wellhotel Ausgabe 2-2018
Das Fachmagazin für Hotellerie & Gastronomie, Tourismus & Freizeit, Wellness & Beauty
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Hotellerie | Gastronomie | Tourismus [ Mythen im Tourismus ]<br />
Hartnäckigen Mythen im Tourismus auf der Spur<br />
Nicht auszulöschen sind die Stereotypen und Mythen, die über Jahre und Jahrzehnte in der Tourismusbranche<br />
verbreitet werden, ohne dass sich jemand wirklich die Mühe macht, objektiv nachzuforschen,<br />
wie denn nun die Wirklichkeit aussieht. In dieser <strong>Ausgabe</strong> unterziehen die Münchner Tourismus- und Sozialwissenschaftler<br />
Dr. H. Jürgen Kagelmann und Dr. Walter Kiefl die Frage einem Realitätscheck, ob immer<br />
mehr Geschäftsreisende während ihres Hotelaufenthalts „Bleasure“ wollen – also das Notwendige<br />
mit dem Angenehmen verbinden.<br />
Teil 8 der Serie Text: Dr. H. Jürgen Kagelmann und Dr. Walter Kiefl<br />
Mythos:<br />
Immer mehr<br />
Gschäftsreisende<br />
wollen<br />
unterwegs<br />
„Bleasure“.<br />
gemeint ist damit ein (angeblich neuer)<br />
Trend, bei beruflich bedingten<br />
Reisen (Geschäftsreisen) auch Freizeit,<br />
Erholung und Vergnügen einzubeziehen<br />
bzw. Geschäfts- und<br />
Erholungsreisen zu verbinden, indem<br />
man zum Beispiel den Aufenthalt<br />
(in der Regel auf eigene Kosten)<br />
um einen oder mehrere Tage<br />
verlängert. Dafür wird überwiegend<br />
in angloamerikanischen Veröffentlichungen<br />
von „Bleasure“ gesprochen<br />
– ein Kunstwort, zusammengesetzt<br />
aus „business“ (Geschäft) und<br />
„pleasure“ (Freude, Vergnügen).<br />
Mitunter findet sich dafür auch die<br />
Bezeichnung „bleisure“, aus „business“<br />
und „leisure“ (Freizeit).<br />
Dabei stellen sich vor allem drei<br />
Fragen: Was ist das überhaupt? Handelt<br />
es sich bei „bleasure“ wirklich<br />
um ein neuartiges Phänomen? Sollen<br />
sich Hoteliers darauf einstellen<br />
bzw. wie können sie auf diesen<br />
„neuen“ Trend“ reagieren?<br />
| Nichts Neues | Ein Forschungsüberblick<br />
zeigt: Bleasure-Reisen<br />
sind eigentlich „alter Wein in neuen<br />
Schläuchen“. Seitdem Menschen<br />
gereist sind oder reisen mussten,<br />
haben sie nach Möglichkeiten gesucht,<br />
mit dem Notwendigen auch<br />
Angenehmes zu verbinden. Das gilt<br />
für jungsteinzeitliche Händler, mittelalterliche<br />
Pilger und frühneuzeitliche<br />
Forschungsreisende genauso<br />
wie für heutige Kurgäste, Kurs- und<br />
Konferenzteilnehmer sowie Geschäftsleute,<br />
wobei Art und Umfang<br />
des Vergnügens in Relation zum offiziellen<br />
Zweck natürlich variabel<br />
waren und sind. Wenn einer Befragung<br />
zufolge heute 83 Prozent der<br />
Geschäftsreisenden in einer fremden<br />
Stadt ihre freie Zeit nutzen, um<br />
sich diese anzusehen, kann man davon<br />
ausgehen, dass „lupenreine“<br />
Geschäftsreisende sogar eher die<br />
Ausnahme als die Regel sind.<br />
Die Beherbergungsbetriebe und<br />
andere davon profitierende Dienstleister<br />
haben sich zu ihrem Vorteil<br />
seit jeher darauf eingestellt. Neu ist<br />
allenfalls, dass dem Reisenden zunehmend<br />
die Qual der Wahl abgenommen<br />
wird, indem bei der Planung<br />
einer Geschäftsreise häufig<br />
ein passendes Unterhaltungs-Wohlfühlprogramm<br />
mitgedacht, gesucht<br />
und gebucht werden kann.<br />
Ziemlich unklar ist bis heute,<br />
was „Bleasure“ eigentlich sein<br />
soll. Weltweit gibt es gegenwärtig<br />
nur erstaunlich wenige repräsentative<br />
Studien über dieses behauptete<br />
Phänomen. So verfügt<br />
zum Beispiel der Verband Deutsches<br />
Reisemanagement (VDR)<br />
über keine Bleasure-Reisen-Statistik<br />
deutscher Geschäftsreisender.<br />
Die wenigen amerikanischen Untersuchungen<br />
haben aufgrund methodischer<br />
Schwächen nur einen eingeschränkten<br />
Aussagewert. Ein<br />
entscheidendes Problem dabei ist,<br />
dass es für die „Bleasure-Reise“<br />
überhaupt keine allgemein geteilten<br />
Definitionen gibt: Wenn man<br />
Bleasure-Reisen als Reisen definiert,<br />
die am Beginn oder am Ende<br />
um eine Sonnabend-Übernachtung<br />
verlängert werden, verfügt<br />
man nur vordergründig über eine<br />
klare Abgrenzung. Sowohl ein etwaiger<br />
geschäftlicher Charakter der<br />
Wochenendaktivitäten als auch Mußezeiten<br />
während der Arbeitswoche<br />
verfälschen das Bild, indem sich<br />
über ein Wochenende erstreckende<br />
Geschäftsreisen nicht korrekt<br />
als Bleasure-Reise bzw. von Montag<br />
bis Freitag stattfindende Reisen mit<br />
längeren Mußezeiten – also eigentlich<br />
eine Bleasure-Reise – als Geschäftsreisen<br />
behandelt werden.<br />
| Ergebnisse | Was sagen nun die<br />
amerikanischen Befragungsergebnisse?<br />
Interessant sind deren drei:<br />
a) Profile of the American Bleisure-Travel,<br />
Expedia Media Solutions;<br />
b) die Bridge Street Global Hospitality<br />
Bleisure Study: The Bleisure Report<br />
2014 (Befragung von 640 Geschäftsreisenden<br />
weltweit);<br />
c) die Auswertung von rund 7,3 Millionen<br />
Geschäftsreisen im Jahr 2015<br />
durch die CWT-Solutions Group.<br />
Herausgestellt wird dabei:<br />
20 Prozent aller befragten Reisenden<br />
haben noch keine Bleasure-Reise<br />
unternommen, würden<br />
dies aber gerne tun. 60 Prozent der<br />
Befragten haben bisher wenigstens<br />
eine Bleasure-Reise unternommen,<br />
wobei die meisten davon (30<br />
Prozent) der Geschäftsreise zwei<br />
Urlaubstage angehängt haben. 46<br />
Prozent der Befragten haben jeder<br />
oder den meisten bisher unternommenen<br />
Geschäftsreisen zusätzliche<br />
Urlaubstage angehängt. 54 Prozent<br />
der Befragten wurden bei Bleasure-Reisen<br />
von Familienmitgliedern<br />
oder Freunden begleitet. 96 Prozent<br />
der Befragten glauben, ihren kulturellen<br />
Horizont mit Bleasure-Reisen<br />
erweitern zu können.<br />
83 Prozent der Geschäftsreisenden<br />
nutzen den Aufenthalt in einer<br />
fremden Stadt, um sich dort umzusehen,<br />
machen Stadtbesichtigungen,<br />
besuchen Restaurants und machen<br />
„Kunst und Kultur“. 78 Prozent<br />
der befragten Reisenden waren der<br />
Meinung, dass zusätzliche Tage zur<br />
freien Verfügung eine Geschäftsreise<br />
attraktiver machen.<br />
Jeder fünfte Reisende kombiniert<br />
mindestens einmal jährlich<br />
eine berufliche Reise mit Freizeit.<br />
Von den Geschäftsreisen innerhalb<br />
den USA (87 Prozent aller Geschäftsreisen)<br />
wurden 42 Prozent<br />
als Bleasure-Reise und 58 Prozent<br />
als reine Geschäftsreise klassifiziert.<br />
Bei den Geschäftsreisen ins Ausland<br />
galten 52 Prozent als Bleasure-Reise<br />
und 48 Prozent als reine Geschäftsreise<br />
– das heißt bei Auslandsreisen<br />
spielen Wohlfühlen und Vergnügen<br />
eine größere Rolle.<br />
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