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FINE 01/2017 Madeira

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Zwischen damals und heute:<br />

Chris Blandy führt in siebter<br />

Generation das älteste <strong>Madeira</strong>haus,<br />

das 1811 von seinem<br />

Urahn John Blandy gegründet<br />

wurde. Der Engländer war<br />

drei Jahre zuvor aus gesundheitlichen<br />

Gründen auf die Insel<br />

gekommen.<br />

Nachbarinsel: <strong>Madeira</strong>, die Holz insel, die damals noch keine<br />

Blumeninsel war wie heute. Der Vulkankegel ragt fast zweitausend<br />

Meter hoch in die Wolken und fällt vier tausend Meter<br />

steil ins Meer ab. Im Auftrag des Infanten Heinrich der See fahrer<br />

besiedelten die Portugiesen das subtropische Archipel. Sie rodeten<br />

die Wälder mit Feuer, holten Sklaven aus Afrika und bauten<br />

Zuckerrohr, Getreide und Wein an. Dazu mauer ten sie die<br />

ersten Levadas, Kanäle zur Bewässerung der trockneren Südseite<br />

und zum Betrieb von Zuckermühlen, in die steilen Hänge.<br />

Die Flüssigkeit im Probierglas hat fast die goldbraune Farbe des<br />

polierten Holztischs. Am Rand zeigt der Wein grünliche Reflexe.<br />

In die Nase steigen Aromen von Karamell, Honig und Sirup,<br />

von getrockneten exotischen Früchten wie Mangos, Datteln,<br />

dazu Zigarrenkistenholz, rauchige Noten, dann Eindrücke von Gewürzen mit<br />

Pfefer und schließlich ein salziges Finale mit kräftiger, wunder bar frischer<br />

Säure. Kein Zeichen von Alter oder Schwäche. Es ist ein <strong>Madeira</strong> Verdelho<br />

Jahrgang 1850. Filipe D’Oliveira, Weinmacher in der sechsten Generation des<br />

Familien betriebs Pereira D’Oliveiras in der Hauptstadt Funchal, hält stolz die<br />

Flasche aus dem Gründungsjahr der Firma im Arm.<br />

1850: Da wird im Königreich Preußen nach der März revolution<br />

das Drei­Klassen­Wahlrecht ein geführt, in Weimar findet die<br />

Urauführung von Richard Wagners Lohengrin statt. Einhundertsechsundsechzig<br />

Jahre später sitze ich vor der Kulisse alter Fässer<br />

und Regalen voller Flaschen im großen Degustationssaal von<br />

D’Oliveiras und koste alte und uralte <strong>Madeira</strong>s aus ver schiedenen<br />

Rebsorten: Sercial 1989, Boal 1908, Moscatel 1875, Verdelho<br />

1932: Jeder eine ausdrucksvolle Köstlichkeit mit Farben von<br />

Honig bis Bernstein und Kupfer, mit einem komplexen Spiel<br />

von warmen exotischen Aromen und erfrischender Säure. Ich<br />

verfalle dem Charme der süßen Sorten wie Malvazia 19<strong>01</strong> oder<br />

Boal 1908 und bin elektrisiert von der Brillanz der trocknen<br />

wie Sercial 1917 oder Terrantez 1880.<br />

Um <strong>Madeira</strong>s zu verstehen, muss man noch viel weiter<br />

zurück, bis in die Zeit vor Kolumbus. Im Jahr 1418 hatte der<br />

portugiesische Seefahrer João Gonçalvez Zarco mit seiner Karavelle<br />

im Sturm vor der nordwestafrikanischen Küste Schutz an<br />

einer kleinen Insel gefunden. Er nannte sie dankbar Porto Santo,<br />

heiliger Hafen. Ein Jahr später setzte er den Fuß auf die große<br />

Was auf <strong>Madeira</strong> heute als Entdeckung der Inseln<br />

bezeichnet wird, ist in Wahrheit nur ihre Kolonialisierung.<br />

Denn das unbewohnte Archipel vor der<br />

marokkanischen Küste war schon 1339 auf Seekarten verzeichnet.<br />

Es lag günstig für Seefahrer, die den Nordostpassat<br />

nutzen und ihre Vorräte an Wasser aufrischen wollten. Nach<br />

dem heutigen Stand der Forschung begann der Weinbau auf<br />

der Insel Porto Santo. Schon um 1450 notierte der venezianische<br />

See fahrer Alvise Cadamosto, dass auf <strong>Madeira</strong> Malmsey­<br />

Reben aus Kreta wuchsen und gute Handelsweine liefer ten.<br />

Wichtige Märkte waren England und, nach der Entdeckung<br />

der Seewege durch Kolumbus und andere Seefahrer, Nordund<br />

Südamerika und Indien. Malmsey heißt noch heute der<br />

süßeste <strong>Madeira</strong>, wenn er auch inzwischen aus verschiedenen<br />

Malvasia­ Rebsorten gewonnen wird.<br />

Bei der Entstehung süßer gespriteter Weine wie Port und<br />

<strong>Madeira</strong> half wie bei der Entdeckung des Champagner verfahrens<br />

die Kellerei kunst von Mönchen. Es war schon früh üblich, vergorenen<br />

Wein mit Weinbrand haltbar zu machen. Doch erst<br />

im letzten Viertel des 17. Jahr hunderts verbreitete sich das<br />

Wissen, dass man den Alkohol auch früher zusetzen kann, um<br />

die Gärung abzubrechen und die Restsüße zu bewahren. Wahrscheinlich<br />

waren es englische Weinhändler, die diese Methode<br />

1678 beim Besuch eines Klosters im Porto­ Gebiet beobachteten<br />

und dann verbreiteten.<br />

Doch für die Erfindung des <strong>Madeira</strong>s brauchte es einen<br />

weite ren Schritt, der über die Herstellungsmethode von Portwein<br />

hinausführte: die Oxidation des Weins im warmen Fass.<br />

Der wahre Ursprung dieses Verfahrens ist nicht bekannt, obwohl<br />

man in <strong>Madeira</strong> gern die Geschichte vom glücklichen Zufall<br />

erzählt: Als der Kapitän eines Handelsschifes aus Funchal<br />

irgendwann zu Beginn des 18. Jahrhunderts eine Indien­ Ladung<br />

nicht vollständig verkaufen konnte, habe er die Fässer wieder<br />

in die Heimat mitgenommen, wo man erfreut feststellte, dass<br />

der Wein während der monatelangen Reise durch tropische<br />

Meere neue Geschmacksqualitäten gewonnen hatte. In Wahrheit<br />

waren schon viel früher Schife mit Fässern voll mit verstärktem<br />

Wein unterwegs, der als Ballast und als Getränk diente.<br />

1697 berichtete ein britischer Händler, in knapp drei Wochen<br />

hätten elf Schife rund siebenhundert Fässer Wein in Funchal<br />

geladen – mehr als vierhunderttausend Liter.<br />

Als Besonderheit wurde schon damals der Malmsey­Wein<br />

gerühmt. Unter den trocknen Trinkweinen galt der<br />

Sercial als der beste. In seinem Werk über die Weine der<br />

Erde bezeichnete der Franzose André Jullien 1816 den Sercial<br />

und den Riesling als langlebigste Weine überhaupt – wodurch<br />

der Sercial lange fälschlicherweise als Riesling­ Ableger angesehen<br />

wurde.<br />

Die auf Seereisen gereiften süßen Weine wurden immer<br />

beliebter. Für den englischen Markt transportierte man die<br />

Weine per Schif in extra großen Ballast­Fässern nach West­<br />

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