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Die vorgezogenen Parlamentswahlen in der Ukraine 2007

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20 Heiko Ple<strong>in</strong>es (Hg.)<br />

dem unterschiedliche Interessen je nach Kräfteverhältnis mehr o<strong>der</strong> weniger befriedigt werden, Kompromisse<br />

ausgehandelt werden können, wie jüngstens bei <strong>der</strong> Entscheidung über den Staatshaushalt. Der Präsident ist<br />

<strong>in</strong> se<strong>in</strong>en überbordenden Kompetenzen aus <strong>der</strong> Zeit Kutschmas deutlich beschnitten worden, die Regierung,<br />

von e<strong>in</strong>er <strong>in</strong> Verhandlungen gebildeten Parlamentsmehrheit abhängig, hat eigenes Gewicht gewonnen. <strong>Die</strong><br />

Parteien, die schon seit <strong>der</strong> Wahlrechtsän<strong>der</strong>ung wichtiger geworden s<strong>in</strong>d, werden nun tatsächlich zu starken<br />

Akteuren <strong>der</strong> politischen Arena. Aus dem Gegene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> und <strong>der</strong> Unmöglichkeit e<strong>in</strong>er Seite, die an<strong>der</strong>e dauerhaft<br />

zu dom<strong>in</strong>ieren, könnte auch <strong>der</strong> Anstoß zu e<strong>in</strong>em dauerhaften Regelkompromiss erwachsen, e<strong>in</strong> stabilerer<br />

Konsens entstehen – wie schon Heiko Ple<strong>in</strong>es kürzlich <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ukra<strong>in</strong>e-Analyse Nr. 21 vermutet hatte. Bisher<br />

entstand er nicht, da die Verfassungsentscheidungen 1996 und 2004 häufi g aus e<strong>in</strong>em chaotischen Gegene<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

und zum Teil aus Überfall ähnlichen Situationen entstanden s<strong>in</strong>d. Weitere Än<strong>der</strong>ungen am Wahlund<br />

Parteienrecht s<strong>in</strong>d ebenfalls dr<strong>in</strong>gend.<br />

Allerd<strong>in</strong>gs gibt es an<strong>der</strong>e Szenarien als dieses sehr optimistische e<strong>in</strong>es aus dem Patt erwachsenden Elitenkompromisses.<br />

Aus me<strong>in</strong>er Sicht haben beide politischen Lager (o<strong>der</strong> wenn BJUT extra gerechnet wird: alle<br />

drei) zum<strong>in</strong>dest zwei große Probleme, die sich kaum kurzfristig überw<strong>in</strong>den lassen. <strong>Die</strong> ukra<strong>in</strong>ische Politik ist<br />

auch nach <strong>der</strong> »Orangen Revolution« durch e<strong>in</strong>en tiefen Rechtsnihilismus <strong>der</strong> Politiker und <strong>der</strong>en Entfremdung<br />

von <strong>der</strong> Bevölkerung gekennzeichnet. Das Recht und die Gerichte werden immer noch vor allem als Instrument<br />

<strong>der</strong> Durchsetzung <strong>der</strong> eigenen Macht verstanden. Regeln werden nur e<strong>in</strong>gehalten, sofern sie den eigenen<br />

Zielen nutzen. E<strong>in</strong>zelne Gerichte und Richter spielen bei diesem Missbrauch des Rechts als Macht<strong>in</strong>strument<br />

e<strong>in</strong>e beson<strong>der</strong>s unrühmliche Rolle. Bekanntlich gab es nicht nur Gerüchte son<strong>der</strong>n konkrete Beschuldigen <strong>der</strong><br />

Spitze <strong>der</strong> Staatssicherheit gegen e<strong>in</strong>e Richter<strong>in</strong> des Verfassungsgerichtes, sie sei durch mehrere Wohnungen<br />

und Grundstücke <strong>in</strong> bevorzugter Lage bestochen worden. Gegen die Kritik <strong>der</strong> Opposition an <strong>der</strong> Bestechlichkeit<br />

von Richtern des Verfassungsgerichts setzte e<strong>in</strong> Politiker, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e zeit lang mit <strong>der</strong> Opposition gegangen<br />

war, Michail Brodskiy, öff entlich den Vorwurf, auch Julia Timoschenko hätte erfolgreich Richter dieses<br />

Gerichtes bestochen. Es geht aber nicht nur um die E<strong>in</strong>schränkung <strong>der</strong> Unabhängigkeit <strong>der</strong> Gerichte, son<strong>der</strong>n<br />

um den generellen Rechtsnihilismus <strong>der</strong> Politiker. Auch im Präsidentenerlass vom 2. April wird weniger mit<br />

dem Buchstaben <strong>der</strong> Verfassung als mit ihrem Geist argumentiert. Jedenfalls stellt die <strong>in</strong> diesem Erlass angewiesene<br />

sofortige vollständige E<strong>in</strong>stellung <strong>der</strong> Tätigkeit des Parlaments e<strong>in</strong>e aus an<strong>der</strong>en Demokratien nicht<br />

bekannte Kompetenz des Staatsoberhauptes dar. Über die Rechtsverletzungen <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seiten muss nicht<br />

berichtet werden. Ohne e<strong>in</strong>e gewisse Achtung vor den gesetzlich beschlossenen Regeln und Normen des Verhaltens,<br />

vor dem demokratisch legitimierten Recht, kann es ke<strong>in</strong>e Demokratie geben. Zur Missachtung des<br />

Rechtsstaates durch ukra<strong>in</strong>ische Politiker gehört auch die Praxis e<strong>in</strong>er extrem ausgeweiteten Abgeordnetenimmunität,<br />

die ihnen Schutz gegen jegliche Verletzung von Gesetzen bietet.<br />

Es erstaunt nicht, dass dieses Verhalten <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> politischen Klasse zu ihrer Entfremdung vom Rest<br />

<strong>der</strong> Bevölkerung führt. <strong>Die</strong> Gleichgültigkeit <strong>der</strong> Bevölkerung Kiews gegenüber den blau-weißen o<strong>der</strong> orangen<br />

Fahnenmeeren <strong>der</strong> politischen Lager im April <strong>2007</strong> ist e<strong>in</strong> Ausdruck dieser zunehmenden Entfremdung. In<br />

e<strong>in</strong>er aktuellen Me<strong>in</strong>ungsumfrage erklärten sich dieser Tage 65 % <strong>der</strong> Befragten mit <strong>der</strong> Aussage e<strong>in</strong>verstanden,<br />

dass die Parlamentsabgeordneten <strong>in</strong> ihrer Tätigkeit ihren persönlichen Interessen, nicht aber denen ihrer<br />

Wähler nachgehen. <strong>Die</strong> Politiker leben auf Grundlage ihrer nicht immer legalen E<strong>in</strong>künfte <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er an<strong>der</strong>en<br />

Welt als die Masse <strong>der</strong> Bevölkerung. <strong>Die</strong> Früchte des wirtschaftlichen Aufschwungs, <strong>der</strong> seit 1999 anhält, s<strong>in</strong>d<br />

bei den meisten Ukra<strong>in</strong>ern (zum<strong>in</strong>dest außerhalb Kiews) noch nicht angekommen.<br />

Beide Merkmale, Ger<strong>in</strong>gschätzung des geschriebenen Rechts und Entfremdung vom Alltag <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

könnten dazu führen, dass die Legitimität <strong>der</strong> demokratischen Institutionen (ob Präsident, Regierung<br />

o<strong>der</strong> Parlament) weiter unterhöhlt wird. <strong>Die</strong> autoritäre Macht, die <strong>in</strong> <strong>der</strong> ersten Hälfte des laufenden Jahrzehnts<br />

gescheitert ist, könnte getragen von e<strong>in</strong>er Kampagne des energischen Kampfes gegen Korruption wie<strong>der</strong>kehren,<br />

wenn es zu ke<strong>in</strong>er Überw<strong>in</strong>dung <strong>der</strong> geschil<strong>der</strong>ten Probleme im Verhalten <strong>der</strong> Politiker/<strong>in</strong>nen kommt.<br />

Solange die Institutionen schwach s<strong>in</strong>d, hängt bekanntlich sehr viel von den starken Akteuren ab. Das wäre<br />

dann eher e<strong>in</strong> weißrussisches Szenario.

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