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akzent Magazin Oktober '19 Bodensee-Oberschwaben

akzent – DAS GRÖSSTE LIFESTYLE- & VERANSTALTUNGSMAGAZIN VOM BODENSEE BIS OBERSCHWABEN www.akzent-magazin.com

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SEE-LEUTE<br />

VERBESSERUNGS-<br />

WÜRDIG<br />

14<br />

Wie gerecht ist Deutschland? Wie gerecht<br />

sind Urteile, die in Deutschland gefällt werden?<br />

Es gibt Skandalurteile, die zu Recht das<br />

Rechtsempfinden der Bevölkerung und das<br />

Vertrauen in das deutsche Rechtssystem erschüttern.<br />

Warum bekommt ein Drogendealer<br />

für eine relativ kleine Menge Drogen eine<br />

fünfjährige Freiheitsstrafe? Und fünf brutale<br />

Gruppenvergewaltiger erhalten nur Bewährungsstrafen?!<br />

Ingo Lenßen – Deutschlands<br />

bekanntester Strafjurist – wohnt am <strong>Bodensee</strong><br />

und spricht mit seinem jüngsten Werk<br />

„Ungerechtigkeit im Namen des Volkes“<br />

wahrscheinlich vielen Menschen aus der Seele.<br />

<strong>akzent</strong>: Was hat Sie bewogen, das Buch zu<br />

schreiben?<br />

Ingo Lenßen: Der entscheidende Anlass war<br />

sicherlich der Shisha-Prozess in Konstanz, der<br />

auch im Buch vorkommt. Ich habe die Familie<br />

des getöteten jungen Mannes, der völlig grundlos<br />

erstochen worden ist, in der Nebenklage<br />

vertreten. Besonders schwierig war es, dem Vater<br />

erklären zu müssen, dass die Maximalstrafe,<br />

die auf den jugendlichen Täter zukommt, zehn<br />

Jahre ist. Am Ende bekam er siebeneinhalb Jahre,<br />

was bedeuten kann, dass er vielleicht nach<br />

zwei Jahren wieder auf freiem Fuß ist. Wie soll<br />

das der Vater eines getöteten Kindes verstehen?<br />

Da habe ich wieder einmal gemerkt, wie<br />

schwierig es ist, den Menschen ein Strafverfahren,<br />

geschweige denn ein Urteil zu vermitteln.<br />

<strong>akzent</strong>: Warum ist das Jugendstrafrecht auch<br />

bei schweren Straftaten so milde?<br />

Ingo Lenßen: Weil im Jugendstrafrecht nicht<br />

der Präventionsgedanke im Vordergrund<br />

steht, sondern der Erziehungsgedanke. Das<br />

ist für uns Juristen verständlich. Aber für die<br />

Öffentlichkeit, die mit Jura und Justiz nicht so<br />

viel zu tun hat, ist das schwer nachzuvollziehen.<br />

Das war der Grund, weshalb ich gesagt<br />

habe, ich will versuchen, der breiten Masse<br />

das Thema näherzubringen, und erklären,<br />

warum und wie Urteile gefällt werden. Dabei<br />

sind mir natürlich ein paar Urteile in die Hand<br />

gefallen, die ich selber nur schwer nachvollziehen<br />

kann, bei denen ich sage, das kann doch<br />

wohl nicht wahr sein. Beispielsweise dass ein<br />

Täter in Hamburg für eine Vergewaltigung<br />

mit einer Bewährungsstrafe davonkommt<br />

während er sich in Tübingen dafür sechs bis<br />

sieben Jahre fangen würde.<br />

<strong>akzent</strong>: Hat das Ihre juristische Welt erschüttert?<br />

Ingo Lenßen: Nein, die ist nach wie vor völlig<br />

in Ordnung – wir müssen einfach damit<br />

leben, dass es Zustände gibt, die verbesserungswürdig<br />

sind. Ich habe während der fast<br />

dreißig Jahre, in denen ich meinen Beruf ausübe,<br />

immer wieder Urteile erlebt, bei denen<br />

ich nur den Kopf schütteln konnte. Aber im<br />

Großen und Ganzen glaube ich doch, dass<br />

es am Ende des Tages in Deutschland sehr<br />

gerecht zugeht.<br />

<strong>akzent</strong>: Die Lektüre Ihres Buches hinterlässt<br />

irgendwie ein anderes Gefühl …<br />

Ingo Lenßen: Schauen Sie, das Buch behandelt<br />

45 Fälle, die ich herausgenommen habe,<br />

weil sie mich erstaunen und weil ich sie für diskussionswürdig<br />

halte. Daneben gibt es aber<br />

unzählige Fälle, die ich nicht für diskussionswürdig<br />

halte. Mit denen ich völlig d‘accord<br />

bin. Aber um die geht es ja nicht.<br />

Es ist einiges im Argen<br />

<strong>akzent</strong>: Heißt das, wir dürfen der deutschen<br />

Rechtsprechung vertrauen?<br />

Ingo Lenßen: Ja, vertrauen schon. Ein Vertrauensvorschuss<br />

ist immer gut. Aber der, der<br />

ihn bekommt, muss ihn auch rechtfertigen.<br />

Und hierzu benötigt die Justiz die Unterstützung<br />

u.a. der Politik. Und da ist einiges im<br />

Argen. Wir haben beispielsweise viel zu wenig<br />

Richter und Staatsanwälte in Deutschland.<br />

Aber auch die Ermittlungsbehörden sind zu<br />

dünn besetzt. Das führt in manchen Fällen zu<br />

vorschnellen Ergebnissen. Vor Gericht führt<br />

es u.a. dazu, dass die handelnden Personen<br />

gezwungen sind, Deals einzugehen, weil zu<br />

wenig Personal, d.h. zu wenig Zeit vorhanden<br />

ist. Das ist mit ein Grund für Statistiken (ob<br />

die stimmen oder nicht spielt gar keine Rolle,<br />

in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit bestehen<br />

sie), die belegen, dass das Vertrauen<br />

der deutschen Bevölkerung in den Rechtsstaat,<br />

beziehungsweise in den Justizapparat<br />

abnimmt. Und das ist nicht gut.<br />

<strong>akzent</strong>: Sprich es muss mehr Geld für die Justiz<br />

zur Verfügung gestellt werden?<br />

Ingo Lenßen: Ja. Unbedingt. Noch funktioniert<br />

unsere Rechtsprechung. Damit das so<br />

bleibt, müssen der Justiz aber dringend die<br />

erforderlichen und ausreichenden Mittel zur<br />

Verfügung stehen. Es kann nicht sein, dass wir<br />

teilweise in den Ländern Haushaltspositionen<br />

für den Justizapparat haben mit 2,5 bis 3,5<br />

Prozent. Das ist viel zu wenig für eine der Säulen<br />

unserer Demokratie.<br />

<strong>akzent</strong>: Warum steht der Täter bei der<br />

Urteilsfindung mehr im Mittelpunkt als das<br />

Opfer? Was sagen Sie als Jurist und als Botschafter<br />

des WeißenRings dazu?<br />

Ingo Lenßen: Wir haben eine stark täterorientierte<br />

Strafjustiz. Wir kümmern uns darum,<br />

welches Urteil für den Täter das angemessene<br />

ist. Dabei betrachten wir den Tathergang,<br />

sein bisheriges Leben, sein Nachtatverhalten.<br />

Wir fragen, wie er schnellstmöglich wieder<br />

aus dem Knast kommt und wie er am besten<br />

resozialisiert wird. Was aber noch mehr<br />

in den Blickpunkt muss, sind die Folgen der<br />

Straftat für das Opfer. Ich denke Opferschutz<br />

und Opferrecht müssen stärkere Beachtung

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