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MEINUNG
BOSNIER, DIE INTEGRATIONSSTREBER
Warum schneiden Menschen aus Bosnien und Herzegowina in der
öffentlichen Wahrnehmung besser ab als andere Migranten?
Ein Erklärungsversuch von Nedad Memić.
KEIN ZURÜCK MEHR
Ein ehemaliges Flüchtlingskind aus Bosnien-Herzegowina
als erste Bundesministerin in Österreich: ein
Zufall oder vielleicht doch nicht? Alma Zadić gehört
zu jener Generation der bosnischen Flüchtlinge, die
Benefits aus beiden Kulturkreisen zu nutzen wussten:
zu jung, um vom Bosnienkrieg in all seiner Ungeheuerlichkeit
traumatisiert zu werden; jung genug,
um Chancen in Österreich rechtzeitig zu ergreifen.
Dass das junge Mädchen aus Bosnien-Herzegowina
keinen leichten Start in ihrer neuen Heimat hatte, gibt
sie selbst zu. Doch sie hat es geschafft – wie auch
viele andere bosnische Kriegsflüchtlinge. Hierzulande
gelten sie als gut integriert, ihre Beschäftigungsquote
ist höher als bei den meisten anderen Zuwanderercommunitys.
In Schweden bekleideten sie bereits
Minister- und Staatssekretärsposten, in Großbritannien
sitzt eine gebürtige Bosnierin als Baroness im House
of Lords. Also, worin liegt das geheime Rezept der
guten Integration von Bosnierinnen und Bosniern in
der Diaspora?
Zuerst ist es ihre Fluchterfahrung: Für viele Flüchtlinge
aus Bosnien-Herzegowina gab es nach ihrer Flucht
oder Vertreibung kein Zurück mehr. Das Land und die
Leute, die ihnen einst vertraut waren, gingen im Krieg
für immer verloren. Die Integration in der neuen Heimat
war für sie alternativlos. Auch die soziale Struktur
der bosnischen Community spielte eine wesentliche
Rolle in ihrer Integration. Während vor allem die frühe
Zuwanderung aus Serbien oder der Türkei von Gastarbeitern
geprägt war, ist die Struktur der bosnischen
Flüchtlinge vielfältiger: War es ein Uniprofessor, eine
Bankangestellte oder ein Spengler: Der Krieg machte
keinen Unterschied. Darüber hinaus spielt im bosnischen
Bildungsbürgertum der schulische Erfolg nach
wie vor einen zentralen Erziehungsfaktor: „Du musst
nur lernen, für alles andere ist gesorgt“, lautet ein
Standardsatz vieler bosnischer Eltern.
„UNSER BOSNIEN“
Auch wenn es um die Wahrnehmung einer Community
in der Mehrheitsgesellschaft geht, haben Bosnier wieder
die besseren Karten. „Ihr habt mal zu uns gehört!“,
zählt etwa zum Standardrepertoire jedes bosnischösterreichischen
Annäherungsversuchs. Die gemeinsame
Geschichte spielt nämlich auch eine Rolle. Ein
positives Medienbild genauso. So löst eine bosnischstämmige
Bundesministerin bei vielen Durchschnittsösterreichern
immer noch weniger Kontroversen aus
als etwa eine türkisch- oder afrikanischstämmige.
Trotzdem bleibt Alma Zadić ein Hoffnungsschimmer:
Sie machte die Tür zu den höchsten Ämtern im Staat
für Migrantinnen und Migranten auf. Diese wird man
nicht mehr so leicht zumachen können. ●
Zur Person: Nedad Memić ist gebürtiger Bosnier.
Der promovierte Germanist war u. a. KOSMO-Chefredakteur,
momentan arbeitet er als Consultant in der
Wiener PR-Agentur Himmelhoch.
Zoe Opratko
„Deutschland, umarme mich.“
Von Elena Bavandpoori
Toleranz
Für ein friedliches Miteinander von 2,6 Mio. Fahrgästen täglich.
#so gut fährt Wien
In Shishabars lebt ein kollektives Gefühl. Sie sind
wie kleine Schutzräume in einer dysfunktionalen
Gesellschaft, in der Schwarzköpfe an den Clubtüren
abgewiesen werden. Aber dieser Trugschluss findet
vergangene Woche sein Ende. In den Schutzraum
wurde eingedrungen. Es gibt endgültig keine
Blaupause mehr von Diskriminierung, Rassismus und
rechtem Terror. Mit Hanau wurde gewaltsam in die Privatsphäre
all jener eingegriffen, die nicht-weiße Deutsche sind, die
einen Migrationshintergrund haben, die schon einmal in ihrem
Leben auf Alltagsrassismus gestoßen sind.
Es ist nicht die Angst, die mich packt. Es ist die Wut. Die
Wut, meine Herkunft nicht als Verbrechen sehen zu wollen. Die
Wut, mich überhaupt weiterhin an Orte flüchten zu müssen, an
denen ich sicher bin. Lange schon zweifle ich an der Integrität
Deutschlands. Oft überdenke ich meine Zukunft in diesem
Land. Fliehe ich jetzt aus dieser Unerträglichkeit oder gehe
ich in den schmerzhaften Widerstand? Die Forderung nach
Gerechtigkeit meldet sich allerdings wieder in mir. Einfach zu
gehen, wäre verräterisch. Jetzt muss ich das Megafon in die
Hand nehmen und schreien, bis ich gehört werde. Der Terror in
Hanau überschreitet seine Stadtgrenzen, breitet sich parasitenähnlich
aus und schleicht sich in unsere Häuser. Das
ist kein Hilferuf, das ist eine Kampfansage. Gegen
das Verstummen, gegen die linguistische Verklärung
von Rassismus und Mord. Wir brauchen keine
Tränen, keine leeren Worte und netten Rituale – wir
brauchen einen dringend nötigen Aufstand und wahrhaftige
Solidarität.
ICH BIN BETROFFEN
Es ist gut, dass sich Menschen nicht einschüchtern lassen und
dass sie weiterleben wie gehabt. Das ist jedoch Luxus. Dieses
Privileg habe ich nicht. Menschen, die sich mit den Opfern von
Hanau identifizieren, haben dieses Privileg nicht. Und ich frage
mich: Wer steht für sie ein? Wer lässt sie zu Wort kommen
und gibt ihnen Raum? Oder noch viel simpler: Wer fragt, wie
es ihnen geht? Deutschland gab mir die Macht der Sprache,
Bildung und wirtschaftliche Stabilität. Aber nicht die Macht der
Selbstbeherrschung – denn auch das Privileg habe ich nicht.
Ich bin betroffen. Und wenn schon mein stilles Sein ein Ermordungsgrund
sein kann, dann ist es egal, wie laut ich werde, ich
bleibe eine Zielscheibe. Mein kindlicher Wunsch wird mehr und
mehr zur erbitterten Forderung: Deutschland, umarme mich.
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