgabe Ex Libris-Verlag 1977.<br />
Zum Stück<br />
Der vorliegende Text schildert den Aufenthalt von Friedrich Glauser<br />
beim Ehepaar Margrit und Hans Raschle in Baden. Die Episode muss<br />
als für den Schriftsteller typisch bezeichnet werden. Glauser findet bei<br />
Gönnern grosszügige Hilfe, kann diese jedoch nicht annehmen, weil sie<br />
zu wenig auf seine schwierige Lage als Drogenabhängiger eingeht.<br />
Zurück bleibt für alle Beteiligten eine grosse Enttäuschung, die aus<br />
dem einstigen Förderer Hans Raschle einen unversöhnlichen Glauser –<br />
Gegner macht. Die Handlung verwendet in freier Form autobiographisch<br />
belegbare Ereignisse. Durch Briefe und mündliche Zeugnisse<br />
darf als erwiesen erachtete werden, dass Friedrich Glauser den<br />
dargestellten Personen der Handlung entsprechend begegnet ist. Die<br />
Charakterisierung Glausers und des Ehepaares Raschle versucht den<br />
vorhandenen Hinweisen nach Möglichkeit gerecht zu werden, während<br />
die übrigen Personen zwar historisch belegt sind, aber aufgrund der<br />
Quellen wenig Profil besitzen und deshalb vom Verfasser seinen<br />
Absichten gemäss gezeichnet wurden.<br />
Glausers Schilderung der Flucht nach Pressburg ist seiner Darstellung<br />
von Jugenderinnerungen in der Erzählung „Gesprungenes Glas“<br />
entnommen. Auch die beiden stark autobiographisch gefärbten<br />
Erzählungen „Beichte in der Nacht“ und „Baumschule“ sind bei der<br />
Gestaltung des Stücks berücksichtigt worden.<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
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Baumschnitt<br />
Verwendete und zitierte Literatur<br />
Gehard Saner Friedrich Glauser 1 + 2 Suhrkamp Zürich 1981<br />
Frank Göhre Zeitgenosse Glausers Arche 1988<br />
Eveline Jacksch Friedrich Glauser Bouvier Grundmann<br />
Bonn 1976<br />
Friedrich Glauser Gesprungenes Glas Arche 1980<br />
Matto regiert Ex Libris 1977<br />
Sonett<br />
Rainer Marie Rilke Herbsttag<br />
Der Panther<br />
in G.Saner<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
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