_flip_joker_2018-05
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THEATER KULTUR JOKER 3<br />
Dass Künstlerexistenzen als<br />
Patriarchen geradezu mit Bravour<br />
versagen können, weiß<br />
man in der deutschsprachigen<br />
Theaterlandschaft spätestens<br />
seit Thomas Bernhard. Der<br />
Vater (Henry Meyer) in Rainald<br />
Goetz‘ „Krieg“ mag vier<br />
Kinder gezeugt haben, als<br />
Künstler jedoch ist er impotent.<br />
Seit 30 Jahren bringt der<br />
früher als Schlachtenmaler erfolgreiche<br />
Künstler kein Bild<br />
mehr zustande. Sozusagen als<br />
Kompensation tyrannisiert er<br />
im herrschaftlichen Fellmantel<br />
und mit verrutschter Krone<br />
seine Familie. Vielleicht ist<br />
aber auch eine psychische Erkrankung<br />
der Grund für die<br />
doppelte Malaise des künstlerischen<br />
Burnouts und einer Familie,<br />
die sich im Dauerkrisenmodus<br />
in eine Bungalowbox<br />
drückt. Am Ende jedenfalls<br />
steht die Einlieferung in die<br />
Psychiatrie. Nicht umsonst hat<br />
der Autor seine medizinische<br />
Doktorarbeit über ein psychiatrisches<br />
Thema geschrieben.<br />
Im Theater Freiburg hat sich<br />
der junge, 1986 geborene Regisseur<br />
Daniel Foerster entschieden,<br />
Goetz‘ dreiteiliges<br />
Stück umzustellen. Foerster<br />
folgt nicht der Goetzschen<br />
Kriegserklärung, obgleich diese<br />
Sinn ergibt, denn erst richtet<br />
sich diese an die Gesellschaft,<br />
dann an die Familie und am<br />
Ende gegen das Individuum,<br />
das sich sozusagen selbst den<br />
Krieg erklärt. Er sieht in der<br />
Familie die Keimzelle der Gewalt<br />
und startet daher mit dem<br />
Mittelteil. Lydia Huller und<br />
Robert Sievert haben in das<br />
Kleine Haus einen dreidimensionalen<br />
Rahmen gebaut, der<br />
für so viel Elend immer schon<br />
zu winzig ist. Als ob jemand<br />
hier „Reise nach Jerusalem“<br />
Der Krieg beginnt und endet im Kopf<br />
Daniel Foerster inszeniert am Theater Freiburg alle drei Teile von Rainald Goetz‘ „Krieg“<br />
Stefanie Mrachacz, Martin Hohner, Henry Meyer, Rosa Thormeyer, Thieß Brammer<br />
spielen würde, rennen die<br />
Mutter (Anja Schweitzer) und<br />
die vier Kinder (Thieß Brammer,<br />
Martin Hohner, Stefanie<br />
Mrachacz, Rosa Thormeyer)<br />
wie aufgescheucht in dieser<br />
Raufasertapetenhölle herum<br />
bis sie sich neu unter das Dach<br />
krümmen. Man trägt 80er Jahre<br />
Schulterpolster, Grün in verschiedenen<br />
Schattierungen und<br />
Topffrisur. Der gescheiterte<br />
König sieht sich als „Radikalreduktionist“,<br />
er spricht von<br />
„Elternschaftsdummheit“ und<br />
„Abendlichtverzweiflung“. Die<br />
80er Jahre und Goetz‘ Stück<br />
wurde 1987 uraufgeführt, waren<br />
eben nicht allein die Jahre<br />
des Waldsterbens, sondern<br />
auch von Thomas Bernhard.<br />
Nicht grundlos wird Rainald<br />
Goetz‘ Drama „Krieg“ selten<br />
komplett gespielt. Tatsächlich<br />
ist Foersters Inszenierung erst<br />
das zweite Mal. Goetz‘ Stück<br />
eint eher ein Zustand der Dauererregung,<br />
als dass sich ein<br />
roter Faden durch die drei Teile<br />
zöge. Also Szenenwechsel: die<br />
Gesellschaft im Krieg mit sich<br />
selbst, wobei Gesellschaft?!<br />
Das meint, dass rechts Harald<br />
Juhnke und Bubi Scholz als<br />
Kunstfiguren mit Hilfe von<br />
sehr viel Alkohol sehr larmoyant<br />
werden dürfen, werden<br />
sie dann noch sentimental, beklagen<br />
sie das traurige Los der<br />
getöteten Helga. Des Weiteren<br />
treten auf: Heidegger und einige<br />
Soldaten. Das hat schon<br />
sehr viel von Männerbündelei.<br />
Foerster hat das Ensemble auf<br />
eine schwarze Tribüne gesetzt,<br />
von der dieses in Richtung<br />
Publikum schaut. Goetz‘ Text<br />
treibt keine Handlung voran,<br />
er ist Handlung und Figur zugleich<br />
und vor allem eine Geste<br />
des Aufruhrs. Mehrfach wird<br />
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„Sieg Heil“ gerufen, woraus<br />
dann doch – glücklicherweise<br />
‒ nichts hervorgeht. Da wird<br />
viel Bier getrunken und wenig<br />
beschlossen oder gar geschossen.<br />
Gleich drei Kästen Bier<br />
transportiert im letzten, „Kolik“<br />
überschriebenen Teil Martin<br />
Hohner mit einer Sackkarre<br />
auf die Bühne. Er wird nur<br />
wenige Flaschen öffnen und<br />
domani_AZ_45x45_rz.indd 1 12.01.18 13:<strong>05</strong><br />
Foto: Laura Nickel<br />
jeweils nur nippen. Dieser<br />
Mann in weißem Hemd und<br />
schwarzer Hose ist niemand,<br />
der sich um die Besinnung<br />
bringen will. Martin Hohners<br />
Monolog ist geradezu choreografiert.<br />
Hohner füllt den<br />
Raum, er kippelt mal vor sich<br />
hin, dann sitzt er auf der linken<br />
Seite. Immer mal wieder wird<br />
er Worte und Sätze in das Mikro<br />
sprechen und sie abspielen,<br />
so dass chorische Elemente in<br />
den Monolog eingebunden<br />
sind. Der Mann, der auf Widerspruch<br />
gebürstet ist, rauft sich<br />
die Haare, läuft zwischen den<br />
Podesten hin und her, einmal<br />
reißt er die Tür zur Straße auf.<br />
„Denken muss denken“, sagt er<br />
da, und „Denken denkt nichts<br />
als Tod. Der Denkende aber<br />
lebt“. Aus diesem Widerspruch<br />
gibt es kein Entkommen. Es ist<br />
aber diesmal ein produktiver.<br />
Der schlankeste Teil dieses<br />
Abends, mit dem man über die<br />
zwei Stunden nicht so recht<br />
warm wird, ist dann der stärkste<br />
Part.<br />
Weitere Vorstellungen: 20.<br />
und 27. Mai im Kleinen Haus<br />
des Theater Freiburg.<br />
Annette Hoffmann