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Fahnder-Folgen, oft geschrieben mit Klaus Richter, und nach seinem Debütfilm

John Glückstadt nur noch ein später Kinofilm, Der Unsichtbare.

Und so sagt Angelika Miehe über ihren Mann, dass sein großer Traum,

seine eigenen Filme zu machen, leider nur teilweise in Erfüllung ging. (26)

In einem Nachruf im Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt vom 28.7.89

heißt es über Miehe: „Ein Querkopf blieb er dennoch, aber einer, der beim

Fernsehen wohl doch so manchen Stachel verloren hat.“ Co-Autor Klaus

Richter betont stattdessen Miehes Ausdauer und Kraft: „Er hatte Steherqualitäten,

wie das beim Boxen heißt. Wenn man ein Jahr an einem Buch

gearbeitet hat, und dann sagen einem irgendwelche Produzenten, dass das

jetzt doch nichts wird ... Einmal fragte ich Ulf entmutigt: ‚Was machen wir

denn jetzt?‘ Da sagte er nur: ‚Weiter, was sonst.‘“ (27)

Immerhin wurde Ich hab noch einen Toten in Berlin noch verfilmt,

allerdings nicht von Miehe. Nach den gescheiterten Versuchen, das Originaldrehbuch

zu verfilmen, sollte nach dem Roman-Erfolg wiederum eine

Literaturverfilmung daraus gemacht werden. Eigentlich sollte Volker Vogeler

Regie führen, Miehe das Drehbuch schreiben. Aber nach ständigen

Schwierigkeiten mit den Redakteuren vom Co-Produzenten ZDF und zehn

verschiedenen Drehbuchfassungen übernahm schließlich Michael Fengler,

ein ehemaliger Assistent Fassbinders, die Regie, der daraus den im Anschluss

zu sehenden Film Output machte. Man sieht dem Film deutlich

die Kompromisse an, und warum Miehe und Vogeler – die Konsequenten

– diesen Film so nicht machen wollten. Genauso wenig wie Benjamin und

Gorski im Roman ihren Film unter diesen Bedingungen nicht machen können,

mit zu wenig Budget, nach abgelutschten Fernsehmustern und einem

Schuss Soziokritik. Stattdessen ziehen sie es mehr und mehr in Erwägung,

den Coup selber durchzuziehen. War das vielleicht auch ein Wunschtraum

Miehes?

„Man muß nicht besonders abgebrüht oder besonders verzweifelt sein, um

auf so’n Ding zu verfallen.“ sagt Miehes Alter Ego im Roman, „Den möchte

ich sehen, der angesichts so einer Möglichkeit nicht ins Grübeln kommt.

Wer will denn das wohl nicht: einfach so’n Ding abziehen, zuhauen, abhauen.

Sich befreien, verstehst du?“ (28)

Und auch Walter Fritzsche, ein Weggefährte Miehes, vermutet: Die „lakonische

Tat anstelle literarischer Redseligkeit. Das war sicher einer seiner Tagträume,

ganz ernst empfunden, aber unendlich spielerisch behandelt.“ (29)

Bei Gorski und Benjamin werden aus den Tagträumen mit jedem Detail

ihrer Filmrecherche immer konkretere Pläne. Das zeigt sich etwa, wenn sie

besprechen, wie ihre Helden die Transportwagen an der Schranke teilen

könnten, indem sie den Schrankenwärter fesseln und die Schranke runterlassen.

„Wenn der Transport zu spät kommt, können sie ja unauffällig verschwinden

und es das nächste Mal wieder versuchen!“ – „Das geht nicht!“

– „Warum?“ – „Wir können doch nicht alle vierzehn Tagen den alten Mann

da hinten knebeln.“ (30)

Das fiktive „sie“ der Filmprotagonisten wird hier zum realen wir, Gorski

und Benjamin: Die fixe Idee der beiden verfestigt sich also und wird zur

Wirklichkeit. Da ist es auch egal, dass der Film vom Sender schließlich zur

Produktion akzeptiert wird – denn da sind sie mit ihren Gedanken schon

ganz woanders.

[Diskussion zwischen Gorski und Benjamin: Seiten 207–214, ab: „‚Gib mir

doch mal Feuer.‘“ bis: „‚Ich finde es auch nicht lächerlich‘“, sagte Gorski,

„‚aber was soll denn danebengehen?‘“]

„Ich will was machen. Ich will was machen, was bleibt. Was Greifbares.

Etwas, das ich anfassen kann!“ (31), sagt der Schriftsteller Benjamin, kurz

bevor es losgehen soll, und hier findet nun eine kuriose Umwertung statt:

Seinem Verständnis ist nun nicht mehr die Kunst oder Literatur das, was

bleibt, sondern der Überfall; das Greifbare ist nicht mehr das veröffentlichte

Buch, sondern die Tat.

Miehe hat keinen Dollartransport ausgeraubt, auch wenn er mit seinem

„Raubvogelgesicht mit der Sonnenbrille, dazu die tiefe Stimme“ beizeiten

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selbst aussah wie eine Figur aus einem Melville-Krimi, wie Martin Compart meint.

(32) Was machen, was bleibt, hieß für Miehe im Unterschied zu seiner Figur Benjamin

weiterhin: er schrieb und filmte. Trotz und gerade gegen seine Krankheit, die

seine Zeit begrenzte.

Miehe hat mit Ich hab noch einen Toten in Berlin ein virtuoses Spiel mit den

Versatzstücken des Genres und Gesetzen des Kriminalromans geschaffen, eine

beißende Satire des Filmbetriebs, ein mitreißendes Porträt Berlins in den 70ern

und des Milieus der Kleinkriminellen. Mit seiner Untersuchung der Möglichkeiten

eines Kriminalromans auf der Höhe der Zeit setzte Ich hab noch einen Toten

in Berlin als erster deutscher postmoderner Gangster-Roman Maßstäbe für alle

folgenden Schreiber.

Derzeit überschlagen sich die Feuilletons in Hymnen auf Jörg Fauser, dessen Werke

neu herausgebracht werden, und der den Kriminalroman erneuert haben soll.

Gern vergessen wird dabei, dass Der Schneemann erst 1981 erschien und ohne

Miehes Debüt niemals möglich gewesen wäre. Anders als die Rezensenten hat

Fauser Miehes Einfluss natürlich nie unterschlagen. Er hatte beim Schreiben von

Der Schneemann stets Ich hab noch einen Toten in Berlin auf dem Schreibtisch

liegen, um zu sehen wie hoch die Latte hängt, und nannte Miehe „den besten Krimiliteraten,

den Deutschland bisher hervorgebracht hat.“ (33)

Doch Miehe bleibt nicht beim Spiel mit Genre-Versatzstücken stehen, er zitiert

nicht nur Melville, Hammett oder Lino Ventura, sondern auch immer wieder Bob

Dylan, den er verehrte. Benjamin spricht oft in Dylan-Zitaten, dessen Songtexte ja

bekannt dafür sind, dass sie selbst wieder ein Gewebe aus mannigfaltigen Zitaten

sind.

Miehe markiert damit, dass man bei allem Gerede vom „realistischen Stil“ und

„Authentizität des Milieus“ nicht mehr naiv in der Fiktion eine Realität behaupten

kann, sondern diese immer durch Literatur|Film vorgeprägt ist, und ein literarischer

Text ein Reflexionsniveau dessen haben muss. Die literarischen Figuren sind

Gewebe aus anderen literarischen Figuren, die Dialoge immer schon Zitate, Szenen

nie authentisch, sondern eine Reaktion auf bereits Geschriebenes.

Miehe hat mit Bob Dylan verstanden, dass große literarische Werke nicht aus dem

Vakuum entstehen, sondern im Dialog mit anderen Schreibern. Ich jedenfalls habe

beim Schreiben meines Romans Helden der Nacht den Dialog mit ihm genossen

und könnte über Miehe sagen, was Benjamin über Bob Dylan sagt: „Ich mag seine

Lieder. Einfache Lieder mit einfachen Wörtern. Er redet von Erfahrungen, erzählt

Geschichten, auch wenn sie sich nur in seinem Kopf abgespielt haben. Der guckt

durch, der Typ.“ (34)

[Überfall auf den Geldtransporter, Seiten 260–268, ab Kapitelanfang, bis: „Ein

winziger Fehler, eine Nebensächlichkeit, und das Kartenhaus, das sich Plan nennt,

stürzt ein.“]

(1) Ulf Miehe: Ich hab noch einen Toten in Berlin. München 1973, S. 17.

Ebd., S. 22.

(2) Ebd., S. 22.

(3) Zitiert in D.B. Blettenberg: Granit, in den kleine Herzen gemeisselt sind. In: Ulf Miehe: Puma. Mit Materialien

zu Leben und Werk. Herausgegeben von Peter Henning. Köln 2010, S. 459–464, S. 461.

(4) Manfred Sarrazin: Die deutsche Version der Hölle - oder: Ulf Miehe im Wendekreis des Noir. In: Miehe, Puma,

S. 465–472, hier S. 466.

(5) Rolf-Dieter Brinkmann, Ulf Miehe: Briefwechsel. In: Rowohlt Literaturmagazin 36. Reinbek 1995, S. 102–110,

hier S. 109.

(6) Walter Adler: Von einsamer Höhe schaut er herunter. In: Miehe, Puma, S. 453–458, hier S. 456.

(7) Miehe, Ich hab noch einen Toten, S. 176

(8) Ebd., S. 56.

(9) Ebd., S. 71.

(10) Ebd., S. 72

(11) Peter Henning: Abgerechnet wird zum Schluss. In: Miehe, Puma, S. 441–451, hier S. 448f.

(12) D.B. Blettenberg: Granit, in den kleine Herzen gemeisselt sind. In: Miehe, Puma, S. 459–464, hier S. 460.

(13) Peter Henning, Angelika Miehe: Während des Schreibens lebte er in seiner eigenen Geschichte. Interview. In:

Miehe, Puma, S. 437–440, hier S. 437f.

(14) Raymond Chandler: Die simple Kunst des Mordens. Zitiert nach: Henning, Abgerechnet, S. 443.

(15) Miehe, Ich hab noch einen Toten, S. 189f.

(16) Ebd., S. 81.

(17) Henning, Abgerechnet, S. 448.

(18) Miehe, Ich hab noch einen Toten, S. 34.

(19) Ebd., S. 93f.

(20) Jaider-Film von der grausamen Heimat. Abendzeitung München, 18.06.1971.

(21) Walter Fritzsche: Tagträume. In: Miehe, Puma, S. 473–475, hier. S. 475.

(22) Miehe, Ich hab noch einen Toten, S. 35.

(23) Wilhelm Roth: Ulf Miehes „Puma“. Ein nicht gedrehter Film. In: epd Film 12|99, S. 26–27, hier S. 27.

(24) Henning, Abgerechnet, S. 449.

(25) Miehe, Ich hab noch einen Toten, S. 197.

(26) Vgl. Miehe, Während des Schreibens, S. 439.

(27) Zitiert in: Alex Rühle: Weiter, was sonst. In: Süddeutsche Zeitung, 13.07.1999.

(28) Miehe, Ich hab noch einen Toten, S. 134f.

(29) Fritzsche: Tagträume, S. 473.

(30) Miehe, Ich hab noch einen Toten, S. 167.

(31) Ebd., S. 227.

(32) Zitiert in: Rühle, Weiter.

(33) Zitiert in: Henning, Abgerechnet, S. 448.

(34) Miehe, Ich hab noch einen Toten, S. 177.

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