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Ausgabe 11/2012 13. Jahrgang - hrr-strafrecht.de

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Aufsätze und Anmerkungen Schwan/Andrzejewski– Zum Zeugnisverweigerungsrecht von Angehörigen bei Mitbeschuldigten<br />

er in <strong>de</strong>m Verfahren aussagen soll, das unmittelbar gegen<br />

seinen Angehörigen geführt wird, o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>m Strafverfahren,<br />

das sich auf dieselbe Tat bezieht, aber gegen<br />

einen an<strong>de</strong>ren Beschuldigten gerichtet ist. 25 Sinn und<br />

Zweck <strong>de</strong>s § 52 StPO sprechen daher erst einmal für die<br />

Erstreckung auf Mitbeschuldigte unabhängig von <strong>de</strong>r<br />

Verfahrensführung. 26 Zweitens wird <strong>de</strong>r Mitbeschuldigte,<br />

in <strong>de</strong>ssen Verfahren <strong>de</strong>r mit einem weiteren Beschuldigten<br />

verwandte Zeuge aussagen soll, die begreifliche Befürchtung<br />

haben, dass <strong>de</strong>r grundsätzlich bestehen<strong>de</strong> –<br />

und nur durch § 55 StPO zurückgenommene – Aussagezwang<br />

<strong>de</strong>n Zeugen zur Entlastung seines Angehörigen<br />

auf Kosten <strong>de</strong>s Mitbeschuldigten veranlassen wird. 27<br />

Drittens lädt die Abhängigkeit <strong>de</strong>s Zeugnisverweigerungsrechts<br />

von <strong>de</strong>r prozessualen Verbindung die Strafverfolgungsbehör<strong>de</strong>n<br />

gera<strong>de</strong>zu ein, die Verfahrensverbindung<br />

und -trennung zu instrumentalisieren. 28<br />

Dennoch wird man letztendlich <strong>de</strong>m vom 5. Strafsenat<br />

favorisierten formellen Beschuldigtenbegriff folgen müssen.<br />

Dieser hat schon <strong>de</strong>n Vorzug, dass er mit <strong>de</strong>r ebenfalls<br />

rein formellen Bestimmung <strong>de</strong>s Mitbeschuldigten<br />

bei <strong>de</strong>r Abgrenzung zwischen Zeugen- und Beschuldigtenrolle<br />

übereinstimmt. 29<br />

Ausschlaggebend ist jedoch, dass die gesetzlichen Belehrungspflichten<br />

in einer Weise ausgestaltet sein müssen,<br />

dass es <strong>de</strong>r Vernehmungsperson möglich ist, Bestehen<br />

o<strong>de</strong>r Nichtbestehen eines Zeugnisverweigerungsrechts<br />

ohne Weiteres zu ermitteln. 30 Der Bun<strong>de</strong>sgerichtshof hat<br />

daher in einer früheren Entscheidung mit Recht verlangt,<br />

dass „[d]er erkennen<strong>de</strong> Richter [...] in <strong>de</strong>r Hauptverhandlung<br />

in <strong>de</strong>r Lage sein [muss], ohne zeitrauben<strong>de</strong>s<br />

Studium umfangreicher Ermittlungsakten sofort zu entschei<strong>de</strong>n,<br />

ob [...] einem zu vernehmen<strong>de</strong>n Zeugen ein<br />

Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 StPO zusteht o<strong>de</strong>r<br />

nicht“. 31 Das kann nur über eine formalisierte Auslegung<br />

<strong>de</strong>s § 52 StPO geschehen, <strong>de</strong>nn ob gegen einen an<strong>de</strong>ren<br />

Tatverdächtigen ein weiteres Strafverfahren geführt wird,<br />

wird sich oftmals <strong>de</strong>r Kenntnis <strong>de</strong>r Vernehmungsperson<br />

entziehen.<br />

Weiterhin vermei<strong>de</strong>t ein rein formeller Beschuldigtenbegriff<br />

die Wertungswi<strong>de</strong>rsprüche, die auftreten, wenn<br />

gegen zwei miteinan<strong>de</strong>r verwandte Beschuldigte und eine<br />

weitere Person ermittelt wird – eine solche Konstellation<br />

lag auch <strong>de</strong>r hier besprochenen Entscheidung zugrun<strong>de</strong>. 32<br />

Dann nämlich verschaffen sich die miteinan<strong>de</strong>r verwandten<br />

Beschuldigten wechselseitig ein Zeugnisverweigerungsrecht<br />

aus § 52 StPO, wenn sie als Zeugen im Verfahren<br />

gegen <strong>de</strong>n dritten Beschuldigten gela<strong>de</strong>n sind.<br />

Dem mit nieman<strong>de</strong>m verwandte Beschuldigte stün<strong>de</strong><br />

hingegen nur die Berufung auf § 55 StPO im Verfahren<br />

gegen die bei<strong>de</strong>n miteinan<strong>de</strong>r verwandten Beschuldigten<br />

25 Satzger, in: Festschrift für Schöch (2010), S. 919.<br />

26 Prittwitz NStZ 1986, 64, 65 f.<br />

27 Satzger, a.a.O (Fn. 25), S. 919; Bertheau StV 2010, 6<strong>11</strong>, 612<br />

– es ist freilich umstritten, ob dieses Interesse <strong>de</strong>s Mitbeschuldigten<br />

vom Schutzzweck <strong>de</strong>s § 52 StPO umfasst ist.<br />

28 Kühne, StPO, 8. Aufl. (2010), Rn. 821.1.<br />

29 Fischer JZ 1992, 570, 575.<br />

30 So auch in an<strong>de</strong>rem Zusammenhang: BGHSt 22, 187, 190.<br />

31 BGHSt 34, 215, 217.<br />

32 Eine ähnliche Situation lag schon bei BGH 1 StR 199/89,<br />

Beschluss v. 2. Mai 1989, vor.<br />

HRRS November <strong>2012</strong> (<strong>11</strong>/<strong>2012</strong>)<br />

zu, obwohl sein Interesse an einer umfassen<strong>de</strong>n Zeugnisverweigerung<br />

nicht geringer einzuschätzen ist. 33<br />

Die vom 5. Strafsenat vertretene Auffassung vom Zeugnisverweigerungsrecht<br />

bei mehreren Beschuldigten fügt<br />

sich auch besser in das vom Gesetz vorgesehene Verhältnis<br />

von § 52 StPO und § 55 StPO ein: auf <strong>de</strong>r einen Seite<br />

sieht § 52 StPO in schematisieren<strong>de</strong>r Weise einen Schutz<br />

<strong>de</strong>s angehörigen Zeugen vor <strong>de</strong>r wichtigsten (potenziellen)<br />

Konfliktlage vor, dies wird an<strong>de</strong>rerseits durch<br />

§ 55 StPO ergänzt, <strong>de</strong>r in allen weiteren aktuellen Konfliktlagen<br />

einen begrenzten Schutz <strong>de</strong>s Zeugen vorsieht.<br />

Den oben genannten Einwän<strong>de</strong>n gegen ein solches Zurücknehmen<br />

<strong>de</strong>s Angehörigenschutzes kann – bis zu<br />

einem gewissen Grad – mit Verweis auf § 55 StPO begegnet<br />

wer<strong>de</strong>n. Häufig wird sich das Auskunftsverweigerungsrecht<br />

faktisch zu einem Zeugnisverweigerungsrecht<br />

verdichten 34 , so dass <strong>de</strong>r Zeuge keine unzumutbaren<br />

Nachteile erlei<strong>de</strong>t. 35 Anzuerkennen ist allerdings, dass<br />

<strong>de</strong>m Beschuldigten nach <strong>de</strong>r hier vertretenen Auffassung<br />

<strong>de</strong>r Nachteil verbleibt, nach <strong>de</strong>r Rechtskreistheorie 36 <strong>de</strong>r<br />

Rechtsprechung Verstöße gegen § 55 StPO bei <strong>de</strong>r Vernehmung<br />

<strong>de</strong>s Angehörigen <strong>de</strong>s weiteren Beschuldigten in<br />

<strong>de</strong>r Revision nicht rügen zu können. 37<br />

Auch <strong>de</strong>r Einwand, <strong>de</strong>m Angehörigen <strong>de</strong>s weiteren Beschuldigten<br />

sei wegen <strong>de</strong>ssen Motiv an einer Entlastung<br />

seines Angehörigen auf Kosten <strong>de</strong>s Beschuldigten ein<br />

Zeugnisverweigerungsrecht zuzugestehen, ist nicht überzeugend.<br />

Dass Zeugen eigene Interessen an einer bestimmten<br />

Aussage haben, ist keineswegs selten und kann<br />

nicht durch das Zugestehen eines Zeugnisverweigerungsrechts<br />

kompensiert wer<strong>de</strong>n. Vielmehr ist in diesen<br />

Fällen das Belastungsinteresse in <strong>de</strong>r Beweiswürdigung<br />

gem. § 261 StPO zu berücksichtigen. 38<br />

Schließlich ist das Argument, ein rein formeller Mitbeschuldigtenbegriff<br />

könne leicht zu gesteuerten Verfahrenstrennungen<br />

führen, nicht ganz von <strong>de</strong>r Hand zu<br />

weisen. In<strong>de</strong>s stellt sich das Problem <strong>de</strong>s Ermessensmissbrauchs<br />

bei Verfahrenstrennungen nicht nur im<br />

Zusammenhang mit <strong>de</strong>m Zeugnisverweigerungsrecht bei<br />

mehreren Beschuldigten, son<strong>de</strong>rn auch und vor allem<br />

beim sog. Rollentausch, bei <strong>de</strong>m ein Beschuldigter durch<br />

Abtrennung seines Verfahrens in die Zeugenrolle im<br />

an<strong>de</strong>rweitig geführten Verfahren gedrängt wird. 39 Eine<br />

Lösung dieses Problems kann daher auch nicht über <strong>de</strong>n<br />

Mitbeschuldigtenbegriff erfolgen; missbräuchlichen Ver-<br />

33 Weitere Fallgruppen fin<strong>de</strong>n sich bei Fischer JZ 1992, 570,<br />

573.<br />

34 Verweigert wer<strong>de</strong>n kann die Antwort auf eine verfängliche<br />

Frage, wenn sie einen Anfangsverdacht gegen <strong>de</strong>n Zeugen<br />

o<strong>de</strong>r Angehörigen begrün<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong> „und sei es nur als<br />

Teilstück in einem mosaikartig zusammengesetzten Beweisgebäu<strong>de</strong>“<br />

(BGH NJW 1999, 1413).<br />

35 Fischer JZ 1992, 570, 575.<br />

36 BGHSt <strong>11</strong>, 213, 214 ff.; Eisenberg, a.a.O. (Fn. 9), Rn. <strong>11</strong>31.<br />

37 An<strong>de</strong>res gilt auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>r bisherigen Rechtsprechung<br />

bei Anwendung <strong>de</strong>s § 52 StPO (vgl. KK-Senge,<br />

a.a.O. [Fn. 1], § 52 Rn. 49).<br />

38 Vgl. hierzu KK-Schoreit, a.a.O. (Fn. 1), § 261 Rn. 29 ff.<br />

39 Vgl. hierzu LR-Erb, 26. Aufl. (2006), § 2 Rn. 21 ff.<br />

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