MOIN_05_2019_ePaper
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0 60 KINDERWÜNSCHE
VERBOTENE FOTOS?
Da stehen die Kleinen mit großen Augen und riesigen Tüten
im Arm vor dem Eingang der Schule und zu einem neuen Leben.
Wenn sie einige Jahre später vor dem Schultor stehen, dann
haben sie vielleicht auch Tüten dabei, aber da ist dann vielleicht
schwarzer Afghane statt dunkler Schokolade drin …
d
ie I-Dötzchen freuen sich sehr
auf die Schule. Das ist verständlich,
weil man dort ja für
das Leben lernt. Zum Beispiel,
dass ein Satz im Deutschen inzwischen aus
Subjekt, Prädikat und stark vereinfachtem
Objekt besteht (»Isch geh Schulhof«) oder wie
man Pornofilmchen auf dem Smartphone
gucken kann. Erfreulicherweise bekam
Wangerooge weitere Mittel zur Digitalisierung
der Schulen, so dass in den wenigen
Klassenzimmern schnelles Internet und
W-Lan verfügbar ist und die Videos nicht
mehr so ruckeln. Sollten die Schüler allerdings
in einigen Häusern an der östlichen
Strandpromenade wohnen, dann werden sie
anschließend zu Hause nicht mehr zurechtkommen,
weil Wangerooge an einigen Ecken
Probleme mit dem Breitbandausbau hat. Es
gibt immer noch Stellen, zu denen die Datenpakete
nicht durch Glasfaserkabel, sondern
am Rücken von Weinbergschnecken befestigt
transportiert werden. Für die Informatik-
Hausaufgaben braucht man da länger als
fürs ganze Abitur.
Übrigens ist es ja so, dass der erste Schultag
eines Kindes innerhalb des Familienlebens
inzwischen Dimensionen angenommen
hat, als würden die Kiddis nicht zur Inselschule,
sondern auf eine Marsmission ohne
Wiederkehr gehen. Tränenreiche Abschiede
und Feierlichkeiten wie nach der Promotion
an der Harvard-Universität sind heute nicht
unüblich. Umso schlimmer ist, dass keiner
so genau weiß, ob man am ersten Schultag
noch Fotos von den I-Dötzchen-Klassen machen
darf. Wegen Datenschutz und Recht am
eigenen Bild ist das Fotografieren an einigen
Schulen sogar ganz verboten worden.
Ist das nicht toll? Da versuchen wir heute
verzweifelt höchst offiziell das Ablichten von
Kindern zu verhindern, die in wenigen Jahren
völlig freiwillig sogar Selfies mit Windpocken
oder übergroßen Eiterpickeln mit
einer Milliarde Instagram-Nutzern auf der
ganzen Welt teilen werden. Nur ein schönes
Foto von der Einschulung haben sie dann
nicht. Möglich, dass in Zukunft Cartoonisten
engagiert werden, die ein Bild der Klasse
1 zeichnen, damit es wenigstens irgendein
Erinnerungsstück gibt …
Oder es gibt – wie auf Wangerooge – einen
Pädagogen, der die Fotos von den Kleinen
selbst schießt und bestimmt, wo die Bilder
veröffentlicht werden. Aber nur dann, wenn
ein besorgter Vater kein Veto eingelegt hat …
FRED BERG