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Berliner Kurier 19.11.2018

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10 BERLIN BERLINER KURIER, Montag, 19. November 2018<br />

Am Ende des<br />

Regenbogens<br />

Leiter des<br />

ungewöhnlichen<br />

Heims ist Ralf<br />

Schäfer.<br />

Eine <strong>Berliner</strong> Seniorenresidenz hat sich auf die Pflege von Homosexuellen und<br />

Transpersonen spezialisiert. Dortgibt es auf Wunsch auch eine Sexualassistenz<br />

Von<br />

CHRISTIAN GEHRKE<br />

Berlin – Eigentlich ist das Immanuel-Seniorenzentrum<br />

in<br />

der Schönberger Hauptstraße<br />

121a eine relativ gewöhnliche<br />

Einrichtung. Ein heller<br />

Neubau mit Gemeinschaftsräumen<br />

und viel Platz. Erst<br />

auf den zweiten Blick fallen<br />

die Besonderheiten ins Auge:<br />

die kleine Regenbogenfahne<br />

am Eingang, die Regenbogenfahne<br />

an der Rezeption. Dazu<br />

eine Broschüre der Schwulenberatung<br />

Berlin.<br />

Wer sich mit Heimleiter Ralf<br />

Schäfer (52), einem Mann mit<br />

weichen Gesichtszügen, unterhält,<br />

erfährt: Dieses Heim hat<br />

sich auf die Pflege von Lesben,<br />

Schwulen, Trans-, und Inter-<br />

Personen spezialisiert. Kurz:<br />

LSBTI. Es ist das erste Seniorenheim<br />

mit dieser Spezialisierung<br />

in Deutschland. Jetzt<br />

gab’s dafür das Qualitätssiegel<br />

„Lebensort Vielfalt“. Denn<br />

auch die Mitglieder der Schwulen-und-Lesbenszene,<br />

die in<br />

Schöneberg bekanntlich groß<br />

ist, braucht irgendwann mal<br />

Hilfe. Und vor allem Toleranz.<br />

Ralf Schäfer weiß, dass Homosexuelle,<br />

die heute pflegebedürftig<br />

sind, früher Ausgrenzungserfahrungen<br />

gemacht<br />

haben –zum Teil heftige. In seinem<br />

Haus wohnt ein Mann, der<br />

seine Neigung in der DDR verstecken<br />

musste und auch Probleme<br />

hatte, sie anfangs im Seniorenzentrum<br />

zu zeigen. Wissenschaftler<br />

gehen momentan<br />

DasImmanuel-Seniorenzentrum in<br />

der Schönberger Hauptstraße.<br />

davon aus, dass in Deutschland<br />

etwa 8800 LSBTI-Personen in<br />

Heimen gepflegt werden.<br />

„In anderen Einrichtungen<br />

werden Pflegebedürftige erst<br />

mal so behandelt, als seien sie<br />

grundsätzlich heterosexuell.<br />

Nicht bei uns. Wir haben die<br />

Sprache gendergerecht angepasst,<br />

die Formulare geändert,<br />

Mitarbeiter geschult“, so der<br />

Heimleiter. Sollte mal ein Bewohner<br />

einziehen, der das HI-<br />

Virus hat und besondere Pflege<br />

braucht, will er darauf vorbereitet<br />

sein.<br />

In diesem Haus liegt die Toleranzgrenze<br />

sehr weit oben: Es<br />

gibt eine Bibliothek mit homoerotischer<br />

Literatur („Tod in<br />

Venedig“ von Thomas Mann),<br />

neulich wurde eine schwul-lesbische<br />

Filmreihe gezeigt. Und<br />

wenn mal ein Pornofilm gewünscht<br />

ist, sei das überhaupt<br />

kein Problem. „Wenn ein Bewohner<br />

oder eine Bewohnerin<br />

das Bedürfnis nach Sex äußert,<br />

besprechen wir, was er oder sie<br />

sich wünscht und organisieren<br />

gegebenenfalls auch eine Sexualassistenz“,<br />

so Ralf Schäfer.<br />

Sprich: Es kommt eine Prostituierte<br />

oder ein Prostituierter in<br />

das Immanuel-Seniorenzentrum.<br />

Allerdings –und das ist<br />

den Mitarbeitern und der<br />

Heimleitung wichtig –ist Sexualität<br />

hier kein Dauerthema,<br />

aber es wird eben auch nicht<br />

unterdrückt. „Sexuelle oder geschlechtliche<br />

Identität ist ein<br />

völlig normaler Punkt in der<br />

Biografie, und den berücksichtigen<br />

wir“, so Ralf Schäfer, der<br />

selbst homosexuell ist. Er erinnert<br />

sich an einen Pflegebedürftigen,<br />

der den Fetisch hatte,<br />

in einer Gummihose zu<br />

schlafen. Die Mitarbeiter haben<br />

sich auf ihn eingestellt.<br />

Angestellte des Seniorenzentrums<br />

und Mitglieder der<br />

Schwulenberatung Berlin kennen<br />

sich schon länger, vom<br />

schwul-lesbischen Straßenfest<br />

am Nollendorfplatz zum Beispiel.<br />

So kam der Kontakt zustande.<br />

Im vergangenen Jahr<br />

beauftragte dann das Bundesfamilienministerium<br />

die Schwulenberatung,<br />

ein Qualitätssiegel<br />

zu entwickeln für LSBTIfreundliche<br />

Pflege. Es entstand<br />

ein Kriterienkatalog mit 120<br />

Punkten. Zur gleichen Zeit erhielt<br />

das Immanuel-Seniorenzentrum<br />

Anfragen aus der Szene<br />

in Schöneberg. Rainer Schäfer<br />

forderte den Kriterienkatalog<br />

an und überprüfte seine<br />

Einrichtung. Jetzt hat er das<br />

Siegel. „Das heißt nicht, dass<br />

wir ein schwul-lesbisches<br />

Heim sind, wir sind offen für jeden.“<br />

Auf den Fluren und im Fahrstuhl<br />

werden noch die Schilder<br />

geändert von „Bewohnerzimmer“<br />

in „Bewohner*innenzimmer“.<br />

Einer der Bewohner ist<br />

Michael Keßner. Er ist zwar<br />

erst 62 Jahre alt. Weil er aber<br />

schwere Lungenprobleme hat,<br />

braucht er Pflege. Im Seniorenzentrum<br />

kann er seinem großen<br />

Hobby, der Malerei, nachgehen.<br />

Angesprochen auf die Besonderheit<br />

seines Heims ,sagt er in<br />

breitem <strong>Berliner</strong>isch: „Ich finde<br />

es jut, dass wir es jeschafft<br />

haben und so weit sind. Hat lange<br />

jedauert“ .Erist heterosexuell,<br />

war früher auf dem Bau. Seine<br />

Chefs waren oft schwul. Nie<br />

gab es Probleme. „Jedem Tierchen<br />

sein Pläsierchen“, sagt<br />

Keßner zufrieden.<br />

Fotos: Bernd Friedel<br />

Heimbewohner<br />

Michael Keßner<br />

(62) genießt<br />

die kreative<br />

Umgebung.

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