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BIBER 03_20

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MEINUNG

BOSNIER, DIE INTEGRATIONSSTREBER

Warum schneiden Menschen aus Bosnien und Herzegowina in der

öffentlichen Wahrnehmung besser ab als andere Migranten?

Ein Erklärungsversuch von Nedad Memić.

KEIN ZURÜCK MEHR

Ein ehemaliges Flüchtlingskind aus Bosnien-Herzegowina

als erste Bundesministerin in Österreich: ein

Zufall oder vielleicht doch nicht? Alma Zadić gehört

zu jener Generation der bosnischen Flüchtlinge, die

Benefits aus beiden Kulturkreisen zu nutzen wussten:

zu jung, um vom Bosnienkrieg in all seiner Ungeheuerlichkeit

traumatisiert zu werden; jung genug,

um Chancen in Österreich rechtzeitig zu ergreifen.

Dass das junge Mädchen aus Bosnien-Herzegowina

keinen leichten Start in ihrer neuen Heimat hatte, gibt

sie selbst zu. Doch sie hat es geschafft – wie auch

viele andere bosnische Kriegsflüchtlinge. Hierzulande

gelten sie als gut integriert, ihre Beschäftigungsquote

ist höher als bei den meisten anderen Zuwanderercommunitys.

In Schweden bekleideten sie bereits

Minister- und Staatssekretärsposten, in Großbritannien

sitzt eine gebürtige Bosnierin als Baroness im House

of Lords. Also, worin liegt das geheime Rezept der

guten Integration von Bosnierinnen und Bosniern in

der Diaspora?

Zuerst ist es ihre Fluchterfahrung: Für viele Flüchtlinge

aus Bosnien-Herzegowina gab es nach ihrer Flucht

oder Vertreibung kein Zurück mehr. Das Land und die

Leute, die ihnen einst vertraut waren, gingen im Krieg

für immer verloren. Die Integration in der neuen Heimat

war für sie alternativlos. Auch die soziale Struktur

der bosnischen Community spielte eine wesentliche

Rolle in ihrer Integration. Während vor allem die frühe

Zuwanderung aus Serbien oder der Türkei von Gastarbeitern

geprägt war, ist die Struktur der bosnischen

Flüchtlinge vielfältiger: War es ein Uniprofessor, eine

Bankangestellte oder ein Spengler: Der Krieg machte

keinen Unterschied. Darüber hinaus spielt im bosnischen

Bildungsbürgertum der schulische Erfolg nach

wie vor einen zentralen Erziehungsfaktor: „Du musst

nur lernen, für alles andere ist gesorgt“, lautet ein

Standardsatz vieler bosnischer Eltern.

„UNSER BOSNIEN“

Auch wenn es um die Wahrnehmung einer Community

in der Mehrheitsgesellschaft geht, haben Bosnier wieder

die besseren Karten. „Ihr habt mal zu uns gehört!“,

zählt etwa zum Standardrepertoire jedes bosnischösterreichischen

Annäherungsversuchs. Die gemeinsame

Geschichte spielt nämlich auch eine Rolle. Ein

positives Medienbild genauso. So löst eine bosnischstämmige

Bundesministerin bei vielen Durchschnittsösterreichern

immer noch weniger Kontroversen aus

als etwa eine türkisch- oder afrikanischstämmige.

Trotzdem bleibt Alma Zadić ein Hoffnungsschimmer:

Sie machte die Tür zu den höchsten Ämtern im Staat

für Migrantinnen und Migranten auf. Diese wird man

nicht mehr so leicht zumachen können. ●

Zur Person: Nedad Memić ist gebürtiger Bosnier.

Der promovierte Germanist war u. a. KOSMO-Chefredakteur,

momentan arbeitet er als Consultant in der

Wiener PR-Agentur Himmelhoch.

Zoe Opratko

„Deutschland, umarme mich.“

Von Elena Bavandpoori

Toleranz

Für ein friedliches Miteinander von 2,6 Mio. Fahrgästen täglich.

#so gut fährt Wien

In Shishabars lebt ein kollektives Gefühl. Sie sind

wie kleine Schutzräume in einer dysfunktionalen

Gesellschaft, in der Schwarzköpfe an den Clubtüren

abgewiesen werden. Aber dieser Trugschluss findet

vergangene Woche sein Ende. In den Schutzraum

wurde eingedrungen. Es gibt endgültig keine

Blaupause mehr von Diskriminierung, Rassismus und

rechtem Terror. Mit Hanau wurde gewaltsam in die Privatsphäre

all jener eingegriffen, die nicht-weiße Deutsche sind, die

einen Migrationshintergrund haben, die schon einmal in ihrem

Leben auf Alltagsrassismus gestoßen sind.

Es ist nicht die Angst, die mich packt. Es ist die Wut. Die

Wut, meine Herkunft nicht als Verbrechen sehen zu wollen. Die

Wut, mich überhaupt weiterhin an Orte flüchten zu müssen, an

denen ich sicher bin. Lange schon zweifle ich an der Integrität

Deutschlands. Oft überdenke ich meine Zukunft in diesem

Land. Fliehe ich jetzt aus dieser Unerträglichkeit oder gehe

ich in den schmerzhaften Widerstand? Die Forderung nach

Gerechtigkeit meldet sich allerdings wieder in mir. Einfach zu

gehen, wäre verräterisch. Jetzt muss ich das Megafon in die

Hand nehmen und schreien, bis ich gehört werde. Der Terror in

Hanau überschreitet seine Stadtgrenzen, breitet sich parasitenähnlich

aus und schleicht sich in unsere Häuser. Das

ist kein Hilferuf, das ist eine Kampfansage. Gegen

das Verstummen, gegen die linguistische Verklärung

von Rassismus und Mord. Wir brauchen keine

Tränen, keine leeren Worte und netten Rituale – wir

brauchen einen dringend nötigen Aufstand und wahrhaftige

Solidarität.

ICH BIN BETROFFEN

Es ist gut, dass sich Menschen nicht einschüchtern lassen und

dass sie weiterleben wie gehabt. Das ist jedoch Luxus. Dieses

Privileg habe ich nicht. Menschen, die sich mit den Opfern von

Hanau identifizieren, haben dieses Privileg nicht. Und ich frage

mich: Wer steht für sie ein? Wer lässt sie zu Wort kommen

und gibt ihnen Raum? Oder noch viel simpler: Wer fragt, wie

es ihnen geht? Deutschland gab mir die Macht der Sprache,

Bildung und wirtschaftliche Stabilität. Aber nicht die Macht der

Selbstbeherrschung – denn auch das Privileg habe ich nicht.

Ich bin betroffen. Und wenn schon mein stilles Sein ein Ermordungsgrund

sein kann, dann ist es egal, wie laut ich werde, ich

bleibe eine Zielscheibe. Mein kindlicher Wunsch wird mehr und

mehr zur erbitterten Forderung: Deutschland, umarme mich.

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