Manchmal laufen Kinder schneller
Manchmal laufen Kinder schneller
Manchmal laufen Kinder schneller
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Zum Aufführungsrecht<br />
• Das Recht zur Aufführung erteilt der<br />
teaterverlag elgg, CH-3123 Belp<br />
Tel. + 41 (0)31 819 42 09<br />
www.theaterverlage.ch / information@theaterverlage.ch<br />
Montag - Freitag von 09.00 bis 11.30 Uhr & 13.30 bis 17.00 Uhr<br />
• Der Bezug der nötigen Texthefte - Anzahl Rollen plus 1 - berechtigt<br />
nicht zur Aufführung.<br />
• Es sind darüber hinaus angemessene Tantièmen zu bezahlen.<br />
• Mit dem Verlag ist vor den Aufführungen ein Aufführungsvertrag<br />
abzuschliessen, der festhält, wo, wann, wie oft und zu welchen<br />
Bedingungen dieses Stück gespielt werden darf.<br />
• Auch die Aufführung einzelner Teile aus diesem Textheft ist<br />
tantièmenpflichtig und bedarf einer Bewilligung durch den Verlag.<br />
• Bei eventuellen Gastspielen mit diesem Stück, hat die aufführende<br />
Spielgruppe die Tantième zu bezahlen.<br />
• Das Abschreiben oder Kopieren dieses Spieltextes - auch<br />
auszugsweise - ist nicht gestattet (dies gilt auch für<br />
Computerdateien).<br />
• Übertragungen in andere Mundarten oder von der Schriftsprache in<br />
die Mundart sind nur mit der Erlaubnis von Verlag und Verfasser<br />
gestattet.<br />
• Dieser Text ist nach dem Urheberrechtsgesetz vom 1. Juli 1993<br />
geschützt. Widerhandlungen gegen die urheberrechtlichen<br />
Bestimmungen sind strafbar.<br />
• Für Schulen gelten besondere Bestimmungen.<br />
"Es gibt Leute, die ein Theaterstück als etwas "Gegebenes"<br />
hinnehmen, ohne zu bedenken, dass es erst in einem Hirn erdacht,<br />
von einer Hand geschrieben werden musste.“<br />
Rudolf Joho
Alexandra Bachmann<br />
<strong>Manchmal</strong> <strong>laufen</strong><br />
<strong>Kinder</strong> <strong>schneller</strong><br />
Ein satirisches Wiederaufbauprojekt<br />
Besetzung<br />
Bild<br />
1 Dame / 4 Herren / 1 Kind<br />
Wüste<br />
«Der Krieg. Er hat gesagt es komme ein Krieg.»<br />
Eine junge Frau, ein Unternehmer, sein Sohn und ein von der<br />
Verwaltung abkommandierter Bürolist begeben sich ins<br />
Ausland um ein vom Krieg verwüstetes Dorf wieder<br />
aufzubauen. Sie wollen Sinnvolles in ihrem Leben leisten und<br />
ihr Dasein rechtfertigen.<br />
Vor Ort treffen sie auf den Vater der jungen Frau, der<br />
versucht in der Ödnis seiner Alkoholsucht zu entkommen. Sie<br />
erfahren, dass das Dorf, das sie aufbauen wollen, gar nie<br />
existiert hat. Auch einen Krieg hat es nie gegeben.<br />
«Es geht um meinen Abschluss. Ich brauche den Stempel.»<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
2009
Personen<br />
Ein Alkoholiker, der nüchtern werden will<br />
Lydia,<br />
die Tochter des Alkoholikers<br />
Budisholzer, ein Bürolist<br />
Zullinger,<br />
Unternehmer<br />
Bernd,<br />
Ein Kind,<br />
Ein Fotograf,<br />
Ein Krieg,<br />
Ort<br />
In der Wüste<br />
Zeit<br />
Gestern wie heute<br />
der Sohn von Zullinger<br />
das niemanden Kindes ist<br />
kein Idealist<br />
einer von vielen<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 2 -
Alkoholiker<br />
Alkoholiker<br />
Budisholzer<br />
Alkoholiker<br />
1. Szene<br />
<strong>Manchmal</strong> <strong>laufen</strong> <strong>Kinder</strong> <strong>schneller</strong><br />
Wir befinden uns in der Wüste, weitab von jeglicher<br />
Zivilisation. Sand soweit das Auge reicht. Kein<br />
Pflänzchen, nicht mal ein verdorrter Baumstrunk, ist<br />
zu erkennen. Zu heiss brennt die Sonne, zu trocken<br />
das Jahr. Zu blau der Horizont.<br />
Und doch, hier, in mitten dieser Kargheit, sitzt ein<br />
Mensch, ein Alkoholiker auf einem Stuhl. Neben ihm<br />
ein Fass, in seiner Hand eine Schnapsflasche. Er<br />
wartet und man muss es so hart und roh und<br />
unerbitterlich sagen, er leidet die Zeit ab. Einsam und<br />
der Hitze ausgeliefert.<br />
Meine Leber zerfressen, mein Gaumen taub. Zittrig<br />
meine Hände. Rot mein Fleisch, schwammig mein<br />
Blick. Sechzig Jahre bin ich geworden. Die Ödnis soll<br />
mich zwingen frei zu werden. Er füllt sich die Flasche<br />
mit dem Getränk aus dem Fass. Dann setzt er sie an<br />
und trinkt in langsamen, schweren Schlücken. Nur<br />
Wasser will ich trinken.<br />
Er wartet, trinkt und leidet weiter die Zeit ab.<br />
Karge Wüste, gleissend die Sonne. Nichts begrenzt<br />
mich hier.<br />
2. Szene<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
Budisholzer erscheint am Horizont. Er schiebt ein<br />
schweres, hölzernes Büropult und einen Papierkorb<br />
vor sich hin. Der Stuhl des Alkoholikers ist ihm<br />
knapp im Weg. Der Alkoholiker rückt unwillig zur<br />
Seite. Vorne angekommen rückt Budisholzer das Pult<br />
in der besten Position zurecht. Aus der Schublade<br />
holt er eine Krawatte und bindet sie sich um.<br />
Do you speak English?<br />
Höö? Yeah!<br />
- 3 -
Budisholzer<br />
Alkoholiker<br />
Budisholzer<br />
Budisholzer<br />
Budisholzer<br />
Alkoholiker<br />
Budisholzer<br />
Alkoholiker<br />
Budisholzer<br />
Alkoholiker<br />
Budisholzer<br />
Alkoholiker<br />
Budisholzer<br />
Alkoholiker<br />
Budisholzer<br />
Alkoholiker<br />
Can I have your chair, please?<br />
Höö?<br />
Chair! For me. Er deutet ungeduldig auf den Stuhl.<br />
geht zum Alkoholiker hin und klopft auf den Stuhl.<br />
Please.<br />
Der Alkoholiker erhebt sich. Budisholzer stellt den<br />
Stuhl hinter sein Pult. Dann holt er Telefon, Bostitch,<br />
Locher, Papier und Schreibstifte aus der Schublade<br />
und richtet die Sachen ordentlich auf der<br />
Schreibplatte aus.<br />
What... what do you here?<br />
Business officer and project manager. Here project.<br />
Hier?<br />
Ach, Sie sprechen deutsch?<br />
Ja, Herr Officer und das hier ist mein Platz. Und mein<br />
Stuhl.<br />
Tut mir Leid. Hier findet ein äusserst wichtiges<br />
Wiederaufbauprojekt statt. Darf ich Sie bitten, Ihr Fass<br />
noch ein wenig zu verschieben? Zeigt auf den Rand<br />
der Bühne. Dort vorne sollte es uns nicht so sehr<br />
stören.<br />
Tschuldigung, aber hier können Sie ihr... ihr Projekt<br />
nicht durchführen. Ich war zuerst hier. Und ich brauche<br />
den Platz… für mich allein.<br />
Ich sagte es eben. Ein Regierungsprogramm. Tut mir<br />
Leid, da ist absolut nichts zu machen. Absolut nichts.<br />
Geht zum Fass. Wenn Sie mir mal helfen würden?<br />
Einen Fuchs helfe ich Ihnen! Ich räume doch mein<br />
Heim nicht selber weg.<br />
schiebt das Fass mit viel Kraft durch den Sand. Ich<br />
würde Ihnen raten, Ihren Widerstand möglichst schnell<br />
aufzugeben. Das Fass bleibt stecken. Au!<br />
Den Rücken soll es Ihnen verbiegen!<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 4 -
Budisholzer<br />
Budisholzer<br />
Alkoholiker<br />
Budisholzer<br />
<strong>Manchmal</strong> <strong>laufen</strong> <strong>Kinder</strong> <strong>schneller</strong><br />
Widerstand bringt absolut nichts. Plötzlich geht es<br />
wieder vorwärts. Seien Sie froh, wenn man Ihnen das<br />
Plätzchen hier am Rand lässt. Er ist am besagten Ort<br />
angekommen. So habe ich das gemeint. Ist doch auch<br />
schön hier, nicht?<br />
Der Alkoholiker steht weiter an seinem Ort.<br />
Budisholzer nimmt ihm die Schnapsflasche aus der<br />
Hand und stellt sie zum Wasserfass.<br />
Jetzt kommen Sie mal und sehen Sie sich das an.<br />
Nüchtern und stehend ist das Leben schwer zu<br />
ertragen.<br />
Der Alkoholiker geht zum Fass und füllt sich die<br />
Flasche.<br />
Geht ja.<br />
3. Szene<br />
Zullinger erscheint am Horizont. Sein Sohn folgt ihm<br />
mit Rollkoffer und Schaufeln.<br />
Budisholzer Was machen Sie hier?<br />
Zullinger Zullinger, Unternehmer. Ist dies das Projekt P306?<br />
Budisholzer Richtig!<br />
Zullinger Ich will mir eine Auszeit nehmen. Ich soll am<br />
Wiederaufbau einer Schule, eines Brunnens und einer<br />
Essenstation mitwirken.<br />
Bernd Hier sollen Räume für Schulen entstehen. Nach dem<br />
grausamen Krieg sollen hier wieder Lehrer und Bücher<br />
die <strong>Kinder</strong> bilden.<br />
Zullinger Mein Sohn Bernd. Bernd hebt die Hand schüchtern<br />
zum Gruss. Er studiert Wirtschaft. Der Einsatz ist für<br />
sein Curriculum. Es wird mal was Grosses aus ihm.<br />
Budisholzer Sie? Sie sind es? Zullinger aus Olten?<br />
Zullinger Kennen wir uns?<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 5 -
Budisholzer Zullinger, CEO Zullinger?<br />
Zullinger Wie war nochmals Ihr Name?<br />
Budisholzer Budisholzer. Koller & Hauser in Olten. Buchhalter in<br />
der Abteilung 1.<br />
Zullinger Doch, doch, Abteilung 1. Das sagt mir was.<br />
Budisholzer Zullinger. CEO Zullinger. Gerätselt haben wir, wo Sie<br />
sich mit dem letzten Geld hingerettet haben, nachdem<br />
das Unternehmen Konkurs war und alle Angestellten<br />
auf der Strasse standen. Die Führungsleute - "das<br />
Management" wie man heute ja sagt, waren schnell<br />
verschwunden… Die Arbeitslosigkeit, Zullinger, war<br />
ein harter Schock. Ich hatte Familie. Aber daran<br />
dachten Sie nicht, als Sie das Unternehmen in Ihrem<br />
Übermut in den Ruin trieben.<br />
Bernd Du hast nie davon erzählt.<br />
Zullinger Ich habe das Beste gemacht. Es war ein Ding der<br />
Unmöglichkeit, dieses Unternehmen zu retten. Was<br />
habt Ihr eigentlich erwartet? Ohne mich wären die<br />
Angestellten schon ein halbes Jahr früher auf der<br />
Strasse gestanden. Ein sinkendes Schiff kann auch der<br />
beste Unternehmer nicht retten, nicht wahr<br />
Sohnemann?<br />
Bernd Jawohl, Vater.<br />
Zullinger Darum wähle deine Schiffe immer gut aus,<br />
Sohnemann. Besser als es dein Vater damals tat.<br />
Bernd Jawohl, Vater.<br />
Budisholzer Keine Spur von Scham, kein Wort von Reue. So<br />
kennen Sie ihren Vater nicht, Herr Sohn, nicht wahr?<br />
Er hat Ihnen wohl nur von seinen Heldentaten erzählt<br />
und Geld hinterher geschoben?<br />
Zullinger Bernd, hol den zweiten Koffer… Aber heute noch.<br />
Bernd ab.<br />
Alkoholiker lehnt an das Fass. Die <strong>Kinder</strong> lernen ihre Eltern<br />
kennen. Früher oder später. Ich hätte mir gewünscht,<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 6 -
Budisholzer<br />
Alkoholiker<br />
Lydia<br />
Budisholzer<br />
Lydia<br />
Budisholzer<br />
Lydia<br />
Zullinger<br />
Lydia<br />
Zullinger<br />
Bernd<br />
<strong>Manchmal</strong> <strong>laufen</strong> <strong>Kinder</strong> <strong>schneller</strong><br />
dass meine Tochter mich erst jetzt kennen lernen<br />
würde. Sie hätte ein besseres Bild.<br />
Jedenfalls, wie Sie sehen, habe ich es dennoch<br />
geschafft. Business Officer, zuständig für die Strategie<br />
und Umsetzung, Abteilung internationale<br />
Angelegenheiten. Leiter des Projekts P306. Die<br />
Regierung hat mich dazu bestimmt. Er reicht Zullinger<br />
eine Visitenkarte und nimmt aus einer Schublade<br />
Fotos von seiner Frau und seinen vier <strong>Kinder</strong>n<br />
hervor und stellt sie ordentlich auf das Pult. Wenn<br />
Sie eine Bewilligung brauchen, Zullinger, dann<br />
kommen Sie einfach vorbei. Hier verzichten wir auf<br />
Schriftliches, Eingabefristen, Steuern und Revisoren…<br />
Sie müssen sich also an nichts Neues gewöhnen.<br />
Eine Frau betritt die Bühne. Hinter ihr ein Kind.<br />
leise. Oh Gott, meine Tochter!<br />
zu Zullinger und Budisholzer. Guten Tag.<br />
Guten Tag, Madame. Verbeugt sich leicht.<br />
zum Kind. Stifte, Tafeln. Das reicht für heute. Ordne<br />
die Sachen hier. Zu den beiden. Sind Sie ebenfalls für<br />
die Wiederaufbauarbeit eingeteilt?<br />
Ja, Budisholzer. Er lächelt stolz. Business Officer<br />
zuständig für Strategie und Umsetzung, Abteilung<br />
internationale Angelegenheiten. Leiter des Projekts<br />
P306. Die Regierung hat mich dazu bestimmt. Er<br />
überreicht ihr seine Visitenkarte.<br />
Lydia. Erfreut, Herr Budisholzer.<br />
Zullinger. Unternehmer. Ich nehme mir eine Auszeit.<br />
Guten Tag.<br />
Bernd kommt mit dem zweiten Koffer und einer Kiste<br />
mit Lebensmitteln.<br />
Mein Sohn Bernd. Er studiert Wirtschaft.<br />
Hallo.<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 7 -
Lydia<br />
Bernd<br />
Zullinger<br />
Lydia<br />
Budisholzer<br />
Zullinger<br />
Alkoholiker<br />
Zullinger<br />
Budisholzer<br />
Budisholzer<br />
- 8 -<br />
Hallo. Ich sehe, Herr Zullinger, Ihr Sohn hat Bretter<br />
dabei. Beginnen wir. Die Zeit eilt. Die Schule muss<br />
bereit sein, wenn die Schüler kommen. Lernen sollen<br />
sie hier. In Frieden. Vergessen sollen sie den<br />
grausamen Krieg.<br />
nickt eifrig. Sehr wohl. Neben der Schule werden wir<br />
eine Essenstation und einen Brunnen errichten. Sie<br />
sollen nicht mehr hungern hier, die Menschen. Ohne<br />
Angst vor Vertreibung und Bomben sollen sie hier<br />
leben.<br />
Er ist noch etwas… verträumt, etwas ideologisch...<br />
Aber das kommt schon noch, nicht wahr, Sohnemann?<br />
Genau hier wird die Schule stehen.<br />
Bernd beginnt Linien in den Sand zu zeichnen.<br />
zu Zullinger. Die Baubewilligung Zullinger, denken<br />
Sie daran.<br />
Bernd unterbricht und schaut zum Vater, der etwas<br />
verdutzt zu Budisholzer schaut.<br />
ins Leere, Richtung Alkoholiker. Ein Unternehmer,<br />
der den Erfolg will, muss auch mal einen Konkurs in<br />
Kauf nehmen. Die wirtschaftliche Lage hat mich<br />
gezwungen, alles aufzugeben. Aber was weiss ein<br />
kleiner Buchhalter schon davon? Ohne mich, hätte<br />
alles viel schlimmer geendet. Zum Alkoholiker. Was<br />
machen Sie eigentlich hier?<br />
Ich...<br />
... Aber lasst mich das Spiel spielen. Ich habe die Zeit<br />
dazu. Das erste Mal in meinem Leben habe ich Zeit.<br />
Geht zu Budisholzer. Ich möchte hier eine Schule<br />
bauen.<br />
Stellen Sie sich bitte in die Warteschlange. Ihr Gesuch<br />
wird zu gegebener Zeit bearbeitet.<br />
Zullinger stellt sich in einer fiktiven Warteschlange<br />
an.<br />
Ja, und?<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.
<strong>Manchmal</strong> <strong>laufen</strong> <strong>Kinder</strong> <strong>schneller</strong><br />
Zullinger Ich möchte hier eine Schule bauen.<br />
Lydia Wir alle möchten hier eine Schule bauen.<br />
Budisholzer War da schon eine?<br />
Zullinger Ja, ich denke schon. Darum sind wir ja hier.<br />
Budisholzer Sie denken. Wie Sie an die Familien gedacht haben, als<br />
Sie ihr Geschäft in den Konkurs trieben und uns sitzen<br />
liessen im Sumpf, ohne Geld für den nächsten Monat?<br />
Bald in Schulden und ohne Aussicht unseren <strong>Kinder</strong>n<br />
ein gutes und sicheres Leben zu ermöglichen? Denken<br />
Sie weniger und entscheiden Sie sich. Entweder habe<br />
ich über eine Neubaubewilligung gemäss Artikel 6<br />
Absatz 1 oder über eine Wiederaufbaubewilligung<br />
gemäss Artikel 6 Absatz 2 zu entscheiden.<br />
Zullinger Trottel.<br />
Lydia Meine Herren. Raufen Sie sich zusammen. Wir sollten<br />
alle am selben Strick ziehen. Im Dienst der Sache. Im<br />
Dienst des Friedens.<br />
Bernd schaut sie bewundernd an. Im Dienste des Friedens.<br />
Das Handy von Zullinger klingelt.<br />
Zullinger Zullinger. Die Leitung unterbricht. Ich muss mal<br />
Empfang suchen. Beginnt schon mal mit dem Graben.<br />
Er verschwindet.<br />
Lydia zu Budisholzer. Es handelt sich um einen<br />
Wiederaufbau. Fünf auf vier Quadratmeter,<br />
Holzpfähle, Flachdach.<br />
Budisholzer So gefällt es, Madame! Bewilligt. Drückt einen<br />
Stempel auf ein Papier.<br />
Alkoholiker Aber da war nichts! Seht euch den Boden an! Nichts<br />
als Sand. Keine Fundamente, keine Spuren von<br />
verbrannten Balken, keine zertrümmerten Steine. Kein<br />
Zeichen von Mensch und Tier. Kein Geruch nach<br />
verbrannten Holz und Fleisch. Nichts. Hier gibt es<br />
nichts und gab es nichts. Hier ist die pure Wüste.<br />
Lydia Vater! Was machst du hier?<br />
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Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 9 -
Bernd<br />
Budisholzer<br />
Alkoholiker<br />
Lydia<br />
Alkoholiker<br />
Lydia<br />
Alkoholiker<br />
Lydia<br />
Alkoholiker<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Budisholzer<br />
Alkoholiker<br />
Lydia<br />
Alkoholiker<br />
Lydia<br />
Lydia<br />
Alkoholiker<br />
Lydia<br />
Kein Krieg? Kein zerstörtes Dorf? Keine Schule, die<br />
niedergebrannt ist?<br />
Hört nicht auf ihn.<br />
zu Lydia. Ja, ich, dein Vater.<br />
Was machst du hier!?<br />
Nüchtern will ich werden in dieser Wüste.<br />
Nüchtern!? Und das wagst du mir zu sagen?! Zum<br />
tausendsten Mal. Lügner. Du lügst uns an und dich.<br />
Jahrelang hast du es getan. Und du tust es immer noch.<br />
Mag sein. Aber vergiss nicht, dass es den Menschen<br />
inne ist, sich zu belügen. Da geben sie sich hin, leisten<br />
grossartige Wiederaufbauarbeit, an einem Ort wo<br />
nichts war. Aber wir sollten uns zuerst richtig<br />
begrüssen.<br />
Versuch ja nicht, dich in mein Leben zu mischen. Was<br />
trinkst du da?<br />
Wasser. Es ist nur Wasser. Wasser, Tochter, nichts als<br />
Wasser. Beruhige dich…<br />
Ha! Wasser!<br />
Kein Krieg, kein zerstörtes Dorf?<br />
Hört nicht auf ihn. Er will uns nur vertreiben.<br />
zu Lydia. Wie heisst dein Kind?<br />
Es ist nicht mein Kind.<br />
So? Von wo kommt es denn?<br />
Es ist mir zuge<strong>laufen</strong>.<br />
Das Kind kommt auf Lydia zu und will sie umarmen.<br />
Sie wendet sich ab.<br />
zum Kind. Geh die Bücher holen! Das Kind entfernt<br />
sich. Ich kann es nicht mit <strong>Kinder</strong>n.<br />
Das überrascht mich nicht. Du bist selbst nie eines<br />
gewesen. Du konntest es nicht. Mit mir als Vater, der<br />
kein Vater war.<br />
Halt die Klappe!<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 10-
Alkoholiker<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Budisholzer<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Alkoholiker<br />
Zullinger<br />
Bernd<br />
Budisholzer<br />
Alkoholiker<br />
Zullinger<br />
Lydia<br />
<strong>Manchmal</strong> <strong>laufen</strong> <strong>Kinder</strong> <strong>schneller</strong><br />
Hör mir zu. Statt dich um andere zu kümmern, solltest<br />
du dich zuerst um dich kümmern. Sonst wird es dir<br />
gleich ergehen wie mir und du wirst deinen Kummer<br />
ersäufen.<br />
Hör auf. Verdammt noch mal. Schweig jetzt endlich.<br />
Ich habe noch nie gesoffen.<br />
Keine Schule, keine <strong>Kinder</strong>, die getötet wurden.<br />
Hör nicht auf ihn, verdammt noch mal.<br />
Er ist ein Lügner. Er will nur seinen Platz zurück.<br />
Unverschämt.<br />
kämpferisch. Wir werden was finden. Los, suchen!<br />
Los, los, los! Man findet immer etwas, wenn man<br />
etwas finden will. Auch du Bernd!<br />
Aber dein Vater hat gesagt…<br />
…Und worauf warten Sie, Herr Budisholzer? An die<br />
Arbeit! Los.<br />
Die drei beginnen mit Stöcken im Sand nach<br />
Fundamenten zu suchen.<br />
Man findet immer etwas, wenn man etwas finden will.<br />
Meine Tochter! So wie die sucht, findet sie<br />
wahrscheinlich wirklich was. Aber mehr als ein<br />
verwestes Tier wird es nicht sein.<br />
Zullinger kommt zurück.<br />
Was macht ihr hier?<br />
Wir suchen nach Fundamenten. Der da behauptet, hier<br />
sei nie was gewesen.<br />
Er lügt.<br />
Pure Wüste. Pur.<br />
Sie sind mir auch noch pur! Irgendwie gleichen Sie<br />
einem versoffenen Typen aus Olten. Jeden Tag lallte er<br />
auf der Strasse. Es dröhnte bis zu meinem Büro hinauf.<br />
Es ist für Sie zu hoffen, dass Sie nur die Hälfte<br />
getrunken haben von dem, was der je trank. Haha!<br />
Er ist aus Olten…<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 11-
Zullinger<br />
Lydia<br />
Zullinger<br />
Lydia<br />
Zullinger<br />
Lydia<br />
Da kommen einem ja heimatliche Gefühle.<br />
…und er ist mein Vater.<br />
Ou.<br />
Ein Lügner dazu… Wenn Sie uns dann auch mal helfen<br />
würden? Wir graben die Fundamente aus. Da hinten<br />
hat noch niemand gesucht. Sie drückt ihm eine<br />
Schaufel in die Hand.<br />
Okay, okay.<br />
Die Gruppe gräbt und gräbt.<br />
tritt vor; zu sich. Fraglich an meinem Leben ist, was es<br />
eigentlich soll. Jahre bin ich nun getrieben vom<br />
Gedanken alles möglichst schnell und gut zu erledigen.<br />
Prüfungen, Wettkämpfe, erster Freund, die Matura,<br />
jetzt der Studienabschluss. Es besser zu machen als<br />
meine Eltern. Als mein Vater. Geld verdienen, lernen,<br />
Ferien planen, Spass haben, Wohnung suchen,<br />
Zeitungen bündeln, dies und das und jenes und dies.<br />
Stetig innere Hetze. Und dann das Entscheiden. Immer<br />
sollte man sich für das Beste entscheiden. Die richtige<br />
Ausbildung, sinnvolle und gleichzeitig gut bezahlte<br />
Jobs - am besten vier nebeneinander, den besten Film<br />
für den Kinobesuch am Donnerstag, das angesagteste<br />
Lokal für den Freitagabend, die coolste Party am<br />
Samstag. Ein Französischsprachkurs oder doch besser<br />
Englisch? Die grünen oder die silbernen Ohrringe? Ich<br />
möchte einmal alles entschieden haben. Alles erledigt<br />
haben. Aber ich werde es nie schaffen. Die Zeitungen<br />
und Rechnungen werden auch noch ein paar Tage nach<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
meinem Tod in meinen Briefkasten gesteckt. Und<br />
unbezahlt und ungebündelt liegen bleiben.<br />
Abmachungen werden in meiner Agenda stehen. Ich<br />
werde sie verpassen… Ich möchte jeden Tag geniessen<br />
können, denn Tage sind wertvoll. Aber das hetzt mich.<br />
Dieser Anspruch aus jedem Tag das Beste machen zu<br />
müssen. Und das ewige Erkennen, dass es nicht<br />
gelingt, dass ich es hätte besser machen können... Ich<br />
- 12-
Lydia<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
<strong>Manchmal</strong> <strong>laufen</strong> <strong>Kinder</strong> <strong>schneller</strong><br />
will, dass mein Leben ein Spezielles ist. Nur weiss ich<br />
nicht, was das Spezielle sein soll. Ich will etwas<br />
Besonderes schaffen, aber ich weiss nicht was. Ich mag<br />
auch nicht mehr danach suchen. Ich möchte am Ziel<br />
sein. Ein Leben ohne Suche - das wäre schön. Ein<br />
Leben im Moment… Aber ich brauche diese Hetze.<br />
Nicht unbedingt aus Freude an den Sachen sondern um<br />
zu sehen, was ich kann. Und um zu spüren, dass ich es<br />
kann.<br />
Zullinger und Budisholzer sind in der Zwischenzeit<br />
müde vom Graben auf dem Boden eingeschlafen. Der<br />
Alkoholiker auch. Das Kind ist weg. Nur Bernd hat<br />
noch nicht aufgegeben. Ab und zu schaut er zu Lydia<br />
rüber.<br />
Was schaust du?<br />
Nichts.<br />
Du hast dich in mich verliebt.<br />
Was? Wie?<br />
Aber ich bin nicht die Person, die du dir vorstellst. Ich<br />
bin anders.<br />
Wie anders?<br />
Das sage ich dir nicht. Wäre ja dumm. Würde dein<br />
schönes Bild zerstören.<br />
Ich finde dich… Nun, zugegeben, du faszinierst mich<br />
auf eine gewisse Art.<br />
Pha, wenn du wüsstest. Romantiker.<br />
Aber ich bin nicht verliebt. Ich kenne dich ja kaum.<br />
Okay, dann glotz nicht so. Ich mag es nicht, wenn man<br />
mich so anglotzt.<br />
Bernd schweigt. Sie graben weiter.<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 13-
Zullinger<br />
Lydia<br />
Budisholzer<br />
Lydia<br />
Budisholzer<br />
Bernd<br />
Budisholzer<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Budisholzer<br />
Lydia<br />
Budisholzer<br />
Zullinger<br />
Budisholzer<br />
Zullinger<br />
Budisholzer<br />
Zullinger<br />
4. Szene<br />
Am nächsten Morgen. Der Alkoholiker ist wach. Er<br />
inspiziert seinen ursprünglichen Platz in der Mitte.<br />
Budisholzer, Zullinger, Lydia und Bernd wachen auf.<br />
Habt ihr was gefunden?<br />
Nein.<br />
Dann graben wir dort drüben weiter.<br />
Schon geschehen.<br />
Was heisst das?<br />
Wir haben alles abgegraben.<br />
Alles abgegraben? Ja und jetzt?<br />
Keine Fundamente, keine Spuren von Menschen oder<br />
Tieren.<br />
Nichts, rein gar nichts.<br />
Was soll das heissen?<br />
Sind Sie der Projektleiter oder täuscht mich da was?<br />
Sie sitzen ratlos vor dem Nichts.<br />
Slot auf Zullinger und Budisholzer.<br />
Ich gehe nach Hause den Schlussbericht schreiben.<br />
Kommt nicht in Frage! Schlussbericht. Lächerlich!<br />
Über was wollen Sie denn schreiben?<br />
Einen Bericht halt, über die Vorkommnisse.<br />
Resigniert schon bei der ersten kleinen Schwierigkeit!<br />
Von Ihnen ist ja nichts anderes zu erwarten. Kein<br />
Wunder sind Sie immer noch Buchhalter.<br />
Projektleiter.<br />
Na dann schauen Sie mal, dass sich Ihr Projekt nicht in<br />
Luft auflöst. Verdammt nochmal, überlegen Sie sich<br />
was.<br />
Slot auf Lydia und Bernd.<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 14-
Bernd<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
<strong>Manchmal</strong> <strong>laufen</strong> <strong>Kinder</strong> <strong>schneller</strong><br />
Es war immer Frieden hier. Es gab nie einen Krieg.<br />
Schön nicht?<br />
Was soll daran schön sein?<br />
Das haben wir uns ja immer gewünscht Frieden. Das<br />
ist das Ziel, nicht?<br />
Lydia schweigt.<br />
Gehen wir weiter?<br />
Weiter?<br />
Woanders hin. Hier gibt es nichts zu tun. Hier haben<br />
nie Menschen gelebt, hier werden nie welche leben.<br />
Schule, Essensstation und Brunnen sind überflüssig.<br />
Und deshalb willst du weiter?<br />
Ja, komm, wir gehen an einen Ort wo Krieg war. Wir<br />
gehen dort helfen.<br />
Das geht nicht.<br />
Warum?<br />
Was warum?<br />
Warum nicht?<br />
Warum was?<br />
Warum es nicht geht?<br />
Bist du kompliziert.<br />
Schweigen.<br />
Hast du keine Lust zusammen woanders hin..?<br />
Lydia schweigt.<br />
Ich fände es schön.<br />
Darum geht’s nicht.<br />
Warum…<br />
…Geh doch alleine!<br />
Ich gehe nicht ohne…<br />
Ohne was?… Ohne deinen Papa?<br />
Lydia geht auf und ab.<br />
Slot auf Zullinger und Bernd.<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 15-
Zullinger<br />
Bernd<br />
Zullinger<br />
Bernd<br />
Zullinger<br />
Alkoholiker<br />
Zullinger<br />
Bernd<br />
Zullinger<br />
Zullinger<br />
Budisholzer<br />
Zullinger<br />
Lydia<br />
Budisholzer<br />
Zullinger<br />
Bernd, sind wir am richtigen Ort? Stand das Dorf<br />
vielleicht woanders?<br />
Nein, wir sind da wo wir hingeschickt wurden. Nur<br />
hätten wir gleich erkennen müssen, dass das hier nichts<br />
ist. So weit man schaut, nur Wüste, nichts als flache,<br />
sandige Wüste.<br />
Wo bleibt nur dein Optimismus?<br />
Vater, siehst du hier ein Dorf?<br />
Zullinger geht zum Alkoholiker.<br />
Haben Sie was gesehen? In der Umgebung?<br />
Ne, hier ist nichts. Weit und breit. Darum ist es auch<br />
eine Wüste. Hähä.<br />
Hähä. Zu Bernd. Jetzt steh auf und überleg dir was.<br />
Wir geben jetzt nicht auf.<br />
Vater, das bringt doch nichts.<br />
Jetzt reiss dich aber zusammen. Steh auf und überleg<br />
dir was. Wir geben jetzt nicht auf und basta!<br />
Budisholzer hat mit Packen begonnen. Der<br />
Alkoholiker beginnt sein Fass in die Mitte zu rollen.<br />
Verdammt! Sie lassen Ihr Fass wo es ist! Und Sie<br />
Budisholzer, stoppen Ihre Packerei! Und zwar Nullkomma-plötzlich.<br />
Zu Lydia. Und Sie, Sie hören auf,<br />
hier wie ein nervöses, kopfloses Huhn hin und her zu<br />
<strong>laufen</strong>. Hin und her!<br />
Wir brechen ab. Ich erkläre das Projekt hiermit für<br />
beendet. Sie sind entlassen.<br />
Jetzt drehen Sie nur nicht durch!<br />
Budisholzer packt weiter.<br />
Warten Sie! Sie können jetzt nicht gehen! Sie müssen<br />
bleiben. Wir müssen dieses Projekt durchführen!<br />
Nein.<br />
Sie verdammter Projektleiter! Sie! Sie werden das<br />
bereuen!<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 16-
Lydia<br />
Budisholzer<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Budisholzer<br />
Lydia<br />
Alkoholiker<br />
Lydia<br />
Zullinger<br />
Alkoholiker<br />
Zullinger<br />
Alkoholiker<br />
<strong>Manchmal</strong> <strong>laufen</strong> <strong>Kinder</strong> <strong>schneller</strong><br />
Sie… Sie… Sie müssen mir den Stempel geben! Ich<br />
brauche so einen Stempel für mein Praktikum! Die<br />
kontrollieren das! Wenn ich jetzt abbreche, bekomme<br />
ich die fünfzehn Punkte nicht. Ich brauche die für<br />
meinen Abschluss, die Punkte, unbedingt.<br />
Allerdings. Den Stempel kann ich in diesem Fall nicht<br />
geben. Kein Krieg, keine Arbeit, keine ECTS.<br />
Da habe ich dich wirklich falsch eingeschätzt! Gibst<br />
dich als Wohltäterin. Stattdessen geht es dir nur um<br />
deine Punkte. Das fass ich nicht.<br />
Wirtschaftsstudent. Dass ich nicht lache. Seit wann<br />
gehen Wirtschaftsstudenten in die Wüste um einen<br />
Hilfseinsatz zu leisten? Zu Budisholzer. Jetzt hören<br />
Sie. Es geht um meinen Abschluss. Ich brauche den<br />
Stempel.<br />
Kein Krieg, keine Arbeit, keine Punkte. Wo führt denn<br />
das sonst hin?<br />
Ich brauche diesen Stempel jetzt! Ich will das Studium<br />
noch dieses Semester abschliessen! Herrgott, wollt ihr<br />
mich eigentlich alle allein lassen mit diesem Scheiss<br />
oder was? Zum Vater. Nicht mal du hilfst mir!<br />
Alle halten inne.<br />
Ich kann dir hier nicht helfen.<br />
Du kannst mir nie helfen. Weil du es nicht willst.<br />
Lydia kniet hin und beginnt leise zu weinen. Der<br />
Alkoholiker schaut nicht hin und schiebt sein Fass<br />
weiter in die Mitte, wo Lydia weint. Er schiebt sie ein<br />
wenig weg, setzt sich auf das Fass, macht es sich<br />
bequem und nimmt einen Schluck aus der Flasche.<br />
Was soll das?<br />
Ich habe mich wieder an meinen Platz gesetzt.<br />
Sprachlosigkeit.<br />
Wie bitte?<br />
Ich habe mich wieder an meinen Platz gesetzt.<br />
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Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 17-
Zullinger<br />
Alkoholiker<br />
Zullinger<br />
Alkoholiker<br />
Zullinger<br />
Zullinger<br />
Budisholzer<br />
Zullinger<br />
Budisholzer<br />
Zullinger<br />
Unerhört. Breitet sich auf unserem Platz aus, bevor wir<br />
weg sind. Und das vor seiner Tochter, die ihn um Hilfe<br />
bittet.<br />
Bernd geht zu Lydia und versucht sie zu trösten.<br />
Ich brauche Ruhe. Ruhe! Tage bin ich gereist, Stunden<br />
bin ich gewandert. Habe in Höhlen übernachtet und<br />
mich am Feuer gewärmt. Bin weiter und weiter<br />
gedrungen in dieses unwirtliche Land. Weit weg von<br />
meiner Heimat, befreien wollte ich mich von meinen<br />
alten Lasten. Allein. In der Wüste.<br />
Sie verdammter Ego. Alles wollen Sie für sich. Jetzt<br />
sind aber wir hier und wir geben nicht auf.<br />
Seien Sie doch froh, dass hier nichts ist. Dann müssen<br />
Sie auch nichts hintun. Lassen Sie die Wüste Wüste<br />
sein.<br />
Das hier ist der Platz für unser Projekt. Für das Projekt<br />
Ihrer Tochter. Sie will die Universität abschliessen.<br />
Wollen Sie ihr das versauen?<br />
Der Alkoholiker nimmt einen Schluck.<br />
…Wissen Sie was, Sie Knilch? Wir werden Lydia<br />
unterstützen! Wir werden das tun, was ihr Vater nicht<br />
tut. Nicht wahr, Budisholzer? Wir lassen sie da nicht<br />
hängen. Dafür tragen wir die Verantwortung. Wir<br />
tragen die Verantwortung für einander. Budisholzer!<br />
Mmh…<br />
Ja, was?<br />
Ja,… ja… schon… Aber ich kann den Stempel nur<br />
geben, wenn das Projekt erfolgreich abgeschlossen<br />
wird.<br />
Da wird uns schon was einfallen, damit dies möglich<br />
ist, Budisholzer. Das verspreche ich Ihnen. Bernd!<br />
Überleg dir jetzt mal was. Überlegt alle was, Herrgott!<br />
Jetzt brauchen wir eine Lösung, damit Lydia ihren<br />
Abschluss machen kann. Eine Idee!! Zittert. Eine<br />
gottverdammt gute Idee! Das wird ja wohl das<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 18-
<strong>Manchmal</strong> <strong>laufen</strong> <strong>Kinder</strong> <strong>schneller</strong><br />
Mindeste sein, was von euren kleinen, verdroschenen<br />
Gehirnen zu erwarten ist!!!<br />
Stille.<br />
Lydia Wir brauchen einen Krieg.<br />
Stille.<br />
Zullinger Krieg.<br />
Stille.<br />
Lydia Wir brauchen einen Krieg, damit wir unsere<br />
Wiederaufbauarbeit leisten können.<br />
Bernd Lydia!<br />
Lydia Meine Herren. Ich will was leisten hier. Ich will Gutes<br />
tun. Und um Gutes zu tun, braucht es zuerst das Böse,<br />
eine Schuld, die man besiegen kann.<br />
Zullinger zittert noch immer. Krieg, nicht schlecht. Gar nicht so<br />
schlecht, gar nicht so schlecht.<br />
Bernd Vater? Was soll das? Wir brauchen doch keinen Krieg.<br />
Hier ist nie was gewesen und hier wird nie was sein.<br />
Alkoholiker zu Lydia. Bist du verrückt? Du kannst uns doch nicht<br />
bombardieren.<br />
Budisholzer Gemäss meinem Pflichtenheft habe ich als Projektleiter<br />
die Wiederaufbauarbeit zu koordinieren. Ein Krieg ist<br />
nicht vorgesehen. Und überhaupt. Kriege kann man<br />
nicht bestellen. Mein Pflichtenheft sieht nichts<br />
Derartiges vor.<br />
Bernd Zum Glück gibt es Pflichtenhefte.<br />
Zullinger Bernd, du willst doch Lydia nicht den Stempel für ihr<br />
Praktikum vergönnen. Das hätte sie nicht verdient,<br />
oder? Bursche, Bursche.<br />
Bernd beisst die Lippen zusammen.<br />
Zullinger zu Budisholzer. Solche Projekte verlangen eine<br />
gewisse Flexibilität. Das wissen wir alle. Flexibilität<br />
und Führungsstärke. Das haben Sie. Sonst hätte man<br />
Sie ja nicht gewählt für diese Arbeit, nicht?<br />
Lydia Ja, sonst hätten die einen anderen gewählt.<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 19-
Budisholzer<br />
Zullinger<br />
Bernd<br />
Zullinger<br />
Bernd<br />
Zullinger<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Zullinger<br />
Zullinger<br />
Ich war unter den achtzig Kandidaten der Beste, haben<br />
sie gesagt.<br />
Na also!<br />
Für wen sollen die Schule, der Brunnen und die<br />
Essenstation denn sein?<br />
Als Unternehmer musst du eine Vision haben! Du<br />
musst daran glauben, dass du mit deiner Idee Erfolg<br />
haben wirst. Take a risk! Schüler gibt es immer. Sie<br />
brauchen Wasser und Nahrung. Der Return on Invest<br />
wird fabelhaft sein.<br />
Ich verstehe gar nicht, warum du so an der Sache hier<br />
hängst? Zu Hause würdest du gebraucht. Und hier<br />
willst du eine Schule bauen, für Schüler, die es<br />
vielleicht gar nie geben wird.<br />
Sohnemann. Ich will wieder einmal etwas mit dir<br />
gemeinsam tun. Etwas aufbauen. Wie früher die<br />
Modelleisenbahn. Weisst du noch? Seit du in der<br />
Schule bist, sehe ich dich ja kaum noch. Ich will was<br />
mit meinem Sohn durchziehen. Ein Männerding,<br />
verstehst du?<br />
Gib ihm doch die Chance.<br />
Dir geht es doch nur um deine verdammten Punkte.<br />
Ich fände es cool, wenn du bleibst.<br />
Bernd zögert.<br />
Komm jetzt.<br />
Also.<br />
Gratuliere Budisholzer! Meine Bewunderung. Das war<br />
ein Kraftakt sondergleichen, den Sie da geleistet haben.<br />
Die Gruppe steht geeint hinter Ihnen!<br />
Lydia lächelt Bernd zu. Er lächelt zurück.<br />
Budisholzer ist unsicher.<br />
Konsenslösungen in derart heiklen Situationen sind<br />
heutzutage eine Rarität. Ich staune, ich staune,<br />
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Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
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Zullinger<br />
Budisholzer<br />
Bernd<br />
Zullinger<br />
Alkoholiker<br />
Budisholzer<br />
Alkoholiker<br />
Budisholzer<br />
Alkoholiker<br />
Budisholzer<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Budisholzer<br />
<strong>Manchmal</strong> <strong>laufen</strong> <strong>Kinder</strong> <strong>schneller</strong><br />
Budisholzer. Da haben wir Sie gründlich unterschätzt.<br />
Die Regierung wird Sie befördern.<br />
Budisholzer lächelt stolz.<br />
leise zu Budisholzer. Dann packen Sie es an.<br />
Dann also, mmh, packen wir es an. Beginnen wir mit<br />
der Räumung des Platzes. Mutiger. Der Missbrauch<br />
von öffentlichen Gütern muss sofort gestoppt werden!<br />
Kein Säufer soll unser Projekt zerstören. Zum<br />
Alkoholiker. Sie müssen verschwinden.<br />
Jetzt tun Sie nicht so. Er tut niemandem etwas zu<br />
Leide.<br />
Ne, das tut er wirklich nicht. Trinkt Tag und Nacht.<br />
Es ist Wasser.<br />
Ja, ja. Ein Wässerchen.<br />
Ich bleibe. An den Rand bringt ihr mich nicht mehr.<br />
Herr... wie auch immer Sie heissen. Wir brauchen den<br />
Platz und ich bin verantwortlich für diese Gruppe.<br />
Machen Sie uns das Leben nicht unnötig schwer und<br />
räumen Sie diesen Platz. Denken Sie daran, es sind ja<br />
auch <strong>Kinder</strong> dabei.<br />
Tut mir Leid. Da ist nichts zu machen, absolut nichts.<br />
Im Namen der Sicherheit und Ordnung, weise ich Sie<br />
an zu verschwinden und zwar sofort!<br />
Der Alkoholiker bewegt sich nicht. Budisholzer geht<br />
hin und versucht das Fass mit dem Alkoholiker zu<br />
verschieben. Das Kind kommt zurück. Es trägt einen<br />
Stapel Bücher.<br />
Danke. Lege sie dorthin. Zu den anderen. Dann<br />
bestellen wir jetzt den Krieg bei der Regierung. Wir<br />
schreiben denen einen Brief.<br />
Der Krieg ist doch nicht euer Ernst? Ich meinte ihr<br />
wolltet ein Dorf aufbauen?<br />
schiebt noch immer. Das Pflichtenheft habe ich mir<br />
selber geschrieben… Ich kann mir andere Pflichten<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 21-
auferlegen, wenn es sein muss. Falls triftige Gründe<br />
vorliegen… sozusagen.<br />
Alkoholiker Meine Tochter schafft einen Krieg um<br />
Wiederaufbauarbeit zu leisten. Er zeigt auf<br />
Budisholzer. Er auferlegt sich Pflichten, um zur Arbeit<br />
gehen zu können! Er wird am Abend zu spät zur<br />
Familie nach Hause kommen und stöhnen: Viel Arbeit!<br />
Sie nimmt kein Ende. Ich möchte nicht, aber ich muss<br />
sie tun. Entschuldige, Schatz. Aber sie haben mich<br />
gebraucht, unbedingt.<br />
Lydia Machst du nicht dasselbe? Hast du dich in den letzten<br />
Jahren nicht voll <strong>laufen</strong> lassen um heute einen Grund<br />
zu haben, über dein Leben nachzudenken? Ohne Sucht<br />
hättest du keinen Grund hier zu sitzen und darüber<br />
nachzudenken, nicht wahr?<br />
Alkoholiker Das ist zu einfach, Lydia. Süchtig wird man nicht um<br />
der Sucht willen…<br />
Lydia … Ich schreibe ihn, den Brief.<br />
Zullinger Gut, dann werde ich endlich mal ein paar wichtige<br />
Telefonate machen können.<br />
Bernd Können wir nicht einfach bauen? Ohne Krieg?<br />
Lydia ... Kann ich mich mal setzen, Herr Budisholzer?<br />
Nimmt an seinem Pult Platz.<br />
Budisholzer lässt das Fass augenblicklich los. Das ist dann schon<br />
mein Gebiet, Madame. Ein solcher Antrag muss<br />
schriftlich eingereicht werden. Unterschrieben von mir:<br />
Konrad M. Budisholzer persönlich.<br />
Lydia Na dann. Macht ihm Platz. Setzen Sie auf:<br />
"Geschätzter Herr Regierungspräsident. Gestützt auf<br />
die vor Ort festgestellten und… unabänderlichen<br />
Tatsachen, müssen wir Ihnen mitteilen, dass wir<br />
unseren Auftrag… unter den gegebenen Umständen<br />
nicht zu Ende führen können. Um die Arbeiten zu Ihrer<br />
… Ihrer vollsten Zufriedenheit ausführen zu können…<br />
sind wir auf Ihre Mithilfe angewiesen. Aus diesem<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 22-
Budisholzer<br />
Lydia<br />
Budisholzer<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Kind<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Bernd<br />
<strong>Manchmal</strong> <strong>laufen</strong> <strong>Kinder</strong> <strong>schneller</strong><br />
Grund bitten wir Sie in dieser Angelegenheit um Ihre<br />
Unterstützung und beantragen hiermit einen Krieg."<br />
… "Gerne erwarten wir Ihre wohlwollenden Prüfung<br />
dieses Gesuchs und stehen Ihnen für Fragen jederzeit<br />
zur Verfügung." Lassen Sie nur. Das ist meine<br />
Aufgabe. Er setzt sich hin und beginnt zu schreiben.<br />
Wann soll er beginnen?<br />
Sobald wie möglich.<br />
Der Brief braucht zwei Tage.<br />
Zu lange. Was wollen wir tun in dieser Zeit? Etwa wie<br />
mein Vater rumsitzen und über das Leben sinnen?<br />
hat sich endlich für eine Intervention überwunden.<br />
Halt Stopp! Das geht nicht. Das können wir nicht tun.<br />
Das ist ja völlig absurd! Was sollen sie denn hier<br />
zerstören, wo es nichts zu zerstören gibt? Wir könnten<br />
getötet werden.<br />
fängt an zu weinen. Ich will nicht sterben.<br />
Wir vernichten uns selber! Unsere eigenen Bomben<br />
werden uns töten!<br />
Das Kind schreit und läuft zu Lydia, die scheucht es<br />
aber weg. Es läuft zu Zullinger, der scheucht es<br />
ebenfalls weg.<br />
zum Kind. Jetzt sei mal still.<br />
Das Kind ist jetzt bei Bernd. Er setzt sich und<br />
beruhigt es.<br />
zu Bernd. Und was schlägst du vor? Ist für dein<br />
Curriculum ja auch nicht das Beste, wenn darin eine<br />
Lücke klafft.<br />
zu Lydia. Überlege dir das. Ich helfe dir beim Bau der<br />
Schule. Du wirst deine Punkte kriegen. Aber bei einem<br />
Krieg, helfe ich nicht mit. Das ist absurd. Das weisst<br />
du.<br />
Lydia geht auf und ab.<br />
Komm hierhin.<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
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Zullinger<br />
Budisholzer<br />
Kind<br />
Budisholzer<br />
Alkoholiker<br />
Lydia<br />
Zullinger<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Budisholzer<br />
Bernd<br />
Zullinger<br />
Lydia<br />
Lydia<br />
Lydia geht weiter auf und ab.<br />
geht auf und ab. Mein Sohn hat recht. Ein Krieg<br />
könnte uns das Leben kosten. Ökonomisch gesehen<br />
total unsinnig. Wir müssen das anders lösen… Lasst<br />
uns einfach eine Schule bauen. Wir tun, als ob hier ein<br />
Dorf gestanden hat, das in einem Krieg zerstört worden<br />
ist und bauen es auf.<br />
Heuchler, Sie sind und bleiben ein Heuchler Zullinger.<br />
Einen Krieg wollen Sie vorgaukeln? Das können Sie<br />
vergessen. Sie beantragen entweder einen Krieg oder<br />
ich lasse das Projekt ganz sausen. Heucheleien sind mir<br />
zuwider.<br />
Ich will nicht sterben.<br />
Und sowieso. Jetzt habe ich diesen Brief schon fast<br />
fertig geschrieben. Jetzt können wir doch nicht mehr<br />
abbrechen.<br />
Lydia, mach das nicht. Töte uns nicht. Wir haben noch<br />
Leben vor uns.<br />
Lydia beginnt wieder auf und ab zu <strong>laufen</strong>. Alle<br />
warten.<br />
Wir bauen die Schule. Ohne Krieg.<br />
Bravo!<br />
klopft Lydia voller Freude auf die Schulter. Cool!<br />
Wir müssen ein Loch ausheben und dann Fundamente<br />
setzen.<br />
Aber…<br />
… Und wir müssten vielleicht auch noch ein paar<br />
Schüler akquirieren.<br />
Überlass das mal mir.<br />
Dann gehen wir jetzt das restliche Baumaterial holen.<br />
Lydia und Bernd gehen. Zullinger will telefonieren.<br />
Sie auch, Herr Zullinger.<br />
Zullinger hinten nach.<br />
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Kein Aufführungsrecht.<br />
- 24-
Lydia<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
5. Szene<br />
<strong>Manchmal</strong> <strong>laufen</strong> <strong>Kinder</strong> <strong>schneller</strong><br />
Budisholzer ist zurückgeblieben. Er hat immer noch<br />
den Brief in der Hand. Es reut ihn ein bisschen ihn<br />
fortzuwerfen. Er schaut zum Kind, zögert, wirft ihn<br />
dann aber in den Papierkorb. Dann macht er sich<br />
wieder daran das Fass mit dem Alkoholiker zu<br />
verschieben. Lydia und Bernd kommen mit Steinen<br />
und Pfählen zurück.<br />
Kannst du mir mal erklären, warum ich dich jeden Tag<br />
im Gebäude neben meinem Vorlesungssaal sehe? Ich<br />
dachte du studierst Wirtschaft.<br />
Kannst du was für dich behalten?<br />
Klar doch.<br />
Ich… ich…<br />
… Ja?<br />
Ich studiere nicht Wirtschaft.<br />
Nicht Wirtschaft.<br />
Ich studiere…<br />
… Ja?<br />
Was anderes.<br />
Ja?<br />
Ich studiere Soziologie.<br />
Soziologie.<br />
Musst du mir alles nachquatschen?<br />
Nee. Tschuldige… Überrascht mich irgendwie.<br />
Bernd gibt Lydia Pfähle und Steine. Sie schichtet sie<br />
ordentlich.<br />
Was macht man denn so in Soziologie?<br />
Man erforscht das Zusammenleben der Menschen. Man<br />
versucht es zu verstehen und zu erklären.<br />
Aha.<br />
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Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 25-
Bernd<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Die Beziehungen und Verhältnisse unter den Menschen<br />
und so.<br />
Nicht schlecht hier, was?<br />
Was?<br />
Die Übungsanlage. Oder wie sagt ihr dem?<br />
Mmh.<br />
Sie arbeiten weiter.<br />
Warum erzählt du, dass du Wirtschaft studierst?<br />
Mein Vater erzählt das. Nicht ich.<br />
Warum sagst du es ihm nicht?<br />
Die Gelegenheit hat sich nie ergeben.<br />
Nie?<br />
Er hat wieder mal Konkurs gemacht. Ich wollte ihn<br />
nicht erschrecken.<br />
Und davor?<br />
Auch ein Konkurs.<br />
Und jetzt?<br />
Er ist auf der Flucht vor Gläubigern. Hier glaubt er sich<br />
in Sicherheit.<br />
Ah. Weiss er, dass du weisst, dass er auf der Flucht ist?<br />
Ne.<br />
Scheisse, das alles.<br />
Ja, scheisse.<br />
Lydia merkt auf einmal, dass Budisholzer<br />
innegehalten hat und sie beobachtet. Es ist ihr<br />
peinlich. Sie tut als wäre nichts gewesen und rückt<br />
die geschichteten Pfähle zurecht.<br />
zu Budisholzer. Wir müssen nochmals eine Ladung<br />
holen. Herr Budisholzer! Es wird jemand für das<br />
Tragen der Bretter gebraucht.<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 26-
Bernd<br />
Zullinger<br />
Zullinger<br />
Lydia<br />
Zullinger<br />
Bernd<br />
Zullinger<br />
Alkoholiker<br />
<strong>Manchmal</strong> <strong>laufen</strong> <strong>Kinder</strong> <strong>schneller</strong><br />
zu Budisholzer. Lassen Sie ihn mal sitzen wo er ist.<br />
Wir bauen die Essensstation einfach drumherum. Dann<br />
wird er sich schon verziehen.<br />
Budisholzer lässt es bleiben und folgt Bernd und<br />
Lydia. Zullinger kommt zurück. Er ist unruhig,<br />
schaut immer wieder auf sein Handy. Als er seinen<br />
Kaugummi in den Papierkorb speit, entdeckt er den<br />
Brief.<br />
Ein Krieg, ein Krieg. Etwas dramatisch, etwas gar<br />
dramatisch. Aber er würde meinen Aufenthalt<br />
verlängern. Wesentlich verlängern. Wir müssten<br />
nochmal von vorne beginnen mit der Arbeit. Er denkt<br />
nach, dann pfeift er das Kind zu sich, gibt ihm den<br />
Brief. Bring den weg.<br />
Das Kind zögert.<br />
Aber dali.<br />
Das Kind läuft mit dem Brief davon.<br />
6. Szene<br />
Ein neuer Tag. Bernd, Budisholzer und ab und zu<br />
auch Zullinger sind mit dem Bau der Schule, dem<br />
Brunnen und der Essensstation beschäftigt. Lydia<br />
leitet die Arbeiten. Der Alkoholiker schaut zu.<br />
Das Kind kommt zurück.<br />
Wo warst du so lange? Du kannst doch nicht einfach<br />
weg<strong>laufen</strong>!<br />
So seien Sie mal nicht so streng zu der Kleinen.<br />
Die Arbeit hier wäre viel zu hart für sie.<br />
<strong>Kinder</strong> sollte man nicht ausnützen für seine Belange.<br />
Setz dich an den Schreibtisch. Da kannst du malen.<br />
Zullinger weiss immer eine sinnvolle Beschäftigung für<br />
ein Kind.<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 27-
Kind<br />
Zullinger<br />
Kind<br />
Alkoholiker<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Lydia<br />
Lydia<br />
Zullinger<br />
Lydia<br />
Budisholzer<br />
Ich könnte auch schreiben.<br />
Du kannst schon schreiben? Kannst du denn auch<br />
lesen?<br />
Klar.<br />
<strong>Kinder</strong> können wirklich vielmehr als man so annimmt,<br />
nicht wahr, Herr Zullinger?<br />
Wir sollten jetzt weiter machen. Sonst schaffen wir es<br />
nie.<br />
Naja, wir wollen dann mal deine fünfzehn Punkten<br />
nicht vermasseln.<br />
Ja, Herr Ökonom.<br />
Budisholzer, Lydia und Bernd arbeiten weiter.<br />
Sie könnten auch mal, Herr Zullinger. Deutet auf eine<br />
Schaufel.<br />
Zullinger schreibt sms.<br />
Mit Häusern ist es nicht wie mit <strong>Kinder</strong>n. Sie wachsen<br />
nicht von alleine.<br />
Moment.<br />
Das Telefon von Budisholzer klingelt. Lydia scheucht<br />
das Kind vom Pult weg.<br />
Hallo… Ja, Projekt P306… Guten Tag, Herr Schindler.<br />
Ja… Sie können es mir sagen… Nein? … Ja, ist er…<br />
Einen Moment. Zu Budisholzer. Herr Budisholzer für<br />
Sie. Persönlich.<br />
greift zum Hörer. Budisholzer. Was gibt’s? Oh, Herr<br />
Doktor Schindler… Guten Tag… Ja, wir kommen gut<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
voran… danke, danke… Es war nur noch wenig<br />
vorhanden… Katastrophal… Die Arbeit wird uns nicht<br />
so schnell ausgehen… Gewiss, habe alles im Griff...<br />
Kein Problem... Das freut mich aber... Ist mir eine<br />
Ehre... Kann ich machen ja… ja, auf jeden Fall … freut<br />
mich… freut mich... Auf Wiederhören... Auf<br />
Wiederhören Herr Doktor Schindler.<br />
Er legt den Hörer auf und klatscht in die Hände.<br />
- 28-
Budisholzer<br />
Budisholzer<br />
Lydia<br />
Budisholzer<br />
Bernd<br />
Budisholzer<br />
Alkoholiker<br />
Budisholzer<br />
Alkoholiker<br />
Budisholzer<br />
Alkoholiker<br />
Budisholzer<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Budisholzer<br />
Alkoholiker<br />
<strong>Manchmal</strong> <strong>laufen</strong> <strong>Kinder</strong> <strong>schneller</strong><br />
Die aussenpolitische Delegation des Parlaments kommt<br />
zu Besuch. Sie wollen sehen, was wir für Arbeit<br />
leisten. Sie sind bereits unterwegs.<br />
Bernd und das Kind freuen sich.<br />
Baut schnell die Schule fertig.<br />
Na, na, na. Da hat wohl einer Mut geschöpft.<br />
Ich wurde beauftragt eine Rede zu schreiben. Für den<br />
Präsidenten der Delegation. Er wird sie hier halten.<br />
Macht euch an die Arbeit und lasst mich in Ruhe die<br />
Zeilen schreiben. Ich will eine schöne Schule<br />
präsentieren. Immerhin. Herr Dr. Pius Schindler. Sie<br />
werden Fotos schiessen.<br />
Bernd und das Kind jubeln.<br />
Wir werden alles schön herrichten… Wir machen ein<br />
Fest zur Eröffnung! Zum Kind. Gehe die Bänder holen.<br />
Kind ab.<br />
Der Alkoholiker muss jetzt definitiv weg… die Fotos.<br />
Wann kommen sie denn?<br />
Ehm.<br />
Wie?<br />
leise. In drei Tagen.<br />
Wie?<br />
In drei Tagen.<br />
Was, in drei Tagen? In drei Tagen schon? Und wie<br />
stellen Sie sich das vor? Wie sollen wir das denn<br />
schaffen?<br />
Wir haben erst das Fundament gelegt.<br />
Ja dann überlegt euch halt was. Das überlass ich euch.<br />
Die Säuberung gehört auch dazu. Ich kümmere mich<br />
um die Rede.<br />
Lydia lacht abschätzig auf.<br />
Halt Stopp! Das geht nicht. In drei Tagen sollen sie<br />
kommen? In drei Tagen ist Krieg.<br />
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Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 29-
Lydia<br />
Zullinger<br />
Lydia<br />
Alkoholiker<br />
Lydia<br />
Budisholzer<br />
Zullinger<br />
Bernd<br />
Budisholzer<br />
Lydia<br />
Zullinger<br />
Budisholzer<br />
Bernd<br />
Lydia<br />
Budisholzer<br />
Alkoholiker<br />
Was sagtest du da?<br />
Ou, ou, schon wieder Zoff. Zum Glück habe ich keine<br />
Tochter.<br />
Was hast du gesagt?<br />
Alle schauen zum Alkoholiker.<br />
In drei Tagen kommen die Parlamentarier. In drei<br />
Tagen ist Krieg.<br />
Warum… Zu Budisholzer. Sie haben doch nicht<br />
etwa…?<br />
… Ich habe gar nichts.<br />
zu Budisholzer. Was fällt Ihnen eigentlich ein?<br />
Das Kind. Wo war das Kind vorher?<br />
Ich habe diesen Brief nicht abgeschickt. Ehrenwort. Ich<br />
wollte es tun. Aber ich habe es nicht getan. Ich habe<br />
ihn in den Papierkorb geworfen.<br />
geht hin. Leer. Wo ist das Kind?<br />
Weg. Immer wenn man sie braucht sind sie weg die<br />
<strong>Kinder</strong>.<br />
Ehrenwort, Ehrenwort. Schaut zum Alkoholiker. Der<br />
will uns doch nur vertreiben. Immer dasselbe.<br />
Hat er schon einmal gelogen?<br />
Ha!<br />
Eine Finte! Eine Finte! Deutet auf den Alkoholiker.<br />
Der hat ihn wahrscheinlich in seinem Schnaps<br />
aufgelöst, den Brief!<br />
deutet auf Zullinger. Ich habe ihn gesehen. Er hat ihn<br />
bestellt.<br />
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Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
Zullinger Na, jetzt hören Sie aber mal. Das ist eine<br />
Verleumdung! Unverschämt. Hätte ich meinen Anwalt<br />
hier, Sie hätten ein Problem, das kann ich Ihnen aber<br />
versichern. Er nimmt ihm die Flasche weg und hält<br />
sie gegen das Licht. Reste sind noch zu erkennen.<br />
Alkoholiker Also! Nimmt die Flasche wieder an sich.<br />
- 30-
Budisholzer<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Budisholzer<br />
Zullinger<br />
Lydia<br />
Alkoholiker<br />
<strong>Manchmal</strong> <strong>laufen</strong> <strong>Kinder</strong> <strong>schneller</strong><br />
… Er will unser Projekt sprengen! Richtig sprengen!<br />
Wir müssen jetzt zusammenhalten. Wir müssen Stärke<br />
zeigen. Wir lassen uns nicht beirren. Bauen wir die<br />
Schule.<br />
Das ist unmöglich. In drei Tagen!<br />
Wir könnten den Besuch verschieben?<br />
Wir verschieben den Besuch.<br />
Budisholzer, mein Gott!<br />
Sie sind bereits unterwegs. Es ist nicht in unserer Hand<br />
den Besuch zu verschieben.<br />
Kind, in unserer Hand liegt mehr als wir glauben…<br />
Denk ich da nur an mein Leben. Die ersten dreissig<br />
Jahre wollte ich die Welt verbessern. Ich habe es getan.<br />
Ich habe demonstriert, ich habe Reden verfasst und<br />
Plakate geklebt. Ich habe meine Frau geliebt und meine<br />
Tochter vergöttert. Dann habe ich das Leben eines<br />
Trinkers gewählt. Es lag in meiner Hand. Mühevoll, es<br />
strengt ihn an. Habe zerstört was es zu zerstören gab.<br />
Ich habe den dumpfen Schmerz in meiner Brust<br />
betäubt. Schalig, bieriges Besäufnis. Halb bewusstlos<br />
vom qualmenden Rauch. Habe auf meine Frau<br />
eingedroschen, mein Kind zum Schreien gebracht, die<br />
Stube verwüstet. Ich habe Versprechen gebrochen,<br />
gelogen und beschissen. Habe getrunken bis ich mein<br />
schwitzendes Fleisch nicht mehr roch. Versoffen,<br />
stinkend und rot gerändert bin ich im Bahnhofbuffet<br />
gelandet, elendiglich schwer und traurig.<br />
Ich habe gedacht, hier ist es gut. Hier ist nichts. Und<br />
jetzt kommt ein Krieg. Vielleicht nicht schlecht. Ich<br />
werde das Elend sehen, das unverschuldete, wirkliche<br />
Elend. Drei Tage noch. Ich trinke nur Wasser. Ich will<br />
den Krieg mit klarem Verstand erleben. Klar wie<br />
Wasser, das dem Berg entspringt.<br />
Zullinger geht unruhig auf und ab.<br />
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Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 31-
Zullinger<br />
Budisholzer<br />
Zullinger<br />
Budisholzer<br />
Lydia<br />
Zullinger<br />
Budisholzer<br />
Bernd<br />
Budisholzer<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Budisholzer<br />
Lydia<br />
Ich hab's! Wir bauen nur die Fassade der Gebäude. Das<br />
schaffen wir in drei Tagen.<br />
Bessern Sie sich eigentlich nie?<br />
Ich spreche hier von Effizienz, meine Herrschaften,<br />
wenn Sie wissen, was ich meine. Sie haben gehört, es<br />
werden Fotos gemacht. "Helfer bauen eine Schule auf",<br />
wird es heissen. Und Sie wollen vor ein paar Steinen<br />
posieren? Also mich stört das nicht. Ich brauche keine<br />
Punkte. Aber aus meiner Erfahrung, die alles andere als<br />
gering ist, das kann ich Ihnen sagen, aus meiner<br />
Erfahrung also, wirkt ein Foto mit einer fertig gebauten<br />
Schule erheblich erfolgreicher als eines vor ein paar<br />
rohen Steinen.<br />
Heuchler.<br />
Stimmt die Fotos.<br />
Den Professor wird es freuen: Studentin an einem<br />
erfolgreichen Projekt beteiligt.<br />
Eine Fassade kommt nicht in Frage. Punkt.<br />
Stille.<br />
Was wollen Sie dann machen?<br />
Es gibt nun folgende Dinge zu berücksichtigen: In drei<br />
Tagen bekommen wir Besuch von der<br />
aussenpolitischen Delegation des Parlaments… Der<br />
Aushub der Bauten ist vollzogen, die Fundamente sind<br />
gesetzt. Aufgrund langwieriger Erfahrung kann aber<br />
nicht damit gerechnet werden, dass drei Personen<br />
innert drei Tagen die restliche Arbeit leisten können.<br />
Fazit: Wir sind in Verzug.<br />
Danke für die Zusammenfassung. Jetzt müssen wir uns<br />
aber entscheiden. Die Zeit ist knapp.<br />
In drei Tagen eine Schule aufzubauen ist unmöglich.<br />
Es gibt nun folgende Möglichkeiten. Erstens: Wir…<br />
… blamieren uns vor ein paar Steinen oder wir bauen<br />
die Fassade. Ich bin für die Fassade.<br />
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Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 32-
Alkoholiker<br />
Zullinger<br />
Alkoholiker<br />
Lydia<br />
Bernd<br />
Zullinger<br />
Lydia<br />
Budisholzer<br />
Lydia<br />
<strong>Manchmal</strong> <strong>laufen</strong> <strong>Kinder</strong> <strong>schneller</strong><br />
steht auf. Warum ist es so schwierig sein wahres<br />
Gesicht zu zeigen? Warum ist es so schwer zu sagen,<br />
wer man ist? Warum ist es so schwer seine Wünsche<br />
und Absichten kundzutun? Warum ist es so schwer zu<br />
seinem Unvermögen zu stehen?<br />
Es ist nicht für jeden gleich leicht zu gestehen ein<br />
versiffter, stinkender Alkoholiker zu sein. Haha.<br />
Ihr Leben, grad Ihres wäre um einiges einfacher,<br />
zeigten Sie ihr wahres Gesicht. Sie müssten nicht<br />
Lügen mit Lügen verdecken, sich verstecken oder<br />
rechtfertigen für Dinge, die Sie eigentlich gar nicht<br />
gewollt hätten.<br />
Jetzt kommt er wieder ins philosophieren. Statt zu<br />
entscheiden und zu machen, was es zu machen gibt.<br />
Wir stimmen ab. Wer ist dafür? Für die Fassade?<br />
Lydia hebt ihren Arm. Dann auch Bernd.<br />
zu Bernd. Hast du eigentlich was mit ihr?<br />
zu Zullinger. Mit Ihnen sind wir drei gegen einen.<br />
Also, los.<br />
Also, ich bin ja grundsätzlich nicht dagegen. Nicht,<br />
dass Sie meinen ich würde mich verweigern. Ich wollte<br />
nur auf die Nachteile hinweisen. Aber im Speziellen<br />
bin ich nicht absolut dagegen.<br />
Umso besser, Herr Budisholzer. Das freut uns natürlich<br />
ausserordentlich. Und nun los!<br />
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Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 33-
Budisholzer<br />
- 34-<br />
7. Szene<br />
Alles ist aufgestellt: Eine Schule, ein Brunnen, eine<br />
Essensstation (besser gesagt, deren Fassaden). Alles<br />
ist mit bunten Bändern verziert. Budisholzer liest die<br />
Rede, die er für den Präsidenten geschrieben hat, laut<br />
vor. Die Gruppe muss zuhören.<br />
Geschätzte Vertreter der ausländischen Delegation,<br />
geschätzte freiwillige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen<br />
des Projektes P306, Zum Alkoholiker. ...sehr geehrter<br />
Besucher.<br />
Ich heisse Sie alle herzlich willkommen und danke für<br />
Ihre Anwesenheit. Speziell begrüssen möchte ich<br />
unseren werten Herrn Konrad M. Budisholzer. Er zeigt<br />
auf sich. Herr Budisholzer ist zuständig für Strategie<br />
und Umsetzung in internationalen Angelegenheiten.<br />
Leiter dieses grossartigen, erfolgreichen und<br />
wegweisenden Projektes. Wir verdanken ihm auch die<br />
Organisation dieses ganz speziellen Anlasses. Ich freue<br />
mich, ihm im Namen aller zu danken, zu danken für<br />
sein immerzu wertvolles Engagement in diesem<br />
äusserst anspruchsvollen Umfeld. Keiner hätte die<br />
Arbeit besser tun können.<br />
Ein Krieg ist ein Übel, von Mensch geschaffen,<br />
grausam und elendiglich. Er zerstört Existenzen, er<br />
zerstört Hoffnungen, er zerstört Träume einer ganzen<br />
Generation. Und doch, trotz des Übels und des<br />
Grauens, gibt es einen Schimmer Hoffnung. Einen<br />
Schimmer Hoffnung, den Sie - meine sehr verehrten<br />
Anwesenden - verkörpern. Menschen wie Sie sind es,<br />
die trotz aller Grausamkeiten die Hoffnung für das<br />
Gute im Menschen nicht verlieren, die Arbeit nicht<br />
scheuen, um Unschuldigen zu helfen. Zur Delegation.<br />
Menschen wie Sie sind es, die Geld für Schulen,<br />
Spitäler und Gemeindehäuser sprechen Zu den<br />
Helfern. ...und Menschen wie Sie sind es, die<br />
eigenhändig mit ihren blossen Händen und all ihrer<br />
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Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.
Budisholzer<br />
Budisholzer<br />
Alkoholiker<br />
Kind<br />
Budisholzer<br />
Lydia<br />
Budisholzer<br />
Kind<br />
Budisholzer<br />
Alkoholiker<br />
Kind<br />
Budisholzer<br />
Kind<br />
Lydia<br />
Kind<br />
<strong>Manchmal</strong> <strong>laufen</strong> <strong>Kinder</strong> <strong>schneller</strong><br />
Kraft die Gebäude und damit die Zukunft der<br />
Menschen hier wiederaufbauen. Zur Gruppe. Jetzt ein<br />
Applaus.<br />
Die Gruppe applaudiert.<br />
Es ist mir eine Freude, dass mir die Ehre zugedacht<br />
wird das Eröffnungsband zu zerschneiden. Das<br />
Eröffnungsband für die Einweihung der Schule. Ich<br />
denke, werte Anwesende, es ist auch in Ihrem Sinne,<br />
wenn ich diesen Akt unserem verdienstvollen Herrn<br />
Budisholzer überlasse, als Dank für seine unbeirrte<br />
Arbeit im Dienste unseres Staates… Zur Gruppe. Jetzt<br />
der lang anhaltende Schlussapplaus.<br />
Die Gruppe applaudiert.<br />
Und?<br />
Ich würde es den Präsidenten der Delegation selber tun<br />
lassen. Das Band zerschneiden, meine ich.<br />
Mam, ich habe Hunger.<br />
Ich werde sehen, ob ich eventuell noch kleine<br />
Korrekturen vornehme.<br />
Kochen wir etwas Reis. Ist ja alles da.<br />
Halt, kommt nicht in Frage. Die Kisten müssen beim<br />
Besuch der Parlamentarier voll sein.<br />
Ich habe Hunger. Und Durst habe ich auch.<br />
Die Kisten bleiben zu! Das ist ein Befehl. Wir können<br />
nicht Vorräte essen, die für Kriegsgeschädigte sind.<br />
So ist es, zuerst müssen die Bomben fallen, dann gibt<br />
es essen.<br />
Wann ist endlich Krieg?<br />
Es gibt keinen Krieg. Jetzt kommen die Parlamentarier.<br />
Dann krieg ich was zu essen?<br />
Du hast gehört, der Chef sagt, nach dem Besuch der<br />
Parlamentarier. Geh nun bitte an deinen Platz.<br />
Wo ist mein Platz?<br />
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Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 35-
Budisholzer<br />
Setz dich in die Schule und schreibe etwas.<br />
Das Kind setzt sich hinter das Fenster der Schule.<br />
Budisholzer spannt als Letztes das Eröffnungsband.<br />
Ein Fotograf kommt.<br />
Fotograf Guten Tag. Ist hier das Wiederaufbauprojekt P306?<br />
Budisholzer geschwinde. Ja, das sind wir. Sie sind die Vorhut der<br />
Delegation? Zu den anderen seine Wichtigkeit<br />
hervortuend. Von der Presse, nehme ich an.<br />
Fotograf Bideau, Pressefotograf. Ich soll hier Fotos schiessen.<br />
Budisholzer Ah, der Zeitungsbericht. Sehr gut, sehr gut!<br />
Fotograf Schön habe Sie es hier.<br />
Budisholzer Naja. So soll es sein. Die Kriegsgeschädigten haben es<br />
verdient.<br />
Fotograf Sogar eine erste Schülerin ist schon da. Herzig. Ist sie<br />
echt?<br />
Budisholzer Klar.<br />
Fotograf zur Gruppe. Dann wollen wir gerade beginnen. Die<br />
Sonne geht schon bald unter. Wenn Sie sich alle mal<br />
vor die Schule stellen würden.<br />
Budisholzer, Lydia und Bernd stellen sich vor der<br />
Schule auf. Der Fotograf macht Bilder.<br />
Fotograf zu Zullinger. Der Herr… Sie im Hemd bitte. Würden<br />
Sie sich auch noch zu den anderen stellen?<br />
Zullinger Ich verzichte. Ich muss mich nicht in den Zeitungen<br />
sehen.<br />
Bernd Vater, du bist doch sonst auch nicht kamerascheu.<br />
Komm jetzt, das ist unsere gemeinsame Arbeit. Oder<br />
hast du etwas zu verbergen?<br />
Zullinger Ich habe es nicht nötig der Mitwelt mitzuteilen, was ich<br />
Gutes leiste.<br />
Fotograf Und was ist mit Ihnen?<br />
Budisholzer Er hat nichts geleistet.<br />
Fotograf Egal. Ich brauche Leute auf meinen Bildern.<br />
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Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 36-
Alkoholiker<br />
Budisholzer<br />
Fotograf<br />
Budisholzer<br />
Zullinger<br />
Budisholzer<br />
Alkoholiker<br />
Zullinger<br />
Budisholzer<br />
Fotograf<br />
Zullinger<br />
Alkoholiker<br />
Fotograf<br />
Lydia<br />
Alkoholiker<br />
Lydia<br />
<strong>Manchmal</strong> <strong>laufen</strong> <strong>Kinder</strong> <strong>schneller</strong><br />
Ne, lass Sie mal. Er hat Recht.<br />
Der Fotograf beginnt zu knipsen.<br />
Wann kommt der Präsident mit der Delegation?<br />
Der kommt nicht. Sie haben mich geschickt. Ich mache<br />
ein paar Fotos, lass mir die Rede geben und schnipsle<br />
das zu Hause zusammen. Digital. Rein digital. Am<br />
Computer kein Problem. Mit der heutigen Informatik,<br />
Sie wissen ja. Wäre ja reine Zeitverschwendung,<br />
müsste der Präsident an jeden Ort selber hinreisen.<br />
Lacht. Ich schneid ihn dann auf das Foto. Rein digital,<br />
wie gesagt.<br />
Rein digital, rein digital. Das gibt’s doch nicht!<br />
Eine effiziente Methode, mir gefällt‘s.<br />
Heuchelei, Zullinger, abartige verfluchte Heuchelei!<br />
Da wird den Lesern etwas vorgegaukelt, was nicht ist.<br />
Ja, was ist eigentlich hier? Und was kümmert ihr euch<br />
um die Leser? Hauptsache ihr wisst, dass ihr etwas<br />
Gutes tut. Das sollte reichen, nicht?<br />
Ich habe mich noch nie darum gekümmert, was andere<br />
von mir halten.<br />
Das glaub ich Ihnen zu hundert Prozent. Zum<br />
Fotograf. Verantwortungslos sind sie. Egoistisch.<br />
Meine Herrschaften. Ich muss. Ich habe nicht ewig<br />
Zeit.<br />
Die haben wir alle nicht.<br />
steht auf und schiebt sein Fass davon. Ja, die haben<br />
wir nicht.<br />
Können wir weitermachen?<br />
Vater? Wo gehst du hin?<br />
Komm Lydia, es wird dunkel und Zeit, wir sollten<br />
gehen. Nimm das Kind mit.<br />
Warum, was ist?<br />
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Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 37-
Fotograf<br />
Alkoholiker<br />
Lydia<br />
Alkoholiker<br />
Lydia<br />
Fotograf<br />
Alkoholiker<br />
Fotograf<br />
Alkoholiker<br />
Lydia<br />
Fotograf<br />
Fotograf<br />
Jetzt bleiben alle mal hier. Herrgott nochmals. Ist das<br />
ein undisziplinierter Haufen. Stellen Sie sich um den<br />
Brunnen auf.<br />
Lydia.<br />
Zuerst wolltest du unbedingt bleiben und jetzt willst du<br />
weg. Zur ungünstigsten Zeit. Aber geh. Geh nur. Ich<br />
kann selber zu mir schauen.<br />
Lydia. Ich sage es dir als Vater. Komm.<br />
Ich will das hier jetzt zu Ende bringen.<br />
Die Gruppe lässt sich vom Fotografen vor den<br />
Brunnen schieben. Er drückt Budisholzer eine<br />
Schaufel in die Hand.<br />
zu Lydia. Knien Sie bitte vor den Brunnen.<br />
Lydia!<br />
zu Bernd. Sie schmieren sich noch ein wenig Sand an<br />
den Kopf.<br />
Lydia!<br />
Du nervst.<br />
Lydia, Bernd, Budisholzer und das Kind formieren<br />
sich immer neu.<br />
Jetzt, in der Mitte bitte eine Lücke offen lassen, dann<br />
kann ich zu Hause den Präsidenten reinschneiden. Er<br />
schiesst einige Fotos. Nun das Händeschütteln. Stellen<br />
Sie sich bitte in eine Reihe und strecken sie die Hand<br />
aus, als ob Sie die Mitglieder der Delegation begrüssen<br />
würden.<br />
Der Fotograf wählt den Bildausschnitt so, dass nur<br />
die Hände der Helfer sichtbar sind. Er macht noch<br />
einige Fotos von der Fassade.<br />
Die Fassade ist sensationell! Das nächste Mal machen<br />
wir das in Zürich. Dann kann ich mir die Reiserei<br />
sparen. Zu Budisholzer. Stecken Sie mir die Rede bitte<br />
in meine Tasche.<br />
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Kein Aufführungsrecht.<br />
- 38-
Budisholzer<br />
Alkoholiker<br />
Fotograf<br />
Budisholzer<br />
Fotograf<br />
Bernd<br />
Budisholzer<br />
Fotograf<br />
Budisholzer<br />
Budisholzer<br />
Alkoholiker<br />
Budisholzer<br />
Alkoholiker<br />
Fotograf<br />
Budisholzer<br />
<strong>Manchmal</strong> <strong>laufen</strong> <strong>Kinder</strong> <strong>schneller</strong><br />
zögert. Eigentlich war die Rede zum Halten gedacht.<br />
Er schaut zum Eröffnungsband. Das Eröffnungsband.<br />
Lydia. Jetzt komm.<br />
Richtig, das Band muss noch zerschnitten werden.<br />
Habt Ihr Champagner dabei?<br />
Zum Anstossen, so richtig?<br />
Genau, so richtig.<br />
Becher hätten wir.<br />
Die Gruppe schaut zum Fass.<br />
Und einen guten Schluck haben wir selbstverständlich<br />
auch!<br />
Na dann! Machen wir noch ein paar Fotos mit dem<br />
Champagner.<br />
Bernd, hol die Becher. Ich kläre das mit dem<br />
Champagner.<br />
Budisholzer geht zum Alkoholiker.<br />
Entschuldigen Sie, wäre es möglich, dass wir ein paar<br />
Schlucke aus Ihrem Fass haben könnten, bevor Sie<br />
gehen?<br />
Ich muss los.<br />
Wir brauchen nicht viel. Grinst. Ist ja wertvoll, ihr<br />
Getränk.<br />
Aber dann schnell.<br />
Bernd reicht Budisholzer die Becher. Er füllt sie auf<br />
und verteilt sie an die Gruppe. Dem Kind gibt er<br />
einen leeren Becher.<br />
So, jetzt stellen Sie sich hinter das Eröffnungsband auf.<br />
Reicht Budisholzer eine Schere. Und rückt ihn vor<br />
dem Band zurecht. Darf ich Sie bitten? Ziehen Sie ihre<br />
Hand ein wenig zurück. Ich schneide dann des<br />
Präsidenten Hand hinein.<br />
Aber laut der Rede soll ich das Band zerschneiden.<br />
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Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
- 39-
Fotograf<br />
Budisholzer<br />
Zullinger<br />
Budisholzer<br />
Fotograf<br />
Lydia<br />
Alkoholiker<br />
Bernd<br />
Alkoholiker<br />
Budisholzer<br />
Zullinger<br />
Budisholzer<br />
Fotograf<br />
Bernd<br />
Zullinger<br />
Alkoholiker<br />
Alkoholiker<br />
Fotograf<br />
Zullinger<br />
Kind<br />
Zullinger<br />
Keine Bange. Die Rede wird noch redigiert. Schiesst<br />
die Fotos. So, jetzt können Sie anstossen.<br />
Die Gruppe stösst an und trinkt. Der Fotograf knipst.<br />
Phu. Was ist denn das?<br />
Wasser. Simples Wasser.<br />
Verdammt noch mal. Warum ist das Wasser?<br />
Lächeln bitte.<br />
zum Vater. Du trinkst wirklich Wasser?<br />
Ja, ich sagte es doch. Er wird immer nervöser.<br />
Das ist Wasser wirklich. Pures Wasser.<br />
zu Lydia. Komm jetzt.<br />
Verdammt. Er hat nicht gelogen.<br />
Ja und?<br />
Lydia gibt dem Kind den Rest ihres Bechers.<br />
Der Krieg. Er hat gesagt es komme ein Krieg.<br />
Lächeln bitte!<br />
Scheisse, ich will nicht sterben!!!<br />
Beruhige dich. Er kommt nicht jetzt. Wenn er kommt,<br />
dann kommt er später.<br />
Lydia! Zum letzten Mal!<br />
8. Szene<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
Von weitem ertönen Flugzeuggeräusche. Sie kommen<br />
immer näher.<br />
Mein Gott.<br />
Was ist das?<br />
Warum Herrgottnochmal kommen die schon jetzt?<br />
Was kommt schon jetzt?<br />
zum Kind. Bist du eigentlich gerannt oder was?<br />
- 40-
Lydia<br />
Alkoholiker<br />
Lydia<br />
Lydia<br />
Alkoholiker<br />
Lydia<br />
Alkoholiker<br />
<strong>Manchmal</strong> <strong>laufen</strong> <strong>Kinder</strong> <strong>schneller</strong><br />
Ich will weg hier. Sie greift hastig nach ihrem<br />
Rucksack und dem Kind.<br />
Zu spät. Rollt das Fass an den Rand.<br />
Die Flugzeuggeräusche werden immer lauter.<br />
Schnell schützt euch!<br />
Das Kind reist sich los und rennt davon.<br />
Schützt euch!<br />
Hier, hinter das Fass.<br />
Sie vergraben sich hastig im Sand. Es wird dunkel.<br />
Der Lärm wird lauter. Bernd packt seinen Rucksack<br />
und rennt davon.<br />
Bernd!<br />
Sie will ihm nach, fällt über das Bein des Vaters und<br />
bleibt liegen. Bernd kommt zurück, reist sie auf und<br />
mit. Dann sind die Flugzeuge da und bombardieren<br />
die Bauten. Der Lärm ist ohrenbetäubend. Sie<br />
entfernen sich, kommen zurück, bombardieren<br />
nochmals und entfernen sich dann endgültig.<br />
Lange Stille.<br />
Ein Handy vibriert.<br />
Lange Stille.<br />
Eine SMS piepst.<br />
9. Szene<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
Die Bauten und das Mobiliar sind zerstört. Einzig das<br />
Fass ist unbeschadet. Der Alkoholiker hat es wieder<br />
in die Mitte gerollt, sitzt darauf, trinkt und schaut.<br />
Budisholzer gräbt, dort wo Zullinger vor dem<br />
Bombenangriff stand, ein Holzkreuz aus zwei<br />
zerbrochenen Holzlatten in den Sand.<br />
Beruhigend aussen zu sehen, was innen ist.<br />
Nippt an der Flasche.<br />
- 41-
Budisholzer Ich habe Durst. Dröhnenden Durst. Zum Alkoholiker.<br />
Kann ich einen Schluck aus dem Fass haben?<br />
Alkoholiker Es hat nicht mehr viel.<br />
Budisholzer füllt sich aus dem Fass die Hände und<br />
trinkt gierig.<br />
Budisholzer Warum trinken Sie das Wasser aus einer<br />
Schnapsflasche?<br />
Alkoholiker Ich brauche sie in meiner Nähe. Wie eine Liebste, die<br />
mir Wärme und Sicherheit gibt.<br />
Budisholzer So werden Sie nie davon loskommen. Nichts ist<br />
unerträglicher als die Liebste immer vor den Augen<br />
haben und zu wissen, dass man sie niemals wieder<br />
anfassen darf. So nah und doch unendlich weit. Der<br />
Schmerz zerfrisst.<br />
Alkoholiker Was wissen Sie schon davon.<br />
Budisholzer Dieses ständige erinnert werden. Es hindert einen,<br />
etwas Neues zu beginnen.<br />
Stille.<br />
Budisholzer Man sollte das, was man aufgeben muss nicht ständig<br />
vor Augen haben. Weg, alles weg tun sollte man, was<br />
erinnert. Er beginnt nach den Fotos seiner Familie zu<br />
suchen und liest sie auf. Vernichten.<br />
Alkoholiker Was wissen Sie schon von Schmerz, von Verlust? Eine<br />
Familie wie aus dem Bilderbuch. Frau und <strong>Kinder</strong>. Ein<br />
paar Tage Wanderung nur entfernt.<br />
Budisholzer nimmt die Fotos. Das macht es noch viel schwieriger.<br />
Einen Traum, den man selber zerstört hat. Weg, weg<br />
müssen sie. Der Anblick tut nur weh. Er wirft die<br />
Fotos in die Trümmer und deckt sie zu. Er gräbt sich<br />
in Wut. Nur weil sie jedermann ihr Leid kundtun, ist es<br />
nicht grösser, nicht gewichtiger als der Schmerz derer,<br />
die nicht von dem ihrem erzählen… Nein, ganz im<br />
Gegenteil. Die nicht erzählte Verzweiflung ist<br />
erdrückender, weil ungeachtet und ungehört.<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
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Alkoholiker<br />
Alkoholiker<br />
Budisholzer<br />
Alkoholiker<br />
Budisholzer<br />
Alkoholiker<br />
Budisholzer<br />
Alkoholiker<br />
Budisholzer<br />
Budisholzer<br />
Alkoholiker<br />
<strong>Manchmal</strong> <strong>laufen</strong> <strong>Kinder</strong> <strong>schneller</strong><br />
So? Und jetzt sind sie weg die Erinnerungen? Die<br />
Traurigkeit? Fühlt es sich nun leichter an, mit der<br />
weggeschaufelten, vergrabenen Familie?<br />
Budisholzerschaut ihn nicht an.<br />
Sie bleiben dir. Und wenn du sie verbrennen würdest,<br />
sie bleiben dir. In deinem Herzen, in deinem Kopf…<br />
Ob du sie nun vergräbst oder verbrennst. Du kannst sie<br />
ebenso gut neben dir lassen. Auf deinem Pult oder<br />
Deutet auf die Flasche. ...in deiner Hand. Es ändert<br />
sich nichts.<br />
Und wie soll man das ertragen?<br />
Ich weiss es nicht. Ich war daran es herauszufinden.<br />
Stille.<br />
Kann ich bleiben?<br />
Ich brauche Ruhe.<br />
Ich kann schweigen.<br />
Budisholzer will sich neben ihn setzen.<br />
Ich brauche Einsamkeit.<br />
Ich setze mich da rüber.<br />
Budisholzer setzt sich an den Rand. Die beiden<br />
verharren still.<br />
10. Szene<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
Budisholzer hat den Telefonhörer in der Hand. Der<br />
Draht verschwindet irgendwo im Sand.<br />
Auf Wiederhören… ja, danke… Ja. Adieu. Hängt auf.<br />
Eine Katastrophe! Ein ganzes Dorf muss wieder<br />
aufgebaut werden. In einer grausamen Bombennacht<br />
wurde alles niedergewalzt. Tote, man weiss nicht wie<br />
viele. Die Bevölkerung ist geflohen.<br />
Schlimm, die Welt.<br />
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Budisholzer<br />
Alkoholiker<br />
Budisholzer<br />
Budisholzer<br />
Alkoholiker<br />
Budisholzer<br />
Budisholzer<br />
Budisholzer<br />
Budisholzer<br />
Ich muss mich sofort bereitmachen. Beginnt Locher,<br />
Bostich und Schreibstifte einzusammeln. Hält inne.<br />
Das Fass könnte ich für den Hilfseinsatz gebrauchen…<br />
Alles wurde zerstört… Die haben nichts mehr.<br />
erhebt sich. Wenn ich nachher meine Ruhe habe.<br />
Ich danke Ihnen im Namen der Regierung. Wenn Sie<br />
mir noch rasch helfen könnten?<br />
Budisholzer beginnt mit Hilfe des Alkoholikers das<br />
Fass zu verschieben.<br />
Gut hier. Stopp.<br />
Ich kann Sie noch ein Stück begleiten.<br />
Den Stuhl bitte.<br />
Der Alkoholiker will etwas sagen, aber es kommt kein<br />
Laut. Budisholzer holt ein Stück Holz, das an einen<br />
Stuhl erinnert.<br />
Die Stifte.<br />
Der Alkoholiker, regungslos und geschockt.<br />
Budisholzer nimmt die Stifte, den Bostitch und den<br />
Locher und richtet die Sachen ordentlich auf dem<br />
Fass aus.<br />
Die Flasche.<br />
Der Alkoholiker immer noch erstarrt. Budisholzer<br />
nimmt ihm die gut gefüllte Flasche, die der in eine<br />
Seitentasche seiner Hose gesteckt hat, weg.<br />
setzt sich. Danke, Sie können jetzt gehen.<br />
© Teaterverlag Elgg in Belp.<br />
Kein Bearbeitungs- und Kopierrecht.<br />
Kein Aufführungsrecht.<br />
Licht aus.<br />
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