John Axelrods Weinkolumne ERPROBT VERSUS EXOT Bei Veranstaltungsorten wie bei Weinen rangelt das Altbewährte oft mit dem für Ohren oder Gaumen nicht immer gut konsumierbaren Außergewöhnlichen. ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ Wenn es um die musikalische Aufführungspraxis geht, gibt es einige zentrale Kriterien: Akustik, Bühnengröße, Anzahl der Sitzplätze und Zugänglichkeit. Erweist sich etwas davon als suboptimal, wird’s schnell schwierig. Trotzdem wurde die Suche nach neuen, außergewöhnlichen Aufführungsorten fast schon zum neuen Sport. Wen kümmert schon die Qualität, wenn es einfach cool ist, Oper im Bahnhof, Kammermusik im Flughafen oder große Sinfonik in einer Disco zu präsentieren? Genauso gibt es Weine, die an ungewöhnlichen Orten wachsen. Ob sie gut sind, ist dabei unwichtig. Es zählt die Medienwirksamkeit. Wein zu trinken, der in einem Vulkan gewachsen ist oder auf 3.100 Meter Höhe fermentiert wurde, macht einfach mehr her. Glücklicherweise kann der Wein dennoch gut sein. Zum Beispiel der von Colomé. Deren Wein wird im oberen Calchaquí- Tal der Provinz Salta in Argentinien angebaut. Ihr höchstes Weinbaugebiet, passend Altura Máxima genannt, liegt auf 3.111 Meter Höhe und ist damit das höchste kommerziell genutzte Weinbaugebiet der Welt. Und wie schmeckt das Tröpfchen? Großartig! Der Bodega Colomé Estate Malbec 2015 ist ein preisgekrönter, mit 92 Parker-Punkten bewerteter, reichhaltiger Rotwein, voll von Beeren- und Kirscharomen mit Pfeffer-, Tabak- und Schokoladennote. Die besten Konzertsäle der Welt wie das Amsterdamer Concertgebouw, die Berliner Philharmonie oder der Wiener Musikverein wurden für das spezifische Repertoire ihrer Orchester designt. Beim Bau stand die Musik an erster Stelle. Bei anderen Sälen war die Musik ein Nachtrag, stand die Architektur im Vordergrund. Im 21. Jahrhundert zählt allein, ob der Veranstaltungsort Publikum anlockt. Aber die entscheidende Frage ist, ob diese neuen, extravaganten Orte nachhaltig die Zuschauerzahlen steigern. Wenn Leute Musik in der Disco oder in der U-Bahn hören, gefällt ihnen das möglicherweise nicht, und wenn doch, wollen sie sie vielleicht nirgends anders mehr hören – vor allem nicht an diesen stickigen Orten, die eine gewisse Etikette erfordern, an eine Kirche oder eine Beerdigung erinnern. Anders gesagt: Ein Konzertsaal kann erheblich den Charakter eines Orchesters oder des Publikumserlebnisses beeinflussen. Er gibt dem Orchester eine Heimat, eine Identität. Trotzdem schrumpft das Publikum für klassische Musik, was Orchester, Veranstalter und Labels dazu zwingt, alternative Veranstaltungsorte zu finden, die eine tiefere Verbindung zum Zeitgeist und modernen Lebensstil ermöglichen. Funktioniert das? Oft nicht. Macht das Spaß? Absolut. Was ist also die bessere Variante? Weder noch. Beides wird benötigt, um das Publikum der Zukunft zu schaffen und zu bewahren. Für Wein gilt genau das Gleiche: Es braucht die Bodenständigen aus passendem Klima, passenden Höhen und Regionen. Und andererseits die Exoten wie den Wein aus dem tahitianischen Rangiroa, einer paradiesischen Insel im Südpazifik. Oder dem aus Lanzarote, dem „Weinkeller des Teufels“: Krater und Vulkangestein schützen die Reben vor starken Winden, WEN KÜMMERT DIE QUALITÄT, WENN BLOSS DER ORT MEDIENWIRKSAM IST? lassen die Landschaft außerirdisch wirken, obwohl der Vulkanboden sehr nährstoffreich ist und die Reben gesund und kräftig wachsen lässt. Ein großartiges Orchester benötigt einen großartigen Konzertsaal wie ein großartiger Wein perfekte Reben und perfektes Klima. So würde ich einen soliden Premier Cru Bordeaux nicht gegen einen Edivo Viva eintauschen, der in gut verkorkten Amphoren in einem versunkenen Schiff vor der dalmatinischen Adriaküste gelagert wird. Aber von Zeit zu Zeit kommt doch ein neuer Konzertort wie die Elbphilharmonie oder ein Wein vom Dach der Welt daher und ändert einfach alles.■ John Axelrod ist Generalmusikdirektor und Geschäftsführer des Real Orquesta Sinfónica de Sevilla und erster Gastdirigent des Orchestra Sinfonica di Milano „Giuseppe Verdi“. Nebenbei schreibt er Bücher und sorgt sich um das Wohl des crescendo-Lesergaumens. Außerdem schreibt er einen englischsprachigen Blog zum Thema Wein und Musik: www.IamBacchus.com. Infos zum Malbec Salta der Bodega Colomé finden Sie hier: www.belvini.de/bodega-colome-autentico-malbec-salta.html 88 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>
LEBENSART ServusTV: auf Filmdreh mit Hochkultur-Experte Ioan Holender (Seite 91) crescendo – hier kochen die Stars: Linus Roth und Ali Güngörmüş mit bayerischen Garnelen auf Taboulehsalat (Seite 92) Experimentierfreude und Spontanität prägen die Kunst von Martin Widl. Am 19. <strong>Juli</strong> werden seine Bilder in einer Vernissage in den crescendo-Verlagsräumen zu sehen sein FOTO: MARTIN WIDL 89
- Seite 1 und 2:
20 JAHRE AUSGABE 04/2018 JUNI - JUL
- Seite 3 und 4:
P R O L O G FOTOS TITEL: KIRAN WEST
- Seite 5 und 6:
ANDERSON & ROE Klavierduo MOTHER -
- Seite 7 und 8:
Schmerz, Isolation, Depression Die
- Seite 9 und 10:
O U V E R T Ü R E KLASSIK IN ZAHLE
- Seite 11 und 12:
PLAYLIST Gerade haben die beiden am
- Seite 13 und 14:
Hans Sigl (*1969) ist ein österrei
- Seite 15 und 16:
15 FOTO: KIRAN WEST
- Seite 17 und 18:
seinem aktuellen Projekt Nijinsky o
- Seite 19 und 20:
„ICH KANN ES NIE ERWARTEN, VOR PU
- Seite 21 und 22:
A „DER FLÜGEL WAR IMMER MEIN BES
- Seite 23 und 24:
Beim Duo Benjamin Schmid und Andrea
- Seite 25 und 26:
Jetzt zwei Ausgaben EMOTION kostenl
- Seite 27 und 28:
überzeugt, dass mein Singen im sog
- Seite 29 und 30:
29 FOTO: BILL PHELPS
- Seite 31 und 32:
in ihm einen vollkommen anderen Pre
- Seite 33 und 34:
„ICH WILL NICHT ALS GENIE ANGEBET
- Seite 35 und 36:
HÖREN & SEHEN Die besten CDs, DVDs
- Seite 37 und 38: des Jazz, bei neun „seriösen“
- Seite 39 und 40: Peter Kofler Im Orgelversum Darth B
- Seite 41 und 42: OPER Radio-Symphonieorchester Wien
- Seite 43 und 44: MIT STRAWINSKY IN DEN ZIRKUS HÖRRE
- Seite 45 und 46: Große Tenöre Ära des Belcanto Be
- Seite 47 und 48: kulturmarkenjahrbuch Buchen Sie Ihr
- Seite 49 und 50: haben. Bis heute spiele ich gerne B
- Seite 51 und 52: ERLEBEN Die wichtigsten Termine und
- Seite 53 und 54: FOTOS: FOTOS: PAWEL KOPCZYNSKI; FLO
- Seite 55 und 56: FOTOS: FOTOS: PAWEL KOPCZYNSKI; FLO
- Seite 57 und 58: FOTOS: FOTOS: PAWEL KOPCZYNSKI; FLO
- Seite 59 und 60: FOTOS: ARENA DI VERONA / ENNEVI; RA
- Seite 61 und 62: FOTOS: SEBASTIAN GÜNDEL; MARCO BOR
- Seite 63 und 64: SYMPHONIC AMERICA TRANSATLANTISCHE
- Seite 65 und 66: 7+ 8 Herkulessaal der Residenz Mün
- Seite 67 und 68: Dezember 1961: Luigi Nono, Karl Ama
- Seite 69 und 70: RÄSONANZ - STIFTERKONZERT Das Cham
- Seite 71 und 72: WELCOME TO MUNICH! Erstes Münchner
- Seite 73 und 74: SCHWERPUNKT MUSIK & RAUM Architektu
- Seite 75 und 76: Der 2005 eröffnete Palau de les Ar
- Seite 77 und 78: SINFONIEN AUS STEIN UND STAHL Archi
- Seite 79 und 80: Skizze und Holz-Arche zu Luigi Nono
- Seite 81 und 82: MUSIK AUS DEM HIMMEL Carillons - di
- Seite 83 und 84: Die Hamburger Elbphilharmonie sehen
- Seite 85 und 86: WOHER KOMMEN EIGENTLICH … … die
- Seite 87: Wie Müller im Interview erklärt,
- Seite 91 und 92: Schmackhafte Hochkultur vom Großme
- Seite 93 und 94: BAYERISCHE GARNELEN AUF TABOULEHSAL
- Seite 95 und 96: SO VIEL MUSIK, KUNST UND LITERATUR
- Seite 97 und 98: Termin FÜR GLOBETROTTER New York,