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Zwischen gestern und morgen: Als progressiver Neuerer des<br />
<strong>Madeira</strong> gilt Ricardo Diogo Freitas von Barbeito. Der Weinmacher<br />
ist Vorreiter eines frischeren Stils, der vor allem beim<br />
jüngeren Publikum sehr gut ankommt.<br />
die Stadt hinabgefressen. »Wir standen hier in der schlimmsten<br />
Brandnacht mit Wassereimern bereit«, sagt Chris Blandy.<br />
»In nur hundert Metern Entfernung sind einige Gebäude ausgebrannt,<br />
und hier ist alles aus Holz!« Hunderte von Fässern,<br />
tausende abgefüllte <strong>Madeira</strong>Flaschen bis zurück zum Jahr 1920<br />
blieben verschont, auch der private Keller mit Weinen bis ins<br />
achtzehnte Jahrhundert. Vorfahr John Blandy war 1808 nach<br />
<strong>Madeira</strong> gekommen, weil er im milden Klima der Insel von<br />
einer Krankheit genesen wollte, und hatte<br />
sich dort als Weinhändler etabliert. Sein Sohn<br />
kaufte während einer Mehltauplage im Jahr<br />
1852 viele alte Weine auf.<br />
Die Rebsorte Sercial ergibt trocknen<br />
<strong>Madeira</strong>, ein Verdelho ist halbtrocken,<br />
Terrantez kann halbtrocken oder halbsüß ausgebaut<br />
werden. BoalWein ist halbsüß, und<br />
MalvasiaTrauben liefern den süßesten Wein<br />
mit dem historischen Namen Malmsey. Dies<br />
alles sind weiße Sorten, doch wird der weitaus<br />
meiste <strong>Madeira</strong> aus roten TintaNegra<br />
Trauben gewonnen. Die sehr ertrag reiche<br />
Sorte bedeckt heute rund fünfundachtzig<br />
Prozent der Rebflächen. Sie gilt als Chamäleon<br />
und kann in verschiedenen Süße graden<br />
ausgebaut werden.<br />
Tinta Negra liefert auch die einfachen<br />
<strong>Madeira</strong>s mit nur kurzer Reifezeit. Auch wenn<br />
wir natürlich an erster Stelle an den großartigen<br />
Spitzenweinen der Insel interessiert sind, darf man<br />
nicht vergessen, dass Maderia vor allem als Kochwein und preiswerter<br />
Aperitif gehandelt wird. Von der verkauften Gesamtmenge<br />
von 3,3 Millionen Litern entfielen im Jahr 2<strong>01</strong>5 achtzig<br />
Prozent auf solche einfachen Weine ohne Alterungs angabe.<br />
Weitere zehn Prozent waren bis zu fünf Jahre alt. Von den restlichen<br />
zehn Prozent entfiel weniger als ein halbes Prozent – oder<br />
dreizehntausendvierhundert Flaschen – auf die alten Canteiro<br />
Jahrgangsweine, von denen das Image des <strong>Madeira</strong> profitiert.<br />
Das ist nicht viel anders als bei GrandCru Gewächsen und<br />
einfachen BordeauxWeinen.<br />
Mit Paula Cabaço, der Präsidentin des staatlichen<br />
<strong>Madeira</strong> WeinInstituts, geht es dann über steile<br />
Serpen tinen in die Weinberge bei São Vicente im<br />
regenreichen Norden der Insel. Der meiste Wein wird im<br />
Pergola Stil erzogen: Die Trauben hängen bis in Mannshöhe<br />
unter einem schattigen Dach aus Reben und Weinlaub, das von<br />
Holzlatten und Draht gehalten wird. Wie eine grüne Decke fließen<br />
die Reben über die Bodenterrassen, zwischen ummauerten<br />
Bananenplantagen und Wohnhäusern. »Die Mechanisierung<br />
des Weinbaus ist fast unmöglich, alles wird von Hand<br />
gemacht«, sagt Paula Cabaço. »Nur wenige <strong>Madeira</strong>händler<br />
besitzen eigene kleine Weinberge, man kauft die Trauben in<br />
Mengen von fünfhundert bis unter fünfzig Kilo bei oft mehreren<br />
hundert verschiedenen Besitzern.« Dabei sind die Erträge<br />
hoch, vor allem bei der roten TintaNegraTraube bis zu einhundertsiebzig<br />
Hektoliter pro Hektar.<br />
Später beim Essen gibt es OktopusSalat zu jungem trocknen<br />
<strong>Madeira</strong>, dann halbsüßen Boal zu Degenfisch, der aus viertausend<br />
Metern Tiefe geangelt wird, und süßen Malmsey zu<br />
Desserts mit Früchten, Schokolade oder Crème brûlée. Das<br />
Weininstitut, so erzählt Paula Cabaço, überwache den Anbau<br />
und die Ernten heute ebenso streng wie die Weinbereitung. Im<br />
Keller werden die Trauben entrappt und gespresst, die Gärung<br />
aber schon nach wenigen Tagen durch die Zufuhr von fünfundneunzigprozentigem<br />
neutralen Alkohol gestoppt. Der Zeitpunkt<br />
hängt davon ab, wie viel natürliches Zuckerpotential die<br />
Trauben haben. Danach kommt der meiste Most in die großen<br />
Stahltanks zum EstufagemProzess: Drei Monate lang wird<br />
der Wein mit 40 bis 50 Grad heißem Wasser erwärmt. Für die<br />
besse ren Weine mit Jahrgangs oder Alterungsangaben dient<br />
die CanteiroMethode: Die Weine reifen mehrere Jahre lang in<br />
warmen Lagerhäusern in Holzfässern, wobei sie durch die Verdunstung<br />
immer stärker konzentriert werden und durch den –<br />
für andere Weine so schädlichen – Kontakt mit Sauerstof oxidieren.<br />
Sie müssen mindestens zwei Jahre im Fass gelagert sein,<br />
bevor sie verkauft werden dürfen.<br />
Für die Bezeichnung der fassgereiften Weine gibt es ein<br />
ziemlich unübersichtliches System, das den gelegentlichen<br />
<strong>Madeira</strong>Konsumenten sehr verwirren kann. Die<br />
edelsten Jahrgangsweine tragen auf der kreideweiß beschrifteten<br />
Flasche den Jahrgang, die Rebsorte und das Abfülldatum.<br />
Sie müssen mindestens zwanzig Jahre ausschließlich nach der<br />
CanteiroMethode im Holzfass gereift sein. Steht Colheita auf<br />
der Flasche, bedeutet das mindestens fünf Jahre Fassreife mit<br />
oder ohne vorheriges EstufagemErhitzen. Bei anderen Abfüllungen<br />
sind Altersangaben wie fünf bis fünfzig sowie mehr als<br />
fünfzig Jahre erlaubt. Dazu kommen seit 1995 neue, jüngere Jahrgangsweine.<br />
Die Firmen haben viel Spielraum für die Bezeichnungen,<br />
um auch bei weniger alten Weinen den attraktiven<br />
Hinweis auf die Lagerung im Holzfass anbringen zu können.<br />
Denn natürlich gehört gerade zu einem Wein mit einer solch<br />
interessanten Vergangenheit das StoryTelling, die schönen<br />
Geschichten und Legenden. Mit <strong>Madeira</strong> hat man 1776 auf die<br />
amerikanische Unabhängigkeit angestoßen, auch die legendäre<br />
Fregatte Constitution wurde mit einer Flasche <strong>Madeira</strong> getauft.<br />
Präsident George Washington liebte den Wein. Napoleon bekam<br />
ein Fass des Jahrgangs 1792 geschenkt, als er auf dem Weg ins<br />
Exil im Jahr 1815 in Funchal Station machte. Es blieb aber ungeöfnet<br />
und wurde zwanzig Jahre nach dem Tod des ExKaisers<br />
wieder nach <strong>Madeira</strong> zurückgegeben und dort in Glasballons<br />
umgefüllt. In den 1950er Jahren konnte Winston Churchill den<br />
Wein noch einmal probieren. Nach einer weiteren schönen<br />
Legende soll der nach einem Komplott gegen seinen Bruder<br />
Edward IV. zum Tode verurteilte englische Duke of Clarence<br />
schon 1478 als Hinrichtungsmethode das Ertränken in einem<br />
Fass <strong>Madeira</strong> gewählt haben.<br />
Altersangaben für <strong>Madeira</strong>Weine sind vieldeutig: Ein<br />
als zwanzig Jahre alt bezeichneter Wein kann viel älter<br />
sein: Wenn er 1980 geerntet und im Jahr 2000 abgefüllt<br />
wurde, gilt er beim Verkauf im Jahr 2<strong>01</strong>7 weiter als zwanzig<br />
Jahre alt. Die oft weit über hundert Jahre alten Canteiro<br />
Rebsortenweine sind zwar so alt wie angegeben, haben aber<br />
keineswegs ihr ganzes Weinleben im Fass zugebracht. Manche<br />
wurden schon vor vielen Jahren auf Flaschen gezogen. Außerdem<br />
werden alte Weine vielfach in Glasballonflaschen oder<br />
Stahltanks zwischengelagert. Bei einem <strong>Madeira</strong> aus dem 19.<br />
oder gar 18. Jahrhundert kann man auch nicht immer sicher<br />
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