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Ulf Miehe und Klaus Richter

Zwei links, zwei rechts, einen fallen lassen

Eine TV-Farce (Auszug)

Im Jahrbuch Film 82|83, herausgegeben von Hans Günther Pflaum. Hanser, München 1982

1. Akt „Und so rufe ich Ihnen zu: Fürchtet euch nicht!“

(Alfons Goppel, Weihnachtsansprache im Bayrischen Rundfunk,

1977)

1. Szene. Garten

Es ist Herbst. Das Laub fällt.

Die beiden Autoren (A 1 und A 2) gehen spazieren.

A 1 Also, der Produzent fragt an, ob wir eine sechsteilige Serie schreiben wollen, über die Studentenbewegung,

fürs Fernsehen …

A 2 Studentenbewegung? Fernsehen?

A 1 Doch, doch, Kirchenredaktion; die sind manchmal ganz fortschrittlich. Soll von 67 bis 69 spielen.

Arbeitstitel: „Eine neue Zeit“.

A 2 (ärgerlich) Das ist pathetischer Unsinn!

A 1 Weiß ich. Wir werden einen anderen Titel vorschlagen. Ich könnte die Regie machen.

A 2 Ach so. Na dann.

A 1 Das kann gut werden und uns Spaß machen. Allein die Musik aus der Zeit! Da sind wir doch Spezialisten!

A 2 (kopfschüttelnd) Eine neue Zeit! Wenn ich das schon höre!

A 1 Den Titel kriegen wir weg! Andererseits wird es doch wirklich Zeit, daß man sich mit diesem Thema im TV beschäftigt.

Hast du z.B. neulich das Fernsehspiel gesehen, über 1968, wo die Studentin sich in den Arbeiter verliebt?

A 2 Ach ja, wo die sich unterm Wasserwerfer küssen?

A1 War das nicht grau-en-haft?

A2 Und diese Ho-Tschi-Minh-schreienden Statisten!

A1 Solche Peinlichkeiten müssen wir natürlich vermeiden. Keine Idealisierungen, keine falschen Töne. Wir haben doch beide unsere Erfahrungen aus dieser Zeit!

[…]

V. Akt „Es gibt Brücken, zu denen von keiner Seite ein Zugang ist.“

(Erich Franzen, Eiserne Blätter)

1. Szene. Schneideraum

Und wieder ist ein Winter vergangen. Die Serie ist abgedreht. A 1 und A 2 lassen sich das Ergebnis vorführen. Sie sind schon bei Folge 5. Ihr Blutdruck ist

sprunghaft gestiegen, ihre Hände zittern, die Haare stehen ihnen zu Berge, die Schuhbänder sind ihnen aufgegangen. P(roduzent) betritt den Raum.

P Na, wie finden Sie‘s?

A 1 Die Mühe, die wir uns mit den Büchern gemacht haben, finde ich in den Filmen nicht wieder.

P So? Und ich finde, das ist die beste Serie, die wir je gemacht haben. Und der Sender ist auch zufrieden.

A 2 Ich bin erschüttert.

P Gut, ich nehme das zur Kenntnis. Das ist eine Geschmacksfrage.

A1 Nein, das ist eine Qualitätsfrage.

A 2 Die Studenten werden doch hier im Grunde diffamiert.

P Ihre Bücher sind Wort für Wort verfilmt worden.

A 2 Ja, aber wie? Die Studenten wirken doch alle wie Schnösel! …

Und der Satz über Willy Brandt ist gestrichen: „Zum ersten Mal in der deutschen Geschichte wird ein Antifaschist Bundeskanzler.“…

P Dem Regisseur war vielleicht was anderes wichtig als Ihnen.

A 1 und A 2 Ja! Die Einebnung! Glattbügeln!

[…]

3. Szene. Wohnung

A 1 telefoniert mit P. A 2 sitzt daneben.

A 1 (in den Hörer) Tut mir leid. Sie haben sich uns gegenüber korrekt verhalten, aber unter diese Serie können wir nicht unsere Namen setzen. (Verabschiedung)

A 2 Na, was sagt er?

A 1 Er ist traurig und bestürzt. Er sagt, wir schaden uns nur selbst. Und man wird uns für eitle Querulanten halten.

A 2 Macht nichts. Man kann nicht alles schlucken. Es gibt eine Grenze, und die ist erreicht.

*

Nachbemerkung

Diese Szenen sind selbstverständlich erstens maßlos übertrieben und zweitens total frei erfunden.

Sie haben nicht das geringste mit irgendwelchen wirklichen Personen und Verhältnissen zu tun.

76

Die Drehbücher für die Fernsehserie Die Zeiten

ändern sich wurden 1981 von Ulf Miehe

und Klaus Richter geschrieben. Nachdem die

beiden Autoren die fertigen Episoden gesehen

hatten, zogen sie ihre Namen zurück. Daraufhin

veröffentlichten sie diesen Text.

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