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CRESCENDO 4/18 Juni-Juli-August 2018

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit John Neumeier, Sophie Pacini, Hans Sigl und David Aaron Carpenter.

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H Ö R E N & S E H E N<br />

FOTO: SIMON FOWLER<br />

SOLO<br />

Renaud Capuçon<br />

Betörender Bartók<br />

Unglücklich in die Geigerin Stefi Geyer verliebt, komponierte<br />

Béla Bartók als Student zwischen 1907 und 1908<br />

sein erstes Violinkonzert. Genau 30 Jahre später schrieb<br />

er ein zweites Konzert, das zu den besten seiner Gattung<br />

gerechnet wird. In einer neuen Aufnahme mit dem London<br />

Symphony Orchestra unter seinem Ersten Gastdirigenten<br />

François-Xavier Roth nähert sich der französische<br />

Violinvirtuose Renaud Capuçon beiden Stücken mit berückender<br />

Sensibilität. Das leidenschaftliche Jugendwerk<br />

des Komponisten interpretiert der Solist mit zartem<br />

lyrischen Schmelz. In dem späteren Werk, in dem Bartók<br />

auch mit Zwölftonreihen experimentiert, kontrastieren<br />

kantable, von Melancholie geprägte Passagen mit vehementen,<br />

schroffen Ausbrüchen. Besonders eindrücklich<br />

gestaltet Capuçon den langsamen Variationssatz<br />

Andante tranquillo – Allegro scherzando – Tempo I, in<br />

dem der Klang seines Instruments eine intensive<br />

Strahlkraft entfaltet. CK<br />

Béla Bartók: „Violin Concertos Nos. 1 & 2“, Renaud Capuçon,<br />

London Symphony Orchestra, François-Xavier Roth (Erato)<br />

Breslauer Philharmonie<br />

Pärts<br />

Ästhetik-Zeitreise<br />

ORCHES-<br />

TER<br />

Diese erste Gesamteinspielung der vier Sinfonien<br />

von Arvo Pärt ist eine ästhetische Zeitreise. Die<br />

ersten beiden (1963, 1966) schrieb Pärt noch von<br />

Zwölftonmusik beeinflusst, doch findet sich<br />

inmitten kunstvoller Kontrapunktik (Nr. 1) schon<br />

ein langsamer Spannungsaufbau, der an Schostakowitsch<br />

und den späteren Pärt erinnert. Der<br />

Mittelsatz der Zweiten Sinfonie klingt wie die<br />

Karikatur einer „modernen“ Komposition. Doch<br />

endet die Sinfonie nach krabbelnder, wuselnder<br />

Musik mit einem unironischen Tschaikowsky-<br />

Zitat geradezu harmoniesüchtig. Die Sinfonien<br />

drei und vier entstanden nach Pärts religiöser wie<br />

ästhetischer Wende. Auf Sozialistischen Realismus<br />

pfiff Pärt schon immer, nun auch auf die<br />

Avantgarde. Die populäre, schlichte Dritte (1971)<br />

bedient sich gregorianischer Stilmittel. In der<br />

Vierten (2008) heben und senken sich große<br />

Klangflächen langsam, wie ein großes, aber<br />

ruhiges Schiff auf hoher See, allen Stürmen trotzend.<br />

Der mit diesen Aufnahmen betraute Freund<br />

Pärts, Tõnu Kaljuste, nimmt die vier Werke „wie<br />

eine einzige, große Symphonie“: deswegen die<br />

fließenden Übergänge zwischen den Tracks. Das<br />

Breslauer Orchester kann sich mit jeder Konkurrenz<br />

messen . JL<br />

Arvo Pärt: „The Symphonies“,<br />

NFM Wrocław Philharmonic,<br />

Tõnu Kaljuste (ECM New Series)<br />

Lucas & Arthur Jussen<br />

Hommage an<br />

Willemsen<br />

Viele Kinder kennen und lieben ihn: den<br />

Karneval der Tiere. In der Version, die Katja<br />

Riemann mit dem hervorragenden niederländischen<br />

Klavierduo Lucas und Arthur<br />

Jussen und Mitgliedern des Concertgebouw-Orchesters<br />

Amsterdam veröffentlicht<br />

hat, richtet er sich hingegen eher an<br />

erwachsene Zuhörer. Saint-Saëns’ Zwischentexte<br />

nämlich werden hier durch<br />

Verse des 2016 verstorbenen Roger<br />

Willemsen ersetzt. Riemann – einst eng<br />

mit Willemsen befreundet – trägt dessen<br />

pointenreiche Miniaturen, in denen Tiere<br />

und Menschen augenzwinkernd porträtiert<br />

werden, engagiert und nuancenreich<br />

vor. Nun muss man diese Art von Lyrik, bei<br />

der „Kieler Sprotte“ auf „Gavotte“ und<br />

„pro forma“ auf „Nessun dorma“ gereimt<br />

wird, freilich mögen; spätestens dem finalen<br />

Aufruf zur Offenheit gegenüber allen<br />

Musikstilen und Epochen aber kann man<br />

nur zustimmen. Und in musikalischer Hinsicht<br />

ist das Album definitiv ein Genuss! JH<br />

Als neuer Abonnent erhalten<br />

Sie diese CD (siehe S. 80)<br />

KAMMER-<br />

MUSIK<br />

Camille Saint-Saëns: „Der<br />

Karneval der Tiere“, Katja<br />

Riemann, Lucas & Arthur<br />

Jussen (Deutsche Grammophon)<br />

OPER<br />

Wiener Staatsoper<br />

Großer Bahnhof für<br />

die alte Dame<br />

So trotzig „antimodern“ Gottfried von<br />

Einems Dürrenmatt-Vertonung bei der<br />

Uraufführung an der Wiener Staatsoper<br />

1971 auch geklungen haben mag, so wirksam<br />

ist sie bis heute geblieben – als atmosphärische,<br />

das Drama verstärkende Theatermusik,<br />

die großen Singschauspielern Raum<br />

zur Entfaltung bietet. Und solche waren<br />

unter Horst Stein wahrlich versammelt:<br />

Hans Beirers heldentenorale Bürgermeisteransprachen<br />

wackeln passend zwischen<br />

Realismus und Parodie hin und her, Hans<br />

Hotter und Manfred Jungwirth steuern als<br />

Lehrer und Pfarrer Wotan-Autorität und<br />

öliges Salbadern bei, Heinz Zednik brilliert<br />

mit anklagender Schärfe, Eberhard<br />

Waechter verleiht dem Ill angestrengtflehentlichen<br />

Wohlklang – und über allem<br />

schwebt die vibrierende, spöttisch unterfütterte<br />

Sinnlichkeit von Christa Ludwig, eine<br />

keineswegs alt klingende Claire Zachanassian.<br />

Ein faszinierendes Dokument zu Einems<br />

Hunderter und Ludwigs Neunziger. WW<br />

G. v. Einem: „Der Besuch<br />

der alten Dame“, Christa<br />

Ludwig, Eberhard<br />

Waechter, Heinz Zednik,<br />

Hans Hotter, Manfred Jungwirth,<br />

Orchester der Wiener<br />

Staatsoper, Horst Stein<br />

(Orfeo)<br />

40 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>

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