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FINE 01/2017 Madeira

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Zwischen gestern und morgen: Als progressiver Neuerer des<br />

<strong>Madeira</strong> gilt Ricardo Diogo Freitas von Barbeito. Der Weinmacher<br />

ist Vorreiter eines frischeren Stils, der vor allem beim<br />

jüngeren Publikum sehr gut ankommt.<br />

die Stadt hinabgefressen. »Wir standen hier in der schlimmsten<br />

Brandnacht mit Wassereimern bereit«, sagt Chris Blandy.<br />

»In nur hundert Metern Entfernung sind einige Gebäude ausgebrannt,<br />

und hier ist alles aus Holz!« Hunderte von Fässern,<br />

tausende abgefüllte <strong>Madeira</strong>­Flaschen bis zurück zum Jahr 1920<br />

blieben verschont, auch der private Keller mit Weinen bis ins<br />

achtzehnte Jahrhundert. Vorfahr John Blandy war 1808 nach<br />

<strong>Madeira</strong> gekommen, weil er im milden Klima der Insel von<br />

einer Krankheit genesen wollte, und hatte<br />

sich dort als Weinhändler etabliert. Sein Sohn<br />

kaufte während einer Mehltauplage im Jahr<br />

1852 viele alte Weine auf.<br />

Die Rebsorte Sercial ergibt trocknen<br />

<strong>Madeira</strong>, ein Verdelho ist halbtrocken,<br />

Terrantez kann halbtrocken oder halbsüß ausgebaut<br />

werden. Boal­Wein ist halbsüß, und<br />

Malvasia­Trauben liefern den süßesten Wein<br />

mit dem historischen Namen Malmsey. Dies<br />

alles sind weiße Sorten, doch wird der weitaus<br />

meiste <strong>Madeira</strong> aus roten Tinta­Negra­<br />

Trauben gewonnen. Die sehr ertrag reiche<br />

Sorte bedeckt heute rund fünfundachtzig<br />

Prozent der Rebflächen. Sie gilt als Chamäleon<br />

und kann in verschiedenen Süße graden<br />

ausgebaut werden.<br />

Tinta Negra liefert auch die einfachen<br />

<strong>Madeira</strong>s mit nur kurzer Reifezeit. Auch wenn<br />

wir natürlich an erster Stelle an den großartigen<br />

Spitzenweinen der Insel interessiert sind, darf man<br />

nicht vergessen, dass Maderia vor allem als Kochwein und preiswerter<br />

Aperitif gehandelt wird. Von der verkauften Gesamtmenge<br />

von 3,3 Millionen Litern entfielen im Jahr 2<strong>01</strong>5 achtzig<br />

Prozent auf solche einfachen Weine ohne Alterungs angabe.<br />

Weitere zehn Prozent waren bis zu fünf Jahre alt. Von den restlichen<br />

zehn Prozent entfiel weniger als ein halbes Prozent – oder<br />

dreizehntausendvierhundert Flaschen – auf die alten Canteiro­<br />

Jahrgangsweine, von denen das Image des <strong>Madeira</strong> profitiert.<br />

Das ist nicht viel anders als bei Grand­Cru­ Gewächsen und<br />

einfachen Bordeaux­Weinen.<br />

Mit Paula Cabaço, der Präsidentin des staatlichen<br />

<strong>Madeira</strong>­ Wein­Instituts, geht es dann über steile<br />

Serpen tinen in die Weinberge bei São Vicente im<br />

regenreichen Norden der Insel. Der meiste Wein wird im<br />

Pergola­ Stil erzogen: Die Trauben hängen bis in Mannshöhe<br />

unter einem schattigen Dach aus Reben und Weinlaub, das von<br />

Holzlatten und Draht gehalten wird. Wie eine grüne Decke fließen<br />

die Reben über die Bodenterrassen, zwischen ummauerten<br />

Bananenplantagen und Wohnhäusern. »Die Mechanisierung<br />

des Weinbaus ist fast unmöglich, alles wird von Hand<br />

gemacht«, sagt Paula Cabaço. »Nur wenige <strong>Madeira</strong>händler<br />

besitzen eigene kleine Weinberge, man kauft die Trauben in<br />

Mengen von fünfhundert bis unter fünfzig Kilo bei oft mehreren<br />

hundert verschiedenen Besitzern.« Dabei sind die Erträge<br />

hoch, vor allem bei der roten Tinta­Negra­Traube bis zu einhundertsiebzig<br />

Hektoliter pro Hektar.<br />

Später beim Essen gibt es Oktopus­Salat zu jungem trocknen<br />

<strong>Madeira</strong>, dann halbsüßen Boal zu Degenfisch, der aus viertausend<br />

Metern Tiefe geangelt wird, und süßen Malmsey zu<br />

Desserts mit Früchten, Schokolade oder Crème brûlée. Das<br />

Weininstitut, so erzählt Paula Cabaço, überwache den Anbau<br />

und die Ernten heute ebenso streng wie die Weinbereitung. Im<br />

Keller werden die Trauben entrappt und gespresst, die Gärung<br />

aber schon nach wenigen Tagen durch die Zufuhr von fünfundneunzigprozentigem<br />

neutralen Alkohol gestoppt. Der Zeitpunkt<br />

hängt davon ab, wie viel natürliches Zuckerpotential die<br />

Trauben haben. Danach kommt der meiste Most in die großen<br />

Stahltanks zum Estufagem­Prozess: Drei Monate lang wird<br />

der Wein mit 40 bis 50 Grad heißem Wasser erwärmt. Für die<br />

besse ren Weine mit Jahrgangs­ oder Alterungsangaben dient<br />

die Canteiro­Methode: Die Weine reifen mehrere Jahre lang in<br />

warmen Lagerhäusern in Holzfässern, wobei sie durch die Verdunstung<br />

immer stärker konzentriert werden und durch den –<br />

für andere Weine so schädlichen – Kontakt mit Sauerstof oxidieren.<br />

Sie müssen mindestens zwei Jahre im Fass gelagert sein,<br />

bevor sie verkauft werden dürfen.<br />

Für die Bezeichnung der fassgereiften Weine gibt es ein<br />

ziemlich unübersichtliches System, das den gelegentlichen<br />

<strong>Madeira</strong>­Konsumenten sehr verwirren kann. Die<br />

edelsten Jahrgangsweine tragen auf der kreideweiß beschrifteten<br />

Flasche den Jahrgang, die Rebsorte und das Abfülldatum.<br />

Sie müssen mindestens zwanzig Jahre ausschließlich nach der<br />

Canteiro­Methode im Holzfass gereift sein. Steht Colheita auf<br />

der Flasche, bedeutet das mindestens fünf Jahre Fassreife mit<br />

oder ohne vorheriges Estufagem­Erhitzen. Bei anderen Abfüllungen<br />

sind Altersangaben wie fünf bis fünfzig sowie mehr als<br />

fünfzig Jahre erlaubt. Dazu kommen seit 1995 neue, jüngere Jahrgangsweine.<br />

Die Firmen haben viel Spielraum für die Bezeichnungen,<br />

um auch bei weniger alten Weinen den attraktiven<br />

Hinweis auf die Lagerung im Holzfass anbringen zu können.<br />

Denn natürlich gehört gerade zu einem Wein mit einer solch<br />

interessanten Vergangenheit das Story­Telling, die schönen<br />

Geschichten und Legenden. Mit <strong>Madeira</strong> hat man 1776 auf die<br />

amerikanische Unabhängigkeit angestoßen, auch die legendäre<br />

Fregatte Constitution wurde mit einer Flasche <strong>Madeira</strong> getauft.<br />

Präsident George Washington liebte den Wein. Napoleon bekam<br />

ein Fass des Jahrgangs 1792 geschenkt, als er auf dem Weg ins<br />

Exil im Jahr 1815 in Funchal Station machte. Es blieb aber ungeöfnet<br />

und wurde zwanzig Jahre nach dem Tod des Ex­Kaisers<br />

wieder nach <strong>Madeira</strong> zurückgegeben und dort in Glasballons<br />

umgefüllt. In den 1950er Jahren konnte Winston Churchill den<br />

Wein noch einmal probieren. Nach einer weiteren schönen<br />

Legende soll der nach einem Komplott gegen seinen Bruder<br />

Edward IV. zum Tode verurteilte englische Duke of Clarence<br />

schon 1478 als Hinrichtungsmethode das Ertränken in einem<br />

Fass <strong>Madeira</strong> gewählt haben.<br />

Altersangaben für <strong>Madeira</strong>­Weine sind vieldeutig: Ein<br />

als zwanzig Jahre alt bezeichneter Wein kann viel älter<br />

sein: Wenn er 1980 geerntet und im Jahr 2000 abgefüllt<br />

wurde, gilt er beim Verkauf im Jahr 2<strong>01</strong>7 weiter als zwanzig<br />

Jahre alt. Die oft weit über hundert Jahre alten Canteiro­<br />

Rebsortenweine sind zwar so alt wie angegeben, haben aber<br />

keineswegs ihr ganzes Weinleben im Fass zugebracht. Manche<br />

wurden schon vor vielen Jahren auf Flaschen gezogen. Außerdem<br />

werden alte Weine vielfach in Glasballonflaschen oder<br />

Stahltanks zwischengelagert. Bei einem <strong>Madeira</strong> aus dem 19.<br />

oder gar 18. Jahrhundert kann man auch nicht immer sicher<br />

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