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„Die Leiden des jungen Todor“
Von Todor Ovtcharov
Studenten
I
on und Radu sind groß wie zwei Nilpferde.
Sie arbeiten schwarz auf Baustellen und ich
frage mich immer, wie die Baugerüste ihr
Gewicht aushalten. Sie sehen aus wie Zwillinge,
obwohl der eine vier Jahre älter ist. Beide haben
angeblich jeweils fünf Kinder. „Und sie sehen
genau so aus wie wir!!“. Die zwei Brüder sind
stolz. Ich stelle mir zehn kleine Ions und Radus
vor und muss lachen.
Seit zehn Jahren kommen die beiden mit dem
ältesten VW-Bus, den ihr euch vorstellen könnt,
nach Wien. Dieser Bus war schon alt, als die
Hippies sich auf dem Weg nach Indien mit alten
VW-Bussen machten. Ion und Radu könnten ruhig
diesen Bus einem Museum anbieten. Sie kommen
aber nicht auf die Idee. Sie kommen nach Wien
und lassen den Bus dort, wo man keinen Parkschein
kaufen muss. Er hat nur zwei Vordersitze,
alles andere ist leer. Jeden Tag kommen Ion und
Radu zu ihrem Bus und er wird immer voller: ein
weggeworfener Tisch, den sie sorgfältig auseinandernehmen,
eine Nähmaschine aus der Mitte
des vergangenen Jahrhunderts, ein gebrochener
Spiegel, eine Schreibmaschine mit fehlenden
Tasten, eine ganze Ausgabe des „Neckermann“
Katalogs aus den 1980-er, sogar eine gebrauchte
Kloschüssel. All das findet seinen Platz im Bus,
der immer mehr nach unten sinkt. Die beiden
ordnen alles sehr genau, damit kein Zentimeter
leer bleibt. Im Bus wird es so dicht wie auf einer
Supernova. Ion und Radu können nicht lesen und
schreiben. Weder auf Deutsch noch auf ihrer
Muttersprache. Ich wundere mich, wie sie es
geschafft haben, den Führerschein zu machen,
es ist aber eine Tatsache, dass sie bis jetzt noch
nie Probleme mit der Polizei hatten. Ich fragte
sie mal, warum sie dieses ganze weggeworfene
Zeug sammeln. Sie antworteten mit einem listigen
Lächeln, insofern ein Nilpferd listig lächeln kann,
dass sie „das Leben in Wien studieren“. Daraufhin
nannte ich sie „ewige Studenten“, was ihnen sehr
gefiel.
Irgendwann ist der Bus so voll, dass sein
Hinterteil nach unten neigt und sein Vorderteil so
hoch wie das Vorderteil eines Motorboots. Man
kann nichts mehr reintun, da er bis oben voll ist.
In so einem Moment fragte mich Ion, ob ich ihm
vielleicht nicht eine Zahnbürste schenken kann.
Ich gab ihm eine. Ich glaube, genau sie fehlte, um
den Bus ganz voll zu machen. Danach setzen sich
Ion und Radu in den Bus und von ihrem Gewicht
steht er wieder gerade. Sie schnallen sich an. Von
draußen sehen sie aus wie ein Bild aus einem
Kinderbuch, wo zwei Nilpferde einen Bus fahren.
Sie fahren zurück zu ihrem Dorf in Rumänien.
Am Weg überlegen sie sich, was sie mit der alten
Schreibmaschine machen und wo die gebrauchte
Kloschüssel in Verwendung kommt. Bis sie
wieder nach Wien kommen und ihr Bus wieder
leer ist. Das letzte Mal kamen sie mit noch einem
Mann – einer Kopie von ihnen, der aber doch
kein Verwandter war. Anscheinend sehen alle in
diesem Dorf ähnlich aus. „Florentin!“, stellte er
sich vor. Ion und Radu lächelten mich an – das ist
ein weiterer Student, den wir bringen! Er wird das
Leben in Wien studieren!“. ●
echt.
großartig.
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