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rik Juni 2018

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MUSIK<br />

LYKKE LI<br />

So traurig und so sexy ist Lykke<br />

Li also, zumindest wenn man<br />

dem Titel des neuen Albums glauben<br />

darf … was gar nicht so weit hergeholt<br />

scheint.<br />

Während das bei anderen Künstlerinnen<br />

ziemlich prätentiös wirken würde – auf<br />

eine Art wie „Schaut alle her, ich leide<br />

so viel schöner, als ihr es vermögt“, um<br />

daraus gegebenenfalls gleich eine neue<br />

Instagram-Story zu machen –, ist hier die<br />

Situation etwas anders. Schon von Anfang<br />

an sah und spürte man, dass die zierliche<br />

Schwedin ihre Probleme und Krisen, ihre<br />

Gefühle und Gedanken intensiver lebte<br />

als andere – nicht, weil sie es unbedingt<br />

wollte, sondern weil sie es nicht verhindern<br />

konnte. Künstlerschicksal eben. Und dass<br />

sie dabei nun einmal so aussieht, wie sie<br />

aussieht, kann sie auch nicht ohne Weiteres<br />

ändern. Man darf auch beides zugleich<br />

sein, man ist es manchmal auch einfach:<br />

traurig und sexy. Ich erinnere mich gut<br />

daran, wie ich Lykke Li zum ersten Mal traf,<br />

damals im Jahr 2009, als ihr erstes Album<br />

„Youth Novels“ in Deutschland erschien<br />

und sie nervös und leicht gebeugt an ihren<br />

Fingernägeln kaute, so als würde sie überall<br />

sein wollen, nur nicht im Berliner Büro<br />

ihres Labels, um sich zu erklären. Letztlich:<br />

Genau deswegen hat sie ja ihre Lieder<br />

geschrieben und aufgenommen, deshalb<br />

geht sie auf Tour und singt vor ihren Fans –<br />

um so von sich zu erzählen. „Ich werde erst<br />

richtig lebendig auf der Bühne, ich kann<br />

außerhalb keinen richtigen Platz für mich<br />

finden. Manche sind im Leben Stars, wie<br />

meine Schwester – jeder liebt sie. Während<br />

ich still bin. Bis ich auf die Bühne gehe.<br />

Selbst wenn ich mit mir selbst unglücklich<br />

bin, denn wenn ich dann dort oben stehe,<br />

kann ich mich wie Edith Piaf fühlen.“<br />

An diesen Gefühlen und dieser Einstellung<br />

hat sich auch fast zehn Jahre später<br />

anscheinend nicht viel geändert. Sie ist<br />

weiterhin niemand, der sich vor Kameras<br />

drängt, der um Aufmerksamkeit bettelt<br />

oder gar davon abhängig geworden ist.<br />

Was sie in den sozialen Medien von sich<br />

zeigt, ist ästhetisch, aber nie gibt sie dort<br />

sonderlich viel von sich preis. Und so hat<br />

sie die letzten vier Jahre, seit ihrem letzten<br />

Album „I Never Learn“, fast völlig unter<br />

dem Radar verbracht, abgesehen von den<br />

Singles von Liv, einer Band,<br />

in der sie unter anderem<br />

zusammen mit ihrem guten<br />

Freund Björn Yttling von<br />

Peter Bjorn and John singt – der<br />

auch schon an ihrem Debüt beteiligt<br />

war: „Er war der Erste, der es darauf<br />

ankommen ließ – er glaubte an mich<br />

und half mir. Als ich noch nicht genug<br />

Songs für ein Album hatte, begannen<br />

wir, die restlichen zusammen zu<br />

schreiben.“<br />

Trotzdem oder gerade deshalb spielt<br />

Björn auf „So Sad So Sexy“ mal keine<br />

große Rolle. Produziert wurden die<br />

neuen Lieder – abgesehen von ihr<br />

selbst – zum Beispiel von Malay, der<br />

auch schon mit Lorde und Frank<br />

Ocean zusammengearbeitet hat,<br />

oder auch Jeff Bhasker, der bei Kanye<br />

West, Bruno Mars oder Rihanna<br />

aushalf (und ebenfalls eines der All-<br />

Star-Mitglieder von Liv ist). Mit auf<br />

dem Album sind auch der omnipräsente<br />

Skrillex sowie Rostam von<br />

Vampire Weekend, und Lykke wusste<br />

offensichtlich sehr genau, warum sie<br />

sich genau diese Typen geholt hat<br />

und worauf sie hinauswollte, denn<br />

mithilfe dieser Unterstützung hat sie<br />

unter anderem die Trap-Beats in ihre<br />

Tracks geholt, die sie unvermittelt mit<br />

ihrer eigenen Indie-Pop-Sensibilität<br />

vermischt und zeigt, was mit diesen<br />

Stilmitteln möglich ist. Diese modernen<br />

Sounds passen perfekt zu ihrer<br />

melancholischen und mysteriösen<br />

Art – und wenn diese Art Produktion<br />

für Emo-Rapper schon reicht, um Gefühle<br />

vorzutäuschen, werden solche<br />

Sounds in ihren Händen endlich für<br />

echte Musik genutzt. Obwohl Lykkes<br />

Klänge und ihre Videos oft den<br />

Eindruck vermitteln,<br />

dass man es mit<br />

einer Kunstfigur zu<br />

tun hat, zweifelt man<br />

nie daran, dass alles,<br />

was man hört, tief<br />

aus ihrem Inneren<br />

kommt. „Ich bin ein<br />

unglaublich sensibler<br />

Mensch“, sagte sie<br />

schon damals. „Was<br />

die Musik vielleicht so<br />

lebendig und beseelt<br />

macht. Aber auf der<br />

COMEBACK<br />

anderen Seite tut es sehr<br />

weh, wenn jemand meine<br />

Musik nicht mag. Ich gebe bei<br />

jeder Show alles, was ich habe.<br />

Es ist wirklich schwer für mich,<br />

manchmal …“ In gewissem Sinn lebt<br />

sie also praktisch jeden Tag am Abgrund.<br />

„Jeden Scheiß-Tag!“, lachte sie.<br />

Nein, diese widerspenstige Lykke versucht,<br />

weder glatt noch angepasst zu<br />

erscheinen, geschweige denn, sich als<br />

kleiner, glücklicher Sonnenschein darzustellen.<br />

Vielleicht hat das (und dass<br />

sie die Menschen, die sie gefunden<br />

hat, nicht mehr ziehen lässt) etwas<br />

mit den Umständen zu tun, in denen<br />

sie aufgewachsen ist: mit Eltern, die<br />

ständig ihren Wohnsitz änderten. So<br />

kam sie nie in die Situation, sich in<br />

einer Gruppe einordnen zu müssen<br />

– allerdings auch nicht dazu, sich dauerhaft<br />

Bekanntschaften zu suchen.<br />

Sie hatte keine Freunde und stürzte<br />

sich als junges Mädchen ins Tanzen.<br />

Es wurde ihr Traum, Künstlerin zu<br />

sein, doch schnell merkte sie, dass<br />

es nicht diese Kunstform sein würde.<br />

„Tanzen ist recht formelhaft, es gibt<br />

bestimmt Dinge, die du zu tun hast.<br />

Es wurde mir langweilig, ich fand es<br />

unkreativ. Tänzer müssen ihr ganzes<br />

Leben im Studio verbringen, und einer<br />

von tausend schafft es. Ich passte<br />

nicht dazu, denn alles dreht sich um<br />

den Körper und ich wollte feiern und<br />

trinken und um die Welt reisen. Und<br />

alles dreht sich dabei um Disziplin,<br />

wie du isst usw.“ Natürlich hat diese<br />

Schule der militärhaften Disziplin<br />

ihrer Musikkarriere nicht geschadet,<br />

aber verglichen mit der Tanzwelt<br />

kommt ihr dieses Business wie Urlaub<br />

vor. Und das ist vielleicht die letzte<br />

Zutat, um Lykke Li zu<br />

verstehen: Dass trotz<br />

der Tiefe und Traurigkeit<br />

hinter allem<br />

auch Verspieltheit<br />

steckt, eine kreative<br />

Leichtigkeit. Ohne<br />

diese würde keine<br />

Inspiration die Geburt<br />

überleben. Und so<br />

ergibt dann auch das<br />

Cover Sinn – denn<br />

dort ist das „sad“<br />

durchgestrichen. *fis

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