Campuls - Konstanzer Studi-Magazin WiSe19/20 #2
Wintersemester 2019/20 Ausgabe 02 Radio Free Europe Ein Kampf gegen die Zensur HSG Arbeiterkind Von den Ersten in ihren Familien, die den Sprung an die Hochschule wagen Der "Mädelstreff" in Konstanz Ein Integrationsprojekt des Malteser Hilfsdienstes
Wintersemester 2019/20
Ausgabe 02
Radio Free Europe
Ein Kampf gegen die Zensur
HSG Arbeiterkind
Von den Ersten in ihren Familien, die den Sprung an die Hochschule wagen
Der "Mädelstreff" in Konstanz
Ein Integrationsprojekt des Malteser Hilfsdienstes
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GLOSSE
25
unsere Freiheit
zu verletzen
“Ich weiß, dass meine Äußerungen nicht immer politisch korrekt sind
und manche Leute verärgern. Nehmen Sie das, was ich sage, einfach
nicht ernst”, sagt mein Professor am Ende einer Vorlesung, in der er
sich bereits peinlich lange mit dem Zustand seiner eigenen Potenz
beschäftigt hatte. Auch Greta Thunberg und gendergerechte Sprache
bekamen ihr Fett weg. Er sei sich bewusst, dass seine Äußerungen von
manchen als Kränkung empfunden werden könnten. Sich das vorhalten
zu lassen, sehe er aber nicht ein, weswegen die Vorlesungen in diesem
Semester zum ersten Mal seit langem nicht aufgezeichnet werden.
In Deutschland wird in diesen Tagen wieder viel über Meinungsfreiheit
gestritten – leider nicht in erster Linie deshalb, weil Neonazis
Journalist_innen und Aktivist_innen bedrohen, sondern weil die sogenannte
„Political Correctness“ zunehmend zur Zensurmaschinerie
der Linken stilisiert wird. „Wir beleidigen ja niemanden mit Absicht“,
rechtfertigten sich überwiegend weiße, männliche und heterosexuelle
Verfechter des Liberalismus in diversen Talkshows und auf den Titelseiten
großer Tageszeitungen. Wer sich durch unsensible Aussagen
gekränkt oder beleidigt fühlt, den stempelt diese Gruppe schnell als
dünnhäutig und überempfindlich ab. „Nehmen Sie mich nicht ernst“,
sagt mein Professor und weist damit jegliche Verantwortung für seine
Aussagen von sich.
Wenn man Witze macht, geschieht das oft entweder auf eigene Kosten
oder auf die Kosten anderer. Die Gruppe, die durch Political Correctness
ihre Meinungsfreiheit bedroht sieht, konnte über Jahrhunderte
hinweg maßgeblich bestimmen, auf wessen Kosten Witze gemacht
werden. Wenn sie jetzt Alarm schlagen, dann bedeutet das nur, dass
sie diese Entscheidung nicht mehr ohne Gegenwind treffen können.
Frauen, People of Colour, Menschen nonbinären Geschlechts – sie
alle verlangen plötzlich den Respekt, den diese privilegierte Gruppe
bisher ausschließlich für ihresgleichen reserviert hatte.
„Wir haben verlernt, unterschiedliche Meinungen auszuhalten“, und
„der Demokrat muss ein Schmerzkünstler sein“, schrieb Volker Kitz
schon 2018 in einem Text, den die ZEIT 2019 zum „Tag der Toleranz“
wieder aus ihrem Online-Archiv hervorgekramt hat. Diese Haltung verkennt
die Tatsache, dass Angehörige marginalisierter Gruppen oft ihr
ganzes Leben lang Schmerzkünstler_innen sein müssen, ohne je eine
Wahl zu haben. Ausgerechnet diejenigen, die in „Political Correctness“
eine Gefährdung ihrer Meinungsfreiheit sehen, werden am seltensten
Opfer von Diskriminierung oder struktureller Gewalt. Und doch ist es
offenbar bereits zu viel des Guten, wenn Menschen, die viele diskriminierende
Erfahrungen machen, verlangen, dass ihre Erfahrungen
ernst genommen werden und man sie beispielsweise durch sensible
Sprache berücksichtigt.
Für die Angehörigen marginalisierter Gruppen geht es dabei nicht
selten um die Anerkennung ihrer Existenz. Für die Liberalist_innen
geht es vor allem um die eigene Bequemlichkeit. Die Meinungsfreiheit,
für die die Gegner_innen der „Political Correctness“ kämpfen, ist vor
allem ihre eigene, persönliche Freiheit, andere verletzen zu können,
ohne dafür die Verantwortung übernehmen zu müssen. Man kann diese
rücksichtslose Haltung natürlich vertreten, auch sie ist in Deutschland
durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Versucht man aber, dieses
hohe Gut der Demokratie dazu zu verwenden, um ihre Gegner_innen
zum Schweigen zu bringen, dann ist das schlicht feige. C
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