_flip_joker_2018-05
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26 KULTUR JOKER NACHHALTIG<br />
Wenn die Stille keine Chance hat<br />
Die Geräusche des Frühlings – Lärmbelästigung auf vielerlei Weise<br />
Martin dreht die Würste<br />
auf dem Grill, prostet<br />
Rolf zu und tippt sich<br />
hämisch grinsend an die<br />
Stirn, während er mit<br />
dem Kopf auf die Nachbarn<br />
deutet: Hinter seiner<br />
akkurat getrimmten<br />
Hecke drehen die Ökos<br />
von nebenan mit einem<br />
Spindelrasenmäher ihre<br />
Runden durch den Garten.<br />
„Scheint aber gut<br />
für die Muckis zu sein“,<br />
mischt sich Marlies<br />
ein, während ihr prüfender<br />
Blick zwischen<br />
dem Waschbrettbauch<br />
des Nachbarn und der<br />
Waschtrommel des Gatten<br />
hin und her wechselt.<br />
Rolf springt Martin beiseite<br />
und schwört, dass<br />
nur ein Benzinrasenmäher<br />
ein vernünftiges<br />
Ergebnis bringe, weil<br />
nur dieser einen Rasenauffangkorb<br />
habe: „Das<br />
vermoost doch sonst alles.“<br />
Man wird nie herausfinden,<br />
ob der stromlose, sportliche<br />
Spindelmäher so leise oder<br />
die Gespräche am Grill so laut<br />
waren, doch sicher ist es kein<br />
Zufall, dass die Nachbarin ihr<br />
Buch beiseitelegt, sich aus dem<br />
Liegestuhl erhebt, im Keller<br />
verschwindet und nach wenigen<br />
Sekunden mit dem Rasenauffangkorb<br />
zurückkehrt,<br />
den sie mit einem Handgriff<br />
in die dafür vorgesehene Arretierung<br />
hängt. Marlies hebt<br />
unmerklich ihr Prosecco-Glas<br />
und zwinkert den Nachbarn<br />
zu. Rolf hingegen wirft einen<br />
verächtlichen Blick über die<br />
Liguster-Hecke und bestärkt<br />
seinen Kumpel: “Handrasenmäher!<br />
Da hätte ich doch gar<br />
keine Zeit zu.“ Er bezahlt seit<br />
kurzem einen Studenten, der<br />
Montags zum Rasenmähen<br />
kommt. Während er ins Fitnesscenter<br />
fährt.<br />
Dort hat er auch Martin<br />
kennengelernt. Sie sind mal<br />
miteinander ins Gespräch<br />
gekommen, beim Warten auf<br />
den Aufzug. Da erst hatten sie<br />
bemerkt, dass sie in derselben<br />
Straße wohnen. Im Viertel<br />
hatten sie sich nie gesehen.<br />
Rolf kannte zwar Martins Wagen,<br />
aber wenn einer immer in<br />
der Tiefgarage einsteigt, sieht<br />
man ihn ja nie. Und dass der<br />
Mann unter dem Schwarzen<br />
Motorradhelm derselbe war,<br />
der neben ihm auf dem Laufband<br />
keuchte, hatte Martin<br />
nicht geahnt. Seit ihrer Begegnung<br />
am Aufzug fahren sie<br />
montags manchmal gemeinsam<br />
durch den Feierabendverkehr<br />
die fünf Kilometer zur<br />
Muckibude.<br />
Durch die sommerlichen<br />
Grillschwaden zieht Marlies<br />
Rolfs Frau Rita zu sich und<br />
tuschelt. Ob ihr das auch immer<br />
so auf den Zeiger ginge?<br />
Immer wenn sie mal in Ruhe<br />
im Garten liegen wolle, packe<br />
Martin irgendeine röhrende<br />
Höllenmaschine aus. Sie habe<br />
sich schon mal demonstrativ<br />
seine dicken Ohrenschützer<br />
aufgesetzt, als er mit der ratternden<br />
Heckenschere ankam.<br />
In der Mittagszeit! Aber wenn<br />
er mit dem Benzin-Rasenmäher<br />
loslegt, dann würde<br />
sie reingehen und die Fenster<br />
schließen! Nicht nur wegen des<br />
Lärms. Das Ding stinkt wie<br />
die Pest, man könne die blauen<br />
Wolken regelrecht sehen.<br />
Wenn der Benzindampf sich<br />
über den Rasen senkt und auf<br />
ihren Salat und die Radieschen<br />
legt, würde sie gar nicht wissen<br />
wollen, was da alles drin<br />
ist. Rita verdreht die Augen.<br />
Bei ihnen, sagt sie, wohnten<br />
ringsrum lauter Heimwerker.<br />
Sie käme sich manchmal vor,<br />
als sei sie das Opfer der versteckten<br />
Kamera: kaum hätte<br />
der eine aufgehört zu bohren,<br />
finge der nächste mit der<br />
Kreissäge an und wieder der<br />
nächste mit der Motorsense.<br />
Außerdem führte bei ihnen ja<br />
hinterm Haus noch die Bundesstraße<br />
entlang: „Sobald die<br />
ersten Sonnenstrahlen rauskommen,<br />
jedes Wochenende<br />
von morgens bis abends, ein<br />
Motorradfahrer nach dem anderen!“<br />
Marlies pflichtete ihr<br />
bei. Lebensgefährlich sei das,<br />
wie die sich da in die Kurven<br />
legten. Da hätte sie mal fast<br />
einen auf der Motorhaube gehabt:<br />
„Der war fast auf meiner<br />
Bitte Ruhe!<br />
Spur, so schnell kannst Du den<br />
SUV gar nicht bremsen!“ „Ja,<br />
aber andererseits“, lenkte Rita<br />
ein „macht es schon Spaß“.<br />
Sie würde ja bei Rolf immer<br />
mitfahren, aber jetzt würden<br />
sie echt überlegen, ob sie nicht<br />
noch ein eigenes Motorrad für<br />
Rita anschaffen sollten. Man<br />
könne sich ja dann über Funk<br />
während der Fahrt unterhalten.<br />
Beim Stichwort Motorrad<br />
bekommt Rolf leuchtende Augen.<br />
Das wäre sein Ausgleich<br />
und das würde er sich von niemandem<br />
madigmachen lassen<br />
und es müsse einfach mal jeder<br />
selbst ausprobieren, wie großartig<br />
das Gefühl von Freiheit<br />
und Naturverbundenheit sei.<br />
Marlies wagte einen leisen<br />
Vorstoß, ob es denn da keine<br />
Lautstärke-Grenzwerte gäbe:<br />
„Manche Motorräder sind so<br />
laut, das wundert mich, dass<br />
sowas nicht verboten ist.“ Hier<br />
trumpfte Rolf mit seinem gesamten<br />
Fachwissen auf: „Da<br />
gibt es extra solche Klappensysteme<br />
im Auspuff, damit die<br />
Lärmemissions-Grenzwerte<br />
eingehalten werden. Das wird<br />
auch beim TÜV nachgemessen,<br />
auf dem Prüfstand. Bis 80<br />
Stundenkilometer ist alles in<br />
Ordnung. Bei mir auch.“ Rolf<br />
grinste vielsagend. „Wenn Du<br />
schneller fährst wird‘s halt ein<br />
bisschen lauter. Dafür sorgt die<br />
Klappensteuerungssoftware.“<br />
„Wie jetzt?“, empört sich Marlies,<br />
„Genau wie bei der Dieselbetrugssoftware?“<br />
„Alles<br />
im Rahmen der gesetzlichen<br />
Vorgaben“, wiegelt Rolf süffisant<br />
ab. Marlies zieht eine verächtliche<br />
Schnute. „Na komm,<br />
ein Motorrad muss schon<br />
einen anständigen Sound haben“,<br />
bestärkt Martin seinen<br />
Motorrad-Kumpel.<br />
Sein Blick schweift wieder<br />
über die Hecke. Die Nachbarn<br />
haben inzwischen auch Besuch<br />
bekommen. Martin erstarrt.<br />
Das gibt’s doch nicht. Er stubst<br />
Marlies an. Sie nickt. Das war<br />
die blöde Pute vom letzten Wochenende.<br />
Oben bei den Windrädern<br />
sind sie ihr begegnet. Er<br />
und Marlies hatten sich Quads<br />
ausgeliehen, um spazieren zu<br />
fahren. Und die blöde Trulla<br />
hatte eine Wandergruppe im<br />
Schlepptau und hat da an den<br />
Windrädern irgendwas erzählt.<br />
Sie hatte irgendwelche<br />
dummen Witzchen gemacht,<br />
dass man die Windräder nicht<br />
hören könne, weil gerade der<br />
Rettungshubschrauber zu dem<br />
verunglückten Motorradfahrer<br />
unterwegs sei. Aber da hat<br />
Martin ihr mal ordentlich die<br />
Meinung gegeigt, dass man<br />
sich doch mal in die Anwohner<br />
hineinversetzen müsse, die den<br />
Lärm Tag und Nacht ertragen<br />
müssen, 365 Tage im Jahr. Er<br />
solle „sprachlich abrüsten und<br />
nicht von Lärm reden“ hat sie<br />
erwidert. Immerhin stünden<br />
sie alle direkt unter dem Windrad<br />
und könnten sich in Zimmerlautstärke<br />
unterhalten und<br />
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das nächste Wohnhaus<br />
sei 700 m entfernt.<br />
Martin war in seinem<br />
Element und hat ihr<br />
gleich mal klargemacht,<br />
dass die Dinger ja überhaupt<br />
nichts brächten,<br />
weil sie ständig stillstünden.<br />
„Sie drehen<br />
sich doch ganz hübsch<br />
dafür, dass es hier unten<br />
fast windstill ist“ hat die<br />
Frau ihm zu geflötet. „Ja<br />
jetzt“, sagte Martin, aber<br />
immer wenn er von der<br />
Bundesstraße aus gucke,<br />
würden sie stillstehen.<br />
„Wie können Sie denn<br />
dann von 365 Tagen<br />
„Lärmbelästigung“ im<br />
Jahr reden? Hören Sie das<br />
denn von der Bundesstraße<br />
aus?“ Martin war nicht<br />
nach Logik zumute. Er<br />
beharrte darauf, dass dies<br />
eine Respektlosigkeit gegenüber<br />
den Anwohnern<br />
sei, die schließlich das<br />
ganze Jahr über tagein tagaus<br />
… Marlies hatte ihren Martin<br />
diskret weggezogen. Wenn es<br />
jetzt noch um den Lärm der<br />
Bundesstraße ging oder gar<br />
die Infraschall-Emissionen<br />
eines SUV-Motors oder eines<br />
Quads, dann würde er sich um<br />
Kopf und Kragen reden.<br />
Und jetzt stand die Trulla<br />
doch tatsächlich bei den Ökos<br />
im Nachbargarten. Martin<br />
drehte sich unauffällig weg.<br />
Auf die Fortführung der Debatte<br />
über die Hecke hinweg<br />
hatte er nun wirklich gar keine<br />
Lust. Da kam unerwartet Hilfe<br />
vom anderen Nachbargrundstück.<br />
Niemand würde mehr<br />
in die Verlegenheit kommen,<br />
sich jetzt lauthals über Hecken<br />
hinweg über Lärm unterhalten<br />
zu wollen. Der Nachbar<br />
zur Rechten hatte nämlich<br />
beschlossen, just an diesem<br />
Samstag-Nachmittag seinen<br />
alten Kirschbaum mit der Motorsäge<br />
zu zerlegen. Genau<br />
um 18.30 Uhr, zum Anpfiff<br />
des Lokal-Derbys. Als kleiner<br />
Rache-Akt für den nächsten<br />
Nachbarn, dessen Radio jeden<br />
Samstag die Übertragung aller<br />
Bundesligaspiele durch die<br />
ganze Siedlung plärrt.<br />
Eva Stegen