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Berliner Kurier 31.01.2020

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POLITIK<br />

MEINE<br />

MEINUNG<br />

Singapur in<br />

der Nordsee?<br />

Von<br />

Matthias<br />

Koch<br />

Sie werden immerTeil<br />

unsererFamilie bleiben.“<br />

Als EU-Kommissionspräsidentin<br />

Ursula von der Leyen<br />

Sätze wie diesenüber die<br />

scheidenden Briten sagte,<br />

hörte sie sich fast an wie Königin<br />

Elizabeth II., so besonnen<br />

und milde.Genauso hatte,<br />

bis in die Wortwahl hinein,die<br />

Queengeklungen,<br />

als sie überHarry und Meghan<br />

sprach.<br />

Doch es wird nicht viel bleiben<br />

von diesen warmen Worten.<br />

Ein erster Warnhinweis<br />

ist schon da. „Wir werden<br />

unsere Unternehmen nicht<br />

einem unfairenWettbewerb<br />

aussetzen“, sagt von der Leyen.<br />

Frei übersetzt heißt das:<br />

Premierminister Boris Johnson<br />

kann seine Visionvom<br />

Singapur in der Nordsee vergessen.<br />

Johnsonträumt von<br />

einer Kombination von<br />

Hochtechnologie und Niedrigsteuern,bei<br />

Abwesenheit<br />

lästiger EU-Normen zum<br />

Schutz vom Arbeitnehmern<br />

und Umwelt. Wem aber wollen<br />

die Briten Warenund<br />

Dienstleistungenverkaufen,<br />

wennsie dann zum EU-Binnenmarkt<br />

vor ihrer Haustür<br />

keinenzollfreien Zugang<br />

mehrfinden? Johnson hat<br />

sich auf ein Kräftemessen<br />

eingelassen,das er nicht gewinnen<br />

kann.<br />

FRAU DESTAGES<br />

Regina Duarte<br />

Regina Duarte (72), brasilianische<br />

Telenovela-Schauspielerin,<br />

hat die Ernennung zur<br />

neuen Kultursekretärin in der<br />

Regierung<br />

des südamerikanischen<br />

Landes angenommen.<br />

Das teilte sie<br />

nach einem<br />

Treffen mit<br />

Staatschef<br />

Jair Bolsonaro<br />

im Präsidentenpalast<br />

in Brasília mit. Sie tritt<br />

die Nachfolge von Roberto<br />

Alvim an, der wegen einer Rede<br />

im Stil des NS-Propagandaministers<br />

Joseph Goebbels<br />

entlassen wurde. Auch Duarte<br />

hat rechte Einstellungen.<br />

Foto: Marcos Correa/Palacio do Planalt/dpa<br />

Fotos: M. Kappeler/dpa (2), S. Chung/imago images, K. Wigglesworth/AP/dpa, B. Birchall/PA Wire<br />

Brüssel/London – Das verflixte<br />

47. Jahr: 1974 war<br />

Großbritannien der EU<br />

beigetreten. Gehadert<br />

hat die Insel in all den<br />

Jahrzehntenmit der Mitgliedschaft<br />

immer, aber<br />

heute um Mitternacht ist<br />

der Brexit vollzogen.<br />

Jetzt beginnt das Feilschen<br />

um einen Vertrag<br />

mit derEUfür die Zeitdanach.<br />

Einige Politiker jubelten<br />

am Mittwochabend, andere<br />

waren traurigund weinten.<br />

Kurz zuvor hatte das<br />

Europaparlament den Brexit-Vertrag<br />

ratifiziert und<br />

damitden Weg geebnet für<br />

den britischen EU-Austritt.<br />

Wichtigster Punkt imVertrag<br />

isteine geplante Übergangsfrist<br />

bis zum Jahresende,<br />

inder sich im Alltag<br />

fast nichtsändert.Großbritannien<br />

bleibt in der Zeit im<br />

EU-Binnenmarkt und in<br />

der Zollunion.Beim Reisen<br />

und im Warenverkehr<br />

bleibt alles wie gehabt.<br />

„Nehmt Abschied, Brüder“,<br />

sangen die britischen<br />

EU-Abgeordneten. Einige<br />

trugen blau-rote Schals mit<br />

Europafahne, der britischen<br />

Flagge Union Jack<br />

und der Aufschrift: „Für<br />

immer zusammen“. Bei einigen<br />

flossen Tränen. Andere<br />

machten sich Mut mit<br />

der Formel, es heiße nun<br />

„Auf Wiedersehen“ und<br />

nicht „Lebe wohl“, eine Tür<br />

bleibe immer offen für<br />

Großbritannien. Radikale<br />

britische Brexit-Befürworter<br />

lieferten im parlament<br />

hässliche Szenen. „Ich liebe<br />

Europa, aber hasse die<br />

EU“, dröhnte der radikale<br />

Nigel Farage.<br />

Übergangsgelder<br />

und Pensionsansprüche<br />

aus<br />

Brüssel nimmt er<br />

trotzdem gern<br />

mit. „Ich werde<br />

mich mit britischen<br />

Verwandten<br />

und Freunden<br />

betrinken“,<br />

sagte die SPD-<br />

Europaabgeordnete<br />

Katarina<br />

Barley. Die EU<br />

verliert mit dem<br />

Brexit ihre<br />

zweitgrößte Wirtschaftsmacht<br />

und<br />

ihren viertgrößten<br />

Beitragszahler.<br />

Oberste Priorität<br />

in den Verhandlungen<br />

der nächsten<br />

Monate hat für<br />

beide Seiten<br />

ein Han-<br />

Bye-bye<br />

Britain!<br />

Nun beginnt für London das harte Feilschen<br />

um einen Handelsvertrag mit der EU<br />

Fieser Abgang: Der<br />

Brexit-UltraNigel Farage<br />

zeigt in der letzten<br />

Plenarsitzung seine<br />

britischen Socken.<br />

Tränenreicher Abschied:<br />

Britische EU-Mitarbeiter<br />

weinen (l.). Auf der Insel<br />

gibt es Brexit-Münzen (u.).<br />

delsabkommen. Das Motto<br />

heißt: keine Zölle, keine<br />

Kontingente, kein Dumping.<br />

Die EU will den britischen<br />

Zugang zum Binnenmarkt<br />

nur in dem Maß gewähren,<br />

in dem Großbritannien<br />

künftig gemeinsame<br />

Standards einhält, seien<br />

es nun Umwelt-, Sozial-,<br />

Steuer-er- oder Warenstan-<br />

dards.<br />

Ein tiefer Einschnitt ist<br />

der Brexit vor allem<br />

für die 3,2 Millionen<br />

EU-Bürger<br />

in<br />

Großbritannien<br />

und<br />

die 1,2 Millionen<br />

Briten in der<br />

EU. Der Austritts-<br />

vertrag<br />

sichert ihdass<br />

sie und<br />

nen zu, ihre engstenn Angehöri-<br />

können<br />

gen weiter leben<br />

wie bisher. Doch müssen<br />

sich EU-Bürger in Großbritannien<br />

bis Ende des Jahres<br />

registrieren lassen, sonst<br />

könnten sie das Aufenthaltsrecht<br />

doch verlieren.<br />

Auch einige EU-Staaten<br />

haben Registrierungspflichten.<br />

Gefährlichwird der Brexit<br />

zudem für die Einheit<br />

des Vereinigten Königreichs:<br />

Schottlands Parlament<br />

hat für ein neues Referendum<br />

über die schottische<br />

Unabhängigkeit gestimmt.<br />

Auch in Nordirland<br />

gibt es starke Bestrebungen,<br />

eine Wiedervereinigung<br />

mit Irland anzustreben.<br />

Seine Verhandlungsziele<br />

mit der EU will Premierminister<br />

Boris Johnson<br />

nächste Woche vorstellen.<br />

Souveränität sei wichtiger<br />

als reibungsloser Handel,<br />

sagte er gestern. Da das<br />

Land nach dem Referendum<br />

von 2016 gespalten sei,<br />

werde er den Brexit heute<br />

respektvoll mit einem kleinen<br />

Programm<br />

feiern. Nur eine<br />

Lightshow,<br />

Union-Jack-<br />

Fahnen und eine<br />

Rede des Premiers<br />

sollen den<br />

historischen<br />

Moment begleiten.<br />

Stiller Protest: Gegner<br />

des Brexits (l.) harrten<br />

gestern vordem<br />

Parlament in London<br />

aus.

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