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POLITIK<br />
MEINE<br />
MEINUNG<br />
Singapur in<br />
der Nordsee?<br />
Von<br />
Matthias<br />
Koch<br />
Sie werden immerTeil<br />
unsererFamilie bleiben.“<br />
Als EU-Kommissionspräsidentin<br />
Ursula von der Leyen<br />
Sätze wie diesenüber die<br />
scheidenden Briten sagte,<br />
hörte sie sich fast an wie Königin<br />
Elizabeth II., so besonnen<br />
und milde.Genauso hatte,<br />
bis in die Wortwahl hinein,die<br />
Queengeklungen,<br />
als sie überHarry und Meghan<br />
sprach.<br />
Doch es wird nicht viel bleiben<br />
von diesen warmen Worten.<br />
Ein erster Warnhinweis<br />
ist schon da. „Wir werden<br />
unsere Unternehmen nicht<br />
einem unfairenWettbewerb<br />
aussetzen“, sagt von der Leyen.<br />
Frei übersetzt heißt das:<br />
Premierminister Boris Johnson<br />
kann seine Visionvom<br />
Singapur in der Nordsee vergessen.<br />
Johnsonträumt von<br />
einer Kombination von<br />
Hochtechnologie und Niedrigsteuern,bei<br />
Abwesenheit<br />
lästiger EU-Normen zum<br />
Schutz vom Arbeitnehmern<br />
und Umwelt. Wem aber wollen<br />
die Briten Warenund<br />
Dienstleistungenverkaufen,<br />
wennsie dann zum EU-Binnenmarkt<br />
vor ihrer Haustür<br />
keinenzollfreien Zugang<br />
mehrfinden? Johnson hat<br />
sich auf ein Kräftemessen<br />
eingelassen,das er nicht gewinnen<br />
kann.<br />
FRAU DESTAGES<br />
Regina Duarte<br />
Regina Duarte (72), brasilianische<br />
Telenovela-Schauspielerin,<br />
hat die Ernennung zur<br />
neuen Kultursekretärin in der<br />
Regierung<br />
des südamerikanischen<br />
Landes angenommen.<br />
Das teilte sie<br />
nach einem<br />
Treffen mit<br />
Staatschef<br />
Jair Bolsonaro<br />
im Präsidentenpalast<br />
in Brasília mit. Sie tritt<br />
die Nachfolge von Roberto<br />
Alvim an, der wegen einer Rede<br />
im Stil des NS-Propagandaministers<br />
Joseph Goebbels<br />
entlassen wurde. Auch Duarte<br />
hat rechte Einstellungen.<br />
Foto: Marcos Correa/Palacio do Planalt/dpa<br />
Fotos: M. Kappeler/dpa (2), S. Chung/imago images, K. Wigglesworth/AP/dpa, B. Birchall/PA Wire<br />
Brüssel/London – Das verflixte<br />
47. Jahr: 1974 war<br />
Großbritannien der EU<br />
beigetreten. Gehadert<br />
hat die Insel in all den<br />
Jahrzehntenmit der Mitgliedschaft<br />
immer, aber<br />
heute um Mitternacht ist<br />
der Brexit vollzogen.<br />
Jetzt beginnt das Feilschen<br />
um einen Vertrag<br />
mit derEUfür die Zeitdanach.<br />
Einige Politiker jubelten<br />
am Mittwochabend, andere<br />
waren traurigund weinten.<br />
Kurz zuvor hatte das<br />
Europaparlament den Brexit-Vertrag<br />
ratifiziert und<br />
damitden Weg geebnet für<br />
den britischen EU-Austritt.<br />
Wichtigster Punkt imVertrag<br />
isteine geplante Übergangsfrist<br />
bis zum Jahresende,<br />
inder sich im Alltag<br />
fast nichtsändert.Großbritannien<br />
bleibt in der Zeit im<br />
EU-Binnenmarkt und in<br />
der Zollunion.Beim Reisen<br />
und im Warenverkehr<br />
bleibt alles wie gehabt.<br />
„Nehmt Abschied, Brüder“,<br />
sangen die britischen<br />
EU-Abgeordneten. Einige<br />
trugen blau-rote Schals mit<br />
Europafahne, der britischen<br />
Flagge Union Jack<br />
und der Aufschrift: „Für<br />
immer zusammen“. Bei einigen<br />
flossen Tränen. Andere<br />
machten sich Mut mit<br />
der Formel, es heiße nun<br />
„Auf Wiedersehen“ und<br />
nicht „Lebe wohl“, eine Tür<br />
bleibe immer offen für<br />
Großbritannien. Radikale<br />
britische Brexit-Befürworter<br />
lieferten im parlament<br />
hässliche Szenen. „Ich liebe<br />
Europa, aber hasse die<br />
EU“, dröhnte der radikale<br />
Nigel Farage.<br />
Übergangsgelder<br />
und Pensionsansprüche<br />
aus<br />
Brüssel nimmt er<br />
trotzdem gern<br />
mit. „Ich werde<br />
mich mit britischen<br />
Verwandten<br />
und Freunden<br />
betrinken“,<br />
sagte die SPD-<br />
Europaabgeordnete<br />
Katarina<br />
Barley. Die EU<br />
verliert mit dem<br />
Brexit ihre<br />
zweitgrößte Wirtschaftsmacht<br />
und<br />
ihren viertgrößten<br />
Beitragszahler.<br />
Oberste Priorität<br />
in den Verhandlungen<br />
der nächsten<br />
Monate hat für<br />
beide Seiten<br />
ein Han-<br />
Bye-bye<br />
Britain!<br />
Nun beginnt für London das harte Feilschen<br />
um einen Handelsvertrag mit der EU<br />
Fieser Abgang: Der<br />
Brexit-UltraNigel Farage<br />
zeigt in der letzten<br />
Plenarsitzung seine<br />
britischen Socken.<br />
Tränenreicher Abschied:<br />
Britische EU-Mitarbeiter<br />
weinen (l.). Auf der Insel<br />
gibt es Brexit-Münzen (u.).<br />
delsabkommen. Das Motto<br />
heißt: keine Zölle, keine<br />
Kontingente, kein Dumping.<br />
Die EU will den britischen<br />
Zugang zum Binnenmarkt<br />
nur in dem Maß gewähren,<br />
in dem Großbritannien<br />
künftig gemeinsame<br />
Standards einhält, seien<br />
es nun Umwelt-, Sozial-,<br />
Steuer-er- oder Warenstan-<br />
dards.<br />
Ein tiefer Einschnitt ist<br />
der Brexit vor allem<br />
für die 3,2 Millionen<br />
EU-Bürger<br />
in<br />
Großbritannien<br />
und<br />
die 1,2 Millionen<br />
Briten in der<br />
EU. Der Austritts-<br />
vertrag<br />
sichert ihdass<br />
sie und<br />
nen zu, ihre engstenn Angehöri-<br />
können<br />
gen weiter leben<br />
wie bisher. Doch müssen<br />
sich EU-Bürger in Großbritannien<br />
bis Ende des Jahres<br />
registrieren lassen, sonst<br />
könnten sie das Aufenthaltsrecht<br />
doch verlieren.<br />
Auch einige EU-Staaten<br />
haben Registrierungspflichten.<br />
Gefährlichwird der Brexit<br />
zudem für die Einheit<br />
des Vereinigten Königreichs:<br />
Schottlands Parlament<br />
hat für ein neues Referendum<br />
über die schottische<br />
Unabhängigkeit gestimmt.<br />
Auch in Nordirland<br />
gibt es starke Bestrebungen,<br />
eine Wiedervereinigung<br />
mit Irland anzustreben.<br />
Seine Verhandlungsziele<br />
mit der EU will Premierminister<br />
Boris Johnson<br />
nächste Woche vorstellen.<br />
Souveränität sei wichtiger<br />
als reibungsloser Handel,<br />
sagte er gestern. Da das<br />
Land nach dem Referendum<br />
von 2016 gespalten sei,<br />
werde er den Brexit heute<br />
respektvoll mit einem kleinen<br />
Programm<br />
feiern. Nur eine<br />
Lightshow,<br />
Union-Jack-<br />
Fahnen und eine<br />
Rede des Premiers<br />
sollen den<br />
historischen<br />
Moment begleiten.<br />
Stiller Protest: Gegner<br />
des Brexits (l.) harrten<br />
gestern vordem<br />
Parlament in London<br />
aus.