15.12.2012 Aufrufe

Die vorgezogenen Parlamentswahlen in der Ukraine 2007

Die vorgezogenen Parlamentswahlen in der Ukraine 2007

Die vorgezogenen Parlamentswahlen in der Ukraine 2007

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

12 Heiko Ple<strong>in</strong>es (Hg.)<br />

Der Konfl ikt um die Parlamentsaufl ösung (April <strong>2007</strong>)<br />

Heiko Ple<strong>in</strong>es, Forschungsstelle Osteuropa, Bremen<br />

Am 2. April <strong>2007</strong> verfügte <strong>der</strong> ukra<strong>in</strong>ische Präsident Viktor Juschtschenko per Erlass die Aufl ösung des Parlaments<br />

und setzte Neuwahlen für den 27.5. an. In e<strong>in</strong>er Fernsehansprache begründete er se<strong>in</strong>e Entscheidung mit<br />

dem verfassungswidrigen Versuch <strong>der</strong> Regierungskoalition Oppositionsabgeordnete anzuwerben. Mit <strong>der</strong> Veröffentlichung<br />

im Amtsblatt trat <strong>der</strong> Erlass am Folgetag formal <strong>in</strong> Kraft. In e<strong>in</strong>er Eilsitzung des Parlaments verurteilten<br />

die Abgeordneten <strong>der</strong> Regierungskoalition die Parlamentsaufl ösung als »Schritt zu e<strong>in</strong>em Staatsstreich«.<br />

In e<strong>in</strong>er Resolution verfügten sie die Aufl ösung <strong>der</strong> Wahlkommission und verbaten <strong>der</strong> Regierung die F<strong>in</strong>anzierung<br />

vorgezogener <strong>Parlamentswahlen</strong>. Abgeordnete <strong>der</strong> Regierungskoalition for<strong>der</strong>n das Verfassungsgericht auf,<br />

die Verfassungsmäßigkeit <strong>der</strong> Parlamentsaufl ösung zu klären.<br />

Damit beg<strong>in</strong>nt e<strong>in</strong>e neue Phase im Konfl ikt zwischen Regierung und Präsident. Erstens kann sich das Verfassungsgericht<br />

nun nicht länger aus dem Konfl ikt heraushalten. Zweitens mobilisieren beide Seiten ihre Anhänger<br />

zu Protestveranstaltungen <strong>in</strong> Kiew. Entscheidend aber ist, dass <strong>der</strong> Konfl ikt nun endgültig den Charakter<br />

e<strong>in</strong>er akuten Verfassungskrise annimmt.<br />

Im folgenden kommentieren Ukra<strong>in</strong>e-Experten die aktuellen Entwicklungen. Redaktionsschluss für die<br />

Beiträge war <strong>der</strong> 23.4. Anschließend folgt e<strong>in</strong>e Dokumentation <strong>der</strong> Haltung <strong>der</strong> Bevölkerung zur Krise und<br />

zu den beteiligten politischen Akteuren.<br />

»Staatszerfall« <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ukra<strong>in</strong>e?<br />

Ursachen und Konsequenzen <strong>der</strong> gegenwärtigen Krise<br />

Dr. Ingmar Bredies, DAAD-Fachlektor mit Schwerpunkt »Deutschland- und Europastudien« am Lehrstuhl<br />

für Politikwissenschaft <strong>der</strong> Nationalen Universität »Kiewer Mohyla-Akademie«<br />

Viele Beobachter g<strong>in</strong>gen lange davon aus, dass die Ukra<strong>in</strong>e nach dem »zweiten Systemwechsel« <strong>der</strong> Orangen Revolution<br />

e<strong>in</strong>en nachhaltigen und unumkehrbaren Schritt <strong>in</strong> Richtung Demokratisierung und Europäisierung vollzogen<br />

hätte. Nicht erst die Eskalation <strong>der</strong> politischen Spannungen durch den Präsidentenerlass zur Parlamentsaufl<br />

ösung Anfang April <strong>2007</strong> verlangt e<strong>in</strong>e grundlegende Neubewertung <strong>der</strong> jüngsten Ereignisse. Es handelt sich<br />

hierbei um e<strong>in</strong>en Konfl ikt, dessen Ursprung <strong>in</strong> <strong>der</strong> zahlreiche Schiefl agen und normative Lücken aufweisenden<br />

Verfassungsordnung von 1996 angelegt ist und seither zyklisch immer wie<strong>der</strong> unüberw<strong>in</strong>dbar sche<strong>in</strong>ende Konfrontationen<br />

zwischen Präsident und Parlament provozierte. Der Amtsvorgänger Viktor Juschtschenkos, Leonid<br />

Kutschma, ließ sich vor dem H<strong>in</strong>tergrund des jüngsten Präsidentenerlasses zu <strong>der</strong> Aussage verleiten, er hätte<br />

während se<strong>in</strong>er zehnjährigen Amtszeit (1994-2004) nur davon träumen können, das Parlament tatsächlich aufzulösen.<br />

Der letzte große Kompromiss kam dabei im Dezember 2004 zustande, als die Umsetzung e<strong>in</strong>es bis dato<br />

präzedenzlosen 3. Wahlgangs bei Präsidentschaftswahlen nur über die Gewährung e<strong>in</strong>er Verfassungsän<strong>der</strong>ung,<br />

die e<strong>in</strong> parlamentarisch-präsidentielles Regierungssystem etablieren sollte, ausgehandelt werden konnte.<br />

Was sich 2004 ereignet hat, lässt sich am treff endsten als Resultat e<strong>in</strong>er gesellschaftlich erzwungenen, selektiven<br />

Elitenpluralisierung beschreiben. Bereits seit 2000 bemühte sich Präsident Kutschma, angesichts wachsenden<br />

öff entlichen Drucks und Unpopularität, um die Umsetzung e<strong>in</strong>er Verfassungsreform, die e<strong>in</strong>e Selbstbeschneidung<br />

<strong>der</strong> Kompetenzen des Präsidenten zugunsten des Parlaments vorsah. <strong>Die</strong>se Sche<strong>in</strong>reform trug<br />

dem Umstand Rechnung, dass die <strong>in</strong> sich hoch fragmentierte und aus e<strong>in</strong>er Vielzahl von Individual<strong>in</strong>teressen<br />

bestehende »Allianz <strong>der</strong> Macht« um das Präsidentenamt als Koord<strong>in</strong>ationszentrum künftig nicht mehr zu<br />

halten war. Seit den <strong>Parlamentswahlen</strong> 1998 fand e<strong>in</strong>e starke Vere<strong>in</strong>nahmung des Parlaments durch e<strong>in</strong>zelne<br />

F<strong>in</strong>anz-Industrielle Gruppen statt. <strong>Die</strong>se Gruppierungen konnten im Gefolge <strong>der</strong> »Revolution <strong>in</strong> Orange« mit<br />

Hilfe <strong>der</strong> Unterstützung von bestimmten Bevölkerungsteilen e<strong>in</strong> »Umgießen« des Elitenregimes vom superpräsidentiellen<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong> parlamentarisch-präsidentielles Regierungssystem erwirken. <strong>Die</strong> Form selbst än<strong>der</strong>te sich,<br />

alte Funktionsmechanismen politischer Herrschaft sollten sich jedoch als <strong>in</strong>takt erweisen, wie sich nach <strong>der</strong><br />

Orangen Revolution schnell herausstellen sollte. <strong>Die</strong> mit 2004 nachweislich e<strong>in</strong>setzende gesamtgesellschaft-

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!