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RE KW 50

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„Überall war der Saal gesteckt voll“<br />

Reuttes Jazz-Legende Walter Catulla erinnert sich an die große Zeit des Swing im Außerfern<br />

„In Reutte, da steppt der Bär“: eine Aussage, die wohl manchen<br />

(vornehmlich jungen) Zeitgenossen ein eher müdes Lächeln abringen<br />

dürfte. Und doch gab es eine Zeit, in der das genau so<br />

war. Die Außerferner Jazz-Legende Walter Catulla erinnert sich<br />

im Gespräch mit der RUNDSCHAU noch gut an die Jahre unmittelbar<br />

nach dem Krieg.<br />

Von Jürgen Gerrmann<br />

Nicht zuletzt das ehemalige Café<br />

„Singer“ im Zeiller-Haus am Zeillerplatz,<br />

das die Marktgemeinde ja<br />

demnächst in eine Galerie verwandelt,<br />

war damals so ein Hotspot, an<br />

dem es hoch herging.<br />

Ganze 15 Jahre war der Walter, als<br />

ihn Peppi Waldegger (Akkordeon),<br />

Gebhard Schautzgy (Bassgeige) und<br />

Schlagzeuger Fulgenz Höckler (vielen<br />

auch als Wirt von „Klein Meran“<br />

in Rauth/Neselwängle bekannt) in<br />

ihre Kapelle „Rot-Weiß“ holten.<br />

Bis spät in die Nacht spielten sie da<br />

deutschen Swing, zu dem gehörig<br />

„abgehottet“ wurde, wie man später<br />

sagen sollte.<br />

Nach dem Jugendschutz fragte damals<br />

offensichtlich niemand groß,<br />

Hauptsache war, dass man sich nach<br />

den schlimmen Jahren der Nazi-Diktatur<br />

und des Krieges wieder austoben<br />

konnte.<br />

LEBEN UND LEBEN LAS-<br />

SEN. Und das tat eine nachgerade<br />

romanreife Runde offensichtlich<br />

ausgiebigst: Bauarbeiter, die das<br />

Stauwerk am Kniepass zur Erzeugung<br />

von Stromerzeugung errichteten,<br />

waren ebenso unter den Gästen<br />

der Brüder Ernst und Alfons Singer<br />

wie deren Schwester Frau Nussbaumer<br />

sowie der Fabrikant, der<br />

dort eine Flasche Whiskey deponiert<br />

hatte, aus der er dann tagsüber, wenn<br />

er auf einen Sprung vorbeischaute,<br />

immer wieder einen Schluck nahm,<br />

oder auch die eine oder andere zwielichtige<br />

Gestalt. Auch das störte damals<br />

niemand. Das Motto war wohl:<br />

leben und leben lassen.<br />

Von 8 bis 12 Uhr abends heizte<br />

„Rot-Weiß“ der illustren Runde kräftig<br />

ein. Aber der Abend war damit<br />

noch nicht zu Ende. Dann wechselten<br />

die Musikanten zu Leopold<br />

Schütz in dessen Wohnung am<br />

Steineberg, um sich noch ein paar<br />

Gläser Wein zu gönnen.<br />

„An jedem Abend, an dem wir<br />

gespielt haben, ist kräftig getanzt<br />

worden“, freut sich Catulla noch<br />

heute. Wobei alles nicht unbedingt<br />

zu 100 Prozent legal zuging: „Die<br />

Bretter zum Bau des Podiums haben<br />

wir uns beim Bau der Hauptschule<br />

12./13. Dezember 2018<br />

,geliehen’“, gesteht er heute. Angst<br />

braucht der darob wohl nicht zu haben:<br />

Die Sache dürfte verjährt sein.<br />

Kurzum: „Das war eine wunderbare<br />

Zeit. Die möchte ich nicht missen.“<br />

DIE SACHE MIT DEM TOPO-<br />

LINO. Und daher rührt auch noch<br />

so manche Anekdote, die einen<br />

heute noch schmunzeln lässt: Der<br />

Peppi Waldegger zum Beispiel hatte<br />

damals ganz neu einen Fiat Topolino<br />

(so klein er war, damals ein absoluter<br />

Luxus). Als man damit spät in der<br />

Nacht gen Lechaschau, wo der Peppi<br />

wohnte, aufbrechen wollte, klappte<br />

das leider nicht so wie erhofft. Die<br />

Staats-Karrosse sprang partout nicht<br />

an.<br />

„Kein Problem“, dachten sich die<br />

Musiker: „Wir lassen sie einfach am<br />

Untergsteig hinunterrollen!“<br />

Gesagt, getan. Nur: Es tat sich<br />

wieder nix. Also: Weiterschieben!<br />

Vor zum Lech. Über die Brücke<br />

drüber. Immer mehr geriet man ins<br />

Schnaufen, immer heftiger stand<br />

der Schweiß auf der Stirn. Als man<br />

endlich zu nächtlicher Stunde in<br />

Waldeggers Garage ankam und drei<br />

Kreuze ob des Endes der Anstrengung<br />

schlug, stieg Peppi, der die<br />

ganze Zeit am Steuer gesessen hatte,<br />

aus, schaute nochmal in den Fahrgastraum<br />

und stellte fest: „Ich hätte<br />

vielleicht den Benzinhebel umlegen<br />

müssen!“ Ältere dürften mit dieser<br />

Diagnose noch etwas anfangen und<br />

sich vorstellen können: Die drei<br />

„Schieber“ hätten ihn am liebsten<br />

erwürgt!<br />

B<strong>RE</strong>NNPUNKTE DER TANZ-<br />

SZENE. Zu diesen Dingen, die im<br />

Grunde ebenso unvergesslich wie<br />

unvergänglich sind, zählen auch die<br />

viereinhalb Jahre im Hotel „Tiroler<br />

Hof“ (einst gegenüber dem Bahnhof<br />

am heutigen Kreisverkehr). Da<br />

spielte Catulla bereits als Berufsmusiker<br />

mit seiner eigenen Kapelle auf,<br />

da war er schon Ende seiner persönlichen<br />

20er Jahre, und: „Da ging es<br />

wesentlich vornehmer zu.“<br />

Sepp Heuwieser (ein Metzger)<br />

mit seinem Akkordeon, Konrad<br />

(„Conny“) Mages mit der Bassgeige,<br />

Werner Wörle („Mein Vorgänger<br />

AUSSERFERNER<br />

SEIT 1922<br />

NACHRICHTEN<br />

RUNDSCHAU<br />

Nach wie vor mit Leib und Seele Musiker: Walter Catulla erinnert sich gerne an die<br />

Zeit, in der in Reutte „der Bär steppte“.<br />

RS-Fotos: Gerrmann<br />

beim Luis Brunner Trio“) mit der<br />

Gitarre und Walter Catulla mit der<br />

Gitarre begeisterten dort auch schon<br />

Touristen.<br />

Auch der „Sonnenhof“ am Obermarkt<br />

von Erika Schöpf und ihrer<br />

Mutter zählte zu den Brennpunkten<br />

der Tanz-Szene in Reutte – ebenso<br />

wie das Café „Beck“ von Hanni und<br />

Hans Beck und die „Glocke“ am<br />

Untermarkt (wo jetzt Welt- und Bauernladen<br />

untergebracht sind). Beim<br />

dortigen Wirt, Karl von Wiesenegg,<br />

brachte Catulla mit Egon Bergdolt<br />

(Akkordeon), Lothar Rehm (Bassgeige)<br />

sowie Herfried Falger und<br />

manchmal dem „Rudel“ vom Bäcker<br />

Knittl am Schlagzeug wie in all<br />

den anderen Wirtshäusern den Saal<br />

immer wieder zum Kochen. Genau<br />

wie Ende der 60er Jahre im Hotel<br />

„Diana“ an der Talstation der alten<br />

Hahnenkamm-Bahn: „Und überall<br />

war der Saal gesteckt voll.“<br />

Ob er sich das wohl träumen ließ,<br />

als er mit 14, 15 mit dem Kohlenhändler<br />

Erich Lechner (der saß am<br />

Klavier) und dem Schlagzeuger Sigi<br />

Wind im Gasthaus „Wegenbauer“<br />

(die heutige „Krone“) oder im Theatersaal<br />

von Holzgau zu Gange war?<br />

Oder in jenen Jahren, als er mit<br />

Walter Bader an der Zither Charakterstückerln<br />

aus der Volksmusik zelebrierte:<br />

„Das hauptsächlich für die<br />

Einheimischen.“ Eher wohl nicht.<br />

FÜNF SCHILLING PRO<br />

STUNDE. Sicher ist: Die beeindruckende<br />

Karriere Catullas hat ihre<br />

Wurzeln in der Harmoniemusik<br />

Lechaschau, wo der kleine Walter<br />

das Trompetenspiel erlernte. In der<br />

großen Zeit des Swing haben er und<br />

seine vielen Musiker-Freunde „überall<br />

gespielt, wo man uns gebraucht<br />

Im Zeiller-Haus am Zeiller-Platz befand<br />

sich einst das Cafe „Singer“ – einer der<br />

Hotspots der Reuttener Nachkriegs-<br />

Szene.<br />

hat.“ Und im Café „Singer“ gab’s 5<br />

Schilling die Stunde dafür. Was für<br />

einen jungen Burschen in der damaligen<br />

Zeit nicht schlecht war (obwohl<br />

es heute nur 36 Cent entspräche).<br />

Sechs Jahre nach Kriegsende zog<br />

es ihn dann doch als Berufsmusiker<br />

in die Ferne: nach Stuttgart. Dort<br />

verdiente er dann „so viel wie ein<br />

Ingenieur.“ Sein ersten großen Engagements<br />

hatte er dann aber doch<br />

in Heimatnähe: Im Hotel „Sorgschrofen“,<br />

im „Adler“, in der Pension<br />

„Alpenhof“ und im „Berghaus Tirol“<br />

war er sehr gefragt.<br />

Wenn man mit Walter Catulla<br />

über diese Jahre spricht, dann ist allerdings<br />

klar: Das Geld ist wahrlich<br />

nicht das erste, was ihm in den Sinn<br />

kommt, wenn er von diesen guten<br />

alten Zeiten (diesmal stimmt’s wirklich)spricht.<br />

Sondern: „Uns hat die<br />

Spielerei interessiert. Das war einfach<br />

toll. Die Swing-Musik war einfach<br />

das Höchste. Und die hat mich<br />

ja auch mein ganzes Leben lang begleitet.“<br />

Seite 25

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