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CRESCENDO 4/18 Juni-Juli-August 2018

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit John Neumeier, Sophie Pacini, Hans Sigl und David Aaron Carpenter.

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart.
Interviews unter anderem mit John Neumeier, Sophie Pacini, Hans Sigl und David Aaron Carpenter.

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20 JAHRE<br />

AUSGABE 04/20<strong>18</strong> JUNI – JULI – AUGUST 20<strong>18</strong><br />

www.crescendo.de 7,90 EURO (D/A)<br />

PREMIUM<br />

AUSGABE<br />

inkl. CD<br />

MUSIK & RAUM<br />

Eine Liebesgeschichte zwischen<br />

Architektur und Klang<br />

BENJAMIN SCHMID &<br />

ANDREAS MARTIN HOFMEIR<br />

Violine und Tuba – ein wohl<br />

weltweit einzigartiges Duo<br />

John<br />

Neumeier<br />

„Ich bin hungrig nach<br />

emotionalem Erleben“<br />

B47837 Jahrgang 21 / 04_20<strong>18</strong><br />

Mit Beihefter CLASS: aktuell<br />

und Special musica viva<br />

STAATSPHILHARMONIE<br />

RHEINLAND-PFALZ<br />

Abschied und Aufbruch:<br />

Das aktuelle Führungs-Duo<br />

des Orchesters geht, sein<br />

Feuer und seine musikalische<br />

Leidenschaft bleiben.


MET<br />

OPERA<br />

LIVE IM KINO<br />

20<strong>18</strong>/2019<br />

6. Oktober<br />

AIDA<br />

Giuseppe Verdi<br />

20. Oktober<br />

SAMSON ET<br />

DALILA<br />

Camille Saint-Saëns<br />

27. Oktober<br />

LA FANCIULLA<br />

DEL WEST<br />

Giacomo Puccini<br />

10. November<br />

MARNIE<br />

Nico Muhly<br />

15. Dezember<br />

LA TRAVIATA<br />

Giuseppe Verdi<br />

12. Januar<br />

ADRIANA<br />

LECOUVREUR<br />

Francesco Cilea<br />

2. Februar<br />

CARMEN<br />

Georges Bizet<br />

2. März<br />

LA FILLE DU<br />

RÉGIMENT<br />

Gaetano Donizetti<br />

30. März<br />

DIE WALKÜRE<br />

Richard Wagner<br />

11. Mai<br />

DIALOGUES DES<br />

CARMÉLITES<br />

Francis Poulenc<br />

PHOTO: VINCENT PETERS / METROPOLITAN OPERA<br />

Änderungen vorbehalten<br />

C L A S S I C<br />

The Met: Live in HD series is made possible by<br />

a generous grant from its founding sponsor<br />

Digital support of The Met:<br />

Live in HD is provided by<br />

The HD broadcasts are supported by<br />

www.metimkino.de


P R O L O G<br />

FOTOS TITEL: KIRAN WEST; ULRICH OBERST; ARENA DI VERONA / ENNEVI<br />

WINFRIED HANUSCHIK<br />

Herausgeber<br />

WIDERHALL<br />

Liebe Leser,<br />

wahrscheinlich haben Sie die Aufregung<br />

um den Popmusik-Preis ECHO verfolgt:<br />

Zwei einfältige Jungs haben ein paar<br />

geschmacklose Liedzeilen zusammengestopselt<br />

und nuschelnd eingesungen. Das<br />

Musikgenre nennt sich Battle-Rap. Da ist<br />

es das erklärte Ziel, möglichst krasse<br />

Provokationen zu formulieren, ohne<br />

Rücksicht auf Verluste. Das hat geklappt:<br />

Die Auszeichnung ECHO wurde nach fast<br />

40 Jahren abgeschafft, infolge einer<br />

Kaskade massiver Fehlentscheidungen.<br />

Aber warum musste eigentlich der Preis<br />

die Verantwortung übernehmen und nicht<br />

diejenigen, die die Fehlentscheidungen<br />

getroffen haben? Warum lässt man es zu,<br />

dass sich Hunderte zu Recht ausgezeichnete<br />

Künstler nun für ihren Preis schämen,<br />

um ihre verdiente Anerkennung<br />

betrogen werden? Das verstehe ich nicht.<br />

Als ob das nicht genug menschliches<br />

Versagen wäre, wurden in fast trotzigem<br />

An dieser Stelle<br />

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Überschwang der ECHO KLASSIK und<br />

der ECHO JAZZ gleich mit ins Grab<br />

geworfen. Warum? Was haben diese<br />

Auszeichnungen mit dem Pop-Debakel zu<br />

tun? Das weiß keiner so recht. Denn im<br />

Gegensatz zum ECHO POP wurden bei<br />

diesen beiden Veranstaltungen die<br />

Preisträger immer schon mittels Juryentscheid<br />

gewählt.<br />

Gern kritisiert wurde der ECHO POP<br />

dafür, dass er im Wesentlichen die<br />

bestverkauften Künstler auszeichnet.<br />

Warum? „Meistverkauft“ repräsentiert die<br />

„Stimme der vielen“, „die Schwarmintelligenz“,<br />

„das Prinzip der Demokratie“. Die<br />

meisten Rangreihen arbeiten nach dieser<br />

Logik: ob „Top Ten“, „Charts“ oder die<br />

„Spiegel-Bestsellerliste“. Beim ECHO<br />

steckt dieser Widerhall schon im Namen.<br />

Das Ergebnis mag einem persönlich<br />

missfallen. Aber das Urteil der Mehrheit<br />

abzulehnen, würde bedeuten, das Prinzip<br />

der Demokratie abzulehnen.<br />

In der Causa ECHO steckt eine ganze<br />

Reihe längst überfälliger Debatten: Was<br />

machen wir mit der Demokratie, wenn sie<br />

diskriminierend wird? Warum hören und<br />

kaufen eigentlich so viele Menschen<br />

Musik mit menschenfeindlichen Texten?<br />

Warum setzt die gesellschaftliche<br />

Diskussion erst bei Antisemitismus ein?<br />

Sind Rassismus, Sexismus und andere<br />

Diskriminierungen weniger schlimm?<br />

Sind menschenverachtende Aussagen<br />

durch die Presse-, Kunst- oder Meinungsfreiheit<br />

gedeckt? Wer darf/soll/muss<br />

darüber entscheiden? Und was bedeutet<br />

das alles für das Funktionieren und das<br />

Vertrauen in unsere Demokratie?<br />

Lasst uns einen Neuanfang wagen, damit<br />

die ganze Aufregung nicht umsonst war.<br />

Ich freue mich darauf!<br />

Mit herzlichen Grüßen<br />

Ihr Winfried Hanuschik<br />

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w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong> 3


P R O G R A M M<br />

ANTON<br />

BRUCKNER<br />

SYMPHONIE NR. 8<br />

06<br />

BLICKFANG<br />

Im Geiste des japanischen<br />

Butoh-Theaters schafft<br />

Anna-Varney Cantodea eine<br />

Körperästhetik der Verfremdung<br />

und Düsternis.<br />

14<br />

JOHN NEUMEIER<br />

Er malt mit Menschen in Zeit<br />

und Raum! Wohl kaum ein<br />

Künstler prägt die europäi sche<br />

Tanzszene mehr als<br />

John Neumeier.<br />

42<br />

MARIE-ELISABETH<br />

HECKER<br />

Die deutsche Cellistin interpre tiert<br />

Edward Elgars sehnsuchtsvolle<br />

Spätwerke durchdringlich und<br />

voller Feinsinn.<br />

STANDARDS<br />

KÜNSTLER<br />

HÖREN & SEHEN<br />

Foto © Peter Meisel<br />

Die neue CD von BR Klassik<br />

präsentiert die aktuelle<br />

Aufnahme eines Meilensteins<br />

des symphonischen Repertoires:<br />

Mariss Jansons und die Musiker<br />

des Symphonieorchesters<br />

des Bayerischen Rundfunks<br />

widmen sich Anton Bruckners<br />

monumentaler Achter Symphonie<br />

mit einem Höchstmaß an<br />

Spielfreude und Klangkultur.<br />

MARISS JANSONS<br />

Symphonieorchester des<br />

Bayerischen Rundfunks<br />

Im Vertrieb von Naxos Deutschland<br />

br-klassik.de/label<br />

Erhältlich im Handel und im BRshop / br-shop.de<br />

03 PROLOG<br />

Der Herausgeber stellt<br />

die Ausgabe vor<br />

06 BLICKFANG<br />

Anna-Varney Cantodea<br />

08 OUVERTÜRE<br />

Dr. Goeths Kuriosa<br />

Divenkrieg: Maria Callas<br />

gegen Renata Tebaldi<br />

Ein Anruf bei …<br />

Jörg Piringer von The<br />

Vegetable Orchestra<br />

Ensemble<br />

Mit unseren Autoren<br />

hinter den Kulissen<br />

Klassik in Zahlen<br />

Playlist<br />

Greg Anderson und<br />

Elizabeth Joy Roe<br />

46 IMPRESSUM<br />

50 RÄTSEL &<br />

REAKTIONEN<br />

98 HOPE TRIFFT …<br />

Dr. Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter<br />

der<br />

Bundesregierung<br />

12 EIN KAFFEE MIT ...<br />

Hans Sigl<br />

14 JOHN NEUMEIER<br />

Die Tanzlegende schöpft<br />

ihre Inspiration aus der<br />

Emotion<br />

<strong>18</strong> DAVID AARON<br />

CARPENTER<br />

Der renommierte<br />

Bratscher handelt auch mit<br />

wertvollsten Instrumenten<br />

20 SOPHIE PACINI<br />

In den Abgründen<br />

Robert Schumanns<br />

22 BENJAMIN SCHMID<br />

UND ANDREAS<br />

MARTIN HOFMEIR<br />

Violine meets Tuba – ein<br />

besonders kurioses Duo<br />

26 SOPHIE<br />

KARTHÄUSER &<br />

MICHAEL VOLLE<br />

Jeder sollte Bach und<br />

Mozart singen!<br />

28 JOSHUA BELL<br />

Warum Konzertmeister die<br />

perfekten Dirigenten sind<br />

30 KOMMENTAR<br />

Axel Brüggemann über<br />

den ECHO-Skandal<br />

32 RAY CHEN<br />

Ein Weltklassegeiger<br />

zwischen Nostalgie und<br />

Social Media<br />

35 DIE WICHTIGSTEN<br />

EMPFEHLUNGEN DER<br />

REDAKTION<br />

36 ATTILAS AUSWAHL<br />

Diese Alben machen richtig<br />

gute Laune!<br />

44 UNERHÖRTES &<br />

NEU ENTDECKTES<br />

Hörenswertes von Cluytens,<br />

Keilberth und anderen<br />

48 KLARINETTEN-<br />

SYSTEME<br />

Französisches versus<br />

deutsches System – mehr als<br />

eine Glaubensfrage<br />

EXKLUSIV<br />

FÜR ABONNENTEN<br />

Hören Sie die Musik zu<br />

unseren Texten auf der<br />

crescendo Abo-CD –<br />

exklusiv für Abonnenten.<br />

Infos auf den Seiten 3 & 80<br />

4 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong><br />

FOTOS: SOPOR AETERNUS; KIRAN WEST; HARALD HOFFMANN


ANDERSON & ROE<br />

Klavierduo<br />

MOTHER -<br />

a musical tribute<br />

EINZIGARTIGE ARRANGEMENTS<br />

WELTBEKANNTER HITS<br />

60<br />

STAATS-<br />

PHILHARMONIE<br />

RHEINLAND-PFALZ<br />

Das Orchester stellt Künstler<br />

wie Pinchas Zukerman<br />

in den Fokus.<br />

73<br />

MUSIK & RAUM<br />

Kulturtempel, Industrieruine<br />

oder Freiluftkulisse – wie<br />

Klang den Raum beeinflusst<br />

und Raum den Klang.<br />

94<br />

GRAZ<br />

Musik, Kunst und Kultur – ein<br />

Spaziergang mit Dirigentin<br />

Oksana Lyniv durch Österreichs<br />

malerische Metropole.<br />

ERLEBEN<br />

SCHWERPUNKT<br />

LEBENSART<br />

51 DIE WICHTIGSTEN<br />

TERMINE UND<br />

VERANSTALTUN-<br />

GEN IM SOMMER<br />

77 MUSIK & RAUM<br />

Die Suche nach der<br />

perfekten Proportion in<br />

Architektur und Musik<br />

88 WEINKOLUMNE<br />

John Axelrod über<br />

Wein aus und Musik an<br />

kuriosen Orten<br />

FOTOS: CHERYL MAZAK; ANDREW KLOTZ; SERHIY HOROBETS UND VIKTOR ANDRIICHENKO<br />

58 FESTIVALS IN<br />

ITALIEN<br />

Sommer, Sonne und<br />

Klanggenuss im Süden<br />

60 STAATS-<br />

PHILHARMONIE<br />

RHEINLAND-PFALZ<br />

Eine ganze Metropolregion<br />

im Musikglück<br />

62 KLAVIER-FESTIVAL<br />

RUHR<br />

Große Künstler gratulieren<br />

zum 30. Geburtstag<br />

64 MARKGRÄFLICHES<br />

OPERNHAUS<br />

BAYREUTH<br />

Das architektonische Juwel<br />

ist wiedereröffnet<br />

musica viva<br />

des Bayerischen Rundfunks<br />

Ein Beihefter mit der<br />

Saison-Vorschau 20<strong>18</strong>/19.<br />

Sir Simon Rattle gibt mit<br />

dem LSO sein erstes<br />

Münchner Gastspiel<br />

ab Seite 65<br />

81 CARILLON<br />

Die Kunst des Glockenspiels<br />

im öffentlichen<br />

Raum<br />

82 KONZERTSAAL-<br />

AKUSTIK<br />

Fassade oder Ohrenschmaus?<br />

Wie baut man<br />

den idealen Konzertsaal?<br />

85 WOHER KOMMEN<br />

EIGENTLICH ...<br />

... die außermusikalischen<br />

Klänge im Raum?<br />

86 MUSIK IN DEN<br />

BERGEN<br />

Immer mehr Festivals<br />

locken in felsige Höhen.<br />

Warum?<br />

90 DIE NEUE<br />

<strong>CRESCENDO</strong>-<br />

WEBSITE<br />

Unsere frischgebackene<br />

Homepage lockt mit vielen<br />

Vorteilen und Neuerungen<br />

91 IOAN HOLENDER<br />

BEI SERVUS TV<br />

Wir begleiteten den<br />

Kulturexperten beim<br />

Filmdreh<br />

92 STARS KOCHEN<br />

FÜR <strong>CRESCENDO</strong><br />

Linus Roth und<br />

Ali Güngörmüş mit<br />

bayerischen Garnelen<br />

auf Taboulehsalat<br />

94 GRAZ<br />

Durch das Herz der<br />

Steiermark mit Dirigentin<br />

Oksana Lyniv<br />

97 VERNISSAGE<br />

MARTIN WIDL<br />

Erstmals lädt crescendo<br />

zu einer Ausstellung<br />

5<br />

SWR19058CD<br />

Das Klavierduo Anderson & Roe ist weltweit<br />

für seine originellen Programmideen und<br />

Arrangements bekannt.<br />

Auf ihrer aktuellen CD zum Thema<br />

„Mutter“ bewegen sich die Arrangements<br />

zwischen Franz Schubert und<br />

Freddie Mercury, Edvard Grieg und Paul<br />

McCartney.<br />

Extrem hörenswert und ein perfektes<br />

Geschenk zum Muttertag!<br />

Im Vertrieb von NAXOS Deutschland<br />

www.naxos.de<br />

www.naxosdirekt.de


O U V E R T Ü R E<br />

6 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


Schmerz, Isolation, Depression<br />

Die Transgender-Künstlerin Anna-Varney Cantodea kreiert mit ihrer Gruppe Sopor<br />

Aeternus & the Ensemble of the Shadows eine tiefschwarze Mischung aus Musik,<br />

Lyrik und visuellen Elementen. Musikalisch am ehesten noch der Gothic-Rock-Musik<br />

zuzuordnen, sind ihre Bewegungen vom Butoh-Theater inspiriert – einer Form des<br />

japanischen Ausdruckstanzes, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstand. Als Form<br />

des Protests gegen das aktuelle – insbesondere amerikanische – Tanztheater entstanden,<br />

steht in dessen radikaler und düsterer Ästhetik der ver- und entfremdete,<br />

weiß geschminkte und nackte Körper im Vordergrund, der sich jenseits der gängigen<br />

Schönheitsdeale verbiegt und verrenkt. Anna-Varney Cantodea selbst, die ihren Stil<br />

als „introvertierten Exhibitionismus“ beschreibt, tritt übrigens niemals live auf. Sie<br />

lebt ihr Leben und ihre Kunst abseits alles Menschlichen.<br />

FOTO: SOPOR AETERNUS


O U V E R T Ü R E<br />

Dr. Goeths Kuriosa<br />

BIS DIE RADIESCHEN FLOGEN!<br />

In den 1950ern und 60ern lieferten sich die beiden Super-Primadonnen Maria Callas<br />

und Renata Tebaldi einen filmreifen Zickenkrieg.<br />

„Hörer, Hörer, gelehrt und gespannt,<br />

wer singt am schönsten im<br />

ganzen Land?“ mag wohl die Frage<br />

gewesen sein, die die Gemüter<br />

der Opernfans in den 50er-Jahren<br />

erhitzte. Es wurde wild gefochten,<br />

ob nun Maria Callas oder Renata<br />

Tebaldi die bessere Sängerin<br />

sei. Während die Amerikaner einen<br />

Platz nach der Tebaldi benannten<br />

und die Brasilianer sich darum rangelten,<br />

eine Locke aus ihrer Frisur<br />

zu ergattern, versuchten die italienischen<br />

Anhänger der Callas, die<br />

Tebaldi mit Telefonterror und Drohbriefen mürbe zu machen. Die<br />

Callas selbst setzte sich bei Auftritten der Tebaldi demonstrativ in<br />

die Mittelloge, um die Gegnerin mit bösen Blicken zu durchbohren.<br />

Auf Initiative von Tebaldis Managerin, ihrer Mutter Giuseppina, wurde<br />

die Callas daraufhin in eine Seitenloge verbannt. Die „Tebaldianer“<br />

ihrerseits rächten sich damit, die Callas bei Vorstellungen in der Mailänder<br />

Scala mit Bouquets aus Radieschen und Sellerie zu bewerfen.<br />

Der Schein trügt: Nicht immer lagen sich die Callas<br />

und die Tebaldi in den Armen!<br />

In ihrer Kurzsichtigkeit soll die Callas<br />

einen dieser Radieschen-Sträuße<br />

tatsächlich versehentlich aufgehoben<br />

haben. Ihren Fehler erkennend,<br />

bedankte sie sich geistesgegenwärtig<br />

für den leckeren Salat.<br />

Die Klatschpresse freute sich naturgemäß<br />

über den Primadonnenzwist<br />

und titelte mit Schlagzeilen<br />

wie „Kampf zwischen Adler und<br />

Taube“ oder „Tigerin gegen Engel“.<br />

Die Tebaldi überhaupt mit ihr zu<br />

vergleichen, sei, wie Coca-Cola gegen<br />

Champagner zu halten, war die Callas selbstbewusst überzeugt.<br />

Sowieso: Tebaldi habe kein Rückgrat. Doch die Tebaldi selbst, der<br />

von keinem Geringeren als Arturo Toscanini eine „voce d’angelo“, eine<br />

„Engelsstimme“, bescheinigt wurde, geiferte schlagfertig zurück:<br />

„Frau Callas behauptet, eine Frau von Charakter zu sein, und erklärt<br />

zugleich, dass ich kein Rückgrat habe. Meine Antwort: Ich habe etwas,<br />

was sie nicht hat, nämlich ein Herz.“<br />

ZITAT DES MONATS<br />

„DIE MUSIK HAT VON ALLEN KÜNSTEN DEN TIEFSTEN<br />

EINFLUSS AUF DAS GEMÜT. EIN GESETZGEBER SOLLTE<br />

SIE DESHALB AM MEISTEN UNTERSTÜTZEN.“<br />

NAPOLEON I. BONAPARTE<br />

HÄTTEN SIE’S GEWUSST?<br />

Musikalischer Eierkocher:<br />

In der Zeit vor der Allgegenwart<br />

von Küchenweckern und<br />

Haushalts-Apps konnte Musik<br />

durchaus auch am Herd von<br />

Nutzen sein: Um <strong>18</strong>82 war die<br />

Eier-Polka op. 35 von L. Hardtberg<br />

ein Hit. Bei mittlerem<br />

Tempo dauert sie genau drei Minuten lang. In der Gebrauchsanweisung<br />

heißt es: „Lege Eier in kochendes Waser,<br />

dann spiel’ die Eier-Polka, allegro moderato; wenn die<br />

Musik beendet ist, nimm die Eier aus dem Topf, und sie<br />

sind fertig zum Servieren.“<br />

(Quelle: Rainer Schmitz und Benno Ure: Tasten, Töne und Tumulte. Alles, was Sie über<br />

Musik nicht wissen. München, 2016)<br />

FOTO: JOE SKILLINGTON /<br />

UNSPLASH<br />

8 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


O U V E R T Ü R E<br />

KLASSIK<br />

IN ZAHLEN<br />

300 Betrag,<br />

300<br />

Und noch mal<br />

Millionen Euro<br />

den die Bundesregierung<br />

20<strong>18</strong> im Vergleich zum<br />

Vorjahr mehr für Kultur und<br />

Medien ausgeben will.<br />

Das wäre eine Steigerung um<br />

23 Prozent auf 1,67 Milliarden<br />

Euro gesamt.<br />

Millionen Euro:<br />

Betrag, der maximal für den Bau des<br />

neuen Münchner Konzerthauses ausgegeben<br />

werden soll.<br />

1.074.300.00<br />

Euro:<br />

Umsatz der GEMA 2017<br />

42.000<br />

US-Dollar: Betrag, für den im April ein<br />

Schweizer Jude einen antisemitischen Brief<br />

Richard Wagners ersteigert hat. Darin<br />

warnt Wagner den französischen Philosophen<br />

Edouard Schuré vor dem „zersetzenden<br />

Einfluss des jüdischen Geistes auf<br />

die moderne Kultur“.<br />

NEWSTICKER<br />

Erste Uraufführung bei den Bayreuther Festspielen seit 136 Jahren: Auf die Initiative von Katharina Wagner hin wird dieses Jahr im<br />

Rahmen der Bayreuther Festspiele die Oper der verschwundene hochzeiter des österreichischen Komponisten Klaus Lang uraufgeführt. Es ist die<br />

erste Premiere nach Richard Wagners Parsifal <strong>18</strong>82. +++ Schwangere Pamina gefeuert: Die Staatsoper Hamburg hat die französische Sopranistin<br />

<strong>Juli</strong>e Fuchs aus ihrer aktuellen Zauberflöten-Produktion ausgeladen. Die Inszenierung sei zu riskant für eine werdende Mutter. Die Sängerin<br />

selbst zeigte sich schwer enttäuscht. Ihrer Ansicht nach hätte es andere Lösungen gegeben. +++ Gitarrenhersteller Gibson insolvent: Im<br />

Mai wurde bekannt, dass der legendäre amerikanische Gitarrenbauer Gibson mit rund 500 Millionen Dollar verschuldet ist. Rettung ist wohl nur<br />

noch durch radikale Umschuldung zu erwarten. +++ OJM wird JCOM: Das Orchester Jakobsplatz München heißt jetzt Jewish Chamber Orchestra<br />

Munich. Mit der Namensänderung möchte das Orchester seine Verankerung in der jüdischen Gegenwartskultur noch deutlicher machen.<br />

9


O U V E R T Ü R E<br />

Gemüse-Musik<br />

Ein Anruf bei Jörg Piringer, Musiker bei The Vegetable Orchestra, einem Wiener Ensemble,<br />

das ausschließlich auf frischem Obst und Gemüse musiziert.<br />

crescendo: Herr Piringer, The Vegetable<br />

Orchestra macht ausschließlich Musik auf<br />

Obst und Gemüse? Wie kam es dazu?<br />

Jörg Piringer: Als wir vor 20 Jahren begonnen haben,<br />

wollten wir einfach Musik auf ungewöhnlichen<br />

Gegenständen machen. Da fiel uns Gemüse<br />

ein. Ursprünglich sollte es nur eine einzelne<br />

Performance damit geben, aber es kam so gut an,<br />

dass wir dabei geblieben sind. Es stellte sich heraus,<br />

dass mit Gemüse unheimlich viel anzufangen<br />

ist. Es ermöglicht eine Klangvielfalt, die uns<br />

bis heute interessiert.<br />

Begonnen hat alles ausgerechnet mit Tomaten?<br />

Es gibt ein Stück, bei dem jeder Musiker zwei<br />

Tomaten in der Hand hat, die er gegeneinanderschlägt.<br />

Im Laufe des Stücks werden die Tomaten immer weicher,<br />

wodurch sich der Klang verändert – von perkussiv zu mehr feucht<br />

und matschig. Das Stück endet, wenn die Tomaten kaputt sind.<br />

Wie kommt Ihr Repertoire zustande?<br />

Es gibt nur wenige Stücke, die wir nicht selbst schreiben. Sie werden<br />

von einzelnen Mitglieder unserer zehnköpfigen Ensembles komponiert<br />

oder entstehen aus der Improvisation. Und wenn wir fremde<br />

Stücke spielen, verändern wir diese stark, denn es ist eben Gemüse-<br />

Musik – und die ist sehr speziell.<br />

Ihr persönliches Lieblingsinstrument?<br />

Ich spiele gerne Flöten, die aus Karotten oder Rettichen gemacht sind.<br />

Karotten sind sehr universell, weil sie sehr hart und gut schnitzbar<br />

sind. Aber es gibt so vieles: Zwei aneinandergeriebene Krautblätter<br />

geben einen Quietschklang, der – richtig gespielt – sehr spanned und<br />

subtil sein kann. Wichtig für uns ist auch der Kürbis, der als Paukenersatz<br />

verwendet wird. Generell gibt es viele Perkussions instrumente:<br />

gegeneinandergeschlagene Auberginen, ausgehölte Sellerieknollen.<br />

Dann viele Flötenarten – im Block- oder Panflötenstil. Das Gurkofon<br />

ist eher den Blechblasinstrumenten nachempfunden: ein trompetenartiges<br />

Instrument aus einer Salatgurke. Gemüse ist so vielfältig –<br />

selbst wir kommen bei jeder Probe auf etwas Neues!<br />

Jörg Piringer mit Karottophon<br />

Zu jedem Konzert müssen Sie Ihr Instrumentarium<br />

neu bauen. Ist man da nicht mehr mit<br />

Bauen als mit Musizieren beschäftigt?<br />

Tatsächlich dauert die Vorbereitung immer einen<br />

ganzen Tag: Zum Bauen brauchen wir circa zwei<br />

bis drei Stunden. Danach gibt es einen ausführlichen<br />

Soundcheck, da ja alles immer wieder neu ist.<br />

Wie schaut es mit der „Entsorgung“ des Instrumentariums<br />

aus?<br />

Nach jedem Konzert gibt es für das Publikum<br />

eine Suppe aus dem nicht verwendeten Gemüse.<br />

Die gespielten Instrumente, in die wir teils schon<br />

hi neingeblasen haben, verkochen wir natürlich<br />

nicht, verschenken sie aber ans Publikum. Da<br />

sieht man dann Menschen mit unseren Instrumenten<br />

durch die Straßen gehen. Wir werfen also relativ wenig weg.<br />

Beim Schneiden der Instrumente fällt natürlich, wie in jeder Küche,<br />

ein bisschen Abfall an.<br />

Führt die unterschiedliche Beschaffenheit des Gemüses oft zu<br />

Pannen und Problemen?<br />

Natürlich. Das planen wir zum Teil mit ein, zum anderen merken<br />

wir schon beim Bauen, was weniger haltbar ist. Dann muss man das<br />

Instrument anders bearbeiten oder ersetzen oder baut einfach zwei,<br />

um Ersatz zu haben. Dass der Klang nie perfekt ist, das wissen wir,<br />

und damit spielen wir bewusst.<br />

Sie haben auch Alben aufgenommen, aber kommt es bei Gemüse-Musik<br />

nicht besonders auf die Optik an?<br />

Uns ist sehr wichtig, dass die Musik auch auf rein akustischer Ebene<br />

funktioniert. Aber natürlich ist es spannend, uns auch zu sehen:<br />

Man kennt die Instrumente nicht, und es tritt live ein Verfall ein.<br />

Das sieht man, das hört man, und wenn man in den ersten Reihen<br />

sitzt, dann riecht man das auch. Manche unserer Instrumente geben<br />

einen starken Duft ab. Ein multisensorisches Erlebnis!<br />

Von Maria Goeth<br />

Aktuelle Konzerttermine und Infos zu The Vegetable Orchestra finden<br />

Sie unter www.vegetableorchestra.org<br />

HINTER DER BÜHNE<br />

Die Welt von crescendo lebt von den Künstlern und Mitarbeitern,<br />

die sie mit Leben füllen. Deshalb der gewohnte Blick hinter die Kulissen der Produktion.<br />

ANNETT FORCIER<br />

In den vergangenen Monaten stand das crescendo-Team vor einem schier unbewältigbaren<br />

Mammutprojekt: dem vollständigen Relaunch unserer Website<br />

(www.crescendo.de; siehe auch S. 90). Doch zum Glück konnten wir Annett Forcier<br />

für die heikle Aufgabe gewinnen. Vor vielen Jahren hatte sie für einige Zeit in München<br />

gelebt und auch für crescendo gearbeitet. Seit 13 Jahren lebt und arbeitet die<br />

Digitaldesignerin und Webentwicklerin nun schon in Vancouver. Für uns schwebte sie<br />

extra aus Kanada ein und brachte neben der Website auch den crescendo-Newsletter<br />

auf Vordermann. Noch immer optimieren und überarbeiten wir fleißig und freuen uns<br />

riesig über diesen wunderbaren Neustart!<br />

FOTOS: PRIVAT; ZOEFOTOGRAFIE<br />

10 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


PLAYLIST<br />

Gerade haben die beiden amerikanischen Pianisten<br />

Greg Anderson und Elizabeth Joy Roe ein Album mit<br />

originellen neuen Eigenbearbeitungen herausgebracht.<br />

Aber was hören die beiden Tastenzauberer privat?<br />

Aktuelle<br />

NEUHEITEN<br />

bei Sony Music<br />

Wiener Philharmoniker<br />

Sommernachtskonzert 20<strong>18</strong><br />

Es ist eines der schönsten<br />

Open-Air-Konzerte der Welt.<br />

Das Sommernachtskonzert<br />

der Wiener Philharmoniker<br />

wird in diesem Jahr dirigiert<br />

von Valery Gergiev. Starsolistin<br />

ist Anna Netrebko.<br />

Erhältlich ab 15.6. auf CD und<br />

ab 6.7. auf DVD und Blu-ray.<br />

GREG ANDERSON<br />

1. Francis Poulenc: Tel jour, telle nuit<br />

Ich bin völlig überwältigt von Poulencs unendlichem Einfallsreichtum.<br />

Seine Musik ist mit so großer Wärme, so freudigen Überraschungen<br />

gefüllt! Und Nous avons fait la nuit, aus diesem Liederzyklus<br />

ist vielleicht das unumwunden romantischste Lied des<br />

20. Jahrhunderts. Es berührt mich zutiefst.<br />

2. Gesualdo: Io tacerò / David Lang: wed<br />

Obwohl diese beiden Stücke im Abstand von 403 Jahren komponiert<br />

wurden, warten beide mit überwältigenden harmonischen<br />

Wendungen auf. Ich fühle mich beim Hören, als würde ich durch<br />

kosmische Regenbögen schweben. Diese beiden Stücke lege ich<br />

ein, wenn ich in eine Welt der Tagträume, der Schönheit und der<br />

frei fliegenden Gedanken entschwinden will.<br />

3. Art Tatum: Happy Feet (1938)<br />

Unglaubliches Klavierspiel. Mehr gibt’s dazu nicht zu sagen.<br />

www.wienerphilharmoniker.at<br />

Jonas Kaufmann | Verdi: Otello<br />

Jonas Kaufmanns umjubeltes<br />

Rollendebüt am Royal Opera<br />

House in London. Das<br />

hochgelobte Dirigat hatte<br />

Antonio Pappano. „Kaufmann<br />

begeistert mit einem dunklen,<br />

expressionistischen Auftritt“<br />

The Guardian.<br />

Als DVD und Blu-ray erhältlich.<br />

FOTO: ANDREAS ORBAN<br />

ELIZABETH JOY ROE<br />

1. Radiohead: Let Down<br />

Mit dem Album „OK Computer“ lernte ich in meiner Jugend<br />

die Musik von Radiohead kennen, und Let Down ist mein Lieblingstrack<br />

daraus. Er schafft ein geradezu kathartisches Hörerlebnis<br />

und repräsentiert ein Paradox vieler Radiohead-Songs: Der<br />

Text ist desillusionierend, die zugehörigen Klänge schwärmerisch.<br />

2. Sufjan Stevens, Nico Muhly, Bryce<br />

Dessner, James McAlister: Venus<br />

Ich höre mir diese schillernde, weltrauminspirierte<br />

Musik gerne im Flugzeug an. Letzten<br />

Sommer durfte ich Sufjan und Co. in<br />

L. A. erleben – eine überirdische Erfahrung:<br />

Ich aalte mich in den pulsierenden Klängen,<br />

als wäre ich von Venus selbst hypnotisiert.<br />

3. Kendrick Lamar: DAMN.<br />

Gewinner des diesjährigen Pulitzer-<br />

Preises für Musik. Mehr gibt’s dazu nicht<br />

zu sagen.<br />

Greg Anderson und Elizabeth Joy Roe:<br />

„Mother – A Musical Tribute“<br />

(SWR Music)<br />

www.jonaskaufmann.com<br />

Thomas Quasthoff | Nice’N’Easy<br />

Das erste Jazz-Album des<br />

weltweit gefeierten Bass-<br />

Baritons und mehrfachen<br />

Grammy Preisträgers<br />

Thomas Quasthoff, mit der<br />

NDR Bigband, langjährigen<br />

musikalischen Freunden<br />

wie Pianist Frank Chastenier<br />

und Schlagzeuger Wolfgang<br />

Haffner und als Gast<br />

Startrompeter Till Brönner.<br />

www.thomas-quasthoff.com<br />

11<br />

www.sonyclassical.de<br />

www.facebook.com/sonyclassical


K Ü N S T L E R<br />

Auf einen Kaffee mit …<br />

HANS SIGL<br />

VON MARIA GOETH<br />

FOTO: FOTOWUNDER<br />

12 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


Hans Sigl (*1969) ist ein österreichischer Schauspieler.<br />

Zunächst am Theater tätig, wurde er ab 2001 als Andreas Blitz in<br />

der Fernsehkrimiserie SOKO Kitzbühel bekannt. Seit 2008<br />

verkörpert er den Bergdoktor in der gleichnamigen ZDF-Serie.<br />

crescendo: Herr Sigl, in Ihrer wilden Jugendzeit haben Sie<br />

Gitarre und Schlagzeug gespielt und sich für AC/DC und Queen<br />

interessiert.<br />

Hans Sigl: Zwei großartige Bands. Musikalisch hat jedoch alles<br />

damit begonnen, dass ich im Jungendchor mitsang. Musik war<br />

schon als Kind ein wichtiger Teil meines Lebens. Meine erste<br />

Trompete bekam ich mit sechs Jahren geschenkt, und darauf zu<br />

spielen, habe ich mir selbst beigebracht.<br />

Sind Sie mit Trompete auch aufgetreten?<br />

So weit kam es nicht, denn das Instrument fand ein jähes Ende:<br />

Im Fernsehen sah ich Dizzy Gillespie spielen, dessen Trompete<br />

vorne so einen hochgezogenen Trichter hatte. Ich dachte: Das will<br />

ich auch und habe den Trichter einfach vorne hochgebogen –<br />

damit war das Thema erledigt!<br />

Sie haben mehrere Meditations-CDs eingespielt. Ihr Entspannungstipp?<br />

Es gibt ein schönes Zitat von Goethe: „Im Atemholen sind<br />

zweierlei Gnaden: Die Luft einzuziehn, sich ihrer entladen“. Wenn<br />

man sich hinsetzt, aufrecht, Hände auf die Knie und einfach zwei<br />

Minuten darauf achtet, wo man hinatmet und was der Atem mit<br />

einem macht, ist man der Entspannung schon sehr nah. Da reichen<br />

wirklich schon zwei Minuten, die man beispielsweise im Auto<br />

sitzen bleibt, anstatt gestresst wieder loszubrausen.<br />

Wenden Sie das selbst an?<br />

Mein Schauspielberuf findet mit dem Bergdoktor viel in der Natur<br />

statt. Immer draußen, mit vielen Leuten um mich rum. Ich<br />

genieße und mag das, aber setze mich doch gerne zwischendurch<br />

irgendwo in den Wald oder in den grünen Benz, unser Filmauto<br />

beim Bergdoktor, und mach die Türen zu. Draußen wuselt<br />

alles herum, ich setze mich hin, Hände auf den Knien und nehme<br />

mir die Zeit.<br />

Neben Stille kann auch Musik entspannen …<br />

Unbedingt. Der erste Schritt zum Menschen ist immer die Musik.<br />

Deshalb haben Sänger die Möglichkeit, ganz anders auf Menschen<br />

einzuwirken, sie zu berühren, als Schauspieler. Bei uns Schauspielern<br />

ist ja immer erst das rationale Verständnis des Textes notwendig.<br />

Bis das im Herzen angekommen ist, ist manchmal schon die<br />

Pause vorbei. In der Oper ist man bereits bei der Ouvertüre in<br />

einer anderen Welt. Das heißt, uns Schauspielern fehlt ein<br />

Medium, welches die Musiker haben, darauf sind viele – mich<br />

eingenommen – sehr neidisch.<br />

Das halbe Jahr drehen Sie naturnah den Bergdoktor, im anderen<br />

leben Sie am Ammersee – zwei idyllische Locations …<br />

Clever, was? Alles richtig gemacht.<br />

Nervt der Kitsch nicht manchmal schon fast?<br />

Nach den ersten zwei, drei Staffeln Bergdoktor-Dreh in Ellmau, bei<br />

denen ich fast ein Dreivierteljahr nur in den Bergen war, kam ich<br />

nach Berlin und bin bei einer vierspurigen Straße mit Fußgängerübergang<br />

richtig erschrocken. Man entwöhnt sich. Meine Frau und<br />

ich machen gerne Städtereisen, aber ich habe nie längere Zeit das<br />

Bedürfnis nach Trubel und Hektik der City. Ich liebe Lagerfeuer,<br />

liebe es, wenn die Vögel zwitschern – das ist meins!<br />

Sie werden stark mit der Rolle des Bergdoktors identifiziert.<br />

Werden Sie als Fernsehdarsteller bei anderen Projekten wie<br />

Ihren Hörbüchern oder bei Lesungen deshalb weniger ernst<br />

genommen?<br />

Menschen, die pauschale Vorurteile haben, unterstütze ich<br />

grundsätzlich gedanklich nicht, überzeuge sie aber sehr gerne.<br />

Menschen, die sagen, das höre ich mir einfach mal an, ich bin<br />

neugierig, finde ich großartig. Bevor ich zum Fernsehen kam, habe<br />

ich zwölf Jahre lang Theater gespielt, und es ist wahrscheinlich,<br />

dass ich nicht bis zur Rente den Arzt verkörpern werde – es gab<br />

und gibt also immer auch etwas anderes in meinem Leben.<br />

Und für Sie selbst? Fällt es nach Monaten des Bergdoktors<br />

schwer, wieder in andere Rollen zurückzuschalten?<br />

Überhaupt nicht, das ist ja meine Arbeit. In den ersten zwei, drei<br />

Jahren hat mich die Figur des Bergdoktors schon sehr gefordert:<br />

Wohin geht die Reise? Wie entwickelt man die Figur? Darauf lagen<br />

Energie und Fokus. Inzwischen hat sich alles im positiven Sinne<br />

eingespielt: Man kennt das Team, die Autoren, die Produzenten –<br />

bespricht gemeinsam, wo es hingeht. Das ist schön. So gibt es<br />

immer mehr Raum für andere Projekte. Etwa mit dem Einsprechen<br />

von Reclam-Hörbüchern oder meinen Lesungen haben sich ganz<br />

neue Felder aufgetan. Da kann man umgekehrt wieder neue Kraft<br />

und Energie für die Fernsehproduktionen schöpfen.<br />

Zum Beispiel, wenn man fünf Stunden Effi Briest eingelesen hat<br />

– weil die Arbeit toll ist und es wunderbar ist, sich mit dieser<br />

Sprache, diesen Texten zu beschäftigen, die man seit seiner<br />

Schulzeit nicht mehr auf dem Schirm hatte. Die Schachnovelle von<br />

Stefan Zweig oder Der Sandmann von E. T. A. Hoffmann, was für<br />

unglaubliche Bücher! Letzteres eine Parabel der künstlichen<br />

Intelligenz, in unserer Zeit also ein hochaktuelles Thema. Oder<br />

Hoffmanns Erzählungen mit der künstlichen Figur der Olympia.<br />

Woher kommt das Verlangen der Menschen nach diesen Roboterwesen?<br />

Dann liest man Hoffmann und versteht es … das nimmt<br />

mich mit und macht mich glücklich.<br />

Nun treten Sie als Sprecher bei einem Melodramenabend bei<br />

der Schubertiade in Schwarzenberg auf. Wie kam es dazu?<br />

Der Pianist Helmut Deutsch hatte mich angesprochen, ob ich<br />

Melodramen kenne. Diese Musik, über die Texte gesprochen –<br />

nicht gesungen – werden, sind ein tiefer, ganz anderer Ansatz von<br />

Liedinterpretation. Und es ist für mich eine große Freude und<br />

Ehre, mit einem der besten Liedbegleiter der Welt zusammenzuarbeiten.<br />

Viele der Werke sind spätromantisch und damit vom Thema her<br />

oft sehr verträumt: Es geht um Ritter, um Natur, um schaurige<br />

Geisterwelten. Ist das heute noch aktuell?<br />

Es spielt zwar in diesen romantischen Welten, geht aber um viele<br />

große und teilweise auch harte Themen des Menschseins.<br />

Tatsächlich sterben in fast jedem Melodram eine oder mehrere<br />

Personen. Andererseits besteht bei vielen Menschen die Sehnsucht,<br />

in eine Märchenwelt einzutauchen. Diese Sehnsucht wird<br />

gerade in unserer hektischen Zeit immer größer und befeuert die<br />

Fantasie.<br />

■<br />

Am 10. <strong>Juni</strong> ist Hans Sigl als Sprecher zusammen mit Pianist Helmut Deutsch in einem<br />

Melodramenabend bei der Schubertiade Schwarzenberg zu erleben.<br />

Weitere Infos unter Telefon +43(0)5576-720 91 oder www.schubertiade.at<br />

13


K Ü N S T L E R<br />

HUNGRIG<br />

NACH<br />

EMOTION<br />

Er ist der Altmeister des Balletts: der Amerikaner<br />

John Neumeier, ehedem selbst Tänzer, vielfach preisgekrönter<br />

Choreograf und seit 45 Jahren Intendant des<br />

Hamburg Ballett. Soeben hat er dort seinen Vertrag für<br />

weitere fünf Jahre unterschrieben.<br />

VON VERENA FISCHER-ZERNIN<br />

14 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


15<br />

FOTO: KIRAN WEST


K Ü N S T L E R<br />

John Neumeier schreibt mit seinen Choreografien seit Jahrzehnten Ballettgeschichte: etwa mit Anna Karenina, der Kleinen Meerjungfrau,<br />

rescendo: Im kommenden Februar werden Sie 80 Jahre<br />

alt. Sie haben Ihre Geburtstagssaison „Lebenslinien“<br />

überschrieben. Gerade ist auch das Ballett Nijinksy auf DVD<br />

erschienen, Ihr Porträt des Tänzers, der in Ihrem Oeuvre eine<br />

zentrale Rolle spielt. Hat er Sie zum Tanz gebracht?<br />

John Neumeier: Das wäre zu viel gesagt. Aber seine Person hat<br />

mich sicherlich sehr inspiriert. Als ich zehn Jahre alt war, habe ich<br />

in der Bibliothek in meiner Heimatstadt Milwaukee ein Buch über<br />

ihn gefunden, das für mich sehr wichtig war. Bis dahin waren<br />

Tänzer für mich mystische Wesen. Das Buch erzählte von einem<br />

sehr begnadeten, aber ganz normalen Menschen. Der Probleme<br />

hatte, der eine Familie hatte, Geschwister und so weiter. Damals<br />

habe ich intuitiv begriffen, dass Tanz etwas mit Menschlichkeit zu<br />

tun hat. Nijinsky beeindruckt mich immer noch. Er gehört für<br />

mich zu den wichtigsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts.<br />

Sie haben mit zehn begonnen, über Tanz zu lesen? Wie kamen<br />

Sie dazu?<br />

Ich weiß es nicht. Ich kann nur sagen, dass ich immer diesen<br />

Drang zum Tanzen hatte. In den Musicalfilmen, die ich mit meiner<br />

Mutter sah, faszinierten mich die Tanzszenen, und ich fand es<br />

jedes Mal langweilig, wenn gesprochen wurde.<br />

Sie waren außerdem malerisch und zeichnerisch begabt.<br />

Das hat man schon früher entdeckt. Es war ein Konflikt in meinen<br />

jungen Jahren, dass ich nicht genau wusste, in welche Richtung ich<br />

gehen sollte. Oder musste.<br />

Wie haben Sie ihn aufgelöst?<br />

Ich glaube, es liegt auch an diesem Konflikt, dass ich Choreograf<br />

geworden bin. Ein Choreograf zeichnet mit Menschen in Raum und<br />

Zeit. An Tanz und Bewegung hat mich von Anfang an fasziniert,<br />

nicht nur zu befolgen, was ich zu lernen hatte oder was mir<br />

vorgegeben wurde, sondern selbst Kompositionen zu erschaffen.<br />

Haben Ihre Eltern es unterstützt, dass Sie so einen ausgesprochen<br />

künstlerischen Werdegang gewählt haben?<br />

Ja. Dafür bin ich sehr dankbar. Niemand in meiner Verwandtschaft<br />

war künstlerisch tätig. Außer meiner Mutter, die sehr gut nähen<br />

und Porzellan bemalen konnte.<br />

Was haben Sie denn für einen familiären Hintergrund?<br />

Mein Vater war Schiffskapitän. Er befuhr die großen Seen Amerikas.<br />

Aber er ist nicht zur Offiziersschule gegangen, sondern hat als<br />

Deckhelfer angefangen. Das war der niedrigste Rang, den es<br />

überhaupt gab. Von da hat er sich hochgearbeitet.<br />

Und dann sehen Ihre Eltern die künstlerische Begabung ihres<br />

Kindes und fördern sie.<br />

Das ist unglaublich. Sie hatten ja nicht den Hintergrund, das zu<br />

beurteilen. Es gab in Amerika zu dieser Zeit insgesamt viel weniger<br />

künstlerisches Bewusstsein als heute. Und trotzdem haben meine<br />

Eltern mir vertraut.<br />

Sie haben dann aber erst einmal Theaterwissenschaft und<br />

englische Literatur studiert.<br />

Ich glaube, ich bin an die Universität gegangen, weil meine Eltern<br />

sich Sorgen um mich gemacht haben. Aber mein Herz war immer<br />

woanders. Unser Schauspiellehrer an der Universität legte sehr viel<br />

Wert auf Bewegung. Gleich in meiner ersten Tanzstunde dort sagte<br />

er zu mir, du bist eigentlich ein Tänzer. In dem Moment war mir<br />

mein Weg klar. Er hat es für mich formuliert.<br />

Ein Instrument haben Sie nicht auch noch gespielt?<br />

Als ich eine Zeit lang nicht tanzen durfte, weil ich Schwierigkeiten<br />

mit dem Rücken hatte, haben meine Eltern gedacht, es wäre<br />

vielleicht gut, wenn ich Klavierunterricht nähme. Aber ich habe es<br />

als Qual empfunden. Leider!<br />

Woher kommt dann Ihre intensive Beschäftigung ausgerechnet<br />

mit absoluter Musik? Sie haben fast alle Sinfonien von Mahler<br />

choreografiert.<br />

Das ist ein ganz subjektives Gefühl des Hingezogenseins. Ich bin<br />

1965 zum ersten Mal intensiv mit Mahler in Berührung gekommen,<br />

als ich beim Stuttgarter Ballett war und Kenneth MacMillan<br />

sein Ballett Das Lied von der Erde machte. Die Musik hat mich<br />

einfach verblüfft. Sie bestätigte mein Gefühl, das später auch mein<br />

Konzept wurde: dass man von einer klassischen Basis ausgehen<br />

muss, aber dass die Inspiration aus der Emotion kommt. Ich habe<br />

dann als Erstes ein Lied von Mahler choreografiert, Ich bin der Welt<br />

abhanden gekommen.<br />

Bevor Sie selbst angefangen haben zu choreografieren: Haben<br />

Sie Musik einfach gehört und sich ergreifen lassen, oder hatten<br />

Sie den Impuls, das Gehörte schöpferisch zu verarbeiten?<br />

Es hat für mich schon immer zwei Arten Musik gegeben: eine, die<br />

man im Sitzen hört, und eine, die einen aus dem Stuhl reißt. Ich<br />

könnte zum Beispiel nie eine Bruckner-Sinfonie choreografieren.<br />

Weil ich sitzen bleibe. Ich kann das bewundern …<br />

… Sie können sich auch von Bruckner ergreifen lassen?<br />

Weniger. Anders. Ich beginne nicht zu tanzen.<br />

Was ist es, was Sie an Mahler speziell berührt?<br />

Mahler ist für mich der Inbegriff des Tanzes. Tanz arbeitet mit dem<br />

menschlichen Körper. Beim Ballett ist der Mensch Sujet und<br />

16 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


seinem aktuellen Projekt Nijinsky oder dem gerade im Entstehen begriffenen Beethoven-Projekt (hier bei der Probenarbeit)<br />

FOTOS: KIRAN WEST<br />

Instrument zugleich. Man kann mit diesem Instrument balancieren<br />

oder lange auf einem Bein stehen oder hochspringen und so<br />

fort. Das entspricht der Sehnsucht des Publikums. In Mahler steckt<br />

für mich etwas davon.<br />

Er benutzt auch oft Tanzformen.<br />

Ja, Ländler oder Walzer oder Märsche. Diese Musik hat Fleisch<br />

und Blut. Ihre einfachen musikalischen Formen sind wie Klangbrücken<br />

in das Sublime, Tiefe oder auch überirdisch Reiche.<br />

Bei jungen Leuten ist Mahlers Musik gerade wegen ihrer<br />

emotionalen Grenzzustände beliebt. Sie haben oft das Gefühl,<br />

von ihm verstanden zu werden.<br />

Wenn man mit jungen Tänzern oder auch Schülern arbeitet, ist es<br />

faszinierend zu sehen, wie sie auf Mahler reagieren, wie sie die<br />

Musik ohne Hemmungen annehmen. Es gibt ja ein Vorurteil, die<br />

Jugend heute sei gefühllos. Ich glaube das Gegenteil. Die digitalen<br />

Möglichkeiten suggerieren ihnen, dass sie überhaupt nicht mehr zu<br />

kommunizieren brauchen. Aber der Hunger nach einem emotionalen<br />

Erlebnis ist immer noch da.<br />

Im <strong>Juni</strong> bringen Sie in Hamburg Ihr Beethoven-Projekt heraus.<br />

Beethoven ist neu für Sie. Was hat Sie an ihm entzündet?<br />

Praktisch gedacht: 2020 kommt das Beethoven-Jahr. Aber es hat<br />

bei mir schon früher angefangen. Ich habe im Urlaub alle Sinfonien<br />

angehört und dachte, es ist an der Zeit, dass ich Beethoven<br />

choreografiere. Außer für das Beethoven-Projekt benutze ich seine<br />

Musik für ein Schulprojekt: Zufällig hatte ich ein Album mit<br />

47 Beethoven-Tänzen: deutsche Tänze, Contredanses, Menuette<br />

und so weiter. Jedes dieser Stücke hat einen ganz besonderen Geist.<br />

Ich dachte, es sei reizvoll, sie zum 40. Jubiläum unserer Ballettschule<br />

tanzen zu lassen. Das war der Anfang.<br />

Beethoven gilt als Rebell, als hochpolitisch. Löst das etwas in<br />

Ihnen aus?<br />

Das Humane eher als das Politische. Politik ist kurz, Humanität ist<br />

lang. Ich glaube, ihn haben eher menschliche Werte interessiert.<br />

Wie kann man das hören in der Musik?<br />

Indem man nicht versucht, es hineinzuhören. Er hat sich öfters<br />

Dinge vorgestellt, um Musik zu schreiben. Geschichten oder<br />

Situationen, das sagt er selbst in Briefen. Er erzählt aber nichts<br />

Genaues darüber. Das finde ich faszinierend. So wird auch dieses<br />

Projekt sein. Ich werde nicht sagen, was es bedeutet.<br />

Das haben Sie ja bei den Mahler-Sinfonien auch nicht gemacht.<br />

Lesen Sie Partituren?<br />

Nicht beim Choreografieren. Wenn ich die Partitur mit einem<br />

Musiker studiere, dann weiß ich, wo die Flöte einsetzt oder die<br />

Violine. Aber am Anfang steht das Hören.<br />

Die Musik wirkt auf Sie. Wie muss ich mir den kreativen Prozess<br />

vorstellen?<br />

Der kreative Prozess beginnt mit einem „Ja.“ Das heißt, ich kann<br />

mir vorstellen, das zu choreografieren. Bei einem so großen Werk<br />

wie der Dritten Sinfonie von Gustav Mahler oder der Matthäuspassion<br />

von Bach hat dieses „Ja“ schon einen ziemlichen Widerhall.<br />

Dann kommt eine Zeit der Zweifel an diesem „Ja“, in der man<br />

studiert und versucht, das Werk in seiner Form, aus seiner Zeit<br />

heraus und in seiner Bedeutung zu verstehen.<br />

Das ist die kognitive Phase.<br />

Genau. Und wenn dann die Premiere naht und wir in den<br />

Ballettsaal gehen und beginnen, dann muss ich diese zweite Phase<br />

abschließen und versuchen, zu der ersten zurückzukommen.<br />

Sie vergessen alles, was Sie sich angeeignet haben?<br />

So gut es geht. Ich versuche, die Musik zu hören, als wäre es das erste<br />

Mal, und improvisiere. Ich deute die Bewegungen an, sodass die<br />

Tänzer, die natürlich jünger sind und physisch viel besser, sie in<br />

spezifische Bewegungen umsetzen können. Manchmal inspiriert sie<br />

das auch, noch weiterzugehen, wo ich dann sage: Ja, das war toll, das<br />

war gut. Oder auch, so habe ich es nicht gemeint. Es ist ein Dialog.<br />

Was auch bedeutet, dass auch Sie sich diesen jungen Menschen,<br />

mit denen Sie arbeiten, ganz ausliefern?<br />

So ist es.<br />

Das muss eine starke Bindung geben.<br />

Das gibt eine sehr starke Bindung. Deswegen habe ich die meisten<br />

Kreationen mit meiner eigenen Compagnie gemacht. Man muss<br />

viel Vertrauen aufbringen in so einer Situation, das macht auch<br />

manchmal Angst.<br />

Wenn Sie so viel mit jungen Leuten arbeiten: Wo sehen Sie die<br />

Zukunft des Genres Ballett?<br />

Dazu müsste ich Wissenschaftler oder Philosoph sein. Ich bin aber<br />

jeden Tag zwölf Stunden im Ballettzentrum. Da bleibt nicht sehr<br />

viel Zeit, um zu reisen und zu sehen, was andere machen. Ich<br />

versuche mich natürlich so gut es geht zu informieren.<br />

Aber in erster Linie bin ich Arbeiter. Ich<br />

bin im Ballettsaal und schwitze.<br />

■<br />

„Nijinsky“, John Neumeier, Hamburg Ballet (C Major)<br />

17


K Ü N S T L E R<br />

„ICH BENUTZE EINE KOPIE MEINES HAUPTINSTRUMENTS, DAMIT ES<br />

NICHT DURCH KRATZER ODER SCHWEISS BESCHÄDIGT WIRD“<br />

DER KLANG<br />

DES GELDES<br />

Der New Yorker Bratschist David Aaron Carpenter tritt als Solist<br />

mit renommierten Orchestern in den USA und Europa auf.<br />

Als Geschäftsmann handelt er zugleich mit teuren Streichinstrumenten.<br />

VON CORINA KOLBE<br />

FOTO: ALIKHAN PHOTOGRAPHY<br />

Die Familie von Geiger David Aaron Carpenter (links) – hier mit seinen Geschwistern Lauren und Sean – musiziert nicht nur,<br />

sondern handelt auch mit wertvollen Instrumenten<br />

<strong>18</strong> w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


„ICH KANN ES NIE ERWARTEN,<br />

VOR PUBLIKUM AUFZUTRETEN.<br />

WARUM MAN VOR KONZERTEN ÜBERHAUPT<br />

LAMPENFIEBER HABEN KANN,<br />

VERSTEHE ICH NICHT“<br />

An internationaler Anerkennung fehlt es David<br />

Aaron Carpenter nicht. Der 32-jährige Bratschist,<br />

auf Long Island bei New York aufgewachsen, gewann Preise bei<br />

mehreren Wettbewerben, wurde von Stars wie Pinchas Zukerman,<br />

Yuri Bashmet und Christoph Eschenbach gefördert und trat<br />

mit Mitgliedern der Berliner Philharmoniker auf. Unter Leitung<br />

von Dirigenten wie Vladimir Jurowski nahm er mit dem London<br />

Philharmonic Orchestra ein kürzlich bei Warner Classics erschienenes<br />

Album mit Werken von Antonín Dvořák, Béla Bartók und<br />

William Walton auf. „Ein überragender Violaspieler unserer<br />

Zeit“, jubelte ein Kritiker der Süddeutschen Zeitung, der ihm<br />

einen „ungemein offensiven,<br />

manchmal verzehrenden Ton<br />

von so lyrischer wie dramatischer<br />

Kraft“ bescheinigte.<br />

Konzerte zu geben und<br />

Alben einzuspielen füllt Carpenters<br />

Leben allerdings nicht<br />

aus. „Musik ist nicht das einzig<br />

Wichtige in meinem Leben.<br />

Mehr als zwei oder drei Stunden<br />

am Tag wollte ich nie üben“,<br />

erklärt er freimütig im Interview.<br />

Statt sich im Hotel auf<br />

Tourneeauftritte vorzubereiten,<br />

schaut er sich in fremden Städten<br />

lieber Museen an. Wie seine<br />

älteren Geschwistern Sean und<br />

Lauren, ebenfalls ausgebildete<br />

Musiker, studierte er an der<br />

Elite-Universität Princeton,<br />

machte einen Abschluss in Politikwissenschaften<br />

und spezialisierte<br />

sich danach auf Wirtschaft.<br />

Gemeinsam betreibt das<br />

Trio inzwischen einen offenbar<br />

florierenden Handel mit wertvollen<br />

Geigen, Violen und Violoncelli<br />

von legendären Instrumentenbauern wie Stradivari, Guadagnini<br />

oder Guarneri Del Gesù. Das 2010 gegründete Familienunternehmen<br />

beziffert den Wert seiner Geschäfte mit Instrumenten<br />

und Kunstwerken auf mehr als 150 Millionen Dollar.<br />

Carpenter, der in seinen extravaganten Designerjacken wie<br />

aus dem Ei gepellt aussieht, zog mit den Geschwistern in das ehemalige<br />

Townhouse des Dirigenten Lorin Maazel am Central Park<br />

und später in das luxuriöse Plaza Hotel. Als Unternehmer knüpfen<br />

die Carpenters seither geschickt Verbindungen zur Finanzund<br />

Musikwelt. Rare Instrumente wie Stradivari-Violinen sollen<br />

etwa bei Hedgefonds-Managern als sichere Kapitalanlagen hoch<br />

im Kurs stehen. Nach erfolgter Transaktion verleihen manche<br />

Käufer ihre Instrumente an Musiker des von den Geschwistern<br />

gegründeten Salome Chamber Orchestra, in dem die Carpenters<br />

zusammen mit Absolventen renommierter Hochschulen wie der<br />

Juilliard School oder dem Curtis Institute of Music spielen. Wie<br />

David Aaron Carpenter erklärt, könnten Nachwuchstalente Instrumente<br />

im Wert von 300.000 bis 500.000 Dollar wohl kaum aus<br />

eigener Tasche bezahlen. Die Erlöse von Benefizkonzerten des<br />

Orchesters, an denen sich beispielsweise auch der damalige Chefdirigent<br />

der New Yorker Philharmoniker, Alan Gilbert, beteiligte,<br />

gehen an gemeinnützige Organisationen. Die Carpenters haben<br />

sich auf diese Weise auch eine öffentlichkeitswirksame Plattform<br />

geschaffen, die ihren Geschäften förderlich ist.<br />

„Ich kann es nie erwarten, vor Publikum aufzutreten.<br />

Warum man vor Konzerten überhaupt Lampenfieber haben kann,<br />

verstehe ich nicht“, erklärt Carpenter mit einer Mischung aus<br />

kindlicher Unbefangenheit und einer gewissen Großspurigkeit.<br />

Wenn er über die Originalstücke und Transkriptionen spricht, die<br />

er auf seiner Viola von Michele Deconet aus dem Jahr 1766 spielt,<br />

zweifelt man nicht an seiner Begeisterung für Musik. Welchen<br />

Spagat er zwischen Kunst und<br />

Kommerz vollführt, zeigt sich<br />

allerdings deutlich, wenn er bei<br />

FOTO: CARRIE BUELL<br />

Werbeveranstaltungen von<br />

Auktionshäusern auftritt, die<br />

Instrumente zu horrenden Preisen<br />

anbieten. In einem Video<br />

auf Youtube spielt er bei<br />

Sotheby’s in New York die 1719<br />

von Stradivari gefertigte<br />

„MacDonald“-Viola. Das einstige<br />

Instrument von Peter<br />

Schid lof, dem 1987 verstorbenen<br />

Gründer des Amadeus<br />

Quartetts, sollte vor einigen<br />

Jahren für schwindelerregende<br />

45 Millionen Dollar den Besitzer<br />

wechseln. Unter dem Motto<br />

„Das teuerste Konzert aller Zeiten!“<br />

postete das Salome Chamber<br />

Orchestra einen Clip, auf<br />

dem Carpenter und andere<br />

Musiker auf insgesamt acht<br />

Stradivaris Astor Piazzollas<br />

Libertango spielen. Obwohl<br />

Carpenter mehrmals im Fernsehen<br />

auftrat, fand die<br />

„MacDonald“-Viola zu dem avisierten Preis keinen Abnehmer.<br />

Kunst hat zweifellos nicht nur einen ideellen, sondern auch<br />

einen materiellen Wert. Doch wie viel künstlerische Freiheit bleibt<br />

erhalten, wenn das Preisetikett stets übergroß sichtbar ist? Seine<br />

wertvolle Deconet-Viola spiele er nur zu seltenen Anlässen, sagt<br />

David Aaron Carpenter. „Auch meine Geschwister reisen nicht<br />

mit ihren Stradivaris und Guarneris durch die Welt, obwohl sie<br />

uns gehören. Bei besonders wichtigen Auftritten oder bei Plattenaufnahmen<br />

mache ich eine Ausnahme. Ansonsten benutze ich<br />

eine Kopie meines Hauptinstruments. Ich möchte ja nicht, dass es<br />

durch Kratzer oder Schweiß beschädigt wird.“ Viele Musiker, die<br />

ihr Instrument täglich spielen, um ihre Interpretationen weiterzuentwickeln,<br />

mögen hier vehement widersprechen. Denn ein<br />

Sammlerstück, das im Museum für die Zukunft konserviert wird,<br />

bleibt von der Gegenwart abgekoppelt. ■<br />

Bartók, Dvořák, Shor, Walton: „Motherland“, David Aaron Carpenter,<br />

London Philharmonic Orchestra (Warner)<br />

Termin: 31.5. Wien (AT), Musikverein<br />

19


K Ü N S T L E R<br />

GOLDENE<br />

TROPFEN<br />

Pianistin Sophie Pacini über ihr musikalisches Schlüsselerlebnis,<br />

die Liebe von Clara und Robert Schumann und Pasta mit Martha Argerich.<br />

VON TERESA PIESCHACÓN RAPHAEL<br />

FOTOS: SUSANNE KRAUSS<br />

20 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


A<br />

„DER FLÜGEL WAR IMMER MEIN BESTER FREUND.<br />

DIESER GROSSE SCHWARZE, ELEGANTE PANTHER UND ICH<br />

FANDEN INSTINKTIV ZUEINANDER“<br />

uf der Rückseite des Covers zu Ihrem neuen<br />

Album flattern Sie in gelbem Kleid auf dem Wasser.<br />

Was ging in Ihnen vor? Schließlich stürzte sich ja Robert<br />

Schumann in den Rhein …<br />

Sophie Pacini: Nein, an seinen Selbstmordversuch habe ich nie<br />

gedacht. Seine Abgründe, Hoffnungslosigkeit, Zerrissenheit wie<br />

sein Streben nach vollkommener Harmonie kommen besonders in<br />

den Werken, die ich für das Album wählte, so<br />

deutlich zum Ausdruck, dass es keiner optischen<br />

Unterstreichung bedarf. Das Schweben<br />

im Wasser bedeutet für mich Leichtigkeit,<br />

Transparenz, Grenzenlosigkeit und Gleichgewicht.<br />

Musik von Verwandten und Wahlverwandten<br />

gibt es auf Ihrem Album zu hören. Das<br />

Ehepaar Schumann, die Geschwister Mendelssohn<br />

…<br />

Inspiriert zu diesem Konzept wurde ich von<br />

Chiarina, jenem Stück aus dem Carnaval von<br />

Robert Schumann, in dem er schmerzlich<br />

expressiv seine Clara porträtiert. Das war der<br />

Anlass, mich mit ihr als ganzer Künstlerpersönlichkeit<br />

zu beschäftigen. Ich wollte – um<br />

mit Rainer Maria Rilkes „Liebeslied“ zu sprechen<br />

– herausfinden, wie ihre „zwei Saiten<br />

sich zu einer Stimme ziehen“, welche „Tiefen“<br />

bei Robert „schwingen“, wenn es um Clara geht. Fündig wurde ich<br />

bei Claras aufwühlendem, quälendem Scherzo. Es erinnert sehr an<br />

Chiarina und an die zwei Stücke aus Roberts op. 12 Des Abends und<br />

In der Nacht. Und von …<br />

… Franz Liszt …<br />

… spiele ich seine Bearbeitung von Schumanns Widmung. Liszt war<br />

befreundet mit dem Ehepaar Schumann. Seine h-Moll Sonate widmete<br />

er Robert Schumann, während Clara seine Paganini-Etüden,<br />

deren Widmungsträgerin sie auch war, erstmals aufführte. Clara<br />

war eine große Virtuosin, aber nicht von oberflächlicher Natur. Ihre<br />

Kunst stand im Dienst des Ausdrucks, das ist an der Beschaffenheit<br />

ihres Werkes klar zu erkennen. Sie ließ sich aber auch gerne von den<br />

Werken ihrer Zeitgenossen inspirieren, die sie „in den Fingern<br />

hatte“, wie zum Beispiel Chopin. Diese gegenseitige Inspiration ist ja<br />

bei allen Komponisten zu finden. Es ist immer sehr erquickend, auf<br />

die Suche nach Parallelen zu gehen …<br />

… wie zwischen den Geschwistern Mendelssohn.<br />

Bei Fanny und Felix merkt man ganz klar, dass Fanny mit ihrem<br />

avantgardistischen Kompositionsstil und ihrem Wesen Felix sehr<br />

geprägt und angespornt hat. Der Werkbegriff „Lied ohne Worte“<br />

wurde übrigens von Fanny erfunden. Und Heine beschrieb sie bei<br />

einem seiner Besuche im Hause der Mendelssohns als ein strahlendes<br />

„ganz und gar liedhaftes Wesen“. Auch wenn Felix sich in der<br />

Öffentlichkeit nie dafür einsetzte, dass seine Schwester als<br />

bedeutende Musikerin wahrgenommen wurde, war er ihr größter<br />

Bewunderer und gab ihr oft seine Werke zur Komplettierung, auch<br />

wenn dann manche ihrer Werke gar unter seinem Namen<br />

veröffentlicht wurden. Letztlich eine innige Liebe und inspirierende<br />

Kraft.<br />

Die Liebe von Clara und Robert<br />

Schumann fasziniert Sophie Pacini<br />

Nietzsche fand übrigens, dass Schumann von „kleinem<br />

Geschmack“ war und einen „gefährlichen (sehr deutschen)<br />

Hang zur stillen Lyrik und Trunkenboldigkeit des Gefühls“<br />

hatte. Und deshalb „nur noch ein deutsches Ereignis“, aber kein<br />

europäisches wie Beethoven mehr wurde.<br />

Da antworte ich mit einem Zitat Gustav Mahlers, das ich in einem<br />

Essay von Peter Gülke gefunden habe: „Unter dem ganzen Heere<br />

der Nachbeter, die sich bis heute nicht<br />

entblöden, Schumann von oben herab zu<br />

behandeln und zu belächeln, hat Wagners<br />

Irrtum und heftige Parteilichkeit bedauerlichen<br />

Schaden angerichtet“.<br />

Zurück zu Ihnen. Sie wuchsen in der Nähe<br />

von München auf.<br />

Ja. Meine Mutter ist Internistin, mein Vater<br />

Professor für italienische Literatur. Sie lieben<br />

Musik sehr. Mit ihrem ersten Verdienst<br />

schenkte meine Mutter meinem Vater ein<br />

Klavier in der Hoffnung, er beginne wieder<br />

zu spielen. Mein Vater am Klavier … Dieses<br />

Bild gehört zu meiner Kindheit.<br />

Entschieden Sie sich deshalb, Pianistin zu<br />

werden?<br />

Der Flügel war für mich immer mein bester<br />

Freund. Er, dieser große schwarze, elegante<br />

Panther und ich fanden instinktiv den Weg<br />

zueinander. Mit acht Jahren nahm ich an einem Wettbewerb teil.<br />

Für das Finale im Herkulessaal durfte ich an einem großen Steinway-D-Flügel<br />

spielen. Ich konnte das Instrument kaum überblicken,<br />

kam gerade mal so an das Pedal. Ich spielte den zweiten Satz<br />

aus der F-Dur Mozartsonate KV 280. Da gibt es eine Stelle, an der<br />

zum verminderten Akkord oben ein Des erklingt. Für mich der goldene<br />

Ton. Am kleinen Klavier zu Hause klang er ganz nett, aber dort<br />

wurde er zum goldenen Tropfen. Plötzlich umgab mich ein warmes<br />

Gefühl, weil ich spürte, ich kann richtig formen! Und einen Ton<br />

erklingen lassen, so wie ich ihn mir vorstellte! Das war mein Schlüsselmoment.<br />

Unvergesslich sind auch die Begegnungen mit Martha Argerich.<br />

Klar! Als Kind hatte ich sie im Radio gehört, später kaufte ich ihre<br />

Aufnahmen und ging in ihre Konzerte. Eines fand im Gasteig statt.<br />

Ich wollte unbedingt hinter die Bühne und schaffte es auch. Sie<br />

lächelte mich an, vielleicht weil ich sehr zurückhaltend war und<br />

mich nicht aufdrängte. Als ich <strong>18</strong> war, traf ich sie wieder. Wir<br />

verbrachten die Sommerferien in Pietrasanta, dem Geburtsort<br />

meines Vaters, und erfuhren, dass sie ein Konzert geben würde.<br />

Ich tat alles, um ihr vorzuspielen. Sie erinnerte sich an mich, hörte<br />

mich an, und ihre große Begeisterung war der Anbeginn einer<br />

innigen Freundschaft und der Ritterschlag, den ich brauchte, um<br />

diesen Beruf mit Mut, Selbstvertrauen und einem Glanz in den<br />

Augen vollends einzuschlagen. Bei mir daheim<br />

in München gibt’s dann mit ihr Pasta und Musik<br />

– einfach, direkt und ohne Äußerlichkeiten. ■<br />

Schumann, Mendelssohn: „In Between“, Sophie Pacini (Warner)<br />

21


K Ü N S T L E R<br />

MACHT<br />

WAS NEUES!<br />

Was für ein kurioses Duo: Violine und Tuba! Benjamin Schmid und<br />

Andreas Martin Hofmeir wagten eine Instrumentenfusion, die sie<br />

„Stradihumpa“ nennen, eine Mischung aus Stradivari und „Humptata“.<br />

VON KLAUS HÄRTEL<br />

22 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


Beim Duo Benjamin Schmid<br />

und Andreas Martin Hofmeir<br />

ist alles möglich<br />

FOTO: WOLFGANG LIENBACHER<br />

23


K Ü N S T L E R<br />

Herr Hofmeir, wie sieht Ihr Klischee eines<br />

Geigers aus?<br />

Andreas Martin Hofmeir: Geiger sind unfassbar strebsam, fleißig<br />

und sehr diszipliniert. Wer als Kind Geige lernt, muss früh<br />

anfangen und wahnsinnig viel üben. Und die Geiger können<br />

nichts anderes. Die können nicht Fußball spielen, nicht kochen<br />

und nicht Schafkopf spielen. Mit fünf Jahren werden Geiger<br />

eingesperrt und werden bis <strong>18</strong> nicht mehr gesehen.<br />

Und wie viel Wahrheit steckt darin?<br />

Benjamin Schmid: Nicht sehr viel. Wie in jedem anderen Klischee.<br />

Ich habe zwar in meinem Leben unglaublich viel geübt,<br />

sicher viel zu viel – aber es hat mir immer riesigen Spaß gemacht<br />

und ich hatte trotzdem Zeit für Dinge wie Bergsteigen, Skifahren<br />

und dergleichen. Denn das Leben ist immer noch wichtiger als die<br />

Karriere.<br />

Welches ist Ihr Lieblingsklischee eines Tubisten?<br />

Schmid: Blechbläser sind sehr trinkfest, spielen immer laut, und<br />

ein Tubist hat ein angeborenes Phlegma, ist von Natur aus<br />

gemütlicher.<br />

Hofmeir: Grundsätzlich kann man sagen, dass die Tubisten zu<br />

einer gemütlicheren Spezies gehören. Ab einem gewissen Niveau<br />

allerdings sind sogar die Tubisten fleißig. Aber im ersten Moment<br />

sind die Leute, die Tuba spielen, nicht unbedingt begierig auf die<br />

große Bühne und auf die große Virtuosität, denn sonst würden<br />

sie was anderes lernen. Trinkfest bin ich im Übrigen überhaupt<br />

nicht. Ich trinke nie viel und auch nicht wahnsinnig gern. Mein<br />

letzter Rausch ist Jahre her …<br />

Schmid: Genau. Ein Oberbayer trinkt wenig, aber oft.<br />

Und dann viel.<br />

Hofmeir: Ein Musiker hat das Problem, dass er oft am Abend<br />

arbeitet und die Leute dann erwarten, dass er nach der Arbeit<br />

feiert. Es gibt Handwerker, die feiern ihre Arbeit schon während<br />

der Arbeit! Was wiederum beim Musiker – sofern er seinen Beruf<br />

halbwegs ernsthaft betreibt – nicht möglich ist.<br />

Ganz ehrlich, Herr Hofmeir, hätten Sie jemals gedacht, dass Sie<br />

mit einem Geiger eine Platte machen würden?<br />

Hofmeir: Nein, nie! Benjamin Schmid hat einmal das Cellokonzert<br />

von Gulda mit der Bläserphilharmonie Mozarteum Salzburg<br />

aufgenommen – ein Stück, das seinem Portfolio wunderbar<br />

entspricht, weil es ein Crossover-Konzert zwischen Klassik und<br />

Jazz ist. Ich habe das zufällig gehört. Wir Professoren treffen uns<br />

natürlich mal auf dem Gang, aber dass wir uns gegenseitig Musik<br />

machen hören, kommt selten vor. Wir haben dann wahnsinnig<br />

FOTO: WOLFGANG LIENBACHER<br />

„Bei einer so<br />

spartanischen<br />

Besetzung zählen<br />

Vielfalt und<br />

Energie!“<br />

viel gespielt und ausprobiert. Wenn eine Besetzung so spartanisch<br />

ist, dann ist man entweder angewiesen auf Vielfalt oder Energie<br />

– im besten Fall auf beides.<br />

Wie wichtig war, dass die Chemie zwischen Ihnen gestimmt<br />

hat?<br />

Schmid: Das ist im Duo vermutlich mit am wichtigsten, weil das<br />

die persönlichste Art ist, musikalisch miteinander zu kommunizieren.<br />

Das muss passen. Wir verstehen uns und haben uns etwas<br />

zu sagen. Das ist eine konstruktive Gaudi.<br />

Ein Album ist – wenn man so will – auch immer eine Botschaft.<br />

Was möchte sie den Tubisten und Geigern da draußen mitteilen?<br />

Hofmeir: Dass nichts unmöglich ist! Gerade für unser Instrument<br />

sind Pionierleistungen wichtig. Wir haben noch nicht genug gutes<br />

Repertoire, um uns darauf auszuruhen. Die Tuba ist auf diesem<br />

Album eher atypisch. Ich spiele die Tuba gerne sehr leichtfüßig und<br />

filigran. Ich glaube, dass die Tuba durch diese Eigenschaften am<br />

interessantesten ist und die größte Wirkung auf das Publikum hat.<br />

Schmid: Andreas ist sicherlich der Tubist, der dem Instrument<br />

eine völlig neue Poesie verliehen hat. Die Botschaft von diesem<br />

Projekt ist, dass musikalisch viel Undenkbares möglich ist. Eben<br />

auch in einem ungewöhnlichen Duo, wenn man es nur mit der<br />

nötigen Ernsthaftigkeit und Leidenschaft betreibt. Macht was<br />

Neues! Probiert was aus! Nehmt es ernst!<br />

Hofmeir: Als Geiger kommt man ja gar nicht in den Genuss, was<br />

Neues zu machen. Es gibt ja so viel Repertoire. Es ist schwieriger,<br />

Geiger zu etwas völlig anderem zu motivieren, weil sie ja alles<br />

haben!<br />

Ihre Tuba, Herr Hofmeir, heißt „Fanny“ – hat Ihre Geige,<br />

Herr Schmid, auch einen Namen?<br />

Schmid: Ja, ich spiele eine Stradivari „ex Viotti“, die Giovanni<br />

Battista Viotti vor knapp 300 Jahren gespielt hat und damit einen<br />

prominenten Vorfahren als Spieler hatte. Wir feiern in diesem<br />

Jahr gemeinsam runde Geburtstage: Sie wird 300, ich werde 50.<br />

Hofmeir: Ich find das jetzt aber schon ein wenig morbid, dass man<br />

eine Geliebte, mit der man viel Zeit verbringt, nach ihrem<br />

vorherigen Liebsten benennt.<br />

Schmid: Aber du bist schon auch verliebt in deine Fanny?<br />

Hofmeir: Ja, schon. Man teilt ja gewisse<br />

Erinnerungen. Und jede Tuba bekommt<br />

irgendwann einmal Dellen. Wenn einen das<br />

stört, dann heiratet man nie. <br />

■<br />

Benjamin Schmid & Andreas Martin Hofmeir: „Stradihumpa“ (ACT)<br />

24 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


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K Ü N S T L E R<br />

BEI BACH GEHT<br />

DER HIMMEL AUF<br />

Der eine probt gerade als Scarpia an der Met, wie er sich von<br />

Tosca Anna Netrebko am eindrucksvollsten erstechen lassen kann, die<br />

andere steht vor einer konzertanten Händel-Aufführung in Wien.<br />

Im Studio nahmen Bassbariton Michael Volle und<br />

Sopranistin Sophie Karthäuser jüngst Musik von Bach auf.<br />

VON WALTER WEIDRINGER<br />

Sophie Karthäuser ist sonst viel bei Mozart, Michael Volle bei Wagner und Verdi zu Hause. Nun vereinen sich ihre Stimmen bei Bach<br />

FOTOS: CARSTEN SANDER; MOLINA VISUALS<br />

crescendo: Herr Volle, Sie stehen meist als Hans Sachs, Wotan<br />

oder Amfortas, als Falstaff oder Scarpia auf der Bühne. Liegt<br />

Bach da nicht in weiter Ferne?<br />

Michael Volle: Ich bin als württembergischer Pfarrerssohn mit<br />

Bach aufgewachsen, ich brauche ihn einfach. Sängerisch hängt es<br />

davon ab, wie wach man im Kopf und wie gesund man in der<br />

Kehle ist. Es soll nicht arrogant klingen, aber ich genieße es,<br />

technisch blitzschnell umschalten zu können: Ich gehe gleich zu<br />

einer Tosca-Probe, könnte aber genauso Ich habe genug oder<br />

Winterreise singen. Es ist wohl eine Frage der Erfahrung. Mit dem<br />

Einatmen muss man schon wissen, wo man ist, in der Met vor<br />

4.000 Leuten oder in intimem Rahmen mit der Akademie für Alte<br />

Musik Berlin für Bach.<br />

Frau Karthäuser, bei Ihnen bildet Mozart das Zentrum des<br />

Repertoires, aber Barock war zugleich immer präsent.<br />

Sophie Karthäuser: Ich habe mit Barockmusik begonnen, der Stil<br />

hat zu meiner Stimme gepasst und tut es hoffentlich immer noch.<br />

Mit wachsender Reife kann ein Sopran wie meiner aber auch in<br />

romantisches Repertoire vorstoßen. Im Kopf und im Herzen muss<br />

man jung bleiben in unserer Profession – eine gesunde Stimme<br />

vorausgesetzt. Mir erscheint das Singen immer mehr wie ein<br />

Sport: Training ist wichtig, um die Elastizität zu erhalten und<br />

verschiedenen Stilen gerecht werden zu können.<br />

Wie empfinden Sie Bachs Schreibweise im Vergleich zu<br />

Mozarts?<br />

Karthäuser: Für mich ist Bach der schwierigste Komponist, er hat<br />

Stimmen wirklich wie Instrumente behandelt. Das macht<br />

natürlich seine Genialität aus, gerade die enorme Zahl und das<br />

Niveau der Kantaten sind unglaublich. Als Sängerin ist es jedoch<br />

nicht einfach, denn meistens gibt es keine Zeit zum Atmen!<br />

Mozart ist für mich die erste Anlaufstelle, zum Beispiel nach<br />

einem Urlaub: Bei ihm fühle ich mich zu Hause. Seine Musik ist<br />

wie Honig, der einem in die Kehle strömt. Und: Bei Mozart ist<br />

man nackt, man kann nicht schummeln.<br />

Volle: Bach schreibt virtuos, man muss die Stimme zurücknehmen<br />

können, leichter singen, Koloraturen formen. Ich bin<br />

26 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


überzeugt, dass mein Singen im sogenannten<br />

großen Fach gewonnen hat durch die<br />

Beschäftigung mit Bach und Mozart – den<br />

ich leider nur noch selten angeboten<br />

bekomme, weil viele Leute denken, man<br />

könne keinen Mozart mehr singen, wenn<br />

man bei Puccini, Verdi, Wagner und Strauss<br />

angelangt ist. So ein Blödsinn! Bei meinem Falstaff-Debüt und<br />

jetzt auch bei Scarpia habe ich gemerkt, wie einen die filigranere,<br />

feinere Behandlung der Stimme bei Bach auch in solchen Partien<br />

unterstützt. Nicht jeder kann alles singen, aber ich glaube, jeder<br />

sollte Lied machen und jeder sollte Bach und Mozart singen. Das<br />

muss nicht unbedingt mit alten Instrumenten sein, aber wenn<br />

jemand nur und dauernd gegen große Orchestermassen ansingen<br />

muss, dann besteht die Gefahr, dass die Stimme an Flexibilität<br />

verliert oder echten Schaden nimmt. Das ist oft genug der Fall.<br />

Bei Ihnen steht die Gräfin in Mozarts Le nozze di Figaro an,<br />

Frau Karthäuser. Haben Sie langsam genug von der Rolle der<br />

Susanna?<br />

Karthäuser: Nein, von ihr könnte ich niemals genug bekommen,<br />

ich werde nur alt! Vor ein paar Jahren habe ich noch abgelehnt –<br />

aber nun konnte ich René Jacobs keinen Korb geben, er ist für<br />

mich der größte Dirigent für diese Musik. Mit ihm findet man<br />

immer etwas Neues. Er weiß so viel, historische Fakten genauso<br />

wie Anekdoten. Es ist, als würde er die Partitur neu erfinden.<br />

Unsere Aufgabe ist es ja, immer weiterzulernen. Ich habe die<br />

Schule geliebt und war traurig, als sie vorbei war! Und so freue ich<br />

mich darüber, mit Dirigenten und Partnern neue Dinge auszuprobieren.<br />

Dazu zählen bei mir aktuell Strauss-Lieder, aber auch<br />

„MOZARTS MUSIK IST WIE<br />

HONIG, DER EINEM IN<br />

DIE KEHLE STRÖMT“<br />

Bach mit der wunderbaren Akademie für<br />

Alte Musik Berlin! Das sind tolle Kollegen,<br />

die genau wissen, wie man phrasiert und so<br />

weiter. Und wir haben wirklich hart<br />

gearbeitet.<br />

Volle: Ich will es nicht überhöhen, aber das<br />

Zusammenkommen der Akamus mit mir<br />

grenzt ans Schicksalshafte, an eine Fügung! Vor ein paar Jahren<br />

habe ich die drei Solokantaten mit anderen Kollegen gemacht,<br />

wollte aber an diesen Werken weiterarbeiten. Ich rief frech bei der<br />

Akamus an – und hörte, dass die gerade über mich gesprochen<br />

hatten! Ich bin überglücklich, dass wir nun dieses Album mit den<br />

Dialogkantaten machen konnten, denn Bach ist das A und O für<br />

mich.<br />

Spielt im Verhältnis des Pfarrerssohns zu Bach die Religion<br />

noch eine Rolle?<br />

Volle: Der Kirche stehe ich fern und bin auch dem herkömmlichen<br />

Glauben nicht mehr eng verbunden. Aber ich würde mich<br />

selber als sehr spirituell bezeichnen. Musikalisch gehören dazu<br />

Mozart, Schubert und Bach! Wenn ich Bach singe, merke ich, dass<br />

es mehr gibt als das, was wir mit Augen sehen und mit Händen<br />

greifen können. In dieser Musik steckt eine Kraft, die unbeschreiblich<br />

ist. Bei Bach geht der Himmel auf.<br />

J. S. Bach: „Dialogkantaten BWV 32, 49 & 57“, Sophie Karthäuser,<br />

Michael Volle, Akademie für Alte Musik Berlin (harmonia mundi)<br />

Termine: Sophie Karthäuser, 9.6. Wien (AT), Musikverein;<br />

Michael Volle, 31.5., 10., 14.6. Berlin, Staatsoper,<br />

16., 19., 22.6. München, Bayerische Staatsoper<br />

■<br />

Samstag, 29. September, 20.00 Uhr<br />

Eröffnungsabend<br />

»Klangerfühlt«<br />

Alliage Quintett, Dr. Franz Alt (Festvortrag)<br />

Sonntag, 30. September, 11.00 Uhr<br />

Matinée I<br />

Werke von Mozart, Liszt, Schumann,<br />

Beethoven, Chopin, Rachmaninov<br />

Viktoria Hirschhuber (Klavier),<br />

Lika Bibileishvili (Klavier)<br />

Sonntag, 30. September, 19.30 Uhr<br />

Grandioser Auftakt<br />

Werke von Psathas, Koppel, Cangelosi /<br />

Grubinger, Jobim, Ishii, Sánches-Verdú,<br />

Aho/arr. Rundberg<br />

Martin Grubinger (Percussion),<br />

Martin Grubinger sen. (Percussion),<br />

Per Rundberg (Klavier)<br />

Montag, 1. Oktober, 19.30 Uhr<br />

STEGREIF.konzert<br />

»Genrefrei« Projekt #freebrahms<br />

Das besondere Orchesterkonzert mit<br />

dem STEGREIF.orchester Berlin<br />

Dienstag, 2. Oktober, 19.30 Uhr<br />

Liederabend mit Chor<br />

Werke von Schubert und Lauridsen<br />

Brigitte Geller (Sopran),<br />

Florian Prey (Bariton),<br />

Birgitta Eila (Klavier),<br />

Ulrich Eisenlohr (Klavier),<br />

Morten Lauridsen (Klavier und Komposition),<br />

Chamber Choir of Europe,<br />

Nicol Matt (Leitung)<br />

Mittwoch, 3. Oktober, 11.00 Uhr<br />

Matinée II<br />

Lyrik von Goethe, Wedekind, Brecht, Kästner,<br />

kombiniert mit Schlagern und Chansons<br />

<strong>Juli</strong>a von Miller (Gesang),<br />

Anatol Regnier (Lesung und Rezitation),<br />

Frederic Hollay (Klavier)<br />

Mittwoch, 3. Oktober, 19.30 Uhr<br />

Kammermusiksoirée<br />

»Klangreicher Forellenteich« Schubert<br />

Forellen-Quintett, original und reflektiert<br />

Werke von Schumann, Lazic, Cruixent,<br />

Räihälä, Resch, Schachtner, Schubert<br />

Lena Neudauer (Violine), Wen-Xiao Zheng (Viola),<br />

Danjulo Ishizaka (Violoncello),<br />

Rimck Stotijn (Kontrabass), Silke Avenhaus (Klavier)<br />

Donnerstag, 4. Oktober, 19.30 Uhr<br />

Liederabend Kasarova<br />

Werke von Berlioz, Rachmaninoff,<br />

Tchaikovsky<br />

Vesselina Kasarova (Sopran),<br />

Iryna Krasnovska (Klavier)<br />

Freitag, 5. Oktober, 11.00 Uhr<br />

Abschlusskonzert<br />

Meisterkurs für Gesang<br />

Siegfried Jerusalem (Tenor),<br />

Henning Lucius (Klavier)<br />

Freitag, 5. Oktober, 19.00 Uhr<br />

Kirchenkonzert<br />

»Messiah« Oratorium von Georg Friedrich<br />

Händel (in engl. Sprache)<br />

Robin Johannsen (Sopran), Marie-Henriette Reinhold (Alt),<br />

Robin Tritschler (Tenor), Markus Eiche (Bass),<br />

Gaechinger Cantorey, Hans-Christoph Rademann (Leitung)<br />

Künstlerischer Leiter:<br />

Florian Prey<br />

Vorverkauf ab 4. <strong>Juni</strong> 20<strong>18</strong>.<br />

Detailliertere Informationen<br />

erhalten Sie über unsere<br />

Internet seite oder unseren<br />

Prospekt.<br />

Herbstliche Musiktage Bad Urach<br />

Stiftung bürgerlichen Rechts<br />

Hermann-Prey-Platz 1<br />

Telefon 07125 156571<br />

info@herbstliche-musiktage.de<br />

www.herbstliche-musiktage.de


K Ü N S T L E R<br />

DIRIGENT<br />

MIT INSTRUMENT<br />

Joshua Bell ist seit Jahrzehnten ein Star der Violine. Seit 2011 leitet er auch die<br />

berühmte Academy of St Martin in the Fields – vom Instrument aus!<br />

VON WALTER WEIDRINGER<br />

rescendo: Herr Bell, immer mehr Solisten dirigieren<br />

auch. Ist diese Doppelfunktion von der Violine aus<br />

schwieriger?<br />

Joshua Bell: Ich finde es sogar leichter! Als Dirigent muss man Informationen<br />

übermitteln. Ob das mit einem Taktstock, mit dem Bogen<br />

oder mit bloßen Händen passiert, ist eigentlich egal. Über 90 Prozent<br />

dieser Informationen kann man in den Proben sprechen, dort<br />

findet die Arbeit statt. Bei der Aufführung<br />

muss man ohne Worte<br />

auskommen. Der Konzertmeister<br />

ist nicht ohne Grund ein Geiger: Er<br />

kann alle wichtigen Dinge anzeigen<br />

– etwa mit der Attacke und<br />

Geschwindigkeit des Bogens. Die<br />

Academy kennt mich sehr gut,<br />

wenn wir zusammen Sinfonien<br />

aufführen, leite ich vom Konzertmeisterpult aus. Als Solist wird<br />

man dann „nur“ zu einer Art von besonderem Konzertmeister.<br />

Ohne Dirigenten hören die Musiker einander besser zu, es fühlt<br />

sich an wie Kammermusik. Und ich kann jetzt jedem wichtigen<br />

Detail selbst nachgehen. Nach so vielen Jahren als Nur-Solist ist das<br />

ein besonderes Vergnügen.<br />

Gibt es musikalische Grenzen, also bestimmte Violinkonzerte,<br />

die kaum mehr möglich sind ohne externen Koordinator?<br />

Letztes Jahr haben wir Tschaikowsky gespielt, mit kleinerem<br />

Orchester finde ich das sogar kraftvoller, pointierter. Dieses Jahr<br />

folgt Henryk Wieniawskis Zweites Violinkonzert, das ich besonders<br />

liebe. Es ist schwierig, aber es funktioniert. Bei den Proms kommt<br />

in diesem Sommer das Dritte Violinkonzert von Camille Saint-<br />

Saëns, außerdem möchte ich Sibelius angehen, vielleicht auch<br />

Barber. Weil die Academy so gut ist, steht uns praktisch alles offen,<br />

wenn wir nur wollen.<br />

Die Basis dafür bildet wohl Ihr kammermusikalisches Selbstverständnis<br />

– das Vermächtnis von Sir Neville Marriner?<br />

Ja, bei uns lehnt sich niemand zurück und spult bloß etwas ab,<br />

damit könnte man gar nicht durchkommen. In einem kleineren<br />

Ensemble ist das Verantwortungsgefühl ungleich höher. Für Sir<br />

Neville, der die Academy 1958 gegründet und mehr als 50 Jahre<br />

lang geleitet hat, war höchste Qualität entscheidend, von Anfang<br />

an. Ich möchte nicht explizit in seine Fußstapfen treten oder mich<br />

mit ihm messen. Mein Zugang ist, das optimal zu verwirklichen,<br />

was ich an Energie und persönlicher Musizierweise einbringen<br />

kann.<br />

Sie haben jetzt mit der Academy Musik von Max Bruch aufgenommen<br />

– ohne Dirigenten. Sein Erstes Violinkonzert haben Sie<br />

schon einmal mit der Academy eingespielt. Wie kam es dazu?<br />

Ach, ich war damals <strong>18</strong> und alles war ganz neu für mich. Es standen<br />

„DER KONZERTMEISTER IST NICHT OHNE<br />

GRUND EIN GEIGER: ER KANN ALLE<br />

WICHTIGEN DINGE ANZEIGEN“<br />

gleich zwei Alben auf dem Plan, eines mit kurzen Virtuosenstücken,<br />

das andere mit Neville Marriner und der Academy. Ich kam<br />

ins Studio, das rote Licht ging an und wir spielten die Konzerte von<br />

Mendelssohn und Bruch – ohne Probe! Das Mendelssohn-Konzert<br />

habe ich Jahre später mit Roger Norrington nochmals aufgenommen,<br />

aber zum Bruch-Konzert, das ich liebe und gerne spiele, bin<br />

ich für eine Aufnahme erst jetzt zurückgekehrt. Ich kombiniere es<br />

diesmal mit einer Aufnahme-Premiere<br />

für mich, seiner Schottischen<br />

Fantasie.<br />

Max Bruch sah sich immer im<br />

Schatten von Brahms und hat<br />

darunter gelitten, dass seine<br />

Violinkonzerte Nr. 2 und 3 nicht<br />

die gleiche Popularität erringen<br />

konnten.<br />

Bruchs Pech war, dass ihm mit dem ersten Konzert ein Geniestreich<br />

gelungen ist. Die anderen sind zwar auch gut, aber ich habe<br />

sie bisher nicht aufgeführt. Vielleicht sollte ich ihnen noch eine<br />

Chance geben – immerhin habe ich die Qualitäten des Schumann-<br />

Konzerts auch erst auf den zweiten Blick entdeckt.<br />

Der Schottischen Fantasie begegnet man dafür nur noch selten.<br />

Meine Idole wie Jascha Heifetz und Bronisław Huberman, dessen<br />

Geige ich spiele, hatten sie selbstverständlich im Repertoire. Ich<br />

weiß nicht, ich vertraue meiner Mutter: Sie sagt, alle jungen Geiger<br />

auf Youtube würden die Fantasie spielen. Aber das ist genau das<br />

Problem: So viele junge Leute lernen dieses und ähnliche Stücke<br />

im Studium. Sobald sie Profis sind, wollen sie etwas anderes<br />

machen. Sogar das Mendelssohn-Konzert leidet ein bisschen<br />

darunter, eines der größten Werke für die Violine überhaupt. Die<br />

Schottische Fantasie rührt mich zu Tränen, durch ihr Sentiment<br />

und ihre Schönheit. Mein Lehrer Josef Gingold, ein Schüler von<br />

Ysaÿe, hat in mir die Zuneigung zu diesem Repertoire geweckt.<br />

Auch Wieniawski oder Fritz Kreisler haben bedeutungsvolle Musik<br />

geschrieben. Natürlich, wenn man es wie Schlagsahne spielt, dann<br />

klingt es auch wie Schlagsahne. Aber musikalische Tiefe gibt es<br />

nicht nur bei Brahms, Mozart oder Beethoven.<br />

Viele Interpreten leiden beim Anhören der eigenen Aufnahmen.<br />

Sie können sich selbst auch noch in einer TV-Serie sehen, in<br />

Mozart in the Jungle. Was ist schlimmer?<br />

Ha ha, wenn ich ehrlich sein soll: Ich habe die Serie nie angeschaut.<br />

Wahrscheinlich ist es wirklich schlimmer, sich<br />

auch noch beim Schauspielen beobachten zu<br />

müssen. Meine Selbstkritik ist gnadenlos!<br />

Bruch: „Scottish Fantasy“, Joshua Bell, Academy of St Martin in the<br />

Fields (Sony)<br />

■<br />

28 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


29<br />

FOTO: BILL PHELPS


M E I N U N G<br />

Der Axel-Brüggemann-Kommentar<br />

SCHADE UM DEN ECHO<br />

Der ECHO ist Vergangenheit. Viele hat diese Nachricht gefreut. Unser Autor befürchtet,<br />

dass eine Chance verpasst wurde, nachhaltig gegen Antisemitismus zu kämpfen.<br />

Wie bigott waren Hohn und Spott im Netz, als die Phono-Akademie<br />

endlich angekündigt hatte, den ECHO – und damit auch den<br />

ECHO JAZZ und den ECHO KLASSIK – abzusagen. Die Absage<br />

kam viel zu spät und war, wie ich finde, auch eine grundlegend falsche<br />

Reaktion auf den Eklat bei der Verleihung des ECHO POP, als<br />

die Musiker Farid Bang und Kollegah mit unerträglichen Sätzen<br />

wie diesem auftraten: „Mach wieder mal ’nen Holocaust, komm an<br />

mit dem Molotow.“<br />

Das wirklich Kniffelige an der aktuellen Debatte ist weniger die<br />

Frage, ob man gegen derartige Ausfälle protestieren soll – natürlich!<br />

was denn sonst? –, sondern, wie man einen Protest gegen Antisemitismus<br />

und Rassismus organisieren kann, der selber nicht populistisch,<br />

sondern nachhaltig ist.<br />

Genau diesen Weg hat die<br />

Phono-Akademie mit der Absage<br />

des ECHO nun allerdings verpasst,<br />

ebenso wie viele Künstler oder Kritiker<br />

des ECHO, denen es nur um<br />

Schadenfreude oder um Häme zu<br />

gehen schien. Wie viele sinnvolle<br />

Reaktionen wären möglich gewesen?<br />

Ein Symposium über Rassismus,<br />

Antisemitismus und Gewalt in der Musik, öffentliche, selbstkritische<br />

Debatten über die Wirkung von Musik auf die Gesellschaft, historische<br />

Einordnungen, eine ernsthafte Debatte darüber, wo die Kunstfreiheit<br />

beginnt und ob sie überhaupt irgendwo aufhört, Streitgespräche<br />

über das Spannungsfeld von Kommerz und Kunst. Was wäre es<br />

für ein Zeichen gewesen, beim ECHO KLASSIK ein Programm mit<br />

sogenannter „entarteter Musik“ aufzuführen und das Thema zum<br />

Leitmotiv in der großen Fernsehshow zu erheben! Ja, es hätte viele<br />

Möglichkeiten gegeben, nur eine Reaktion wäre falsch und feige<br />

gewesen: den Kopf in den Sand zu stecken und so zu tun, als sei nichts<br />

passiert. Sich zu verstecken und darauf zu hoffen, dass der Sturm der<br />

Empörung irgendwann von allein abflaut. Leider hat die Phono-Akademie<br />

aber genau das getan. Damit wurde die Chance verpasst, den<br />

Eklat für eine öffentliche Debatte zu nutzen, den eigenen Fehler zu<br />

erkennen, zu verstehen und öffentlich zu korrigieren.<br />

Natürlich gab es bereits im Vorfeld keinen einzigen akzeptablen<br />

Grund dafür, dass die Phono-Akademie einen antisemitischen Song<br />

ANTISEMITISMUS IN DER KUNST ALS<br />

KUNST ZU LEGITIMIEREN, IST, ALS WÜRDE<br />

MAN EINEN REALEN MORD IM THEATER<br />

UNGESÜHNT LASSEN<br />

auszeichnet – ausgerechnet am Gedenktag für die Opfer des Holocaust.<br />

Es ist unerträglich genug, dass Farid Bang und Kollegah mit<br />

derartigen Texten so viele Fans erreichen. Dass ein öffentliches Gremium,<br />

das so ziemlich alle Musik-Labels in Deutschland vertritt, derartig<br />

widerwärtigen Texten nun auch noch eine Plattform bietet, ist<br />

schlichtweg unverständlich.<br />

Ich persönlich bin dem ECHO lange verbunden. Seit Jahren<br />

schreibe ich das ECHO KLASSIK-Magazin, habe zunächst im Auftrag<br />

der Phono-Akademie in den letzten Jahren für crescendo Backstage-Interviews<br />

mit dem Preisträgern geführt. Und, um ehrlich zu<br />

sein, mir hat all das großen Spaß gemacht. Ich habe mich immer frei<br />

gefühlt – und wir haben hinter den Kulissen so manch provokantes<br />

Gespräch über Politik, Glauben und<br />

den Markt geführt. Die von mir konzipierte<br />

und produzierte CD-Reihe<br />

„Der Kleine Hörsaal“ wurde ebenfalls<br />

mit dem ECHO KLASSIK ausgezeichnet<br />

– und damals habe ich mich<br />

durchaus über diese Auszeichnung<br />

gefreut. Am Ende halte ich es mit<br />

Thomas Quasthoff, der mir kürzlich<br />

in einer Kneipe sagte: „Ich finde das,<br />

was beim ECHO passiert ist, unakzeptabel und habe auch dagegen<br />

protestiert, meine ECHOS aber habe ich nicht zurückgegeben, die<br />

stehen in einem völlig anderen Kontext.“<br />

Es ist doch Quatsch zu glauben, dass der ECHO so etwas wie<br />

der Nobelpreis der Musik sei. Das war nie sein Anspruch und sein<br />

Auftrag. Der ECHO wurde von der Phono-Akademie verliehen –<br />

also vom Interessenverband der Tonträgerindustrie. Das allein ist<br />

erst einmal nicht schlimm. Gegen einen Preis, der jene feiert, die ihn<br />

verleihen, ist nichts einzuwenden. Im Gegenteil: Der ECHO und der<br />

ECHO KLASSIK sind auch deshalb wichtig, weil sie eine Art Branchenfest<br />

sind, weil sich hier jedes Jahr Künstler, Major- und Independent-Labels<br />

treffen, gemeinsam Strategien entwickeln und sich<br />

austauschen. Und all das wird ausführlich vom Fernsehen begleitet<br />

– als Fest der Musikbranche. Das kann man kritisieren. Aber es ist seit<br />

Jahren so gewesen. Jeden Applaus nach dem Aus des ECHO, dass<br />

dieser „falscher Preis“ endlich abgeschafft wird, verstehe ich nicht.<br />

Noch einmal: Es ist nicht der Fehler des ECHO gewesen, dass einige<br />

ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ<br />

30 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


in ihm einen vollkommen anderen Preis gesehen haben, als er es in<br />

Wirklichkeit war.<br />

Tatsächlich aber hat sich nun gezeigt, dass das pure Marketing<br />

ein Strukturfehler des Preises war. Es war eben nie wirklich wichtig,<br />

was auf der Bühne stattfand. Es ging nicht um Inhalte, sondern<br />

um die Feier an sich. Weder beim ECHO POP noch beim ECHO<br />

KLASSIK standen die spannendsten Preisträger im Rampenlicht,<br />

sondern die populärsten oder jene, auf die man sich bei den Labels<br />

geeinigt hatte – auch das wurde immer wieder kritisiert. Die Präsentation<br />

der einzelnen Auftritte war kein Politikum, sondern mehr<br />

oder weniger gelungene Unterhaltung. Der<br />

ECHO hat sich nie als Veranstaltung verstanden,<br />

in der es um Inhalte geht, sondern<br />

um die Branche an sich. Seit jeher sieht der<br />

ECHO so aus, wie die Branche sich selber<br />

sehen wollte. Vielleicht ist es dieser Ansatz,<br />

der dieser Veranstaltung nun auf die Füße<br />

gefallen ist. Denn in diesem Selbstbild hat<br />

schon der kleinste Hauch von Antisemitismus<br />

nichts zu suchen.<br />

Das ist das Erschreckende: Ausgerechnet<br />

die Auszeichnung von Farid Bang und<br />

Kollegah wurde von einem Gremium verliehen,<br />

das für die gesamte Plattenindustrie<br />

steht. So hat der ECHO den Mitgliedern der<br />

Phono-Industrie einen Bärendienst erwiesen.<br />

Er hat die Branche an sich auf ein Terrain<br />

gestellt, auf dem wohl die wenigsten<br />

Künstler und Produzenten stehen wollen:<br />

im rassistischen Aus. Natürlich verwundert<br />

es – und ist beklemmend –, dass niemand<br />

der Mitglieder der Phono-Akademie wirklich<br />

dagegen protestiert hat.<br />

Bereits die Versuche nach der ersten<br />

Kritik, die eigene Entscheidung zu verteidigen,<br />

wirkten eher hilflos und – mit Verlaub –<br />

dumm. Zunächst versuchte man, den Ethikrat<br />

– eingesetzt von der Akademie selbst<br />

– in die Verantwortung zu nehmen. Später<br />

wurde argumentiert, dass man die künstlerische<br />

Freiheit – auch rechter Musik – als<br />

Industrieverband verteidigen müsse. Das ist<br />

natürlich totaler Quatsch! Zeilen wie „Mein<br />

Körper definierter als von Auschwitz-Insassen“<br />

können mit bestem Willen nicht als<br />

Kunst durchgehen, sondern sind und bleiben purer, blanker Antisemitismus.<br />

Die Erklärung, dass der ECHO nun vollkommen abgeschafft<br />

werden soll, war der letzte große Fehler in einem schlechten Krisenmanagement<br />

der Phono-Akademie. Welche Erneuerungskraft traut<br />

man jenen Managern noch zu, die nichts getan haben, um die öffentliche<br />

Debatte zu lenken, zu fördern und zu ermöglichen? Jenen Leuten,<br />

die den Kopf in den Sand gesteckt haben, statt aktiv die Kritik<br />

zu debattieren? Die Phono-Akademie ist sich in all ihren Handlungen<br />

treu geblieben: bloß keine Positionierung, bloß kein Inhalt! Und<br />

hat damit auch das letzte Stückchen Vertrauen aufs Spiel gesetzt. Ich<br />

persönlich kann mir inzwischen kaum noch vorstellen, wie eine Neuerfindung<br />

des Musikpreises unter Obhut der Phono-Akademie aussehen<br />

könnte.<br />

Der Druck auf die Veranstalter ist auch deshalb gewachsen,<br />

weil die Musiker plötzlich selber gehandelt haben. Sie haben ihren<br />

ECHO aus Protest zurückgegeben: zunächst Peter Maffay und Marius<br />

Müller- Westenhagen, dann auch Klaus Voormann. Auffällig dabei,<br />

wie viele Klassikkünstler gehandelt haben: Enoch zu Guttenberg, Igor<br />

Levit oder das Notos Quartett – das erste Ensemble, das den Mut zu<br />

diesem konsequenten Schritt hatte. Irgendwann wurde die Rückgabe<br />

zu einer allgemeinen Bewegung. Und auch hier waren die Reaktionen<br />

im Netz eher grenzwertig: Die ECHO-Rückgabe wurde zum „running<br />

gag“ – einem Witz, der gerade beim Thema Antisemitismus fehl<br />

am Platz scheint.<br />

Ich habe die Argumentation all jener Künstler verstanden, die<br />

ihren Preis zurückgegeben haben, und ihr Zeichen des Protests<br />

geschätzt. Auf der anderen Seite ist es eine recht einfache Geste, einen<br />

Preis zurückzugeben, der sowieso im Studioregal verstaubt. Mir persönlich<br />

imponierte die Haltung eines Sängers wie Campino mehr:<br />

Er war der einzige Künstler, der noch am<br />

ANZEIGE<br />

Abend der Aufführung auf offener Bühne<br />

seinen Protest angemeldet hat – und gleichzeitig<br />

seinen ECHO entgegennahm. Campino<br />

hat gezeigt, dass die Anklage nicht die<br />

Vernichtung braucht, sondern dass eine<br />

wirkliche Debatte nur dann geführt werden<br />

kann, wenn man das Gegenüber als solches<br />

akzeptiert – nicht Farid Bang und Kollegah,<br />

wohl aber die Phono-Akademie.<br />

Das Gefährliche am Antisemitismus<br />

ist nicht nur der antisemitische Song an sich,<br />

sondern der kollektive Umgang mit ihm.<br />

Antisemitismus in der Kunst per se als Kunst<br />

zu legitimieren, ist, als würde man einen realen<br />

Mord im Theater ungesühnt lassen, da er<br />

ja auf der Bühne, also im Raum der Kunst,<br />

stattgefunden hat. Diese Argumentation ist<br />

nicht nur dumm, sondern auch feige.<br />

Der ECHO und der Streit um den<br />

ECHO ist ein Momentum unserer Zeit, in<br />

dem wir zeigen können, wie ernst wir es<br />

wirklich mit dem Kampf gegen Antisemitismus<br />

in Deutschland meinen. Ich bin der<br />

festen Überzeugung, dass dieses Zeichen<br />

nur langfristig gesetzt werden kann. Dass<br />

wir gut beraten wären, keine Fronten zu verhärten,<br />

sondern Türen zu öffnen, um auch<br />

jene wieder ins Boot des menschlichen und<br />

vernünftigen Handelns zu holen, die einen<br />

Fehler gemacht haben – dazu hätte auch die<br />

Phono-Akademie gehört.<br />

Nun ist der ECHO – und mit ihm der<br />

ECHO KLASSIK – abgeschafft. Doch letztlich<br />

war er, und gerade der ECHO KLAS-<br />

SIK, auch eine Möglichkeit, Öffentlichkeit für Musik zu schaffen. Was<br />

glauben diejenigen, die sich nun so freuen, denn? Dass in Zukunft<br />

an Stelle des ECHO KLASSIK Neue Musik im Hauptprogramm des<br />

Fernsehens gesendet wird? Wahrscheinlich wird es eher auf einen<br />

Sendeplatz weniger für die Klassik herauslaufen und stattdessen der<br />

„Musikantenstadl“ gezeigt.<br />

Es hätte darum gehen müssen, eine glaubhafte Alternative zum<br />

ECHO zu schaffen. Es hätte darum gehen müssen, Streit- und Debattenkultur<br />

zu etablieren, statt auf den eigenen Fauxpas zu reagieren,<br />

indem man sich unsichtbar macht. All das wäre gerade unter dem<br />

Namen ECHO glaubhaft gewesen. Aber dieser Name ist nun Vergangenheit.<br />

Es ist ein Trugschluss, dass die Probleme mit rassistischer,<br />

frauenfeindlicher, gewaltverherrlichender und antisemitischer Musik<br />

dadurch behoben sind, dass der ECHO als Preis abgeschafft wurde.<br />

Wenn das Ende des ECHO auch das Ende der Debatte über Antisemitismus<br />

sein sollte, wäre das fatal! Derzeit stehen wir, was den Musikpreis<br />

betrifft, vor einen weißen Blatt Papier. Es ist nicht klar, wer das<br />

Heft in die Hand nehmen wird. Aber uns sollte bewusst sein, dass dieses<br />

leere Blatt nur eine Seite aus einem sehr dicken Buch ist, das viele<br />

Seiten vorher hatte und dem viele Seiten folgen werden.<br />

■<br />

31


K Ü N S T L E R<br />

Ein Gespräch mit<br />

Geiger Ray Chen über<br />

die Macht der Gefühle,<br />

Vinyl-Nostalgie und das<br />

Comedy-Potenzial<br />

einer Waschmaschine<br />

FOTO: TOM DOMS<br />

32 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


„ICH WILL NICHT ALS GENIE ANGEBETET,<br />

SONDERN ALS NORMALER MENSCH<br />

WAHRGENOMMEN WERDEN“<br />

CHARISMATISCHER<br />

BRÜCKENBAUER<br />

Der 29-jährige Geiger Ray Chen fesselt nicht<br />

nur mit musikalischer Perfektion, sondern<br />

erreicht mit einem bunten Mix aus Mode,<br />

Musik und Popkultur über die sozialen Medien<br />

ein großes und vor allem junges Publikum.<br />

VON DOROTHEA WALCHSHÄUSL<br />

Sie haben eine Karriere im Zeitraffer hingelegt: Mit acht Jahren das erste<br />

Konzert, mit neun Jahren ein Auftritt bei der Eröffnungsfeier der Olympischen<br />

Winterspiele in Nagano, mittlerweile haben Sie etliche Wettbewerbe gewonnen<br />

und veröffentlichen gerade Ihr neues Album. Wie haben Sie Ihre musikalische<br />

Stimme gefunden?<br />

Ray Chen: Das war und ist ein Prozess. Im Laufe seines Lebens durchlebt man<br />

verschiedene Kapitel, und immer wieder ändert sich der Blick auf die Musik. Ich bin<br />

ja in Australien aufgewachsen. Mittlerweile ist Berlin meine europäische Heimat, und<br />

gerade das Kennenlernen der deutschen Sprache war sehr wichtig für mich. Da ist<br />

diese besondere Dynamik und Betonung von einem Wort wie „Ach-tung“. Das zu<br />

hören, war tatsächlich Teil meines Interpretationsprozesses und hat mir sehr dabei<br />

geholfen, die Klangwelt zu verstehen, die die Komponisten bewegt hat. Letzten Endes<br />

ist Musik für mich aber eine universelle Sprache. Vielleicht bin ich ein Idealist, aber<br />

ich versuche, in meinem eigenen Spiel das Beste aus jeder Schule herauszugreifen.<br />

Wo fühlen Sie sich auf der musikalischen Landkarte am wohlsten?<br />

Das ist schwer zu sagen. Es gibt so viel wunderbare Musik von so unterschiedlichen<br />

Menschen. Doch ich glaube, dass sich meine Persönlichkeit am intensivsten im<br />

33


K Ü N S T L E R<br />

Ray Chen möchte<br />

dem Publikum mit<br />

seiner Musik zum<br />

Freund werden.<br />

FOTO: SOPHIE ZHAI<br />

romantischen Repertoire widerspiegelt. Ich bin jemand, der mit<br />

dem Herzen entscheidet und lebt. Mein Vater hat mir immer<br />

gesagt: Es geht nicht darum, Recht zu haben. Es geht nicht um<br />

Logik. Es geht um das Gefühl. Und was für Beziehungen gilt, gilt<br />

bei mir auch für die Musik.<br />

Auf Ihrem neuen Album beschwören Sie die Goldenen 20er-<br />

Jahre und spielen neben dem Violinkonzert von Bruch Stücke<br />

wie Summertime von Gershwin oder Schön Rosmarin von<br />

Kreisler. Wie kam es dazu?<br />

Das Goldene Zeitalter hat mich schon<br />

„ICH LIEBE DEN<br />

NOSTALGISCHEN CHARME<br />

EINER VINYL-SCHALLPLATTE,<br />

DAS LEICHTE KRATZEN DER<br />

NADEL, BEVOR DER ERSTE<br />

TON ERKLINGT“<br />

immer fasziniert. David Oistrach, Fritz<br />

Kreisler, Jascha Heifetz … all die großen<br />

Geiger lebten damals. Das war eine Zeit<br />

voller Kreativität und Atmosphäre! Ich<br />

liebe den nostalgischen Charme einer<br />

Vinyl-Schallplatte und das leichte Kratzen<br />

der Nadel, bevor der erste Ton<br />

erklingt. Es hat großen Spaß gemacht,<br />

mich für das Album ganz in diese Klangwelt<br />

hineinzubegeben.<br />

Sie bespielen einen eigenen Youtube-Kanal, haben über 137.000<br />

Follower auf Facebook und 65.000 auf Instagram. Kaum ein<br />

klassischer Musiker nutzt die sozialen Medien so intensiv wie<br />

Sie. Wird Ihnen das nicht manchmal zu viel?<br />

Das Gute an den sozialen Medien ist ja, dass man selbst entscheiden<br />

kann, wie oft man etwas postet. Fakt ist: Die Welt verändert<br />

sich, und die sozialen Medien sind ein Werkzeug, das wir nicht<br />

einfach so ignorieren können. Wir können natürlich darüber<br />

philosophieren, ob das gut ist oder nicht. Aber wenn man die<br />

sozialen Medien außen vor lässt, dann verliert man eine ganze<br />

Generation! Für mich sind die sozialen Medien eine großartige<br />

Möglichkeit, um gerade jüngere Leute zu erreichen. Dazu muss<br />

man erst einmal ihre Aufmerksamkeit gewinnen. Ich spreche auf<br />

meinem Facebook-Profil über Musik, stelle philosophische<br />

Fragen, trete als Lehrer auf oder mache einfach nur Comedy …<br />

Dann stecken Sie zum Beispiel eine Geige in die Waschmaschine<br />

und holen ein geschrumpftes Exemplar wieder heraus.<br />

Haben Sie da manchmal Sorge, nicht mehr als seriös wahrgenommen<br />

zu werden?<br />

Wir klassischen Musiker sind die ganze Zeit über damit beschäftigt,<br />

möglichst seriös zu wirken. Auf der Bühne will ich das natürlich<br />

auch, und ich würde zum Beispiel nie einen Witz über Bruchs<br />

Violinkonzert machen. Aber ich glaube, dass mich die Menschen,<br />

die mich als Musiker lieben, auch als Person kennenlernen<br />

wollen. Und dazu gehört eben auch mein Humor.<br />

Wie wichtig ist das Publikum für Sie?<br />

Das Publikum begleitet mich Tag für Tag auf meinem Weg und<br />

ist sehr wichtig für mich. Viele Künstler<br />

wollen keine Schwäche zeigen. Ich sehe<br />

das anders. Ich wende mich an mein<br />

Publikum und sage: Was ihr da hört, ist<br />

die beste Version von mir – heute – und<br />

ihr könnt mich begleiten, wenn ich mich<br />

weiterentwickele. Im Laufe dieses<br />

Prozesses wachsen das Publikum und<br />

ich immer enger zusammen. Das<br />

Schlimmste wäre es für mich, stehen zu<br />

bleiben. Sei du selbst, entwickle dich<br />

weiter und kopiere dich nicht – das ist mein Motto. Natürlich<br />

könnte ich auch einfach nur meinen Job machen, auf die Bühne<br />

gehen, spielen und wieder gehen. Aber das ist mir zu wenig.<br />

Welches Ziel verfolgen Sie stattdessen?<br />

Das hat sich geändert. Am Anfang meiner Karriere habe ich<br />

hauptsächlich gespielt und geübt. Mittlerweile denke ich immer<br />

mehr über meine Rolle nach. Warum bin ich hier? Welchen Sinn<br />

hat das, was ich tue? Das beschäftigt mich sehr. Ich will mit der<br />

Musik etwas Größeres erreichen und für die Menschen, die mir<br />

zuhören, zum Freund werden, der versteht, wie sie sich fühlen.<br />

Ich will nicht als Genie angebetet, sondern als normaler Mensch<br />

wahrgenommen werden, der gerne lacht, dem das Üben auch mal<br />

keinen Spaß macht und der intensiv an sich<br />

arbeitet. Im besten Fall kann ich dadurch ein<br />

Vorbild sein.<br />

„The Golden Age“, Ray Chen (DECCA)<br />

■<br />

34 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


HÖREN & SEHEN<br />

Die besten CDs, DVDs & Vinylplatten des Monats von Oper über Jazz bis Tanz<br />

Attila Csampais Auswahl (Seite 36)<br />

crescendo-Empfehlungen lesen und direkt kostenlos dabei anhören?<br />

Kein Problem: Auf www.crescendo.de finden Sie unsere Rezensionen mit direktem Link zum Anhören!<br />

Christian Tetzlaff<br />

Magische Intimität<br />

Die Einspielung dieser beiden Violinkonzerte fesselt<br />

von der ersten bis zur letzten Note. Christian Tetzlaff<br />

und Hannu Lintu gelingt es, die kaleidoskopische Klangsprache<br />

Bartóks zu ungewöhnlich farbenreichem Leben<br />

zu erwecken. Tetzlaffs Interpretation des Zweiten Konzerts<br />

ist durchgehend impulsiv und inspirierend: Überschäumende<br />

Spielfreude, kraftvolles Temperament,<br />

zartsinnige Melancholie – man wird regelrecht in die<br />

Musik hineingezogen. In der Kantilene zu Beginn des<br />

Ersten Violinkonzerts erzeugt Tetzlaff eine Stimmung<br />

magischer Intimität. Mit außergewöhnlicher Klangschönheit<br />

gestaltet er auch im weiteren Verlauf die<br />

großen Melodiebögen. Alles wirkt wie aus einem Guss<br />

und kommt dem Charakter eines Livekonzerts sehr<br />

nahe. Das Zusammenspiel der Solovioline mit dem feinfühlig<br />

begleitenden Orchester sowie der hervorragende<br />

Klang der Aufnahme machen diese Album zu<br />

einem echten Hörgenuss. Absolut empfehlenswert! AF<br />

SOLO<br />

B. Bartók: „Violin Concertos<br />

Nos 1 & 2“, Christian Tetzlaff,<br />

Hannu Lintu (Ondine)<br />

Track 7 auf der crescendo<br />

Abo-CD: Violinkonzert Nr. 1,<br />

Sz 36. I. Andante<br />

FOTO: GIORGIA BERTAZZI<br />

35


H Ö R E N & S E H E N<br />

Empfehlungen von Attila Csampai<br />

GUTE<br />

UNTERHALTUNG!<br />

… wünscht unser Chefrezensent mit neuen Alben,<br />

die gute Laune verbreiten.<br />

G. F. HÄNDEL:<br />

WATER MUSIC & ROYAL FIREWORKS<br />

La Simphonie du Marais, Hugo Reyne<br />

(Musiques à la Chabotterie)<br />

Händels Wassermusik-Suiten erklangen zum<br />

ersten Mal bei einer Bootsfahrt, die König<br />

George I. am 17. <strong>Juli</strong> 1717 auf der Themse nach<br />

Chelsea unternahm, um dort an einem Abendessen teilzunehmen.<br />

32 Jahre später feierte sein Sohn George II. den Frieden von<br />

Aachen mit einem riesigen Feuerwerk im Londoner Hyde Park, zu<br />

dem der betagte Händel eine weitere prächtige Suite beisteuerte.<br />

Jetzt hat das von dem französischen Flötisten und Oboisten Hugo<br />

Reyne gegründete Barockensemble La Simphonie du Marais beide<br />

Freiluftmusiken in einer Kirche in der Vendée in überschaubarer<br />

Besetzung eingespielt. Und es hat dabei einen neuen Standard an<br />

Frische, Spielfreude und französischer Klarheit gesetzt, der sich<br />

wohltuend abhebt von der Schärfe und Sprödigkeit vieler Originalklang-Konkurrenten,<br />

zugleich aber auch den aufgemotzten<br />

Glanz der älteren Händel-Tradition meidet: So locker, so anmutig<br />

elegant, so tänzerisch beschwingt und farbig hat man diese ewig<br />

jungen Festmusiken selten zu hören bekommen. Zugleich glänzen<br />

seine 28 Topmusiker mit punktgenauer Präzision und einer virtuosen<br />

Rasanz, die in manchen Stücken sogar die Jazz-Gene Händels<br />

freilegt. Höfische Etikette verwandeln sie in swingende Bewegungsmuster<br />

und verbreiten ansteckende positive Energie: Swinging<br />

London vor 300 Jahren!<br />

W. A.MOZART: MASONIC WORKS<br />

John Heuzenroeder, Die Kölner Akadamie,<br />

Michael Alexander Willens (BIS)<br />

Von den Auftragsarbeiten Mozarts für die<br />

Wiener Freimaurer konnte sich nur die Maurerische<br />

Trauermusik im Repertoire halten. Die<br />

acht kürzeren Vokalwerke sind unbekannt.<br />

Lediglich mit der Zauberflöte, seiner populärsten Oper, konnte<br />

sich der Freimaurer Mozart ein dauerhaftes Denkmal setzen. Jetzt<br />

hat die Kölner Akademie unter ihrem Leiter Michael Alexander<br />

Willens alle „echten“ Freimaurer-Musiken Mozarts in einem<br />

Album zusammengefasst und für den Solopart den exzellenten<br />

australischen Tenor John Heuzenroeder verpflichtet. Die zwischen<br />

1784 und 1791 für verschiedene Wiener Logen komponierten<br />

Vokalsätze, die zumeist für Tenor, Männerchor und Instrumentalbegleitung<br />

gesetzt sind, vertonen aktuelle, feierlich-erbauliche<br />

Texte, die die Tugenden, Ideale und die neue brüderliche<br />

Moral des Geheimbundes in den schönsten Farben preisen und<br />

fast als religiöses Ritual zelebrieren. Es fällt auf, dass Mozart die<br />

Sache sehr ernst nimmt und sich hier auf dem Niveau seiner Wiener<br />

Opern bewegt. Die lyrische Emphase der Lieder erinnert an<br />

Opernfiguren wie Belmonte oder Tamino. Den Höhepunkt des<br />

Albums aber bildet die Schauspielmusik zu Thamos aus dem Jahr<br />

1778, die als dramatische Sturm-und-Drang-Sinfonie durchgehen<br />

könnte und die hier von der hochmotivierten Kölner Truppe mit<br />

glasklar durchgezeichneter, attackierender Verve unter Strom<br />

gesetzt wird: So rabiat klingt Mozart selten.<br />

GERSHWIN, COPLAND, CARTER U. A.:<br />

I GOT RHYTHM<br />

David Lively (La Musica)<br />

David Livelys Karriere verlief atypisch. Der<br />

1953 in Ohio geborene Pianist gab bereits mit<br />

14 sein US-Orchesterdebüt, übersiedelte aber<br />

bereits mit 16 nach Paris, wo er seinen neuen<br />

Lebensmittelpunkt fand: Er wurde Franzose, unterrichtete am<br />

Pariser Konservatorium, blieb aber im Herzen eng mit seiner<br />

alten Heimat verbunden. Seine US-Gene prägen jetzt eine vor<br />

Spielfreude überquellende Revue amerikanischer Klaviermusik,<br />

die in 28 ausgewählten Miniaturen den alles entscheidenden Einfluss<br />

der afroamerikanischen Musikkultur, also des Blues und<br />

ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ<br />

36 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


des Jazz, bei neun „seriösen“ Komponisten von Gottschalk,<br />

Gershwin, über Copland, Barber, Carter und Ives bis zu den<br />

postmodernen Zeitgenossen Albright und Bolcom nachspürt.<br />

Im Mittelpunkt stehen zwölf Evergreens aus dem legendären<br />

Songbook George Gershwins, die Lively in den lakonisch-kurzen<br />

Originalversionen und mit einer für die Roaring Twenties<br />

typischen marionettenhaft-eckigen Ragtime-Attacke dem Hörer<br />

so aufreizend und trocken-prägnant um die Ohren schlägt, dass<br />

man wie von Taranteln gestochen unweigerlich mittanzen<br />

möchte. Das ist das Gegenteil von zuckersüßer Nostalgie, vielmehr<br />

eine elektrisierende, rigoros klare, lustvoll sprühende<br />

Wiederbelebung der subversiven Energien dieser niemals alternden<br />

Musik: simply irresistible!<br />

TOLDRÀ, RESPIGHI, KOMITAS, ROTA:<br />

SOUTHERN TUNES<br />

Ensemble Esperanza (Ars Produktion)<br />

Das Ensemble Esperanza ist ein international<br />

besetztes junges Streichorchester, das erst<br />

Ende 2015 in Liechtenstein gegründet wurde<br />

und das schon ein Jahr später mit seinem<br />

Debütalbum „Nordic Suites“ weltweit für Furore sorgte. Die mit<br />

15 Damen und vier Herren im Alter von 17 bis 29 Jahren besetzte<br />

Formation unter der Leitung der französischen Top-Geigerin<br />

Chouchane Siranossian hat jetzt seine zweite SACD veröffentlicht.<br />

Und wieder verzaubert sie auf Anhieb durch ihre Präzision,<br />

ihre warme sinnliche Klangkultur und ein jugendliches Feuer,<br />

das geballte positive Energie verströmt. Diesmal wendet das<br />

Ensemble den Blick nach Süden und hat die erst vor Kurzem entdeckte<br />

Suite per archi Respighis und das 1966 komponierte Concerto<br />

per archi von Nino Rota mit kaum bekannten Werken der<br />

Katalanen Eduard Toldrà (<strong>18</strong>95–1962) und des armenischen<br />

Komponisten Komitas (<strong>18</strong>69–1935) kombiniert. Beide Funde<br />

beschwören mit klassizistischer Eleganz die musikalischen Traditionen<br />

ihrer Regionen, wobei die magischen Miniaturen des<br />

vergessenen Armeniers intime Einblicke geben in eine fast ausgelöschte<br />

Kultur. Ein weiteres Top-Album einer mehr als hoffnungsvollen<br />

Formation.<br />

ACTITUD TANGUERA<br />

Luis Bacalov (Urania Records)<br />

Im November 2017 starb in Rom der große<br />

argentinische Filmkomponist Luis Bacalov.<br />

Er schrieb die Musik zu zahlreichen Italo-<br />

Western, aber auch zu Fellinis Stadt der<br />

Frauen, zu Pasolinis Matthäus-Passion und<br />

zu Radfords The Postman. Seine besondere Liebe galt dem argentinischen<br />

Tango, dem er diverse großformatige Werke widmete.<br />

Zwei Jahre vor seinem Tod spielte Bacalov im Alter von acht Jahren<br />

bei einem kleinen italienischen Musikfestival ein Klavierrecital<br />

mit einer Auswahl seiner liebsten Tangos und spannte<br />

einen Bogen von den „Klassikern“ wie Ignacio Cervantes und<br />

Isaac Albéniz über Carlos Gardel und Angel Villoldo bis zu den<br />

Reformern Astor Piazzolla, Ennio Morricone und ihm selbst. Es<br />

ist eines der schönsten, bewegendsten, musikalisch und pianistisch<br />

herausragendsten Tango-Alben, die ich je gehört habe, eine<br />

faszinierende Traumreise in den Seelenkern des Tango, dargeboten<br />

mit einer Zärtlichkeit, einer schneidigen Eleganz, einer<br />

schlackenlosen Prägnanz und einer inneren Glut, die einen vom<br />

ersten Akkord an fesselt, elektrisiert und fast zu Tränen rührt.<br />

Es ist unfassbar, welche humanen Lebensenergien der exzellente<br />

Pianist Bacalov diesen Miniaturen abtrotzt, wie er ohne jegliche<br />

Attitüde, ganz geradlinig und punktgenau die Leidenschaft, das<br />

Drama und den Schmerz des Tango auf seinem Steinway choreografiert<br />

und dabei immer nobel, präzis und gespannt bleibt: eine<br />

Sternstunde, ohne jeden Zweifel.<br />

STÄNDCHEN DER DINGE.<br />

„GEHT ES IMMER SO WEITER?“<br />

Franui (col legno)<br />

Mit herkömmlicher, seicht dröhnender<br />

Volksmusik hat Franui nichts zu tun. Die<br />

1993 in einem Osttiroler Bergdorf gegründete<br />

„Musicbanda“ adaptiert mit Vorliebe klassisches<br />

Liedgut von Schubert und Mahler und befreit sie mit der<br />

rustikalen Besetzung von sieben Bläsern, Zither, Hackbrett und<br />

Geige von allem zivilisatorischen Müll, von allem Konzertsaal-<br />

Mief. Zum 25. Jubiläum ziehen die zehn Bergvirtuosen eine Art<br />

Bilanz: Es ist eine aufregende Nabelschau mit rezitierenden Gästen,<br />

Erfolgstiteln und unveröffentlichten Raritäten – kurzum,<br />

der ganze Horizont ihres himmelblauen Alpenpanoramas. Trauermarsch<br />

und Polka bilden den Lebensrahmen dieser glasklaren,<br />

hart konturierten Musikkultur – „denn wenn man einen Trauermarsch<br />

viermal so schnell spielt, wird er zu einer Polka“. Bald<br />

merkt man, dass der bäuerliche Sound den wahren subversiven<br />

Kern der Truppe nur schützt und wie eine Tracht ihre ungezügelte<br />

Fantasie bemäntelt. So entsteht bei Franui aus der Asche<br />

der längst verbrannten „Volksmusik“ eine völlig neue Art von<br />

artifizieller Archaik, die auf raffinierte Weise Authentisches aus<br />

den unterschiedlichsten Quellen zusammenbraut: Dieser Zaubertrank<br />

berauscht und elektrisiert und verpasst dem geschundenen<br />

Genre einen unglaublichen Qualitätsschub.<br />

J. S. BACH: DIE KUNST DER FUGE<br />

Austrian Art Gang (Gramola)<br />

Von Bachs spätem Gipfelwerk Die Kunst der<br />

Fuge gibt es eine Unzahl von Adaptionen,<br />

aber eine Jazzversion war mir bisher nicht<br />

bekannt: Fünf klassisch ausgebildete österreichische<br />

Topmusiker, The Austrian Art<br />

Gang, haben nach langer Vorbereitung das Experiment gewagt,<br />

Bachs kunstvollsten Kontrapunkt-Zyklus in eine intim anmutende<br />

Kammermusiksphäre von Gitarre, Fagott, Cello, Kontrabass<br />

und wechselnden Vertretern der Saxofon- und Klarinettenfamilie<br />

zu versetzen und dabei diese Exempel der Strenge und<br />

Komplexität ganz zärtlich und respektvoll mit Leben zu füllen.<br />

Durch feine, behutsam eingearbeitete Improvisationslinien<br />

lockern sie in acht ausgewählten Fugen die engen Fesseln des<br />

strengen Kontrapunkts und verleihen den nunmehr frei atmenden<br />

Einzelstimmen menschliche Züge, ohne aber die strukturelle<br />

Logik von Bachs Architekturen anzutasten. So entsteht ein<br />

neues, sehr intimes und innerlich pulsierendes Spannungsfeld<br />

von Form und Freiheit, von Struktur und Impuls und eine Art<br />

menschlich durchlebter, atmender Kontrapunkt: Man spürt so<br />

in besonderer Weise die spirituelle Tiefe und die humane Kraft<br />

dieser Musik.<br />

37


H Ö R E N & S E H E N<br />

Nils Mönkemeyer<br />

Barocke Tiefe<br />

Sie scheint direkt mit der Seele zu sprechen, die barocke<br />

Bratsche. Mit warmem Klang und leiser Melancholie hat Nils<br />

Mönkemeyer auf seinem Instrument Werke eingespielt, die<br />

ursprünglich für Gitarre, Laute oder Theorbe gedacht waren.<br />

Der Bratschist knüpft wunderbar an die barocken Traditionen<br />

an und bringt in den Kompositionen von Robert de<br />

Visée, Johann Sebastian Bach, Silvius Leopold Weiss und<br />

Michel Lambert dennoch sein ganz eigenes Klangverständnis<br />

zum Ausdruck. Eine reizvolle Ergänzung erfährt das Album<br />

durch die Sopranistin Dorothee Mields, den Lautisten<br />

Andreas Arend sowie Sara Kim und Niklas Trüstedt an Bratsche<br />

und Gambe, mit denen Nils Mönkemeyer versierte<br />

Alte-Musik-Spezialisten um sich versammelt hat. So sind die<br />

Aufnahmen von einem tiefen Verständnis für die Feinheiten<br />

einer gelungenen historischen Aufführungspraxis durchdrungen,<br />

die das barocke Album zu einer durch und durch runden<br />

Sache machen. KK<br />

Bach, Lambert, de Visée, Weiss: „Baroque“,<br />

Nils Mönkemeyer, Dorothee Mields, Andreas Arend,<br />

Sara Kim, Niklas Trüstedt (Sony)<br />

FOTO: IRENE ZANDEL<br />

SOLO<br />

Jacqueline du Pré und Mstislav Rostropovich<br />

Cello-Exzess<br />

Zwei legendäre Cellisten als Interpreten zweier monumentaler Cellokonzerte<br />

auf einem Album. Doch das Spannendste daran: Es sind nicht<br />

die berühmt gewordenen perfektionierten Studioaufnahmen. Diese beiden<br />

1962 entstandenen Konzertmitschnitte haben vor allem eines<br />

gemein: ihre Emotionsgeladenheit. Die gerade einmal 17-jährige Jacqueline<br />

du Pré studierte zum Zeitpunkt der Aufnahme bei Paul Tortelier in<br />

Paris. Und so spielte sie an diesem Abend in der Londoner Royal Festival<br />

Hall auch die von ihm komponierte Kadenz zum Schumann-Konzert, die<br />

in der berühmteren Version von 1968 nicht mehr zu hören ist. Du Prés<br />

Spiel ist bereits unverkennbar: Voller Energie und mit einer gehörigen<br />

Portion Risiko stürzt sich die junge Cellistin in Schumanns Klangwelt,<br />

dabei geht durchaus nicht alles glatt, aber gerade das versprüht einen<br />

besonderen Reiz. Mit gleicher Verve ist Mstislav Rostropovich als Solist<br />

des Dvořák-Konzerts im Mitschnitt einer Radioübertragung vom Edinburgh<br />

Festival 1962 zu hören. Geradezu massiv erscheint der berühmte<br />

erste Celloeinsatz, die groß angelegten Spannungsbögen erlauben kein<br />

Weghören. Auffallend sind die flott gewählten Tempi. Auch in der Zugabe,<br />

der Aria aus Villa-Lobos’ Bachianas Brasileiras reißt der Cello-Gigant seine<br />

Frau, Sopranistin Galina Vischnevskaja, mit in eine<br />

energiesprudelnde Interpretation. Beinahe<br />

wünscht man sich, dass dieser Exzess wieder ein<br />

wenig mehr in Mode kommen möge. SK<br />

R. Schumann: „Cello Concerto in A minor“, A. Dvořák: „Cello<br />

Concerto in B minor“, Jacqueline du Pré, Mstislav Rostropovich<br />

(ICA Classics)<br />

Jonathan Crow, Douglas McNabney,<br />

Matt Haimovitz<br />

Kontemplative Innigkeit<br />

KAMMER-<br />

MUSIK<br />

Das Album mit Mozarts Divertimento für Streichtrio<br />

und seinen Preludes to Bach widmet sich der Tonsprache<br />

des Komponisten auf ausgesprochen intime Art und<br />

Weise. Mit kontemplativer Innigkeit und wacher Sensibilität<br />

durchdringen Jonathan Crow an der Geige, Douglas<br />

McNabney an der Bratsche und Matt Haimovitz am<br />

Cello die verschiedenen Schöpfungen und leuchten<br />

ihren filigranen Klangkosmos eindrucksvoll aus. Dabei<br />

ziehen die drei Musiker mit einem fein austarierten<br />

Trioklang und großer Präsenz im kammermusikalischen<br />

Dialog in den Bann und zeugen in ihrem Spiel von<br />

ebenso großer Demut wie tiefsinniger Ausein an dersetzung<br />

mit den besonderen Werken. Nicht die brillante<br />

Außenwirkung und bravouröse Virtuosität stehen<br />

hier im Vordergrund. Vielmehr richtet das Trio den<br />

Blick konzentriert nach innen und durchdringt die polyfonen<br />

Kompositionen mit bestechender Ernsthaftigkeit<br />

und Tiefe. DW<br />

„Mozart Divertimento & Preludes to<br />

Bach“, Jonathan Crow, Douglas McNabney,<br />

Matt Haimovitz (Pentatone)<br />

Track 2 auf der crescendo Abo-CD:<br />

Fuge VIII, WTC I. Aus: Präludien und<br />

Fugen KV 404a<br />

38 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


Peter Kofler<br />

Im Orgelversum<br />

Darth Bach im Orgelversum – so „spacig“ sieht das Cover der<br />

Gesamteinspielung aller Orgelwerke des Thomaskantors durch den<br />

Münchner Organisten Peter Kofler aus. Und Folge zwei der Einspielung<br />

beweist: Kofler spielt absolut solide, virtuos, brillant – und<br />

zuweilen überraschend. Bachs Bearbeitung des d-Moll-Konzerts von<br />

Antonio Vivaldi durcheilt er unfassbar flott, drei Choralvorspiele<br />

über Nun kommt der Heiden Heiland dagegen präsentiert er äußerst<br />

gravitätisch. Was aber stets deutlich wird: Koflers in vielen Details<br />

sehr differenzierte Interpretationen sind durchdacht, stringent, aus<br />

einem Guss. Wirklich „spacig“ ist dagegen die Aufnahmetechnik:<br />

10-kanaliges Auro 3D. Das klingt himmlisch, aber Stereo tut’s auch. In<br />

jedem Fall ist alles glasklar durchhörbar, denn die Balance von Instrument<br />

und Raum ist trotz der extrem halligen<br />

Akustik ausgezeichnet. GK<br />

J. S. Bach: „Opus Bach“, Peter Kofler (Horos, IFO Classics)<br />

Track 4 auf der crescendo Abo-CD:<br />

Triosonate C-Dur, BWV 529. II. Largo<br />

SOLO<br />

Martin Klett<br />

Zwischen Tango und Chopin<br />

Die Tonsprache des Komponisten Carlos Guastavino (1912–2000) ist<br />

unbeeinflusst von der Moderne. In seinen Werken verwebt der<br />

Argentinier Einflüsse von Komponisten wie Chopin, Debussy oder<br />

Rachmaninow mit Elementen argentinischer Folklore. Der deutsche<br />

Pianist Martin Klett (*1987) hat nun einige seiner Stücke ausgewählt<br />

und zusammen mit Sergei Rachmaninows Zweiter Klaviersonate in der<br />

überarbeiteten Version von 1931 eingespielt. Darunter finden sich<br />

eine Sonatine sowie eine Reihe von folkloristisch geprägten Cantos,<br />

„Liedern ohne Worte auf Argentinisch“, wie sie Klett treffend<br />

bezeichnet. Das ist originelle Musik, die zwischen Kunst und Unterhaltung<br />

pendelt, was ihren speziellen Reiz ausmacht. Klett interpretiert<br />

sie mit dem nötigen Tangoschwung, zeigt jedoch auch hohe<br />

Klangkultur und kantables Linienspiel, wenn es verlangt wird. Auch<br />

die Deutung von Rachmaninows hochvirtuoser<br />

Zweiter Klaviersonate überzeugt durch kultiviert<br />

temperamentvolles Spiel in den Ecksätzen<br />

und einen lyrisch schlichten Ton im<br />

langsamen Satz. MV<br />

„Gustavino, Rachmaninoff“, Martin Klett (SWR2)<br />

Münchner Philharmoniker<br />

Magische<br />

Klangrede<br />

ORCHES-<br />

TER<br />

In seinen beiden letzten Orchesterwerken, dem<br />

1943 entstandenen Konzert für Orchester und in dem<br />

kurz vor seinem Tod (fast) vollendeten Klavierkonzert<br />

Nr. 3 hat Béla Bartók ein durchaus versöhnliches und<br />

hoffnungsvolles Resümee seiner musikalischen<br />

Ästhetik und seiner tief humanen, völkerverbindenden<br />

Botschaft gegeben: Beide verdichten die<br />

Weite seines musikalischen Horizonts und die Tiefe<br />

seiner Empfindung in verständliche, auf festem<br />

Boden stehende und doch magische Klangrede. Jetzt<br />

hat der spanische Dirigent Pablo Heras-Casado<br />

beide Werke mit den Münchner Philharmonikern<br />

eingespielt und seinem Landsmann Javier Perianes<br />

den Klavierpart anvertraut: Sie bieten einen ganz<br />

neuen, feinsinnig differenzierten, prägnant frischen,<br />

vom beschwörenden Pathos ungarischer Interpreten<br />

klar abgesetzten Blick auf Bartóks komplexe Strukturen<br />

und lassen so auch den Klangfarbenzauber, die<br />

filigrane Feinmechanik und Bartóks abgeklärtes Spiel<br />

mit dem sinfonischen und konzertanten Vokabular<br />

präzise und doch beseelt aufleuchten: Man spürt<br />

hier, wie sich in Vorahnung seines nahenden Endes<br />

Hoffnung, Verzweiflung und Sehnsucht empfindsam<br />

vermischen. Perianes’ Noblesse und schlichte Klarheit<br />

verleihen dem Klavierkonzert fast Mozart’sche<br />

Wahrhaftigkeit. AC<br />

Béla Bartók: „Konzert für Orchester, Klavierkonzert Nr. 3“, Javier Perianes, Münchner Philharmoniker, Pablo Heras-Casado (Harmonia Mundi)<br />

Track 8 auf der crescendo Abo-CD: Orchesterkonzert BB 123, Sz 116. III. Elegia. Andante non troppo<br />

Lika Bibileishvili<br />

Hinreißend musiziert<br />

Die junge, in München lebende Georgierin Lika Bibileishvili debütiert<br />

bei Farao Classics mit einem hoch anspruchsvollen Programm:<br />

Prokofjews 6. Sonate, Ravels Gaspard de la nuit und den<br />

Sonaten von Sibelius und Bartók. Am wunderbarsten gelingen die<br />

zehn aus Opus 76 ausgewählten Stücke von Jean Sibelius. Hier<br />

offenbart sich Bibileishvili nicht nur als makellose Pianistin, sondern<br />

als innig beseelte, flexibel sich verwandelnde, schalkhafte und<br />

feinsinnige Musikerin. Selten hört man diese unterschätzten Miniaturen<br />

so hinreißend charakteristisch musiziert! Bei Prokofjew und<br />

Bartók, und vor allem bei Ravel, stellt sich noch kein bezwingendes<br />

Gesamterleben der größeren Formen ein. Auch das ist pianistisch<br />

auf sehr hohem Niveau gespielt, und sie steht dabei vielen,<br />

die bereits Karriere gemacht haben, in nichts nach. Doch bei ihrer<br />

Sensitivität und Unmittelbarkeit ist<br />

Großes zu erhoffen. CS<br />

SOLO<br />

FOTO: PRIVAT<br />

„Prokofjew, Ravel, Sibelius, Bartók“, Lika Bibileishvili<br />

(Farao Classics)<br />

Track 3 auf der crescendo Abo-CD: Gaspard de la Nuit.<br />

III. Scarbo von Ravel<br />

39


H Ö R E N & S E H E N<br />

FOTO: SIMON FOWLER<br />

SOLO<br />

Renaud Capuçon<br />

Betörender Bartók<br />

Unglücklich in die Geigerin Stefi Geyer verliebt, komponierte<br />

Béla Bartók als Student zwischen 1907 und 1908<br />

sein erstes Violinkonzert. Genau 30 Jahre später schrieb<br />

er ein zweites Konzert, das zu den besten seiner Gattung<br />

gerechnet wird. In einer neuen Aufnahme mit dem London<br />

Symphony Orchestra unter seinem Ersten Gastdirigenten<br />

François-Xavier Roth nähert sich der französische<br />

Violinvirtuose Renaud Capuçon beiden Stücken mit berückender<br />

Sensibilität. Das leidenschaftliche Jugendwerk<br />

des Komponisten interpretiert der Solist mit zartem<br />

lyrischen Schmelz. In dem späteren Werk, in dem Bartók<br />

auch mit Zwölftonreihen experimentiert, kontrastieren<br />

kantable, von Melancholie geprägte Passagen mit vehementen,<br />

schroffen Ausbrüchen. Besonders eindrücklich<br />

gestaltet Capuçon den langsamen Variationssatz<br />

Andante tranquillo – Allegro scherzando – Tempo I, in<br />

dem der Klang seines Instruments eine intensive<br />

Strahlkraft entfaltet. CK<br />

Béla Bartók: „Violin Concertos Nos. 1 & 2“, Renaud Capuçon,<br />

London Symphony Orchestra, François-Xavier Roth (Erato)<br />

Breslauer Philharmonie<br />

Pärts<br />

Ästhetik-Zeitreise<br />

ORCHES-<br />

TER<br />

Diese erste Gesamteinspielung der vier Sinfonien<br />

von Arvo Pärt ist eine ästhetische Zeitreise. Die<br />

ersten beiden (1963, 1966) schrieb Pärt noch von<br />

Zwölftonmusik beeinflusst, doch findet sich<br />

inmitten kunstvoller Kontrapunktik (Nr. 1) schon<br />

ein langsamer Spannungsaufbau, der an Schostakowitsch<br />

und den späteren Pärt erinnert. Der<br />

Mittelsatz der Zweiten Sinfonie klingt wie die<br />

Karikatur einer „modernen“ Komposition. Doch<br />

endet die Sinfonie nach krabbelnder, wuselnder<br />

Musik mit einem unironischen Tschaikowsky-<br />

Zitat geradezu harmoniesüchtig. Die Sinfonien<br />

drei und vier entstanden nach Pärts religiöser wie<br />

ästhetischer Wende. Auf Sozialistischen Realismus<br />

pfiff Pärt schon immer, nun auch auf die<br />

Avantgarde. Die populäre, schlichte Dritte (1971)<br />

bedient sich gregorianischer Stilmittel. In der<br />

Vierten (2008) heben und senken sich große<br />

Klangflächen langsam, wie ein großes, aber<br />

ruhiges Schiff auf hoher See, allen Stürmen trotzend.<br />

Der mit diesen Aufnahmen betraute Freund<br />

Pärts, Tõnu Kaljuste, nimmt die vier Werke „wie<br />

eine einzige, große Symphonie“: deswegen die<br />

fließenden Übergänge zwischen den Tracks. Das<br />

Breslauer Orchester kann sich mit jeder Konkurrenz<br />

messen . JL<br />

Arvo Pärt: „The Symphonies“,<br />

NFM Wrocław Philharmonic,<br />

Tõnu Kaljuste (ECM New Series)<br />

Lucas & Arthur Jussen<br />

Hommage an<br />

Willemsen<br />

Viele Kinder kennen und lieben ihn: den<br />

Karneval der Tiere. In der Version, die Katja<br />

Riemann mit dem hervorragenden niederländischen<br />

Klavierduo Lucas und Arthur<br />

Jussen und Mitgliedern des Concertgebouw-Orchesters<br />

Amsterdam veröffentlicht<br />

hat, richtet er sich hingegen eher an<br />

erwachsene Zuhörer. Saint-Saëns’ Zwischentexte<br />

nämlich werden hier durch<br />

Verse des 2016 verstorbenen Roger<br />

Willemsen ersetzt. Riemann – einst eng<br />

mit Willemsen befreundet – trägt dessen<br />

pointenreiche Miniaturen, in denen Tiere<br />

und Menschen augenzwinkernd porträtiert<br />

werden, engagiert und nuancenreich<br />

vor. Nun muss man diese Art von Lyrik, bei<br />

der „Kieler Sprotte“ auf „Gavotte“ und<br />

„pro forma“ auf „Nessun dorma“ gereimt<br />

wird, freilich mögen; spätestens dem finalen<br />

Aufruf zur Offenheit gegenüber allen<br />

Musikstilen und Epochen aber kann man<br />

nur zustimmen. Und in musikalischer Hinsicht<br />

ist das Album definitiv ein Genuss! JH<br />

Als neuer Abonnent erhalten<br />

Sie diese CD (siehe S. 80)<br />

KAMMER-<br />

MUSIK<br />

Camille Saint-Saëns: „Der<br />

Karneval der Tiere“, Katja<br />

Riemann, Lucas & Arthur<br />

Jussen (Deutsche Grammophon)<br />

OPER<br />

Wiener Staatsoper<br />

Großer Bahnhof für<br />

die alte Dame<br />

So trotzig „antimodern“ Gottfried von<br />

Einems Dürrenmatt-Vertonung bei der<br />

Uraufführung an der Wiener Staatsoper<br />

1971 auch geklungen haben mag, so wirksam<br />

ist sie bis heute geblieben – als atmosphärische,<br />

das Drama verstärkende Theatermusik,<br />

die großen Singschauspielern Raum<br />

zur Entfaltung bietet. Und solche waren<br />

unter Horst Stein wahrlich versammelt:<br />

Hans Beirers heldentenorale Bürgermeisteransprachen<br />

wackeln passend zwischen<br />

Realismus und Parodie hin und her, Hans<br />

Hotter und Manfred Jungwirth steuern als<br />

Lehrer und Pfarrer Wotan-Autorität und<br />

öliges Salbadern bei, Heinz Zednik brilliert<br />

mit anklagender Schärfe, Eberhard<br />

Waechter verleiht dem Ill angestrengtflehentlichen<br />

Wohlklang – und über allem<br />

schwebt die vibrierende, spöttisch unterfütterte<br />

Sinnlichkeit von Christa Ludwig, eine<br />

keineswegs alt klingende Claire Zachanassian.<br />

Ein faszinierendes Dokument zu Einems<br />

Hunderter und Ludwigs Neunziger. WW<br />

G. v. Einem: „Der Besuch<br />

der alten Dame“, Christa<br />

Ludwig, Eberhard<br />

Waechter, Heinz Zednik,<br />

Hans Hotter, Manfred Jungwirth,<br />

Orchester der Wiener<br />

Staatsoper, Horst Stein<br />

(Orfeo)<br />

40 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


OPER<br />

Radio-Symphonieorchester Wien<br />

Feinsinniges<br />

Beziehungsdrama<br />

Bertrand de Billys Sicht auf Puccinis ersten Teil<br />

des Trittico steht dem Tristan weitaus ferner als<br />

andere Aufnahmen. Ganz abgesehen davon,<br />

dass der 2016 viel zu früh verstorbene Johan<br />

Botha einen bei aller Leidenschaft auch feinstimmigen<br />

Arbeiter Luigi gibt: Die Tragödie<br />

vollzieht sich hier packend, auch weil das ORF-<br />

Radio-Symphonieorchester Wien Puccinis<br />

Modernität in der düsteren Milieustudie auf<br />

dem Seine-Schleppkahn pointiert ausspielt. Die<br />

vielen Details, aus denen der Walzer, der Liederverkäufer<br />

und das Liebespaar das Beziehungsdrama<br />

mit dem so fernen schöneren Pariser<br />

Leben durchduften, bekommen allen Stimmen<br />

bestens. Elza van den Heever gibt eine<br />

noch mädchenhafte Giorgetta, also darf sogar<br />

Wolfgang Koch als Michele neben heldischhochdramatischen<br />

Tönen mit hier ungewohnter<br />

Lyrik leiden. Bei aller Kraft für die eruptiven<br />

Melodien besticht die Aufnahme vor allem<br />

durch feinstufige Geschmeidigkeit. DIP<br />

G. Puccini: „Il tabarro“, Johan<br />

Botha, Elza van den Heever,<br />

Wolfgang Koch, Wiener Singakademie,<br />

ORF Vienna Radio<br />

Symphony Orchestra, Bertrand<br />

de Billy (Capriccio)<br />

Track 10 auf der crescendo<br />

Abo-CD: T’ho colto!<br />

Katharina Konradi<br />

Gedankenvoll<br />

„Gedankenverloren“ heißt das Debütalbum<br />

der Sopranistin Katharina Konradi.<br />

Darauf widmet sie sich einer Auswahl<br />

von Liedern von der Romantik bis ins<br />

20. Jahrhundert. Diese Lieder sind teilweise<br />

seit ihrer Schulzeit Wegbegleiter<br />

der Sopranistin. Sie ist jung und trägt deshalb<br />

das Nachwuchs-Etikett. Umso unbefangener<br />

kann man sich für die Musik dieser<br />

Aufnahme öffnen, es lohnt sich!<br />

„Gedankenverloren“ ist ein guter Titel<br />

für den Liederabend „zu Hause“: Vom<br />

Programm und den so ruhig geführten<br />

und im besten Sinne eindeutigen Interpretationen<br />

– am Klavier wird Konradi<br />

von Gerold Huber begleitet – kann man<br />

sich wunderbar in andere Gedankenwelten<br />

entführen lassen. Andererseits<br />

muten Titel und Programm für ein<br />

Debüt album fast schon zu bescheiden an:<br />

Ja, Katharina Konradi ist jung, auch ihre<br />

Stimme, aber dafür wirkt sie unverfälscht,<br />

authentisch, anziehend – und<br />

schlichtweg zuhörensbegehrenswert. UH<br />

Schubert, Krenek,<br />

Strauss, Trojahn u. a.:<br />

„Gedankenverloren“,<br />

Katharina Konradi,<br />

Gerold Huber (Genuin)<br />

GESANG<br />

Mary-Ellen Nesi<br />

Griechische<br />

Girlpower<br />

Auf ihrem neuen Soloalbum „Archetypon“ hat<br />

sich Mary-Ellen Nesi mit dem Mythos der Primadonna<br />

auseinandergesetzt und spürt gemeinsam<br />

mit dem Ensemble Armonia Atenea unter der<br />

Leitung von George Petrou den Einflüssen der<br />

griechischen Tragödie nach, die sowohl die<br />

Barockzeit als auch die frühe Klassik musikalisch<br />

geprägt hat. Dafür schlüpft die griechische Mezzosopranistin<br />

in die Rollen faszinierender Frauengestalten,<br />

denen sie eine große Portion Charisma<br />

einhaucht, indem sie ihre beeindruckende stimmliche<br />

Wandlungsfähigkeit voll ausschöpft. Die<br />

musikalischen Handschriften von Georg Friedrich<br />

Händel und Christoph Willibald Gluck werden<br />

durch Arien von Andrea Stefano Fiorè, Luigi Cherubini,<br />

Johann Adolf Hasse, Giovanni Paisiello und<br />

Nicola Antonio Porpora ergänzt, sodass ein komplexer<br />

Eindruck der musikalischen Auseinandersetzung<br />

mit der Antike im <strong>18</strong>. Jahrhundert entsteht.<br />

Mary-Ellen Nesi erweist sich als glänzende<br />

Vermittlerin des spannenden Sujets. KK<br />

Händel, Cherubini, Porpora u. a.:<br />

„Archetypon“, Mary-Ellen Nesi,<br />

Armonia Atenea, George Petrou<br />

(MDG)<br />

Track 5 auf der crescendo<br />

Abo-CD: Non vi turbate, no. Aus:<br />

Alceste von Gluck<br />

Bestbesetzung<br />

Mehr als 80 Engelmusikanten mit ihren legendären<br />

elf weißen Punkten auf grünen Flügeln gehören<br />

zum weltberühmten Grünhainichener Orchester.<br />

Kult seit 1923. Zum Sammeln und Verschenken.<br />

Damit das Konzerterlebnis nie zu Ende geht.<br />

Erhältlich über autorisierte Fachhändler auf dem<br />

Online-Marktplatz von Wendt & Kühn unter<br />

WWW.WENDT-KUEHN.DE<br />

Wendt & Kühn KG<br />

Chemnitzer Str. 40 · 09579 Grünhainichen<br />

Telefon (037294) 86 286


H Ö R E N & S E H E N<br />

Marie-Elisabeth Hecker<br />

Schmerz und<br />

Sehnsucht<br />

Wer sich entscheidet, Edward Elgars Cellokonzert<br />

einzuspielen, läuft stets Gefahr, mit der<br />

unvergessenen Aufnahme der jungen Jacqueline<br />

du Pré verglichen zu werden, die das spätromantische<br />

Werk 1965 wieder populär machte.<br />

Das Konzert sei „ein Schwanengesang, von<br />

seltener und vergänglicher Schönheit“ urteilte<br />

der Kritiker Neville Cardus. Zum Glück ist<br />

diese Schönheit nur so vergänglich, dass es immer<br />

wieder gelingt, sie zu erwecken. Cellistin<br />

Marie-Elisabeth Hecker vermag dies auf ihrer<br />

neuen Aufnahme hervorragend. In Kombination<br />

mit dem selten gespielten Klavierquintett,<br />

das mit hochkarätigen Kammermusikpartnern<br />

besetzt ist, gelingt ihr ein feinsinniges Porträt<br />

des späten Elgar. Die beiden Stücke sind seine<br />

letzten vollendeten Werke, beide entstanden<br />

im Frühjahr 1919, einer schweren Zeit im Leben<br />

des Komponisten. Seine Frau war schwer<br />

krank und der Erste Weltkrieg hatte ihn stark<br />

mitgenommen. Diese Musik ist der Schwanengesang<br />

eines Mannes, der voller Schmerz und<br />

Sehnsucht zurückblickt – und hier unglaublich<br />

durchdringend interpretiert wird. SK<br />

E. Elgar: „Cello Concert, Piano<br />

Quintet“, Marie-Elisabeth<br />

Hecker, Antwerp Symphony<br />

Orchestra (Alpha)<br />

Track 6 auf der crescendo<br />

Abo-CD: Sospiri, op. 70<br />

Lili Boulanger<br />

Vergessene<br />

Komponistin<br />

Der 100. Todestag<br />

von Claude Debussy<br />

steht in diesem Jahr<br />

weltweit im Fokus.<br />

Weitaus weniger<br />

Aufmerksamkeit<br />

erhält Lili Boulanger,<br />

die 19<strong>18</strong> im Alter<br />

von nur 24 Jahren starb. Dabei hielt der<br />

Dirigent Igor Markevitch sie sogar für die<br />

„größte Komponistin der Musikgeschichte“.<br />

Für das Label Carus haben das Orpheus<br />

Vokalensemble und der Pianist Antonii<br />

Baryshevskyi unter Leitung von Michael<br />

Alber mystische Chorwerke und an Klangfarben<br />

reiche Klavierstücke aufgenommen.<br />

Boulanger ließ vom Symbolismus inspirierte<br />

Landschaften erstehen, in denen sich flötespielende<br />

Hirten und Sirenen tummeln. Subtil<br />

perlende Melodien verraten den Einfluss<br />

zeitgenössischer Vorbilder wie Debussy.<br />

An dessen Klavierkomposition La cathédrale<br />

engloutie aus dem ersten Band seiner<br />

Préludes erinnern die dramatischen Steigerungen<br />

in Boulangers Hymne au soleil. Dieses<br />

Album lädt dazu ein, das eindrucksvolle<br />

Oeuvre einer viel zu wenig beachteten<br />

Künstlerin zu entdecken. CK<br />

Lili Boulanger: „Hymne au Soleil“, Orpheus Vokalensemble,<br />

Antonii Baryshevskyi, Michael Alber (Carus)<br />

SOLO<br />

Caroline Goulding<br />

Wunderkinder<br />

unter sich<br />

Wolfgang Amadeus<br />

Mozart ist das beliebteste<br />

Wunderkind der<br />

Musikgeschichte. Gut<br />

150 Jahre nach seinem<br />

Tod wurde dem jungen<br />

Erich Wolfgang Korngold<br />

in Wien ebenfalls eine<br />

musikalische Hochbegabung attestiert. Heute<br />

verbindet man Korngold vor allem mit seiner<br />

Oper Die tote Stadt und seinen oscarprämierten<br />

Filmmusikkompositionen. Auf Caroline Gouldings<br />

Album reichen sich die beiden Komponisten<br />

über die Jahrhunderte hinweg die Hand.<br />

Die Interpretationen von Mozarts Violinkonzert<br />

Nr. 5 und Korngolds Violinkonzert Nr. 1 erscheinen<br />

trotz aller stilistischen Unterschiede wie aus<br />

einem Guss und offenbaren die immense klangliche<br />

Vorstellungskraft der jungen Künstlerin, die<br />

2017 im Rahmen der Sommets Musicaux de<br />

Gstaad mit dem Prix Thierry Scherz ausgezeichnet<br />

wurde. Das Album ist das klangvolle Ergebnis<br />

der Preisvergabe und wurde im Zusammenspiel<br />

mit dem Berner Symphonieorchester unter<br />

der Leitung von Kevin John Edusei eingespielt.<br />

KK<br />

E. W. Korngold, W. A. Mozart: „Violin Concertos“, Caroline Goulding,<br />

Berner Symphonieorchester, Kevin John Edusei (Claves)<br />

Track 1 auf der crescendo Abo-CD:<br />

Violinkonzert Nr. 5 A-Dur KV 219. I. Allegro aperto von Mozart<br />

JAZZ<br />

esbjörn svensson trio<br />

Drei Körper, ein Gehirn<br />

Auch zehn Jahre nach seinem tragischen Tod mit nur 44 Jahren<br />

ist die Faszination des schwedischen Jazzpianisten<br />

Esbjörn Svensson um keine Spur verblasst: Sein legendäres<br />

Trio e.s.t. gilt immer noch als wegweisende Formation eines<br />

neuen, weltoffenen, aus Klassik, Rock, Minimalismus schöpfenden<br />

europäischen Jazz, der sich endgültig emanzipiert<br />

hat von allen amerikanischen Vorbildern und auf geradezu<br />

magische Weise Verständliches zu höchster Komplexität<br />

verdichtet. Zu den Höhepunkten ihrer allzu kurzen Karriere<br />

zählt das Livekonzert in der Londoner Barbican Hall im<br />

Jahr 2005, das jetzt in audiophiler Qualität auf einem Doppelalbum<br />

veröffentlicht wurde: Es dokumentiert in zehn<br />

teilweise bekannten Titeln den charismatischen Zauber der<br />

drei geradezu symbiotisch interagierenden Topmusiker und<br />

verwandelt das Riesenauditorium für knapp zwei Stunden<br />

in ein Obdach höchster Intimität, einen Sehnsuchtsort der<br />

Klarheit, der Zärtlichkeit, der inneren Ruhe und unendlich<br />

ausströmender Linien: e.s.t. glich<br />

einem Fabelwesen aus drei Körpern<br />

und einem kreativen Motor. Es<br />

hat das Triospiel neu definiert. AC<br />

„e.s.t. live in london“, esbjörn svensson trio<br />

(ACT)<br />

Jacqueline du Pré<br />

Versengende Glut<br />

VINYL<br />

Als Jacqueline du Pré und Daniel Barenboim im Jahr 1967 heirateten,<br />

waren sie „das“ Traumpaar der internationalen Klassikszene.<br />

Doch dauerte der kometenhafte Höhenflug der 1945 in<br />

Oxford geborenen Cellistin nur wenige Jahre: Denn bereits<br />

Anfang der 70er-Jahre beendete eine Multiple-Sklerose-Erkrankung<br />

ihre kurze Karriere. Sie wurde nur 42 Jahre alt. Einen Höhepunkt<br />

ihrer schmalen Diskografie bildete im November 1970 das<br />

Dvořák-Konzert, das sie mit dem Chicago Symphony Orchestra<br />

und Barenboim im berühmten Medinah Temple aufnahm. Während<br />

der damals 27 Jahre junge Barenboim und das CSO sie „auf<br />

Händen trugen“ , spielte sie ihren Solopart mit einer inneren Glut,<br />

einer lyrischen Kraft und einer herzzerreißenden Intensität, die<br />

existenziell anmuteten und charismatischen Zauber verströmten.<br />

Das ganze Konzert wirkte wie eine große, schmerzlich-schöne<br />

Arie, wie ein unendliches Ausatmen einer starken, zwischen Leidenschaft,<br />

Verzweiflung und Sanftmut<br />

wogenden Seele. Es hat bis<br />

heute nichts von seiner betörenden<br />

Magie eingebüßt. AC<br />

Dvořák: „Cello Concerto in B Minor,<br />

Silent Woods“, Jaqueline du Pré,<br />

Chicago Symphony Orchestra, Daniel<br />

Barenboim (Warner)<br />

42 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


MIT STRAWINSKY IN DEN ZIRKUS<br />

HÖRREIHEN FÜR JUNGE LEUTE<br />

Abenteuer Klassik<br />

Lausch-Rätsel und<br />

Informations-Expedition<br />

Ob Bach, Beethoven, Händel oder Mozart: Vielen Kindern sind<br />

Werke dieser Komponisten vertraut. In ihrer Serie „Abenteuer<br />

Klassik“ begnügt sich Cosima Breidenstein nicht damit, ein Bestof-Album<br />

zusammenzustellen. Es geht ihr auch darum,<br />

Persönlichkeit, Biografie und Lebensumstände dieser<br />

Berühmtheiten anschaulich zu schildern. Umrahmt von<br />

passenden Musikbeispielen, die sie selbst mit Begleitung<br />

einspielt, nimmt sie ihre Zuhörer mit auf eine ebenso<br />

unterhaltsame wie informative Zeitreise. Denn wer weiß<br />

schon, dass Adelige ihr Gesicht früher wegen kariöser<br />

Zähne hinter Fächern verbargen? Oder dass Mädchen zu<br />

Zeiten von Johann Sebastian Bach selten zur Schule gingen<br />

und nur die Hälfte seiner 20 Nachkommen wegen der<br />

hohen Kindersterblichkeit damals älter wurde als vier<br />

Jahre? Genaues Hinhören ist in Fall von Vivaldi gefragt:<br />

Zu den Vier Jahreszeiten hat sich Cosima Breidenstein als<br />

Bonus-Track ein Lausch-Rätsel einfallen lassen, das die<br />

Symbolkraft von Klängen erklärt. ASK<br />

Reihe von Cosima Breidenstein: „Abenteuer Klassik“ (Sauerländer Audio)<br />

FÜR<br />

KINDER<br />

SWR Young CLASSIX<br />

Fantastische Reisen<br />

„Applaus! Applaus!“ Mit der Reihe Young CLASSIX<br />

ist dem SWR ein vergnüglich farbenprächtiger Hörbilderbogen<br />

der Musikvermittlung gelungen. Das<br />

stimmige Klangkonzept führt junge Hörer von 6 bis<br />

12 Jahren feinfühlig auf eine „fantastische Reise“ in<br />

die Welt der Klassik. Mit Strawinsky geht es in den<br />

Zirkus, mit Mendelssohn ins „Land, wo die Zitronen<br />

blüh’n“, mit Dvořák nach New York und mit Humperdinck<br />

in die Märchenwelt. Jedesmal gibt es über die<br />

Geschichte hinaus viel zu erzählen. Humperdinck hört<br />

man mit ganz neuen Ohren, so wundervoll hat<br />

Andreas N. Tarkmann seine Musik für Akkordeon,<br />

Cembalo und Streichquintett neu arrangiert. Namhafte<br />

Erzähler, das RSO und dessen Vokalensemble<br />

entführen in eine Hörkulisse, die auch ältere Zuhörer<br />

verführt. Bei „Des Kaisers Nachtigall“ erweist sich die<br />

kurzweilige Vielstimmigkeit im Erzählton von Malte<br />

Arkona zur schichtig sphärischen Musik des Letten Ugis<br />

Praulins als kongenial. SELL<br />

Reihe SWR Young CLASSIX (Helbling Verlag)<br />

BUCH<br />

Große Sänger<br />

Ins Stimmenparadies<br />

„Auf Flügeln des Gesanges,/Herzliebchen, trag ich dich fort,/<br />

Fort nach den Fluren des Ganges,/Dort weiß ich den schönsten<br />

Ort“, dichtete einst Heinrich Heine, und mit diesen Reimen öffnet<br />

das Buch Singen der Germanistin, Romanistin und Kunstgeschichtlerin<br />

Ulrike Roos von Rosen. Auf gut 200 Seiten hat sie<br />

einen – auch oder gerade für Laien – gut bekömmlichen Mix aus<br />

Künstlerinterviews, Fakten zur Funktion der Stimme und einprägsame<br />

Zitate akkumuliert. Mit dabei sind etwa Jonas Kaufmann,<br />

Anja Harteros, Diana Damrau oder André Schuen. Es geht um<br />

Fragen wie „Was unterscheidet Sprechen und Singen?“, „Wie<br />

haben die großen Sänger zum Gesang gefunden oder ihr Studium<br />

erlebt?“, „Wie gewinnt man Bühnenerfahrung?“, „Wie laufen Proben-<br />

und Aufführungsprozesse ab?“<br />

oder „Was hat das Chorsängerdasein<br />

für Vorzüge?“. Auch praktische Fragen<br />

nach Künstlergagen, Casting-Experten<br />

oder Kostümen als „Berufskleidung“<br />

werden in kleinen Frage-Antwort-<br />

Häppchen angerissen. Alles in allem<br />

ein netter, unterhaltsamer, auch als<br />

Zwischendurch-Lektüre gut konsumierbarer<br />

Band, der reich und großzügig<br />

bebildert ist. MG<br />

Die Biographie zum 100. Geburtstag<br />

Geb. mit Schutzumschlag · 302 S. · 26 Abb.<br />

ISBN 978-3-15-011095-9 · € 28,–<br />

Sven Oliver Müller zeigt Leonard Bernstein als Dirigenten<br />

und Komponisten, als Bürgerrechtler, Unternehmer und<br />

charismatischen Selbstdarsteller – und verschweigt auch<br />

nicht die schwierigen Seiten dieser Ausnahmepersönlichkeit.<br />

Ulrike Roos von Rosen: „Singen. Diana Damrau,<br />

Anja Harteros, Jonas Kaufmann und viele andere<br />

geben Auskunft“ (Königshausen & Neumann)<br />

www.reclam.de<br />

Reclam<br />

43


H Ö R E N & S E H E N<br />

Unerhörtes & neu Entdecktes<br />

von Christoph Schlüren<br />

NICHTS FÜR ASKETEN!<br />

Große Dirigenten in großen Editionen: Cluytens, Keilberth, Rosbaud und Stokowski<br />

in umfangreichen Klangporträts.<br />

Was sich bei heutigen Dirigenten in kaum einem Fall<br />

lohnen dürfte, ist bei den großen Maestri des<br />

20. Jahrhunderts von großem Reiz – nicht nur für<br />

Sammler, sondern für alle, die sich für die einst so<br />

vielfältig blühende Kunst des Dirigierens interessieren: Kompletteditionen,<br />

wie sie vor allem von den Major Labels Sony, Universal<br />

und Warner zunehmend auf den Markt gebracht werden. Da findet<br />

sich dann vieles erstmals auf CD, darunter einiges an echten Repertoire-Raritäten,<br />

und so manche Aufnahme wird überhaupt zum ersten<br />

Mal veröffentlicht.<br />

Nach den umfassenden RCA-Editionen der beiden in den USA<br />

zu überragendem Erfolg gekommenen französischen Meisterdirigenten<br />

Pierre Monteux und Charles Munch ist es nun der in Antwerpen<br />

geborene Belgier André Cluytens (1905–67), den Warner mit<br />

seinen kompletten Orchester- und Konzertaufnahmen vorstellt (also<br />

auch mit Vokalwerken jenseits der Opern). Cluytens war eine mitreißende,<br />

extrovertiert humorvolle Persönlichkeit, und im französischen<br />

Repertoire zählt er – mit einer Grundtendenz zu aufgeraut<br />

dunklem Klang und wilder Geradlinigkeit – besonders bei Roussel<br />

und Ravel, aber auch bei Berlioz und Franck zu den zeitlosen Klassikern.<br />

Darüber hinaus hat sein Beethoven-Sinfonien-<br />

Zyklus – der erste komplette, den die Berliner Philharmoniker<br />

auf Platte einspielten – mit seiner eleganten<br />

Frische Geschichte geschrieben. Auch die<br />

russische Musik des „Mächtigen Häufleins“ war bei<br />

ihm in idiomsicheren Händen. Und dann finden sich<br />

in dieser mit einem exzellenten Einführungs-Essay<br />

ausgestatteten 65-CD-Box viele hochkarätige<br />

Spezialitäten wie die beiden Schostakowitsch-<br />

Klavierkonzerte mit dem Komponisten am Klavier,<br />

überwältigende Aufnahmen mit Emil<br />

Gilels oder David Oistrach und vielleicht als<br />

eigentlicher Höhepunkt die einzige Komplettaufnahme<br />

von Debussy/D’Annunzios Le Martyre<br />

de St. Sébastien mit den gesamten Rezitationen,<br />

zum Glück in der etwas entkitschten Version<br />

von Véra Korène. Das ganze französische Pathos<br />

der Empörungskunst wird mit entflammter Leidenschaft<br />

aufgefahren, dazwischen darf Debussys geniale<br />

Musik ihre Lichtstrahlen aussenden. Man kann<br />

diese Anthologie nur rundweg empfehlen.<br />

Weniger mit Ruhm bekleckert sich Warner mit der Sammlung<br />

„The Telefunken Recordings 1953–63“ des großen deutschen Dirigenten<br />

Joseph Keilberth, denn: Der Titel ist irreführend, es ist keine<br />

komplette Kompilation, und leider fehlen vor allem wichtige Raritäten<br />

von Hans Pfitzner oder Jakov Gotovac. Eine vertane Chance. Die<br />

vorhandenen 22 CDs zeugen von einer Höhe klassisch ausgewogenen,<br />

hingebungsvoll brillanten Musizierens, die in ihrer lebendigen<br />

Kraft und Feinheit andere Kapellmeisterkollegen wie Günter Wand<br />

oder Wolfgang Sawallisch auf ihre Plätze verweist. Keilberth muss in<br />

Sinfonien Mozarts, Beethovens oder Brahms’ als einer der Großen<br />

gelten. Auch für die Interpretation der Musik Dvořáks, die seine aus<br />

Böhmen mit ihm emigrierten Bamberger Symphoniker so herrlich<br />

ursprünglich verstanden, und besonders für Reger oder Hindemith<br />

sind seine Beiträge geradezu epochal.<br />

Ähnliches ist auch über die Konzertmitschnitte des großen<br />

Hans Rosbaud am Pult des Sinfonieorchesters des Südwestfunks in<br />

Baden-Baden zu sagen, die nun von SWR Classic veröffentlicht werden,<br />

darunter eine Haydn-Box (7 CDs) und die Sinfonien Nr. 2–9<br />

von Bruckner. Kein späterer Chefdirigent hat dieses Niveau erreicht.<br />

Universal hatte zuletzt wunderbare Anthologien von Victor de<br />

Sabata (Deutsche Grammophon) und Carl Schuricht<br />

(Decca) veröffentlicht, und nun sind in adäquat mondäner<br />

Aufmachung sämtliche Decca-Aufnahmen von Leopold<br />

Stokowski in Phase-4-Stereo auf 22 CDs erschienen. Vieles<br />

davon gehört zum Besten in der Schallplattengeschichte,<br />

so vor allem die Mussorgsky-Orchestrationen des unübertroffenen<br />

Klangzauberers, aber auch Beethovens<br />

7. und 9. Sinfonie, Elgars Enigma<br />

Variations, Skriabins Poème de l’extase, Strawinsky,<br />

Rimsky-Korsakov, Borodin, Tschaikowsky,<br />

Messiaen und die so umstrittenen<br />

wie mitreißenden Bach-Transkriptionen für<br />

großes Orchester. Wer kein strenger<br />

Asket ist, sollte hier unbedingt<br />

zugreifen.<br />

n<br />

A. Cluytens: „The Complete Orchestral & Concerto<br />

Recordings“ (Erato); J. Keilberth: „The Telefunken Recordings<br />

1953–63“ (Warner); H. Rosbaud: „Haydn/<br />

Bruckner Sinfonien“ (SWR Classic); L. Stokowski:<br />

„Complete Decca Recordings“ (Decca)<br />

44 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


Große Tenöre<br />

Ära des Belcanto<br />

Belcanto: Jeder glaubt zu wissen, was er bedeutet.<br />

Und beschreibt damit meist einen Tenor<br />

von schöner Stimme, der das hohe C beherrscht<br />

und die Oper des 19. Jahrhunderts. Doch Belcanto<br />

ist mehr als das. Als Idealtyp des Belcantisten<br />

galten zunächst die Kastraten im <strong>18</strong>. Jahrhundert<br />

mit ihrer „Geschicklichkeit“ in den<br />

Verzierungen und der Fähigkeit „den Ton aufs<br />

feinste abzutheilen“, wie Nikolaus Forkel 1783<br />

verlangt. Dem Filmemacher Jan Schmidt-Garre<br />

war dies bewusst, als er 1997 die Tenöre aus<br />

der Schellackzeit porträtierte, die das „Latein<br />

des Singens“ (Jürgen Kesting) im historischen<br />

Sinne nicht beherrschten und dennoch den Belcanto-Begriff<br />

erweiterten. Deshalb sind<br />

Garres Porträts, nun im Format 16/9 HD wiederaufgelegt<br />

und um einen aufschlussreichen<br />

Essay-Band erweitert, ein Muss. Trotz<br />

Schwarz-Weiß und Kratzgeräuschen: Immer<br />

noch scheint das durch, was Caruso, Tauber,<br />

Gigli, Björling und andere zu Stars machte.<br />

Charisma und Stimmcharakter,<br />

um die mancher<br />

Tenor heute sie<br />

beneidet. TPR<br />

FOTO: OPERNHAUS ZÜRICH_HERWIG PRAMMER<br />

„Belcanto. The Tenors of the 78<br />

Era“, Enrico Caruso, John Mc-<br />

Cormack, Leo Slezak u. a. (Naxos)<br />

FILM<br />

Oper Zürich<br />

Absolutheit der Liebe<br />

Maria Callas<br />

Mythos Callas<br />

Nach zweijähriger Bühnenpause und der<br />

medial ausgeschlachteten Trennung von<br />

Aris toteles Onassis gelang Maria Callas 1964<br />

am Londoner Opernhaus Covent Garden als<br />

Tosca ein triumphales Comeback, wobei<br />

glücklicherweise der zweite Akt dieser Zeffirelli-Inszenierung<br />

vom Fernsehen mitgeschnitten<br />

wurde. Die Idee von Filmemacher<br />

Holger Preusse, anhand dieses Schwarz-<br />

Weiß-Dokuments den Mythos Callas mit<br />

Interviewpartnern zu erklären, geht auf<br />

spannende Weise auf. So kann man das Lob<br />

von Callas-Biograf Jürgen Kesting, „sie hatte<br />

die Fähigkeit, Extreme der Empfindung im<br />

Klang deutlich zu machen“, direkt überprüfen<br />

oder sich seinen eigenen Reim darauf<br />

machen, wie heutige Opernstars die „Primadonna<br />

assoluta“ sehen. Der Mehrwert dieser<br />

DVD liegt im angefügten und untertitelten<br />

legendären Tosca-Mitschnitt. Er ist –<br />

so Dirigent Antonio Pappano – „technisch<br />

prähistorisch und<br />

gleichzeitig so zeitlos.<br />

Und er zeigt, warum<br />

Oper mehr ist als<br />

schöne Klänge“. AR<br />

„Maria Callas – Magic Moments<br />

of Music. Tosca 1964“<br />

(Cmajor)<br />

In Gestaltung und Inhalt ist diese DVD eine feine Visitenkarte für das Opernhaus Zürich:<br />

Massenets Werther in erstklassiger Besetzung mit einem hinreißend singenden und traumwandlerisch<br />

sicher agierenden Juan Diego Flórez in der Titelrolle und damit im für ihn<br />

neuen französischen Repertoire. Am Dirigentenpult überzeugt Cornelius Meister mit<br />

Gespür für die Romantik, Farben und Stimmungen des lyrischen Dramas. Regisseurin<br />

Tatjana Gürbaca dagegen verweigert sich der Romantik, versetzt die Handlung aus der<br />

Goethezeit in die Mitte des 20. Jahrhunderts: Schon das (Einheits-)Bühnenbild, ein raumfüllender<br />

Einbauschrank in Eiche Natur, entlarvt Spießigkeit und Enge<br />

von Charlottes Welt. In ihren bürgerlichen Lebensentwurf bricht<br />

Außenseiter Werther ein, durch seinen Gefühlsüberschwang, sein<br />

unbedingtes Lieben von Anfang an gleichermaßen Gefährder wie<br />

Gefährdeter. Charlottes Zerrissenheit zwischen Pflicht und Liebe<br />

endet erst in Werthers Sterbeszene. AR<br />

J. Massenet: „Werther“, Juan Diego Flórez, Anna Stéphany, Cornelius Meister,<br />

Opernhaus Zürich (Accentus)<br />

45<br />

Foto: © Holger Schneider<br />

Wir gratulieren …<br />

HELMUTH<br />

RILLING<br />

zum 85. Geburtstag<br />

H elmuth Rilling verdanken wir die erste Gesamtaufnahme<br />

der Werke Johann Sebastian Bachs.<br />

Sowohl als Dirigent bei sämtlichen Kantaten, als auch<br />

als Spiritus Rector der kompletten Edition hat er damit<br />

ein Monument geschaffen, das getrost als Jahrhundertprojekt<br />

in der Schallplattengeschichte bezeichnet<br />

werden darf.<br />

Wir gratulieren dem Meister zum 85. Geburtstag.<br />

Die komplette Bach-Edition<br />

der Bachakademie Stuttgart<br />

Das Jahrhundertprojekt unter der Leitung<br />

des Bachexperten Helmuth Rilling<br />

Leidenschaft für Musik<br />

www.jpc.de<br />

Norbert Richter, jpc-Klassik<br />

Sonderpreis<br />

172 CDs<br />

€ 149, 99<br />

jpc-Bestellnummer<br />

347 95 25


IMPRESSUM<br />

VERLAG<br />

Port Media GmbH, Rindermarkt 6, 80331 München<br />

Telefon: +49-(0)89-74 15 09-0, Fax: -11<br />

info@crescendo.de, www.crescendo.de<br />

Port Media ist Mitglied im Verband Deutscher Zeitschriftenverleger<br />

und im AKS Arbeitskreis Kultursponsoring<br />

HERAUSGEBER<br />

Winfried Hanuschik | hanuschik@crescendo.de<br />

VERLAGSLEITUNG<br />

Petra Lettenmeier | lettenmeier@crescendo.de<br />

ART DIRECTOR<br />

Stefan Steitz<br />

REDAKTIONSLEITUNG<br />

Dr. Maria Goeth (MG)<br />

REDAKTION „ERLEBEN“<br />

Ruth Renée Reif (RR)<br />

SCHLUSSREDAKTION<br />

Maike Zürcher<br />

KOLUMNISTEN<br />

John Axelrod, Axel Brüggemann, Attila Csampai (AC),<br />

Daniel Hope, Christoph Schlüren (CS), Stefan Sell (SELL)<br />

MITARBEITER DIESER AUSGABE<br />

Roland H. Dippel (DIP), Verena Fischer-Zernin (VFZ), Alexander Fischerauer (AF), Jasmin<br />

Goll (JG), Ute Elena Hamm (UH), Klaus Härtel (KH), <strong>Juli</strong>a Hartel (JH), Sina Kleinedler<br />

(SK), Katherina Knees (KK), Corina Kolbe (CK), Guido Krawinkel (GK), Jens Laurson (JL),<br />

Anna Mareis (AM), Angelika Rahm(AR), Teresa Pieschacón Raphael (TPR), Antoinette<br />

Schmelter-Kaiser (ASK), Uta Swora (US), Mario Vogt (MV), Dorothea Walchshäusl (DW),<br />

Walter Weidringer (WW)<br />

VERLAGSREPRÄSENTANTEN<br />

Tonträger: Petra Lettenmeier | lettenmeier@crescendo.de<br />

Kulturbetriebe: Dr. Cornelia Engelhard | engelhard@crescendo.de<br />

Touristik & Marke: Heinz Mannsdorff | mannsdorff@crescendo.de<br />

Verlage: Hanspeter Reiter | reiter@crescendo.de<br />

AUFTRAGSMANAGEMENT<br />

Michaela Bendomir | bendomir@portmedia.de<br />

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Nr. 21 vom 09.09.2017<br />

DRUCK<br />

Westermann Druck, Georg-Westermann-Allee 66, 38104 Braunschweig<br />

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ERSCHEINUNGSWEISE<br />

crescendo ist im Zeitschriftenhandel, bei Opern- und Konzert häusern, im Kartenvorkauf<br />

und im Hifi- und Tonträgerhandel erhältlich. Copyright für alle Bei träge bei Port Media<br />

GmbH. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers, nicht<br />

unbedingt die der Redaktion wieder. Nachdruck und Vervielfältigung, auch auszugsweise,<br />

nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags. Für unverlangt eingesandte Manuskripte<br />

und Fotos wird keine Gewähr übernommen.<br />

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Das crescendo Premium-Abo umfasst sieben Ausgaben inklusive „crescendo<br />

Festspiel-Guide“ und zusätzlich sechs exklusive heftbegleitende Premium-CDs und kostet<br />

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Verbreitete Auflage:<br />

67.234 (lt. IVW-Meldung 1V/2017)<br />

ISSN: 1436-5529<br />

geprüfte Auflage<br />

(TEIL-)BEILAGEN / BEIHEFTER:<br />

CLASS: aktuell; Tiroler Festspiele Erl; musica viva<br />

DAS NÄCHSTE <strong>CRESCENDO</strong><br />

ERSCHEINT AM 7. SEPTEMBER 20<strong>18</strong>.<br />

crescendo<br />

unterstützt<br />

Münchner Rundfunkorchester<br />

Liebe, Tod und Intrige<br />

Die Oper ohne Giuseppe Verdi? Nicht auszudenken. Wie kaum ein<br />

anderer beherrschte es der Großmeister der Bühnendramatik, Beziehungsreigen<br />

aller Art in mitreißende Musik zu übersetzen. Was bei<br />

Friedrich Schiller Kabale und Liebe, heißt bei Verdi Luisa Miller und wird<br />

auf diesem Album mit virtuosem Schmelz und einer ordentlichen Portion<br />

Pathos in Szene gesetzt. Liebe und Intrige, Leidenschaft und Tod<br />

prägen die dramatische Handlung, die, interpretiert durch das Münchner<br />

Rundfunkorchester und den Chor des Bayerischen Rundfunks,<br />

musikalisch farbenreich zum Klingen kommt. Unter dem Dirigat von<br />

Ivan Repušić wird Verdi hier mit musikantischer Präsenz und kontrastreicher<br />

Dynamik gehuldigt, gelingt eine spannungsreiche und lebendige<br />

Deutung des hoch emotionalen Werks. Als Solisten überzeugen unter<br />

anderem Ivan Magrì, George Petean und allen voran Marina Rebeka<br />

mit reifer Tongebung und virtuoser Stimmtechnik.<br />

DW<br />

G. Verdi: „Luisa Miller“, Marina Rebeka, Judit Kutasi, Münchner<br />

Rundfunkorchester, Ivan Repušić (BR Klassik)<br />

Track 9 auf der crescendo Abo-CD: Sinfonia 1. Akt<br />

Tiburtina Ensemble & Capella de la Torre<br />

Samtiges Klangbad<br />

Welch edler Klang! Und das nicht nur, weil hier zwei zweifellos anmutig<br />

klingende Frauenensembles musizieren. Die Klangkultur der<br />

Capella de la Torre und des Tiburtina Ensembles ist superb, sie produzieren<br />

einzeln wie gemeinsam nicht nur himmlischen Schönklang, sondern<br />

ebensolchen mit Substanz. Auch der programmatische Gedanke<br />

ist bestens unterfüttert: Rekonstruiert wird hier eine Messe, so wie<br />

sie in spanischen Frauenklöstern des 16. Jahrhunderts erklungen sein<br />

könnte, mit passender Instrumentalmusik für Bläser, semiologisch<br />

schön differenziert gesungener Gregorianik und Motetten. Kaum<br />

jemals hat man Schalmei, Dulzian und Pommer samtiger schnarren<br />

hören, haben Frauenstimmen liebreizender, körperloser, engelsgleicher<br />

geklungen. Das gibt nicht nur ein klangliches<br />

Vollbad, sondern eines mit Extraschaum.<br />

Ein Hochgenuss, in jeder Hinsicht. GK<br />

Bassano, Victoria, Torre u. a.: „Vidi Speciosam.<br />

A Lady Mass from the 16th Century“, Tiburtina Ensemble,<br />

Capella de la Torre (dhm)<br />

Constance Heller<br />

Mit Wärme und Leidenschaft<br />

Als Komponist gehört Hans Sommer eher zu den Geheimtipps für<br />

Kenner des Liedrepertoires. Die Aufnahme von Constanze Heller und<br />

Gerold Huber, die sich auf hohem künstlerischen Niveau Vertonungen<br />

von Goethe, Eichendorff und Keller widmen, könnte jedoch dazu beitragen,<br />

seine Beliebtheit zu erhöhen und sein Werk einer breiteren<br />

Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Bemerkenswert ist die Fähigkeit<br />

der Sängerin, den Text mit einer Klarheit zu artikulieren, die jedes<br />

Wort verständlich macht, und gleichzeitig ein Höchstmaß an intonatorischer<br />

Sicherheit zu erreichen. Die charakteristische Wärme ihrer<br />

Klangfarbe, mit der sie in jeder Lage den passenden emotionalen Ausdruck<br />

erzeugt, mischt sich hervorragend mit der Klavierbegleitung<br />

Hubers, der es schafft, die vielfältigen Stimmungen<br />

in Sommers Liedern von dramatischer<br />

Leidenschaft bis hin zu melancholischer Wehmut<br />

meisterhaft einzufangen. US<br />

„Mignons Sehnen. Lieder von Hans Sommer“, Constance Heller,<br />

Gerold Huber (Solo Musica)<br />

OPER<br />

ALTE<br />

MUSIK<br />

LIED<br />

46 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


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A K U S T I K<br />

KLARINETTEN-KRIEGE<br />

Bis heute hängt der deutsch-französische Haussegen ausgerechnet in einem<br />

musikalischen Belang schief: Über die Frage des Klarinettensystems ist keine Einigung in Sicht.<br />

Ein Besuch am „Kriegsschauplatz“.<br />

VON KLAUS HÄRTEL<br />

Matthias Schorn und Laura Ruiz Ferreres gehören zu den wenigen Klarinettisten, die sich sowohl auf dem deutschen<br />

als auch auf dem Böhm-System zu Hause fühlen<br />

Beatles oder Stones? Mac oder PC? McDonalds oder Burger<br />

King? Es gibt im Leben diese Fragen, die scheinbar nur ein<br />

„Entweder-oder“ zulassen. Das ist in der Musik nicht<br />

anders. Auch bei den Klarinetten muss man sich entscheiden.<br />

Oehler oder Böhm? Deutsch oder französisch? Beides geht<br />

nicht. Ist durch diese Systemfrage am Ende gar die deutsch-französische<br />

Freundschaft in Gefahr?<br />

So dramatisch ist es nicht, doch in der Tat verläuft die Trennungslinie<br />

dieses Systems zwischen Deutschland, Österreich und<br />

der deutschsprachigen Schweiz auf der einen Seite und dem „Rest<br />

der Welt“ auf der anderen. In den „deutschsprachigen“ Orchestern<br />

hält man auch aus Tradition am deutschen System fest. Das hat<br />

durchaus Charme, weil damit – wie in der Sprache – ein bestimmter<br />

Dialekt bewahrt wird und diese regionale Eigenheit zu Unverwechselbarkeit<br />

und Diversität beiträgt.<br />

„Entweder-oder“ ist also die Devise. Und doch gibt es Musiker,<br />

die die hohe Kunst der Systemumstellung beherrschen. Die<br />

Spanierin Laura Ruiz Ferreres etwa – von 2006 bis 2010 Soloklarinettistin<br />

im Orchester der Komischen Oper Berlin und heute Professorin<br />

an der Frankfurter Musikhochschule – gehört zu den<br />

wenigen Künstlern, die beide Systeme beherrschen und lehren.<br />

Das Böhm-System von klein auf gelernt, war Laura Ruiz Ferreres<br />

seinerzeit gewarnt worden, das System nicht zu wechseln.<br />

„Aber ich war neugierig und ehrgeizig“, erzählt sie, „und ich habe<br />

es geschafft. Ich erinnere mich immer an meine Zeit als Akademistin<br />

bei der Staatskapelle Berlin, wo ich manchmal in Opern mit<br />

französischer A-Klarinette und deutscher B-Klarinette gespielt<br />

habe …“<br />

Auch Matthias Schorn, Soloklarinettist der Wiener Staatsoper<br />

bzw. der Wiener Philharmoniker „muss“ von Berufs wegen<br />

„deutsch“ spielen, obwohl er dereinst auf der Böhm gelernt hat.<br />

Voraussetzung aber, um ein Studium beginnen zu können, war das<br />

Umlernen auf das deutsche System. „In der Nachbetrachtung bin<br />

ich sehr glücklich, beide Klarinettensysteme kennengelernt zu<br />

FOTO: LUKAS BECK; AGENTUR<br />

48 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


haben. Bis heute spiele ich gerne Böhmsystem, wenn ich Bassklarinette spiele.“<br />

Worin aber liegt nun der Unterschied? Am offensichtlichsten ist die Klappenkonstruktion.<br />

Manche Töne sind auf den Klarinetten unterschiedlich zu<br />

greifen und – vereinfacht formuliert – auf der Böhmklarinette stehen für einen<br />

Ton oftmals mehrere Griffmöglichkeiten zur Verfügung. Ein weiterer Unterschied<br />

ist die Innenbohrung der beiden Klarinettensysteme, die beim Böhmsystem<br />

deutlich weiter ist als bei der deutschen Klarinette. Ebenso werden zum<br />

Teil völlig andere Mundstücke und Blätter verwendet, was auch klangliche<br />

Unterschiede hervorbringt und gewisse Spieltechniken wie etwa das Lippenvibrato<br />

auf dem deutschen System schwieriger macht. Denn auf der deutschen<br />

Klarinette werden schwerere Blätter gespielt, was zunächst deutlich anstrengender<br />

ist.<br />

Warum aber gibt es überhaupt zwei Systeme? Ein kleiner historischer<br />

Exkurs soll Licht ins Dunkel bringen: Als<br />

Erfinder der Klarinette gilt der deutsche<br />

Instrumentenbauer Johann Christoph<br />

Denner (1655–1707). Seine Modernisierung<br />

des Chalumeaus, eines einfachen<br />

Volksinstruments, stieß wegen des besonderen<br />

Klangs auf großen Zuspruch. Ab<br />

1732 wurde das Instrument als Klarinette,<br />

also kleine Clarin-Trompete, bezeichnet.<br />

Viele Jahre lang wurde an der Klarinette<br />

weitergetüftelt, aber erst etwa 100<br />

Jahre nach Denner machte Iwan Müller<br />

(1786–<strong>18</strong>54) einen entscheidenden Schritt:<br />

<strong>18</strong>12 stellte er ein Instrument mit 13 luftdichten<br />

Klappen und Blattschraube vor,<br />

auf dem es nun endlich möglich war, auch<br />

„DAS FESTHALTEN<br />

AN DEN BEIDEN SYSTEMEN<br />

HAT DURCHAUS<br />

CHARME, WEIL DAMIT<br />

– WIE IN DER SPRACHE –<br />

EIN BESTIMMTER<br />

UNVERWECHSELBARER<br />

DIALEKT<br />

BEWAHRT WIRD“<br />

chromatisch zu spielen. Trotz eines negativen Gutachtens des Pariser Konservatoriums<br />

setzte sich das Instrument schon wenige Jahre später andernorts<br />

immer mehr durch.<br />

In Frankreich ging man um <strong>18</strong>40 andere Wege: Hyacinthe Klosé und<br />

Louis Buffet übertrugen das Ringklappensystem der Böhm-Flöte auf die Klarinette<br />

und präsentierten so ein Instrument mit 17 Klappen. Spieltechnische<br />

Erleichterungen und auch Verbesserungen der Intonation waren das Ergebnis.<br />

Die vereinfachte Technik und die akustischen Verbesserungen galten hier als<br />

entscheidendes Kriterium für die Qualität des Instruments.<br />

Die Müller-Klarinette wurde dagegen nur sehr langsam und in kleinen<br />

Schritten weiterentwickelt. Man bemühte sich besonders, das romantische<br />

Klangideal zu wahren. Etwa 20 Jahre lang war die Böhm-Klarinette deutschen<br />

Instrumenten technisch überlegen. Carl Baermann erkannte schließlich, dass<br />

das System der Böhm-Klarinette wohl die einzige Möglichkeit sei, eine „Überladung<br />

des Instruments mit Klappen und Hebeln“ zu vermeiden.<br />

Auch der Belgier Eugène Albert behalf sich bei seinem Instrument mit<br />

Elementen der Böhm-Klarinette, allerdings war seine Klarinette intonationsgenauer.<br />

<strong>18</strong>90 entwickelte Oskar Oehler dann die letzten großen Neuerungen am<br />

deutschen System: Sein Instrument mit 22 Klappen zeichneten vor allem klangliche<br />

Verbesserungen aus.<br />

Bis heute ungeschlichtet ist der „Streit“ zwischen Böhm- und deutschem<br />

System. Die Böhm klingt schärfer, heller, vielfältiger, begünstigt das Vibrato,<br />

die Virtuosität, die schnellen Läufe, die Eleganz – und den Geldbeutel. Die<br />

„deutsche“ klingt wärmer, dunkler, obertonärmer, begünstigt die Tonbeugung<br />

und das Glissando, verlangt Gabelgriffe, Zungen- und Fingertricks. Und es gibt<br />

einen klanglichen Unterschied. Dieser ist allerdings sehr stark von Blatt, Mundstück<br />

und Anblasart abhängig. Der Zuhörer kann nicht unbedingt zuordnen,<br />

welches System gespielt wird. Es kommt sehr auf den Spieler und das verwendete<br />

Material an, wie eine Klarinette klingt. Die Schule, aus der der Spieler<br />

kommt, ist sehr viel entscheidender dafür als das Instrument selbst. Die<br />

Schwachstellen sind letztlich bei beiden Systemen die gleichen – und meistens<br />

ist der Spieler eine davon.<br />

■<br />

49


R Ä T S E L<br />

& R E A K T I O N E N<br />

GEWINNSPIEL<br />

Wer verbirgt sich hinter diesem Text?<br />

WANN FÄHRT HIER<br />

DER NÄCHSTE<br />

SCHWAN?<br />

Auf crescendo-Facebook hatten wir Sie jüngst nach Ihren<br />

liebsten Bühnenpannen gefragt. Einige der Antworten wollen<br />

wir Ihnen nicht vorenthalten. Das Zitat „Wann fährt hier<br />

der nächste Schwan?“ stammt übrigens von Leo Slezak. In<br />

einem Theater in Oberösterreich zogen die Bühnenarbeiter<br />

den Lohengrin-Schwan davon, bevor der Tenor aufsteigen<br />

konnte. Daraufhin entfuhr ihm der legendäre Satz.<br />

„Meine Orgelsachen sind schwer, es gehört ein über die Technik<br />

souverän herrschender geistvoller Spieler dazu“.<br />

„Als der liebe Gott den Humor verteilte, habe ich zweimal „hier!“<br />

gerufen“. Ich kam als Sohn eines musikalischen Dorfschullehrers<br />

zur Welt, der für mich sogar eine kleine Hausorgel bastelte. Ehrfürchtig<br />

hörte ich schon in jungen Jahren Wagners Parsifal in<br />

Bayreuth, was mich so beeindruckte, dass ich entschied, Komponist<br />

zu werden, Unterricht zu nehmen und zwei Komponisten<br />

entdeckte, die mich am meisten beeinflusst haben: Bach und<br />

Brahms.<br />

Als meine „Sturm- und Trankzeit“ sich gelegt hatte, wurde ich<br />

schnell als angesehener Komponist, Pianist und Lehrer schon zu<br />

Lebzeiten gefeiert. Das große Arbeitspensum zwischen Lehrverpflichtungen<br />

und Tourneen forderte seinen Tribut, was mich leider<br />

immer öfter zur Flasche greifen ließ. Dennoch arbeitete ich mit<br />

einer unglaublichen Schnelligkeit und Leichtigkeit und gab mitunter<br />

100 Konzerte im Jahr.<br />

Auch das Ausland wurde auf mich aufmerksam, und ich hatte<br />

die Ehre, mit äußerst hervorragenden Künstlern in ganz Europa<br />

zusammenzuarbeiten. Darunter auch eine beleibte Sängerin, die ich<br />

liebevoll „Venus von Kilo“ nannte.<br />

In meiner Musik übernahm ich klare Formen aus dem Barock,<br />

die aber durch raffinierte Klangfarben und technisch herausfordernde<br />

Harmonien mit romantischem Gefühlsausdruck verbunden<br />

wurden. Es entstanden zahlreiche Werke für mein Lieblingsinstrument,<br />

für das viel zu lange wenig geschrieben wurde. Ich habe ihm<br />

dafür die Vielfarbigkeit des modernen Orchesters gegeben! AM<br />

RÄTSEL LÖSEN UND<br />

GUSTAV MAHLER GEWINNEN!<br />

Was ist hier gesucht? Wenn Sie die Antwort<br />

kennen, dann nehmen Sie an der Verlosung teil<br />

unter www.crescendo.de/mitmachen.<br />

Sie können die CD-Box gewinnen: „Mahler.<br />

Symphonien 1–9. Symphonie orchester des BR.<br />

Colin Davis, Daniel Harding u. a. (BR Klassik)“. Einsendeschluss ist der<br />

31.7.20<strong>18</strong>. Die Gewinnerin unseres letzten Gewinnspiels ist Irmgard Paulus<br />

aus München. Die Lösung lautete: Edith Piaf.<br />

Benjamin L. Mein Vater erzählt gern von einer Tosca-Aufführung<br />

in Augsburg. Die dort besetzte Hauptdarstellerin war wohl<br />

etwas beleibter, und als sie im 3. Akt von der Engelsburg sprang,<br />

beförderte sie das Trampolin, das sie backstage auffangen sollte,<br />

kurzerhand für einen kurzen Moment wieder nach oben. Die<br />

Sängerin kreischte wie wild. Ob sie „Mario, Mario“ schrie, ist leider<br />

nicht überliefert<br />

Florian H. Probe zu Meistersingern, 2. Akt in Essen, ca. 2004:<br />

Die Bratschen „vergurken“ das Wahnmotiv, der Dirigent bricht<br />

ab und hebt zum Donnerwetter an, Sachs hat nichts mitbekommen<br />

und singt: „Üble Dinge, die ich da merk!“ Das Donnerwetter<br />

fiel aus …<br />

Gisela R. Bayreuther Festspiele 1978, Generalprobe Siegfried,<br />

letzter Akt, Szene Siegfried – Wanderer. Als der Speer zerschlagen<br />

war, sollte Bühnennebel sein. Aber bei dieser Probe war er<br />

übermäßig dicht, sodass des Wanderers (Donald McIntyres)<br />

letzte Worte waren: „Zieh hin, ich kann dich nicht sehen.“<br />

Joachim J. Vor wenigen Tagen: Dernière Zauberflöte an der Musikhochschule<br />

Köln. Großartige Aufführung, aber: Pamino wird<br />

Paminas Bildnis in einem Umschlag überreicht, und er kriegt und<br />

kriegt ihn nicht auf. Endlich, nach gefühlten Minuten, das erlösende<br />

und nicht zu überhörende „Aaaaahhh“ des Dirigenten und<br />

der Einsatz zu Dies Bildnis ist bezaubernd schön …<br />

Die Lieblingspanne unserer leitenden Redakteurin Maria Goeth:<br />

eine Aufführung von Ariodante an der Bayerischen Staatsoper. In<br />

einer Szene wird eine spiegelnde Zwischenwand heruntergefahren.<br />

Sie hängt leicht schief, sodass der in der Gasse sitzende,<br />

sich völlig unbeobachtet fühlende Feuerwehrmann sichtbar wird<br />

– sich seelenruhig fläzend, kratzend, Grimassen schneidend.<br />

Wie die Protagonistin sang, ist vergessen, denn 2.000 Augenpaare<br />

starren auf den Brandwächter.<br />

50 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


ERLEBEN<br />

Die wichtigsten Termine und Veranstaltungen im <strong>Juni</strong>, <strong>Juli</strong> und <strong>August</strong> im Überblick (ab Seite 52)<br />

Sommer, Sonne, Klanggenuss – die lohnenswertesten Festivals in Italien (Seite 58)<br />

Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz: Vielfalt von Bruckner über Jazz bis in die entspannte Moderne (Seite 60)<br />

17. und <strong>18</strong>. <strong>August</strong>, Potsdam<br />

20. POTSDAMER SCHLÖSSERNACHT<br />

„… und er sagt: ‚Fräulein Therese!‘ – und tut einen letzten Seufzer und stirbt. Gebe Gott uns allen,<br />

uns Trinkern, einen so leichten und so schönen Tod!“ Max Moor liest aus Joseph Roths Novelle<br />

Die Legende vom Heiligen Trinker aus dem Jahr 1939. „Leise Töne, markante Stimmen, spannende<br />

Geschichte(n)!“ heißt das Motto, unter dem Schauspieler Texte von E. T. A. Hoffmann, Joachim Ringelnatz,<br />

Lion Feuchtwanger und anderen präsentieren. Die Compagnie Transe Express (Foto) lässt<br />

sechs Meter hohe Diven in ausladenden Reifröcken durch die Menge schweben, während Teatro Só<br />

ergreifende Geschichten von der Liebe eines alten Paares erzählt und die Gänsekapelle spielt. Auch<br />

die berühmte Bildergalerie im Schlosspark kehrt in der Jubiläumsnacht ihr Inneres nach außen und<br />

„hängt“ ihre Meisterwerke mittels Großbildprojektionen an die Fassade.<br />

Potsdam, Schlossanlage Sanssouci, www.potsdamer-schloessernacht.de<br />

FOTO: TRANSE EXPRESS<br />

51


E R L E B E N<br />

<strong>Juni</strong> / <strong>Juli</strong> / <strong>August</strong> 20<strong>18</strong><br />

DIE WICHTIGSTEN<br />

VERANSTALTUNGEN AUF<br />

EINEN BLICK<br />

Ihr persönlicher Navigator für Premieren, Konzerte und Festivals<br />

PREMIEREN<br />

1.6. ERFURT THEATER<br />

Agnes von Hohenstaufen / G. Spontini<br />

1.6. LÜBECK THEATER<br />

Otello / G. Verdi<br />

2.6. CHEMNITZ THEATER<br />

Die Fledermaus / J. Strauss<br />

2.6. HANNOVER STAATSOPER<br />

Dialoge der Karmelitinnen / F. Poulenc<br />

2.6. LEIPZIG OPER<br />

Casanova / A. Lortzing<br />

2.6. WEIMAR NATIONALTHEATER<br />

Ein Maskenball / G. Verdi<br />

2.6. WIEN (AT) VOLKSOPER<br />

Gasparone / C. Millöcker<br />

3.6. ESSEN AALTO-THEATER<br />

Eine Nacht in Venedig / J. Strauss<br />

3.6. HAMBURG STAATSOPER<br />

Benjamin / P. Ruzicka<br />

3.6. KARLSRUHE STAATSTHEATER<br />

Anna Bolena / G. Donizetti<br />

3.6. MAINZ STAATSTHEATER<br />

Antikrist / R. Langgaard<br />

3.6. NÜRNBERG STAATSTHEATER<br />

Die Rückkehr des Odysseus /<br />

C. Monteverdi<br />

7.6. ULM THEATER<br />

Rock of Ages / E. Popp<br />

8.6. DESSAU ANHALTISCHES THEA-<br />

TER Giulio Cesare / G. F. Händel<br />

8.6. MÜNCHEN GÄRTNERPLATZ-<br />

THEATER Je suis Faust / P. Weiß<br />

9.6. FREIBURG THEATER<br />

Coraline / M. Turnage<br />

9.6. KIEL THEATER<br />

Die Aufteilung der Welt / G. Legrenzi<br />

10.6. AACHEN THEATER<br />

Maria Stuarda / G. Donizetti<br />

10.6. FRANKFURT OPER<br />

Norma / V. Bellini<br />

10.6. LINZ (AT) LANDESTHEATER<br />

Così fan tutte / W. A. Mozart<br />

11.6. WIEN (AT) STAATSOPER<br />

Der Freischütz / C. M. v. Weber<br />

14.6. BERLIN NEUKÖLLNER OPER<br />

Orpheus Optimal / Y. Halpern<br />

14.6. GRAZ OPER<br />

María de Buenos Aires / A. Piazzolla<br />

14.6. MÜNCHEN GÄRTNERPLATZ-<br />

THEATER Der tapfere Soldat / O. Straus<br />

15.6. BERLIN DEUTSCHE OPER<br />

Il viaggio a Reims / G. Rossini<br />

15.6. MEININGEN STAATSTHEATER<br />

Die Piraten von Penzance / A. Sullivan<br />

3. bis 26. <strong>August</strong>, Erfurt<br />

Bewundernswerte<br />

Selbstbehauptung<br />

Domberg in Erfurt<br />

Romantisch verklärt und zugleich ausgegrenzt und verfolgt, das ist<br />

das Schicksal der Roma. Wirtschaftliche und soziale Umstände<br />

zwangen sie zum ständigen Wandern und drängten sie in Berufe,<br />

die sich mit der nomadischen Lebensweise vereinbaren ließen.<br />

Dass sie dabei große Flexibilität, Geschicklichkeit und Fantasie bewiesen,<br />

um dennoch zu überleben, zeugt von bewundernswerter<br />

Selbstbehauptung. Diese beeindruckende Kraft und den steten<br />

Kampf um Freiheit einer an den Rand gedrängten Frau nimmt Guy<br />

Montavon zur Grundlage seiner Carmen-Inszenierung. Zum 25. Jubiläum<br />

der DomStufen-Festspiele Erfurt lässt er auf der asymmetrischen<br />

Treppe zum Domberg Bizets Skandaloper wieder als solche<br />

erlebbar werden. Montavon ist seit 2002 Generalintendant<br />

des Theaters Erfurt und künstlerischer Leiter der Festspiele. Er<br />

studierte Musiktheaterregie bei Götz Friedrich, für den Carmen<br />

der gelebte und nur im Tod lösbare Widerspruch von Eros und<br />

Freiheit war. Ausstatter Hank Irwin Kittel entwirft für die 70 Stufen<br />

zwischen Mariendom und Severikirche ein spektakuläres Bühnenbild.<br />

Als Carmen sind wechselnd Katja Bildt, <strong>Juli</strong>a Stein und Miroslava<br />

Yordanova zu erleben. Zu den weiteren Mitwirkenden zählen<br />

das Philharmonische Orchester Erfurt sowie der Opernchor.<br />

Die musikalische Leitung übernimmt Myron Michailidis, der mit<br />

dieser Festspielproduktion sein Amt als Generalmusikdirektor in<br />

Erfurt antritt.<br />

Erfurt, Domberg, www.domstufen-festspiele.de<br />

FOTO: LUTZ EDELHOFF / THEATER ERFURT<br />

16.6. BERLIN KOMISCHE OPER<br />

Die Nase / D. Schostakowitsch<br />

16.6. HEIDELBERG THEATER<br />

Anatevka / J. Bock<br />

16.6. HOF THEATER<br />

Alcina / G. F. Händel<br />

16.6. LEIPZIG OPER<br />

Lulu / A. Berg<br />

16.6. LÜNEBURG THEATER<br />

Wiener Blut / J. Strauss<br />

16.6. OSNABRÜCK THEATER<br />

Doktor Faust / F. Busoni<br />

16.6. REGENSBURG THEATER<br />

Don Giovanni / W. A. Mozart<br />

17.6. BERLIN STAATSOPER<br />

Macbeth / G. Verdi<br />

17.6. WIESBADEN STAATSTHEATER<br />

Don Giovanni / W. A. Mozart<br />

19.6. BERLIN DEUTSCHE OPER<br />

Wir aus Glas / Y. Inamori<br />

21.6. BRAUNSCHWEIG STAATSTHE-<br />

ATER Originale / K. Stockhausen<br />

22.6. COBURG LANDESTHEATER<br />

Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny /<br />

K. Weill<br />

22.6. LÜBECK THEATER<br />

Der Drachenreiter / J. Pezold<br />

22.6. SCHWERIN STAATSTHEATER<br />

Tosca / G. Puccini<br />

23.6. BADEN (AT) STADTTHEATER<br />

Die lustige Witwe / F. Lehár<br />

23.6. COTTBUS STAATSTHEATER<br />

Die Csárdásfürstin / E. Kálmán<br />

24.6. KÖLN OPER<br />

Il matrimonio segreto / D. Cimarosa<br />

24.6. ZÜRICH (CH) OPERNHAUS<br />

L’incoronazione di Poppea / Monteverdi<br />

26.6. BRAUNSCHWEIG<br />

STAATSTHEATER tanzwärts / G. Zöllig<br />

26.6. MÜNCHEN BAYERISCHE<br />

STAATSOPER Zeig mir deine Wunder /<br />

N. Rimski- Korsakow<br />

28.6. BERLIN STAATSOPER<br />

Ein Porträt des Künstlers als Toter /<br />

F. Bridarolli<br />

28.6. MÜNCHEN BAYERISCHE<br />

STAATSOPER Parsifal / R. Wagner<br />

30.6. AACHEN THEATER<br />

Das schlaue Füchslein / L. Janáček<br />

30.6. AUGSBURG THEATER<br />

Herz aus Gold / S. Kanyar<br />

30.6. DRESDEN SEMPEROPER<br />

Oedipus Rex / Il prigioniero / I. Strawinsky<br />

5.7. MÜNCHEN STAATSOPER<br />

Die Vorübergehenden / N. Brass<br />

7.7. BERLIN STAATSOPER<br />

52 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


FOTOS: FOTOS: PAWEL KOPCZYNSKI; FLORIAN MIEDL; DR. RENÉ MEYER; BAYERISCHE PHILHARMONIE; TRANSE EXPRESS; TRANSE EXPRESS; MARTIN SIGMUND; STOFLETH; ASTRID ACKERMANN; GISELA SCHENKER; DOMINIK ODENKIRCHEN; UWE ARENS;<br />

HTTP://SCHEWIG.AT/MUSIKERPORTRAITS-ALESSANDRO-QUARTA/<br />

23. <strong>Juni</strong> bis 1. September<br />

RHEINGAU MUSIK FESTIVAL<br />

Brett Dean (Foto) lernte bei den Großen.<br />

15 Jahre war er Bratscher bei den Berliner Philharmonikern<br />

und spielte Beethoven, Brahms,<br />

Bruckner und viele andere. Kurioserweise war<br />

es ein Rockmusiker, der ihn ermutigte, sich ganz<br />

dem Komponieren zu widmen. 2000 kehrte<br />

Dean in sein Geburtsland Australien zurück.<br />

Das Festival präsentiert ihn am Pult, an der Bratsche und mit seinen Kompositionen<br />

als Künstler im Fokus. Im Projekt mit dem Swedish Chamber<br />

Orchestra übersetzt Dean mit seinem Approach (Prelude to a Canon) Bachs<br />

Brandenburgisches Konzert Nr. 6 ins Heute. Mit Baiba Skride, Gergana<br />

Gergova, Hélène Clement und Alban Gerhardt stellt er sein Streichquintett<br />

Epitaphs vor und erinnert an Freunde und Weggefährten.<br />

„Freundschaft“ lautet denn auch der Leitgedanke des Festivals, das zu den<br />

größten Europas gehört. Über 170 Konzerte stehen auf dem Programm.<br />

Region Frankfurt, verschiedene Spielorte, www.rheingau-musikfestival.de<br />

5. <strong>Juni</strong> bis 2. September<br />

WUNSIEDEL LUISENBURG-FESTSPIELE<br />

Das Musical aller Musicals kommt auf die Felsenbühne<br />

im Fichtelgebirge. Tim Zimmermann,<br />

Gewinner des Musical-Choreography-Award<br />

2010 in Dänemark, inszeniert Frederick Loewes<br />

My Fair Lady. „Bei der Besetzung ist mir ein<br />

Coup gelungen“, freut sich die neue Festspiel-<br />

Intendantin Birgit Simmler: „Ich habe Zodwa<br />

K. M. Selele für die Hauptrolle der Eliza Doolittle engagiert.“ Die Rolle<br />

von Professor Henry Higgins, der mit Oberst Pickering wettet, dass es<br />

ihm gelingen werde, aus dem ordinären Blumenmädchen Eliza eine Dame<br />

zu machen, übernimmt Markus Pol (auf dem Foto mit Selele). Außerdem<br />

gibt es Verdis La Traviata und als Gastspiel der Operettenbühne Wien<br />

Gräfin Mariza von Emmerich Kálmán zu erleben.<br />

Wunsiedel, Felsenbühne, www.luisenburg-aktuell.de<br />

22. bis 28. <strong>Juni</strong><br />

REMAGEN 13. ROLANDSECK-FESTIVAL<br />

Rolandseck habe als Ort der Künste eine wunderbare<br />

Tradition, schwärmt die Violinistin<br />

Mihaela Martin. 2017 übernahm sie die künstlerische<br />

Leitung des Festivals. Im Arp Museum<br />

konzertiert sie mit der Pianistin Plamena Mangova<br />

und dem Streichorchester Camerata Regala<br />

aus Bukarest, das auch Werke der rumänischen<br />

Komponisten Constantin Silvestri und Paul Constantinescu vorstellt.<br />

„Im Farbenrausch“ steht als Motto über dem Festival. Das Arp<br />

Museum widmet das Jahr 20<strong>18</strong> der Farbe. Der Galerist und Kunstsammler<br />

Johannes Wasmuth baute den klassizistischen Bahnhof zum Museum<br />

aus. Dabei strebte er eine enge Verknüpfung von Kunst, Literatur und<br />

Musik an. Die Musiker berauschen ihr Publikum mit Klangfarben. Das Michelangelo<br />

String Quartet spielt Werke von Mozart, Haydn, Schumann,<br />

Schubert sowie Tschaikowsky, Schostakowitsch und anderen. Das Foto<br />

zeigt die Cellistin Jing Zhao und den Pianisten Itamar Golan.<br />

Remagen, Bahnhof Rolandseck, www.wasmuthgesellschaft.de<br />

4. <strong>Juli</strong><br />

MÜNCHEN SYMPHONIC AMERICA<br />

Als „ungeniert tonal, unkompliziert und mit einer<br />

Menge Spaß“ beschreibt der amerikanische<br />

Komponist Peter Boyer sein Werk für Streichorchester<br />

Three Olympians. Gemeint sind damit<br />

die Bewohner des antiken Olymp: Apollon,<br />

Aphrodite und Ares. Jedem widmet Boyer einen<br />

Satz. „Apollon, der Gott der Vernunft, der<br />

Musik und der Weissagung, inspiriert mich zu klassischer Harmonie.<br />

Ti vedo, ti sento, mi perdo / S. Sciarrino<br />

12.7. MÜNCHEN GÄRTNERPLATZ-<br />

THEATER La Strada / M. Goecke<br />

14.7. BADEN (AT) STADTTHEATER<br />

Der Bettelstudent / C. Millöcker<br />

14.7. MANNHEIM NATIONAL-<br />

THEATER Don Giovanni / W. A. Mozart<br />

19.7. MÜNCHEN STAATSOPER<br />

Vanitas / S. Sciarrino<br />

23.7. MÜNCHEN STAATSOPER<br />

Orlando Paladino / J. Haydn<br />

28.7. BADEN (AT) STADTTHEATER<br />

Bonnie & Clyde / F. Wildhorn<br />

<strong>18</strong>.8. BRAUNSCHWEIG<br />

STAATSTHEATER Carmen / G. Bizet<br />

<strong>18</strong>.8. KOBLENZ THEATER<br />

Chess / B. Andersson<br />

KÜNSTLER<br />

PIOTR ANDERSZEWSKI<br />

10.6. Baden Baden, Festspielhaus<br />

28., 29., 30.6. München, Philharmonie<br />

BENJAMIN APPL<br />

10., 11.8. Hamburg, Elbphilharmonie<br />

MARTHA ARGERICH<br />

25., 26., 27., 28., 29., 30.,6., 1.7.<br />

Hamburg, Laeiszhalle<br />

2.7. Hamburg, Schmidt Theater<br />

23.7. Verbier (CH), Église<br />

25., 29.7. Verbier (CH), Salle des Combins<br />

KIT ARMSTRONG<br />

12.7. Mülheim, Stadthalle<br />

13.7. Ludwigsburg, Residenzschloss<br />

15.7. Passau, Rathaus<br />

25.7. Hasenwinkel, Schloss<br />

26.7. Rühn, Klosterkirche<br />

27.7. Hohen Luckow, Schloss<br />

28.7. Greifswald, Aula der Universität<br />

29.7., 23.8. Wismar, Hl.-Geist-Kirche<br />

11.8. Trier, St. Paulin<br />

ARTEMIS QUARTETT<br />

24.6. Zürich (CH), Tonhalle<br />

10.8. Glückstadt, Stadtkirche<br />

11.8. Lübeck, Oberschule zum Dom<br />

12.8. Altenhof, Kuhhaus<br />

16.8. Geisenheim, Johannisberg<br />

19.8. Schwiessel, Schloss<br />

28.8. Schwarzenberg (AT),<br />

Angelika-Kauffmann-Saal<br />

EMŐKE BARÁTH<br />

30.7. Salzburg (AT), Haus für Mozart<br />

31.7. Innsbruck (AT), Schloss Ambras<br />

BERTRAND DE BILLY<br />

22., 23.6. Dresden, Kulturpalast<br />

29.6., 2.7. München, Staatsoper<br />

IAN BOSTRIDGE<br />

5.6. Wien (AT), Musikverein<br />

25.6. Berlin, Philharmonie<br />

26.6. Berlin, Staatsoper<br />

28.6., 27.8. Schwarzenberg (AT),<br />

Angelika-Kauffmann-Saal<br />

30. <strong>Juni</strong> bis 21. Oktober, Potsdam<br />

„GERHARD RICHTER.<br />

ABSTRAKTION“<br />

„So ein Bild wird in verschiedenen<br />

Schichten gemalt, die<br />

zeitlich voneinander getrennt<br />

sind“, erläutert Gerhard Richter<br />

den Entstehungsprozess<br />

seiner Abstrakten Bilder. Richter<br />

gilt als bedeutendster Maler<br />

der Welt und seit 2013<br />

auch als der teuerste. Sein<br />

Werk bewegt sich ab der<br />

zweiten Hälfte der 60er-Jahre<br />

stufenweise zur Abstraktion.<br />

Den Abstrakten Bildern liegt eine<br />

Folge aufbauender und wieder<br />

zerstörender Prozesse zugrunde. Als erste Schicht malt Richter<br />

einen Hintergrund fotoähnlicher Wirkung. „Und diese glatte, ineinander<br />

verschwimmende Fläche ist dann erst mal wie ein fertiges<br />

Bild, das ich nach einiger Zeit verstehe.“ In einem nächsten Malgang<br />

beginnt Richter mit der Zerstörung und Ergänzung des Bildes. Diesen<br />

Prozess setzt er mit zeitlichen Abständen fort, „bis es nichts<br />

mehr daran zu tun gibt, das Bild also fertig ist“. Der Titel eines solchen<br />

Bildes bezieht sich dann rein assoziativ auf die Entstehung, wie<br />

das abgebildete Abstrakte Bild, Still aus dem Jahr 1986. Die Potsdamer<br />

Ausstellung zeigt abstrakte Werke Richters von den 60er-Jahren bis<br />

in die Gegenwart. Sie wirft ein Schlaglicht auf die monochrome,<br />

graue Werkgruppe der 70er-Jahre, die schwarz-weißen Malereien in<br />

Auseinandersetzung mit zeitgeschichtlichen Dokumenten sowie die<br />

Abstrakten Bilder mit ihren Pinsel-, Rakel- und Spachtelspuren im<br />

Farbauftrag.<br />

Potsdam, Museum Barberini, www.museum-barberini.com<br />

GERHARD RICHTER: „ABSTRAKTES BILD, STILL“, 1986, FOTO: MUSEUM BARBERINI © GERHARD RICHTER 20<strong>18</strong><br />

53


E R L E B E N<br />

17. <strong>Juli</strong> bis 27. <strong>August</strong>, Innsbruck<br />

„IMMER IN BEWEGUNG“<br />

Anna Fusek<br />

Spielfreude zeichnet die Interpretationen von Anna Fusek aus. Seit<br />

ihrer Kindheit spielt sie Violine, Blockflöte und Klavier und setzt die<br />

barocke Tradition des vielseitigen Musizierens fort. Mit ihrem Ensemble<br />

Kavka gastiert sie erstmals auf Schloss Ambras. Im Gepäck<br />

hat sie höfische Musik aus Neapel und Innsbruck. „Bewegte<br />

Welten“ lautet das Motto des Originalklang-Festivals Innsbrucker<br />

Festwochen unter der Leitung von Intendant Alessandro De Marchi.<br />

Für ihn ist die Alte Musik ein lebendiges Klanggebilde und immer in<br />

Bewegung. Die einzige Konstante beim Festival sei es, „die Musik im<br />

Klang und in der Gestaltung auf der Grundlage unserer historischen<br />

Informationen und auf Instrumenten in der Bauweise der jeweiligen<br />

Zeit aufzuführen“. Das Konzertprogramm, das mit dem Ensemble<br />

Armoniosa, der Accademia Ottoboni, der Violinistin Leila Schayegh<br />

und dem Daedalus Ensemble Spezialisten auf ihren Streichinstrumenten<br />

versammelt, erinnert an den Tiroler Instrumentenbauer<br />

Jacobus Stainer. Er wurde vor 400 Jahren geboren, und seine<br />

Streichinstrumente werden noch heute für ihren besonderen Obertonreichtum<br />

und einzigartigen Klang bewundert. Das casalQuartett<br />

spielt sein Konzertprojekt „Das goldene Zeitalter“ über die Blütezeit<br />

des Streichquartetts in der Hofburg komplett auf einem Original-Instrumentarium<br />

von Stainer.<br />

Innsbruck, verschiedene Spielorte, www.altemusik.at<br />

Junge Stimmen zur Bühne!<br />

Bundeswettbewerb Gesang Berlin 20<strong>18</strong><br />

für Oper, Operette und Konzert<br />

Anmeldung online bis 1. September<br />

Repertoireanforderungen schlanker und flexibler!<br />

www.bwgesang.de<br />

FOTO: FELIX BROEDE<br />

KHATIA BUNIATISHVILI<br />

6.6. Ingolstadt, Festsaal<br />

22.6. Bad Kissingen, Regentenbau<br />

6.7. Geisenheim, Schloss Johannisberg<br />

25.8. Salzburg (AT), Haus für Mozart<br />

CAMERON CARPENTER<br />

3.6. Wolfsburg, Theater<br />

22., 23., 24.6. Berlin, Konzerthaus<br />

<strong>18</strong>., 19.8. Rendsburg-Büdelsdorf,<br />

NordArt<br />

CAPELLA DE LA TORRE<br />

13.7. Münster, Palais Droste-Hülshoff<br />

28.7. Auhausen, Klosterkirche<br />

29.7. Schwäbisch Hall, Großcomburg<br />

RENAUD CAPUÇON<br />

27.6. Schwarzenberg (AT),<br />

Angelika-Kauffmann-Saal<br />

2.7. Bad Berleburg, Schloss<br />

3.9. Bremen, Handelskammer<br />

DAVID AARON CARPENTER<br />

31.5. Wien (AT), Musikverein<br />

MARIANNE CREBASSA<br />

3.6. Berlin, Pierre Boulez Saal<br />

10., 14.6. Berlin, Staatsoper<br />

<strong>18</strong>.6. Hamburg, Elbphilharmonie<br />

5., 6.8. Salzburg (AT), Festspielhaus<br />

TEODOR CURRENTZIS<br />

15.8. Salzburg (AT), Felsenreitschule<br />

17., 19., 22., 23.8. Salzburg (AT),<br />

Stiftung Mozarteum<br />

25.8. Bremen, Die Glocke<br />

DIANA DAMRAU<br />

4.6. Wien (AT), Musikverein<br />

10.6. Luzern (CH), KKL<br />

23., 26., 29.6. Berlin, Deutsche Oper<br />

13.7. München, Odeonsplatz<br />

22.7. Regensburg, Schloss<br />

25.,28.7. München, Staatsoper<br />

LUCAS DEBARGUE<br />

23., 25.6. Bremen, Die Glocke<br />

JOYCE DIDONATO<br />

15.6. Linz (AT), Brucknerhaus<br />

17.6. München, Philharmonie<br />

KEVIN JOHN EDUSEI<br />

1., 14., 16., 19.6. Bern (CH), Theater<br />

10.6. Kempten, bigBOX<br />

22.6. Germering, Stadthalle<br />

29.6. Bern (CH), Theater<br />

JUAN DIEGO FLÓREZ<br />

16.6. Wien (AT), Musikverein<br />

23.6. Linz (AT), Dom<br />

21.7. Bad Hofgastein (AT), Alpenarena<br />

31.8. Gstaad (CH), Festivalzelt<br />

2.9. Grafenegg (AT), Auditorium<br />

VILDE FRANG<br />

15., 16.6. Berlin, Konzerthaus<br />

19., 20.6. Hamburg, Elbphilharmonie<br />

25., 27.7. Verbier (CH),<br />

Salle des Combins<br />

29.7. Verbier (CH), Église<br />

11., 12.8. Salzburg (AT), Mozarteum<br />

DAVID FRAY<br />

13.,14.7. Hohenems,<br />

Markus Sittikus Saal<br />

SOL GABETTA<br />

30.6., 1.7. Lübeck, Kongresshalle<br />

CHRISTIAN GERHAHER<br />

28.6., 1., 5., 8., 15., 17., 31.7. München,<br />

Bayerische Staatsoper<br />

20.7. Gmund, Gut Kaltenbrunn<br />

16.8. Kiel, Schloss<br />

17.8. Wiesbaden, Kurhaus<br />

RAPHAELA GROMES<br />

15.7. Leipzig, Schloss Sondershausen<br />

22.7. Bernkastel-Wehen,<br />

Kloster Machern<br />

PABLO HERAS-CASADO<br />

14., 15., 16., 17.6. Hamburg,<br />

Elbphilharmonie<br />

ELZA VAN DEN HEEVER<br />

10., 14., 17., 20., 23., 27.6.<br />

Frankfurt, Oper<br />

ANDREAS MARTIN HOFMEIR<br />

10.6. Ingolstadt, Halle 9<br />

23.6. München, Alte Kongresshalle<br />

27.6. Hamburg, Elbphilharmonie<br />

15.7. München, Cuvilliés-Theater<br />

26.8. Salzburg (AT), Stift Nonnberg<br />

DANIEL HOPE<br />

4.6. Berlin, Konzerthaus<br />

23.6. Essen, Philharmonie<br />

25.6. Aurich, Lambertikirche<br />

29.6. Berlin, Komische Oper<br />

19.7. Eberach, Kloster<br />

21.7. Ulrichshusen, Schloss<br />

MAXIMILIAN HORNUNG<br />

10.6. Kempten, bigBOX<br />

3.7. München, Schloss Nymphenburg<br />

22.8. Beidendorf, Dorfkirche<br />

23.8. Wismar, Heiligen-Geist-Kirche<br />

24.8. Schwerin, Schelfkirche<br />

GEROLD HUBER<br />

9.6. Elmau, Schloss<br />

11.6. Berlin, Philharmonie<br />

14.6. Graz (AT), Musikverein<br />

14.7. München, Prinzregententheater<br />

20.7. Gmund am Tegernsee,<br />

Gut Kaltenbrunn<br />

PHILIPPE JAROUSSKY<br />

30.7. Salzburg (AT), Haus für Mozart<br />

PAAVO JÄRVI<br />

9., 10., 11.6. Dresden, Semperoper<br />

31.7. Lübeck, Musik- und Kongresshalle<br />

1.8. Kiel, Schloss<br />

2.8. Rendsburg, Christkirche<br />

23., 24.8. Wiesbaden, Kurhaus<br />

LUCAS & ARTHUR JUSSEN<br />

12.6. Hagen, Arcadeon<br />

17.6. Essen, Philharmonie<br />

26.6. Hamburg, Elbphilharmonie<br />

30.6. Köln, Philharmonie<br />

3.8. Bernkastel-Wehlen,<br />

Kloster Machern<br />

4.8. Eisenach, Wartburg<br />

KAMMERAKADEMIE POTSDAM<br />

10.6. Berlin, Konzerthaus<br />

14.6. Berlin, Philharmonie<br />

16.6. Potsdam, Nikolaisaal<br />

SOPHIE KARTHÄUSER<br />

9.6. Wien (AT), Musikverein<br />

SIMONE KERMES<br />

26., 27. 6. Fürth, Stadttheater<br />

THE KING‘S SINGERS<br />

16.6. Düsseldorf, Tonhalle<br />

17.6. Hannover, NDR-Sendesaal<br />

20.6. Berlin, Konzerthaus<br />

21.6. Darmstadt, Staatstheater<br />

24.6. Oldenburg, St. Lamberti<br />

MARTIN KLETT<br />

19.6. Berlin, Piano Salon Christophori<br />

54 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


FOTOS: FOTOS: PAWEL KOPCZYNSKI; FLORIAN MIEDL; DR. RENÉ MEYER; BAYERISCHE PHILHARMONIE; TRANSE EXPRESS; TRANSE EXPRESS; MARTIN SIGMUND; STOFLETH; ASTRID ACKERMANN; GISELA SCHENKER; DOMINIK ODENKIRCHEN; UWE ARENS;<br />

HTTP://SCHEWIG.AT/MUSIKERPORTRAITS-ALESSANDRO-QUARTA/<br />

Aphrodite, die Göttin der Liebe und Schönheit, verführt mich zu lyrischen<br />

Melodien. Und Ares, der Kriegsgott, treibt mich zu unerbittlichem<br />

Rhythmus und jenen bedrohlichen Effekten, zu denen Streicher in<br />

der Lage sind.“ Umrahmt von Werken Griegs und Tschaikowskys, steht<br />

Three Olympians auf dem Programm des Konzerts „Symphonic American“.<br />

Im Zeichen deutsch-amerikanischer Partnerschaft zwischen<br />

dem Denver Philharmonic Orchestra und der Bayerischen Philharmonie<br />

musizieren die beiden Klangkörper unter Lawrence Golan.<br />

München, TonHalle im Werksviertel, www.bayerische-philharmonie.de<br />

1. <strong>Juli</strong><br />

STUTTGART ERDBEBEN.TRÄUME<br />

Toshio Hosokawa konzipiert nach Kleists rätselhafter<br />

Novelle Das Erdbeben von Chili eine<br />

neue Oper. Das Libretto verfasst Marcel Beyer.<br />

Der aus einer alten japanischen Familie stammende<br />

Komponist wurde 1998 mit Visions of<br />

Lear zum Schöpfer der modernen japanischen<br />

Oper. „Ich empfinde mich ganz der japanischen<br />

Tradition zugehörig und schaffe meine Musik auf der Grundlage der langen<br />

kulturellen Tradition Japans“, sagte er einmal im Gespräch. „Meine<br />

Musik orientiert sich in ihren rhythmischen Proportionen an der Atemlehre<br />

der Zen-Meditation. Jeder Atemzug beinhaltet Leben und Tod, Tod<br />

und Leben. Im Sinne dieser kreisenden Zeit muss jeder Spieler atmen.“<br />

Zu den Sängern gehören Esther Dierkes und Dominic Große. Am Pult<br />

steht Sylvain Cambreling. Für Regie und Dramaturgie zeichnen Jossi<br />

Wieler und Sergio Morabito (Foto) verantwortlich.<br />

Stuttgart, Oper, 1. (Premiere), 6., 11., 13., <strong>18</strong>. und 23.7., www.oper-stuttgart.de<br />

10. bis 29. <strong>August</strong><br />

BERLIN TANZ IM AUGUST<br />

Mit Trois Grandes Fugues des Ballet de l’Opéra de<br />

Lyon eröffnet das Tanzfestival seine Jubiläumssaison.<br />

Lucinda Childs, Maguy Marin und Anne<br />

Teresa De Keersmaeker interpretieren choreografisch<br />

Beethovens Große Fuge und setzen sich<br />

mit dem komplexen Verhältnis zwischen klassischer<br />

Musik und zeitgenössischem Tanz auseinander.<br />

Zum 30. Mal kommen Tanzgruppen aus aller Welt in Berlin zusammen.<br />

Das Big Dance Theater aus New York zeigt erstmals in Deutschland<br />

17c, ein Tanzprojekt über die geheimen Tagebücher des englischen Marinesekretärs<br />

Samuel Pepys aus dem 17. Jahrhundert. Die Choreografin<br />

Constanza Macras bringt mit ihrem interdisziplinären Ensemble Dorkypark<br />

Chatsworth zur Uraufführung, ein Projekt über die Township von Durban,<br />

in der indische Immigranten während der Apartheid isoliert waren.<br />

Wie 1988 das Festival seinen Anfang fand, erzählt die Onlinepublikation<br />

Für immer Tanz – 30 Jahre Tanz im <strong>August</strong>.<br />

Berlin, verschiedene Spielorte, www.tanzimaugust.de<br />

2. und 19. <strong>Juni</strong><br />

MÜNCHEN UND BERLIN WIR AUS GLAS<br />

Eine Wohnung, fünf Menschen, sieben Tage: Die<br />

Wohnung wird zur Welt. Das Musiktheaterstück<br />

„Wir aus Glas“ von Yasutaki Inamori und der Autorin<br />

Gerhild Steinbuch (Foto) zeigt die Bewohner<br />

eines Hauses bei der Sorge um sich selbst.<br />

Die Münchener Biennale und die Deutsche Oper<br />

Berlin bringen das Stück mit der Sopranistin Alexandra<br />

Hutton, der Mezzosporanistin Michelle Daly, dem Tenor Clemens<br />

Bieber und dem Bariton Thomas Florio sowie dem Ensemble Opera Lab<br />

Berlin zur Uraufführung. Regie führt David Hermann. Das Wohnzimmer<br />

stiftet Identität und hält die Angst vor dem Unbekannten, Unkontrollierbaren,<br />

Fremden auf Abstand. Der Fremde wird zum Angreifer, weil er das<br />

Eigene, die konstruierte heile Welt, infrage stellt.<br />

München, Muffathalle, 2. (Premiere), 3., 4. und 5.6.,<br />

www.muenchenerbiennale.de<br />

Berlin, Deutsche Oper, 19. (Premiere), 21., 22., 23. und 24.6.,<br />

www.deutscheoper.de<br />

48.<br />

Merseburger<br />

Orgeltage<br />

Geistliche Musik<br />

Merseburger Orgeltage<br />

8. bis 16. September 20<strong>18</strong><br />

Die Klangwelt eines Orgelbauers –<br />

Friedrich Ladegast zum 200. Geburtstag<br />

rund um die Ladegastorgeln des Merseburger Domes in den großen<br />

Abendkonzerten, Orgelabenden, Meditationen zu später Stunde,<br />

Kammermusiken, Morgenandachten und Gottesdiensten<br />

Große Oratorien zeugen von der Klangwelt des 19. Jahrhunderts<br />

Felix Mendelssohn Bartholdy – Elias<br />

Joseph Haydn – Die Jahreszeiten<br />

Johann Sebastian Bach – Matthäuspassion<br />

in der Leipziger Fassung von Felix Mendelssohn Bartholdy aus dem Jahr <strong>18</strong>40<br />

Historische Programme,<br />

erklungen zu den Orgelweihen der Ladegastorgeln im Goldenen Saal<br />

des Musikvereins Wien, des Merseburger Domes und des Schweriner Domes,<br />

gespielt von Martin Haselböck – Wien, Jan Ernst – Schwerin und<br />

Michael Schönheit bilden einen Schwerpunkt in der Reihe der Orgelkonzerte.<br />

Zu Gast in St. Wenzel zu Naumburg<br />

An der Zacharias-Hildebrandt-Orgel: Lorenzo Ghielmi<br />

International renommierte Organisten, Solisten<br />

und Ensembles musizieren. Die Merseburger Hofmusik<br />

feiert ihr 20-jähriges Bestehen.<br />

Freundeskreis Musik und Denkmalpflege in Kirchen des Merseburger Landes e.V.<br />

Musikalische Intendanz: Gewandhausorganist Michael Schönheit<br />

Das genaue Programm im Netz unter www.merseburger-orgeltage.de<br />

Kartenvorverkauf ab 1. März 20<strong>18</strong> über AD-Ticket und im Netz<br />

7. <strong>August</strong> 20<strong>18</strong><br />

Aurea<br />

Variations on Bach<br />

Emanuele Soavi (Choreographie & Tanz)<br />

Emanuele Soavi incompany<br />

Nadja Zwiener (Violine & Leitung)<br />

Barockensemble<br />

Das neue Programm der<br />

KunstKlang-Saison 20<strong>18</strong> / 2019<br />

erscheint im <strong>Juli</strong> 20<strong>18</strong>.<br />

www.kunstklang-feuchtwangen.de<br />

Kartentelefon 09852 904 44<br />

Foto: Gisela Schenker<br />

55


E R L E B E N<br />

20. bis 22. <strong>Juli</strong>, Augsburg<br />

GELEBTE KULTUR<br />

Wilhelm F.<br />

Walz<br />

Dirigent Wilhelm F. Walz, Gründer und Leiter der Konzerte im<br />

Fronhof, zum Jubiläum des Augsburger Festivals:<br />

crescendo: Maestro Walz, vor 20 Jahren riefen Sie das Open-Air-<br />

Festival vor der Kulisse der Fürstbischöflichen Residenz in Augsburg<br />

ins Leben. Denken Sie gerne zurück?<br />

Wilhelm F. Walz: Mit dem Festival setzen wir den Gedanken gelebter<br />

Kultur in der Metropolregion Augsburg-Schwaben um. Großartige Künstler<br />

haben uns auf diesem Weg begleitet. Gerne erinnere ich mich an<br />

Victor von Halem, der bei uns im Freischütz sang, oder den Bariton<br />

Johannes Martin Kränzle, der zahlreiche Mozartpartien übernahm. Wir<br />

hatten die Pianistin Janina Fialkowska zu Gast. Und letztes Jahr kam mit<br />

Maximilian Hornung ein aus der Region stammender und international<br />

agierender Cellist zu uns.<br />

Das Jubiläum feiern Sie mit Beethovens Neunter Sinfonie …<br />

Die Hoffnung, dass alle Menschen Brüder werden, liegt mir sehr nahe.<br />

43 Prozent der in Augsburg lebenden Menschen haben Migrationshintergrund.<br />

Auch findet jedes Jahr dort das Friedensfest statt. Und beim Format<br />

„Augsburger Friedensfest meets Konzerte im Fronhof“, das wir vor<br />

drei Jahren mit der Stadt Augsburg schufen, haben Menschen, die sonst<br />

nicht in Konzerte gehen, freien Eintritt.<br />

Ebenfalls auf dem Programm steht Mozarts Zauberflöte mit Sharleen<br />

Joynt in der Partie der Königin der Nacht.<br />

Sharleen Joynt sang 2014 mit phänomenalem Erfolg die Partie der Zerbinetta<br />

in Strauss’ Ariadne auf Naxos. So etwas hatte das Publikum in der<br />

Region noch nicht erlebt. Junge Künstler zu entdecken und zu fördern ist<br />

ein Anliegen unseres Festivals. Bei uns erhalten sie die Chance, mit erfahrenen<br />

Sängern oder Instrumentalisten auf der Bühne zu stehen.<br />

Teresa Schwamm ist Solistin in Residenz. Was hören wir von ihr?<br />

Die Bratschistin Teresa Schwamm ist Mitglied des Armida Quartetts, das<br />

2012 den ersten Preis beim ARD-Wettbewerb gewann. Sie spielt mit dem<br />

jungen israelischen Klarinettisten Daniel Gurfinkel das Doppelkonzert<br />

von Max Bruch. Außerdem hören wir sie in Bruchs Romanze. Darüber hinaus<br />

gibt sie als Residenzsolistin einen Meisterkurs.<br />

Eine langjährige Partnerschaft verbindet Sie mit der SUK-Symphony<br />

Prag. Was zeichnet den Klangkörper aus?<br />

Seit 2001 ist die renommierte SUK-Symphony Prag als musikalischer Botschafter<br />

Gast unseres Festivals. Ihr warmer Streicher- und Bläserklang<br />

entspricht sehr meinen Vorstellungen. Durch unsere lange Zusammenarbeit<br />

haben wir – insbesondere bei Mozart – eine gemeinsame Klangrede<br />

entwickelt.<br />

Augsburg, Fürstbischöfliche Residenz, www.konzerteimfronhof.de<br />

FOTO: PR<br />

7. <strong>August</strong><br />

FEUCHTWANGEN KUNSTKLANG<br />

„Und die Erde war wüst und leer, und es war finster<br />

auf der Tiefe …“ Ein Dialog „schwarzer Ahnenfiguren<br />

zwischen Vergangenheit und Zukunft.<br />

Ein geheimnisvolles Flüstern von Menschen und<br />

Seelen im Schatten eines ungekannten Waldes aus<br />

Körperteilen und Instrumenten. Wie formt sich<br />

Chaos zu Ordnung, Struktur und Mustern, zur<br />

Harmonie des Goldenen Schnitts? Aurea. Variations on Bach, die Performance<br />

des Choreografen Emanuele Soavi, spürt zur Musik von Johann Sebastian<br />

Bach den Vorstellungen von Ordnung und Chaos, Leben und Tod nach. Es<br />

tanzen Federico Casadei, Lisa Kirsch, Francesca Poglie und Emanuele Soavi.<br />

Feuchtwangen, Stadthalle Kasten, www.kunstklang-feuchtwangen.de<br />

26. <strong>Juli</strong> bis 12. <strong>August</strong><br />

OBERSTDORFER MUSIKSOMMER<br />

Mit dem für sein fulminantes Spiel bekannten<br />

Mandelring Quartett (Foto) und der Marimba-<br />

Virtuosin Katarzyna Myćka, die ihr Spiel mit tänzerischer<br />

Energie betreibt, kommen fünf leidenschaftliche<br />

Musiker zusammen. Daniel Schnyders<br />

Zoom In und Igmar Alderete Acostas Sones de<br />

América werden umrahmt von Astor Piazzollas<br />

Libertango und Leonard Bernsteins West Side Story. Aber das Festival lockt<br />

nicht nur mit atemberaubenden Klängen, sondern einem ebensolchen Alpenpanorama.<br />

So lädt das Jourist Ensemble zur Berg station Höfatsblick auf<br />

das Nebelhorn. Und das Gémeaux Quartett mit der Cellistin Veronika<br />

Zucker spielt hoch oben auf dem Fellhorngipfel.<br />

Oberstdorf, verschiedene Spielorte, www.oberstdorfer-musiksommer.de<br />

9. <strong>Juni</strong><br />

KIEL LA DIVISIONE DEL MONDO<br />

Als die venezianische Barockoper in den Vordergrund<br />

trat, hatte auch Giovanni Legrenzi an ihren<br />

frühen Erfolgen teil. Der Liebling von Johann<br />

Sebastian Bach vereinigt in seinem Werk die von<br />

Cavalli und Cesti begonnenen Neuerungen. Seine<br />

Oper La divisione del mondo – Die Aufteilung der<br />

Welt – aus dem Jahr <strong>18</strong>75 weist neben der strengen<br />

Abfolge von Rezitativen und Arien auch zahlreiche Zwischenformen<br />

auf. 2000 wurde sie von Thomas Hengelbrock wiederentdeckt und kommt<br />

nun in Kiel auf die Bühne. Intendant Ulrich Waller setzt die dekadent gelangweilte<br />

Götterwelt in Szene. Als Venus ist Heike Wittlieb zu erleben. Jupiter<br />

ist Dashuai Chen. Die musikalische Leitung hat Alessandro Quarta inne.<br />

Kiel, Opernhaus, 9. (Premiere) und 16.6. sowie 3. und 6.7., www.theater-kiel.de<br />

3. <strong>Juni</strong><br />

HAMBURG BENJAMIN<br />

Anlässlich der Uraufführung von Flucht. Sechs Passagen<br />

2016 versprach Peter Ruzicka (Foto) eine<br />

neue Oper. Das Orchesterwerk gilt als „Vorecho“<br />

von Benjamin. Denn Pariser Passagen war der Titel<br />

jenes geschichtsphilosophischen Werks, an dem<br />

Walter Benjamin bis zu seinem Tod arbeitete. In<br />

der Nacht des 26. September 1940 nahm er sich<br />

in Portbou das Leben. „Mein Leben wird ein Ende finden in einem kleinen<br />

Dorf in den Pyrenäen, wo mich niemand kennt“, teilte er in seinem Abschiedsbrief<br />

Theodor W. Adorno mit. „Was geht in Walter Benjamin vor,<br />

als er auf der Flucht vor den Nationalsozialisten in einer Lichtung tief in den<br />

Pyrenäen jene Septembernacht allein verbringt?“, fragt Regisseurin Yona<br />

Kim. „Er hat nichts bei sich außer seiner Aktentasche mit Manuskripten.“<br />

Das Denken werde „zu einer Frage des nackten Überlebens“. Die Titelrolle<br />

übernimmt Dietrich Henschel. Am Pult steht Ruzicka selbst.<br />

Hamburg, Staatsoper, 3. (Premiere), 6., 10., 13. und 16. 6. sowie 14. und 19.10.,<br />

www.staatsoper-hamburg.de<br />

56 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


FOTOS: FOTOS: PAWEL KOPCZYNSKI; FLORIAN MIEDL; DR. RENÉ MEYER; BAYERISCHE PHILHARMONIE; TRANSE EXPRESS; TRANSE EXPRESS; MARTIN SIGMUND; STOFLETH; ASTRID ACKERMANN; GISELA SCHENKER; DOMINIK ODENKIRCHEN; UWE ARENS;<br />

HTTP://SCHEWIG.AT/MUSIKERPORTRAITS-ALESSANDRO-QUARTA/<br />

23.6. Herrenchiemsee, <strong>August</strong>iner<br />

Chorherrenstift<br />

30.6., 1.7., 22.9. Hamburg,<br />

Jenisch Haus<br />

<strong>18</strong>.7. Lütetsburg, Schloss<br />

29.7. Mettlach, Alte Abtei<br />

WOLFGANG KOCH<br />

28., 29.6., 1., 2., 5.7. München,<br />

Bayerische Staatsoper<br />

PETER KOFLER<br />

15.6. Nürnberg, Frauenkirche<br />

KATHARINA KONRADI<br />

9.6. Würzburg, Central im Bürgerbräu<br />

17., 23., 24., 27., 29.6. Wiesbaden,<br />

Staatstheater<br />

ALEXANDER KRICHEL<br />

1.6. Sundern, Haus Berghoff<br />

7.8. Hamburg, Elbphilharmonie<br />

8.8. Brunsbüttel, Elbeforum<br />

31.8. Göttingen, Stadthalle<br />

FRANÇOIS LELEUX<br />

8.7. Stuttgart, Liederhalle<br />

IGOR LEVIT<br />

16.6. Elmau, Schloss<br />

26.6. Düsseldorf,<br />

Robert-Schumann-Saal<br />

15. <strong>Juni</strong> bis Ende Januar 2019, Nürnberg<br />

Inszenierte Politik,<br />

politisches Musiktheater?<br />

Ausschnitt einer Postkarte:<br />

Adolf Hitler im Opernhaus<br />

Nürnberg während einer Aufführung<br />

der Meistersinger.<br />

22.7. Salzburg (AT), Mozarteum<br />

4.8. Salzburg (AT), Haus für Mozart<br />

25.8. Salzburg (AT), Festspielhaus<br />

JI YOUNG LIM<br />

25.6. Frankfurt, Hochschule für Musik<br />

OKSANA LYNIV<br />

3., 6., 10.6. Graz (AT), Oper<br />

17.9. Graz (AT), Stefaniensaal<br />

YO-YO MA<br />

31.8. Leipzig, Gewandhaus<br />

4.9. Frankfurt, Alte Oper<br />

XAVIER DE MAISTRE<br />

29.6. Hamburg, Elbphilharmonie<br />

10.8. Rendsburg, Christkirche<br />

11.8. Elmshorn, Reithalle<br />

CORNELIUS MEISTER<br />

7.6. Wien (AT), Musikverein<br />

14.6. Wien (AT), Konzerthaus<br />

NILS MÖNKEMEYER<br />

17.6. Würzburg, Residenz<br />

26.7. Erfurt, Predigerkirche<br />

28.7. Ulrichshusen, Remise<br />

29.7. Ulrichshusen, Schloss<br />

3.8. Schwerin, Schelfkirche<br />

9.8. Itzehoe, Theater<br />

Hitler war vom Musiktheater fasziniert.<br />

Diese persönliche Leidenschaft<br />

sprang jedoch nicht<br />

nur auf sein politisches Handeln<br />

über – auch im Nürnberger Kulturleben<br />

hinterließ er tiefe Spuren.<br />

Auf seine Weisung wurden<br />

die Reichsparteitage der NSDAP<br />

in Nürnberg alljährlich mit Wagners<br />

Meistersingern von Nürnberg<br />

eröffnet. Und auch das Opernhaus<br />

wurde nach seinen Wünschen<br />

neu gestaltet. Stadt, Politik<br />

und Bühne traten in Nürnberg in<br />

einen intensiven Dialog – wie es<br />

so wohl in keiner anderen deutschen<br />

Stadt in dieser Zeit zu beobachten<br />

ist. Auf der ehemaligen Bühne politischer Inszenierung, dem<br />

Reichsparteitagsgelände, macht die Ausstellung „Hitler.Macht.Oper –<br />

Propaganda und Musiktheater in Nürnberg“ dieses komplexe Wechselspiel<br />

erfahrbar. Die dem Theaterbau nachempfundene Ausstellungsarchitektur,<br />

entworfen von Bühnenbildner Hermann Feuchter,<br />

führt den Besucher ins Intendantenbüro, auf die große Bühne und hinter<br />

die Kulissen. Die Ausstellung ist das Ergebnis eines Forschungsprojekts,<br />

das vom Forschungsinstitut für Musiktheater der Universität<br />

Bayreuth (fimt) in Kooperation mit dem Staatstheater Nürnberg und<br />

dem Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände durchgeführt<br />

wird. Am 14. <strong>Juni</strong> 20<strong>18</strong> wird die Ausstellung eröffnet. Bis Ende Januar<br />

2019 gibt es ein vielseitiges Beiprogramm aus Führungen, kommentierten<br />

Konzerten und Lesungen. Jasmin Goll<br />

Nürnberg, Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände,<br />

museen.nuernberg.de, weitere Informationen zum Forschungsprojekt:<br />

www.musikpropaganda.uni-bayreuth.de<br />

FOTO: DOKUMENTATIONSZENTRUM REICHSPARTEITAGSGELÄNDE<br />

So, 17.06.<strong>18</strong>, 20 Uhr<br />

Philharmonie im Gasteig München<br />

Der vielumjubelte<br />

Opernstar wieder<br />

in München!<br />

JOYCE<br />

DIDONATO<br />

IN WAR AND PEACE<br />

Il pomo d´oro<br />

Maxim Emelyanychev Cembalo & Leitung<br />

Karten erhältlich beim Veranstalter: Tel. 0800-545 44 55 (kostenfrei) oder<br />

über München Ticket: Tel. 089-54 81 81 81 sowie an allen Vorverkaufsstellen<br />

EDGAR MOREAU<br />

9.6. Würzburg, Central im Bürgerbräu<br />

27.6. Schwarzenberg (AT),<br />

Angelika-Kauffmann-Saal<br />

26.7. Tegernsee, St. Quirinus<br />

REGULA MÜHLEMANN<br />

13.6. München, Schloss Nymphenburg<br />

15.6. Weimar, Schloss Ettersburg<br />

17.6. Bad Lauchstädt, Goethe-Theater<br />

8., 11., 14.7. Baden-Baden, Festspielhaus<br />

SOPHIE PACINI<br />

8.6. Bonn, Schumann-Haus<br />

4.9. Traunstein, A.-Kolb-Gymnasium<br />

EMMANUEL PAHUD<br />

3.6. Berlin, Pierre Boulez Saal<br />

8., 9., 10.7. Köln, Philharmonie<br />

ANTONIO PAPPANO<br />

14., 15., 16.6. München, Philharmonie<br />

24., 25., 26.6. Berlin, Staatsoper<br />

8., 9., 10.7. Dresden, Semperoper<br />

12.7. Wiesbaden, Kurhaus<br />

13.7. Lübeck, Kongresshalle<br />

14.7. Redefin, Landgestüt<br />

OLGA PERETYATKO<br />

14., 17., 19., 21.6. Hamburg, Staatsoper<br />

JEAN RONDEAU<br />

6.6. Salzgitter, Stiftskirche<br />

14.6. Leipzig, Alter Rathaus<br />

15.6. Leipzig, Schaubühne Lindenfels<br />

22.8. Oestrich-Winkel, St. Ägidius<br />

VALER SABADUS<br />

3.6. Dortmund, Konzerthaus<br />

24.6. Zürich (CH), Opernhaus<br />

31.8, 2.9. Köthen, St. Jakob<br />

FAZIL SAY<br />

9.6. Stuttgart, Liederhalle<br />

<strong>18</strong>.6. Hamburg, Elbphilharmonie<br />

BENJAMIN SCHMID<br />

1.6. Kindberg (AT), Volkshaus<br />

5.6. Mattsee (AT), Stiftskirche<br />

10.6. Wien (AT), Musikverein<br />

19.6. Wien (AT), Konzerthaus<br />

ERWIN SCHROTT<br />

26.,29.7. München, Staatsoper<br />

CHRISTIAN TETZLAFF<br />

31.5., 1., 2.6. Berlin, Konzerthaus<br />

4., 5.6. Mannheim, Congress Center<br />

11.6. Köln, Philharmonie<br />

12.6. Neumarkt, Kulturhaus Reitstadel<br />

<strong>18</strong>.6. Hamburg, Elbphilharmonie<br />

27.7. Emden, Bibliothek<br />

28.7. Klosters (CH), St. Jakob<br />

29.7. Hitzacker, VERDO Konzertsaal<br />

31.8. Höxter, Schloss Corvey<br />

ALEXANDRE THARAUD<br />

7.6. Wolfenbüttel, Lessingtheater<br />

22.6. Cully, Temple de Cully<br />

19.7. Gmund, Gut Kaltenbrunn<br />

JAN VOGLER<br />

1.6. Berlin, Philharmonie<br />

8.6. Dresden, Frauenkirche<br />

10.6. Dresden, Palais im Gr. Garten<br />

10.6. Dresden, Kulturpalast<br />

MICHAEL VOLLE<br />

31.5., 10., 14.6. Berlin, Staatsoper<br />

16., 19., 22.6. München, Staatsoper<br />

57


E R L E B E N<br />

Alljährlich lockt die Arena di Verona mit ihren Opernfestspielen<br />

BEZAUBERNDE KLÄNGE<br />

IM SÜDEN<br />

Zwischen Zypressen und Orangenbäumen: Der Festivalsommer<br />

in Italien lockt mit lauen Sommernächten und schmeichelndem Wohlklang.<br />

Wir haben für Sie die Highlights zusammengestellt.<br />

VON JULIA HARTEL<br />

Italien zählt bekanntlich zu den unangefochtenen Lieblingsreisezielen<br />

der Deutschen. Für Musikbegeisterte gibt es – abgesehen<br />

vom Wetter, den traumhaften Landschaften und der Kulinarik –<br />

noch einen weiteren guten Grund für einen Besuch: Das „Belpaese“<br />

verfügt über eine überaus reichhaltige Festivallandschaft, die die<br />

Besucher an einzigartige Veranstaltungsorte führt.<br />

So bilden zum Beispiel die historischen Schlösser der Region<br />

Friaul-<strong>Juli</strong>sch Venetien die Spielstätten für das Piccolo Festival,<br />

das verschiedene Opernproduktionen umfasst und in diesem Jahr<br />

unter dem Motto „Capriccio“ steht. Im Castello di Spessa im Herzen<br />

des Weinbaugebietes Collio ist beispielsweise am 10. und 12.<br />

<strong>Juli</strong> Le Nozze di Figaro zu erleben; in der Villa Manin Guerresco in<br />

Clauiano und im Palazzo Altan in San Vito al Tagliamento werden<br />

am 5. und am 13. <strong>Juli</strong> die Kaffeekantate sowie La Dirindina, eine<br />

barocke Opernrarität von Giovanni Battista Martini, gegeben. Für<br />

das gastronomische Angebot sorgen jeweils einige der renommier-<br />

58 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


FOTOS: ARENA DI VERONA / ENNEVI; RAVELLO FESTIVAL; PICCOLO FESTIVAL/M. TASSOTTO; ARMONIE D‘ARTE<br />

Ravello Festival oberhalb von Amalfi; Castello di Spessa beim Piccolo Festival; das antike Scolacium beim Armonie d’Arte Festival<br />

testen Köche der Region. Im benachbarten Venetien ist eine Festivalreihe<br />

zu Hause, die sich seit Jahrzehnten internationaler Beliebtheit<br />

erfreut: die Opernfestspiele in der Arena di Verona. Ihre 95.<br />

Ausgabe findet dieses Jahr vom 22. <strong>Juni</strong> bis 1. September statt und<br />

lockt mit den Klassikern Aida, Carmen, Nabucco, Turandot und<br />

dem Barbier von Sevilla, aber auch mit einer Ballettgala unter dem<br />

Motto „Roberto Bolle and Friends“.<br />

Das südöstlich von Verona gelegene Ravenna richtet alljährlich<br />

das Ravenna Festival aus, das in diesem Jahr neben Opernproduktionen<br />

zusätzlich Konzerte mit klassischer Musik und Jazz sowie<br />

Filmvorführungen und Ausstellungen beinhaltet. Auch hier versprechen<br />

vielfältigste stimmungsvolle Veranstaltungsorte – wie die<br />

byzantinischen Basiliken, die Klöster und Plätze der Stadt – besonderen<br />

Genuss. Die Festspiele dauern vom 1. <strong>Juni</strong> bis zum 22. <strong>Juli</strong>.<br />

Aus Anlass des 150. Todesjahres von Gioacchino Rossini widmet<br />

die Stadt Pesaro in den Marken ihrem vielleicht berühmtesten<br />

Sohn eine ganze Reihe an Veranstaltungen. Nicht zuletzt beim<br />

diesjährigen Rossini Opera Festival werden hier viele erstklassige<br />

Musiker auf der Bühne stehen.<br />

Noch weiter im Süden, in den Regionen Emilia-Romagna<br />

und Kampanien, sind das Ravello Festival und das Festival Verdi<br />

beherbergt. Der Anblick des Gartens der Villa Rufolo in Ravello,<br />

oberhalb von Amalfi, raubte mit seinem unvergleichlichen Panorama<br />

schon Richard Wagner den Atem:<br />

„Ich habe den Zaubergarten von Klingsor<br />

gefunden!“, schrieb der Komponist <strong>18</strong>80,<br />

beglückt über diese außergewöhnliche<br />

Inspiration zum zweiten Akt seines Parsifal.<br />

Vom 30. <strong>Juni</strong> bis zum 25. <strong>August</strong><br />

werden hier Konzerte und Ballettabende<br />

MUSIKFESTIVALS IN ITALIEN<br />

Einen umfangreichen Überblick über die italienische<br />

Festivallandschaft finden Sie unter:<br />

www.festspielguide.de/italien<br />

Weitere Infos unter:<br />

www.italiafestival.it | www.enit.de | www.italia.it<br />

Social Media Hashtags #ILikeItaly und #italiafestival<br />

mit erlesenen Musik- und Tanzensembles angeboten. Das Festival<br />

Verdi bringt etwas später im Jahr, nämlich vom 27. September bis<br />

zum 21. Oktober, Opern des großen italienischen Romantikers auf<br />

die Bühne: Im Teatro Regio di Parma kommen Macbeth und Attila,<br />

im Teatro Farnese in Parma Der Troubadour und im Teatro<br />

Guiseppe Verdi in Busseto König für einen Tag zur Aufführung.<br />

Ein unverwechselbares Erlebnis verspricht das Festival<br />

Armonie d’Arte in Borgia, Kalabrien. Die Besucher können hier im<br />

geschichtsträchtigen Parco Archeologico Scolacium, einem nur<br />

200 Meter vom Strand entfernten Ausgrabungsgelände, Musik-,<br />

Theater- und Tanzveranstaltungen genießen. Teilnehmende<br />

Künstler sind dieses Jahr unter anderem Zubin Mehta und Pat<br />

Metheny.<br />

Mit einem abwechslungsreichen Programm wartet auch die<br />

sizilianische Hauptstadt Palermo auf, die von einem faszinierenden<br />

Reichtum an Kulturschätzen und einer lebhaften Atmosphäre<br />

geprägt ist und 20<strong>18</strong> den Titel „Italienische Kulturhauptstadt“<br />

trägt. Der Veranstaltungskalender umfasst Musikveranstaltungen<br />

– unter anderem Konzerte im Teatro Massimo –, aber auch Ausstellungen<br />

und die Kunstbiennale Manifesta 12, die als eine der wichtigsten<br />

europäischen Biennalen für zeitgenössische Kunst vom 16.<br />

<strong>Juni</strong> bis zum 4. November besucht werden kann.<br />

Man sieht: In Italien findet sich kaum eine Provinz, die<br />

nicht ihr eigenes Musikfestival feiert.<br />

Viele weitere ließen sich nennen, etwa<br />

das Umbria Jazz-Festival in Perugia,<br />

der Maggio Musicale in Florenz oder<br />

das größte Straßenmusikfest Italiens in<br />

Ferrara.<br />

n<br />

59


E R L E B E N<br />

Die Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz spielt Konzerte in der gesamten Rhein-Neckar-Region<br />

DIE MUSIK ZU DEN<br />

MENSCHEN BRINGEN!<br />

Für die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz ist die kommende Saison<br />

Abschied und Aufbruch zugleich: Ihr starkes Führungs-Duo der vergangenen Jahre<br />

wird sie verlassen, Energie und Feuer bleiben.<br />

VON MARIA GOETH<br />

„Mehrstimmige Musik ist wie ein Erfolgsrezept für eine mehrstimmige<br />

Gesellschaft: Jede einzelne Stimme funktioniert in Respekt<br />

vor und Gemeinschaft mit der anderen!“, so die Überzeugung von<br />

Michael Kaufmann, seit 2011 Intendant der Deutschen Staatsphilharmonie<br />

Rheinland-Pfalz. Zusammen mit Chefdirigent Karl-<br />

Heinz Steffens hat er in den vergangenen Jahren reichlich was<br />

bewegt in seiner Region. Eine Vielzahl neuer Konzertformate<br />

wurde geboren: etwa die Reihe „Modern Times“, die mit ihrem<br />

unverkrampften Blick auf die Tonkunst des 20. Jahrhunderts auch<br />

Skeptiker in Konzerte Neuer Musik lockt. Den Schlüssel zum<br />

Erfolg liefern dabei knackige, auch komplexe Musik zugänglich<br />

machende Moderationen, aber auch namhafte Solisten wie Frank<br />

Peter Zimmermann oder Isabelle Faust. Dann wäre da der Bruckner-Zyklus,<br />

in der die Musik des großen<br />

Romantikers in den vier großen Domen der<br />

Region – Speyer, Worms, Trier und Mainz –<br />

gespielt wird, eine gelungene Symbiose von<br />

Musik und architektonischem Weltkulturerbe.<br />

STAATSPHILHARMONIE<br />

RHEINLAND-PFALZ<br />

Informationen und Kartenservice:<br />

www.staatsphilharmonie.de<br />

Und wieder ganz anderen Charakters zeigen sich Reihen wie die<br />

im Mannheimer Capitol, ehemals einem der größten Filmtheater,<br />

wo sich Klassik und Jazz begegnen, aber auch „traditionelle“ klassische<br />

Musik gegeben wird. Dabei senkt der ungewöhnliche Ort<br />

die Hemmschwelle für Besucher, die sich sonst nicht unbedingt in<br />

Konzertsäle verirren.<br />

Kein Wunder, dass sich Kaufmann und Steffens über kontinuierlich<br />

steigende Besucherzahlen freuen, obwohl die große<br />

Me tropolregion, die das Orchester bespielt – gelinde gesagt! –<br />

nicht allzu viel gemein hat: Während es in Ludwigshafen kaum<br />

eine bürgerliche Gesellschaft gibt, findet man sie in Mannheim<br />

und Heidelberg durchaus. Heidelberg ist außerdem ein Sammelbecken<br />

für Studenten und Mediziner. Dass diese über Jahrzehnte<br />

gewachsenen Unterschiede auch vollkommen<br />

verschiedenes Publikum hervorbringen, sieht<br />

Intendant Kaufmann als Herausforderung<br />

und Chance zugleich: „Mit demselben Programm<br />

in Heidelberg und Ludwigshafen kann<br />

60 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


FOTOS: SEBASTIAN GÜNDEL; MARCO BORGGREVE; JULIA OKON<br />

Chefdirigent Karl-Heinz Steffens und Intendant Michael Kaufmann;<br />

in der kommenden Saison im Künstlerporträt zu erleben: Dirigent Michael Francis und Pinchas Zukerman<br />

man vollkommen unterschiedliche Menschen erreichen: von<br />

denen, die leger gekleidet in der Pause ein Bier trinken, bis zu den<br />

elegant Gekleideten mit Champagnerglas.“<br />

Und dann wäre da noch das Fehlen eines eigenen Konzertsaals<br />

für die Musiker der Deutschen Staatsphilharmonie. „Ein<br />

Orchester ohne Heimat ohne Haus ist nicht eingebunden in ein<br />

Gesamtprogramm. Das Wirken wird auf das einzelne Ereignis<br />

reduziert. Da fällt es schwer, etwas langfristig zu entwickeln,<br />

Stammpublikum aufzubauen“, erläutert Kaufmann. Deshalb hat<br />

er sich beispielsweise ausgedacht, dass Besucher ihr eigenes Abo<br />

aus den Angeboten in Ludwigshafen und Mannheim zusammenstellen<br />

können. Dennoch: „Jeder Musiker bei uns muss einen viel<br />

größeren Aufwand betreiben, weil er immer erst irgendwo hinfahren<br />

muss. Das fordert ganz schön Energie!“ Dennoch bleibt<br />

Kaufmann auch in Bezug auf die Herausforderung der „Heimatlosigkeit“<br />

Optimist: „Es ist eine großartige Leistung, wenn man<br />

die Musik zu den Menschen bringt! Wir kommen zu ihnen, nicht<br />

sie zu uns!“<br />

Auf die Frage, ob er sich einen eigenen Konzertsaal wünscht<br />

(spannende Aspekte zum Thema „Raum“ auch in unserem Themenschwerpunkt<br />

ab S. 73), fordert Kaufmann, man müsse sich von<br />

den alten starren Konzepten eines „Tempels der klassischen Musik“<br />

befreien, hindenken zu neuen flexiblen und multifunktionalen<br />

Bauten, die zum „gesellschaftlichen Kristallisationspunkt“ gedeihen<br />

können. Konzerte würden dann zu Ereignissen, in die nicht<br />

nur typische Klassikfans strömten. „In einer immer digitaleren<br />

Welt wird oft vergessen, dass es Versammlungsräume geben muss,<br />

in denen es noch absolut analog zugeht, in der echte Gemeinschaft<br />

entstehen kann und nicht nur eine User Group in irgendeinem<br />

Forum. Musik wird hier zum Diener und zum Motor ganz vitaler<br />

gesellschaftlicher Funktionen“, so Kaufmanns Vision. „Ich hasse<br />

es, wenn man uns in eine Nische sperrt! Als ich noch in der Kölner<br />

Philharmonie gearbeitet habe, war es immer unser Ehrgeiz, mehr<br />

Besucher zu erreichen als der 1. FC Köln. Das haben wir jedes Jahr<br />

geschafft!“<br />

Trotz all dieses Eifers und dieser Entwicklungen nimmt das<br />

Leitungsduo im Sommer von der Staatsphilharmonie Abschied.<br />

„Was Karl-Heinz Steffens und ich gemacht haben, war für alle<br />

Beteiligten – vom Ministerium bis zu den Mitarbeitern und Musikern<br />

– ein anstrengender Parcours! Denen haben wir viel zugemutet“,<br />

resümiert Kaufmann. Nun sieht er sich ganz ohne Bitternis<br />

am Ende eines Weges, auf dem er erst mal alles gegeben hat, was er<br />

aus seiner Sicht geben kann. „Man könnte sagen, dass ich sehr<br />

erfolgreich gescheitert bin“, lacht er und übergibt den Staffelstab<br />

beziehungsweise ein Orchester in Tipptopp-Zustand an seinen<br />

Nachfolger Beat Fehlmann. Die Chefdirigentenposition ist noch<br />

nicht neu besetzt und wird wohl eine Saison lang offen bleiben, bis<br />

der oder die Neue pünktlich zum 100. Geburtstag des Orchesters<br />

Ende 2019 in Steffens Fußstapfen tritt.<br />

Die kommende Saison ist noch das planerische Werk des<br />

scheidenden Intendanten. Kaufmann freut sich besonders, dass<br />

etwa Pinchas Zukerman wiederkommen wird, mit dem das<br />

Orchester acht Konzerte mit zwei unterschiedlichen Programmen<br />

gibt: „Der spielt und dirigiert nicht nur, sondern hält eine Art Masterclass<br />

für alle unsere Streicher!“ Außerdem wird im Rahmen<br />

eines Künstlerporträts der britische Dirigent Michael Francis<br />

15 Konzerte übernehmen, was trotz der chefdirigentenlosen Zeit<br />

für Kontinuität und eine persönliche Handschrift vom Pult aus<br />

sorgen wird. Weitere Highlights sind drei Konzerte mit Mozart,<br />

Haydn und dem Brahms-Doppelkonzert, bei der Musiker aus dem<br />

Orchester die Solisten sind und sich so in ungeahnter Stärke präsentieren<br />

können.<br />

Und was wünscht Kaufmann seinem Orchester für die<br />

Zukunft? Dass es weiterhin kontinuierlich, selbstkritisch und voller<br />

Energie an seiner Qualität arbeitet und eine unverzichtbare<br />

Kultureinrichtung in der ganzen Region bleibt!<br />

n<br />

61


E R L E B E N<br />

Sie kamen alle zum Gratulieren: Von Alfred Brendel bis Martha Argerich, von Anne-Sophie Mutter bis Khatia Buniatishvili<br />

– doch das Jubiläumsjahr ist noch lange nicht vorbei!<br />

GEBURTSTAGSGALA<br />

MAL ZWEI<br />

Ein doppeltes Hurra: Das Klavier-Festival Ruhr wird 30,<br />

sein Intendant Franz Xaver Ohnesorg 70!<br />

VON GUIDO KRAWINKEL<br />

Klavier-Festival Ruhr 19.4. bis 13.7.<br />

Information und Kartenservice:<br />

Tel.:+49-(0)201-89 66 80<br />

www.klavierfestival.de<br />

Er kann es nicht lassen: Selbst im Moment, in dem Franz Xaver<br />

Ohnesorg die Ehre angetragen wird, sich ins Goldene Buch der<br />

Stadt Wuppertal einzuschreiben, denkt er nur an eines: an „sein“<br />

Festival. Der Musikmanager Ohnesorg ist seit 1995 ohne Unterlass<br />

für das Klavier-Festival Ruhr auf den Beinen, und statt sich im<br />

Moment des Triumphes einfach feiern zu lassen, tut er das, was er<br />

am besten kann: Menschen mobilisieren, das Publikum mit ins<br />

Boot nehmen, Aufmerksamkeit generieren.<br />

Ohnesorg möchte für die ganz große Bühne sorgen: Es soll<br />

nicht nur ein feierlicher Verwaltungsakt mit ein paar Pressevertretern<br />

sein, nein, die Wuppertaler Bevölkerung, die durch ihr bürgerschaftliches<br />

Engagement erst solche Veranstaltungsorte<br />

wie die historische Stadthalle ermöglicht<br />

hat, solle auch zugegen sein. Hier erweist<br />

der von Thomas Quasthoff bei der Jubiläumssause<br />

in der altehrwürdigen Wuppertaler Stadthalle mit einem<br />

durchaus hintergründigen Lächeln als „Sonnenkönig“ titulierte<br />

„FXO“ seinem Ruf als Kulturkatalysator wieder einmal alle Ehre.<br />

Dass er das in den vergangenen Jahren überaus erfolgreich<br />

gemacht und das von einer Stiftung getragene und maßgeblich vom<br />

Initiativkreis Ruhr als Generalsponsor unterstützte Klavier-Festival<br />

Ruhr zum größten Festival seiner Art weiterentwickelt hat, zeigt<br />

schon die Gästeliste: ein Who’s Who der Pianistenzunft, von Alfred<br />

Brendel bis Joseph Moog reicht die Spannweite, von Martha Argerich<br />

bis zu Gerhard Oppitz. Und natürlich ist der Saal ausverkauft.<br />

Gefeiert wird an diesem Abend aber nicht nur das 30-jährige<br />

Jubiläum des Festivals, auch Ohnesorg selbst<br />

feiert Geburtstag, seinen 70. Anzumerken ist<br />

ihm das nicht. Das Diktum von Kultur als notwendigem<br />

Lebensmittel – der Jubilar scheint<br />

62 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


SYMPHONIC AMERICA<br />

TRANSATLANTISCHE PARTNERSCHAFT<br />

Werke von Grieg, Boyer und Tschaikowsky<br />

Mittwoch, 4. <strong>Juli</strong> 20<strong>18</strong>, 20.00 Uhr<br />

TonHalle München im Werksviertel<br />

Bayerische Philharmonie in Kooperation mit dem<br />

Denver Philharmonic Orchestra | Lawrence Golan Dirigent<br />

www.bayerische-philharmonie.de<br />

Anzeige_90x126_Crescendo.qxp_Druckvorlage Karten: 34/24/17 €, ermäßigt für Schüler und Studenten | Bayerische <strong>18</strong>.04.<strong>18</strong> Philharmonie 14:11 Seite 1<br />

Tel. +49 89 120 220 320 | info@bayerische-philharmonie.de | www.muenchenticket.de<br />

FOTO: KLAVIERFESTIVAL RUHR<br />

Aus unserer Spielzeit 20<strong>18</strong><br />

ANDREAS HOFER<br />

MY FAIR LADY<br />

SHERLOCK HOLMES<br />

LA TRAVIATA<br />

und andere<br />

der beste Beweis dafür zu sein, ebenso wie sein Festival. Das<br />

Programm des gut dreistündigen Abends im Übrigen auch:<br />

Moog und Oppitz spielen vierhändig Schubert, Sopranistin <strong>Juli</strong>ane<br />

Banse singt ebendiesen, und Olli Mustonen spielt Beethoven-Variationen.<br />

Brendel bleibt sich selbst treu und rezitiert<br />

Selbstgedichtetes während Sohn Adrian Kurtág spielt, danach<br />

hört man Elena Bashkirova mit Tschaikowsky und Martha Argerich<br />

nebst Sergio Tiempo mit Ravel – allein die erste Hälfte des<br />

Abends ist für sich genommen schon ein Mini-Festival.<br />

Die zweite ist der vermeintlich leichteren Muse vorbehalten:<br />

Maki Namekawa und Dennis Russel Davies spielen Bernstein,<br />

Anne-Sophie Mutter und Khatia Buniatishvili fetzen<br />

Gershwin, bevor mit Till Brönner, Dieter Ilg, Thomas Quasthoff<br />

und Frank Chastenier in wechselnden Besetzungen gejazzt wird.<br />

Für das furiose Finale sorgt Michel Camilo mit einem umjubelten<br />

Auftritt.<br />

Was macht aber nun den Geist des Klavier-Festivals Ruhr<br />

aus? „Das Klavier-Festival ist für mich die weltweit führende<br />

Plattform, für Liebhaber der Klaviermusik wie für Pianisten. Ich<br />

kenne nichts Vergleichbares“, sagt Gerhard Oppitz auf der After-<br />

Show-Party. Auch für Joseph Moog spielt das Festival eine<br />

besondere Rolle: „Hier ist das Zuhause für die großen Pianisten<br />

der Welt. Hier sind schon viele Freundschaften entstanden, hier<br />

gibt es oft ganz spontane Begegnungen.“ Für den Dirigenten<br />

und Pianisten Dennis Russel Davies hat es mit dem Festival<br />

zudem eine sehr persönliche Bewandtnis: Hier ist er nicht nur<br />

unzählige Male aufgetreten, hier hat er auch seine Frau kennengelernt.<br />

Hier erhalte man, so erzählt er, nach der Probe auch mal<br />

eine Kunstführung durch den Intendanten höchstpersönlich.<br />

Vor allem eins hat ihn sehr beeindruckt: „Hier gibt es ein sehr<br />

interessiertes und offenes Publikum.“<br />

n<br />

Foto © Florian Miedl<br />

Infos, Preise und Karten: Tourist-Information der Festspielstadt Wunsiedel<br />

Tel. 09232/602 162 | karten@luisenburg-aktuell.de<br />

www.luisenburg-aktuell.de<br />

63


E R L E B E N<br />

FOTO: BAYERISCHE SCHLÖSSERVERWALTUNG, ACHIM BUNZ<br />

BAROCKER PRACHTBAU<br />

Seit April hat es wieder geöffnet, das Markgräfliche Opernhaus in Bayreuth – neben dem<br />

Festspielhaus am Grünen Hügel die zweite musikalische Instanz in der fränkischen Metropole.<br />

VON JASMIN GOLL<br />

„Wow!“ – das hört man am häufigsten, wenn die Besucher den Innenraum<br />

betreten. Nach sechs Jahren Sanierung und Restaurierung hat<br />

das Markgräfliche Opernhaus in Bayreuth im April seine Pforten<br />

wieder geöffnet. Das hat in der fränkischen Kleinstadt, die sonst nur<br />

zu den Bayreuther Festspielen voller Touristen ist, für viel Trubel<br />

gesorgt: Es gab im Vorfeld eine halbjährige Vortragsreihe zu Markgräfin<br />

Wilhelmine von Bayreuth, die das Opernhaus 1748 erbauen<br />

ließ, eine Tagung zu Johann Adolf Hasse, mit dessen Oper Artaserse<br />

das Haus damals und nun (wieder-)eröffnet wurde, und die Residenztage<br />

Bayreuth, die mit Führungen erste Einblicke gaben.<br />

Aber es ist ja auch ein Kleinod, das in Bayreuth für knapp 30<br />

Millionen wieder auf Vordermann gebracht wurde. Das Markgräfliche<br />

Opernhaus zählt europaweit zu den wenigen erhaltenen und<br />

größten Opernhäusern aus dem <strong>18</strong>. Jahrhundert. Jedes Detail im<br />

Haus scheint höfisches Wettrüsten durch Kunstbeflissenheit widerzuspiegeln:<br />

mit goldenem Blattwerk umwundene Säulen, ein prächtiges<br />

Deckengemälde, illusionistische Malereien und Verzierungen,<br />

soweit das Auge reicht. Für Richard Wagner war das zu viel des<br />

Guten. Auf der Suche nach einer geeigneten Spielstätte für seine<br />

Festspielidee begutachtete er auch dieses Opernhaus, hielt es aber<br />

für untauglich.<br />

Dabei hatte Markgräfin Wilhelmine, die Schwester von Friedrich<br />

dem Großen, keinen Geringeren als den Theaterarchitekten<br />

Giuseppe Galli-Bibiena, der zuvor für den Wiener Kaiserhof tätig<br />

gewesen war, für die Errichtung dieses Prachtbaus nach Bayreuth<br />

geholt. Bis zu 30 Restauratoren waren in den letzten Jahren am<br />

MARKGRÄFLICHES OPERNHAUS BAYREUTH<br />

Öffnungszeiten April – September: 9 – <strong>18</strong> Uhr,<br />

Oktober – März: 10 – 16 Uhr<br />

Tel.: +49-(0)921-75 96 90 | sgvbayreuth@bsv.bayern.de<br />

www.bayreuth-wilhelmine.de<br />

Werk, um dem Haus seine ursprüngliche<br />

Farbigkeit zurückzugeben, denn die<br />

Holzbalustraden im Logenhaus waren<br />

bei Restaurierungen im 20. Jahrhundert<br />

dunkel überpinselt worden. Die Bühnenkulissen<br />

von Bibiena wurden originalgetreu nachgebildet. Somit<br />

wird die einstige illusionistische Tiefenwirkung des Bühnenbilds<br />

von der Aufführung 1748 heute wieder erfahrbar.<br />

Während des regulären Museumsbetriebs stehen in den Sommermonaten<br />

nun Opernaufführungen und Konzerte auf dem Programm,<br />

unter anderem vom Straßburger Konservatorium, das<br />

zeigt, wie tanzbar Orchestermusik von Bach und Händel sein<br />

kann, und vom Theater Pilsen, das Monteverdis Orfeo in Szene<br />

setzt. Man darf gespannt sein, wie in Zukunft inszenierungsästhetisch<br />

und technisch mit dem Raum umgegangen wird. Die<br />

Artaserse-Aufführung der Theaterakademie <strong>August</strong> Everding<br />

München, mit der das Haus eröffnet wurde, versuchte einen Spagat<br />

zwischen Dekonstruktion und Anlehnung an historisches Erbe.<br />

Das Produktionsteam erarbeitete ein Pasticcio aus Artaserse und<br />

einzelnen Stücken aus Hasses Ezio und Argenore, Wilhelmines<br />

eigens komponierter Oper, sowie Ausschnitten aus Wilhelmines<br />

Briefen.<br />

Ein festes Ensemble wird es im Markgräflichen Opernhaus<br />

allerdings nie geben. Schließlich steht das Haus auf der Liste der<br />

UNESCO-Weltkulturerbestätten. Die Originalsubstanz des vollständig<br />

aus Holz und Leinwand bestehenden Logenhauses muss bewahrt<br />

werden und würde einen regen Spielbetrieb allein schon klimatisch<br />

nicht ertragen. Die Bühnentechnik wäre dazu durchaus in der Lage.<br />

Nach Wilhelmines Tod verfiel die barocke Bühnenmaschinerie,<br />

wurde ausgebaut und entsorgt. Seither ist die Bühne mit moderner<br />

Technik ausgestattet, auch wenn etwa Scheinwerfer im Zuschauerraum<br />

nur behutsam angebracht werden<br />

dürfen – keinesfalls mit Schrauben.<br />

Letztlich ist und bleibt das Markgräfliche<br />

Opernhaus eben doch ein Museum – ein<br />

Hingucker ist es aber in jedem Fall. n<br />

64 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


7+<br />

8<br />

Herkulessaal der Residenz<br />

München<br />

JUNI<br />

heLmut<br />

Lachen<br />

my melodies<br />

uraufführung<br />

mann<br />

musica viva<br />

!Pierre-Laurent AImArd<br />

Acht Solohornisten des BrSO<br />

Symphonieorchester<br />

des Bayerischen rundfunks<br />

Peter EötvöS


M U S I C A V I V A<br />

musica viva<br />

Eines der weltweit bedeutendsten Foren der Gegenwartsmusik präsentiert<br />

neue Orchester- und Ensemblewerke auf höchstem Niveau<br />

FOTO: ASTRID ACKERMANN<br />

Mitglieder von Chor und Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, musica viva-Konzert am 20.02.2015<br />

Leitung: Peter Eötvös, Herkulessaal München<br />

Die musica viva-Konzertreihe des Bayerischen Rundfunks<br />

ist eines der weltweit bedeutendsten Foren der<br />

Gegenwartsmusik. Sie widmet sich der Musik der<br />

Moderne und der Avantgarde, insbesondere aber der<br />

Musik, die heute von Komponist*innen geschaffen<br />

wird. Zahllose Werke wurden von der musica viva in den über 70<br />

Jahren ihres Bestehens in Auftrag gegeben und in ihren Veranstaltungen<br />

uraufgeführt. Die Konzerte gehören zu den zentralen Ereignissen<br />

des Münchner Kulturlebens, die internationale Beachtung<br />

finden. Sie werden vom Bayerischen Rundfunk auf BR-Klassik in<br />

kommentierten Sendungen über Bayern hinaus und bisweilen europaweit<br />

übertragen. „The importance of musica viva in the cultural<br />

life of 800-year-old Munich is known to the whole world“, notierte<br />

Igor Strawinsky 1958.<br />

GRÜNDERJAHRE<br />

Die Geschichte der musica viva beginnt am 7. Oktober 1945, fünf<br />

Monate nach dem Ende des verheerenden Zweiten Weltkrieges. Im<br />

ungeheizten Münchner Prinzregentheater, vor einem Häufchen<br />

neugieriger Zuhörer, erklingen drei Orchesterwerke, denen man in<br />

den zwölf Jahren des Nationalsozialismus nicht begegnen konnte:<br />

Ibéria von Claude Debussy, die Lustspiel-Ouvertüre von Ferruccio<br />

Busoni und die Vierte Sinfonie von Gustav Mahler.<br />

Verantwortlich für das Programm ist der damals 40-jährige<br />

Komponist Karl Amadeus Hartmann. Während der Jahre der Naziherrschaft<br />

hat er seine Werke, Dokumente des inneren Widerstands,<br />

für die Schublade geschrieben. Nun ist er, unterstützt von der amerikanischen<br />

Militärverwaltung, Dramaturg an der Bayerischen<br />

Staatsoper geworden und hat in dieser Funktion die neue Konzertreihe<br />

ins Leben gerufen. Ihre Aufgabe ist es, den zuvor verfemten<br />

Komponisten und ihren Werken wieder eine Öffentlichkeit zu verschaffen.<br />

Die materielle Basis ist in den ersten Jahren wacklig, die Konzerte<br />

wandern von einem Saalprovisorium zum andern. Das ändert<br />

sich, als 1948 der Bayerische Rundfunk – damals noch „Radio München“<br />

– die Trägerschaft übernimmt. Schon im Jahr zuvor hat die<br />

Konzertreihe den Namen musica viva angenommen, und nun gibt<br />

es mit dem 1949 von Eugen Jochum gegründeten Symphonieorchester<br />

und Chor des Bayerischen Rundfunks fest assoziierte Klangkörper<br />

und mit dem Rundfunk eine gesicherte Finanzierung. 1953<br />

wird der Herkulessaal der Residenz zum dauerhaften Veranstaltungsort<br />

für die Orchesterkonzerte. Diese Konstellation besteht bis<br />

66 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


Dezember 1961:<br />

Luigi Nono,<br />

Karl Amadeus<br />

Hartmann und<br />

Bruno Maderna<br />

Januar 1962:<br />

Darius Milhaud<br />

dirigiert eigene<br />

Werke<br />

FOTOS: MICHEL NEUMEISTER<br />

heute, und mit dem Symphonieorchester<br />

und Chor des Bayerischen<br />

Rundfunks hat die musica viva-Konzertreihe<br />

zwei Ensembles von internationaler<br />

Weltgeltung als feste Partner<br />

zur Seite.<br />

Nach einer ersten Phase, in der<br />

die Rekonstruktion der Traditionslinien<br />

der von den Nazis verbotenen Moderne im Zentrum steht,<br />

erweitert sich der Schwerpunkt der Programme zunehmend um das<br />

zeitgenössische Musikschaffen und um die Präsentation von Uraufführungen.<br />

Internationalität ist vorrangig, die damals junge Komponistengeneration<br />

von Hans Werner Henze bis Luigi Nono wird<br />

vorgestellt. International renommierte Komponisten wie Igor Strawinsky,<br />

Paul Hindemith und Darius Milhaud treten in der musica<br />

viva als Dirigenten auf und vermitteln ihr kompositorisches Schaffen<br />

dem Orchester und Publikum. Der junge Dirigent Pierre Boulez<br />

präsentiert unter dem Titel „Dialogo della musica antica et della<br />

moderna“ eine Reihe von Konzerten, in denen er älteste Musik des<br />

Mittelalters und der Renaissance mit Werken der damaligen<br />

Moderne und Avantgarde kombiniert. Bei der Aufführung seiner<br />

Kantate Pli selon pli und des Martyre de Saint Sébastien entdeckt ihn<br />

Wieland Wagner als den künftigen Parsifal-Dirigenten für Bayreuth.<br />

Renommierte Künstler der Grafik und Bildenden Kunst –<br />

darunter Namen wie Helmut Jürgens, Walter Tafelmeier, Jean Cocteau,<br />

Le Corbusier und Emilio Vedova – gestalten für die musica<br />

viva die Programmhefte und Plakate. „Aufgabe der Veranstaltungen<br />

ist es, dem Publikum eine Überschau über die geistige und künstlerische<br />

Entwicklung der Gegenwart zu geben“, lautet Hartmanns<br />

Maxime. Musik ist eine „Sprache unter Menschen der Gegenwart,<br />

die verstanden und mit anderen Erfahrungen in Beziehung gesetzt<br />

werden will“, schreibt er in einem Brief an Samuel Beckett. Als Hartmann<br />

1963 stirbt, ist die musica viva eine international beachtete<br />

Konzertreihe mit einem treuen Stammpublikum.<br />

MUSICA VIVA BIS HEUTE<br />

Hartmanns Nachfolger, der Komponist Wolfgang Fortner, und<br />

Ernst Thomas, damals Leiter der Darmstädter Ferienkurse, führen<br />

dessen Programmarbeit fort. Angesichts der Zuspitzung der ästhetischen<br />

Gegensätze um 1970 sehen sie sich zu Neuerungen genötigt<br />

und verstärken experimentelle Tendenzen, für die in der Ära Karl<br />

Amadeus Hartmanns bereits der Dirigent Hermann Scherchen<br />

FÜR SPANNENDE EINBLICKE IN DIE<br />

ARBEIT DER MUSICA VIVA,<br />

INTERVIEWS UND HINTERGRÜNDE<br />

BESUCHEN SIE DEN BLOG UNTER:<br />

BR-MUSICA-VIVA.DE/BLOG<br />

und der Komponist Josef Anton Riedl<br />

gesorgt haben. Ein Spannungsverhältnis,<br />

das erhalten bleibt, als 1978<br />

mit Jürgen Meyer-Josten, dem Hauptabteilungsleiter<br />

Musik des BR, erstmals<br />

ein Rundfunkmitarbeiter die<br />

Programme verantwortet. Das ästhetische<br />

Spek trum geht nun hörbar in<br />

die Breite – eine Reaktion auf die Aufsplitterungstendenzen der<br />

Postmoderne.<br />

Neuen Aufwind bekommt die musica viva, als der Dresdner<br />

Komponist und damalige Intendant der Oper Leipzig, Udo Zimmermann,<br />

1997 zum Leiter der musica viva ernannt wird. Unterstützt<br />

von den Programmkuratoren Josef Anton Riedl und Winrich<br />

Hopp verhilft er mit gezielten Aufträgen an die Komponistenzeitgenossen<br />

und mit großen Werken von Stockhausen, Xenakis und<br />

Schnebel den Orchesterkonzerten zu neuer Dynamik. Außerdem<br />

werden Sonderveranstaltungen mit renommierten Gastensembles<br />

und experimentelle Studiokonzerte Bestandteil des Programms.<br />

Als Winrich Hopp, der 2002 die musica viva verlassen hatte<br />

und seit 2006 das gemeinsam mit den Berliner Philharmonikern<br />

veranstaltete Musikfest Berlin der Berliner Festspiele leitet, 2011 die<br />

Künstlerische Leitung der musica viva zusätzlich übernimmt, unterzieht<br />

er die Konzertreihe einer Revision und baut seither die internationale<br />

Vernetzung der musica viva Schritt für Schritt aus, realisiert<br />

Veranstaltungen, die sich über die ganze Stadt München verteilen<br />

(2013: SAMSTAG aus LICHT von Karlheinz Stockhausen), und<br />

bespielt mit orchestralen Großprojekten erstmals auch die Philharmonie<br />

im Gasteig (2012: Tutuguri von Wolfgang Rihm). Neben den<br />

zentralen fünf großen Veranstaltungen mit dem Chor und Symphonieorchester<br />

des Bayerischen Rundfunks kommen nun regelmäßig<br />

auch große Gastensembles – nicht zuletzt dank der räsonanz-Konzertinitiative<br />

der Ernst von Siemens Musikstiftung – aus dem Inund<br />

Ausland zur musica viva: das Orchester der Lucerne Festival<br />

Academy, das Ensemble Intercontemporain, das Ensemble Modern<br />

Orchestra, das Mahler Chamber Orchestra und der Permer Musica<br />

Aeterna Choir unter der Leitung von Teodor Currentzis. Für März<br />

2019 schließlich ist im Rahmen der musica viva und als Stifterkonzert<br />

der Ernst von Siemens Musikstiftung das erste Münchner Gastspiel<br />

des London Symphony Orchestra unter der neuen künstlerischen<br />

Leitung von Sir Simon Rattle angekündigt. Die musica viva<br />

des Bayerischen Rundfunks ist auf Wachstumskurs. <br />

n<br />

Sonderveröffentlichung/Anzeigen/Präsentationen 67


M U S I C A V I V A<br />

Helmut<br />

Lachenmann<br />

Peter Eötvös<br />

Pierre-Laurent Aimard<br />

FOTO: GIOVANNI DAINOTTI; MARCO BORGGREVE / DG; ASTRID ACKERMANN<br />

ABENTEUER UND PARTY<br />

Mit Helmut Lachenmann und dem<br />

Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in der Höhle des Löwen<br />

My Melodies – Musik für acht Hörner und Orchester“ lautet<br />

der Titel des von der internationalen Musikwelt seit<br />

Langem erwarteten neuen Werkes des Grand Maître der<br />

Neuen Musik Helmut Lachenmann: „Ich habe eine<br />

sportliche Lust, in die Höhle des Löwen zu gehen, dort, wo sich die<br />

Menschen mit ihrem Musikverständnis geborgen und glücklich<br />

fühlen, eine Erfahrung zu schaffen und in dieser Geborgenheit ein<br />

Abenteuer in Gang zu setzen beim Hören. Ich will diesem Orchester,<br />

das wir kennen, ein neues Gesicht geben. Das ist Komponieren: aus<br />

diesen Instrumenten ein eigenes Instrument zu machen.“<br />

Mitstreiter dieses Abenteuers sind das grandiose Symphonieorchester<br />

des Bayerischen Rundfunks und seine acht fantastischen<br />

Hornsolisten unter der Leitung von Peter Eötvös, für die Lachenmann<br />

das umfängliche Werk im Auftrag der musica viva geschrieben<br />

hat.<br />

Das Horn ist bis heute eines der am schwersten zu spielenden<br />

Instrumente geblieben. Neben aller Spieltechnik braucht es ein ausgezeichnetes<br />

Ohr, überhaupt: beste körperliche Konstitution. Stefan<br />

Dohr, der Solohornist der Berliner Philharmoniker, die schon ganz<br />

neugierig die Vorbereitungen der Münchner Lachenmann-Premiere<br />

verfolgen, im Gespräch mit<br />

der Musikjournalistin Eva Blaskewitz:<br />

„Man muss die Töne im<br />

Ohr haben, bevor man spielt,<br />

sonst hat man überhaupt keine<br />

Chance. Man muss genau wissen,<br />

wie viel Luft brauche ich,<br />

wie muss die Lippenstellung<br />

SYMPHONIEORCHESTER DES BAYERISCHEN RUNDFUNKS<br />

7. & 8. <strong>Juni</strong> 20<strong>18</strong> | 20 Uhr | Herkulessaal der Residenz | München<br />

BRticket 0800-5900 594 (gebührenfrei) | shop.br-ticket.de |<br />

sowie an allen bekannten Vorverkaufsstellen<br />

Tickets 12 – 38 EUR | Schüler & Studierende 8 EUR (auch im VVK)<br />

Eine Veranstaltung der musica viva des Bayerischen Rundfunks<br />

sein, und wie kann ich die Zunge verwenden, damit genau dieser<br />

Ton kommt und nicht zufälligerweise der drunter oder drüber...“<br />

Die anspruchsvolle Blastechnik führt schon seit dem <strong>18</strong>. Jahrhundert<br />

dazu, dass sich Hornisten auf hohe oder tiefe Partien spezialisieren.<br />

Beim hohen Horn geht es vor allem darum, die Töne sauber<br />

zu treffen; beim tiefen liegt die Schwierigkeit darin, „dass man die<br />

großen Intervalle schnell spielen kann, aber auch langsam und dass<br />

alle Töne kontrolliert geformt klingen“, so Dohr. „Wenn man viel in<br />

der Tiefe übt, verliert man ein bisschen Spannung in der Höhe. Das<br />

ist ein Unterschied wie zwischen einem 200-Meter-Läufer und<br />

einem 10-Kilometer-Läufer, der eine ist mehr Sprinter, der andere<br />

hat mehr Ausdauer.“ Vielleicht sind es gerade die Tücken des Instruments,<br />

die die Hornisten zusammenschweißen: „Hornisten sind<br />

selten Einzelgänger, wir treten ja immer mindestens zu zweit auf bei<br />

Mozart oder Haydn, und bei späteren Komponisten immer zu viert,<br />

mindestens, dann auch mal zu sechst oder zu acht, das ist dann<br />

schon fast eine Party. Hornisten sind gesellige Leute – man sagt ja so<br />

schön: Das gemeinsame Schicksal verbindet.“<br />

Abenteuer und Party werden bei der musica viva gleich zweimal<br />

präsentiert: am 7. <strong>Juni</strong> (Uraufführung) und am 8. <strong>Juni</strong> im Herkulessaal<br />

der Residenz. Auf<br />

dem Programm stehen außerdem<br />

Lachenmanns expansive<br />

SERYNADE für Klavier mit<br />

Pierre- Laurent Aimard und der<br />

erst kürzlich zum Jahreswechsel<br />

uraufgeführte Marche fatale<br />

für Orchester. <br />

n<br />

68 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


RÄSONANZ –<br />

STIFTERKONZERT<br />

Das Chamber Orchestra of Europe zu Gast bei der<br />

musica viva des Bayerischen Rundfunks<br />

FOTO: MARCO BORGGREVE<br />

Tabea<br />

Zimmermann<br />

Der Gründungsboom der Spezialensembles war abgeklungen,<br />

als sich das Chamber Orchestra of Europe (COE)<br />

1981 in die internationale Konzertszene einzumischen<br />

begann. Die Musikerinnen und Musiker sprachen mit<br />

Claudio Abbado, er wurde Mentor des neuen Ensembles; sie fanden<br />

Enthusiasten, die das Management leisteten, und sie einigten sich auf<br />

eine Arbeitsweise, die in keinem etablierten Berufsorchester möglich<br />

gewesen wäre: Die Proben- und Konzertphasen des Ensembles sollten<br />

eine Jahreshälfte umfassen, die andere sollte für eigene solistische<br />

und kammermusikalische Aktivitäten zur Verfügung stehen.<br />

Das COE war von Beginn an ein Ensemble von Solisten und<br />

versierten Kammermusikern, die gewohnt waren, sich in verschiedenen<br />

Formationen zusammenzutun. Konzertante Solopartien konnten<br />

sie, wenn sie wollten, aus dem Orchester heraus besetzen, sie<br />

konnten sich aber auch für die Zusammenarbeit mit renommierten<br />

Solisten entscheiden. Die Gründergeneration des COE war wohl die<br />

erste, die in ihrem Hochschulstudium nicht mehr unter Ausschluss<br />

historisch informierter Aufführungspraxis und avancierter Spieltechniken<br />

der Moderne ausgebildet<br />

wurde. Sie lernte und<br />

praktizierte beides als selbstverständlichen<br />

Teil ihres Künstlertums.<br />

Das Repertoire, das vom<br />

COE in sorgfältig durchkomponierten<br />

Programmen vorgestellt<br />

wurde, schlug von Anfang an<br />

CHAMBER ORCHESTRA OF EUROPE<br />

9. <strong>Juni</strong> 20<strong>18</strong> | 19 Uhr | Prinzregententheater | München<br />

BRticket 0800-5900 594 (gebührenfrei) | shop.br-ticket.de |<br />

sowie an allen bekannten Vorverkaufsstellen<br />

Tickets 12 – 38 EUR | Schüler & Studierende 8 EUR (auch im VVK)<br />

Eine Veranstaltung der musica viva des Bayerischen Rundfunks<br />

einen weiten historischen und stilistischen Bogen, der von den Concerti<br />

und Sonaten eines Vivaldi und Zelenka bis zu jungen Komponisten<br />

der Gegenwart reicht. Scherzhaft wurde einmal bemerkt, das<br />

COE sei ein Spezialensemble, dessen Spezialität darin bestehe, dass<br />

es kein Spezialensemble sei.<br />

Das Programm des Münchner räsonanz – Stifterkonzertes<br />

gehört zu den exponierten Projekten des COE in den letzten Jahren.<br />

Den Rahmen bilden zwei Werke von Elliott Carter, die gleichsam<br />

seine letzte Stilepoche einfassen. Das Zusammenfinden unabhängiger<br />

Prozesse thematisiert die Penthode für fünf Instrumentalquartette<br />

und die Erkenntnis von inneren Verbindungen zwischen kurzen,<br />

selbstständigen Episoden die Instances, eines der letzten Werke<br />

des großen amerikanischen Komponisten. Dazwischen stehen Enno<br />

Poppes Bratschenkonzert Filz („Das wärmende und das Verflochtene<br />

sind sicher gute Assoziationen“, so der Komponist) und George<br />

Benjamins Three Inventions. Für alle diese Werke sind die Urtugenden<br />

der COE-Künstler gefordert: Solisten mit anregendem Teamgeist<br />

und energischer Fähigkeit zur Selbstbehauptung in einem zu<br />

sein und mit der Unabhängigkeitserklärung<br />

zugleich eine<br />

Liebeserklärung an ihre Mitwelt<br />

abgeben zu können. Der<br />

Anspruch, den ein Programm<br />

stellt, ist das beste Kompliment<br />

an die Musiker, die es verwirklichen.<br />

n<br />

Sonderveröffentlichung/Anzeigen/Präsentationen 69


M U S I C A V I V A<br />

Ein Vitaminstoß für die<br />

moderne Orchestermusik<br />

räsonanz – Stifterkonzerte in München und Luzern<br />

FOTO: ERNST VON SIEMENS MUSIKSTIFTUNG / STEFANIE LOOS<br />

räsonanz – Stifterkonzert 2016 im Prinzregententheater: das SWR Symphonieorchester unter der Leitung von George Benjamin<br />

Unter dem Titel räsonanz startete vor zwei Jahren die Ernst<br />

von Siemens Musikstiftung in Kooperation mit der<br />

musica viva des Bayerischen Rundfunks und LUCERNE<br />

FESTIVAL eine Initiative, die der zeitgenössischen Musik<br />

in der internationalen Orchesterlandschaft neue Impulse verleiht:<br />

Jedes Jahr gastiert je ein bedeutendes Orchester aus dem In- oder<br />

Ausland im Rahmen der Münchner Konzertreihe und des Luzerner<br />

Festivals.<br />

Musik werde zwar immer komponiert, so Michael Roßnagl,<br />

der Sekretär des Kuratoriums der Ernst von Siemens Musikstiftung<br />

und Spiritus Rector der räsonanz-Initiative, „aber letztlich hängt es<br />

vom Willen einer Gesellschaft ab, ob sie auch aufgeführt und damit<br />

gehört wird. Es geht heute darum, dass das, was in unserer komplexen<br />

Gesellschaft musikalisch errungen worden ist, nicht plötzlich<br />

verschwinden kann. Man muss daran arbeiten, dass diese Komplexität<br />

weitergetragen wird und dass es nicht zu einer Verflachung<br />

kommt. Wir müssen es möglich machen, dass die Gedanken, die die<br />

kreativen Geister entwickeln, in der Realität auch wahrgenommen<br />

und gelebt werden können“.<br />

Ein erstes räsonanz – Stifterkonzert fand 2016 im Rahmen der<br />

musica viva statt: Das damalige SWR Symphonieorchester Baden-<br />

Baden und Freiburg und das SWR Vokalensemble Stuttgart unter<br />

der Leitung von George Benjamin führten im Prinzregententheater<br />

Werke von György Ligeti, Georg Friedrich Haas, Pierre Boulez und<br />

George Benjamin auf. 2017 folgten das Mahler Chamber Orchestra<br />

und der Musica Aeterna Choir unter der Leitung von Teodor<br />

Currentzis mit Luciano Berios Coro für 40 Stimmen und Instrumente,<br />

während in Luzern Chor und Symphonieorchester des<br />

Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Mariss Jansons<br />

Wolfgang Rihms abendfüllende Requiem-Strophen präsentierten.<br />

Nach den diesjährigen Gastspielen des Chamber Orchestra of<br />

Europe sowohl in München als auch in Luzern, jedoch mit jeweils<br />

anderen Programmen, Dirigenten und Solisten, sind für das kommende<br />

Jahr zwei Gastspiele mit dem London Symphony Orchestra<br />

unter der Leitung von Sir Simon Rattle angekündigt: im Rahmen<br />

des LUCERNE FESTIVAL am 10. September 2019 mit Olivier Messiaens<br />

Éclairs sur l’Au-Delà und zuvor im Frühjahr, am 2. Mai 2019<br />

im Rahmen der musica viva-Konzertreihe und in der Philharmonie<br />

im Gasteig ein britisch-amerikanisches Programm mit Werken von<br />

Mark-Anthony Turnage, Sir Harrison Birtwistle und John Adams.<br />

Es ist das erste Münchner Gastspiel des London Symphony Orchestra<br />

unter der neuen künstlerischen Leitung von Sir Simon Rattle.<br />

Welcome to Munich! <br />

n<br />

70 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


WELCOME<br />

TO<br />

MUNICH!<br />

Erstes Münchner Gastspiel<br />

des London Symphony Orchestra<br />

unter der neuen Künstlerischen Leitung<br />

von Sir Simon Rattle<br />

Sir Simon Rattle<br />

FOTO: OLIVER HELBIG<br />

Die räsonanz – Stifterkonzertinitiative<br />

der Ernst von Siemens Musikstiftung<br />

macht es möglich: Das<br />

London Symphony Orchestra und<br />

sein neuer Chefdirigent Sir Simon<br />

Rattle geben ihr erstes Münchner<br />

Gastspiel: bei der musica viva-Konzertreihe<br />

des Bayerischen Rundfunks<br />

am 2. Mai 2019 in der Philharmonie<br />

im Gasteig. Im Gepäck haben sie ein exklusiv für das<br />

Münchner Gastspiel vorbereitetes britisch-amerikanisches Programm<br />

mit München-Bezügen: die Musik Dispelling the Fears<br />

für zwei Trompeten und Orchester des Komponisten Mark-<br />

Anthony Turnage, der in München durch Hans Werner Henzes<br />

LONDON SYMPHONY ORCHESTRA /<br />

SIR SIMON RATTLE<br />

2. Mai 2019 | 20 Uhr | Philharmonie im Gasteig | München<br />

BRticket 0800-5900 594 (gebührenfrei) | shop.br-ticket.de |<br />

sowie an allen bekannten Vorverkaufsstellen<br />

Tickets 13 – 65 EUR | Schüler & Studierende 8 EUR<br />

(auch im VVK)<br />

Das räsonanz – Stifterkonzert wird von der musica viva des<br />

Bayerischen Rundfunks veranstaltet.<br />

Musiktheater-Biennale bekannt<br />

wurde; das von Albrecht Dürers<br />

Melencolia I inspirierte Orchesterstück<br />

The Shadow of Night von Sir<br />

Harrison Birtwistle, der 1995 den<br />

Ernst von Siemens Musikpreis<br />

erhielt, und schließlich als Programmfinale<br />

– die großformatige<br />

dreisätzige Harmonielehre des<br />

Amerikaners John Adams. Das 1985 für die San Francisco Symphony<br />

geschriebene Werk zählt mittlerweile zu den großen<br />

Repertoirestücken auf den internationalen Konzertbühnen, das<br />

in München jedoch bislang nur selten zu hören war. <br />

n<br />

RÄSONANZ – STIFTERKONZERTE DER ERNST VON SIEMENS MUSIKSTIFTUNG<br />

Mit der Stifterkonzertreihe räsonanz kommt die Ernst von Siemens Musikstiftung ihrer Verantwortung für die<br />

zeitgenössische Musik auf ganz besondere Weise nach. Gemeinsam mit ihren Partnern LUCERNE FESTIVAL und musica viva des<br />

Bayerischen Rundfunks ermöglicht sie jedes Jahr ein Konzert in München und Luzern: Werke der Gegenwart werden von internationalen<br />

Spitzenorchestern und namhaften Solisten zur Aufführung gebracht.<br />

Die Ernst von Siemens Musikstiftung bringt so den Stiftergedanken zum Klingen: Ernst von Siemens steht für unternehmerische Vernunft<br />

und einzigartigen Weitblick, für gesellschaftliche Verantwortung und anspruchsvolle Förderung von Wissenschaft und Kunst.<br />

Gesellschaftliche Relevanz und künstlerischer Anspruch, wagemutige Perspektivwechsel und die Schönheit des Unerhörten – das alles<br />

schwingt mit, wenn die zeitgenössische Musik ihre Grenzen definiert, auslotet, überschreitet. räsonanz fordert heraus, räsonanz fordert<br />

ein und räsonanz fördert: die Bereitschaft sich einzulassen auf das Ungewohnte und die Wahrnehmung des Neuen in der Musik.<br />

evs-musikstiftung.ch | lucernefestival.ch | br-musica-viva.de<br />

Sonderveröffentlichung/Anzeigen/Präsentationen 71


musica viva viva<br />

Wochenende<br />

ochenende<br />

bea Zimmermann<br />

erre-Laurent Aimard<br />

tabea Zimmermann<br />

Pierre-Laurent Aimard<br />

hamber Orchestra<br />

f Chamber Europe Orchestra<br />

vid robertson<br />

of Europe<br />

david robertson<br />

JUNI<br />

9JUNI<br />

München<br />

Prinzregententheater<br />

eLLiott<br />

eLLiott<br />

carter<br />

Benjamin<br />

PoPPe<br />

Ligeti<br />

Prinzregententheater<br />

München<br />

räsonanz – Stifterkonzert<br />

der Ernst von Siemens<br />

musikstiftung<br />

räsonanz – Stifterkonzert<br />

der Ernst von Siemens<br />

musikstiftung<br />

Werke von<br />

Werke von<br />

george<br />

george<br />

enno<br />

enno<br />

györgy<br />

györgy<br />

er-Design: lmn-berlin.com<br />

Cover-Design: lmn-berlin.com


SCHWERPUNKT<br />

MUSIK & RAUM<br />

Architektur inspiriert Musik inspiriert Architektur – eine Zeitreise (Seite 77)<br />

Musik in den Bergen: Für diese Festivals muss das Publikum seine Wanderschuhe schnüren (Seite 86)<br />

Klangräume<br />

VON STEFAN SELL<br />

Rekordverdächtig<br />

Ein Besucher und ein Pianist<br />

am Konzertflügel haben Platz<br />

im „kleinsten Konzertsaal der<br />

Welt“, der sogenannten „Spielbox“.<br />

Acht Quadratmeter ist sie<br />

groß und rundherum aus Glas.<br />

Kreiert hat sie der Klarinettist<br />

Reto Bieri für das Davos Festival.<br />

Von außen lässt sich alles<br />

sehen, aber nichts hören.<br />

2009 schuf<br />

Simone Young<br />

aus 50 Räumen<br />

den „größten<br />

Konzertsaal der Welt“. Als die<br />

Dirigentin ihr Pult im 108 Meter<br />

hohen Turm des Hamburger<br />

Michels bestieg, um Brahms’<br />

Zweite Sinfonie mit ihren 100<br />

Philharmonikern aufzuführen,<br />

waren diese über ganz Hamburg<br />

verteilt. Idee und Konzept hatte<br />

eine Werbeagentur.<br />

Umsonst und draußen: Am<br />

31.12.1994 sang Rod Stewart<br />

an der Copacabana in Rio<br />

de Janeiro vor 3,5 Millionen<br />

Zuschauern. Die Rolling Stones<br />

gaben dort ihr Freiluftkonzert<br />

am <strong>18</strong>. Februar 2006. Es kamen<br />

1,5 Millionen Menschen – die<br />

auf Balkonen, Booten und<br />

Schiffen nicht mitgerechnet.<br />

Ver-rückt<br />

Am Rhein- und im Ruhrgebiet<br />

geht man gern zum Kiosk<br />

oder in die Trinkhalle. Dort<br />

bekommt man die im Alltag<br />

unentbehrlichen Kleinigkeiten.<br />

Seit 2010 auch Free Jazz. Das<br />

Bassklarinettisten-Ensemble<br />

Die Verwechslung verwechselt<br />

Konzertsaal mit Trinkhalle und<br />

ist seither auf „Trinkhallen-<br />

Tour Ruhr“.<br />

Am 30. <strong>Juni</strong> 1969 gaben die<br />

Beatles ihr letztes Livekonzert<br />

und machten das Dach ihres<br />

Unternehmens „Apple“ in<br />

der Saville Row im Londoner<br />

Stadtteil City of Westminster<br />

zur Konzertstätte. Die Rolling<br />

Stones bespielten mit Brown<br />

Sugar am 1. Mai 1975 die<br />

Straßen New<br />

Yorks auf<br />

einem fahrenden<br />

Lkw.<br />

Wie ein Konzert Mitte<br />

des 17. Jahrhunderts im<br />

Raum geklungen hat,<br />

lässt sich nur schwer<br />

rekonstruieren. Wie<br />

damals aber ein Konzertraum<br />

ausgesehen hat, könnte Vermeers<br />

berühmtes Gemälde Das<br />

Konzert zeigen, wenn es nicht<br />

1990 gestohlen worden und<br />

seither unauffindbar geblieben<br />

wäre.<br />

Ehrwürdig<br />

Der erste Konzertsaal „der<br />

Welt“ erlebte seine Weihe<br />

1675 im Londoner York<br />

Building in der Villiers Street.<br />

Die Society of Gentlemen,<br />

Lovers of Musick präsentierte<br />

hier ihre Konzerte. Der in<br />

Oxford befindliche<br />

Holywell Room ist<br />

seit 1748 bis heute<br />

Konzertsaal. Hier<br />

spielten auch Händel<br />

und Haydn.<br />

Das heutige Gewandhaus am<br />

<strong>August</strong>usplatz ist bereits die<br />

dritte Version des legendären<br />

Konzertraums. Das erste Gewandhaus<br />

in der Kupfergasse<br />

war eigentlich das Zeughaus<br />

der Stadt Leipzig. Im ersten<br />

Stock beherbergte es die Halle<br />

der Tuchwarenhändler und<br />

bekam so<br />

seinen ehrwürdigen<br />

Namen.<br />

Wenn vom „goldenen<br />

Klang“ im Goldenen Saal<br />

die Rede ist, ist der Wiener<br />

Musikverein gemeint.<br />

Die Übertragungen des<br />

Neujahrskonzerts machten<br />

ihn weltweit zu einem der<br />

bekanntesten Konzertsäle.<br />

Brahms hatte hier sein Wiener<br />

Debüt: „Ich habe so<br />

frei gespielt, als säße ich<br />

zu Haus mit Freunden.“<br />

FOTOS: RENÉ JUNGNICKEL; MONIKA RITTERSHAUS; GEMEINFREI (3)<br />

73


M U S I K & R A U M<br />

Die Berge als Konzertsaal<br />

beim Festival I Suoni delle<br />

Dolomiti (siehe S. 86)<br />

FOTO: ARTURO CUEL<br />

74 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


Der 2005 eröffnete<br />

Palau de les Arts Reina<br />

Sofía des spanischen<br />

Architekten Santiago<br />

Calatrava in Valencia<br />

MUSIK<br />

DENXXXE<br />

&<br />

Axxxx<br />

RAUM<br />

FOTO: PALAU DE LES ARTS REINA SOFÍA<br />

75


M U S I K & R A U M<br />

FOTO: IWAN BAAN<br />

76 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


SINFONIEN<br />

AUS<br />

STEIN UND<br />

STAHL<br />

Architektur wie Musik ringen um die<br />

perfekte, die „goldene“ Proportion.<br />

Die beiden Künste standen sich deshalb<br />

in vielen Jahrhunderten besonders nahe –<br />

und inspirierten sich gegenseitig.<br />

VON TERESA PIESCHACÓN RAPHAEL<br />

Das neue Opernhaus im chinesischen Guangzhou<br />

der verstorbenen Stararchitektin Zaha Hadid<br />

Wenn es um große Bauwerke geht, dann liebt<br />

man den Paukenschlag, die großen Töne.<br />

„Sinfonie aus Stahl und Glas“, hieß es über<br />

die Hamburger Elbphilharmonie. Und auch<br />

Baumeister selbst sind überwältigt. Wenn er seine Pinakothek<br />

der Moderne mit Musik vergleichen müsste, so Stefan Braunfels,<br />

Enkel eines Komponisten, im Interview, dann mit einer<br />

Bruckner-Sinfonie. Umgekehrt empfand Ferruccio Busoni<br />

1921 seine Fantasia contrappuntistica für zwei Klaviere wie<br />

eine Kathedrale, und lieferte neben der Partitur eine architektonische<br />

Skizze dazu. „Musik ist sehr nah an dem, wie<br />

ich Architektur verstehe“, sagt Daniel Libeskind, und meint<br />

damit nicht nur gemeinsame Begriffe wie „Fuge“. „In beidem<br />

geht es um Proportionen, Exaktheit, Schwingungen, Akustik.<br />

Schon die alten Griechen wussten, dass die Längenverhältnisse<br />

vi brierender Saiten in einer Harmonie die gleichen sind<br />

wie im Goldenen Schnitt bei Proportionen.“ Und sprach damit<br />

Pythagoras an, der vor mehr als 2.500 Jahren am Monochord,<br />

einer Art Zither, entdeckte, dass Töne gemessen werden können.<br />

Brachte man zwei Saiten zum Schwingen, von denen die<br />

eine halb so lang war wie die andere, dann war der Ton der kürzeren<br />

Saite um eine Oktave höher als der der längeren. Standen<br />

die Saitenlängen im Verhältnis 2:3, dann erklang eine Quinte<br />

und bei 3:4 eine Quarte. Keine Schriften sind von Pythagoras<br />

erhalten, aber sein Glaube, der Kosmos sei mit einer Har-<br />

77


M U S I K & R A U M<br />

Tempelanlagen von<br />

Paestum; San Marco in<br />

Venedig; Kuppel des<br />

Doms von Florenz;<br />

Pariser Invalidendom;<br />

Stockhausens Kugelauditorium<br />

bei der Weltausstellung<br />

in Osaka 1970<br />

monie von Zahlen durchzogen und<br />

lasse sich durch Zahlen abstrahieren,<br />

prägte die folgenden Epochen.<br />

Als Vitruv um 100 v. Chr. sein<br />

Traktat De architectura libri decem<br />

herausgibt, verlangt er vom Architekten<br />

sogar, „etwas von Musik“ zu<br />

verstehen „damit er über die Theorie des Klanges und die mathematischen<br />

Verhältnisse der Töne Bescheid weiß“.<br />

Nicht nur die antiken Baumeister unterwarfen ihre Bauten harmonischen<br />

Proportionen, wie die griechischen Tempelanlagen von<br />

Paestum (um 540 v. Chr.) zeigen. Auch im christlichen Mittelalter<br />

und der Renaissance bleiben Musik und Architektur „Schwestern“<br />

im Geiste – wie Le Corbusier es später formulieren wird –, verbunden<br />

durch ein mystisches Zahlenverhältnis: den Goldenen Schnitt.<br />

Ihm zufolge werden, sei es in einer Fuge von Bach oder in einem<br />

Kirchenraum, zwei Größen als harmonisch empfunden, wenn der<br />

kleinere Teil sich zu dem Größeren so verhält wie der Größere zur<br />

Summe beider. Mathematisch ausgedrückt heißt das 1:1,6<strong>18</strong>. Entdeckt<br />

hatten Theoretiker dies in der Architektur der Natur. Ob beim<br />

Blätteraufbau des Gänseblümchens oder beim Menschen: Überall<br />

fanden sie ähnliche Proportionen. Sogar der Bauchnabel eines<br />

Menschen gehorcht dieser „proportio divina“ und liegt nicht mittig,<br />

sondern bei exakt 61,8 Prozent der Körpergröße, wie übrigens auch<br />

der Querbalken des christlichen Kreuzes. Die reine pythagoreische<br />

Quinte 2:3 kommt übrigens dem Goldenen Schnitt bereits nahe, die<br />

kleine Sexte mit 5:8 noch mehr.<br />

Frappierend, wie sehr diese Zahlenproportionen im Bewusstsein<br />

der schöpferischen Menschen damals verankert waren, so auch bei<br />

Guillaume Dufay (1400–1474). Man könnte meinen, er hätte beim<br />

Komponieren seiner Motette Nuper rosarum flores zur Weihe des Florentiner<br />

Doms 1436 den Bauplan vor sich gehabt. Aufgebaut, so David<br />

SCHON DIE ALTEN GRIECHEN WUSS-<br />

TEN, DASS DIE LÄNGENVERHÄLTNISSE<br />

VIBRIERENDER SAITEN DIE GLEICHEN<br />

SIND WIE DIE IM GOLDENEN SCHNITT<br />

Fallows, ist das Werk „auf zwei tieferen<br />

Stimmen … die viermal mit<br />

verschiedener Geschwindigkeit in<br />

einem Längenverhältnis von 6:4:2:3<br />

auftreten – das entspricht dem Verhältnis<br />

von Schiff, Vierung, Apsis<br />

und Höhe der Kuppel im Dom“.<br />

Umgekehrt folgte die Architektur immer auch den Erkenntnissen<br />

der Musiktheorie. Als unter anderem Gioseffo Zarlino in Le<br />

istituzioni armoniche (1558) die Terzen und Sexten für harmonisch<br />

und konsonant erklärte, fanden sie sich auch in den Villen-Entwürfen<br />

des Andrea Palladio (1508–1580) wieder. 1567 schreibt Palladio<br />

zu seiner Kathedrale von Brescia: „Die Proportionen der Stimmen<br />

sind Harmonien für das Ohr, diejenigen der räumlichen Maße für<br />

das Auge. Solche Harmonien geben uns ein Gefühl der Beglückung,<br />

aber niemand weiß, warum, außer dem, der nach den Ursachen<br />

der Dinge forscht.“ Nur wenige Jahrzehnte später widmet sich der<br />

As tronom Johannes Kepler (1571–1630) den Gesetzen, die die Planeten<br />

bewegen, und den Harmonien des Weltalls.<br />

In jener Zeit reist der junge Heinrich Schütz nach Venedig<br />

zu Giovanni Gabrieli (1557–1612). Auf den gegenüberliegenden<br />

Emporen von San Marco experimentieren sie mit Klanggruppen,<br />

lassen sie mit- und gegeneinander musizieren. Aus dem Hoch und<br />

Tief, dem Fern und Nah entwickelt sich nicht nur das barocke Concerto-grosso-Prinzip,<br />

sondern auch die akustische Wahrnehmung<br />

des Raumes, die bis heute eine große Rolle spielt. Tief beeindruckt<br />

kehrt Schütz zurück und komponiert 1619 seine Psalmen Davids.<br />

Obwohl in den Partituren jener Zeit jeder Hinweis fehlte, ordnet er<br />

an, die Chöre „an unterschiedlichen Örthern“ zu postieren.<br />

Nicht weit von San Marco liegt die Renaissancekirche San<br />

Lorenzo von 1595. Fast 400 Jahre später, 1984, wurde hier Luigi<br />

Nonos Il Prometeo uraufgeführt. In einer dreistöckigen Holz-Arche,<br />

FOTOS: NORBERT NAGEL, RICARDO ANDRÉ FRANTZ, DENNIS JARVIS, ARCHIV DER STOCKHAUSEN-STIFTUNG FÜR MUSIK KÜRTEN (WWW.KARLHEINZSTOCKHAUSEN.ORG), WOUTER HAGENS, FERRUCCIO BUSONI<br />

78 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


Skizze und<br />

Holz-Arche zu<br />

Luigi Nonos<br />

Il Prometeo<br />

Philips’ Pavillon von<br />

Le Corbusier zur<br />

EXPO in Brüssel<br />

1958; Aufbau von<br />

Ferruccio Busonis<br />

Fantasia contrappuntistica<br />

als Zeichnung<br />

einer Kathedrale<br />

(1910/1921)<br />

die Architekt Renzo Piano in das Gotteshaus hatte einbauen lassen.<br />

„Die Stimmen wisperten durch das Gebälk hindurch wie Geisterklänge<br />

aus der Lagune“, erinnert er sich.<br />

Überhaupt liebte die Nachkriegsavantgarde die Experimente<br />

mit Klangräumen. Für die Weltausstellung in Osaka 1970 ließ Karlheinz<br />

Stockhausen ein Kugelauditorium errichten in Anlehnung<br />

wohl an die Visionen von Alexander Skrjabin, der 1914 von einer im<br />

Wasser getauchten Klangkugel mit zwölf Toren in Indien träumte –<br />

einem Tempel voller Farben, Klänge und<br />

Düfte. In Stockhausens Konzertkugel<br />

allerdings saß das Publikum auf einem<br />

Gitterrostboden, aus dem elektroakustisch<br />

verfremdete Klänge drangen.<br />

Prägend für Stockhausen war der<br />

Bauhausarchitekt Le Corbusier (<strong>18</strong>87–<br />

1965), der selbst aus einer Musikerfamilie<br />

stammte. Musik und Architektur waren<br />

für ihn „Zeit und Raum“, die beide „vom Maß“ abhingen, weshalb<br />

er 1951 den „Modulor“ entwickelte, ein mathematisches, am Menschen<br />

orientiertes Proportionssystem. 1956 beauftragte ihn Philips<br />

mit dem Pavillon zur EXPO 1958 in Brüssel. Ein Poème électronique<br />

schwebte Le Corbusier vor. Zu den Bildprojektionen der Architekturikone<br />

erklangen Edgard Varèses (<strong>18</strong>83–1965) verfremdete Klänge,<br />

der sie dank Philips’ technischer Innovationen realisieren konnte.<br />

Über 350 Lautsprecher wanderte der Ton durch den Raum, den ein<br />

Assistent von Le Corbusier gebaut hatte: Iannis Xenakis. „Der Computer<br />

des Prometheus“ stand über seinen Nachruf 2001 in der FAZ,<br />

weil er ein Mann von drei Begabungen war: Ingenieur, Architekt und<br />

Komponist. Seinem Ziel, Architekturentwürfe mit Musikpartituren<br />

zu verbinden, verdankt der Brüsseler Pavillon auch seinen Hyperbel-Schalen-Look,<br />

der wie überdimensionale Glissandi aus seinem<br />

Orchesterstück Métastasis (1953/54) wirkt.<br />

DIE NACHKRIEGS-<br />

AVANTGARDE LIEBTE DIE<br />

EXPERIMENTE MIT<br />

KLANGRÄUMEN<br />

So eng verzahnt waren Musik und Architektur praktisch schon<br />

lange nicht mehr gewesen. Denn im <strong>18</strong>. und frühen 19. Jahrhundert<br />

beschäftigte das Thema vor allem die Philosophen: Friedrich Schelling<br />

prägte die Metapher „erstarrte Musik“ für Architektur. Kollege<br />

Schopenhauer tat diese gleich als „Witzwort“ ab, wie er das wohl<br />

auch bei den in zeitgenössischen Multimediakonzepten strapazierten<br />

Begriffen wie „Klang-Skulptur“ oder „Ton-Architektur“ getan<br />

hätte.<br />

Der psychologische Aspekt, der<br />

erstmals <strong>18</strong>19 mit Karl Wilhelm Ferdinand<br />

Solger aufkam, rückt in den Vordergrund:<br />

„Die Architectur versetzt das<br />

Gemüth ganz nach außen; die Musik<br />

zieht die Mannigfaltigkeit des äußeren<br />

Lebens in das Innere des Gemüthes<br />

hinein.“ Hector Berlioz ahnt dies und<br />

inszeniert seine Grande Messe des Morts<br />

(<strong>18</strong>37) im Pariser Invalidendom: Aus allen Ecken der Kathedrale,<br />

allen vier Himmelsrichtungen schallen sie, die vier Blechbläserchöre<br />

des gewaltigen Werkes.<br />

Das Zeitalter des Fortefortissimo, der großen Orchester, war<br />

angebrochen. Da kam die Erfindung des Schiffsbauers John Scott<br />

Russell gerade recht. Der hatte <strong>18</strong>38 die Gesetze der Strömungslehre<br />

auf die Akustik übertragen. Seine Berechnungen wurden <strong>18</strong>89 im<br />

Auditorium Building in Chicago umgesetzt.<br />

Heute braucht der Klang keinen Raum mehr, gibt es Tonstudios<br />

und synthetisches Echo. Dennoch werden weiter Konzertsäle<br />

gebaut. „Kann ein Architekt die klassische Musik retten?“, fragte<br />

sich 2011 die New York Times bei der Eröffnung von Frank Gehrys<br />

New World Center in Miami. Eine Frage, die Le Corbusier nicht<br />

verstanden hätte, war ihm doch die Architektur Musik und die<br />

Musik Architektur. <br />

■<br />

79


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Abb.: Portmedia Verlag; Strezhnev Pavel / fotolia.com<br />

80 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


MUSIK AUS DEM HIMMEL<br />

Carillons – die großen Glockenspiele in Türmen oder Kirchen –<br />

hört man kilometerweit. Zu Gesicht bekommt man die Menschen,<br />

die sie spielen, aber so gut wie nie.<br />

VON GUIDO KRAWINKEL<br />

FOTOS: KATHARINA HERTZ-EICHENRODE; GUIDO KRAWINKEL<br />

Das Glockenspiel von St. Nikolai in Hamburg mit seinem Carilloneur Werner Lamm<br />

51<br />

Stufen braucht Carilloneur Werner Lamm zu seinem<br />

Arbeitsplatz. Der befindet sich inmitten der Hamburger<br />

City, auf der ersten Turmebene des Mahnmals<br />

St. Nikolai. Bis 1943 stand hier eine neugotische<br />

Kirche, die im Bombenhagel auf die Hansestadt weitgehend<br />

zerstört wurde. Nur der gut 147 Meter hohe Turm – immer noch<br />

der fünfthöchste der Welt – blieb außer ein paar Mauerresten<br />

stehen und erinnert als Mahnmal an die Schrecken des Zweiten<br />

Weltkrieges.<br />

1993 wurde dort ein Carillon installiert, das mit 51 Glocken<br />

und einem Gesamtgewicht von 13 Tonnen eines der größten<br />

Deutschlands ist – der chromatische Tonumfang beträgt mehr als<br />

vier Oktaven. Das größte steht in Halle an der Saale und umfasst<br />

76 Glocken.<br />

Vor allem seit dem Film Willkommen bei den Sch’tis ist das<br />

Carillon wieder vermehrt in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt.<br />

Doch kann das nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Zunft der<br />

Carilloneure Zukunftssorgen hat. Die Kunst des Glockenspiels<br />

wird von immer weniger Musikern beherrscht, auch weil vielerorts<br />

eine Automatik das übernommen hat, was früher von Hand<br />

erledigt wurde.<br />

Leicht hat man es als Carilloneur nicht: Üben? Fehlanzeige!<br />

Wollte Werner Lamm einmal ungestört proben, müsste er<br />

nach Hannover oder Kiel reisen, wo es eigens eingerichtete Spieltische<br />

gibt, an denen er unter Ausschluss der Öffentlichkeit üben<br />

kann. Lamm, der im Hauptberuf Kirchenmusiker in Hamburg<br />

ist, behilft sich zuweilen, indem er an seiner Orgel ein Brett und<br />

Decken über die Klaviaturen legt. Auch sein Arbeitsplatz im Turm<br />

des Mahnmals St. Nikolai ist nicht unbedingt ein idyllischer Ort:<br />

Im Sommer heiß, im Winter kalt, befindet er sich in einem kleinen<br />

Glaskasten, der ihn vor dem ohrenbetäubenden Lärm der<br />

Glocken schützt, inmitten derer er sitzt. Sein Publikum bekommt<br />

den in luftiger Höhe spielenden Musiker indes nie zu Gesicht.<br />

Von hier aus schlägt er auf eine Art Klaviatur ein, die aussieht<br />

wie eine Tastatur für Grobmotoriker: große hölzerne Zapfen<br />

(„Stokken“), auf die er mit seinen Fäusten und Füßen einschlägt.<br />

Dies erfordert jedoch mehr Feingefühl, als man denkt. Die Klöppel,<br />

die den Glockenkörper anschlagen, sind bis auf wenige Zentimeter<br />

an den Korpus herangezogen, die Verbindung von den<br />

Tasten zu den Klöppeln erfolgt mittels Seilzügen aus Metall.<br />

Die Masse, die hierbei bewegt werden muss, reicht von wenigen<br />

Gramm bis zu einigen Kilogramm – eine Herausforderung für<br />

jeden Carillonneur, der Anschlagsnuancen je nach Größe der<br />

Glocke und der gewünschten Lautstärke genau dosieren muss.<br />

Pianisten und Organisten, die schon von Berufs wegen Tasteninstrumente<br />

spielen, sind deshalb klar im Vorteil. Auch, weil vieles,<br />

was Lamm spielt, improvisiert ist – für Organisten ist das ohnehin<br />

ihr täglich Brot.<br />

Hinzu kommt eine weitere Besonderheit, die mit dem Klang<br />

der Glocken zusammenhängt: ihre Obertöne. Das sehr spezielle<br />

Spektrum der Obertöne einer Glocke führt dazu, dass nicht alles<br />

gut klingt, was auf dem Notenpapier gut aussieht. Auch hier ist<br />

die Erfahrung eines Carillonneurs gefragt. Lamms Devise: Lieber<br />

mal was weglassen, weniger ist bekanntlich mehr.<br />

Insgesamt gibt es in Deutschland laut offizieller Zählung<br />

43 Carillons, die per Definition mindestens 23 Glocken haben<br />

müssen. Angefangen hat man im Mittelalter mit gerade einmal<br />

vier Glocken, 1510 entstand im flämischen Oudenaarde schließlich<br />

das erste richtige Carillon. Vor allem im 17. und <strong>18</strong>. Jahrhundert<br />

florierten Carillons, gerade in Nordfrankreich, Flandern und<br />

den Niederlanden. Und hier ist die Dichte an Glockenspielen auch<br />

am größten: Nicht weniger als 806 gibt es. Weltrekord. ■<br />

81


M U S I K & R A U M<br />

SCHUHSCHACHTEL ODER<br />

WEINBERG – WELCHER BAU<br />

KLINGT IDEAL?<br />

Perfekte Fassade oder innere Klangschönheit?<br />

Die Frage nach der Priorität wird bei jedem Neubau<br />

eines Konzerthauses heftig diskutiert.<br />

VON KLAUS HÄRTEL<br />

FOTOS: MICHAEL ZAPF; MARK WOHLRAB; MARKENFOTOGRAFIE<br />

Die Elbphilharmonie hat neue Maßstäbe gesetzt. In jeder<br />

Hinsicht. Optisch, akustisch und finanziell. Sie wurde<br />

mit dem Ziel geplant, ein neues Wahrzeichen der Stadt<br />

und ein „Kulturdenkmal für alle“ zu schaffen. Zumindest<br />

die Sache mit dem Wahrzeichen ist voll aufgegangen. Man<br />

muss sich tatsächlich nicht für Musik interessieren, um die „Elphi“<br />

– fast 800 Millionen Euro schwer – beeindruckend zu finden. 110<br />

Meter ragt sie in die Höhe. Der Unterbau aus Ziegel, Resten eines<br />

alten Kaispeichers, der Oberbau ein Kunstwerk aus Glas, Stahl und<br />

Beton.<br />

Und doch lässt dieses Prunkstück auch Raum für Diskussionen.<br />

Denn qua definitionem ist ein Konzertsaal dafür da, dass die<br />

Musik gut klingt. Er soll den Schall verstärken und verbessern – wie<br />

ein begehbarer Resonanzraum. Schauen wir nach Dresden: Akustisch<br />

überzeugen konnte der 1969 gebaute Dresdner Kulturpalast<br />

eigentlich nie. Jetzt aber, fast 50 Jahre später, hält man ihn sogar für<br />

82 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


Die Hamburger Elbphilharmonie sehen weit mehr Menschen von außen als von innen; das Konzerthaus Dortmund folgt der<br />

„Schuhschachtel“-Bauweise, während die Dresdner Philharmonie in steilem „Weinberg“-Prinzip getaltet ist<br />

„die bessere Elbphilharmonie“. Fünf Jahre lang wurde saniert, der<br />

Konzertsaal völlig neu gestaltet und im April 2017 wieder eingeweiht.<br />

Etwa 100 Millionen Euro hat man sich die Neugestaltung des<br />

Kulturpalasts am Altmarkt kosten lassen, laut Eigenwerbung „ein<br />

Haus der Künste und des Wissens: Der neue Dresdner Kulturpalast<br />

weist in die Zukunft“.<br />

Ob er auch ein Touristenmagnet wird wie die Elbphilharmonie?<br />

Wenn, dann eher nicht, weil er optisch überzeugt. Der als sozialistisch-klassizistischer<br />

Ensemblebau geplante Quader wirkt im Stil<br />

der internationalen Moderne fast schon schmucklos. Der Konzertsaal<br />

aber wurde, was die Akustik betrifft, zur großen Überraschung.<br />

Schon erste Orchesterproben stimmten<br />

die Verantwortlichen euphorisch. Der<br />

IN DER 40. REIHE<br />

HÖRT MAN NOCH GUT,<br />

ABER DIE MUSIKER SCHRUMPFEN<br />

ZUM AMEISENTHEATER<br />

angestrebte „warme Dresdner Klang“<br />

war von dem niederländisch-deutschen<br />

Akustikbüro Peutz erzielt worden.<br />

Als zurzeit führender Fachmann<br />

für Konzertsaal-Akustik gilt der Japaner<br />

Yasuhisa Toyota. Jüngere Großprojekte<br />

waren die Konzertsäle in Katowice<br />

(2014), Paris (2015) und eben Hamburg<br />

(2016). Toyota war auch der verantwortliche<br />

Akustiker für die Suntory Hall in Tokio (1986), die Walt Disney<br />

Concert Hall in Los Angeles (2003) oder das Konzerthaus in<br />

Kopenhagen (2009).<br />

In München wird seit Jahren über die Notwendigkeit eines<br />

neuen Konzertsaals gestritten. So ein Konzertbau ist ja keine Kleinigkeit,<br />

sondern eine millionenteure und städtebaulich oft einschneidende<br />

Entscheidung. Siehe Hamburg. Überhaupt hat man<br />

den Eindruck, das äußere Erscheinungsbild sei der wichtigere<br />

Aspekt – was für den Großteil der Bevölkerung vermutlich auch<br />

stimmt, denn dieser wird den neuen Bau eher von außen denn<br />

von innen erleben. Die Frage muss erlaubt sein: Wie stark kann die<br />

Fassade auch über mindere akustische Qualität „hinwegschönen“?<br />

Denn die Saalakustik bildet ein heikles Thema, zumal die oft neuartige<br />

und gewagte Architektur immer wieder andere Herausforderungen<br />

stellt.<br />

Im 19. Jahrhundert war das alles noch einfacher. Der für seine<br />

Akustik vielfach bewunderte Goldene Saal des Wiener Musikvereins<br />

entstand <strong>18</strong>70 ohne jede akustische Expertise. Man folgte einfach<br />

dem traditionellen Modell der „Schuhschachtel“ oder „Zigarrenkiste“:<br />

Der Saal ist ein länglicher Quader mit der Bühne am<br />

schmalen Ende. Viele Konzertsäle jener Zeit, die bis heute für ihre<br />

gute Akustik bekannt sind, beherzigen dasselbe Prinzip: das Concertgebouw<br />

in Amsterdam (<strong>18</strong>87), die Tonhalle in Zürich (<strong>18</strong>95),<br />

die Symphony Hall in Boston (1900). Auch bei Neubauten dient der<br />

Goldene Saal noch immer als Vorbild, etwa beim Konzerthaus Berlin<br />

am Gendarmenmarkt (1984), beim Konzertsaal im KKL Luzern<br />

(1998) und beim Konzerthaus Dortmund (2002). Physiker aus<br />

Finnland haben aktuell nachgewiesen, dass die „Schuhschachtel“-<br />

Bauweise eine besondere akustische Dynamik besitzt – vor allem<br />

dank der Schallreflexion der Seitenwände. Der Nachteil dieser Bauform<br />

ist ein optischer: Man mag in der<br />

40. Reihe noch gut hören, aber die Musiker<br />

schrumpfen zum Ameisen theater.<br />

Da kann man gleich vor einer HiFi-<br />

Anlage sitzen.<br />

Und die „Schuhschachtel“ hat<br />

ernsthafte Konkurrenz bekommen –<br />

erstmals durch die Berliner Philharmonie<br />

(1963), im Volksmund einst „Zirkus<br />

Karajani“ genannt. In Berlin hat man<br />

versucht, alle Zuhörerplätze möglichst<br />

nahe an die Bühne zu rücken, indem man die Reihen rundum terrassenartig<br />

nach oben zog und die Bühne Richtung Saalmitte verlegte.<br />

Diese Bauform wurde als „Weinberg“-Prinzip bekannt. Sie<br />

liegt heute vielen Neubauten von Konzertsälen zugrunde, auch den<br />

aktuellen Philharmonie-Projekten in Dresden und Hamburg. Der<br />

Trend geht dabei zu immer steileren Rängen, als wolle man die konventionelle<br />

„Schuhschachtel“ hochkant stellen, aber auch zu immer<br />

voluminöseren, „runderen“ Sälen. Das lässt an die modernen Fußballarenen<br />

denken: Auch dort sind die Besucher recht steil und relativ<br />

nahe überm Spielfeld platziert. Nun kann man zwar ein Fußballspiel<br />

aus jeder Richtung betrachten, aber Orchestermusiker spielen<br />

nur in eine Richtung: zum Dirigenten hin. Daher hat auch der<br />

Rundum-„Weinberg“ seine optischen Grenzen – denn wer will den<br />

Musikern zwei Stunden lang von oben auf den Hinterkopf schauen?<br />

Optik und Akustik sollten also Hand in Hand gehen. Und<br />

Architekten ziehen beim Neubau eines Konzertsaals professionelle<br />

Akustiker hinzu. Schließlich ist, wie der der Physiker Donald E. Hall<br />

schreibt, „akustische Planung mindestens ebenso sehr Kunst wie<br />

Wissenschaft“.<br />

■<br />

83


M U S I K & R A U M<br />

FOTOS: HUFTON&CROW, PAUL ANDREU ARCHITECTE PARIS, ZAHA HADID, HARPA, WILLIAM BEAUCARDET/PHILHARMONIE DE PARIS, LUKE HAYES/ZAHA HADID ARCHITECTS<br />

Designpracht für die Kultur: Heydar-Aliyev-Zentrum in Baku (Zaha Hadid); Oriental Art Centre in Shanghai (Paul Andreu);<br />

Changsha Meixihu International Culture & Art Centre (Zaha Hadid); Konzerthaus Harpa in Reykjavík (Ólafur Elíasson); Philharmonie de Paris<br />

(Jean Nouvel); Johann Sebastian Bach Chamber Music Hall in Manchester (Zaha Hadid)<br />

84 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


WOHER KOMMEN<br />

EIGENTLICH …<br />

… die außermusikalischen Klänge im Raum ?<br />

VON STEFAN SELL<br />

FOTO: PIXABY<br />

Selbst in einem schalltoten<br />

Raum gibt es noch etwas<br />

zu hören. In Cambridge an<br />

der Harvard-Universität<br />

betrat Ende der 1940er-Jahre John<br />

Cage zum ersten Mal einen solchen<br />

Raum und freute sich, einmal nichts zu hören als Stille. Als<br />

er den Raum wieder verließ, hatte er doch etwas gehört, nämlich<br />

sich selbst. „Ich hörte zwei Klänge, einen hohen und einen tiefen.<br />

Als ich dies dem Toningenieur beschrieb, klärte er mich darüber<br />

auf, dass der hohe von den Aktivitäten meines Nervensystems herrührte<br />

und der tiefe von meinem Blutkreislauf kam.“<br />

Das inspirierte Cage zu dem Stück 4’33’’. Ursprünglich<br />

für Klavier gedacht, ist das auf vier Minuten und 33 Sekunden<br />

begrenzte Stück beliebig erweiterbar, sowohl was Dauer, als auch<br />

was Instrumentation betrifft. Allein – es darf kein einziger Ton<br />

gespielt werden – drei Sätze lang tacet, Schweigen, nur Stille. Plötzlich<br />

hört man im Konzertsaal die Tonkulisse des Publikums und<br />

der Außenwelt. Neben Fassungen für Sinfonieorchester und Death<br />

Metal Band gelangte 2010, kurz vor Weihnachten, die Popversion<br />

der 40-köpfigen All-Star-Band Cage against the Machine in die<br />

britischen Charts.<br />

Cage machte hörbar, was seit Mitte des 19. Jahrhunderts den<br />

Andachtskodex eines Konzertbesuchs immer wieder durchbricht.<br />

Aus einem verzagt verzärtelten Hüsteln wird ein in der Lautstärke<br />

anschwellender, ansteckender Husten, der mehr und mehr Akzente<br />

zu setzen weiß. Das ist von solcher Vielseitigkeit, das gar vom<br />

„Röchelverzeichnis“ die Rede ist. Es folgt das vermeintlich pianissimo<br />

gehaltene Rascheln und Knistern des Hustenbonbonpapiers,<br />

Räuspern, wieder Zurechtrücken, umrahmt von den Klangbildern<br />

der betont achtsam Zuspätkommenden wie Zufrühgehenden. Bis<br />

Mitte des 19. Jahrhunderts allerdings galten Opern- und andere<br />

Musikaufführungen als etwas, das zahlreicher Nebenklänge geradezu<br />

bedurfte.<br />

Zur Zeit Vivaldis wurde in Venedig die Musik von allerhand<br />

begleitet: „Viele Patrizier gingen verkleidet in’ Theater, um desto<br />

ungenierter ihre Maitressen mit in die übrigens enorm teure Loge<br />

nehmen zu können. Dort wurde gelacht und gelärmt“, und all das<br />

getan, was „Mann“ so mit seiner Maitresse tut. Des Weiteren „warf<br />

man Lichtstumpen und andere Gegenstände auf das Volk im Parterre,<br />

ja, spuckte hinab, wenn man<br />

einen kahlen Schädel sah.“<br />

Im Winter 1765/66 bereiste<br />

der englische Arzt und Autor<br />

Samuel Sharp Italien: „In Neapel,<br />

ja, in ganz Italien ist es groß in<br />

Mode, die Oper als einen Ort zu sehen, um sich zu treffen und zu<br />

plaudern, sodass man letztendlich nicht wegen der Musik kommt,<br />

sondern um, ohne jegliche Zurückhaltung, die ganze Vorstellung<br />

über zu lachen und zu reden. Man kann sich denken, dass eine<br />

Ansammlung mehrerer hundert Leute, die sich unterhalten, die<br />

Stimmen der Sänger übertönen muss. Neben dem Genuss einer<br />

lautstarken Unterhaltung bilden sich manchmal kleine Gruppen,<br />

um Karten zu spielen.“<br />

Darüber empörte sich wiederum der italienische Literaturkritiker<br />

Giuseppe Baretti und entgegnete öffentlich: „Als ob wir einen<br />

Mord begehen würden, wenn wir uns im Parkett redselig geben<br />

oder uns in den Logen zu einer Partie Karten treffen. Selbst wenn<br />

wir nicht geneigt sind zuzuhören, wären unsere Sänger äußerst<br />

unverschämt, wenn sie nicht ihr Bestes geben würden, werden sie<br />

doch für ihr Tun sehr gut bezahlt. Caffarello [gemeint ist der Kastrat<br />

Gaetano Majorano (1710–1783), von dem sein berühmter Gesangslehrer<br />

Nicola Porpora schwärmte, er sei der „größte Sänger Italiens<br />

und der ganzen Welt!“] wurde bald eines Besseren belehrt, als es ihm<br />

in den Sinn kam, auf der Bühne in Turin seine Pflicht zu vernachlässigen<br />

unter dem Vorwand, das Publikum achte nicht genügend auf<br />

seinen Gesang. Kaum war die Oper zu Ende, wurde er samt seines<br />

mazedonischen Kostüms für einige Nächte ins Gefängnis gesteckt<br />

und Abend für Abend von dort auf die Bühne gebracht, bis er sich<br />

unter wiederholten Bemühungen den Beifall aller verdient hatte.“<br />

Überall gab es „konzertimmanente Geräuschsymptome“ zu<br />

hören: „In den Theatern in Venedig wurde je nach Belieben applaudiert<br />

oder gepfiffen. Lautes, anhaltendes Lachen hörte man, schrille<br />

Töne, tiefe Bassstimmen, Kichern, Schwatzen, Miauen, Krähen,<br />

erkünsteltes Niesen, Husten, Gähnen, alles ging bunt durcheinander.“<br />

Der skandalerprobte Komponist George Antheil war sich<br />

sicher: „Wenn den Hörern ein Werk wirklich gefällt, dann husten<br />

sie weiter, rutschen hin und her, flüstern; das alles ist der normale<br />

und behagliche Hintergrund der Konzertmusik.“<br />

■<br />

85


M U S I K & R A U M<br />

Südtiroler Bergkulisse bei I Suoni delle Dolomiti<br />

FOTO: DANIELE LIRA<br />

DER BERG RUFT!<br />

Viele Musikfestivals verlegen Konzerte in luftige Höhen. Für das Publikum bedeutet das ein völlig<br />

neues Erlebnis, für Künstler und Veranstalter eine akustische Herausforderung.<br />

VON CORINA KOLBE<br />

Majestätische Berglandschaften haben so manchen Komponisten<br />

zu großen Werken inspiriert. In Richard<br />

Strauss’ Alpensinfonie hört man das Rauschen eines<br />

Wasserfalls, bevor der Wanderer über blumige Wiesen<br />

und durch unwegsames Dickicht den Gipfel erreicht und in ein<br />

Gewitter gerät. In seiner Tondichtung verarbeitete Strauss Jugenderinnerungen<br />

an einen Aufstieg auf den Heimgarten, einen der<br />

Münchner Hausberge. In Toblach im Pustertal, wo er unter anderem<br />

seine Neunte Sinfonie schrieb, schwärmte Gustav Mahler beim<br />

Blick auf die Dolomiten: „Hier ist es wunderherrlich und repariert<br />

ganz sicher Leib und Seele.“<br />

Im Gegensatz zu Strauss und Mahler können Gäste von Klassikfestivals<br />

Musik im Gebirge heute nicht nur in der Fantasie erleben.<br />

Veranstalter folgen dem weit verbreiteten Trend, Konzerte an<br />

ungewohnte Orte zu verlegen. Kultur und Tourismus fördern sich<br />

dabei gegenseitig. Beim Richard Strauss Festival in Garmisch-Partenkirchen<br />

begleiten in diesem Sommer ein Trompeter und ein<br />

Posaunist eine Musikwanderung durch die Partnachklamm. Unter<br />

dem Motto „Von der Renaissance zum Rosenkavalier“ lädt das Festival<br />

außerdem auf die Sonnenalm ein, die mit der Wankbahn oder<br />

zu Fuß zu erreichen ist. Das Ensemble Munich Opera, das aus den<br />

acht Hornisten des Bayerischen Staatsorchesters besteht, spielt auf<br />

einer Terrasse vor der beeindruckenden Kulisse der Zugspitze. Beim<br />

Oberstdorfer Musiksommer kann man Kammerensembles auf dem<br />

Nebelhorn und bei Sonnenuntergang an der Gipfelstation des Fellhorns<br />

lauschen. Und der Südtiroler Bergsteigerchor Castion Faver<br />

singt an der Station Schlappoldsee.<br />

Während man auf dem Fellhorn ohne zu schwitzen mit der<br />

Bergbahn ans Ziel kommt, hat die styriarte in der österreichischen<br />

Steiermark Wanderungen für konditionsstärkere Gäste im Programm.<br />

600 Höhenmeter sind auf einer neun Kilometer langen<br />

„Landpartie“ zu überwinden, die wahlweise frühmorgens oder am<br />

Nachmittag durch den Nationalpark Gesäuse führt. Zur Belohnung<br />

gibt es dann im Gebirge Live-Musik von Alphornbläsern, Flötistinnen<br />

und einem Vokaltrio.<br />

Das Gstaad Menuhin Festival in der Schweiz findet in diesem<br />

Jahr sogar unter dem Themenschwerpunkt „Alpen“ statt. Intendant<br />

Christoph Müller spricht in seinem Vorwort von einer „magischen“<br />

Anziehungskraft, die Berge im Zeitalter der Beschleunigung<br />

und weltweiten Vernetzung auf Stressgeplagte ausüben. Die meisten<br />

Konzerte finden allerdings in Kirchen und im Festivalzelt statt.<br />

Anders als bei früheren Ausgaben ist ein Gletscherkonzert in diesem<br />

Jahr nicht vorgesehen. Dafür tritt auf der Alp Züneweid auf<br />

einer Höhe von rund 1.600 Metern ein Blechbläserquintett auf.<br />

86 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


Wie Müller im Interview erklärt, sucht er neben den Hauptspielstätten<br />

auch typische Orte in der Region aus, an denen die<br />

Verbindung von Natur und Musik am schönsten zum Ausdruck<br />

komme. Was die Akustik betrifft, so räumt er rasch ein, dass bei<br />

Freiluftkonzerten Abstriche gemacht werden müssten. „Man<br />

besucht solche Veranstaltungen ja nicht in erster Linie wegen<br />

des Klangerlebnisses. Dafür haben wir unsere Kirchen, die für<br />

ihre Akustik berühmt sind.“ Die Besonderheit der Konzerte im<br />

Gebirge erkennt Müller eher darin, dass die übliche Trennung<br />

zwischen Bühne und Zuschauerraum aufgehoben sei. „Die Hörer<br />

sind den Musikern ganz nah. In Wanderschuhen und Sportdress<br />

lässt es sich wunderbar miteinander über Musik und die Welt diskutieren.“<br />

Und wie gehen die auftretenden Musiker mit der ungewohnten<br />

Situation um? „Wer nicht bereit ist, solche Kompromisse einzugehen,<br />

spielt halt nicht dort“, sagt der Intendant, der von Haus<br />

aus Cellist ist. „Generell verspüre ich bei Künstlern aber eine große<br />

Offenheit für solche Formate.“ Die Gefahr, dass das Gebirge zu<br />

einer Eventkulisse reduziert wird und die Natur darunter leiden<br />

könnte, schließt er bei seinem Festival aus. „Wir veranstalten diese<br />

Konzerte immer in sehr kleinem Rahmen, mit 80 bis höchsten 150<br />

Zuhörern. Andernfalls würde die besondere Stimmung gar nicht<br />

erst aufkommen.“<br />

Mit dem Goethe-Zitat „Über allen Wipfeln ist Ruh“ will das<br />

Davos Festival in Graubünden seine Besucher zu einer Wandertour<br />

animieren, die vom Jakobshorn (2.590 m) bergabwärts über die<br />

Clavadeler Alp (2.005 m) zur Kirche Frauenkirch (1.505 m) führt.<br />

Zum Ausgangspunkt gelangt man mit einer Bahn. Die Konzerte<br />

auf der traditionellen Festivalwanderung, die jedes Jahr ihre Route<br />

ändert, finden in Innenräumen statt. Im Restaurant der Gipfelstation<br />

singt zunächst der Kammerchor des Festivals, der die gesamte<br />

Tour begleitet. Wie bei vielen anderen Konzerten im Gebirge ist<br />

auch hier ein Bläserensemble dabei, das im Keller eines Käsereihofes<br />

spielt, bevor der Ausflug bei Musik in der Kirche endet. Bei<br />

höchstens 50 bis 60 Zuhörern kann man auch hier nicht von einer<br />

Massenveranstaltung sprechen.<br />

Ein bewusstes und umweltverträgliches Natur- und Musikerlebnis<br />

in kleinem Kreis bietet auch das Festival Die Klänge der<br />

Dolomiten in Südtirol. Künstler und Publikum kommen sich beim<br />

Wandern durch die malerische Bergwelt des Trentino näher als in<br />

jedem herkömmlichen Konzertsaal. Albrecht Mayer, Solo-Oboist<br />

der Berliner Philharmoniker, war im vergangenen Sommer ganz<br />

ungewohnt auf einer Bergwiese im Naturschutzpark Adamello-<br />

Brenta zu hören, begleitet von dem Kammermusikensemble Zandonai<br />

aus Trento. In einem Video auf Youtube ist zu sehen, wie<br />

die Musiker, die sich durch Hüte vor Sonnenstich schützten, ein<br />

Programm aus Klassik, Filmmusik, Tango und Pop aufführen.<br />

Die Geigerin Isabelle Faust nahm bereits an einer Trekking-Tour<br />

durch die Cevedale-Gruppe teil, die bis auf über 3.000 Meter Höhe<br />

führte. Mit einer Sonnenbrille auf der Nase spielte sie vor schneebedeckten<br />

Gipfeln gemeinsam mit dem künstlerischen Festivalleiter<br />

Mario Brunello. Der Cellist aus Venetien, der 1986 als erster<br />

Italiener den Tschaikowsky-Wettbewerb in Moskau gewann, kennt<br />

die Berge von klein auf wie seine Westentasche. Er ist davon überzeugt,<br />

dass Musik und Natur füreinander geschaffen seien. „Das<br />

Profil der Dolomiten ähnelt dem Notenbild in einem Präludium<br />

von Bach“, schreibt Brunello in seinem Buch „Fuori con la musica“<br />

(Draußen mit der Musik). Und den Klang seines Instruments verglich<br />

er einmal mit der Sonne, die frühmorgens über den Gipfeln<br />

seiner geliebten Dolomiten aufgeht.<br />

■<br />

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John Axelrods Weinkolumne<br />

ERPROBT VERSUS EXOT<br />

Bei Veranstaltungsorten wie bei Weinen rangelt das Altbewährte oft mit dem für Ohren<br />

oder Gaumen nicht immer gut konsumierbaren Außergewöhnlichen.<br />

ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ<br />

Wenn es um die musikalische Aufführungspraxis<br />

geht, gibt es einige zentrale Kriterien:<br />

Akustik, Bühnengröße, Anzahl der Sitzplätze<br />

und Zugänglichkeit. Erweist sich<br />

etwas davon als suboptimal, wird’s schnell<br />

schwierig. Trotzdem wurde die Suche nach<br />

neuen, außergewöhnlichen Aufführungsorten<br />

fast schon zum neuen Sport. Wen<br />

kümmert schon die Qualität, wenn es einfach<br />

cool ist, Oper im Bahnhof, Kammermusik<br />

im Flughafen oder große Sinfonik in<br />

einer Disco zu präsentieren?<br />

Genauso gibt es Weine, die an ungewöhnlichen<br />

Orten wachsen. Ob sie gut sind,<br />

ist dabei unwichtig. Es zählt die Medienwirksamkeit.<br />

Wein zu trinken, der in einem<br />

Vulkan gewachsen ist oder auf<br />

3.100 Meter Höhe fermentiert wurde,<br />

macht einfach mehr her. Glücklicherweise<br />

kann der Wein dennoch gut sein.<br />

Zum Beispiel der von Colomé.<br />

Deren Wein wird im oberen Calchaquí-<br />

Tal der Provinz Salta in Argentinien<br />

angebaut. Ihr höchstes Weinbaugebiet,<br />

passend Altura Máxima<br />

genannt, liegt auf 3.111 Meter Höhe<br />

und ist damit das höchste kommerziell<br />

genutzte Weinbaugebiet der<br />

Welt. Und wie schmeckt das Tröpfchen?<br />

Großartig! Der Bodega<br />

Colomé Estate Malbec 2015 ist ein<br />

preisgekrönter, mit 92 Parker-Punkten<br />

bewerteter, reichhaltiger Rotwein,<br />

voll von Beeren- und Kirscharomen<br />

mit Pfeffer-, Tabak- und<br />

Schokoladennote.<br />

Die besten Konzertsäle der Welt wie das<br />

Amsterdamer Concertgebouw, die Berliner<br />

Philharmonie oder der Wiener Musikverein<br />

wurden für das spezifische Repertoire ihrer<br />

Orchester designt. Beim Bau stand die Musik<br />

an erster Stelle. Bei anderen Sälen war die<br />

Musik ein Nachtrag, stand die Architektur im<br />

Vordergrund. Im 21. Jahrhundert zählt allein,<br />

ob der Veranstaltungsort Publikum anlockt.<br />

Aber die entscheidende Frage ist, ob diese<br />

neuen, extravaganten Orte nachhaltig die<br />

Zuschauerzahlen steigern. Wenn Leute<br />

Musik in der Disco oder in der U-Bahn hören,<br />

gefällt ihnen das möglicherweise nicht, und<br />

wenn doch, wollen sie sie vielleicht nirgends<br />

anders mehr hören – vor allem nicht an diesen<br />

stickigen Orten, die eine gewisse Etikette<br />

erfordern, an eine Kirche oder eine<br />

Beerdigung erinnern. Anders gesagt: Ein<br />

Konzertsaal kann erheblich den Charakter<br />

eines Orchesters oder des Publikumserlebnisses<br />

beeinflussen. Er gibt<br />

dem Orchester eine Heimat, eine Identität.<br />

Trotzdem schrumpft das Publikum<br />

für klassische Musik, was<br />

Orchester, Veranstalter und Labels<br />

dazu zwingt, alternative Veranstaltungsorte<br />

zu finden, die eine tiefere<br />

Verbindung zum Zeitgeist und<br />

modernen Lebensstil ermöglichen.<br />

Funktioniert das? Oft nicht. Macht<br />

das Spaß? Absolut. Was ist also die<br />

bessere Variante? Weder noch. Beides<br />

wird benötigt, um das Publikum<br />

der Zukunft zu schaffen und zu<br />

bewahren.<br />

Für Wein gilt genau das Gleiche: Es<br />

braucht die Bodenständigen aus passendem<br />

Klima, passenden Höhen und Regionen.<br />

Und andererseits die Exoten wie den<br />

Wein aus dem tahitianischen Rangiroa,<br />

einer paradiesischen Insel im Südpazifik.<br />

Oder dem aus Lanzarote, dem „Weinkeller<br />

des Teufels“: Krater und Vulkangestein<br />

schützen die Reben vor starken Winden,<br />

WEN KÜMMERT<br />

DIE QUALITÄT,<br />

WENN BLOSS DER ORT<br />

MEDIENWIRKSAM IST?<br />

lassen die Landschaft außerirdisch wirken,<br />

obwohl der Vulkanboden sehr nährstoffreich<br />

ist und die Reben gesund und kräftig<br />

wachsen lässt.<br />

Ein großartiges Orchester benötigt<br />

einen großartigen Konzertsaal wie ein<br />

großartiger Wein perfekte Reben und perfektes<br />

Klima. So würde ich einen soliden<br />

Premier Cru Bordeaux nicht gegen einen<br />

Edivo Viva eintauschen, der in gut verkorkten<br />

Amphoren in einem versunkenen Schiff<br />

vor der dalmatinischen Adriaküste gelagert<br />

wird. Aber von Zeit zu Zeit kommt doch<br />

ein neuer Konzertort wie die Elbphilharmonie<br />

oder ein Wein vom Dach der Welt<br />

daher und ändert einfach alles.■<br />

John Axelrod ist Generalmusikdirektor und Geschäftsführer des Real Orquesta Sinfónica de Sevilla und erster Gastdirigent des Orchestra Sinfonica di Milano „Giuseppe Verdi“. Nebenbei schreibt er<br />

Bücher und sorgt sich um das Wohl des crescendo-Lesergaumens. Außerdem schreibt er einen englischsprachigen Blog zum Thema Wein und Musik: www.IamBacchus.com.<br />

Infos zum Malbec Salta der Bodega Colomé finden Sie hier: www.belvini.de/bodega-colome-autentico-malbec-salta.html<br />

88 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


LEBENSART<br />

ServusTV: auf Filmdreh mit Hochkultur-Experte Ioan Holender (Seite 91)<br />

crescendo – hier kochen die Stars: Linus Roth und Ali Güngörmüş mit bayerischen Garnelen auf Taboulehsalat (Seite 92)<br />

Experimentierfreude und Spontanität prägen<br />

die Kunst von Martin Widl. Am 19. <strong>Juli</strong><br />

werden seine Bilder in einer Vernissage in den<br />

crescendo-Verlagsräumen zu sehen sein<br />

FOTO: MARTIN WIDL<br />

89


L E B E N S A R T<br />

NIGELNAGELNEU UND<br />

FRISCH FRISIERT:<br />

DIE <strong>CRESCENDO</strong>-HOMEPAGE<br />

Wochenlang schwelten die Köpfe der crescendo-Redaktion,<br />

manch einer wollte sich gar in der Tastatur verbeißen. Nun ist sie da: die komplett<br />

neu aufgesetzte crescendo-Website mit vielen neuen Annehmlichkeiten.<br />

Hammock-Effekt und Hero Section, Sidebar und Slider,<br />

Wireframe und Wysiwyg – als wir mit der Rundumerneuerung<br />

unserer in die Jahre gekommenen Website<br />

begannen, mussten wir erst mal „Sprachunterricht“<br />

nehmen. Spannend, verwirrend und gelegentlich auch<br />

zum Haareraufen war es, in die Strukturen hinter der<br />

Web-Oberfläche einzutauchen und diese von Grund<br />

auf neu zu gestalten.<br />

Nun ist sie da, die neue Homepage:<br />

www.crescendo.de. Und wir laden Sie herzlich ein, sich<br />

darauf umzusehen und uns unter folgender E-Mail kritisches<br />

Feedback zu geben: redaktion@crescendo.de.<br />

crescendo-Kolumnist Axel Brüggemann<br />

für SKY bei den Bayreuther Festspielen<br />

Er tut es wieder! Auch zur Festspielsaison 20<strong>18</strong> begleitet<br />

Axel Brüggemann für den Fernsehsender SKY wieder die<br />

Bayreuther Festspiele. Die Premiere von Lohengrin in der<br />

Inszenierung von Yuval Sharon und unter der musikalischen<br />

Leitung von Christian Thielemann wird von Interviews,<br />

Impressionen und Blicken hinter<br />

die Kulissen umrahmt.<br />

25.7., „Bayreuth – Die Show“, SKY<br />

DAS KANN DIE NEUE crescendo-HOMEPAGE:<br />

Responsiveness<br />

Egal ob auf Ihrem Heim-PC, Ihrem Laptop, Ihrem Tablet oder Ihrem<br />

Smartphone – die Website wird Ihnen stets optimal angezeigt! Dabei können<br />

Sie sich einfach immer tiefer in die Seiten „hineinblättern“.<br />

Smart Listening<br />

Endlich wird die Lücke zwischen Lesen und Hören geschlossen: Ab jetzt<br />

können Sie auf unserer Website bei vielen Rezensionen direkt in die entsprechenden<br />

Einspielungen reinhören – kostenfrei!<br />

crescendo-Ticket<br />

In unserem Veranstaltungskalender finden Sie über 90.000 Termine, für die<br />

Sie auch direkt Eintrittskarten bestellen können.<br />

Deutschlandweit und darüber hinaus!<br />

Gewinnspiele<br />

Neben spannenden Artikeln, Veranstaltungstipps und Veranstaltungskritiken<br />

finden Sie auf unserer Seite nun auch Rätsel und Gewinnspiele.<br />

Videos, crescendo LIVE und vieles mehr<br />

Als Printmedium kennen Sie crescendo seit vielen Jahren. Aber wussten Sie,<br />

dass wir viele Künstlerbegegnungen mit der Kamera begleiten?<br />

In der Video-Reihe „crescendo trifft …“ können Sie unsere Autoren jede<br />

Woche bei einem Künstlergespräch verfolgen und per Livestream Veranstaltungen<br />

aus der Welt der klassischen Musik hautnah erleben.<br />

Außerdem zeigen wir Höhepunkte unserer Veranstaltungsspecials<br />

crescendo LIVE, bei denen Sie auch vor Ort dabei sein können –<br />

als crescendo-Leser oft mit speziellen Vergünstigungen.<br />

90 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


Schmackhafte<br />

Hochkultur<br />

vom Großmeister<br />

Für ServusTV moderiert Opernlegende und Kulturexperte Ioan Holender<br />

die Sendung „kulTOUR mit Holender“. Wir durften ihn beim Dreh begleiten.<br />

VON MARIA GOETH<br />

Noch einmal huscht<br />

eine rührige Assistentin<br />

herbei und<br />

fährt dem Grandseigneur<br />

mit dem<br />

Kamm durchs wallende graue<br />

Haar. Der rückt sich die elegante<br />

dunkelrote Krawatte zurecht,<br />

bevor seine unverwechselbare,<br />

sonor rollende, bis heute mit<br />

rumänisch angehauchtem R artikulierende<br />

Stimme anhebt wie ein<br />

tiefer, unaufhaltsamer Strom. Die<br />

durchdringenden grünblauen<br />

Augen leuchten wach aus den<br />

Gesichtszügen mit den markanten<br />

breiten Lippen und den kleinen<br />

Lachfalten in den Augenwinkeln. 82 Jahre ist Ioan Holender nun alt<br />

und vielleicht eines der letzten Musterexemplare aus der Generation<br />

jener großen, mächtigen Theatermänner. Das weiß er, und dazu<br />

steht er – auch in einer Zeit, in der eine heftige Debatte um eben<br />

diese Machtmenschen herrscht. „Ich bekenne mich absolut zur<br />

autokratischen Führung eines Opernhauses“, betont er. Man müsse<br />

sich der Verantwortung stellen und Einfluss auf alles nehmen – vom<br />

Bühnenpförtner und den Toiletten bis zur Künstlerbesetzung.<br />

„Letztendlich kommt es nur auf zwei Dinge an: Was man spielt und<br />

mit wem man spielt – und das kann nur der Leiter bestimmen!“<br />

19 Jahre lang war Holender Direktor der Wiener Staatsoper – länger<br />

als jemals eine Person zuvor.<br />

Seit Ende seiner Amtszeit wirkt er unter anderem als Berater<br />

für die Metropolitan Opera – „wie das eben so ist, wenn man in<br />

einer solchen Position war und es nicht mehr ist, dann wird man<br />

Berater“, lacht er. Daneben hat er seine eigene Sendung „kulTOUR<br />

mit Holender“ bei ServusTV. Hierbei lässt ihm der Geschäftsführer<br />

des Senders, Red-Bull-Milliardär Dietrich Mateschitz, alle Freiheit<br />

der Welt: „Wenn Sie es gerne machen, wird es gut sein!“ Und so porträtiert<br />

Holender mal Künstlerpersönlichkeiten wie Zubin Mehta,<br />

Christian Gerhaher oder Teodor Currentzis, mal Institutionen wie<br />

Ioan Holender:<br />

Nächste Sendungen von „kulTOUR mit Holender“<br />

bei ServusTV (jeweils um 23:25 Uhr):<br />

7. <strong>Juni</strong>: Musikpaläste in Barcelona<br />

21. <strong>Juni</strong>: Stuttgart – Innovation hat Tradition<br />

5. <strong>Juli</strong>: Die Mailänder Scala<br />

19. <strong>Juli</strong>: Sotschi – Die russische Riviera<br />

FOTO: SERVUS TV / HOERMANDINGER<br />

die Opernhäuser von Tirana oder<br />

dem Oman oder das neue Kulturzentrum<br />

in Peking. Dabei ist für<br />

ihn nicht immer die Qualität entscheidend,<br />

sondern die spannenden<br />

Geschichten, die hinter den<br />

Personen und Gebäuden stecken<br />

und die neben Opernfans vor<br />

allem auch die breite Mehrheit des<br />

Fernsehpublikums erreichen sollen<br />

– eine „Quadratur des Kreises“,<br />

wie Holender selbst bemerkt, aber<br />

dieser Herausforderung stellt er<br />

sich gerne.<br />

Gerade hat er eine Folge an<br />

der Staatsoper Stuttgart abgedreht<br />

– von Max Reinhardt zu Recht als<br />

„schönstes Opernhaus der Welt“ bezeichnet, wie Holender findet.<br />

Der monumentale, 1912 eröffnete Doppeltheaterbau mit Opernund<br />

Schauspielhaus von Max Littmann sei etwas ganz Besonderes.<br />

Holender sprach unter anderem mit Opernintendant Jossi Wieler<br />

und Chefdramaturg Sergio Morabito – Letzterer wechselt ab 2020 in<br />

gleicher Funktion an die Wiener Staatsoper, also an Holenders ehemalige<br />

Wirkungsstätte. Außerdem haben Wieler und Morabito in<br />

den vergangenen Jahren als gefeiertes Regie-Duo im besten Sinne<br />

die Stuttgarter Musikwelt aufgewirbelt. Und natürlich kommt bei<br />

Holenders Stuttgart-Porträt auch das legendäre Stuttgarter Ballett<br />

nicht zu kurz – insbesondere die 1971 von John Cranko gegründeten<br />

Ballettschule –, daneben weitere Kulturspielstätten wie die Liederhalle<br />

oder das Architekturjuwel Wilhelma Theater. In Gebäuden,<br />

in denen Menschen Musik machen, herrsche oft eine ganz besondere<br />

Atmosphäre, beobachtet Holender. Diese zu vermitteln, gelingt<br />

der Kulturautorität ganz ausgezeichnet. Da muss man nachträglich<br />

fast froh sein, dass die politischen Unruhen im kommunistischen<br />

Rumänien Holender einst zum Abbruch seines Studiums und später<br />

zur Auswanderung zwangen, woraus seine Karriere in der Hochkultur<br />

geboren wurde – ansonsten wäre Holender Ingenieur für<br />

Dampfmaschinen geworden!<br />

■<br />

91


L E B E N S A R T<br />

Bayerische Garnelen<br />

auf Taboulehsalat<br />

<strong>CRESCENDO</strong> –<br />

HIER KOCHEN DIE STARS<br />

„BEIM KONZERT IST ES WIE<br />

IM RESTAURANT:<br />

DAS PUBLIKUM MÖCHTE<br />

EINE EMOTION MIT NACH<br />

HAUSE NEHMEN!“<br />

ALI GÜNGÖRMÜŞ<br />

FOTOS: MARIA GOETH<br />

92 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


BAYERISCHE GARNELEN AUF TABOULEHSALAT<br />

Schalotten, Knoblauch, Fleischtomaten, Bulgur<br />

Frische Garnelen (z. B. bayerische Garnelen aus Freising: www.crustanova.com)<br />

Butter, Gemüsebrühe<br />

Salz, Zucker, Kurkuma, frischer Koriander, frische marokkanische Minze, frische Petersilie<br />

Saft von einer Biozitrone, Olivenöl<br />

Cayennepfeffer oder Chiliöl<br />

1. Schalotten und Knoblauch schneiden. Tomaten oben einschneiden, Strunk entfernen und kurz<br />

in kochendes Wasser geben. Dann die Haut entfernen, Tomaten halbieren und würfeln.<br />

2. Garnelen putzen (die Köpfe nicht abnehmen).<br />

3. Schalotten und Knoblauch in Butter anschwitzen. Feinen Bulgur, die gewürfelten<br />

Tomaten und etwas Salz, Zucker und Kurkuma (keinen Pfeffer!) zugeben. Gemüsebrühe zugeben,<br />

bis alles leicht bedeckt ist. Kurz aufkochen lassen. Dann von der Herdplatte nehmen und<br />

10–15 Minuten ziehen lassen.<br />

4. Koriander, Minze und Petersilie zupfen und klein hacken und mit dem Bulgur vermischen<br />

(ca. zwei Teile Kräuter zu je einem Teil Bulgur mit Tomaten). Zitronensaft, Olivenöl, etwas Salz und<br />

eine Prise Cayennepfeffer oder Chiliöl dazugeben.<br />

5. Garnelen in (nicht zu heißem) Olivenöl anbraten. Etwas Butter und Zitronensaft darübergeben.<br />

6. Die Garnelenköpfe abbrechen. Den Taboulehsalat mit den Garnelen anrichten und ein bisschen<br />

Bratbutter der Garnelen darübergeben. Den Teller mit etwas Olivenöl dekorieren.<br />

Das Video zum Rezept finden Sie unter: www.youtube.de/crescendomagazin<br />

•<br />

LINUS ROTH GEIGER<br />

Linus Roth ist ein weltweit erfolgreicher Geiger. Daneben ist er<br />

Mitbegründer der International Weinberg Society, Gründer und künstlerischer<br />

Leiter des Festival Ibiza Concerts sowie Professor für Violine an der<br />

Universität Augsburg.<br />

ALI GÜNGÖRMÜŞ STERNEKOCH<br />

Ali Güngörmüş ist ein in der Türkei geborener deutscher Koch. 2005 eröffnete<br />

er in Hamburg-Othmarschen das mit einem Michelin-Stern ausgezeichnete<br />

Restaurant Le Canard Nouveau, 2014 in München das Restaurant Pageou.<br />

Güngörmüş ist im ZDF und NDR regelmäßig als Fernsehkoch zu erleben.<br />

Linus Roth und Ali Güngörmüş im Kochfieber<br />

93


L E B E N S A R T<br />

2 3<br />

1<br />

4<br />

5<br />

6<br />

7 9<br />

8<br />

FOTOS: GRAZ TOURISMUS / HARRY SCHIFFER (5); KUG / WENZEL; OPERNHAUS GRAZ; GRAZ TOURISMUS / WERNER KRUG; GRAZ TOURISMUS / MARKUS SPENGER<br />

1) Kunsthaus Graz 2) Kunstuniversität Graz 3) Opernhaus 4) Blick über die zweitgrößte Stadt Österreichs 5) Uhrturm 6) Glockenspiel<br />

7) Kaiser-Josef-Markt 8) Lange Tafel der Genusshauptstadt vor dem Grazer Rathaus 9) Murinsel<br />

94 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


SO VIEL MUSIK, KUNST UND LITERATUR<br />

AUF ENGEM RAUM!<br />

Graz<br />

Ein Spaziergang mit Oksana Lyniv, Chefdirigentin des<br />

Grazer Philharmonischen Orchesters, durch das malerische Herz der Steiermark.<br />

VON ROLAND H. DIPPEL<br />

FOTO: SERHIY HOROBETS UND VIKTOR ANDRIICHENKO<br />

Über Nacht hielt der Frühling Einzug<br />

in Graz. Tiefblauer Himmel, Studierende<br />

auf der Stadtpark-Promenade<br />

und fast sommerliche Sonnenstrahlen<br />

auf das bronzene Modell des<br />

Opernhauses vor dem neubarocken Prunkbau,<br />

dem Herz der zweitgrößten Stadt Österreichs. Am<br />

Abend zuvor wurde das Ehrenkonsulat der Ukraine feierlich eröffnet.<br />

Der Bezirk Lemberg und die Steiermark sind Partnerregionen.<br />

Die ehemalige Hauptstadt Galiziens ähnelt dem Industrie- und<br />

Kunstzentrum an der Mur.<br />

Oksana Lyniv hatte keine Zeit für diesen ersten Botschaftsabend,<br />

obwohl sie den Dialog ihres Heimatlandes und der mitteleuropäischen<br />

Kultur befördert, wo sie kann. Aber die andere schöne<br />

Verpflichtung war wichtiger: Sie stand zur Generalprobe der Grazer<br />

Erstaufführung von Rossinis Belcanto-Starfighter Il viaggio a Reims<br />

am Pult des Grazer Philharmonischen Orchesters. Seit Beginn dieser<br />

Spielzeit ist sie dessen Chefdirigentin. Am Tag vor der Premiere<br />

finden wir Zeit zum Gespräch auf einem Rundgang zu ihren Lieblingsorten<br />

dieser malerischen Stadt und Mittelpunkt der Steiermark.<br />

Ungarn ist nicht weit, Slowenien auch nicht.<br />

Oksana Lyniv in ihrer neuen<br />

Heimat<br />

An der Oper leitet die 40 Jahre alte Oksana<br />

Lyniv je Spielzeit zwei Produktionen, und mit dem<br />

Grazer Philharmonischen Orchester gestaltet sie<br />

neun Programme. Eine stolze Zahl. „Ich freue mich<br />

immer, wenn Besuch kommt, dann muss ich mich<br />

losreißen und Zeit für Ausflüge haben“, lacht sie.<br />

Man glaubt ihr, dass sie diese schnellen Sprünge<br />

zwischen Kunst und Lebensraum liebt. „Gleich auf der anderen<br />

Seite der Mur, am neuen Kunsthaus, sieht man, wie Graz durch die<br />

Mischung aus historistischer Vergangenheit und Fortschrittsgeist<br />

lebendig bleibt. Aber die wichtigsten Orte für mich befinden sich in<br />

der Nähe zur Oper und dem Stephaniensaal.“ Ihre Pausen verbringt<br />

Lyniv oft am idyllischen Kaiser-Josef-Markt, wo sie gerne zu Mittag<br />

isst. Wenige hundert Meter weiter befindet sich die Kunstuniversität<br />

Graz, eine der wichtigsten und begehrtesten Musikhochschulen<br />

Europas.<br />

Alteingesessene halten den Kaiser-Josef-Markt für das Herz<br />

des alten Graz. Wenn die Nächte nicht mehr allzu kalt werden,<br />

herrscht an den Getränkeständen noch bis vor Mitternacht Hochbetrieb,<br />

der sich nur allmählich in die benachbarten Lokalitäten<br />

verlagert. Formvollendete galante Umgangsformen findet man dort<br />

95


L E B E N S A R T<br />

genauso wie etwas handfesteren<br />

Umgangston. Alle Szenen treffen<br />

aufeinander. Hier freunden sich<br />

auch internationale Gäste gerne<br />

mit einer bodenständigen<br />

Gemächlichkeit an, die nur<br />

wenige Meter weiter zwischen den<br />

Läden am Knotenpunkt Jakominiplatz<br />

urbaner Geschäftigkeit<br />

weicht. Man versteht, warum viele<br />

Künstler hier weiterhin leben wollen,<br />

selbst wenn sie längst international<br />

gefragt sind.<br />

„Mir gefällt hier die Tradition,<br />

die enge Vernetzung mit der Kunstuniversität und den vielen<br />

anderen Einrichtungen. So viel Musik, Kunst und Literatur auf<br />

engem Raum! In der Nachbarschaft zur Styriarte und zum Steirischen<br />

Herbst entsteht eine freundschaftliche Konkurrenz, die sich<br />

beglückend auf die Qualität auswirkt.“ Immer wieder entdeckt<br />

Oksana Lyniv trotzdem spannende Lücken. In den nächsten Spielzeiten<br />

widmet sie sich in Graz wieder ukrainischen Werken und<br />

bereitet für 2019/20 einen umfangreichen Zyklus mit Werken von<br />

Komponistinnen vor.<br />

Im Hauptfoyer der Grazer Oper stehen Büsten des<br />

„Evangelimann“-Schöpfers Wilhelm Kienzl und von Alexander<br />

Girardi, dem unvergessenen Spieltenor der Wiener Operette. „Ich<br />

bin gespannt auf die nächste Achse mit Franz Xaver Mozart, die ich<br />

von Lviv hierher legen möchte.“ Den Mozartsohn macht Oksana<br />

Lyniv auch in der zweiten Ausgabe des von ihr 2017 gegründeten<br />

Festivals LvivMozArt zum Schwerpunkt. Sie springt im Gespräch<br />

ständig zwischen dem ukrainischen Namen Lviv und dem deutschen<br />

Lemberg hin und her. Neben den Grazer Verpflichtungen<br />

Sonne im Grazer Kunsthauscafé<br />

FOTO: GRAZ TOURISMUS / TOM LAMM<br />

fand sie 2016 noch die Zeit zur<br />

Gründung des Jugendsymphonieorchesters<br />

der Ukraine nach Vorbild<br />

des Bundesjugendorchesters.<br />

Ihr Auftritt mit den Jugendlichen<br />

beim Young Euro Classic am 16.<br />

<strong>August</strong> im Konzerthaus Berlin<br />

wird von Arte aufgezeichnet, und<br />

für das Grazer Gastspiel am 17.<br />

September hat sie sich etwas ganz<br />

Besonderes ausgedacht. „Wir<br />

rekonstruieren Teile eines Konzerts,<br />

bei dem Franz Xaver Mozart<br />

<strong>18</strong>44 hier in Graz als Pianist auftrat.<br />

Es gibt eine Komposition von ihm, dazu als repräsentative<br />

Werke aus seinem Umfeld Beethovens Die Geschöpfe des Prometheus<br />

und die Ouvertüre zu Boieldieus Rotkäppchen.“<br />

Längst haben wir auf einem Steg wieder die Mur überquert.<br />

Die künstliche Murinsel, deren gerundete Form vage Ähnlichkeit<br />

mit einer Muschel hat, liegt zwischen dem historischen Graz und<br />

den hippen Szene-Locations um den Lendplatz. Ganz in der Nähe<br />

lebte lange Jahre der in Lemberg geborene Autor und Historiker<br />

Leopold von Sacher-Masoch, dessen Einsatz gegen den Antisemitismus<br />

leider viel weniger bekannt ist als seine sprichwörtlich gewordene<br />

Prosa. Er, dem man im Kulturhauptstadtjahr 2003 ein umfangreiches<br />

Projekt widmete, gehört genauso zu Graz wie der unvergessene<br />

Robert Stolz oder Karl Böhm, dessen Ehrenbüste derzeit für<br />

das dokumentarische Stück von Paulus Hochgatterer und Nikolaus<br />

Habjan an das Schauspielhaus am Freiheitsplatz geliehen ist. Zu entdecken<br />

gäbe es noch viel mehr, aber Oksana Lyniv muss zurück. Am<br />

nächsten Tag leitet sie die Grazer Erstaufführung einer der schönsten<br />

und spannendsten Opern Rossinis.<br />

■<br />

Tipps, Infos & Adressen<br />

Reiseinformationen rund um Ihren Besuch in Graz<br />

Musik & Kunst<br />

Der Grazer Musikverein bietet das ganze Jahr<br />

hochkarätige Konzerte (www.musikvereingraz.at).<br />

Das Museum Joanneum zeigt eine<br />

Jubiläumsaustellung des Steirers Peter<br />

Rosegger (www.museum-ioannneum.at).<br />

Der Steirische Konzertsommer versteht sich<br />

als Einladung in die malerische Landschaft<br />

(www.kammermusik.co.at). Als weitere Fe s-<br />

tivals locken die styriarte (www.styriarte.<br />

com) und der 51. steirische herbst<br />

(www.steirischerherbst.at).<br />

Essen & Trinken<br />

Kürbiskernöl, Backhendl, Mehlspeisen und dazu<br />

ein Glas steirischen Schilcher … Im Grunde<br />

kommt man in jedem Gasthaus Richtung Hausberg<br />

Schöckl auf seine Kosten. Beliebt ist der<br />

Stoffbauer oberhalb des Stadtteils Mariatrost<br />

(www.stoffbauer.com). Beim Laufke in Nähe zu<br />

Stadtpark und Univiertel sollte man unbedingt<br />

reservieren (www.laufke.net). Das Café im<br />

Burggarten, das Kunsthauscafé (www.kunsthauscafe.co.at)<br />

oder der Lendplatz mit Bauernmarkt<br />

sind Orte zum Verlieben.<br />

Übernachten<br />

Neben Dependancen internationaler Ketten<br />

gibt es ein breites Angebot regionaler<br />

Anbieter. Das Lendhotel (www.lendhotel.<br />

at) im hippen Lend-Quartier vereint<br />

modernen Komfort und Kunst ebenso wie<br />

das in der Altstadt gelegene Augarten Art<br />

Hotel (www.augartenhotel.at) oder das<br />

Schlossberg-Hotel<br />

(www.schlossberg-hotel.at).<br />

FOTOS: ROBERT ILLEMANN; GRAZ TOURISMUS / WERNER KRUG; LENDHOTEL<br />

96 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>


Termin<br />

FÜR GLOBETROTTER<br />

New York, New Yooork! Im Sommer lockt der Big Apple mit prächtiger Musik.<br />

Chelsea Music Festival<br />

Carnegie Hall<br />

Lincoln Center<br />

Der New Yorker Stadtteil Chelsea im Südwesten<br />

Manhattans wandelte sich in den letzten Jahren<br />

zum Künstlerviertel mit zahlreichen Galerien<br />

und Museen. Das Chelsea Music Festival widmet<br />

sich anlässlich der 333. Wiederkehr von Johann<br />

Sebastian Bachs Geburtstag der Musik des Thomaskantors.<br />

Im Eröffnungskonzert erklingt Musica<br />

Celestis von Aaron Jay Kernis, dem Composer<br />

in Residence des Festivals. Ensemble in Residence<br />

ist das Saxofonquartett Barkada, das die einzelnen<br />

Programme eröffnet. Den roten Faden bilden 333<br />

Bach-Choräle, die jeden Abend in den Kirchen des<br />

Viertels gesungen werden.<br />

Chelsea Music Festival, 8. bis 16.6.,<br />

www.chelseamusicfestival.org<br />

In der Carnegie Hall steht eines der raren Konzerte<br />

der Pianistin Ingrid Fuzjko Hemming auf dem<br />

Programm. Mit 85 Jahren füllt sie immer noch<br />

die Konzertsäle der Welt. 1932 in Berlin geboren<br />

und in Japan aufgewachsen, begann sie eine vielversprechende<br />

Karriere. Dann schlug das Schicksal<br />

zu. 1971 verlor sie bei einem Konzert in Wien<br />

das Gehör. Erst nach langer Therapie erlangte sie<br />

einen Teil ihres Hörvermögens wieder. Von da an<br />

war ihr Erfolg nicht mehr aufzuhalten. Ihr Album<br />

„La Campanella“ wurde über zwei Millionen Mal<br />

verkauft, und vier ihrer Alben erhielten die Auszeichnung<br />

„Classical Album of the Year“.<br />

Konzert Ingrid Fuzjko Hemming 5.7.,<br />

www.carnegiehall.org<br />

Noch einen Geburtstag gibt es zu feiern. Das<br />

Mostly Mozart Festival des Lincoln Centers bringt<br />

zu Leonard Bernsteins 100. Geburtstag dessen<br />

Musiktheaterstück Mass zur Aufführung. Louis<br />

Langrée dirigiert das Festivalorchester, den Bassbariton<br />

Davóne Tines und eine riesige Anzahl an<br />

Sängern, Musikern und Tänzern. Das Werk konfrontiert<br />

die christlichen Glaubenssätze mit Alltagserfahrungen.<br />

Bernstein komponierte es 1971<br />

zu Zeiten des Vietnamkriegs als Botschaft des<br />

Friedens und der Liebe.<br />

Mostly Mozart Festival, 12.7. bis 12.8.,<br />

www.lincolncenter.org/mostly-mozart-festival<br />

FOTOS: CHELSEA MUSIC FESTIVAL; CARNEGIE HALL; MATHEW IMAGING<br />

MARTIN WIDL<br />

Universum<br />

der Farben<br />

Zum ersten Mal lädt<br />

crescendo zur Vernissage.<br />

FOTO: MARTIN WIDL<br />

Aus dem Zyklus „Farben der Seele“,<br />

Mischtechnik, 100 x 100 cm<br />

„Kunst scheint mir vor allem ein Seelenzustand<br />

zu sein“, so das Credo von Marc Chagall,<br />

das der Erdinger Maler und Musiker<br />

Martin Widl auch zu dem seinen gemacht<br />

hat. In seinen experimentellen Arbeiten<br />

steht für Widl der Prozess des Entdeckens<br />

und wieder Verwerfens, des Suchens und<br />

Findens im Vordergrund. Dabei entstehen<br />

großflächige Kunstwerke von großer Farbintensität.<br />

Nicht nur gestaltete Widl das<br />

Cover der Premium-CD dieser Ausgabe,<br />

seine Bilder werden ab 19. <strong>Juli</strong> auch in den<br />

crescendo-Verlagsräumen zu erleben sein.<br />

Eine echte Weltpremiere, ist es ist die erste<br />

Ausstellung in unserer Redaktion.<br />

crescendo-Redaktionsräume, Rindermarkt 6, 80331 München,<br />

Donnerstag, 19. <strong>Juli</strong> um 19 Uhr,<br />

Anmeldung bitte unter: https://crescendo.de/vernissage<br />

97


H O P E T R I F F T<br />

Daniel-Hope-Kolumne<br />

MIT MUSIK GEGEN<br />

ANTISEMITISMUS<br />

Musik ist ein hervorragendes Medium der Diplomatie! Daniel Hope im Gespräch mit<br />

Dr. Felix Klein, dem neuen Antisemitismus-Beauftragten der Bundesregierung.<br />

Daniel Hope: Felix, nach vielen Jahren im<br />

diplomatischen Dienst kommt als<br />

Antisemitismusbeauftragter nun eine<br />

sehr große Aufgabe auf Dich zu.<br />

Dr. Felix Klein: Ja, ich werde stärker Anwalt<br />

sein müssen, auch Mahner, um antisemitische<br />

Vorfälle anzuklagen. Aber ich bin<br />

auch Beauftragter für jüdisches Leben, das<br />

ist der erste Teil meines Postens. In diesem<br />

Zusammenhang möchte ich sehr gerne<br />

auch die Musik zur Geltung bringen. Ich<br />

möchte der Öffentlichkeit in Deutschland<br />

noch stärker vor Augen führen, wie viele<br />

großartige Komponisten mit jüdischem<br />

Hintergrund es gibt. Da gibt es weit mehr<br />

als den immer zitierten Felix Mendelssohn<br />

Bartholdy, eine Vielzahl von jüdischen<br />

Komponisten mit reichhaltigen Werken, in<br />

denen tatsächlich auch jüdische Musik<br />

aufgegriffen wird. Ich möchte Sympathie<br />

für jüdisches Leben in Deutschland<br />

erzeugen, gerade mit Hilfe der Musik!<br />

Wie siehst Du die Debatte um die<br />

Abschaffung des ECHO nach 26 Jahren<br />

(siehe dazu auch S. xxx)?<br />

Ich finde die Entscheidung gut und<br />

begrüße sie sehr. Der ganze Vorgang zeigt,<br />

dass bestimmte grundlegende Reflexe in<br />

unserer Zeit dann doch ganz gut funktionieren,<br />

dass man mit öffentlichem Druck<br />

etwas verändern kann. Kommerzielle<br />

Gesichtspunkte reichen nicht aus. Es gibt<br />

Grenzen da, wo es Gefühle gibt! Ich<br />

begrüße in dieser Angelegenheit auch sehr<br />

die Rolle der Medien, die den notwendigen<br />

Druck aufgebaut haben. Ich wünsche der<br />

Dr. Felix Klein mit Daniel Hope<br />

Musikindustrie weiter gute Geschäfte, aber<br />

es gibt Grenzen. Diese sind eingefordert<br />

und nun auch umgesetzt worden! Das<br />

macht mir Hoffnung!<br />

Es gibt Musiker, die sind diplomatisch,<br />

vielleicht sogar politisch. Du bist ein<br />

Diplomat, der sehr musikalisch ist. Wie<br />

geht das zusammen?<br />

Eine wichtige Aufgabe des Diplomaten ist<br />

es, Sympathie zu erzeugen – insbesondere<br />

im Ausland. Musik ist dabei ein hervorragendes<br />

Medium. Über sie kann man die<br />

Herzen der Menschen erreichen. Gerade<br />

als deutscher Diplomat hat man mit<br />

deutscher Musik im Ausland viel zu bieten.<br />

Das habe ich auf meinen verschiedenen<br />

Auslandsposten mit Musikprojekten<br />

immer wieder getan und damit auch<br />

Sympathie für Deutschland erwerben<br />

können. Musik und Diplomatie ergänzen<br />

sich auf wunderbare Weise!<br />

Im April kamen rund 2.000 Menschen in<br />

Berlin zusammen, um gegen Antisemitismus<br />

zu protestieren. Wie wichtig sind<br />

solche Kundgebungen in Deutschland?<br />

Sie sind wichtig als Symbol, sie reichen<br />

aber natürlich nicht! Wir dürfen jetzt nicht<br />

zur Tagesordnung übergehen und uns<br />

dann erst nach dem nächsten Vorfall auf<br />

einer solchen Kundgebung wiedertreffen.<br />

Trotzdem vergrößern sie das allgemeine<br />

Bewusstsein der Bevölkerung. Ich habe<br />

mich über das große Medieninteresse an<br />

der Kundgebung sehr gefreut. Es hätten<br />

nach meinem Geschmack aber noch mehr<br />

Leute sein dürfen!<br />

Wie politisch kann ein Künstler sein?<br />

Sehr! Insbesondere wenn in der Außenpolitik<br />

die knallharten Interessen zwischen<br />

Ländern aufeinanderprallen, können<br />

Künstler eine ganz wichtige Brückenfunktion<br />

einnehmen. Ein Beispiel: Wir haben<br />

einige Probleme im Umgang mit Russland.<br />

Trotzdem ist es sehr wichtig, dass Künstler<br />

aus Russland bei uns auftreten. So sehen<br />

die Menschen: Russland ist derzeit<br />

vielleicht politisch ein schwieriges Land,<br />

aber es hat fantastische Künstler. Ich<br />

begrüße auch sehr das politische Engagement<br />

von Daniel Barenboim mit seinem<br />

West-Eastern Divan Orchestra und seiner<br />

Barenboim-Said Akademie. Künstler<br />

können sehr wohl politisch sein, und das<br />

hat eine lange Tradition. Auch Beethoven<br />

war politisch, oder Arnold Schönberg mit<br />

seinem Werk Ein Überlebender aus<br />

Warschau. <br />

n<br />

ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ<br />

FOTO: DANIEL HOPE, PRIVAT<br />

98 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>

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