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LA KW 31

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B RIEFKASTEN<br />

Die hier veröffentlichten Zuschriften geben<br />

die Meinung des Verfassers wieder.<br />

E-Mail: leserbrief@rundschau.at<br />

Betrifft: „Es wurden<br />

schon Spielplätze gesperrt“<br />

Ausgabe 30, 25./26. Juli 2018<br />

Lieber Reinhold, als ich deine Stellungnahme<br />

zum Thema „Wolf in<br />

Tirol“ gelesen habe, war ich erstaunt<br />

und sehr irritiert. Ich habe mich bereits<br />

seit meiner Jugend mit diesem<br />

Tier beschäftigt. Während meines<br />

Zoologiestudiums konnte ich mehrere<br />

Monate mit Wölfen in einem amerikanischen<br />

Wolfspark arbeiten und<br />

fast jedes Jahr fahre ich einmal nach<br />

Polen, um dort mit einem Experten<br />

die dortige Wolfspopulation zu beobachten<br />

und mehr über die Arbeit im<br />

Feld zu lernen. Dass nun ausgerechnet<br />

ein Biologe beim Thema Wolf so<br />

ein dunkles Horrorszenario ausmalt,<br />

ist mir doch unverständlich. Jetzt hab<br />

ich mir gedacht, ich spiel mal die Taschenlampe<br />

und leuchte ein bisschen<br />

in das Dunkle hinein, um zu schauen,<br />

ob in der Dunkelheit auch was<br />

Greifbares zu finden ist.<br />

Zuerst einmal zu den Zahlen tödlicher<br />

Wolfsangriffe. (Ich schätze<br />

mal, die stammen vom sog. Linnel<br />

Report oder hast du andere Quellen?)<br />

So für sich klingen die Zahlen<br />

ja wirklich irgendwie beunruhigend.<br />

Und wenn ich jetzt eine junge Mutter<br />

wäre und das so ohne Kontext<br />

lese, würde ich mich wahrscheinlich<br />

auch fragen, ob ich den kleinen Maximilian<br />

überhaupt noch allein in<br />

die Schule schicken kann oder ob<br />

der Opa ohne Bewaffnung mit Bello<br />

noch einen Waldspaziergang machen<br />

darf. Ich hab mir kurz überlegt, ob<br />

ich hier anfangen sollte Vergleichszahlen<br />

aufzulisten, zum Beispiel: wie<br />

viele Menschen durch Kühe sterben<br />

oder durch Pferde, wie viele durch<br />

Blitzschlag, Zecken, Grippe, beim<br />

Fensterputzen, in der Dusche oder<br />

beim Fahrradfahren? Aber ich dachte<br />

mir, es wäre doch besser, wenn jene<br />

Menschen, die sich durch die Anzahl<br />

der „Wolfstoten“ beunruhigt fühlen,<br />

einfach mal selber versuchen im Internet<br />

nachzuschauen in welchem<br />

Verhältnis die Anzahl der „Wolfstoten“<br />

zu anderen Risiken stehen.<br />

(Aber bitte dabei nicht vergessen,<br />

dass die Wolfszahlen sich auf das gesamte<br />

20. Jh. in ganz Europa beziehen!)<br />

Ich hoffe, durch dieses kleine<br />

Experiment wird die Angst, durch<br />

einen Wolf zu sterben, für den einen<br />

oder anderen wieder etwas relativiert.<br />

Dann zur totalen Zerstörung der<br />

Almwirtschaft. Etwas möchte ich<br />

gleich zu Beginn klarstellen: Ich<br />

denke nicht, dass es durch den Wolf<br />

keine Probleme für die Bauern gibt<br />

und geben wird. Es wäre naiv, das<br />

anzunehmen. Meiner Meinung nach<br />

muss die Politik hier auf die Sorgen<br />

und Ängste der Betroffenen eingehen<br />

und sie unterstützen. Aber einfach zu<br />

sagen, wenn der Wolf kommt, stirbt<br />

die Almwirtschaft und deshalb wär<br />

es vielleicht besser, ihn gleich wieder<br />

auszurotten, ist kein Lösungsvorschlag,<br />

der in unser Jahrhundert<br />

passt. Ganz generell teile ich deine<br />

Ansicht nicht, dass die Almwirtschaft<br />

durch den Wolf vernichtet wird. In<br />

der Schweiz gibt es, soweit ich weiß,<br />

7300 Almwirtschaften und seit ca.<br />

15 Jahren leben dort wieder Wölfe<br />

(vermutlich zwischen 30–40 Tiere).<br />

In Deutschland gibt es 9 600 Schafbetriebe<br />

und dort gibt es etwa 60<br />

Wolfrudel, die ersten Tiere wurden<br />

vermutlich vor etwa 18 Jahren wieder<br />

sesshaft. In ganz Europa schätzt man<br />

die Wolfspopulation auf ca. 12 000<br />

Tiere. Was ich damit eigentlich sagen<br />

will, ist, dass es offensichtlich<br />

möglich ist, mit dem Wolf zu leben,<br />

ohne dass es zu den dramatischen<br />

Veränderungen kommt, welche du<br />

hier prophezeist. Jetzt wirst du mir<br />

antworten: Ja, aber in einigen dieser<br />

Länder gibt es doch Probleme<br />

mit dem Wolf. Natürlich gibt es die.<br />

Ein Wildtier bleibt ein Wildtier und<br />

man kann das Verhalten eben nicht<br />

hundertprozentig voraussagen. Aber<br />

scheinbar ist es möglich, dass Wölfe<br />

und bäuerliche Betriebe nebeneinander<br />

überleben können. Wir haben in<br />

Österreich einen großen Vorteil. Da<br />

der Wolf relativ spät zu uns kommt<br />

(wir sind eigentlich seit vielen Jahren<br />

von Ländern umgeben mit größeren<br />

und kleineren Wolfpopulationen),<br />

können wir nun schon ein bisschen<br />

von unseren Nachbarn lernen, was<br />

funktioniert und was nicht.<br />

Für mich lässt es sich auf eine ganz<br />

grundsätzliche, zugegeben philosophische<br />

Frage reduzieren: Machen<br />

wir so weiter wie bisher oder versuchen<br />

wir neue Wege zu gehen? Wenn<br />

wir bei Problemen mit Natur und<br />

Umwelt den alten (und einfachen)<br />

Weg gehen wollen, dann müssen wir<br />

dies Menschen in anderen Regionen<br />

auch zugestehen. Warum sollen in<br />

Asien oder Afrika nicht alle Elefanten<br />

erschossen werden, die dort über die<br />

Felder der Bauern herfallen? Warum<br />

sollte man Jaguare in Südamerika<br />

nicht töten, wenn sie die Nutztiere<br />

der Farmer angreifen? Warum nicht<br />

auf Flusspferde verzichten, wenn sie<br />

doch angeblich so häufig für den Tod<br />

von Menschen verantwortlich sind?<br />

Und was ist mit giftigen Schlangen<br />

oder Haien? Die Liste ließe sich noch<br />

lange so fortführen. Am Ende würden<br />

von den Wildtieren vermutlich<br />

hauptsächlich jene übrig bleiben, die<br />

irgendwie schmackhaft sind oder aus<br />

denen man schöne Handtaschen machen<br />

kann. Mir wäre der andere Weg<br />

doch lieber.<br />

Noch ein paar Worte zur Jagd.<br />

Wenn man sich die Wildbestände<br />

bei uns ansieht, ist es sehr unwahrscheinlich,<br />

dass in nächster Zeit Rotoder<br />

Schwarzwild durch den Wolf<br />

ernsthaft bedroht sein werden. Dass<br />

Reh und Co. etwas vorsichtiger und<br />

scheuer werden in Anwesenheit eines<br />

neuen Beutegreifers ist zu erwarten,<br />

aber das Wild wird sich schneller an<br />

den neuen Kollegen im Wald gewöhnen<br />

als vermutlich einige Jäger.<br />

Ich hoffe, lieber Reinhold, dass ein<br />

paar meiner Gedanken dich vielleicht<br />

dazu bringen, etwas optimistischer<br />

in die Zukunft zu schauen und den<br />

Wolf nicht nur als ökonomischen<br />

Störenfried und als Gefahr für Leib<br />

und Leben zu sehen, sondern als<br />

Chance, dass eine moderne und solidarische<br />

Gesellschaft es schafft, alte<br />

Konflikte mit neuen Ideen zu lösen.<br />

Mit freundlichen Grüßen,<br />

<br />

Marko Ascher, Wien<br />

<br />

Foto: Ascher<br />

Anm. d. Red.: Marko Ascher über<br />

sich selbst: aufgewachsen in Landeck<br />

und Fließ. Er ist Zoologe und<br />

gelernter Tierpfleger und arbeitet<br />

als Tierpfleger im Tiergarten Schönbrunn<br />

in Wien. Mit dem Thema Wolf<br />

beschäftigt er sich seit seiner Jugend,<br />

er hat u. a. mehrere Praktika in verschiedenen<br />

Wolfparks gemacht. Ab<br />

und zu reist er nach Polen, um dort<br />

einen professionellen Wolfsexperten<br />

bei seiner Arbeit im Feld zu begleiten<br />

und von ihm zu lernen. Ehrenamtlich<br />

ist er Mitglied und war auch<br />

einige Jahre im Vorstand der Austrian<br />

Biologist Association (ABA).<br />

Demokratie, quo vadis?<br />

Antidemokratische Tendenzen<br />

sind leider in der EU, ja weltweit,<br />

zu beobachten. Die derzeitige österreichische<br />

Regierung ist von diesem<br />

Virus leider auch stark befallen (siehe<br />

überfallsartige Gesetzesanträge ohne<br />

Begutachtungsmöglichkeit und ordentliche<br />

Befassung im Parlament,<br />

beabsichtigte Schwächung der Sozialpartnerschaft,<br />

Einschränkung der<br />

Kritik an Politik und Politikern im<br />

ORF u.s.w.). Tirol wird immer wieder<br />

als älteste Demokratie des Alpenraumes<br />

bezeichnet. (Die Begründung<br />

wird meist nicht geliefert.) Jetzt<br />

scheint die Entwicklung aber auch in<br />

Tirol in die Richtung der Aushöhlung<br />

der Demokratie zu gehen. In<br />

Going hat der Kulturausschuss der<br />

Gemeinde den Auftritt des Tiroler<br />

Kabarettisten Markus Koschuh im<br />

Oktober geplant. Markus Koschuh<br />

ist meines Erachtens der einzige Tiroler<br />

politische Kabarettist, der seine<br />

Aufgabe wahrnimmt und den<br />

Politikern auf die Finger schaut und<br />

sie in seinen Programmen kritisiert.<br />

Daher intervenierten Tourismusverband<br />

und Liftbetreiber gegen diese<br />

Absicht. Irgendwie wird man dabei<br />

an die „Piefke-Saga“ von Felix Mitterer<br />

erinnert. Der Tourismus verträgt<br />

keine Kritik. Bleiben dann die Gäste<br />

weg? Ich glaubte, dass diese Denkart<br />

in Tirol überwunden ist.<br />

Doch nach Intervention der Landesregierung<br />

hat der Bürgermeister<br />

von Going diese Veranstaltung verboten.<br />

Das ist für mich aber ein Anschlag<br />

auf die Demokratie. Demokratie<br />

lebt von der Meinungsvielfalt und<br />

davon, dass man die Meinung öffentlich<br />

sagen darf. Daher sind die Pressefreiheit<br />

und die Freiheit der Kunst<br />

Grundpfeiler der Demokratie. Und<br />

wenn von höchster Stelle im Land<br />

aus diese Freiheit der Kunst untergraben<br />

wird, ist Widerstand geboten.<br />

Wehret den Anfängen!!!<br />

Hoffentlich gibt es im Land genügend<br />

Veranstalter, die Markus Koschuh<br />

zu einem Auftritt einladen. Ich<br />

werde mich in Landeck darum bemühen<br />

und auch einen entsprechenden<br />

finanziellen Beitrag leisten.<br />

<br />

Manfred Weiskopf, Landeck<br />

RUNDSCHAU Seite 8 1./2. August 2018

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