akzent Magazin Oktober '19 Bodensee-Oberschwaben
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SEEZUNGE | STORY<br />
Jede Medaille hat zwei Seiten. Auch das Volksbegehren Artenschutz –<br />
„Rettet die Bienen“. Die Idee ist einleuchtend: Weniger Einsatz von<br />
Schädlings- und Unkrautbekämpfungsmitteln (Pestizide und Herbizide)<br />
und mehr Bio-Landwirtschaft führen zu mehr Artenvielfalt bei Insekten<br />
und anderen Tieren. Super, wo kann ich unterschreiben? Aber halt:<br />
Bauernverbände wehren sich und verweisen auf die bereits hohen<br />
Standards und die ökonomischen Folgen des vorgeschlagenen Gesetzes.<br />
Klar ist allen: Es muss sich was ändern! Aber was?<br />
Dr. Anja Weidenmüller erforscht an der Uni Konstanz<br />
das Verhalten und die Gefährdung von Wildhummeln<br />
und -bienen. „Die Tatsache, dass es einen dramatischen<br />
Verlust an Artenvielfalt, so genannter Diversität gibt, ist<br />
unstrittig. Der Rückgang von 75 Prozent der Biomasse von<br />
Insekten ist gut dokumentiert und hat für die restliche<br />
Tierwelt gravierende Folgen. Es gibt entsprechend weniger<br />
Nahrung für größere Tiere und Vögel, so dass auch hier<br />
der Rückgang dramatisch ist.“ Der Einsatz von Unkrautund<br />
Schädlingsvernichtern in der Landwirtschaft ist einer<br />
der Gründe für diese Entwicklung, aber nicht nur die<br />
Landwirtschaft muss sich ändern. Die Forderungen der<br />
Bienen-Initiative – 50 Prozent Ökolandbau bis zum Jahr<br />
2035, bis 2025 die Halbierung der Fläche, auf der Pestizide<br />
eingesetzt werden dürfen und das vollständige Verbot<br />
von Pestiziden in Naturschutzgebieten – geht aber selbst<br />
Wissenschaftlern zu weit. Zusammen mit den Obst- und<br />
Weinbauern am See sind sich jedoch alle einig, dass die<br />
Vorschläge in die richtige Richtung gehen.<br />
Subventionen umverteilen<br />
Der Agraringenieur Philipp Haug, ökologischer Berater der<br />
Insel Mainau, betreut den dortigen Versuchs-Weinberg<br />
und meint: „Am besten wäre ein System, das sich selbst<br />
gesund erhält, aber das ist illusorisch. Auch der Bio-Landbau<br />
greift ins System ein, um Kulturpflanzen wie Obstbäume<br />
und Weinreben gesund zu halten. Er tut das mit<br />
biologischen Mitteln statt chemisch-synthetischen, aber es<br />
bleibt eine Gratwanderung.“ Hinzu komme das Problem<br />
der aufwändigen und teuren Zulassung von Alternativmitteln.<br />
„Aber wir dürfen das Thema nicht einfach auf die<br />
rechtlichen Rahmenbedingungen reduzieren; das ist nur<br />
ein Baustein. Artenschutz ist eine gesamtgesellschaftliche<br />
Aufgabe. Nur die Bauern in die Verantwortung zu nehmen,<br />
ist zu kurz gedacht.“ Haug verweist auf Subventionen<br />
für die Landwirtschaft in Höhe von 60 Milliarden<br />
Euro, die in der EU jährlich zum großen Teil als pauschale<br />
Flächenprämien verteilt werden, und somit die Produktion<br />
billiger Nahrungsmittel überhaupt erst ermöglichen.<br />
Stattdessen plädiert er für die Umverteilung der Förderung<br />
zu einer sinnvollen, umwelt- und – wie die Mainau<br />
es treffend nennt – enkeltauglichen Landwirtschaft. Denn<br />
nicht jeder kann oder will sich Bio-Lebensmittel leisten, in<br />
deren höheren Preisen die Umweltleistungen der Bauern<br />
enthalten sind. „Das ist ein kollektives Problem, also muss<br />
es kollektiv aus Steuergeldern und Subventionen bezahlt<br />
werden. Das Geld ist ja da, man muss es nur zweckgebunden<br />
einsetzen.“<br />
Negative Folgen<br />
Ähnlich sieht es Dr. Jürgen Dietrich, Weingutdirektor am<br />
Staatsweingut Meersburg: „Wenn es nicht genug Menschen<br />
gibt, die tatsächlich die 50 Prozent Bioprodukte<br />
kaufen, dann greifen die marktwirtschaftlichen Gesetze:<br />
Es gibt einen Preisverfall und so treibt man die Biobauern<br />
in den wirtschaftlichen Ruin. Die familiären, bäuerlichen<br />
Strukturen gehen kaputt, statt einer klein gegliederten<br />
Landschaft mit guter Biotop-Vernetzung entstehen größere<br />
Betriebe. Das wäre ein Rückschritt.“ Das Staatsweingut<br />
legt Wert auf eine artenreiche Begrünung in den Weinbergen;<br />
am Hohentwiel wird bereits biologisch gewirtschaftet.<br />
Eine behutsame und überlegte Ausweitung des Bio-<br />
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