Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Zwischen damals und heute:<br />
Chris Blandy führt in siebter<br />
Generation das älteste <strong>Madeira</strong>haus,<br />
das 1811 von seinem<br />
Urahn John Blandy gegründet<br />
wurde. Der Engländer war<br />
drei Jahre zuvor aus gesundheitlichen<br />
Gründen auf die Insel<br />
gekommen.<br />
Nachbarinsel: <strong>Madeira</strong>, die Holz insel, die damals noch keine<br />
Blumeninsel war wie heute. Der Vulkankegel ragt fast zweitausend<br />
Meter hoch in die Wolken und fällt vier tausend Meter<br />
steil ins Meer ab. Im Auftrag des Infanten Heinrich der See fahrer<br />
besiedelten die Portugiesen das subtropische Archipel. Sie rodeten<br />
die Wälder mit Feuer, holten Sklaven aus Afrika und bauten<br />
Zuckerrohr, Getreide und Wein an. Dazu mauer ten sie die<br />
ersten Levadas, Kanäle zur Bewässerung der trockneren Südseite<br />
und zum Betrieb von Zuckermühlen, in die steilen Hänge.<br />
Die Flüssigkeit im Probierglas hat fast die goldbraune Farbe des<br />
polierten Holztischs. Am Rand zeigt der Wein grünliche Reflexe.<br />
In die Nase steigen Aromen von Karamell, Honig und Sirup,<br />
von getrockneten exotischen Früchten wie Mangos, Datteln,<br />
dazu Zigarrenkistenholz, rauchige Noten, dann Eindrücke von Gewürzen mit<br />
Pfefer und schließlich ein salziges Finale mit kräftiger, wunder bar frischer<br />
Säure. Kein Zeichen von Alter oder Schwäche. Es ist ein <strong>Madeira</strong> Verdelho<br />
Jahrgang 1850. Filipe D’Oliveira, Weinmacher in der sechsten Generation des<br />
Familien betriebs Pereira D’Oliveiras in der Hauptstadt Funchal, hält stolz die<br />
Flasche aus dem Gründungsjahr der Firma im Arm.<br />
1850: Da wird im Königreich Preußen nach der März revolution<br />
das DreiKlassenWahlrecht ein geführt, in Weimar findet die<br />
Urauführung von Richard Wagners Lohengrin statt. Einhundertsechsundsechzig<br />
Jahre später sitze ich vor der Kulisse alter Fässer<br />
und Regalen voller Flaschen im großen Degustationssaal von<br />
D’Oliveiras und koste alte und uralte <strong>Madeira</strong>s aus ver schiedenen<br />
Rebsorten: Sercial 1989, Boal 1908, Moscatel 1875, Verdelho<br />
1932: Jeder eine ausdrucksvolle Köstlichkeit mit Farben von<br />
Honig bis Bernstein und Kupfer, mit einem komplexen Spiel<br />
von warmen exotischen Aromen und erfrischender Säure. Ich<br />
verfalle dem Charme der süßen Sorten wie Malvazia 19<strong>01</strong> oder<br />
Boal 1908 und bin elektrisiert von der Brillanz der trocknen<br />
wie Sercial 1917 oder Terrantez 1880.<br />
Um <strong>Madeira</strong>s zu verstehen, muss man noch viel weiter<br />
zurück, bis in die Zeit vor Kolumbus. Im Jahr 1418 hatte der<br />
portugiesische Seefahrer João Gonçalvez Zarco mit seiner Karavelle<br />
im Sturm vor der nordwestafrikanischen Küste Schutz an<br />
einer kleinen Insel gefunden. Er nannte sie dankbar Porto Santo,<br />
heiliger Hafen. Ein Jahr später setzte er den Fuß auf die große<br />
Was auf <strong>Madeira</strong> heute als Entdeckung der Inseln<br />
bezeichnet wird, ist in Wahrheit nur ihre Kolonialisierung.<br />
Denn das unbewohnte Archipel vor der<br />
marokkanischen Küste war schon 1339 auf Seekarten verzeichnet.<br />
Es lag günstig für Seefahrer, die den Nordostpassat<br />
nutzen und ihre Vorräte an Wasser aufrischen wollten. Nach<br />
dem heutigen Stand der Forschung begann der Weinbau auf<br />
der Insel Porto Santo. Schon um 1450 notierte der venezianische<br />
See fahrer Alvise Cadamosto, dass auf <strong>Madeira</strong> Malmsey<br />
Reben aus Kreta wuchsen und gute Handelsweine liefer ten.<br />
Wichtige Märkte waren England und, nach der Entdeckung<br />
der Seewege durch Kolumbus und andere Seefahrer, Nordund<br />
Südamerika und Indien. Malmsey heißt noch heute der<br />
süßeste <strong>Madeira</strong>, wenn er auch inzwischen aus verschiedenen<br />
Malvasia Rebsorten gewonnen wird.<br />
Bei der Entstehung süßer gespriteter Weine wie Port und<br />
<strong>Madeira</strong> half wie bei der Entdeckung des Champagner verfahrens<br />
die Kellerei kunst von Mönchen. Es war schon früh üblich, vergorenen<br />
Wein mit Weinbrand haltbar zu machen. Doch erst<br />
im letzten Viertel des 17. Jahr hunderts verbreitete sich das<br />
Wissen, dass man den Alkohol auch früher zusetzen kann, um<br />
die Gärung abzubrechen und die Restsüße zu bewahren. Wahrscheinlich<br />
waren es englische Weinhändler, die diese Methode<br />
1678 beim Besuch eines Klosters im Porto Gebiet beobachteten<br />
und dann verbreiteten.<br />
Doch für die Erfindung des <strong>Madeira</strong>s brauchte es einen<br />
weite ren Schritt, der über die Herstellungsmethode von Portwein<br />
hinausführte: die Oxidation des Weins im warmen Fass.<br />
Der wahre Ursprung dieses Verfahrens ist nicht bekannt, obwohl<br />
man in <strong>Madeira</strong> gern die Geschichte vom glücklichen Zufall<br />
erzählt: Als der Kapitän eines Handelsschifes aus Funchal<br />
irgendwann zu Beginn des 18. Jahrhunderts eine Indien Ladung<br />
nicht vollständig verkaufen konnte, habe er die Fässer wieder<br />
in die Heimat mitgenommen, wo man erfreut feststellte, dass<br />
der Wein während der monatelangen Reise durch tropische<br />
Meere neue Geschmacksqualitäten gewonnen hatte. In Wahrheit<br />
waren schon viel früher Schife mit Fässern voll mit verstärktem<br />
Wein unterwegs, der als Ballast und als Getränk diente.<br />
1697 berichtete ein britischer Händler, in knapp drei Wochen<br />
hätten elf Schife rund siebenhundert Fässer Wein in Funchal<br />
geladen – mehr als vierhunderttausend Liter.<br />
Als Besonderheit wurde schon damals der MalmseyWein<br />
gerühmt. Unter den trocknen Trinkweinen galt der<br />
Sercial als der beste. In seinem Werk über die Weine der<br />
Erde bezeichnete der Franzose André Jullien 1816 den Sercial<br />
und den Riesling als langlebigste Weine überhaupt – wodurch<br />
der Sercial lange fälschlicherweise als Riesling Ableger angesehen<br />
wurde.<br />
Die auf Seereisen gereiften süßen Weine wurden immer<br />
beliebter. Für den englischen Markt transportierte man die<br />
Weine per Schif in extra großen BallastFässern nach West<br />
30 <strong>FINE</strong> 1 | 2<strong>01</strong>7 PORTUGAL PORTUGAL <strong>FINE</strong> 1 | 2<strong>01</strong>7 31