ME2BE CAMPUS 2019/02
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Herr Professor Dr. Beer, in diesem Sommer
haben die schleswig-holsteinischen
Fachhochschulen ihr 50-jähriges Bestehen
gefeiert. Wo steht dieser Typ Hochschule
heute?
Die Fachhochschulen haben sich damals aus
den Obergewerbeschulen und den Ingenieurschulen
entwickelt. Sie hatten dann eine Zeit
von 15 bis 20 Jahren, um aus dieser Tradition
herauszukommen. Für unsere Hochschule
kam 1989 mit dem Beschluss, die Hochschule
nach Dietrichsdorf zu verlagern, langsam ein
neues Wir-Gefühl. Vorher waren die Fachbereiche
über Eckernförde, Rendsburg, Neumünster
und Kiel verteilt. Außerdem haben wir
Fachkollegen eingestellt, die den modernen
Kriterien entsprachen – also promoviert und
mit fünfjähriger Berufserfahrung. Das hat die
Hochschule als Typ geprägt und unterscheidbarer
gemacht. Seit 2000 sind wir hier auf
dem Campus endgültig angekommen. Seitdem
wächst zusammen, was zusammengehört.
Wie ist Ihre Prognose für die weitere Entwicklung
dieses Hochschultyps?
Es gibt zwei Entwicklungslinien. Einmal werden
die Fachhochschulen sich noch stärker
in der Arbeitsmarktorientierung betätigen.
Die FHs können den Fachkräftemangel am
effektivsten bekämpfen. Die duale Ausbildung
schwächelt, immer mehr junge Menschen wollen
studieren und anschließend einen guten
Job haben. Da kann ich ihnen nur empfehlen,
an die FH zu gehen. Die Arbeitsmarktorientierung
liegt uns in den Genen. Die andere Linie
ist die anwendungsorientierte Forschung und
der Wissenstransfer für die kleinen und mittleren
Unternehmen. Das machen die Universitäten
beispielsweise nur wenig, weil sie primär
an Grundlagenforschung interessiert sind.
Spielen die FHs die Vorteile, die sie haben,
schon konsequent genug aus?
In der anwendungsorientierten Forschung
sind wir aktiv, aber durch unsere hohe Lehrverpflichtung
ein bisschen gehandicapt. Viele
Kolleginnen und Kollegen machen das nebenher.
Dabei wäre es auch für den Staat interessant,
wenn er die FHs ein wenig entfesselte.
Mit mehr Zeit für den Wissenstransfer würden
wir gute Ergebnisse erzielen.
Also müssten innerhalb der Hochschulen
Strukturen geschaffen werden, die den
Dozenten den nötigen Freiraum für Kooperationen
bieten.
Daran arbeiten wir, unter anderem in Dauergesprächen
mit der Landesregierung.
Können Sie ein paar praktische Beispiele
für die Bemühungen der FH Kiel nennen?
Wir versuchen zusätzliche Professuren zu
bekommen, damit wir Kollegen von der Lehre
freistellen können, um mehr Transfer leisten
zu können. Was dann möglich ist, zeigen zum
Beispiel die beiden Träger des Innovationspreises
der Stadt Kiel Professor Ronald Eisele
und Professor Mohammed Es-Souni. Beide
sind leuchtende Beispiele dafür, wie eine Verbindung
von Hochschule und Unternehmen
sein kann.
„Es gibt viele
Studierende, die
erst nach mehreren
Semestern an der
Uni zu uns kommen.
Diesen Weg könnte
man abkürzen.“
Inwiefern?
Professor Eisele ist in der Leistungselektronik
verankert und hat mit Danfoss Patente zusammen
entwickelt. Dadurch konnte das Werk in
Flensburg seine Weltmarktposition halten.
Wir schicken unsere Absolventinnen und
Absolventen aus dem Studiengang Mechatronik
gerne zu Danfoss. Das ist im Grunde ein
Doppelschlag: einmal in der anwendungsorientierten
Forschung in der Zusammenarbeit,
aber auch als eine Bereicherung in der
Lehre, um die entsprechenden Fachkräfte dem
Unternehmen zur Verfügung zu stellen. Prof.
Es-Souni hat vielfältige Kooperationen im
Bereich Nanotechnologie initiiert. Das geht
von der Beschichtung von Heizbrennern bis
zu Flüssigkeiten für Kontaktlinsen. Er hat in
knapp 30 Jahren eine Menge bewegt.
Liegen nicht genau in dieser Form der Forschung
und Lehre die größten Chancen für
die Fachhochschulen gegenüber den Universitäten?
Das ist der wesentliche Unterschied, weil wir
in der Anwendung sind, und die Universitäten
versuchen, die Grundlagen zu erforschen –
was ja auch wichtig ist. Diese Koexistenz von
Universität und Fachhochschule ist volkswirtschaftlich
betrachtet der beste Weg.
Haben die FHs im Land denn dieses Selbstbewusstsein,
das sie mit diesem Profil nach
außen tragen könnten, schon umfassend
entwickelt?
Wir haben dieses Selbstbewusstsein. Ob das
auch von anderen immer so wahrgenommen
wird, weiß ich nicht. Wir versuchen, mit innovativen
Organisationen und Unternehmen in
Kontakt zu treten. Ein limitierender Faktor ist
allerdings, dass wir zu stark in der Lehre eingebunden
sind und der erforderliche Freiraum
für diese Kooperationen fehlt.
Wie schätzen Sie die Wahrnehmung der
FH Kiel in der Landeshauptstadt und dem
Großraum ein?
Wir gelten als solide zuverlässige Partnerin
bei den Unternehmen, die mit uns kooperieren.
Auch mit den regionalen Bildungszentren
pflegen wir gute Kontakte.
Stehen Sie im Schatten der Universität?
Wenn man genau hinsieht, gibt es gar nicht
so viele Überschneidungen. Die Universität
hat keinen Maschinenbau, keinen Schiffbau,
keine Offshore-Anlagenbauer, keine soziale
Arbeit oder Agrarwirtschaft für Betriebsleiter.
Das entdecken potentielle Studierende
natürlich nicht immer. Die sagen sich oft voreilig:
‚Agrar ist Agrar, ich geh zur Uni.‘ Wer
aber einen Hof führen will, ist besser beraten,
wenn er zu uns kommt.
Lässt sich eine derartige Einstellung auch
auf die Bereiche Politik und Gesellschaft
übertragen, sodass die FH vielleicht nicht
immer ausreichend wahrgenommen wird?
Ein bisschen ist das so. Eltern sagen ihren
Kindern: ‚Du hast jetzt Abitur, geh doch zur
Uni‘. Die Universität gilt als die Krone der
wissenschaftlichen Schöpfung, und wir stehen
für manche nur im zweiten Glied. Es gibt
viele Studierende, die erst nach mehreren
Semestern an der Uni zu uns kommen, weil
unser Konzept ihnen mehr zusagt. Diesen Weg
könnte man abkürzen.
Für wen eignet sich ein Studium an der FH
Kiel?
Vor allem für Menschen, die auf der Basis von
Theorie anwendungsorientiert arbeiten wollen,
die Anwendung immer mitdenken und
nicht in der Theorie hängenbleiben. Lesen,
Schreiben und Rechnen sollten sie natürlich
auf entsprechendem Niveau können. Aber im
Fokus steht immer die Anwendung von Wissen.
Können Sie skizzieren, welche Entwicklung
die FH Kiel seit Ihrem Amtsantritt 2008
gemacht hat?
Das war eine spannende Phase, weil die Hochschule
Ende der Nullerjahre kräftig gewachsen
ist. Damals gab es 5000 Studierende, heute
sind es 8000. Der Campus war alles andere als
fertig. Daher mussten noch etliche Gebäude
errichtet werden. Das war auch nötig. Wir
haben hier auf dem Campus in Dietrichsdorf
enorm viel geschafft, aber auch auf dem
Campus in Osterrönnfeld, der nach 20 Jahren
Diskussion endlich ein neues Laborgebäude
bekommen hat. Außerdem wurden zahlreiche
neue Studiengänge geschaffen, zum Beispiel
die Online-Lehre in der BWL oder der Wirtschaftsinformatik.
Platzmangel ist an der FH trotzdem noch
ein Thema.
Ja, die Bibliothek ist beispielsweise noch im
Bau. Besser gesagt: das bibliothekarische
Selbstlernzentrum. Wir wollen, dass Studierende
länger auf dem Campus bleiben und auch
in Arbeitsgruppen lernen können. Das Gebäude
vermisse ich nach wie vor schmerzlich, aber
da ist manchmal Warten auch nicht verkehrt.
Hätten wir im Jahr 2000 eine Bibliothek
bekommen, dann wäre das ein ganz einfacher
Buchspeicher gewesen. Und jetzt entsteht ein
modernes Gebäude mit eigener Cafeteria und
viel Platz für studentisches Lernen.
Stichwort Architektur: Bekommt die FH
Kiel einen weiteren Studiengang?
Im Hochschulvertrag ist ein Kompetenzzentrum
Bauen vorgesehen, für das die FH Kiel
mit einem achtsemestrigen Bachelor an den
Start gehen soll. Allerdings mit Geld aus dem
Zukunftsvertrag, den das Land mit dem Bund
schließt. Ich gehe davon aus, dass wir im
Rahmen dieses Vertrages auch die Architektur
bedienen dürfen.
Die Grundlagen sind also geplant, aber es
fehlt noch an dem nötigen Kleingeld?
Ja, und auch ein bisschen an Platz. Wir brauchen
ein neues Gebäude für die Bauingenieure
und für die Architektur. Es ist schon recht eng
geworden. Aber das gehen wir noch an, da bin
ich mir sicher.
Welche Herausforderungen kommen auf
die FH Kiel in den kommenden Jahren zu?
Ich denke, die Finanznot der Hochschulen wird
bleiben. Zudem ist die Internationalisierung
ein großes Thema. Wir bieten bislang Doppelabschlüsse
mit mehreren ausländischen Hochschulen,
sind Mitglied der deutsch-französischen
Hochschule und haben Partnerschaften
mit Shanghai und Mexiko. Allerdings müssten
wir noch mehr Masterprogramme auf Englisch
umstellen, sodass mehr ausländische Studierende
aus innerem Antrieb zum Studium
nach Kiel kommen. Ich glaube, das täte dem
Arbeitsmarkt in Deutschland gut, wenn wir
auch auf der studentischen Seite importieren
würden. Interdisziplinär ist auch noch mehr
möglich, ebenso in der Kooperation mit anderen
Hochschulen.
Ihre Amtszeit endet zum 1. Juli 2020; im
Januar wird bereits ein Nachfolger oder
eine Nachfolgerin gewählt. Wie geht es mit
Ihnen persönlich weiter?
Ich werde mich um meine Enkel kümmern
und bin erstmal froh, dass ich kürzertreten
kann. Die Hecke muss geschnitten, der Rasen
gemäht und der Garten aufgeräumt werden.
Ich werde versuchen, ein bisschen zur Ruhe
zu kommen. Die letzten Jahre waren ziemlich
hochtourig. Und danach wird sich bestimmt
etwas ergeben.
Herr Professor Dr. Beer, vielen Dank für das
Gespräch.
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