18.05.2020 Aufrufe

CRESCENDO 4/18 Juni-Juli-August 2018

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit John Neumeier, Sophie Pacini, Hans Sigl und David Aaron Carpenter.

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart.
Interviews unter anderem mit John Neumeier, Sophie Pacini, Hans Sigl und David Aaron Carpenter.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

in ihm einen vollkommen anderen Preis gesehen haben, als er es in<br />

Wirklichkeit war.<br />

Tatsächlich aber hat sich nun gezeigt, dass das pure Marketing<br />

ein Strukturfehler des Preises war. Es war eben nie wirklich wichtig,<br />

was auf der Bühne stattfand. Es ging nicht um Inhalte, sondern<br />

um die Feier an sich. Weder beim ECHO POP noch beim ECHO<br />

KLASSIK standen die spannendsten Preisträger im Rampenlicht,<br />

sondern die populärsten oder jene, auf die man sich bei den Labels<br />

geeinigt hatte – auch das wurde immer wieder kritisiert. Die Präsentation<br />

der einzelnen Auftritte war kein Politikum, sondern mehr<br />

oder weniger gelungene Unterhaltung. Der<br />

ECHO hat sich nie als Veranstaltung verstanden,<br />

in der es um Inhalte geht, sondern<br />

um die Branche an sich. Seit jeher sieht der<br />

ECHO so aus, wie die Branche sich selber<br />

sehen wollte. Vielleicht ist es dieser Ansatz,<br />

der dieser Veranstaltung nun auf die Füße<br />

gefallen ist. Denn in diesem Selbstbild hat<br />

schon der kleinste Hauch von Antisemitismus<br />

nichts zu suchen.<br />

Das ist das Erschreckende: Ausgerechnet<br />

die Auszeichnung von Farid Bang und<br />

Kollegah wurde von einem Gremium verliehen,<br />

das für die gesamte Plattenindustrie<br />

steht. So hat der ECHO den Mitgliedern der<br />

Phono-Industrie einen Bärendienst erwiesen.<br />

Er hat die Branche an sich auf ein Terrain<br />

gestellt, auf dem wohl die wenigsten<br />

Künstler und Produzenten stehen wollen:<br />

im rassistischen Aus. Natürlich verwundert<br />

es – und ist beklemmend –, dass niemand<br />

der Mitglieder der Phono-Akademie wirklich<br />

dagegen protestiert hat.<br />

Bereits die Versuche nach der ersten<br />

Kritik, die eigene Entscheidung zu verteidigen,<br />

wirkten eher hilflos und – mit Verlaub –<br />

dumm. Zunächst versuchte man, den Ethikrat<br />

– eingesetzt von der Akademie selbst<br />

– in die Verantwortung zu nehmen. Später<br />

wurde argumentiert, dass man die künstlerische<br />

Freiheit – auch rechter Musik – als<br />

Industrieverband verteidigen müsse. Das ist<br />

natürlich totaler Quatsch! Zeilen wie „Mein<br />

Körper definierter als von Auschwitz-Insassen“<br />

können mit bestem Willen nicht als<br />

Kunst durchgehen, sondern sind und bleiben purer, blanker Antisemitismus.<br />

Die Erklärung, dass der ECHO nun vollkommen abgeschafft<br />

werden soll, war der letzte große Fehler in einem schlechten Krisenmanagement<br />

der Phono-Akademie. Welche Erneuerungskraft traut<br />

man jenen Managern noch zu, die nichts getan haben, um die öffentliche<br />

Debatte zu lenken, zu fördern und zu ermöglichen? Jenen Leuten,<br />

die den Kopf in den Sand gesteckt haben, statt aktiv die Kritik<br />

zu debattieren? Die Phono-Akademie ist sich in all ihren Handlungen<br />

treu geblieben: bloß keine Positionierung, bloß kein Inhalt! Und<br />

hat damit auch das letzte Stückchen Vertrauen aufs Spiel gesetzt. Ich<br />

persönlich kann mir inzwischen kaum noch vorstellen, wie eine Neuerfindung<br />

des Musikpreises unter Obhut der Phono-Akademie aussehen<br />

könnte.<br />

Der Druck auf die Veranstalter ist auch deshalb gewachsen,<br />

weil die Musiker plötzlich selber gehandelt haben. Sie haben ihren<br />

ECHO aus Protest zurückgegeben: zunächst Peter Maffay und Marius<br />

Müller- Westenhagen, dann auch Klaus Voormann. Auffällig dabei,<br />

wie viele Klassikkünstler gehandelt haben: Enoch zu Guttenberg, Igor<br />

Levit oder das Notos Quartett – das erste Ensemble, das den Mut zu<br />

diesem konsequenten Schritt hatte. Irgendwann wurde die Rückgabe<br />

zu einer allgemeinen Bewegung. Und auch hier waren die Reaktionen<br />

im Netz eher grenzwertig: Die ECHO-Rückgabe wurde zum „running<br />

gag“ – einem Witz, der gerade beim Thema Antisemitismus fehl<br />

am Platz scheint.<br />

Ich habe die Argumentation all jener Künstler verstanden, die<br />

ihren Preis zurückgegeben haben, und ihr Zeichen des Protests<br />

geschätzt. Auf der anderen Seite ist es eine recht einfache Geste, einen<br />

Preis zurückzugeben, der sowieso im Studioregal verstaubt. Mir persönlich<br />

imponierte die Haltung eines Sängers wie Campino mehr:<br />

Er war der einzige Künstler, der noch am<br />

ANZEIGE<br />

Abend der Aufführung auf offener Bühne<br />

seinen Protest angemeldet hat – und gleichzeitig<br />

seinen ECHO entgegennahm. Campino<br />

hat gezeigt, dass die Anklage nicht die<br />

Vernichtung braucht, sondern dass eine<br />

wirkliche Debatte nur dann geführt werden<br />

kann, wenn man das Gegenüber als solches<br />

akzeptiert – nicht Farid Bang und Kollegah,<br />

wohl aber die Phono-Akademie.<br />

Das Gefährliche am Antisemitismus<br />

ist nicht nur der antisemitische Song an sich,<br />

sondern der kollektive Umgang mit ihm.<br />

Antisemitismus in der Kunst per se als Kunst<br />

zu legitimieren, ist, als würde man einen realen<br />

Mord im Theater ungesühnt lassen, da er<br />

ja auf der Bühne, also im Raum der Kunst,<br />

stattgefunden hat. Diese Argumentation ist<br />

nicht nur dumm, sondern auch feige.<br />

Der ECHO und der Streit um den<br />

ECHO ist ein Momentum unserer Zeit, in<br />

dem wir zeigen können, wie ernst wir es<br />

wirklich mit dem Kampf gegen Antisemitismus<br />

in Deutschland meinen. Ich bin der<br />

festen Überzeugung, dass dieses Zeichen<br />

nur langfristig gesetzt werden kann. Dass<br />

wir gut beraten wären, keine Fronten zu verhärten,<br />

sondern Türen zu öffnen, um auch<br />

jene wieder ins Boot des menschlichen und<br />

vernünftigen Handelns zu holen, die einen<br />

Fehler gemacht haben – dazu hätte auch die<br />

Phono-Akademie gehört.<br />

Nun ist der ECHO – und mit ihm der<br />

ECHO KLASSIK – abgeschafft. Doch letztlich<br />

war er, und gerade der ECHO KLAS-<br />

SIK, auch eine Möglichkeit, Öffentlichkeit für Musik zu schaffen. Was<br />

glauben diejenigen, die sich nun so freuen, denn? Dass in Zukunft<br />

an Stelle des ECHO KLASSIK Neue Musik im Hauptprogramm des<br />

Fernsehens gesendet wird? Wahrscheinlich wird es eher auf einen<br />

Sendeplatz weniger für die Klassik herauslaufen und stattdessen der<br />

„Musikantenstadl“ gezeigt.<br />

Es hätte darum gehen müssen, eine glaubhafte Alternative zum<br />

ECHO zu schaffen. Es hätte darum gehen müssen, Streit- und Debattenkultur<br />

zu etablieren, statt auf den eigenen Fauxpas zu reagieren,<br />

indem man sich unsichtbar macht. All das wäre gerade unter dem<br />

Namen ECHO glaubhaft gewesen. Aber dieser Name ist nun Vergangenheit.<br />

Es ist ein Trugschluss, dass die Probleme mit rassistischer,<br />

frauenfeindlicher, gewaltverherrlichender und antisemitischer Musik<br />

dadurch behoben sind, dass der ECHO als Preis abgeschafft wurde.<br />

Wenn das Ende des ECHO auch das Ende der Debatte über Antisemitismus<br />

sein sollte, wäre das fatal! Derzeit stehen wir, was den Musikpreis<br />

betrifft, vor einen weißen Blatt Papier. Es ist nicht klar, wer das<br />

Heft in die Hand nehmen wird. Aber uns sollte bewusst sein, dass dieses<br />

leere Blatt nur eine Seite aus einem sehr dicken Buch ist, das viele<br />

Seiten vorher hatte und dem viele Seiten folgen werden.<br />

■<br />

31

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!