Ausgabe 11/2012 13. Jahrgang - hrr-strafrecht.de
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Aufsätze und Anmerkungen Schwan/Andrzejewski– Zum Zeugnisverweigerungsrecht von Angehörigen bei Mitbeschuldigten<br />
Aufsätze und Anmerkungen<br />
Zur Reichweite <strong>de</strong>s Zeugnisverweigerungsrechts von<br />
Angehörigen gemäß § 52 StPO bei Mitbeschuldigten<br />
Anmerkung zum Beschluss <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sgerichtshofs vom 14. Dezember 20<strong>11</strong> (BGH 5<br />
StR 434/<strong>11</strong>) = HRRS <strong>2012</strong> Nr. 121<br />
Von Wiss. Mit. Alexandra Schwan, Freie Universität Berlin, und Wiss. Mit. Nils Andrzejewski,<br />
Humboldt-Universität zu Berlin*<br />
I. Problemstellung<br />
Wer<strong>de</strong>n mehrere Personen <strong>de</strong>r Beteiligung an einer prozessualen<br />
Tat beschuldigt, so stellt sich häufig das Problem,<br />
ob Angehörige eines Beschuldigten sich auch im<br />
Verhältnis zu an<strong>de</strong>ren Beschuldigten auf § 52 StPO berufen<br />
können. Weitgehen<strong>de</strong> Einigkeit besteht darin, dass in<br />
einem gegen mehrere Beschuldigte geführten Verfahren<br />
die Zeugnisverweigerung auch gegenüber <strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>n<br />
Zeugen nicht verwandten Beschuldigten wirkt. Dies trägt<br />
<strong>de</strong>m Umstand Rechnung, dass das Zeugnisverweigerungsrecht<br />
in einem Verfahren nicht teilbar ist. 1 Umstritten<br />
ist jedoch, wie es sich bei formal getrennten Verfahren<br />
verhält.<br />
II. Ständige Rechtsprechung<br />
Nach bisher ständiger Rechtsprechung besteht ein Zeugnisverweigerungsrecht<br />
<strong>de</strong>s Angehörigen nach § 52 StPO<br />
in einem Verfahren gegen einen Mitbeschuldigten immer<br />
dann, wenn das Verfahren gegen ihn und <strong>de</strong>n angehörigen<br />
Beschuldigten in irgen<strong>de</strong>inem Verfahrensabschnitt<br />
als gemeinsames Verfahren wegen <strong>de</strong>rselben prozessualen<br />
Tat geführt wur<strong>de</strong>. 2 Bereits das Reichsgericht machte<br />
die Eigenschaft als Mitbeschuldigter von einer in irgen<strong>de</strong>inem<br />
Prozessstadium bestehen<strong>de</strong>n prozessualen Gemeinsamkeit<br />
abhängig. 3 Der Bun<strong>de</strong>sgerichtshof führte<br />
diese Rechtsprechung zum Zeugnisverweigerungsrecht<br />
fort, schloss aber nach und nach Fälle aus, bei <strong>de</strong>nen<br />
nach seiner Auffassung eine Zwangslage <strong>de</strong>s angehörigen<br />
Zeugen nicht mehr besteht. Dazu gehören <strong>de</strong>r Tod <strong>de</strong>s<br />
angehörigen Beschuldigten 4 , <strong>de</strong>ssen rechtskräftige Verurteilung<br />
5 beziehungsweise sein Freispruch 6 o<strong>de</strong>r auch<br />
* Die Verfasser danken Prof. Dr. Gerhard Seher, Freie Universität<br />
Berlin, für wertvolle Anregungen.<br />
1 KK-Senge, StPO, 6. Aufl. (2008), § 52 Rn. 6.<br />
2 BGH NJW 1974, 758 f.; BGHSt 34, 139 ff.; BGHSt 34,<br />
215 ff.<br />
3 RGSt 27, 270, 271; 32, 72, 73; 33, 350, 351.<br />
4 BGH NStZ 1992, 291, 292.<br />
5 BGHSt 38, 96, 101.<br />
HRRS November <strong>2012</strong> (<strong>11</strong>/<strong>2012</strong>)<br />
eine Verfahrenseinstellung nach § 154 StPO 7 . Der<br />
4. Strafsenat <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>sgerichtshofs bestätigte diese<br />
Rechtsprechung zuletzt am 8. Dezember 20<strong>11</strong>. 8<br />
III. Der Beschluss <strong>de</strong>s BGH vom 14.<br />
Dezember 20<strong>11</strong> (BGH 5 StR 434/<strong>11</strong>)<br />
In seinem Beschluss vom 14. Dezember 20<strong>11</strong> <strong>de</strong>utet <strong>de</strong>r<br />
5. Strafsenat jedoch Zweifel an <strong>de</strong>r nach seiner Auffassung<br />
„überkommenen“ bisherigen Rechtsprechung zum<br />
Weiterbestehen <strong>de</strong>s Zeugnisverweigerungsrechts nach<br />
Verfahrenstrennung an. Dabei bezieht sich <strong>de</strong>r Senat<br />
insbeson<strong>de</strong>re darauf, dass in an<strong>de</strong>ren Zusammenhängen,<br />
namentlich <strong>de</strong>r Inkompatibilität von Zeugen- und Beschuldigtenrolle,<br />
allein auf die Verfahrensverbindung<br />
zum Zeitpunkt <strong>de</strong>r Beurteilung und nicht auf eine möglicherweise<br />
früher einmal gegebene prozessuale Gemeinsamkeit<br />
abgestellt wer<strong>de</strong>. 9 Der Senat befürwortet<br />
eine mit diesem „allgemeinen Mitbeschuldigtenbegriff“<br />
harmonieren<strong>de</strong> Auslegung und meint, das Zeugnisverweigerungsrecht<br />
gegenüber einem Mitbeschuldigten<br />
könne „nur so lange Bestand haben, wie sich das Verfahren<br />
im Zeitpunkt <strong>de</strong>r Entscheidung über das Verweigerungsrecht<br />
noch gegen einen Angehörigen richtet“.<br />
Nach Abtrennung <strong>de</strong>r Verfahren wür<strong>de</strong> ein weiter bestehen<strong>de</strong>s<br />
Verweigerungsrecht <strong>de</strong>n Nichtangehörigen<br />
lediglich als Reflexwirkung begünstigen. Zu<strong>de</strong>m hänge<br />
das Vorliegen eines Zeugnisverweigerungsrechts von<br />
Zufälligkeiten im Verfahrensablauf ab und führe nach<br />
Ansicht <strong>de</strong>s Senats somit zu unbefriedigen<strong>de</strong>n und die<br />
Wahrheitsermittlung erheblich erschweren<strong>de</strong>n Konsequenzen.<br />
In getrennten Verfahren sei <strong>de</strong>r angehörige<br />
Zeuge außer<strong>de</strong>m ausreichend über § 55 StPO geschützt.<br />
10<br />
6 BGH NStZ 1993, 500, 501.<br />
7 BGHSt 54, 1, 5 ff. = HRRS 2009 Nr. 570.<br />
8 BGH NStZ <strong>2012</strong>, 340 f. = HRRS <strong>2012</strong> Nr. 169.<br />
9 Vgl. Eisenberg, Beweisrecht <strong>de</strong>r StPO, 7. Aufl. (20<strong>11</strong>),<br />
Rn. 928.<br />
10 BGH NStZ <strong>2012</strong>, 221, 222 = HRRS <strong>2012</strong> Nr. 121.<br />
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