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Fachmagazin für den Spielwaren- und Buchhandel

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INTERVIEW

planet toys

G.H.: Schönes Thema, ist aus meiner

Sicht in der Tat der einzige Schuss, den

wir noch frei haben, weil die Hidden

Champions und der deutsche Mittelstand

einzigartig auf der Welt sind. Dem

halte ich aber die Realität entgegen. Was

glauben Sie, wie viel der Auftragseingänge

bei deutschen Herstellern noch

per Fax eingehen? Mir sagten mehrere

Hersteller unabhängig voneinander,

etwa 80 Prozent.

Sie fordern, dass Traditionshändler im

Leistungsvermögen mindestens mit

disruptiven Pure Playern gleichziehen

müssten. Bei Handelskonzernen,

d’accord, aber bei kleineren Händlern?

Wie soll das funktionieren?

G.H.: Es gibt Beispiele von relativ kleinen

Händlern, die sehr erfolgreich unterwegs

sind. Ich spreche dabei aber nicht

von den ganz kleinen, den solitären, lokalen

und inhabergeführten Geschäften

in der Innenstadt, die vielleicht eine Millionen

Umsatz erzielen. Eine durchaus

repräsentative Studie der IHK Bonn für

den Kreis Rhein-Sieg ergab, das 76 Prozent

dieser lokalen Händler nicht einmal

ein Warenwirtschaftssystem haben,

d. h. nicht einmal über die Grundvoraussetzung

für so ein Thema verfügen. Da

sage ich, das ist das wenigste, was man

angehen sollte, alles andere ist eine

Verweigerungshaltung.

Und die erfolgreichen Beispiele?

G.H.: Ich werde häufig gefragt, welche

deutschen stationären Händler als

Best Practice dienen können. Ein gutes

Beispiel liefert Breuninger. Der ist gar

nicht so riesig im Vergleich zu Konzernen,

das ist ein Mittelständler, der aber

einen Online-Anteil von 40 Prozent und

damit über 300 Mio. € erzielt. Wenn ich

mir angucke, wie er das macht, sage ich

nur, der hat’s verstanden. Auch Thalia

und Douglas sind gut unterwegs. Die

Erfolgsbeispiele in Deutschland liefern

nicht unbedingt die großen Konzerne

mit zweistelligen Milliardenumsätzen.

Und was sollen die Solitären tun, die

nicht wie Thalia/Mayersche über 350

Filialen verfügen?

G.H.: In Mönchengladbach haben wir vor

ein paar Jahren ein Pilotprojekt realisiert,

Mönchengladbach by Ebay, wo die

lokalen Händler gute Online-Umsätze

erzielt haben. Das ist leider eingeschlafen,

weil so etwas kein Selbstläufer ist

und die Händler nicht bereit waren, 30 €

Monatsgebühr zu bezahlen, das war denen

zu teuer. Von den 80 Händlern in der

Spitze sind jetzt noch 30 übrig geblieben,

aber im Schnitt wurden aus dem

Stand heraus 7 bis 8 Prozent des Umsatzes

online erzielt. Das waren durchschnittlich

90.000 €, ohne Verluste und

Investitionen, mit relativ bezahlbaren

Provisionen. Ich glaube, Plattformen,

ZUR PERSON

Professor Dr. Gerrit Heinemann leitet das eWeb Research Center der Hochschule

Niederrhein in Mönchengladbach. Er gilt als einer der führenden

E-Commerce-Experten Deutschlands. Heinemann wurde an der Westfälischen

Wilhelms-Universität in Münster beim „Marketing-Papst“ Prof. Dr. Heribert

Meffert promoviert. Der Mann ist allerdings kein reiner Theoretiker. Er weiß,

wovon er redet, denn er verfügt über eine fast 20-jährige Praxiserfahrung im

Handel, darunter als Geschäftsführer bei Kaufhof. Er ist Autor und Herausgeber

diverser Fachbücher. Zuletzt erschien von ihm und den Consumer-Goods-

Spezialisten Thomas Täuber und Mathias Gehrckens „Handel mit Mehrwert

– Digitaler Wandel in Märkten, Geschäftsmodellen und Geschäftssystemen“.

wie sie Ebay bietet, oder spezifische Lösungen

von Verbundgruppen – 80 Prozent

der lokalen Händler sind ja in Verbundgruppen

organisiert – könnten eine

Chance sein. Verbundgruppen müssten

das Thema aber richtig ernst nehmen.

Welche nehmen sie denn richtig ernst?

G.H.: Die ANWR-Gruppe zeigt mit Schuhe.de,

wie es geht und dass es auch kooperativ

super funktionieren kann. Interessanterweise

nutzt die Gruppe jetzt

die Plattform Zalando.

Allein, uns fehlt der Glaube! Nehmen

wir einen Spielzeughändler in einer

mittelgroßen Stadt. Der wird zwischen

hohen Mieten, geringen Margen, Online-Shops

der Markenhersteller und

einem Online-Anteil, der bei 40 Prozent

liegt, aufgerieben. Woher soll der das

Pulver nehmen, um in zwei Stadien zu

spielen?

G.H.: Ich glaube, man muss sehr stark

nach Branchen differenzieren. Es gibt

Branchen, die wahrscheinlich nicht

mehr zu retten oder so zu retten sind,

wie es in anderen Zweigen möglich

wäre. Nehmen Sie Schallplattenläden,

die sind weg vom Fenster. Bei Produkten,

die vergleichbar und nicht immer

erklärungsbedürftig sind oder sich von

sich aus erklären – und das ist bei Spielwaren

im hohen Maße der Fall –, ist der

Online-Umsatz weit fortgeschritten, den

kann man auch nicht mehr einholen.

Außerdem ist die Spielwarenbranche

extrem preisgetrieben, deswegen gibt

es einen Toys R Us auch nicht mehr.

Ist guter Rat also teuer?

G.H.: Vor 16 oder 17 Jahren wollte ich

dem Media-Markt-, aber auch dem

VEDES-Vorstand Multichannel-Projekte

verkaufen. Wir haben versucht, denen

zu erklären, dass, wenn Amazon so weitermacht,

es sie irgendwann nicht mehr

geben wird, weshalb man jetzt richtig

Gas geben müsse. Nein, brauchen wir

nicht, wir sind Marktführer, hieß es

damals bei der VEDES wie bei Media-

Markt/Saturn, die anschließend ihren

ersten Online-Shop wieder eingestellt

haben. Da kann ich nur sagen, wer nicht

hören will, muss fühlen.

Stichwort VEDES, seit drei, vier Jahren

geht man in Nürnberg bei der Digitalisierung

in die Offensive. Gibt das Anlass

zur Hoffnung?

G.H.: Erstens, die Hoffnung stirbt zuletzt,

zweitens ist es immer eine Frage

der Ernsthaftigkeit. Wenn ich spüre,

dass das Thema Chefsache ist und dass

in einer Verbundgruppe der gesamte

Support der Mitglieder da ist, dann würde

ich sagen, ja klar, Chancen sind nach

wie vor da. Ich kenne allerdings keine

Verbundgruppe, wo ich das spüre, da

gibt es maximal ein Drittel der Mitglieder,

die aufspringen, und zwei Drittel

verweigern sich nach wie vor dem Thema.

Ja, ich begrüße das, ich finde das

gut, aber ich muss auch immer wieder

darauf hinweisen, es reicht wahrscheinlich

nicht, und zwar deswegen nicht,

weil wir Geschwindigkeit brauchen und

weil wir massiv investieren müssen und

diese Investitionsbereitschaft fehlt in

der Regel.

Heißt das, dass aufgrund des Transformationsprozesses

Verbundgruppen

Auslaufmodelle sind, weil sie a) das

Tempo nicht mitmachen können und b)

kein Pulver haben?

G.H.: Ich habe da eine Art von Erscheinung,

möchte ich das mal nennen. Wenn

Zalando über ein Partnerprogramm, wie

Zalando es nennt, einen Marktplatz, der

eher exklusiv und nicht offen ist, mit lokalen

Händlern betreibt und im großen

Stil mit der ANWR-Verbundgruppe kooperiert,

also lokale Schuh- und Bekleidungshändler

über Zalando verkaufen

und das auch funktioniert, dann stelle

ich mir die Frage, ob es für Zalando

nicht ein ganz kleiner Schritt wäre, auch

die Verbundgruppenfunktion zu übernehmen.

Und Ihre Antwort?

G.H.: In Zukunft wird vermutlich eine

ganze Menge von Veränderung aus dieser

Richtung kommen, die wahrscheinlich

stationäre Händler und Verbund-

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