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nicht die erst ein Jahr später übersetzten Chandler und Hammett

(möglicherweise sogar in einer Reaktion auf den großen Miehe-Erfolg?),

diese Leistung kann man nicht hoch genug einschätzen.

Für seinen „Deutschen Gangsterroman“ (6) kopiert Miehe aber nicht

einfach den 1930er Hardboiled ins Deutschland der 70er, es ist kein naiver

Krimi, sondern ein Update, ein virtuoses Spiel mit den Versatzstücken des

Genres und der erste deutsche Kriminalroman, der es gleichzeitig schafft,

eine spannende, realistisch erzählte Kriminalgeschichte im Berliner Milieu

zu zeichnen, und auf der Meta-Ebene eine Kritik des Kriminalromans und

der literarisch|filmisch verfassten Wirklichkeit zu formulieren. Der Roman

ist zugleich eine Analyse des Genres und seine experimentelle Innovation:

Meta-Hardboiled, Meta-Noir.

„Man muß die Regeln gut kennen, wenn man sich darüber hinwegsetzen

will“, (7) lässt Miehe Gorski an einer Stelle sagen. Und Miehe kannte diese

Regeln wie kein anderer und wusste damit zu spielen.

[Szene im Kempinski-Hotel: Seiten 48–55: „Am Tisch saß Sparta.“ bis: „Ihr

erstes Wort war Sparta, und ihr zweites Wort war Geld.“]

Eine Szene im Hotel Kempinski beginn auf Seite 48 (der Erstausgabe

von 1973) mit „Am Tisch saß Sparta.“ Anna wird vorgestellt mit: „Ihr erstes

Wort war Sparta, und ihr zweites Wort war Geld.“

Da ist also Sparta, der feine Ganove, der seinem Schriftstellerfreund Benjamin

selbstlos die Idee zu einem Millionencoup und dazu noch die schöne

Anna überlässt – edel, edel.

Anna, die wir in der Szene ebenfalls kennenlernen, ist die einzige relevante

Frauenfigur im Roman. Miehe importiert mit dem Hardboiled-Genre und

der Modellierung seiner Helden nach den Vorbildern Bogart und Lino

Ventura natürlich auch deren Machogehabe, der Benjamin teils als ziemlich

misogynes Arschloch darstellt. Auch seine Ansprache „massah“, die

Bezeichnung, die Sklaven zu ihren Herren sagen, für Gorski, ist ziemlich

geschmacklos und schlecht gealtert, ganz zu schweigen vom Namen „Blacky“

für einen schwarzen Gangster.

Doch Miehe hat erkannt, dass sich die Zeiten seit 1930 geändert haben

und lässt diesen Machismo nicht einfach so stehen: Anna ist keine typische

Femme fatale, die bloß schön und am Ende tot ist, auch wenn Benjamin

versucht sie mit seinen Macho-Sprüchen als eine solche zu konstruieren

(„Ich hoffe, ich werde nie alt,“ sagt Anne etwa. „Nein“, antwortet Benjamin

„das wirst du auch nicht.“ (8)). Miehe lässt Anna im O-Ton von Tonbandprotokollen

selbst zu Wort kommen, und sie kontert die machistischen Zuschreibungen

mit ihrer eigenen Geschichte und Subjektivität. Auch wenn

ihre Erzählstimme etwas naiv klingt, ist sie eben keine Femme fatale, das typische

Opfer des Hardboiled-Romans, sondern eine selbstbestimmte Frau.

Eine entscheidende Modifikation des Genres, die Miehe hier vornimmt.

Während Benjamin sich mit Anna im Hotelzimmer vergnügt (sie tut es freiwillig)

und anschließend einen Ausflug auf der Havel macht, zeigt Sparta

Gorski, welche Story er für sie hat: Alle 14 Tage landet in Tegel ein Flugzeug

mit einer Million Dollar in bar, die Gehälter für das in Westberlin stationierte

US-Militär. Das Geld wird mit einem Transportwagen und zwei

Begleitfahrzeugen vom Flughafen zur Army Base transportiert. Und noch

nie ist etwas passiert. Bei Sparta scheitert der Coup jedoch an der Fantasie,

wie man die Sache durchziehen könnte.

Und auch Benjamin und Gorski fällt zunächst nichts für ihr Drehbuch ein:

„Der Überfall auf den Transport konnte nur auf dem Weg vom Flughafen

zur Kaserne geschehen.“, schreibt Benjamin. „Das war fast schon ein Plot.

Aber wir hatten noch kein bißchen mehr für unsere Geschichte als die bekannten

Filmmuster: Zwei Männer kundschaften einen Coup aus, und die

weiterführenden Varianten lauteten: Eine Frau kommt dazwischen, die beiden

Typen zerstreiten sich, und der Coup mißglückt; die Frau verrät den

Coup womöglich Minuten vor der Tat an die Polizei, und die Typen werden

noch am Tatort geschnappt.“ (9)

So bekannt, so langweilig. Ein paar Stunden Brainstorming später, weigert

51

sich Benjamin schließlich so weiterzumachen wie bisher: „Ich hab keine Lust zu einem

Film nach den üblichen Schlagtotmustern. Ich hab keine Lust mir auszudenken,

wie zwei Typen bei der Abwicklung eines Überfalls mit möglichst ausgeklügelter Raffinesse

zu Tode kommen. Nicht mehr. Ich bin kein Zyniker. Ich will keiner werden.

Ich hab’s satt. Ich hab was gelernt. Ich will einen anderen Film machen. Einen Anfang.

Eine Hoffnung.“ (10)

Einen anderen Film machen, einen anderen Text schreiben. Das ist das Programm des

Romans, könnte man sagen, das Hinterfragen der Abgelutschtheit der Krimi-Narrative

und die Möglichkeit, es anders zu machen.

Benjamin und Miehe haben verstanden, dass das Hardboiled-Genre längst als Klischee

seine einstige Innovationskraft und Aktualität abgelöst hat: Was 1930 bei

Chandler und Hammett wirklichkeitsgetreu war, ist es nicht mehr, sondern bloßes

Klischee. Der einzige Ausweg für Gorski und Benjamin? Recherchieren, wie es in

Wirklichkeit ist.

Die folgende Recherche der beiden Helden im kriminellen Milieu Berlins lässt

sich parallel führen mit der Poetologie Miehes: Er begreift „Kunst dort als Lüge [...],

wo sie sich von der Wirklichkeit entfernt. [...] Sein Rohstoff: die Wirklichkeit“ (11),

die „zähneknirschende Realität“.(12)

„Den amerikanischen Krimi sah er als Anregung, wie man harte Wirklichkeit beobachten

und direkt beschreiben kann“, (13) sagte Angelika Miehe in einem Interview.

Miehe ist eben keine deutsche Chandler-Kopie, er hat vielmehr die Methode übernommen,

das, was Chandler den realistischen Stil nennt. In Die simple Kunst des

Mordens warnt Chandler: „Mit dem realistischen Stil lässt sich leicht Schindluder

treiben: aus Flüchtigkeit, aus Mangel an Bewusstsein, aus Unfähigkeit, den Abgrund

zu überbrücken, der zwischen dem klafft, was ein Schriftsteller gerne sagen möchte,

und dem, was er tatsächlich zu sagen versteht.“ (14)

Für den realistischen Stil ist entscheidend, was man auswählt – eine Authentizität

im Schreiben, im Beobachten, Verdichten der Sprache. Im Roman sieht man Benjamin

mit der Übersetzung der Wirklichkeit in die Fiktion ringen: „Ich wollte wissen,

wie spät es war, und blieb vor dem Schaufenster des Uhrengeschäfts auf der anderen

Straßenseite stehen. Aber die Uhren gingen alle anders und die meisten überhaupt

nicht. Ich ging am ATLANTIK vorbei und sah wieder die Einbeinige auf dem steinernen

Fenstervorsprung, und die Krücken lehnten daneben an der Wand. Sie war allein.

Sollte ich das Bild ins Drehbuch nehmen? Nein, es war aufdringlich und falsch.

Nichts stimmte hier. Ich ging weiter und schämte mich, daß ich stehengeblieben war

und das, was ich gesehen hatte, zu etwas anderem hatte benutzen wollen, und ich

schämte mich auch meiner Scham.“ (15) – So muss man sich auch Miehe vorstellen,

wenn er beobachtend durch die Straßen lief, und man darf annehmen, dass er sich

ebenso streng befragt wie Benjamin, ob er das, was er sieht, voyeuristisch instrumentalisiert.

Es ist ein ständiges Nachdenken darüber, wie man die Wirklichkeit in Film

oder Literatur übersetzen kann, so dass sie auch darin noch wahr und wirklich ist.

Gerade durch diese Strenge gelingen Miehe so genaue Beschreibungen von Menschen

und alltäglichen Situationen im Dickicht der Stadt, seien sie noch so beiläufig

erzählt. Und so wie im Film Jaider, und vier Jahre später im Film John Glückstadt,

gilt Miehes Sympathie den kleinen Leuten auf der Schattenseite des Lebens, deren

Fehler nicht unbedingt ist, „daß sie kriminell sind, sondern daß sie arm sind“: Kleinkriminelle,

Prostituierte, Tablettensüchtige, Spieler und Trinker. Miehe zeichnet die

Gegengesellschaft der Unterwelt, deren Codes, Rituale und Sprache man sich erstmal

aneignen muss: Es gibt eine Szene, in der Benjamin in eine Haschkneipe geht

und sich zugedröhnt mit einem Typen an der Bar unterhält, aber kein Wort versteht,

wenn der sagt: „Früher ist es ihm ganz gut gegangen als Travelagent, aber wie das so

geht. Bis er jeden Tag die Hühner vorm Haus hatte, und da warn die ganzen Lardos

Neese. Gestern hat er sogar seine Muschel verscheuert.“ Erst als der Mann erklärt,

kapiert Benjamin: „Hühner sagen wir für Polizei, Lardos sind Dollars, Muschel ist

sein Wagen.“ (16) Die Sprache der Straße ist dem Schriftsteller Benjamin fremd,

und Miehe thematisiert in dieser Szene die Unerreichbarkeit von Authentizität, das

Nicht-Verstehen des Schriftstellers, den Abgrund, den es laut Chandler zu überbrücken

gilt, letztendlich: die Brüchigkeit der Literatur.

Glanzlichter sind Miehes atmosphärische Beschreibungen, die „das Aroma der siebziger

und achtziger Jahre kondensieren“. (17) So z.B. die Milieuschilderungen, hier

am Beispiel des Stuttgarter Platzes: „[Das Lokal] hieß BLUE MOON und befand

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