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CRESCENDO 4/18 Juni-Juli-August 2018

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit John Neumeier, Sophie Pacini, Hans Sigl und David Aaron Carpenter.

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A<br />

„DER FLÜGEL WAR IMMER MEIN BESTER FREUND.<br />

DIESER GROSSE SCHWARZE, ELEGANTE PANTHER UND ICH<br />

FANDEN INSTINKTIV ZUEINANDER“<br />

uf der Rückseite des Covers zu Ihrem neuen<br />

Album flattern Sie in gelbem Kleid auf dem Wasser.<br />

Was ging in Ihnen vor? Schließlich stürzte sich ja Robert<br />

Schumann in den Rhein …<br />

Sophie Pacini: Nein, an seinen Selbstmordversuch habe ich nie<br />

gedacht. Seine Abgründe, Hoffnungslosigkeit, Zerrissenheit wie<br />

sein Streben nach vollkommener Harmonie kommen besonders in<br />

den Werken, die ich für das Album wählte, so<br />

deutlich zum Ausdruck, dass es keiner optischen<br />

Unterstreichung bedarf. Das Schweben<br />

im Wasser bedeutet für mich Leichtigkeit,<br />

Transparenz, Grenzenlosigkeit und Gleichgewicht.<br />

Musik von Verwandten und Wahlverwandten<br />

gibt es auf Ihrem Album zu hören. Das<br />

Ehepaar Schumann, die Geschwister Mendelssohn<br />

…<br />

Inspiriert zu diesem Konzept wurde ich von<br />

Chiarina, jenem Stück aus dem Carnaval von<br />

Robert Schumann, in dem er schmerzlich<br />

expressiv seine Clara porträtiert. Das war der<br />

Anlass, mich mit ihr als ganzer Künstlerpersönlichkeit<br />

zu beschäftigen. Ich wollte – um<br />

mit Rainer Maria Rilkes „Liebeslied“ zu sprechen<br />

– herausfinden, wie ihre „zwei Saiten<br />

sich zu einer Stimme ziehen“, welche „Tiefen“<br />

bei Robert „schwingen“, wenn es um Clara geht. Fündig wurde ich<br />

bei Claras aufwühlendem, quälendem Scherzo. Es erinnert sehr an<br />

Chiarina und an die zwei Stücke aus Roberts op. 12 Des Abends und<br />

In der Nacht. Und von …<br />

… Franz Liszt …<br />

… spiele ich seine Bearbeitung von Schumanns Widmung. Liszt war<br />

befreundet mit dem Ehepaar Schumann. Seine h-Moll Sonate widmete<br />

er Robert Schumann, während Clara seine Paganini-Etüden,<br />

deren Widmungsträgerin sie auch war, erstmals aufführte. Clara<br />

war eine große Virtuosin, aber nicht von oberflächlicher Natur. Ihre<br />

Kunst stand im Dienst des Ausdrucks, das ist an der Beschaffenheit<br />

ihres Werkes klar zu erkennen. Sie ließ sich aber auch gerne von den<br />

Werken ihrer Zeitgenossen inspirieren, die sie „in den Fingern<br />

hatte“, wie zum Beispiel Chopin. Diese gegenseitige Inspiration ist ja<br />

bei allen Komponisten zu finden. Es ist immer sehr erquickend, auf<br />

die Suche nach Parallelen zu gehen …<br />

… wie zwischen den Geschwistern Mendelssohn.<br />

Bei Fanny und Felix merkt man ganz klar, dass Fanny mit ihrem<br />

avantgardistischen Kompositionsstil und ihrem Wesen Felix sehr<br />

geprägt und angespornt hat. Der Werkbegriff „Lied ohne Worte“<br />

wurde übrigens von Fanny erfunden. Und Heine beschrieb sie bei<br />

einem seiner Besuche im Hause der Mendelssohns als ein strahlendes<br />

„ganz und gar liedhaftes Wesen“. Auch wenn Felix sich in der<br />

Öffentlichkeit nie dafür einsetzte, dass seine Schwester als<br />

bedeutende Musikerin wahrgenommen wurde, war er ihr größter<br />

Bewunderer und gab ihr oft seine Werke zur Komplettierung, auch<br />

wenn dann manche ihrer Werke gar unter seinem Namen<br />

veröffentlicht wurden. Letztlich eine innige Liebe und inspirierende<br />

Kraft.<br />

Die Liebe von Clara und Robert<br />

Schumann fasziniert Sophie Pacini<br />

Nietzsche fand übrigens, dass Schumann von „kleinem<br />

Geschmack“ war und einen „gefährlichen (sehr deutschen)<br />

Hang zur stillen Lyrik und Trunkenboldigkeit des Gefühls“<br />

hatte. Und deshalb „nur noch ein deutsches Ereignis“, aber kein<br />

europäisches wie Beethoven mehr wurde.<br />

Da antworte ich mit einem Zitat Gustav Mahlers, das ich in einem<br />

Essay von Peter Gülke gefunden habe: „Unter dem ganzen Heere<br />

der Nachbeter, die sich bis heute nicht<br />

entblöden, Schumann von oben herab zu<br />

behandeln und zu belächeln, hat Wagners<br />

Irrtum und heftige Parteilichkeit bedauerlichen<br />

Schaden angerichtet“.<br />

Zurück zu Ihnen. Sie wuchsen in der Nähe<br />

von München auf.<br />

Ja. Meine Mutter ist Internistin, mein Vater<br />

Professor für italienische Literatur. Sie lieben<br />

Musik sehr. Mit ihrem ersten Verdienst<br />

schenkte meine Mutter meinem Vater ein<br />

Klavier in der Hoffnung, er beginne wieder<br />

zu spielen. Mein Vater am Klavier … Dieses<br />

Bild gehört zu meiner Kindheit.<br />

Entschieden Sie sich deshalb, Pianistin zu<br />

werden?<br />

Der Flügel war für mich immer mein bester<br />

Freund. Er, dieser große schwarze, elegante<br />

Panther und ich fanden instinktiv den Weg<br />

zueinander. Mit acht Jahren nahm ich an einem Wettbewerb teil.<br />

Für das Finale im Herkulessaal durfte ich an einem großen Steinway-D-Flügel<br />

spielen. Ich konnte das Instrument kaum überblicken,<br />

kam gerade mal so an das Pedal. Ich spielte den zweiten Satz<br />

aus der F-Dur Mozartsonate KV 280. Da gibt es eine Stelle, an der<br />

zum verminderten Akkord oben ein Des erklingt. Für mich der goldene<br />

Ton. Am kleinen Klavier zu Hause klang er ganz nett, aber dort<br />

wurde er zum goldenen Tropfen. Plötzlich umgab mich ein warmes<br />

Gefühl, weil ich spürte, ich kann richtig formen! Und einen Ton<br />

erklingen lassen, so wie ich ihn mir vorstellte! Das war mein Schlüsselmoment.<br />

Unvergesslich sind auch die Begegnungen mit Martha Argerich.<br />

Klar! Als Kind hatte ich sie im Radio gehört, später kaufte ich ihre<br />

Aufnahmen und ging in ihre Konzerte. Eines fand im Gasteig statt.<br />

Ich wollte unbedingt hinter die Bühne und schaffte es auch. Sie<br />

lächelte mich an, vielleicht weil ich sehr zurückhaltend war und<br />

mich nicht aufdrängte. Als ich <strong>18</strong> war, traf ich sie wieder. Wir<br />

verbrachten die Sommerferien in Pietrasanta, dem Geburtsort<br />

meines Vaters, und erfuhren, dass sie ein Konzert geben würde.<br />

Ich tat alles, um ihr vorzuspielen. Sie erinnerte sich an mich, hörte<br />

mich an, und ihre große Begeisterung war der Anbeginn einer<br />

innigen Freundschaft und der Ritterschlag, den ich brauchte, um<br />

diesen Beruf mit Mut, Selbstvertrauen und einem Glanz in den<br />

Augen vollends einzuschlagen. Bei mir daheim<br />

in München gibt’s dann mit ihr Pasta und Musik<br />

– einfach, direkt und ohne Äußerlichkeiten. ■<br />

Schumann, Mendelssohn: „In Between“, Sophie Pacini (Warner)<br />

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