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CRESCENDO 4/18 Juni-Juli-August 2018

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit John Neumeier, Sophie Pacini, Hans Sigl und David Aaron Carpenter.

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M E I N U N G<br />

Der Axel-Brüggemann-Kommentar<br />

SCHADE UM DEN ECHO<br />

Der ECHO ist Vergangenheit. Viele hat diese Nachricht gefreut. Unser Autor befürchtet,<br />

dass eine Chance verpasst wurde, nachhaltig gegen Antisemitismus zu kämpfen.<br />

Wie bigott waren Hohn und Spott im Netz, als die Phono-Akademie<br />

endlich angekündigt hatte, den ECHO – und damit auch den<br />

ECHO JAZZ und den ECHO KLASSIK – abzusagen. Die Absage<br />

kam viel zu spät und war, wie ich finde, auch eine grundlegend falsche<br />

Reaktion auf den Eklat bei der Verleihung des ECHO POP, als<br />

die Musiker Farid Bang und Kollegah mit unerträglichen Sätzen<br />

wie diesem auftraten: „Mach wieder mal ’nen Holocaust, komm an<br />

mit dem Molotow.“<br />

Das wirklich Kniffelige an der aktuellen Debatte ist weniger die<br />

Frage, ob man gegen derartige Ausfälle protestieren soll – natürlich!<br />

was denn sonst? –, sondern, wie man einen Protest gegen Antisemitismus<br />

und Rassismus organisieren kann, der selber nicht populistisch,<br />

sondern nachhaltig ist.<br />

Genau diesen Weg hat die<br />

Phono-Akademie mit der Absage<br />

des ECHO nun allerdings verpasst,<br />

ebenso wie viele Künstler oder Kritiker<br />

des ECHO, denen es nur um<br />

Schadenfreude oder um Häme zu<br />

gehen schien. Wie viele sinnvolle<br />

Reaktionen wären möglich gewesen?<br />

Ein Symposium über Rassismus,<br />

Antisemitismus und Gewalt in der Musik, öffentliche, selbstkritische<br />

Debatten über die Wirkung von Musik auf die Gesellschaft, historische<br />

Einordnungen, eine ernsthafte Debatte darüber, wo die Kunstfreiheit<br />

beginnt und ob sie überhaupt irgendwo aufhört, Streitgespräche<br />

über das Spannungsfeld von Kommerz und Kunst. Was wäre es<br />

für ein Zeichen gewesen, beim ECHO KLASSIK ein Programm mit<br />

sogenannter „entarteter Musik“ aufzuführen und das Thema zum<br />

Leitmotiv in der großen Fernsehshow zu erheben! Ja, es hätte viele<br />

Möglichkeiten gegeben, nur eine Reaktion wäre falsch und feige<br />

gewesen: den Kopf in den Sand zu stecken und so zu tun, als sei nichts<br />

passiert. Sich zu verstecken und darauf zu hoffen, dass der Sturm der<br />

Empörung irgendwann von allein abflaut. Leider hat die Phono-Akademie<br />

aber genau das getan. Damit wurde die Chance verpasst, den<br />

Eklat für eine öffentliche Debatte zu nutzen, den eigenen Fehler zu<br />

erkennen, zu verstehen und öffentlich zu korrigieren.<br />

Natürlich gab es bereits im Vorfeld keinen einzigen akzeptablen<br />

Grund dafür, dass die Phono-Akademie einen antisemitischen Song<br />

ANTISEMITISMUS IN DER KUNST ALS<br />

KUNST ZU LEGITIMIEREN, IST, ALS WÜRDE<br />

MAN EINEN REALEN MORD IM THEATER<br />

UNGESÜHNT LASSEN<br />

auszeichnet – ausgerechnet am Gedenktag für die Opfer des Holocaust.<br />

Es ist unerträglich genug, dass Farid Bang und Kollegah mit<br />

derartigen Texten so viele Fans erreichen. Dass ein öffentliches Gremium,<br />

das so ziemlich alle Musik-Labels in Deutschland vertritt, derartig<br />

widerwärtigen Texten nun auch noch eine Plattform bietet, ist<br />

schlichtweg unverständlich.<br />

Ich persönlich bin dem ECHO lange verbunden. Seit Jahren<br />

schreibe ich das ECHO KLASSIK-Magazin, habe zunächst im Auftrag<br />

der Phono-Akademie in den letzten Jahren für crescendo Backstage-Interviews<br />

mit dem Preisträgern geführt. Und, um ehrlich zu<br />

sein, mir hat all das großen Spaß gemacht. Ich habe mich immer frei<br />

gefühlt – und wir haben hinter den Kulissen so manch provokantes<br />

Gespräch über Politik, Glauben und<br />

den Markt geführt. Die von mir konzipierte<br />

und produzierte CD-Reihe<br />

„Der Kleine Hörsaal“ wurde ebenfalls<br />

mit dem ECHO KLASSIK ausgezeichnet<br />

– und damals habe ich mich<br />

durchaus über diese Auszeichnung<br />

gefreut. Am Ende halte ich es mit<br />

Thomas Quasthoff, der mir kürzlich<br />

in einer Kneipe sagte: „Ich finde das,<br />

was beim ECHO passiert ist, unakzeptabel und habe auch dagegen<br />

protestiert, meine ECHOS aber habe ich nicht zurückgegeben, die<br />

stehen in einem völlig anderen Kontext.“<br />

Es ist doch Quatsch zu glauben, dass der ECHO so etwas wie<br />

der Nobelpreis der Musik sei. Das war nie sein Anspruch und sein<br />

Auftrag. Der ECHO wurde von der Phono-Akademie verliehen –<br />

also vom Interessenverband der Tonträgerindustrie. Das allein ist<br />

erst einmal nicht schlimm. Gegen einen Preis, der jene feiert, die ihn<br />

verleihen, ist nichts einzuwenden. Im Gegenteil: Der ECHO und der<br />

ECHO KLASSIK sind auch deshalb wichtig, weil sie eine Art Branchenfest<br />

sind, weil sich hier jedes Jahr Künstler, Major- und Independent-Labels<br />

treffen, gemeinsam Strategien entwickeln und sich<br />

austauschen. Und all das wird ausführlich vom Fernsehen begleitet<br />

– als Fest der Musikbranche. Das kann man kritisieren. Aber es ist seit<br />

Jahren so gewesen. Jeden Applaus nach dem Aus des ECHO, dass<br />

dieser „falscher Preis“ endlich abgeschafft wird, verstehe ich nicht.<br />

Noch einmal: Es ist nicht der Fehler des ECHO gewesen, dass einige<br />

ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ<br />

30 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>

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