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„Die AfD ist der
geistige Wegbereiter
der Tat von Hanau.“
Der Journalist Hasnain Kazim hat
ein Buch darüber geschrieben, wie
man Pöblern und Rechtspopulisten
die Stirn bieten kann – er spricht
aus Erfahrung. Über die Kunst des
Streitens, Hass und die AfD.
Interview: Nada El-Azar, Fotos: Peter Rigaud
Autor und ehemaliger
Spiegel-Journalist Hasnain
Kazim kann ein Liedchen
von Hassmails singen
BIBER: Herr Kazim, in Hanau erschoss
ein Rechtsextremer in Shishalokalen
neun Menschen aus rassistischen
Motiven. Wie sehen Sie die Zukunft
Deutschlands im Umgang mit rechtem
Hass?
Diese Tat, dieser Terror ist keine Überraschung.
Sie ist kein unerwartetes
Ereignis, nichts, von dem man behaupten
könnte, man hätte es nicht wissen
können. Sondern es ist genau das, was
absehbar und erwartbar und von manchen
Kreisen auch gewünscht war. Die
AfD ist der geistige Wegbereiter der Tat
von Hanau. Wir müssen dieser Art von
hassvoller und menschenverachtender
Sprache wieder und wieder entgegentreten,
sonst sehe ich für Deutschland keine
gute Zukunft.
Sie sind durch Ihre ganze Karriere immer
wieder mit massiven Hassnachrichten
und Morddrohungen konfrontiert
gewesen. Gab es ein ausschlaggebendes
Ereignis, das zum Schreiben des jüngsten
Buches geführt hat? Eine ähnliche
Thematik hatte ja schon Ihr Buch „Post
von Karlheinz“.
Hasnain Kazim: „Post von Karlheinz“ ist
eine Sammlung von Dialogen, die ich
mit solchen Leuten geführt habe. Es ist
sachlich und komisch zugleich – manchmal
zynisch im Streit. Eigentlich wollte
ich nicht der Typ sein, der ständig zum
Thema Hassdialoge schreibt. Aber ich
bekam Zuspruch von Leuten, die es toll
fanden, endlich eine Vorlage dafür zu
haben, wie man mit Hatern umgeht. Das
sollte „Post von Karlheinz“ aber gar nicht
sein, denn ich bin manchmal durchaus
etwas böse. Deshalb habe ich das zum
Anlass genommen, eine richtige Streitanleitung
zu schreiben, und so ist „Auf sie
mit Gebrüll“ entstanden.
„
Ich habe sogar als
Kind verstanden,
dass jeder für
irgendein Merkmal
aufgezogen wurde..
“
Als Journalist ist man ja eine Person des
öffentlichen Lebens und daher leicht eine
Zielscheibe für Hassnachrichten – insbesondere
wenn es um politische oder
soziale Ansichten geht. Wie war das mit
dem Hass, bevor Sie Journalist wurden?
Ich bin in einem kleinen norddeutschen
3.000-Einwohner-Dorf namens Hollern-
Twielenfleth aufgewachsen. Während
meiner Kindheit habe ich keinen Hass
erfahren. Ein Spruch eines Mitschülers
hat sich jedoch in meinen Kopf
eingebrannt, und zwar „Du bist braun
wie Scheiße“. Das hat mich einerseits
verletzt, aber andererseits habe ich
sogar als Kind verstanden, dass jeder für
irgendein Merkmal aufgezogen wurde.
Das konnte Übergewicht, Segelohren
oder eben die Hautfarbe sein. Was ich
aber schon gemerkt habe – das wurde
mir wahrscheinlich unbewusst von
meinen Eltern mitgegeben – war, dass
wir 110 Prozent geben mussten. Ich
befürchte, wir Nichtweißen müssen
immer 110 Prozent oder mehr geben,
um dieselbe Anerkennung zu bekommen
wie Weiße. In der Schule habe ich mich
daher immer angestrengt und war ein
guter Schüler.
Wann erhielten Sie Ihre erste Drohung?
Das passierte erst, als ich als 17-Jähriger
meinen ersten Artikel veröffentlichte.
Diese Zeit, als in Deutschland Jagd auf
Flüchtlinge gemacht wurde, als der
Mordanschlag von Solingen verübt wurde
und als Flüchtlingsheime brannten,
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