18.05.2020 Aufrufe

CRESCENDO 4/18 Juni-Juli-August 2018

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit John Neumeier, Sophie Pacini, Hans Sigl und David Aaron Carpenter.

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart.
Interviews unter anderem mit John Neumeier, Sophie Pacini, Hans Sigl und David Aaron Carpenter.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

John Axelrods Weinkolumne<br />

ERPROBT VERSUS EXOT<br />

Bei Veranstaltungsorten wie bei Weinen rangelt das Altbewährte oft mit dem für Ohren<br />

oder Gaumen nicht immer gut konsumierbaren Außergewöhnlichen.<br />

ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ<br />

Wenn es um die musikalische Aufführungspraxis<br />

geht, gibt es einige zentrale Kriterien:<br />

Akustik, Bühnengröße, Anzahl der Sitzplätze<br />

und Zugänglichkeit. Erweist sich<br />

etwas davon als suboptimal, wird’s schnell<br />

schwierig. Trotzdem wurde die Suche nach<br />

neuen, außergewöhnlichen Aufführungsorten<br />

fast schon zum neuen Sport. Wen<br />

kümmert schon die Qualität, wenn es einfach<br />

cool ist, Oper im Bahnhof, Kammermusik<br />

im Flughafen oder große Sinfonik in<br />

einer Disco zu präsentieren?<br />

Genauso gibt es Weine, die an ungewöhnlichen<br />

Orten wachsen. Ob sie gut sind,<br />

ist dabei unwichtig. Es zählt die Medienwirksamkeit.<br />

Wein zu trinken, der in einem<br />

Vulkan gewachsen ist oder auf<br />

3.100 Meter Höhe fermentiert wurde,<br />

macht einfach mehr her. Glücklicherweise<br />

kann der Wein dennoch gut sein.<br />

Zum Beispiel der von Colomé.<br />

Deren Wein wird im oberen Calchaquí-<br />

Tal der Provinz Salta in Argentinien<br />

angebaut. Ihr höchstes Weinbaugebiet,<br />

passend Altura Máxima<br />

genannt, liegt auf 3.111 Meter Höhe<br />

und ist damit das höchste kommerziell<br />

genutzte Weinbaugebiet der<br />

Welt. Und wie schmeckt das Tröpfchen?<br />

Großartig! Der Bodega<br />

Colomé Estate Malbec 2015 ist ein<br />

preisgekrönter, mit 92 Parker-Punkten<br />

bewerteter, reichhaltiger Rotwein,<br />

voll von Beeren- und Kirscharomen<br />

mit Pfeffer-, Tabak- und<br />

Schokoladennote.<br />

Die besten Konzertsäle der Welt wie das<br />

Amsterdamer Concertgebouw, die Berliner<br />

Philharmonie oder der Wiener Musikverein<br />

wurden für das spezifische Repertoire ihrer<br />

Orchester designt. Beim Bau stand die Musik<br />

an erster Stelle. Bei anderen Sälen war die<br />

Musik ein Nachtrag, stand die Architektur im<br />

Vordergrund. Im 21. Jahrhundert zählt allein,<br />

ob der Veranstaltungsort Publikum anlockt.<br />

Aber die entscheidende Frage ist, ob diese<br />

neuen, extravaganten Orte nachhaltig die<br />

Zuschauerzahlen steigern. Wenn Leute<br />

Musik in der Disco oder in der U-Bahn hören,<br />

gefällt ihnen das möglicherweise nicht, und<br />

wenn doch, wollen sie sie vielleicht nirgends<br />

anders mehr hören – vor allem nicht an diesen<br />

stickigen Orten, die eine gewisse Etikette<br />

erfordern, an eine Kirche oder eine<br />

Beerdigung erinnern. Anders gesagt: Ein<br />

Konzertsaal kann erheblich den Charakter<br />

eines Orchesters oder des Publikumserlebnisses<br />

beeinflussen. Er gibt<br />

dem Orchester eine Heimat, eine Identität.<br />

Trotzdem schrumpft das Publikum<br />

für klassische Musik, was<br />

Orchester, Veranstalter und Labels<br />

dazu zwingt, alternative Veranstaltungsorte<br />

zu finden, die eine tiefere<br />

Verbindung zum Zeitgeist und<br />

modernen Lebensstil ermöglichen.<br />

Funktioniert das? Oft nicht. Macht<br />

das Spaß? Absolut. Was ist also die<br />

bessere Variante? Weder noch. Beides<br />

wird benötigt, um das Publikum<br />

der Zukunft zu schaffen und zu<br />

bewahren.<br />

Für Wein gilt genau das Gleiche: Es<br />

braucht die Bodenständigen aus passendem<br />

Klima, passenden Höhen und Regionen.<br />

Und andererseits die Exoten wie den<br />

Wein aus dem tahitianischen Rangiroa,<br />

einer paradiesischen Insel im Südpazifik.<br />

Oder dem aus Lanzarote, dem „Weinkeller<br />

des Teufels“: Krater und Vulkangestein<br />

schützen die Reben vor starken Winden,<br />

WEN KÜMMERT<br />

DIE QUALITÄT,<br />

WENN BLOSS DER ORT<br />

MEDIENWIRKSAM IST?<br />

lassen die Landschaft außerirdisch wirken,<br />

obwohl der Vulkanboden sehr nährstoffreich<br />

ist und die Reben gesund und kräftig<br />

wachsen lässt.<br />

Ein großartiges Orchester benötigt<br />

einen großartigen Konzertsaal wie ein<br />

großartiger Wein perfekte Reben und perfektes<br />

Klima. So würde ich einen soliden<br />

Premier Cru Bordeaux nicht gegen einen<br />

Edivo Viva eintauschen, der in gut verkorkten<br />

Amphoren in einem versunkenen Schiff<br />

vor der dalmatinischen Adriaküste gelagert<br />

wird. Aber von Zeit zu Zeit kommt doch<br />

ein neuer Konzertort wie die Elbphilharmonie<br />

oder ein Wein vom Dach der Welt<br />

daher und ändert einfach alles.■<br />

John Axelrod ist Generalmusikdirektor und Geschäftsführer des Real Orquesta Sinfónica de Sevilla und erster Gastdirigent des Orchestra Sinfonica di Milano „Giuseppe Verdi“. Nebenbei schreibt er<br />

Bücher und sorgt sich um das Wohl des crescendo-Lesergaumens. Außerdem schreibt er einen englischsprachigen Blog zum Thema Wein und Musik: www.IamBacchus.com.<br />

Infos zum Malbec Salta der Bodega Colomé finden Sie hier: www.belvini.de/bodega-colome-autentico-malbec-salta.html<br />

88 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!