Bericht_361_Leseprobe
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2020<br />
DVS-BERICHTE<br />
Schweißen im Anlagenund<br />
Behälterbau
Schweißen im Anlagenund<br />
Behälterbau<br />
Vorträge der gleichnamigen Sondertagung<br />
in München vom 11. bis 14. Februar 2020<br />
Gemeinschaftsveranstaltung des DVS –<br />
Deutscher Verband für Schweißen und<br />
verwandte Verfahren e. V., Landesverband<br />
Bayern und Bezirksverband München, der<br />
GSI – Gesellschaft für Schweißtechnik<br />
International mbH, Niederlassung SLV München,<br />
und der TÜV SÜD Industrie Service GmbH
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek<br />
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;<br />
detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.<br />
DVS-<strong>Bericht</strong>e Band <strong>361</strong><br />
ISBN 978-3-96144-076-4<br />
Die Vorträge wurden als Manuskript gedruckt.<br />
Alle Rechte, einschließlich Übersetzungsrecht, vorbehalten. Nachdruck und Vervielfältigung dieses<br />
Bandes oder von Teilen desselben nur mit Genehmigung der DVS Media GmbH, Düsseldorf.<br />
© DVS Media GmbH, Düsseldorf ⋅ 2020<br />
Offsetdruck: Griebsch & Rochol Druck GmbH & Co. KG, Hamm
Vorwort<br />
Die GSI mbH, Gesellschaft für Schweißtechnik International mbH, Niederlassung SLV München, die TÜV<br />
Süd Industrie Service GmbH und der Landesverband Bayern sowie der Bezirksverband München im DVS<br />
e. V., laden sehr herzlich zur 48. schweißtechnischen Fachtagung „Schweißen im Anlagen- und<br />
Behälterbau“ ins Künstlerhaus am Lenbachplatz in München ein.<br />
Die Veranstaltung beginnt mit der sogenannten Basis-Info, die am Dienstagnachmittag der dreitägigen<br />
Sondertagung vorangestellt ist. Sie ist in diesem Jahr dem Thema „Digitalisierung und Industrie 4.0“<br />
gewidmet. So beschäftigt sich der die Basis-Info einleitende Vortrag grundlegend mit der Bedeutung von<br />
Digitalisierung bzw. Industrie 4.0 aus der Perspektive der Schweißtechnik. Weitere Vorträge befassen sich<br />
mit Digitaler Transformation in der schweißtechnischen Verarbeitung, Online-Validierung spezifischer<br />
Prozess- und Überwachungsparameter, Visualisierungsmöglichkeiten von Datenverknüpfungen im 3-D-<br />
Model einer komplexen Anlage, Visualisierung der Prozessfähigkeit mit cloudbasierten Big-Data-<br />
Auswertungen sowie mit Webbasierten Softwarelösungen für die Schweißtechnik.<br />
Die Hauptveranstaltung wird am Mittwoch durch einen bewusst nicht Schweißtechnik bezogenen<br />
Eröffnungsvortrag mit dem Titel „Große Krane“ eingeleitet. Hierbei wird ein spannender Streifzug in die<br />
Welt der Krane – von der Entwicklung in der Antike bis hin zu den heutigen, stärksten Kranken der Welt –<br />
unternommen.<br />
Weitere interessante Vorträge entstammen der Theorie und Praxis aktueller Themenkomplexe wie<br />
Qualitätssicherung, Werkstoffe, Prüfung und Verfahren und nicht zuletzt dem Bereich der Fertigung und<br />
Anwendung.<br />
Ein großer Teil der Vorträge wird in den nachmittags stattfindenden Arbeitsgruppen vertieft. Hierbei<br />
werden vom Redaktionskreis und von den Arbeitsguppenleitungen ausgewählte Fachthemen und<br />
Fragestellungen erörtert. Darüber hinaus werden weitere interessante und aktuelle Themen aufgegriffen<br />
und diskutiert. Die Fachexpertisen eines jeden Teilnehmenden sind hier sehr geschätzt.<br />
Die Ergebnisse der Diskussionen werden auf der Homepage www.sondertagung.de veröffentlicht und sind<br />
für die Teilnehmenden nach der Tagung als Download verfügbar. Ebenso werden diese Informationen<br />
auch in der Fachzeitschrift „SCHWEISSEN und SCHNEIDEN“ des DVS e. V. und in einer jährlich<br />
ergänzten Loseblattsammlung veröffentlicht.<br />
Als Bindeglied zur Basis-Info wird die Vorführung der „Digitalen Röntgenanlage“ der SLV München zu<br />
sehen sein. Weiterhin wird „Die moderne Laser-Schweiß- und Schneidanlage“ der SLV München<br />
vorgeführt. Darüber hinaus stellt die Firma Orbitec das Orbitalschweißen vor.<br />
Der vorliegende <strong>Bericht</strong>sband enthält die Manuskripte der Vorträge, die auch auf der beigefügten USB-<br />
Card als PDF-Datei enthalten sind.<br />
Die Veranstalter der Sondertagung danken den Vortragenden und Fachreferierenden, den Diskussionsund<br />
Arbeitsgruppenleitungen sowie allen, die zum Gelingen der Veranstaltung beitragen. Dank gilt auch<br />
der DVS Media GmbH für die Veröffentlichung des <strong>Bericht</strong>sbands.<br />
München, im Februar 2020<br />
Dipl.-Ing. Michael Dey Dipl.-Ing. Ferdinand Neuwieser Prof. Dr.-Ing. Prof. h. c. Dieter Böhme<br />
GSI mbH, NL SLV München TÜV SÜD Industrie Service GmbH DVS e. V., LV Bayern, BV München
Inhaltsverzeichnis<br />
Vorwort<br />
Basis-Information: Digitalisierung und Industrie 4.0<br />
Digitalisierung und Industrie 4.0 – Was bedeutet dies für den Anlagen- und Behälterbau aus Perspektive<br />
der Schweißtechnik? .............................................................................................................................. 1<br />
M. Krenz, Erlangen; K.-H. Gunzelmann, Nürnberg; H. Schwabe, Erlangen<br />
Visualisierung des Prozessverlaufes mit interaktiven Dashboards auf Basis einer cloud-basierten Big-<br />
Data-Lösung als Schlüssel zur Steigerung von Produktivität und Qualität ............................................ 16<br />
K. Niepold, Mülheim an der Ruhr<br />
Digitale Transformation in der schweißtechnischen Verarbeitung und Online-Validierung spezifischer<br />
Prozess- und Überwachungsparameter für eine optimale Produktherstellung ...................................... 22<br />
H. Chr. Schröder, Weinheim; T. Winterfeld, Bremen; B. Ivanov, Mündersbach<br />
Digitalisierung – Webbasierte Softwarelösungen für die Schweißtechnik ............................................. 27<br />
P. Gössner, Dortmund<br />
Eröffnungsvortrag<br />
Krane: Gestern – Heute – Morgen ........................................................................................................ 32<br />
P. Gerster, Ehingen<br />
Regelwerke und Qualitätssicherung<br />
Die neue DIN EN ISO 14731:2019 – Geänderte Anforderungen an Kompetenz und Kenntnisse ......... 42<br />
J. W. Mußmann, Meerbusch<br />
Additive Fertigung im Geltungsbereich der DGRL – Zulassung von Ausgangswerkstoff-herstellern<br />
(Pulver) und deren Material- und Parameterqualifizierungsprozesse .................................................... 49<br />
M. Boche, Filderstadt; J. Koch, Pfinztal<br />
DIN EN 13445-5 – Inspektion und Prüfung ........................................................................................... 55<br />
A. Kittel, Pullach<br />
Haftungsfalle Arbeitsschutz .................................................................................................................. 68<br />
C. Assmann, Neutraubling
Werkstoffe, Prüfung und Verfahren<br />
Effizientes Drahtlichtbogenspritzen mit neuen Stromquellen und Brennersystemen ............................. 71<br />
F. Lichtenthäler, Elkenroth; H. Wietrzniok, Mönchengladbach<br />
Duplexstahl: Schweißtechnische Herausforderung und deren Eigenschaften für einen optimalen Einsatz<br />
im Industrie- und Anlagenbau ............................................................................................................... 77<br />
H. C. Schröder, Weinheim; Dr. F. Stahl, Schwerte<br />
Neuer Schweißbrenner zum WIG-Pluspolschweißen von Aluminium ................................................... 91<br />
C. Matz, Unterschleißheim<br />
LiSAB - Laserstrahlschweißen von großen Blechdicken im Stahl- & Apparatebau ............................. 100<br />
J. Brozek, S. Keitel, Halle/Saale<br />
Fertigung und Anwendung<br />
MSG-Engspaltschweißen mit stick-out-unabhängiger Stromquellenparametrierung und optimierter<br />
Gasdüse ............................................................................................................................................. 105<br />
D. Kocab, S. Rose, E. Schubert, Buseck<br />
Elektroschlacke-Schweißen im neuen Gewand mit der Anwendung im Stahlbau ............................... 112<br />
E. Engindeniz, Freimersheim, H. Gedik, Istanbul/TR, A. Deveci, Ankara, M. Kocak, Istanbul/TR, U. Yanar, Ankara/TR<br />
Anwendbarkeit unterschiedlicher, robotergeführter Laser-Fügeverfahren im Rohrleitungs- und Pipeline-<br />
Bau ..................................................................................................................................................... 120<br />
J. Pitzer, Haiger<br />
Highlights aus 25 Jahren Erfahrung im Schweißen von thermischen Turbinenrotoren und<br />
Hydrogeneratoren .............................................................................................................................. 124<br />
S. Keller, Birr (Schweiz); R. Smolin, Basel (Schweiz)<br />
Verfasserverzeichnis ........................................................................................................................ 142
Digitalisierung und Industrie 4.0 – Was bedeutet dies für den Anlagen- und Behälterbau<br />
aus Perspektive der Schweißtechnik?<br />
M. Krenz, Erlangen; K.-H. Gunzelmann, Nürnberg; H. Schwabe, Erlangen<br />
Abstract<br />
Im vorliegenden Artikel werden die Auswirkungen von Digitalisierung und Industrie 4.0 auf die Schweißtechnik im<br />
deutschen Anlagen- und Behälterbau diskutiert. Insbesondere berücksichtigt die Analyse die Ausgangssituation der<br />
Schweißtechnik in der Übergangsphase von Industrie 3.0 zu Industrie 4.0. Es ist wichtig, eigene Vorstellungen zu<br />
entwickeln, wie der Übergang abläuft und welchen Beitrag jede Fachsparte zur Unterstützung der digitalen Transformation<br />
leisten kann. Die erwarteten Herausforderungen von Digitalisierung und Industrie 4.0 lassen sich nicht auf<br />
Technik und Technologie einengen, sie erfordern auch Änderungen der Geschäftstätigkeit, der Art zu Arbeiten und<br />
der Art zu Denken. Ausgehend von einer Analyse des digitalen Entwicklungsstandes der Schweißtechnik werden die<br />
Herausforderungen, Chancen und Risiken sowie Erfolgstreiber für die digitale Transformation an beispielhaften Themen<br />
wie Digitalisierungsstrategie, Expertise, Vernetzung, Arbeiten auf Plattformen und Korrelationsabgleich erörtert.<br />
Schlagworte: Schweißtechnik, Anlagenbau, Behälterbau, Digitalisierung, Industrie 3.0, Industrie 4.0, Digitale Transformation,<br />
Digitale Reife<br />
Motto<br />
Es wird in Zukunft nicht so sein, dass die Großen die Kleinen fressen, sondern dass die Unwissenden von den<br />
Wissenden beherrscht werden (in Anlehnung an [1]).<br />
0 Motivation<br />
Aus der heutigen Perspektive ist das Thema Industrie 4.0 Realität und Zukunft, aber auch Ungewissheit und Vision<br />
zugleich.<br />
Industrie 4.0 (I4.0) ist kein Produkt, kein Prozess, kein Projekt, sondern ein Impuls und eine Herausforderung an die<br />
verantwortlichen Akteure, durch Integration moderner Informations- und Kommunikationstechnologie in die realen<br />
Wertschöpfungsprozesse, neues, wettbewerbsfähiges Wirtschaften zu ermöglichen (in Anlehnung an [2]).<br />
Das Bestehen im Wettbewerb der Nationen hängt nicht nur von der umfassenden Digitalisierung der industriellen<br />
Produktion, sondern auch von der Beherrschung der in diesem Zusammenhang geschaffenen zusätzlichen systemischen<br />
Komplexität ab. Wir in Deutschland neigen dazu, den I4.0-Ansatz auf Technik und Technologie einzuengen.<br />
Aber alle notwendigen Innovationen sind komplexer Natur. Um diese zu beherrschen, ist es nicht nur erforderlich,<br />
Technik und Technologie zu entwickeln, es bedarf zusätzlicher Fortschritte in der Art zu arbeiten, in der Art der<br />
Geschäftstätigkeit und in der Art zu denken.<br />
1 Einleitung<br />
Die Schweißtechnik sowie der Anlagen- und Behälterbau sind als traditionelle Partner untrennbar miteinander verbunden.<br />
Der deutsche Anlagenbau befindet sich an einem Wendepunkt. In den nächsten fünf bis zehn Jahren wird sich<br />
entscheiden, ob die Branche ihre Spitzenposition im Verhältnis zu den strategischen Konkurrenten aus Asien,<br />
Europa und Nordamerika behaupten kann oder ob sie ein sekundärer Wettbewerber im internationalen Markt werden<br />
wird. Die Ausgangslage für eine strategische Wende ist suboptimal. Sie ist gekennzeichnet von verschärftem Wettbewerb,<br />
rückläufigen Marktanteilen, stagnierenden Auftragseingängen, schrumpfendem Technologievorsprung, abnehmender<br />
EPC-Fähigkeit (EPC: Engineering-Procurement-Construction) sowie von signifikanten Orientierungsproblemen<br />
im Top-Management.<br />
Stärker als seine Wettbewerber setzt z. B. der deutsche Großanlagenbau auf die breite Anwendung von Digitalisierung<br />
und Industrie 4.0 zur Sicherung von Alleinstellung [3]. Als wichtige Erfolgsfaktoren werden Plattformisierung,<br />
digitale Werkzeuge, Automatisierung sowie Datenengineering und -analyse genannt. Im aktuellen Verständnis vieler<br />
DVS <strong>361</strong> 1
Top-Führungskräfte [4] gilt Digitalisierung und Industrie 4.0 (D+I4.0) als der entscheidende Hebel für die Wende von<br />
der operativen Defensive hin zur strategischen Offensive.<br />
Für die Schweißtechnik ist der Anlagenbau ein wirklich wichtiger Kunde. Beide Branchen sind nahezu auf symbiotische<br />
Art und Weise miteinander verbunden. Dieser Umstand wird nicht überall in der notwendigen Konsequenz<br />
verstanden.<br />
Die Schweißtechnik als komplementäre Fachdisziplin hat das Problem, sich im Rahmen von D+I4.0 den ändernden<br />
technologischen Forderungen ihrer vielfältigen Kunden anpassen zu müssen. Darüber hinaus muss sie den Transformationsprozess<br />
ihrer Kunden- und Lieferantenbranchen verstehen und nachvollziehen können. Für die wichtige,<br />
aber zugleich eher kleine Fachcommunity der Schweißtechnik ist es unerlässlich, sich in diesem komplexen Umfeld<br />
orientieren zu können. Gleichzeitig stellt sich die Frage, woher das notendige empirische Wissen und Know-how für<br />
eine erfolgreiche Anpassung an die digitale Wirtschaft kommen soll. Diese Frage ist bis heute noch nicht hinreichend<br />
beantwortet. Möglicherweise ist das der Grund für die gegenwärtig zu beobachtende, eher vorsichtige Follower-<br />
Strategie in der Schweißtechnik-Branche. Leider ist die theoretische und empirische Basis für die digitale Transformation<br />
der Schweißtechnik nicht genügend entwickelt. Aktuell stellen sich folgende Fragen:<br />
• Wie ist der heutige Entwicklungsstand von D+I4.0 in der Schweißtechnik?<br />
• Wie kann man diesen Entwicklungsstand messen?<br />
• Wie gestaltet sich die Transformation im Übergang von I3.0 zu I4.0 für die Schweißtechnik und ihre Kunden?<br />
• Welchen digitalen Reifegrad hat die Schweißtechnik erreicht und welche priorisierten Handlungsfelder können<br />
die Entwicklung digitaler Reife beschleunigen?<br />
• Welche Änderungen und Herausforderungen sind für die Schweißtechnik und deren Schnittstellen zu erwarten?<br />
• Welche Chancen und Risiken ergeben sich, wie können erwartete Nutzenpotentiale gehoben werden?<br />
In Bezug auf die digitale Transformation und die erfolgreiche Applikation von D+I4.0 in der Schweißtechnik halten,<br />
sich gegenwärtig nach Ansicht der Autoren, Chancen und Risiken die Waage.<br />
Der Artikel wird belegen, dass die Schweißtechnik in Bezug auf die wettbewerbsfähige Anwendung von Digitalisierung<br />
und I4.0 gute Chancen hat – wenn sie bereit ist, sich den Herausforderungen der digitalen Transformation jetzt<br />
zu stellen.<br />
2 Allgemeine Überlegungen zur digitalen Transformation<br />
Der Übergang vom Start der 3. Industriellen Revolution bis zum Digitalen Zeitalter hat etwa ein Vierteljahrhundert<br />
gedauert. Bei Berücksichtigung dieser Maßstäbe befinden wir uns gegenwärtig in einer frühen Phase des Übergangs<br />
zu I4.0. Alle Vorstellungen von Industrie 4.0 können noch nicht ausgereift sein und haben sehr stark den Charakter<br />
von Theorien, Visionen und Konzepten.<br />
Für die Schweißtechnik kommt es darauf an, einen Einstieg in den Übergang zur Transformation zu finden. Dieser<br />
Übergang muss für jedes Unternehmen individuell gestaltet werden. Es ist heute nicht möglich, ein annähernd zutreffendes<br />
Konzept für die konsolidierte Phase des Übergangs zu formulieren. Um Popper zu zitieren, „Die Zukunft<br />
lässt sich nicht voraussagen, weil wir nicht wissen, was wir wissen werden“. Für die Analyse derart komplexer Situationen<br />
hat sich die Nutzung kollektiver Intelligenz bewährt. Leider findet die Mobilisierung kollektiver Intelligenz,<br />
auch in der Schweißtechnik, nur in unzureichendem Maß statt. In der vorliegenden Expertenbefragung gaben ca.<br />
zwei Drittel der Probanden aus der Schweißtechnik an, nur mäßig bis nicht an der Erarbeitung von Digitalisierungsvision<br />
und -konzept beteiligt zu sein. Zum Vergleich, 2019 brachten ca. 70 % aller befragten Beschäftigten aus der<br />
deutschen Metallindustrie in einer Studie [9] zum Ausdruck, dass sie über die digitale Transformation in ihren Betrieben<br />
nicht ausreichend informiert sind.<br />
Aus Sicht der Autoren wird das Wissen und Know-how der jungen Genration aktuell in Deutschland zu wenig genutzt.<br />
Es gelingt nicht genügend, diese in entsprechende verantwortliche Schlüsselpositionen und in informellen Netzknoten<br />
zu bringen. Aber diejenige Nation wird einen vorläufig irreversiblen Wettbewerbsvorteil im Nutzbarmachen von<br />
D+I4.0 erzielen, der es als Erste gelingt, einen wirklichen Generationenwechsel in den D+I4.0-relevanten Führungsund<br />
Expertenpositionen umzusetzen.<br />
In der gegenwärtigen Übergangsphase zu I4.0 (siehe Phase 1-Vision, Abb. 2-1) herrscht steigende Unsicherheit. Die<br />
Konsolidierung in Bezug auf Technik, Technologien, Normen und Standards ist gering. Es wird vorsichtig investiert,<br />
empirische Erfahrungen akkumulieren sich langsam. Die Wissensbasis entwickelt sich getrieben von Versuch und<br />
Irrtum.<br />
2 DVS <strong>361</strong>
Unsicherheit<br />
Abbildung 2-1: Übergangsphase von I3.0 zu I4.0<br />
Prinzip Darstellung - Phasen des Übergangs von Industrie 3.0 zu Industrie 4.0<br />
Industrie 3.0 Übergangsperiode Industrie 4.0<br />
Unsicherheit<br />
Konsolidierung<br />
Phase 1- Vision Phase 2- Konzept Phase 3- Plan<br />
Versuch<br />
und Irrtum<br />
Zielgerichtetes<br />
Handeln<br />
Planmäßiges<br />
Handeln<br />
Investitionen<br />
Routine<br />
Investitionen<br />
Konsolidierung Technik, Technologie, Standards<br />
Quelle: eigene Darstellung [5]<br />
Verkomplizierend wirkt, dass es, parallel zur digitalen Transformation, zu einer Bündelung von sich wechselwirkend<br />
beeinflussenden Krisen, wie z. B. die aktuelle Industrierezession, die Strukturkrise der deutschen Volkswirtschaft,<br />
die Stabilitätskrise der EU oder die internationalen Handelskonflikte kommt. Die digitale Transformation kann nicht<br />
isoliert, sondern nur im Kontext multivariater Transformationsprozesse (u. A. digital, stofflich, energetisch, politisch)<br />
realisiert werden. Die daraus resultierende Systemkomplexität ist gegenwärtig nicht hinreichend beherrschbar. Es<br />
gibt lediglich unvollkommene methodische Ansätze zur Bewältigung der hochkomplexen Situation. Hier besteht akuter<br />
Forschungsbedarf.<br />
In der Studie „Produktivitätsparadoxon im Maschinenbau“ [6] konnte gezeigt werden, dass die Produktivität mit steigender<br />
Digitalisierungsnutzung bis zu einem Maximum steigt, dann aber wieder abfällt. Entgegen vielen anderslautenden<br />
Empfehlungen kann es in der Übergangsphase durchaus sinnvoll sein, bei eigenen digitalen Entwicklungsaktivitäten<br />
von Zeit zu Zeit innezuhalten, das Geschäftsumfeld zu beobachten, in Ruhe zu analysieren, seinen Kurs<br />
zu korrigieren und anschließend vorsichtig Schritt für Schritt voranzugehen.<br />
Die zu beobachtende Follower-Strategie in der Schweißtechnikbranche ist aus dieser Perspektive durchaus rational.<br />
3 Allgemeine Überlegungen zur Digitalisierung der Schweißtechnik<br />
Im Rahmen von D+I4.0 ist der wichtigste gemeinsame Innovationstreiber die digitale Verbindung von physischen<br />
Objekten wie Maschinen und Werkzeuge mit dem virtuellen Netz. Folgende Schlüsselelemente werden den wirtschaftlichen<br />
Erfolg determinieren [7]:<br />
• Die Einbindung von IoT (IoT: Internet of Things) und digitalen Dienstleistungen in die gesamte Wertschöpfungskette.<br />
• Der Wandel in der Hardware-Entwicklung von mechatronischen zu cyber-physikalischen Systemen, um ein umfassendes,<br />
industrielles Netzwerk zu ermöglichen.<br />
• Echtzeit-Datenermittlung, Analyse großer Datenmengen und die Entwicklung von Vorhersagemodellen zur Qualitätssicherung<br />
innerhalb der Wertschöpfungskette.<br />
Grundvoraussetzungen dafür sind Digitalisierung und Hochleistungsnetze.<br />
Für die Weiterentwicklung der Schweißtechnik lassen sich folgende Handlungsfelder identifizieren (in Anlehnung an<br />
[8]):<br />
• Das schweißtechnische Wissen muss digitalisiert und so aufbereitet sein, dass ein Computer ähnlich richtige<br />
Entscheidungen treffen kann, wie ein erfahrener Schweißtechnologe für die Erstellung von schweißtechnischen<br />
Unterlagen (Schweißpläne, WPSen, Schweißfolgepläne etc.).<br />
• Das Schweißequipment muss mit leistungsfähigen Mikroprozessoren und den verschiedensten Sensoren ausgestattet<br />
sein, damit jegliche Information digitalisiert werden kann.<br />
• Die Forderung nach Echtzeit-Datenverarbeitung verlangt einen besonderen Fokus auf die Datenkommunikationsgeschwindigkeit.<br />
DVS <strong>361</strong> 3
• Die notwendige Speicherung großer Datenmengen erfordert offene Netzwerkstrukturen, um ausreichend Speicherkapazitäten<br />
zu realisieren und eine effiziente Datenanalyse zu ermöglichen.<br />
• Konzepte für Daten- und Cyber-Sicherheit müssen erstellt und umgesetzt werden.<br />
• Mitarbeiter auf allen Handlungsebenen müssen entsprechend qualifiziert werden.<br />
Bereits heute gibt es in der Schweißtechnik Entwicklungen und Anwendungen, die typische Bausteine der I4.0-Technologie<br />
beinhalten. Dazu gehören u. A. (in Anlehnung an [9]):<br />
• Smarte Elemente: Wie z. B. digitalisierte Schweißstromquellen, Schweißdaten-Managementsysteme oder aktive<br />
Systeme für den Arbeitsschutz<br />
• Vertikale Vernetzung: Wie z. B. integrierte Software zur Maschinendokumentation und zur Steuerung und Verwaltung<br />
von Schweißstromquellen in Verknüpfung mit Automatisierungssoftware und der speicherprogrammierbaren<br />
Steuerung (SPS) oder z. B. cloudbasierte Datenmanagementsysteme für schweißtechnische Systeme<br />
• Horizontale Vernetzung: Wie z. B. digitalisierte Stromquellen und vernetzte Schweißmanagementsysteme als<br />
Einstiegselemente in die vernetzte schweißtechnische Fertigung<br />
• Digitales Engineering: Transparenz und echtzeitnahe Verfügbarkeit von Daten ermöglicht eine virtuelle Kopie<br />
des schweißtechnischen Fertigungsprozesses. Mit dem erhaltenen digitalen Zwilling könnten diese Prozesse<br />
simuliert werden. Insbesondere für Optimierungs- und Änderungsprozesse ergibt sich ein hohes Nutzen Potential.<br />
• Vernetzung mit der manuellen schweißtechnischen Fertigung: Wie z. B. der Einsatz digitalisierter Schweißer<br />
Schutzhelme oder Simulationssysteme auf Basis einer auf Augmented Reality gestützte Plattform für die Schweißerausbildung<br />
• Entwicklungsansätze für Cyber-Physische Systeme (CPS): z. B. CPS fähige smarte Schweißköpfe<br />
Es entspricht unserer deutschen Wirtschaftskultur, dass wir uns auf die technischen und technologischen Aspekte<br />
von I4.0 konzentrieren. Aber die erforderlichen Anpassungen und Änderungen sind komplexer Natur, sie umfassen<br />
folgende Themenschwerpunkte für einen ganzheitlichen I4.0-Ansatz:<br />
• Technik und Technologie<br />
• Die Art zu Arbeiten (z. B. Agilität, Selbstorganisation)<br />
• Die Art der Geschäftstätigkeit (z. B. Geschäftsmodelle)<br />
• Die Art zu Denken<br />
Diese vier Themen sind systemisch, wechselwirkend miteinander verbunden und können nicht getrennt voneinander<br />
betrachtet werden. Deren Wichtung in der Praxis hängt sehr stark von dem Charakter der Teildisziplin in der Schweißtechnik<br />
ab.<br />
Unter den bisher diskutierten Gesichtspunkten kann die Schweißtechnik in die Bereiche Herstellung von Schweißtechnik,<br />
industriellen Anwendung in Fabriken (z. B. in Fertigungslinien) und industrielle Anwendung in Projekten (z. B.<br />
Kraftwerksprojekte) unterteilt werden. Es ist gut vorstellbar, dass in einer Anwendung für eine Fertigungslinie Technik<br />
und Technologie eher im Vordergrund stehen. Bei der Realisierung von komplizierten Projekten kommt es dagegen<br />
sehr auf die Einheit der genannten Faktoren an.<br />
Die Umsetzung von I4.0 erfordert grundsätzlich neues Denken.<br />
4 Aktueller Entwicklungsstand von D+I4.0 in der Schweißtechnik<br />
Basis für die folgenden Ausführungen bildet eine aktuelle Umfrage unter Schweißtechnikexperten. Die Befragung<br />
erfolgte in Kooperation von SLV München und der Friedrich-Alexander-Universität. Mit Bezug auf Kapitel 3 wurde<br />
untersucht, inwieweit die Schweißtechnikbranche den Übergangsprozess zur Transformation für D+I4.0 eingeleitet<br />
hat. Es erfolgte eine Erhebung zu folgenden Themen:<br />
• Persönliche Situation der Befragten in Bezug auf Information, Weiterbildung und Berufschancen<br />
• Teilhabe an Information und Entwicklung in Bezug auf Digitalisierungsvision und -konzept<br />
• Digitalisierungsvision, Digitalisierungskonzept<br />
• Nutzung typischer Technologien für Digitalisierung und Industrie 4.0<br />
• Digital Readyness externe Schnittstellen<br />
• Digital Readyness interne Schnittstellen<br />
• Digitale Kompatibilität - Bewertung der Zusammenarbeit bei verschiedenen Konstellationen des digitalen Reifegrads<br />
• Digitaler Reifegrad<br />
4 DVS <strong>361</strong>
• Digitalisierung von Schweißparametern<br />
• Digitalisierung von Prüfergebnissen und Gütewerten<br />
• Verknüpfung und Korrelation von Schweißparametern sowie zugehörigen Prüf- und Gütewerten<br />
Aufgrund des erheblichen Umfangs der Befragung können in diesem Artikel nur einzelne Aspekte und ausgewählte<br />
analytische Überlegungen dargestellt werden. Es ist aber geplant, die Befragungsergebnisse in einer kommentierenden<br />
Studie zusammenzufassen.<br />
4.1 Digitaler Reifegrad in der Schweißtechnik<br />
Die Analyse des Reifegrads ist ein wichtiges Werkzeug für die strategische Ausrichtung der digitalen Transformation.<br />
In Bezug auf die Methodik zur Bestimmung der digitalen Reife in der Schweißtechnik konnte auf keine Literaturvorgabe<br />
zurückgegriffen werden. Zur Ermittlung der digitalen Reife in der Schweißtechnik wurde deshalb ein System<br />
von 10 Schlüsselindikatoren entwickelt. Fünf dieser Indikatoren sind singulär gestaltet. Weitere fünf Indikatoren haben<br />
einen komplexen Aufbau, siehe auch Tabelle 4.1. Die Skalierung der Indikatoren ermöglicht die Einordnung von<br />
Schweißtechnikorganisationen in die Kategorien „Traditionelle“, „Beginner“, „Etablierte“ und „Exzellente“. Zum gegenwärtigen<br />
Zeitpunkt kann der ermittelte Wert der digitalen Reife für die Schweißtechnik nur eine ungefähre Positionsbestimmung<br />
darstellen. Es ist aber beabsichtigt, diese Befragung in den nächsten Jahren regelmäßig zu wiederholen<br />
und dabei die Reifegradermittlung methodisch zu optimieren.<br />
Tabelle 4.1. Indikatoren zur Bestimmung der digitalen Reife in der Schweißtechnik<br />
Dimension<br />
Indikator<br />
Ausprägung<br />
Unterstützung durch eigene<br />
IT<br />
Singulär<br />
- Unterstützung der Schweißtechnik durch firmeninterne<br />
IT-Spezialisten hinsichtlich der Digitalisierung<br />
- Die Schweißtechnik verfügt über hinreichend Ressourcen,<br />
Interne digitale Ressourcelär<br />
Singu-<br />
um auch im normalen Geschäftsbetrieb die Digitalisierung<br />
bearbeiten zu können<br />
Aufbau digitaler Expertise<br />
Singulär<br />
- Aufbau funktionsbezogener digitaler Expertise, als zentralen<br />
Inhalt der Mitarbeiterentwicklung in der Schweißtechnik<br />
Teilhabe am Digitalisierungsprozess<br />
Singulär<br />
- Mitbestimmungsrechte der Schweißtechnik, wenn andere<br />
Fachbereiche Prozesse digitalisieren<br />
Anpassung schweiß-<br />
Singu-<br />
- Anpassung und Weiterentwicklung des schweißtechnischen<br />
Engineering<br />
Neues Arbeiten und<br />
Denken<br />
technisches Regelwerk<br />
Technisch, technologische<br />
Basisvoraussetzungen<br />
lär<br />
komplex<br />
Hoch entwickelte Technologien<br />
komplex<br />
komplex<br />
komplex<br />
Regelwerkes an die Erfordernisse von D+I4.0<br />
- Einsatz von Mikroprozessoren<br />
- Einsatz von Sensoren<br />
- Generierung von Massendaten<br />
- Einsatz von Aktoren<br />
- Vernetzung von Mikroprozessoren, Sensoren und Aktoren<br />
- Einsatz smarter Komponenten<br />
- Echtzeit-Datenverarbeitung<br />
- Massendatenspeicherung<br />
- Vernetzung Maschine-Maschine<br />
- Vernetzung Mensch-Maschine<br />
- Vernetzung auf digitalen Plattformen<br />
- Übergang von mechatronischen zu cyber-physischen Systemen<br />
- Einsatz cyber-physische-Systeme<br />
- Einsatz von Künstlicher Intelligenz<br />
- Digitales Engineering<br />
- Entwickeln auf digitalen Plattformen<br />
- Digitaler Zwilling<br />
- Forschung und Entwicklung für Themen von D+I4.0<br />
- Anpassung und Weiterentwicklung des schweißtechnischen<br />
Regelwerkes an die Erfordernisse von D+I4.0<br />
- Wissensmanagement, Digitalisierung des schweißtechnischen<br />
Wissens<br />
- Neue, D+I4.0-relevante Geschäftsmodelle<br />
- Differenzierte Bewertung von Kunden und Lieferanten nach<br />
ihrem digitalen Potential<br />
DVS <strong>361</strong> 5
Dimension<br />
Quelle: eigene Darstellung<br />
Indikator<br />
Daten- und Cybersicherheit<br />
komplex<br />
Ausprägung<br />
- Kooperation von Schweißtechnik, Kunden und Lieferanten,<br />
auf digitialen Plattformen<br />
- D+I4.0-relevante Arbeitsweisen, z. B. Agilität,<br />
Selbstorganisation<br />
- Daten- und Cybersicherheit in Bezug auf aktuelle Probleme<br />
- Daten- und Cybersicherheit in Bezug auf zukünftige Probleme<br />
Wie Abb. 4.1 belegt, befindet sich die Schweißtechnik in einer frühen Phase des Übergangs von „Traditionell“ zu<br />
„Beginner“. Der festgestellte Entwicklungsstand ist durchaus vergleichbar mit anderen Strukturen im deutschen GAB<br />
sowie in verwandten Branchen. Er entspricht dem aktuell Machbaren, steht damit aber im Widerspruch zur eher<br />
überoptimistischen <strong>Bericht</strong>erstattung. Bei der Bewertung des Entwicklungsstandes einzelner Dimensionen sollte die<br />
Möglichkeit zur eigenen Beeinflussbarkeit berücksichtigt werden. Unter diesem Gesichtspunkt müssen insbesondere<br />
die Indikatoren für die Anpassung des schweißtechnischen Regelwerks, Bereitstellung interner Ressourcen für Digitalisierung<br />
und Neues Arbeiten und Denken als kritisch eingestuft werden. Aber auch in Bezug auf den Aufbau digitaler<br />
Expertise, Daten und Cybersicherheit sowie Teilhabe am Digitalisierungsprozess ist eine Notwendigkeit zur<br />
Verbesserung erkennbar.<br />
Quelle: eigene Darstellung<br />
Die digitale Reife von Anwendern und Herstellern differiert deutlich. Abb. 4.2 zeigt, dass Hersteller von Schweißtechnik<br />
einen höheren digitalen Entwicklungsstand aufweisen als Anwender von Schweißtechnik. Grund dafür wird der<br />
dem Wettbewerb geschuldete Zwang zum Entwicklungsvorlauf sein. Es kann vermutet werden, dass Anwender von<br />
Schweißtechnik in Bezug auf D+I.0-relevante technisch, technologische Anforderungen an Hersteller eher passiv<br />
agieren.<br />
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Abbildung 4.2. Vergleich digitaler Reife Hersteller von Schweißtechnik und Anwender von Schweißtechnik<br />
Vergleich digitaler Reife – Hersteller versus Anwender<br />
Anpassung schweißtechnisches Regelwerk<br />
Einsatz hochentwickelter Technologien<br />
Interne digitale Ressourcen<br />
Neues Arbeiten und Denken<br />
Engineering<br />
Daten- und Cybersicherheit<br />
Technisch, technologische Basisvoraussetzungen<br />
0,0 1,0 2,0 3,0 4,0<br />
Reifegrad Hersteller<br />
Reifegrad Anwender<br />
Quelle: eigene Darstellung<br />
In dem festgestellten Entwicklungsgefälle liegt für Anwender eine große Chance zum Aufholen, wenn es gelingen<br />
sollte, einen Wissens- und Know-how-Transfer vom Hersteller zum Anwender zu organisieren. Dieser Wissenstransfer<br />
läge im Interesse beider Sparten. In den Untersuchungen konnte festgestellt werden, dass lediglich die Reifegradkonstellationen<br />
„Lieferant hoch / Schweißtechnik hoch / Kunde hoch“ und „Lieferant hoch / Schweißtechnik hoch<br />
/ Kunde niedrig“ als überwiegend nicht problematisch oder sehr problematisch eingeschätzt wurde, siehe auch<br />
Abb. 4.3.<br />
Geht man davon aus, dass der Anlagenbau, ein zu den Anwendern der Schweißtechnik relativ höheren digitalen<br />
Reifegrad hat, dann befinden sich gegenwärtig die Anwender in einer Reifegradkonstellation (Lieferant: hoch /<br />
Schweißtechnik: gering / Kunde: hoch) bei der alle befragten Experten die Zusammenarbeit von Lieferant, Schweißtechnik<br />
und Kunde als problematisch oder sehr problematisch einschätzen.<br />
Es stellt sich die Frage, welche priorisierten Handlungsfelder können die Entwicklung der digitalen Reife, insbesondere<br />
bei den Anwendern von Schweißtechnik beschleunigen.<br />
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5 Ausgewählte Handlungsfelder zur Beschleunigung der Digitalen Reife<br />
5.1 Digitalisierungsstrategie<br />
Da die digitale Transformation für jedes Unternehmen eine langfristige und komplexe Herausforderung darstellt, ist<br />
es von großer Wichtigkeit, über eine eigenständige Digitalstrategie zu verfügen. Während einerseits die befragten<br />
Unternehmen mit Schweißtechniksparten überwiegend eine digitale Strategie ausgearbeitet haben, so verfügen andererseits<br />
ca. 50 % der Schweißtechniksparten über keine eigene Digitalisierungsstrategie, siehe auch Diagr. 5-1.<br />
Lediglich 30 % können eine ausgearbeitete Digitalisierungsstrategie vorweisen.<br />
Diagramm 5-1. Digitalisierungsstrategie in Unternehmen und Schweißtechniksparte<br />
Verfügt Ihre Schweißtechniksparte über eine<br />
ausgearbeitete Digitalisierungsstrategie?<br />
Verfügbarkeit einer ausgearbeiteten Digitalisierungsstrategie<br />
Verfügt Ihr Unternehmen über eine ausgearbeitete<br />
Digitalisierungsstrategie?<br />
Quelle: eigene Darstellung<br />
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%<br />
nein in Planung ja partiell ja<br />
Das Thema Digitalisierungsstrategie ist ganz klar ein prioritäres Handlungsfeld zur Beschleunigung der digitalen<br />
Reifegradentwicklung.<br />
5.2 Aufbau digitaler Expertise<br />
Der Aufbau digitaler Expertise stellt einen der wichtigsten Erfolgsfaktoren für die digitale Transformation dar. Über<br />
70 % der befragten Schweißtechnik Experten bewerten den Aufbau funktionsbezogener digitaler Expertise als zentralen<br />
Inhalt der Mitarbeiterentwicklung in der Schweißtechnik für ihr Unternehmen mit mäßig bis nicht gut, 45 %<br />
sogar als weniger gut oder nicht gut, siehe auch Diagr. 5-2. Neben der Bereitstellung erforderlicher Investitionen und<br />
dem Erwerb von digitalem Know-how stellt die Verbesserung der Mitarbeiterexpertise den geschwindigkeitsbestimmenden<br />
Schritt für die digitale Transformation dar. Die Möglichkeiten für die Weiterbildung und deren Qualität werden<br />
überwiegend als nicht gut bis mäßig eingeschätzt. Da die Schweißtechniksparten in den Unternehmen einerseits<br />
eine relativ geringe Größe und ein begrenztes Ausbildungspotential haben und andererseits deren spezifischer Ausbildungsbedarf<br />
hohe Kongruenz aufweist, würde es sich anbieten, diese Aufgabe einem Kompetenzzentrum zu übertragen.<br />
Diese Vorgehensweise wird in großen Branchen bereits praktiziert und stellt dort ein prioritäres Handlungsfeld<br />
zur Beschleunigung der digitalen Reife dar.<br />
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