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CRESCENDO 2/18 März-Mai 2018

CRESCENDO - Das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Christa Ludwig, Philippe Entremont und Daniel Barenboim.

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E R L E B E N<br />

Thomanerchor<br />

Prof. Robert Levin<br />

FOTO: LTS-SCHMIDT; MATTHIAS KNOCH; CLIVE BARDA<br />

DIE WAHRE ART,<br />

DAS KLAVIER ZU SPIELEN<br />

Prof. Robert Levin ist Präsident des Internationalen Johann-Sebastian-Bach- Wettbewerbs Leipzig<br />

und einer der wichtigsten Bach-Interpreten und Mozart-Editoren. VON ROLAND H. DIPPEL<br />

crescendo: Seit 15 Jahren sind Sie Präsident des Internationalen<br />

Bach-Wettbewerbs, der alle zwei Jahre nach dem Leipziger<br />

Bachfest stattfindet. Was ist Ihr persönliches Anliegen dabei?<br />

Robert Levin: Tiefsinnigkeit und Stilkenntnis. Hier geht es nicht<br />

nur um makellose Leistungen. In unseren Jurys sitzen einige der<br />

weltweit besten Bach-Interpreten verschiedenen Alters, die über<br />

Reife und ein persönliches Ausdrucksspektrum verfügen.<br />

Sie selbst spielen auf dem Cembalo, Hammerklavier und Flügel<br />

Werke vom späten 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Wie<br />

ausschlaggebend sind für Sie in diesem enormen Spektrum<br />

Epochenbegriffe wie „Barock“ oder „Romantik“?<br />

In den nächsten Monaten erscheint beim Label ECM mein Zyklus<br />

aller Klaviersonaten von Wolfgang Amadeus Mozart, die ich auf<br />

seinem Hammerklavier in Salzburg einspielen durfte. Das erwähne<br />

ich, weil ich bei Recherchen für Werke Mozarts und seiner Zeitgenossen<br />

immer wieder auf theoretische Ausführungen der Aufklärung<br />

zurückkomme. Hier darf nicht die eigene emotionale Subjektivität<br />

im Vordergrund stehen, sondern die „wahre Art, das Klavier<br />

zu spielen“, um es mit Carl Philipp Emanuel Bach zu sagen. Er gibt<br />

kaum Anweisungen zu einer emotionalen oder philosophischen<br />

Auslegung, sondern zu Spiel, Technik und Aufführungspraxis.<br />

Da unterscheiden sich das von aufklärerischen Impulsen geprägte<br />

<strong>18</strong>. und das in der Kunst eher emotional geprägte 19. Jahrhundert<br />

voneinander.<br />

Warum?<br />

Betrachten Sie die Notationen für Cembalo aus dem <strong>18</strong>. Jahrhundert.<br />

Bei den Bach-Söhnen und ihren Zeitgenossen steht die Artikulation<br />

ganz vorn: Die Notation zeigt mit penibler Genauigkeit<br />

die Töne, die abzusetzen beziehungsweise<br />

in kleinen Gruppierungen gebunden zu<br />

erklingen haben. Frédéric Chopin hat<br />

um <strong>18</strong>30 dagegen lange Legato-Bögen<br />

BACHFEST LEIPZIG 8. bis 17. Juni<br />

Informationen und Kartenservice:<br />

Tel.: +49-(0)341-91 37 300<br />

bachfest@bach-leipzig.de | www.bachfestleipzig.de<br />

gewölbt, die oft über Notenzeilen hinausreichen: Das Tasteninstrument<br />

hatte nicht mehr zu sprechen, sondern zu singen. Robert<br />

Schumann hatte dagegen meist das Wort „Pedale“ am Satzanfang<br />

eingetragen, um dem Interpreten die Verantwortung zu überlassen.<br />

Gibt es eine wissenschaftlich legitimierte Grenze zwischen der<br />

Intuition des Augenblicks im Konzert und dem Notentext?<br />

Der Notentext stellt die Absichten des Komponisten dar, ist jedoch<br />

keinesfalls ein lückenloses Indiz zum Vortrag. Im Barock und der<br />

Klassik bis in das 19. Jahrhundert waren Verzierung und Improvisation<br />

Bestandteile der Aufführung, und die Komponisten gingen<br />

von diesen Ergänzungen aus, besonders bei Wiederholungen.<br />

Wollen Sie junge Musiker zu mehr Risiko und Individualität<br />

ermutigen?<br />

Eine gelungene Interpretation muss im Zuhörer das Gefühl des<br />

Risikos wachrufen. Die Bereitschaft, Chancen zu nehmen, steigert<br />

das Drama und wird aus der Intuition des Augenblicks springen.<br />

Intuition ist eine Synthese von Instinkt, der uns angeboren ist, und<br />

Wissenschaft, die wir studiert haben. Immer wieder entdeckt man<br />

sogar bei Werken, die man schon oft aufgeführt hat, Feinheiten,<br />

die man immer übersehen hat. Das beeinflusst natürlich die Einstellung<br />

zu den Werken und die Interpretation.<br />

Wer hat Sie inspiriert?<br />

Im Alter von 12 bis 16 Jahren hatte ich das Riesenglück, Schüler<br />

von Nadia Boulanger zu sein, der wohl genialsten Musiklehrerin<br />

des 20. Jahrhunderts. Das bereichert mein gesamtes musikalisches<br />

Leben bis heute.<br />

Treten Sie dieses Jahr selbst beim Bachfest auf?<br />

Am 15. Juni spiele ich im vierten Teil des Zyklus aus dem Wohltemperierten<br />

Klavier und die Sieben Charakterstücke<br />

des Gewandhauskapellmeisters<br />

Felix Mendelssohn Bartholdy. n<br />

48 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>

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