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Fachmagazin für den Spielwaren- und Buchhandel

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INTERVIEW

planet toys 23

gruppen nicht gut finden, aber ich sehe

einfach, dass Amazon den stationären

Einzelhandel mit Konzepten, die ich mir

auch mehrfach angeschaut habe, neu

erfindet, wo ich nur sage: super! Wahrscheinlich

werden solche Plattformen,

die selbst einen erfolgreichen Online-

Handel betreiben und es wie Zalando

schaffen, lokale Händler zu formieren,

die Verbundgruppe neu erfinden. Sie

wird anders aussehen, aber nicht weg

sein.

»Es wird nur geklagt, auf

Angriff und Attacke schaltet

keiner.«

PROF. DR. GERRIT HEINEMANN

E-Commerce, Hochschule Niederrhein

Sie führen Amazon gerne als Benchmark

an. Das Unternehmen hat fast

zwei Jahrzehnte keine schwarzen Zahlen

geschrieben. Die Expansion basierte

auf gutem Storytelling, fremdem

Geld und lukrativen Cloud-Dienstleistungen.

Mit Storytelling und fremdem

Geld dürfte sich der mittelständische

Handel schwer tun, oder?

G.H.: Storytelling allein reichte aus meiner

Sicht definitiv nicht aus. Ein Unternehmen

wie Amazon aufzubauen, ist

eine Höchstleistung. Auch die Innovationskultur

in dem Unternehmen ist einzigartig.

Ich kenne kein Unternehmen,

das so viel Intelligenz eingesammelt

hat und sie in einem Raum zu bündeln

versteht. Selbst die Art und Weise, wie

und welche Leute geholt werden, ist besonders.

Ich nehme nur mal den Einzelhandel

für das Thema Innovationskraft.

Die meisten wissen, wie im Handel kalkuliert

wird. Seit 5000 Jahren ist das immer

gleich geblieben. Was macht Amazon?

Legt ein Prime-Programm auf, das

mindestens 150 Millionen weltweit nutzen,

und sammelt so Anfang des Jahres

eben mal 15 Mrd. Dollar ein, ohne dass

die Kunden zucken. Die 15 Mrd. nutzt

Amazon, um die Produkte in seinem

Einzelhandelsgeschäft günstiger anzubieten,

und die Kunden sagen, Mensch,

der Amazon ist aber günstig. Das ist

eine neue Form des Pricings, das ist innovativ.

Wenn man in die Bilanz schaut,

werden die 15 Mrd. Dollar allerdings

nicht bei den Einzelhandels-, sondern

bei den Serviceumsätzen ausgewiesen.

Hören wir da eine Art Bewunderung

raus?

G.H.: Ich glaube nach wie vor, dass Amazon

eine enorme Bedrohung ist, und ich

muss ausdrücklich darauf hinweisen,

dass unsere Kartellbehörden schlafen.

Sie haben auch bei Google, das einen

Marktanteil von 95 % hält, geschlafen,

denn wie kann es sein, das man einen

Monopolisten heranwachsen lässt, während

vom Kartellamt einem Herrn Haub

beim Kauf von Kaisers Kaffee Steine in

den Weg gelegt werden, obwohl Tengelmann

ein Witz gegenüber Google und

Amazon ist. Nein, die können wachsen,

wie sie wollen, und ich muss einfach

darauf hinweisen, dass beim Kartellamt

etwas nicht stimmt.

Amazon wird vom Verbraucher zunehmend

als Bedrohung wahrgenommen.

In einer Studie hieß es, sie würden sich

von dem Giganten abwenden. Neue

Chancen für traditionelle Händler?

G.H.: Die Studie kenne ich und ich

musste mich darüber fast totlachen. Vor

30 Jahren haben wir schon an der Uni

Münster Studien zum ökologischen Einkaufsverhalten

durchgeführt. Fast 100

Prozent der Befragten sagten, sie seien

ökologieorientiert und würden ökologisch

einkaufen. Anschließend haben

wir beobachtet, wie sie einkaufen. Ergebnis:

genau gegenteilig. Das nannten

wir die Diskrepanz von bekundetem und

tatsächlichem Verhalten, genauso verhält

es sich mit Amazon.

Zalando wird als Beispiel für ein erfolgreiches

Start-up genommen. Wir

wählen mytoys. Der E-Commerce-Anbieter,

1999 gegründet, schleppte Ende

Februar 2018 einen Bilanzverlust von

knapp 200 Mio. € vor sich her. Ob Otto

das gut findet, wissen wir nicht, der

stationäre Spielzeughandel bestimmt

nicht, weil so Marktanteile erkauft werden.

Kann David nur noch strampeln

und hoffen, dass die Milch vielleicht

doch noch zu Butter wird, um am Ende

zu erkennen, er bleibt zweiter Sieger?

G.H.: Das ist so, dem kann ich nichts

hinzufügen.

Haben Sie für David wenigstens eine

Exit-Strategie?

G.H.: Es gibt immer vier Möglichkeiten.

Die erste ist, dass man aufhört, dazu

rate ich gar nicht so selten. Die zweite

ist, dass man weitermacht wie bisher

und hofft, es geht schon gut, aber vielleicht

auch nicht. In dem Fall sind natürlich

immer die Einzelhändler besser

dran, die eine eigene Immobilie haben.

Die dritte Option ist, dass ich mein Geschäft

verkleinere. Durch Downsizing

kann man durchaus profitabel sein,

d. h., ich investiere nicht mehr, verkleinere,

lass quasi das Geschäft auslaufen,

bis ich das Pensionsalter erreicht habe.

Die vierte Möglichkeit ist, dass ich alles

mobilisiere, was ich habe, und angreife.

Wenn ich den Krieg verliere, brauche ich

mir wenigstens nicht sagen, ich habe

nicht alles versucht. Diesen Kampfgeist

spüre ich zu wenig. Es wird nur geklagt,

auf Angriff und Attacke schaltet keiner.

Wenn man sagt, ich kann nicht mehr

angreifen, weil ich keine Munition mehr

habe, dann würde ich das ja verstehen,

aber dann könnte man wenigstens die

Fläche verkleinern. An dieses Thema

geht keiner ran, das meine ich auch

mit Neuerfindung des Handels. Es ist

ja völlig legitim zu sagen, ich habe eine

Digitalallergie, dann wäre es bei zurückgehenden

Umsätzen nur logisch, zu verkleinern.

Da sehe ich keinen, der das

intelligent umsetzt.

Die Auswüchse der Plattform-Ökonomie

werden zunehmend kritisiert.

Auch Spielwarenhändlern ist das Treiben

oft ein Dorn im Auge. Brauchen wir

eine stärkere Regulierung, müssen die

Plattformanbieter in die Pflicht genommen

werden?

G.H.: Ja, aber man muss sagen, Plattform

ist nicht gleich Plattform, denn

jeder versteht etwas anderes darunter.

Ich glaube, das Thema kann nur von der

WHO und der EU angegangen werden,

das kann Deutschland nicht alleine regeln.

Momentan schützt im Grunde genommen

unser Handelsrecht, das noch

aus den Fünfziger-Jahren stammt, auch

die Plattformen, die ja als Vermittler

agieren. Das ist ein Irrsinn. Der Verbraucher

hat allerdings mit der Situation

keine Nachteile, denn aus seiner

Sicht bietet eine Plattform nur Vorteile.

Ein Ansatz, für eine stärkere Kontrolle

zu sorgen, könnte der Weg über die

Datenhoheit sein, denn die besitzt eine

Plattform wie Amazon ohne Frage. Motto:

Wer Herr der Daten ist, muss auch

die Verantwortung als Vermittler übernehmen.

Last but not least, Mobil first ist seit

Jahren der Trend beim E-Shoppen …

G.H.: Das ist doch ein alter Hut.

… d’accord, aber wir wollten ja auch

von Ihnen wissen, was uns jetzt ins

Haus steht!

G.H.: Ich bin kein Hellseher.

Herr Heinemann, wir bedanken uns für

das Gespräch.

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