Heimat-Rundblick Frühjahr 2018
Magazin für Kultur, Geschichte und Natur
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An der Hamme nach 1932 Verlag H. Ch. Büsing; Bremen<br />
Nationalsozialismus<br />
Zwischen den beiden Weltkriegen wird<br />
Worpswede zu einem Schauplatz weltanschaulicher<br />
und politischer Auseinandersetzungen.<br />
Nicht nur die Künstlerschaft, auch die anderen<br />
Einwohner Worpswedes teilen sich in ein konservatives<br />
und ein linkes Lager. Heinrich Vogeler<br />
gründet auf dem Barkenhoff eine kommunistische<br />
Kommune und verkündet in öffentlichen<br />
Reden seine neuesten politischen Erkenntnisse.<br />
Fritz Mackensen entwickelt sich zu einem erbitterten<br />
Feind in dieser Zeit. Mit der Ernennung<br />
Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar<br />
1933 verändert sich das Leben im Ort schlagartig.<br />
Bei der im März durchgeführten Reichstagswahl<br />
stimmen von 859 Wahlberechtigten<br />
Worpswede 1939, Maryan Žurek<br />
RUNDBLICK <strong>Frühjahr</strong> <strong>2018</strong><br />
472 für die NSDAP, 98 für die Kampffront<br />
Schwarz-Weiß-rot (deutschnational), 94 für die<br />
SPD, 47 für die KPD, der Rest wählt Splitterparteien.<br />
Vermutlich wird kurze Zeit später die<br />
Kirchstraße in Adolf-Hitler-Straße (heute Findorffstraße)<br />
und die Bergstraße hieß Hindenburgallee.<br />
Am ersten April 1933 wird in Deutschland<br />
zum „Judenboykott“ aufgerufen. Kurze Zeit<br />
später wird am Tennisplatz des jüdischen Kaufmanns<br />
Walter Steinberg aus Bremen ein judenfeindliches<br />
Schild angebracht. 14 Der Platz<br />
befand sich in der Bergstraße auf dem Gelände<br />
der Nr. 12. Auch die Familie des jüdischen<br />
Schlachters Abraham im Udo-Peters-Weg<br />
(heute Schlachter Schopfer) bekommt die<br />
feindliche Atmosphäre zu spüren. Henny Abraham<br />
und ihr Sohn Fred können zu ihren Ver-<br />
wandten nach New York City flüchten. Mutter<br />
Rosa Abraham bleibt in Worpswede, weil sie sich<br />
immer noch sicher fühlt und stirbt 1942 im Vernichtungslager<br />
Treblinka. In den Schulen wird<br />
inzwischen Rassenkunde und Vererbungslehre<br />
eingeführt. Christel Meiners-DeTroy berichtet<br />
in ihrem Buch über die bedrohliche Stimmung<br />
andersdenkenden Menschen gegenüber. 15 Eine<br />
weitere wichtige Quelle ist das Buch von Anning<br />
Lehmensiek über die Juden in Worpswede. 16<br />
Künstler und Künstlerinnen hatten auf<br />
unterschiedliche Weise unter dem nationalsozialistischen<br />
Regime zu leiden. Der 1931 in die<br />
Sowjetunion ausgereiste Heinrich Vogeler wird<br />
drei Jahre später ausgebürgert und kann nicht<br />
mehr in seine <strong>Heimat</strong> zurückkehren. Karl Jakob<br />
Hirsch flüchtet zunächst in die Schweiz und<br />
dann in die USA. Bernhard Hoetger, selbst<br />
Anhänger Adolf Hitlers, wird als entarteter<br />
Künstler mit Ausstellungsverbot belegt. Die<br />
Werke Paula Modersohn-Beckers werden aus<br />
öffentlichen Museen und Sammlungen<br />
beschlagnahmt. Mehrere expressionistische<br />
Künstler erhalten Ausstellungsverbot. Andere<br />
passen sich an den staatlich empfohlenen<br />
nationalsozialistischen Realismus an.<br />
Auf Anordnung der Partei entstehen Arbeitslager,<br />
in denen junge Frauen und Männer für<br />
verschiedenste Arbeiten auf dem Lande eingesetzt<br />
werden. Auf der Dohnhorst entsteht das<br />
sogenannte Maidenlager. Als der Krieg beginnt,<br />
werden die meisten jungen Männer zum Kriegsdienst<br />
eingezogen. Alte, Frauen und Kinder bleiben<br />
zurück und tragen die ganze Arbeitslast<br />
allein - bis Ende September 1939 in Sandborstel<br />
das riesige Kriegsgefangenenlager Stalag<br />
XB entsteht. Während des gesamten Krieges<br />
werden überall im Deutschen Reich Kriegsgefangene<br />
als Zwangsarbeiter eingesetzt. Rund<br />
um Worpswede entstehen in Gasthöfen, Schuppen<br />
und Baracken örtliche Arbeitslager für Soldaten<br />
aus der ganzen Welt, die als Erntehelfer,<br />
Bäcker, Molkereiarbeiter und an vielen anderen<br />
Stellen arbeiten müssen.<br />
1938 wird eine neue Straße von Osterholz<br />
über Waakhausen nach Worpswede gebaut. Mit<br />
erheblichen Mengen Sand aus Lintel und<br />
Worpswede wird ein Damm aufgeschüttet,<br />
sodass die Straße auch bei winterlichen hohen<br />
Wasserständen passierbar bleibt. Durch den<br />
Sandabbau entsteht mitten in Worpswede vor<br />
der Zionskirche ein großer Geländeeinschnitt,<br />
den der Lehrer aus Wörpedahl in seiner<br />
Schulchronik als eine Art „Culebra cut“<br />
bezeichnet. Er vergleicht dieBaumaßnahme mit<br />
dem Bau des Panamakanals. Seine Bemerkung<br />
dazu: „So etwas kann auch nur in Worpswede<br />
passieren“.<br />
Ab 1940 kreisen regelmäßig feindliche Flugzeuge<br />
über dem Teufelsmoor. Einzelne Flieger<br />
werden abgeschossen und stürzen in die Moore<br />
rings um Worpswede. In den letzten Kriegsjahren<br />
muss die Worpsweder Feuerwehr zahlreiche<br />
Einsätze in den Großstädten Bremen, Hamburg,<br />
Wesermünde und anderswo übernehmen. 17 Zu<br />
Beginn des Krieges hatte Worpswede 2.706 Einwohner,<br />
1945 vergrößert sich die Zahl auf 5.591<br />
Personen durch die Flüchtlinge aus den Ostgebieten.<br />
Die Wohnungsnot ist sehr groß. Kriegs-<br />
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