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ME2BE CAMPUS 2019/02

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OHNE

ZWEIFEL.

Die Aussicht hat sich geändert: Als Scheidungskind aus dem Arbeitermilieu

hat Manuela Rousseau in ihrer Jugend Armut und Benachteiligung erfahren,

heute blickt sie aus ihrem Büro in der oberen Etage eines Weltkonzerns über

Hamburg. Die 64-Jährige ist eine der wenigen DAX-Aufsichtsrätinnen, außerdem

Professorin, Autorin („Wir brauchen Frauen, die sich trauen“) und engagiert

sich ehrenamtlich. Ein Gespräch über ihren von Höhen und Tiefen geprägten

Weg nach oben, die Bedeutung klarer Ziele und den Einfluss von Büchern.

ZIEL

ERREICHT

Manuela Rousseau spricht in ME2BE über ihre Karriere

und die Rolle als Frau an der Spitze

Frau Professorin Rousseau, durch das Internet hat

heute fast jeder Zugang zu einem riesigen Fundus an

Wissen. Sie haben den Büchereiausweis Ihrer Kindheit

mal als Ihren größten Schatz bezeichnet. Welche

Rolle hat Bildung früher in ihrer Familie gespielt?

Ich komme aus einer Arbeiterfamilie, meine Mutter war Näherin, mein

Vater Lokführer. Mein Bruder sollte eine adäquate Schulbildung erhalten,

bei mir hielt man das für nicht so dringend nötig. Ich musste

mit 14 die Schule verlassen und habe dann eine Lehre als Einzelhandelskauffrau

begonnen, um meine alleinerziehende Mutter zu unterstützen.

Sie war froh, keine weitere Schulausbildung bezahlen zu

müssen.

Wie haben Sie das damals wahrgenommen. Fühlten

Sie sich gebremst in Ihrem Wissensdrang?

Also für mich hat sich die Frage nicht gestellt. Ich wäre gerne weiter

zur Schule gegangen, fand die Entscheidung unter den gegebenen

Lebensumständen jedoch nachvollziehbar. Wenn kein Geld da ist, hat

man einen anderen Blick auf die Realität.

Essen ist eben wichtiger als Lesen.

Ja, das war bei uns ein Thema. Meine Mutter hat sich zum Beispiel

immer Obst gewünscht, wenn Besuch kam. Erdbeeren zum Beispiel

waren ein Luxus. Noch heute muss ich daran denken, wenn ich welche

esse.

Sie haben sich dann in der Bücherei Ihren Lesestoff

beschafft?

Für mich war die Bücherei ein Zufluchtsort, der sehr viel Ruhe ausgestrahlt

hat. Ich mochte diese Stille und ich mochte den Geruch von

Büchern. Ich empfand es als ein Geschenk, blättern und entscheiden

zu können: Jetzt nehme ich diese fünf Bücher mit nach Hause. Lesen

war für mich zunächst eine Flucht, später selbstverständlich auch eine

Form der Bildung.

Gibt es ein Buch, das Sie besonders geprägt hat?

Pippi Langstrumpf war das allererste Buch, das ich selber lesen konnte.

Das war natürlich kein schlechter Einstieg – sehr inspirierend. Pippi

Langstrumpf hat ihr Leben gestaltet, wie sie es für richtig hielt. Ich

glaube, das war ansteckend. Das Buch habe ich tatsächlich heute noch

– geflickt und zerfleddert.

Astrid Lindgren würde sich freuen! Sie haben es mit

Hauptschulabschluss bis zur stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden

geschafft. Wie selbstverständlich

ist Ihre Position bei Beiersdorf für Sie heute?

Dadurch, dass ich schon seit über 20 Jahren im Aufsichtsrat sitze und

viele wesentliche Entscheidungen im Konzern mit getroffen habe,

fühle ich mich in dieser Position richtig – das ist, glaube ich, die

treffende Vokabel. Ich verfüge über ein breites Wissen, Netzwerke und

das Grundvertrauen der Kolleginnen und Kollegen, die sich fünf Mal

entschieden haben, mich zu wählen.

Welche Rolle spielte es bei Ihrer Wahl 1999, dass Sie

eine Frau sind?

Ich war damals die erste Frau im Aufsichtsrat des Unternehmens. Die

Arbeitnehmerbank bestand überwiegend aus Kollegen von Chemikern,

Biologen und Ingenieuren. Deshalb suchten sie jemanden aus

dem Bereich Kommunikation, am liebsten eine Frau mit einem hohen

internen Bekanntheitsgrad. Außerdem habe ich seit 1992 verschiedene

Veranstaltungsreihen aufgebaut, die es vorher nicht gegeben hatte –

Kultur für Mitarbeiter. Viermal im Jahr können sie Kulturveranstaltungen

besuchen, zum Beispiel Kabarett und Konzerte – früher in einer

leerstehenden Fabrikhalle, heute gibt es sogar ein Auditorium. Als

Gastgeberin stehe ich regelmäßig auf der Bühne und verschaffe den

Leuten mit den Veranstaltungen nach Feierabend Freude. Diese Initiative

wurde damals sehr eng mit meinem Namen verknüpft.

Ihr beruflicher Weg verlief nicht immer gradlinig. Sie

haben nach Ihrer Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau

eine erste Karriere als Unternehmerin hingelegt,

die allerdings ein jähes Ende fand.

Heute würde man das vermutlich Start-up nennen. Je häufiger man

scheitert, desto klüger wird man. Diese Einsicht kam aber erst später.

Mit 28 Jahren erlebte ich den Konkurs. Allerdings nicht, weil wir falsch

gewirtschaftet hatten, sondern weil sich unser Geschäftsführer bereichert

hatte. Damals stand ich vor einem Scherbenhaufen. Das Geld war

weg; ich musste Mitarbeiter entlassen, meine erste Ehe ging in die Brüche,

und ohne Studium bestand kaum eine berufliche Perspektive. Das

war wirklich ein Tiefpunkt.

Wie konnten Sie sich da wieder aufrichten?

Es gab keine Alternative. Man kann zwar liegenbleiben, aber das ist

mit 28 keine Lösung.

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