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„Bauernbefreiung“ – eine kurze Einführung

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immer wieder hervorgehoben wird, aber auch von der neueren Forschung bestätigt<br />

wurde. 134<br />

Kompliziert waren ebenfalls die Beziehungen zwischen den einzelnen sozialen<br />

Gruppen im Dorf, wobei es in diesem Bereich wiederum regionale Abweichungen bzw.<br />

regionale Muster gab. In den Gebieten mit Hollandgang spielten offenbar die<br />

Hollandgänger auch für die bäuerliche Bevölkerung <strong>eine</strong> wichtige Rolle. Mit dem<br />

verdienten Geld wurden bei der Rückkehr nicht selten die obrigkeitlichen Steuern und<br />

die Schulden bei den Bauern bezahlt, die im Winter oder Frühjahr entstanden waren,<br />

weil kein Brot- und kein Saatkorn mehr vorhanden waren. 135 Dieses Geld wurde von<br />

den Bauern zumindest teilweise für Investitionen genutzt, wie das Beispiel der<br />

Wehlburg nahe legt. 136<br />

Zusätzliche Verdienstmöglichkeiten verbunden mit den Abfindungen, die den<br />

weichenden Erben zustanden, bildeten oft den Anlass für frühe Familiengründungen.<br />

Nicht erbberechtigte Söhne kauften von ihrer Abfindung <strong>eine</strong>n Webstuhl und<br />

heirateten bald; denn Kinder waren wertvolle Arbeitskräfte, die schon im Alter von 6-8<br />

Jahren mithelfen mussten.<br />

Die meist armen Brinksitzer oder Einlieger sahen indes nicht ohne Verbitterung ihre<br />

Abhängigkeit von den großen Bauern. Die Bauern wiederum warfen den kl<strong>eine</strong>n<br />

Leuten vor, verschwenderisch mit dem Geld umzugehen und sich nicht an alte<br />

dörfliche Sitten zu halten, früh Kinder zu bekommen und <strong>eine</strong>n unschicklichen<br />

Lebenswandel zu führen. Für den Einlieger, Brinksitzer oder Heuerlinge aber waren<br />

Kinder wertvolle Arbeitskräfte, ohne deren frühe Mitarbeit beim Spinnen, Weben,<br />

Viehhüten, Torfmachen u.a. ein Überleben nur schwer war. 137<br />

Auf diese Weise etablierten sich neue Abhängigkeiten, die neben den vorhandenen<br />

feudalen lagen. Die Dynamik dieser ländlichen Gesellschaft zwischen Landwirtschaft,<br />

Verlagsarbeit und Wanderarbeit, ist mit dem zwar umstrittenen aber auf die Forschung<br />

äußerst anregenden Konzept der „Proto-Industrialisierung“ zu fassen versucht<br />

worden. Die ursprünglichen Ergebnisse über die Wechselbeziehungen zwischen<br />

Verlagsarbeit, demographischer und industrieller Entwicklung wurden inzwischen<br />

verf<strong>eine</strong>rt, ergänzt und korrigiert. 138 In dieser Perspektive treten die<br />

Wechselbeziehungen und die regionale Variationsbreite stärker hervor, wird aber auch<br />

der Übergangscharakter dieser Periode betont.<br />

Armut, Abhängigkeit und soziale Ungleichheit gehörten zu den elementaren<br />

Erfahrungen dieser ländlichen Welt des 17. bis frühen 19. Jahrhunderts: die<br />

Unterschichten waren streng getrennt von der bäuerlichen Oberschicht; lediglich für<br />

die Kleinbauern bot sich zuweilen die Chance sozialen Aufstiegs. Damit war die<br />

ländliche Gesellschaft „in hohem Maße bäuerlich geprägt, und sie blieb es, obwohl sie<br />

von der Proto-Industrialisierung erfaßt wurde und die Bauern bald nur noch <strong>eine</strong><br />

Minderheit in ihr waren“. 139<br />

134 Als bekanntestes Beispiel zeitgenössisches Beispiel: SCHWERZ (circa 1980 = 1836); sonst:<br />

REINDERS (1990); BÖLSKER-SCHLICHT (1987), 88-165.<br />

135<br />

TACK (1902); SCHAER (1978), BÖLSKER-SCHLICHT (1987), 295 f mit zwei Beispielrechnungen.<br />

136<br />

OTTENJANN (1975).<br />

137 Eindrucksvolle Belege bei , etwa 81-95. Allerdings konnten von der neueren Forschung<br />

die Annahmen der Protoindustrialisierungsforscher nicht bestätigt werden, dass es <strong>eine</strong>n<br />

eindeutigen Zusammenhang zwischen heimgewerblicher Arbeit und frühem Heiratsalter<br />

gab.<br />

138 Neuester Überblick bei Markus Cerman; Sheilagh C. Ogilvie (1994).<br />

139<br />

SCHLUMBOHM (1994), S. 612.<br />

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