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CliniCum pneumo 05/2018

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auch hier zu Hustenattacken und dem typischen Auswurf.<br />

„Die Lungenpest verläuft unbehandelt fast immer tödlich.<br />

In Einzelfällen erkranken und sterben Patienten innerhalb<br />

eines Tages nach der Infektion“, weiß Indra.<br />

In den USA endemisch<br />

In Europa ist die Pest ausgestorben, in anderen Erdteilen<br />

ist sie nach wie vor präsent. In den USA – insbesondere<br />

den südwestlichen Bundesstaaten wie New Mexico, Arizona,<br />

Kalifornien und Colorado – ist Yersinia pestis endemisch,<br />

dort werden jedes Jahr etwa fünf bis 15 Fälle von<br />

Beulenpest bei Menschen diagnostiziert. Obwohl 20 Prozent<br />

dieser Fälle zur sekundären Lungenpest führen, wurde<br />

in den USA seit 1924 keine einzige primäre Lungenpest<br />

dokumentiert. „Weltweiter Hotspot der Pest ist heute<br />

Madagaskar“, bekräftigt Indra. Seit Ende August 2017 gibt<br />

es auf der Insel östlich von Afrika einen humanen Pestausbruch<br />

mit bisher 560 Erkrankungsfällen und einem<br />

hohen Anteil an Lungenpest. Die Sterblichkeit liegt bei<br />

rund zehn Prozent.<br />

Antibiotische Therapie<br />

Grundsätzlich kann die Pest heutzutage mit Antibiotika<br />

gut behandelt werden. Die intravenöse Therapie mit<br />

Doxycyclin oder Ciprofloxacin sollte so bald wie möglich<br />

– innerhalb 24 Stunden nach Auftreten der ersten Symptome<br />

– begonnen werden und über zehn bis 14 Tage oder bis<br />

48 Stunden nach Entfieberung gegeben werden. „An Pest<br />

sollte gedacht werden, wenn die Kombination zwischen<br />

einer passenden klinischen Symptomatik und einer Risikoexposition<br />

besteht“, steht in den entsprechenden Empfehlungen<br />

des deutschen Robert-Koch-Instituts geschrieben.<br />

Mit Risikoexposition ist eine Reise in aktuell von der<br />

Pest betroffene Gebiete innerhalb der letzten sieben Tage<br />

gemeint. In Österreich freilich wurde seit 1945 kein Fall<br />

von Pest bekannt.<br />

Raoult: „Yersinia pestis kann jahrelang im Boden<br />

überleben. Das erklärt, warum die Pest nach<br />

Jahrzehnten der Ruhe plötzlich wieder<br />

ausbrechen kann.“<br />

Flöhe und Läuse<br />

Unter Tieren ist die Pest nach wie vor in vielen Ländern<br />

Afrikas, Amerikas und Asiens verbreitet (der Wild- und<br />

Haustierbestand der Europäischen Union gilt als frei von<br />

Pestbakterien). In den endemischen Gebieten bilden wildlebende<br />

Nagetiere – im Westen der USA auch Erdhörnchen<br />

und Präriehunde – sowie deren Flöhe das natürliche Erregerreservoir<br />

von Yersinia pestis. Über infizierte Flöhe wird<br />

der Erreger schließlich auf den Menschen übertragen. Tatsächlich<br />

ging einer humanen Pestepidemie oft ein massiver<br />

Pestausbruch unter der Rattenpopulation voraus. Sterben<br />

zu viele Ratten an der Pest, dann sind die Flöhe gezwungen,<br />

andere Wirte zu suchen – und befallen den Menschen.<br />

Bereits im Mittelalter berichteten Zeitgenossen<br />

regelmäßig von einem Rattensterben, das dem Ausbruch<br />

der Pest in der Bevölkerung voranging.<br />

Von Mensch zu Mensch gibt es jedoch einen weiteren<br />

wichtigen Übertragungsweg, der erst in den letzten Jahren<br />

in den Fokus getreten ist: über Läuse. Prof. Dr. Didier<br />

Raoult, Direktor der Forschungsabteilung für infektiöse<br />

Tropenkrankheiten an der Universität Aix-Marseille, und<br />

andere Forscher konnten in Läusen in der Demokratischen<br />

Republik Kongo – wo es regelmäßig zu kleineren<br />

Ausbrüchen der Pest kommt – die DNA von Yersinia pestis<br />

nachweisen. Bei anderen hochinfektiösen Erkrankungen<br />

jedenfalls spielen Läuse bei der Übertragung eine zentrale<br />

Rolle. Dies konnte Raoult mehrfach belegen: etwa bei Soldaten<br />

der Napoleonischen Armee, die auf dem Rückzug<br />

vom Russlandfeldzug 1812 mit dem von Bartonella quintana<br />

ausgelösten Fünf-Tage-Fieber zu kämpfen hatte,<br />

oder in einem Massengrab aus dem Spanischen Erbfolgekrieg<br />

(1710–1712) in der nordfranzösischen Stadt Douai,<br />

wo die DNA von Bartonella quintana und Rickettisia prowazekii,<br />

dem Erreger von Fleckfieber, gefunden wurde.<br />

Kontaminiertes Erdreich<br />

Auch ein weiteres Rätsel in Zusammenhang mit der Pest<br />

konnte ein Forscherteam um Raoult lösen: In der Zeit<br />

zwischen der Justinianischen Pest, die im Jahr 541 ausbrach<br />

und bis ungefähr ins Jahr 770 anhielt, bis zum<br />

„Schwarzen Tod“ anno 1346 gibt es keinen Hinweis auf<br />

Pestpandemien in Europa. Wo überdauerte der Erreger<br />

diese jahrhundertelange Zeitspanne? Zum einen sicherlich<br />

in kleinen Rattenpopulationen oder einzelnen Menschen,<br />

wie bereits andere Forscher untermauerten. Zum<br />

anderen aber im Erdreich. Raoult und seine Kollegen wiesen<br />

experimentell nach, dass Yersinia pestis jahrelang im<br />

Boden überleben kann. „Das erklärt, warum die Pest nach<br />

Jahrzehnten der Ruhe plötzlich wieder ausbrechen kann“,<br />

sagt Raoult. Erst im Vorjahr entdeckte der französische<br />

Forscher einen Ort in Algerien, an dem das Erdreich massiv<br />

mit dem Pesterreger kontaminiert ist. Bislang sind insgesamt<br />

mindestens 31 solcher Orte in der nördlichen<br />

Hemisphäre bekannt. Die Pest wird also so schnell nicht<br />

aussterben.<br />

❙<br />

Yersinia pestis – so läuft Wissenschaft<br />

„Plague: The Black<br />

Death”, Meet the<br />

Expert der Österreichischen<br />

Agentur<br />

für Gesundheit und<br />

Ernährungssicherheit<br />

(AGES) und der<br />

Österreichischen<br />

Gesellschaft für<br />

Hygiene, Mikrobiologie<br />

und Präventivmedizin<br />

(ÖGHMP),<br />

Wien, 19.9.18<br />

Vor etlichen Jahren äußerten Forscher Zweifel, dass die Pestepidemien des<br />

Mittelalters und der Neuzeit tatsächlich durch Yersinia pestis verursacht worden<br />

waren. Mehrere Wissenschaftler – allesamt keine Mediziner – behaupteten,<br />

dass es sich beim „Schwarzen Tod“ in Wahrheit um ein virales hämorrhagisches<br />

Fieber gehandelt habe. Diese Fehlannahme ging weltweit durch die Presse<br />

und hielt sich hartnäckig. Prof. Dr. Didier Raoult, Direktor der Forschungsabteilung<br />

für infektiöse Tropenkrankheiten an der Universität Aix-Marseille,<br />

Frankreich, war wesentlich daran beteiligt, diesen Irrtum aufzuklären. Bereits<br />

1998 hatte er in Zähnen von Pestopfern aus dem 15. bis 17. Jahrhundert Teile<br />

der DNA des Pesterregers nachweisen können. Im September hatte die AGES<br />

den weltweit führenden Experten auf dem Gebiet der Pest zu einem Vortrag<br />

nach Wien geladen.<br />

„So läuft Wissenschaft: Man muss wieder und wieder auf die Fakten pochen.<br />

Mit der Zeit setzt sich dann die Wahrheit durch“, fasst Raoult den mühsamen<br />

Prozess zusammen, der dazu führte, dass Yersinia pestis heute als Erreger aller<br />

Pestepidemien seit 1346 unumstritten anerkannt ist.<br />

Bis 2016 wurde die DNA des Bakteriums mithilfe einer speziellen Form der<br />

Polymerase-Kettenreaktion in insgesamt 39 Grabstätten in Europa und Asien<br />

nachgewiesen, deren Alter von der Bronzezeit bis ins 18. Jahrhundert reicht.<br />

Ein internationales Forschungsteam unter Leitung des Max-Planck-Instituts<br />

für Menschheitsgeschichte in Jena hat kürzlich zwei 3.800 Jahre alte Yersiniapestis-Genome<br />

aus einer Grabstätte in der Region Samara im heutigen Russland<br />

rekonstruiert. Aktuelle Studien legen nahe, dass seit der Bronzezeit<br />

mindes tens zwei Linien des Pesterregers gleichzeitig zirkulierten.<br />

5/18 CC<br />

<strong>pneumo</strong><br />

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