Ausgabe 11/2012 13. Jahrgang - hrr-strafrecht.de
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Aufsätze und Anmerkungen Wegner – „Leichtfertigkeit“ im Wirtschafts- und Steuer<strong>strafrecht</strong><br />
Analysiert man <strong>de</strong>n Bußgeldtatbestand im Detail 1 wer<strong>de</strong>n<br />
jedoch die Schwächen sichtbar, die sämtliche Normen <strong>de</strong>r<br />
<strong>strafrecht</strong>lichen Nebengebiete haben: Sie ist durch ihre<br />
„nach vorne“ gerichtete Verweisungstechnik kaum lesbar<br />
und sehr komplex, so dass sie an die Grenzen <strong>de</strong>s <strong>strafrecht</strong>lichen<br />
Bestimmtheitsgebots stößt. Dies gilt umso<br />
mehr, als sich bestimmte Handlungspflichten nicht einmal<br />
aus <strong>de</strong>m KWG selbst, son<strong>de</strong>rn erst aus konkretisieren<strong>de</strong>n<br />
Rechtsverordnungen ergeben.<br />
b) Individuelles Fehlverhalten: Nach § 10 Ordnungswidrigkeitengesetz<br />
(OWiG) setzen Ordnungswidrigkeitentatbestän<strong>de</strong><br />
ohne nähere gesetzliche Anordnung stets ein<br />
vorsätzliches Han<strong>de</strong>ln voraus. Eine Aus<strong>de</strong>hnung auf<br />
fahrlässiges Han<strong>de</strong>ln muss stets ausdrücklich gesetzlich<br />
bestimmt sein. Entsprechend enthält § 56 KWG – wie<br />
eingangs schon erwähnt – explizite Hinweise (Abs. 2:<br />
„vorsätzlich o<strong>de</strong>r leichtfertig“; Abs. 3 und 4: „vorsätzlich<br />
o<strong>de</strong>r fahrlässig“); <strong>de</strong>m Gebot <strong>de</strong>s § 10 OWiG ist damit<br />
Genüge getan.<br />
aa) Vorsatz: Der Vorsatz wird in <strong>de</strong>r Wissenschaft kontrovers<br />
diskutiert. Es geht sowohl um die Unterscheidung<br />
zwischen einem intellektuellen und einem voluntativen<br />
Element als auch <strong>de</strong>ren Bestimmung im Einzelnen.<br />
Nach <strong>de</strong>m vorherrschen<strong>de</strong>n Verständnis kann <strong>de</strong>r in § 10<br />
OWiG gemeinte Tatbestandsvorsatz in drei Erscheinungsformen<br />
auftreten: Absicht – direkter Vorsatz –<br />
Eventualvorsatz. 2 Durch das Willenselement beherrscht<br />
wird die Absicht. Sie ist gegeben, wenn <strong>de</strong>r Täter die<br />
Realisierung <strong>de</strong>s Handlungsziels als sicher o<strong>de</strong>r als möglich<br />
voraussieht und es ihm darauf ankommt, einen tatbestandsmäßigen<br />
Erfolg herbeizuführen o<strong>de</strong>r die tatbestandliche<br />
Handlung zu verwirklichen. 3 Demgegenüber<br />
wird <strong>de</strong>r direkte Vorsatz geprägt durch die Wissentlichkeit.<br />
Die Voraussetzungen sind gegeben, wenn <strong>de</strong>r Täter<br />
sicher weiß, dass ein bestimmtes Tatbestandsmerkmal<br />
vorliegt, bzw. wenn er die Verwirklichung <strong>de</strong>r Tatbestandshandlung<br />
o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Eintritt eines tatbestandlich<br />
vorausgesetzten Erfolges als gewiss voraussieht; 4 nicht<br />
erfor<strong>de</strong>rlich ist, dass es darauf im Sinne <strong>de</strong>s Vorstehen<strong>de</strong>n<br />
ankäme. Eventualvorsatz liegt vor, wenn <strong>de</strong>r Täter<br />
die Verwirklichung <strong>de</strong>s Tatbestan<strong>de</strong>s als möglich erkennt<br />
und sie billigend in Kauf nimmt o<strong>de</strong>r sich um <strong>de</strong>s erstrebten<br />
Zieles willen mit ihr abfin<strong>de</strong>t. 5<br />
bb) Fahrlässigkeit: Der Unrechtskern <strong>de</strong>r Fahrlässigkeit<br />
besteht nach allgemeinem Verständnis darin, dass <strong>de</strong>r<br />
Täter die für einen besonnenen und gewissenhaften<br />
Angehörigen seines Verkehrskreises erfor<strong>de</strong>rliche Sorgfalt<br />
außer Acht lässt und so trotz genereller Vorhersehbarkeit<br />
einen Tatbestand verwirklicht. Nach <strong>de</strong>r inneren<br />
Beziehung <strong>de</strong>s Täters zu <strong>de</strong>r konkreten Tatbestandsverwirklichung<br />
wird zwischen bewusster und unbewusster<br />
Fahrlässigkeit unterschie<strong>de</strong>n. Die individuelle Zurechenbarkeit<br />
(Vorwerfbarkeit) <strong>de</strong>r Fahrlässigkeit erfor<strong>de</strong>rt, dass<br />
<strong>de</strong>r Täter nach seinen persönlichen Fähigkeiten und<br />
1 Siehe dazu die Kommentierung von Wegner in<br />
Beck/Samm/Kokemoor, KWG (Loseblattwerk – Stand: 160.<br />
ErgLfg.).<br />
2 Allgemein hierzu: BGHSt 36, 1, 9 f.<br />
3 Gürtler in Göhler, OWiG, 16. Aufl. <strong>2012</strong>, § 10 Rdnr. 3.<br />
4 Gürtler in Göhler (Fn. 3), § 10 Rdnr. 4.<br />
5 Gürtler in Göhler (Fn. 3), 10 Rdnr. 5.<br />
HRRS November <strong>2012</strong> (<strong>11</strong>/<strong>2012</strong>)<br />
Kenntnissen imstan<strong>de</strong> war, die Tatbestandsverwirklichung<br />
als möglich vorauszusehen und die generell erfor<strong>de</strong>rliche<br />
Sorgfalt anzuwen<strong>de</strong>n. Details sind hoch umstritten.<br />
6<br />
cc) Leichtfertigkeit: Leichtfertigkeit ist enger als die<br />
bloße Fahrlässigkeit; die Rechtsprechung erachtet eine<br />
beson<strong>de</strong>re Gleichgültigkeit o<strong>de</strong>r grobe Unachtsamkeit für<br />
erfor<strong>de</strong>rlich. 7 Sie be<strong>de</strong>utet einen erheblichen Grad an<br />
Fahrlässigkeit, <strong>de</strong>r etwa <strong>de</strong>r groben Fahrlässigkeit <strong>de</strong>s<br />
bürgerlichen Rechts entspricht, aber im Gegensatz hierzu<br />
auf die persönlichen Fähigkeiten <strong>de</strong>s Täters abstellt. 8 Ein<br />
<strong>de</strong>rartiges Verschul<strong>de</strong>n soll vorliegen, wenn ein Betroffener<br />
nach <strong>de</strong>n Gegebenheiten <strong>de</strong>s Einzelfalles und seinen<br />
individuellen Fähigkeiten in <strong>de</strong>r Lage gewesen wäre, <strong>de</strong>n<br />
aus <strong>de</strong>n einschlägigen gesetzlichen Regelungen sich im<br />
konkreten Fall ergeben<strong>de</strong>n Sorgfaltspflichten zu genügen.<br />
Hierzu ist eine Gesamtwertung seines Verhaltens erfor<strong>de</strong>rlich.<br />
2. CRD IV-Umsetzungsgesetz<br />
Mit <strong>de</strong>m CRD IV-Umsetzungsgesetz 9 soll nach <strong>de</strong>n Plänen<br />
<strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sregierung diese gewachsene Struktur <strong>de</strong>r<br />
Bußgeldnorm im KWG geän<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n. Neben die<br />
Vorsatzstruktur in § 56 Abs. 1 KWG-E sollen künftig alle<br />
– sehr zahlreichen und nochmals erweiterten – Tatbestandsalternativen<br />
„vorsätzlich o<strong>de</strong>r fahrlässig“ begangen<br />
wer<strong>de</strong>n können, d.h. auf das Merkmal <strong>de</strong>r „Leichtfertigkeit“<br />
soll nach <strong>de</strong>n Plänen <strong>de</strong>r Bun<strong>de</strong>sregierung vollständig<br />
verzichtet wer<strong>de</strong>n. Dies wür<strong>de</strong> angesichts <strong>de</strong>r vorstehend<br />
aufgezeigten Definitionen zu einer erheblichen<br />
Ausweitung <strong>de</strong>r sanktionsrechtlichen Risiken führen,<br />
ohne dass dies im Entwurf näher dargelegt wird. Vielmehr<br />
wird die Abschaffung <strong>de</strong>s die Ahndbarkeit begrenzen<strong>de</strong>n<br />
Merkmals <strong>de</strong>r „Leichtfertigkeit“ und <strong>de</strong>ren Ersetzung<br />
durch die „Fahrlässigkeit“ wie folgt begrün<strong>de</strong>t:<br />
„Mit <strong>de</strong>n Än<strong>de</strong>rungen zu § 56 erfolgt zum einen eine<br />
Neuordnung <strong>de</strong>r bestehen<strong>de</strong>n Bußgeldtatbestän<strong>de</strong> im<br />
Kreditwesengesetz (KWG). Damit erfolgt künftig die<br />
Beurteilung, ob ein schuldhaftes Han<strong>de</strong>ln vorlag im<br />
Rahmen <strong>de</strong>r Klärung, ob dieses Han<strong>de</strong>ln vorsätzlich<br />
o<strong>de</strong>r fahrlässig erfolgte. Es wird daher künftig nur<br />
noch auf Vorsatz und Fahrlässigkeit abgestellt. Die<br />
überholte Differenzierung zwischen Leichtfertigkeit und<br />
Fahrlässigkeit wird aufgegeben, da eine Abgrenzung<br />
zwischen Leichtfertigkeit (= grober Fahrlässigkeit)<br />
und (einfacher) Fahrlässigkeit bei <strong>de</strong>n betroffenen<br />
Tatbestän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s KWG nicht möglich ist.“ 10<br />
3. „Leichtfertigkeit“ im Wirtschafts- und<br />
Steuer<strong>strafrecht</strong><br />
Die Feststellung von einer „überholten Differenzierung“<br />
wird im Regierungsentwurf nicht nur nicht näher begrün<strong>de</strong>t,<br />
son<strong>de</strong>rn es fehlen auch jedwe<strong>de</strong> empirischen<br />
Belege. Anknüpfend an die Begründung zu § 56 KWG-E<br />
6 Hierzu im Einzelnen siehe Rengier in Karlsruher Kommentar,<br />
OWiG, 3. Aufl. 2006, § 10 Rdnr. 15 ff.<br />
7 BGHSt 43, 158, 167; siehe auch BFH/NV 1998, 8.<br />
8 BGH NStZ <strong>2012</strong>, 160 = HRRS 20<strong>11</strong> Nr. <strong>11</strong>39.<br />
9 BT-Drucks. 17/10974.<br />
10 A.a.O., S. <strong>11</strong>9 – Unterstreichungen nicht im Original.<br />
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