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26 KULTUR JOKER NACHHALTIG<br />

Wenn die Stille keine Chance hat<br />

Die Geräusche des Frühlings – Lärmbelästigung auf vielerlei Weise<br />

Martin dreht die Würste<br />

auf dem Grill, prostet<br />

Rolf zu und tippt sich<br />

hämisch grinsend an die<br />

Stirn, während er mit<br />

dem Kopf auf die Nachbarn<br />

deutet: Hinter seiner<br />

akkurat getrimmten<br />

Hecke drehen die Ökos<br />

von nebenan mit einem<br />

Spindelrasenmäher ihre<br />

Runden durch den Garten.<br />

„Scheint aber gut<br />

für die Muckis zu sein“,<br />

mischt sich Marlies<br />

ein, während ihr prüfender<br />

Blick zwischen<br />

dem Waschbrettbauch<br />

des Nachbarn und der<br />

Waschtrommel des Gatten<br />

hin und her wechselt.<br />

Rolf springt Martin beiseite<br />

und schwört, dass<br />

nur ein Benzinrasenmäher<br />

ein vernünftiges<br />

Ergebnis bringe, weil<br />

nur dieser einen Rasenauffangkorb<br />

habe: „Das<br />

vermoost doch sonst alles.“<br />

Man wird nie herausfinden,<br />

ob der stromlose, sportliche<br />

Spindelmäher so leise oder<br />

die Gespräche am Grill so laut<br />

waren, doch sicher ist es kein<br />

Zufall, dass die Nachbarin ihr<br />

Buch beiseitelegt, sich aus dem<br />

Liegestuhl erhebt, im Keller<br />

verschwindet und nach wenigen<br />

Sekunden mit dem Rasenauffangkorb<br />

zurückkehrt,<br />

den sie mit einem Handgriff<br />

in die dafür vorgesehene Arretierung<br />

hängt. Marlies hebt<br />

unmerklich ihr Prosecco-Glas<br />

und zwinkert den Nachbarn<br />

zu. Rolf hingegen wirft einen<br />

verächtlichen Blick über die<br />

Liguster-Hecke und bestärkt<br />

seinen Kumpel: “Handrasenmäher!<br />

Da hätte ich doch gar<br />

keine Zeit zu.“ Er bezahlt seit<br />

kurzem einen Studenten, der<br />

Montags zum Rasenmähen<br />

kommt. Während er ins Fitnesscenter<br />

fährt.<br />

Dort hat er auch Martin<br />

kennengelernt. Sie sind mal<br />

miteinander ins Gespräch<br />

gekommen, beim Warten auf<br />

den Aufzug. Da erst hatten sie<br />

bemerkt, dass sie in derselben<br />

Straße wohnen. Im Viertel<br />

hatten sie sich nie gesehen.<br />

Rolf kannte zwar Martins Wagen,<br />

aber wenn einer immer in<br />

der Tiefgarage einsteigt, sieht<br />

man ihn ja nie. Und dass der<br />

Mann unter dem Schwarzen<br />

Motorradhelm derselbe war,<br />

der neben ihm auf dem Laufband<br />

keuchte, hatte Martin<br />

nicht geahnt. Seit ihrer Begegnung<br />

am Aufzug fahren sie<br />

montags manchmal gemeinsam<br />

durch den Feierabendverkehr<br />

die fünf Kilometer zur<br />

Muckibude.<br />

Durch die sommerlichen<br />

Grillschwaden zieht Marlies<br />

Rolfs Frau Rita zu sich und<br />

tuschelt. Ob ihr das auch immer<br />

so auf den Zeiger ginge?<br />

Immer wenn sie mal in Ruhe<br />

im Garten liegen wolle, packe<br />

Martin irgendeine röhrende<br />

Höllenmaschine aus. Sie habe<br />

sich schon mal demonstrativ<br />

seine dicken Ohrenschützer<br />

aufgesetzt, als er mit der ratternden<br />

Heckenschere ankam.<br />

In der Mittagszeit! Aber wenn<br />

er mit dem Benzin-Rasenmäher<br />

loslegt, dann würde<br />

sie reingehen und die Fenster<br />

schließen! Nicht nur wegen des<br />

Lärms. Das Ding stinkt wie<br />

die Pest, man könne die blauen<br />

Wolken regelrecht sehen.<br />

Wenn der Benzindampf sich<br />

über den Rasen senkt und auf<br />

ihren Salat und die Radieschen<br />

legt, würde sie gar nicht wissen<br />

wollen, was da alles drin<br />

ist. Rita verdreht die Augen.<br />

Bei ihnen, sagt sie, wohnten<br />

ringsrum lauter Heimwerker.<br />

Sie käme sich manchmal vor,<br />

als sei sie das Opfer der versteckten<br />

Kamera: kaum hätte<br />

der eine aufgehört zu bohren,<br />

finge der nächste mit der<br />

Kreissäge an und wieder der<br />

nächste mit der Motorsense.<br />

Außerdem führte bei ihnen ja<br />

hinterm Haus noch die Bundesstraße<br />

entlang: „Sobald die<br />

ersten Sonnenstrahlen rauskommen,<br />

jedes Wochenende<br />

von morgens bis abends, ein<br />

Motorradfahrer nach dem anderen!“<br />

Marlies pflichtete ihr<br />

bei. Lebensgefährlich sei das,<br />

wie die sich da in die Kurven<br />

legten. Da hätte sie mal fast<br />

einen auf der Motorhaube gehabt:<br />

„Der war fast auf meiner<br />

Bitte Ruhe!<br />

Spur, so schnell kannst Du den<br />

SUV gar nicht bremsen!“ „Ja,<br />

aber andererseits“, lenkte Rita<br />

ein „macht es schon Spaß“.<br />

Sie würde ja bei Rolf immer<br />

mitfahren, aber jetzt würden<br />

sie echt überlegen, ob sie nicht<br />

noch ein eigenes Motorrad für<br />

Rita anschaffen sollten. Man<br />

könne sich ja dann über Funk<br />

während der Fahrt unterhalten.<br />

Beim Stichwort Motorrad<br />

bekommt Rolf leuchtende Augen.<br />

Das wäre sein Ausgleich<br />

und das würde er sich von niemandem<br />

madigmachen lassen<br />

und es müsse einfach mal jeder<br />

selbst ausprobieren, wie großartig<br />

das Gefühl von Freiheit<br />

und Naturverbundenheit sei.<br />

Marlies wagte einen leisen<br />

Vorstoß, ob es denn da keine<br />

Lautstärke-Grenzwerte gäbe:<br />

„Manche Motorräder sind so<br />

laut, das wundert mich, dass<br />

sowas nicht verboten ist.“ Hier<br />

trumpfte Rolf mit seinem gesamten<br />

Fachwissen auf: „Da<br />

gibt es extra solche Klappensysteme<br />

im Auspuff, damit die<br />

Lärmemissions-Grenzwerte<br />

eingehalten werden. Das wird<br />

auch beim TÜV nachgemessen,<br />

auf dem Prüfstand. Bis 80<br />

Stundenkilometer ist alles in<br />

Ordnung. Bei mir auch.“ Rolf<br />

grinste vielsagend. „Wenn Du<br />

schneller fährst wird‘s halt ein<br />

bisschen lauter. Dafür sorgt die<br />

Klappensteuerungssoftware.“<br />

„Wie jetzt?“, empört sich Marlies,<br />

„Genau wie bei der Dieselbetrugssoftware?“<br />

„Alles<br />

im Rahmen der gesetzlichen<br />

Vorgaben“, wiegelt Rolf süffisant<br />

ab. Marlies zieht eine verächtliche<br />

Schnute. „Na komm,<br />

ein Motorrad muss schon<br />

einen anständigen Sound haben“,<br />

bestärkt Martin seinen<br />

Motorrad-Kumpel.<br />

Sein Blick schweift wieder<br />

über die Hecke. Die Nachbarn<br />

haben inzwischen auch Besuch<br />

bekommen. Martin erstarrt.<br />

Das gibt’s doch nicht. Er stubst<br />

Marlies an. Sie nickt. Das war<br />

die blöde Pute vom letzten Wochenende.<br />

Oben bei den Windrädern<br />

sind sie ihr begegnet. Er<br />

und Marlies hatten sich Quads<br />

ausgeliehen, um spazieren zu<br />

fahren. Und die blöde Trulla<br />

hatte eine Wandergruppe im<br />

Schlepptau und hat da an den<br />

Windrädern irgendwas erzählt.<br />

Sie hatte irgendwelche<br />

dummen Witzchen gemacht,<br />

dass man die Windräder nicht<br />

hören könne, weil gerade der<br />

Rettungshubschrauber zu dem<br />

verunglückten Motorradfahrer<br />

unterwegs sei. Aber da hat<br />

Martin ihr mal ordentlich die<br />

Meinung gegeigt, dass man<br />

sich doch mal in die Anwohner<br />

hineinversetzen müsse, die den<br />

Lärm Tag und Nacht ertragen<br />

müssen, 365 Tage im Jahr. Er<br />

solle „sprachlich abrüsten und<br />

nicht von Lärm reden“ hat sie<br />

erwidert. Immerhin stünden<br />

sie alle direkt unter dem Windrad<br />

und könnten sich in Zimmerlautstärke<br />

unterhalten und<br />

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das nächste Wohnhaus<br />

sei 700 m entfernt.<br />

Martin war in seinem<br />

Element und hat ihr<br />

gleich mal klargemacht,<br />

dass die Dinger ja überhaupt<br />

nichts brächten,<br />

weil sie ständig stillstünden.<br />

„Sie drehen<br />

sich doch ganz hübsch<br />

dafür, dass es hier unten<br />

fast windstill ist“ hat die<br />

Frau ihm zu geflötet. „Ja<br />

jetzt“, sagte Martin, aber<br />

immer wenn er von der<br />

Bundesstraße aus gucke,<br />

würden sie stillstehen.<br />

„Wie können Sie denn<br />

dann von 365 Tagen<br />

„Lärmbelästigung“ im<br />

Jahr reden? Hören Sie das<br />

denn von der Bundesstraße<br />

aus?“ Martin war nicht<br />

nach Logik zumute. Er<br />

beharrte darauf, dass dies<br />

eine Respektlosigkeit gegenüber<br />

den Anwohnern<br />

sei, die schließlich das<br />

ganze Jahr über tagein tagaus<br />

… Marlies hatte ihren Martin<br />

diskret weggezogen. Wenn es<br />

jetzt noch um den Lärm der<br />

Bundesstraße ging oder gar<br />

die Infraschall-Emissionen<br />

eines SUV-Motors oder eines<br />

Quads, dann würde er sich um<br />

Kopf und Kragen reden.<br />

Und jetzt stand die Trulla<br />

doch tatsächlich bei den Ökos<br />

im Nachbargarten. Martin<br />

drehte sich unauffällig weg.<br />

Auf die Fortführung der Debatte<br />

über die Hecke hinweg<br />

hatte er nun wirklich gar keine<br />

Lust. Da kam unerwartet Hilfe<br />

vom anderen Nachbargrundstück.<br />

Niemand würde mehr<br />

in die Verlegenheit kommen,<br />

sich jetzt lauthals über Hecken<br />

hinweg über Lärm unterhalten<br />

zu wollen. Der Nachbar<br />

zur Rechten hatte nämlich<br />

beschlossen, just an diesem<br />

Samstag-Nachmittag seinen<br />

alten Kirschbaum mit der Motorsäge<br />

zu zerlegen. Genau<br />

um 18.30 Uhr, zum Anpfiff<br />

des Lokal-Derbys. Als kleiner<br />

Rache-Akt für den nächsten<br />

Nachbarn, dessen Radio jeden<br />

Samstag die Übertragung aller<br />

Bundesligaspiele durch die<br />

ganze Siedlung plärrt.<br />

Eva Stegen

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