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CRESCENDO 2/18 März-Mai 2018

CRESCENDO - Das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Christa Ludwig, Philippe Entremont und Daniel Barenboim.

CRESCENDO - Das Magazin für klassische Musik und Lebensart.
Interviews unter anderem mit Christa Ludwig, Philippe Entremont und Daniel Barenboim.

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20 JAHRE<br />

AUSGABE 02/20<strong>18</strong> APRIL – MAI 20<strong>18</strong><br />

www.crescendo.de 7,90 EURO (D/A)<br />

PREMIUM<br />

AUSGABE<br />

inkl. CD<br />

DANIEL<br />

BARENBOIM<br />

Der große Pianist und<br />

Dirigent über Klischees<br />

und Gedankenreisen<br />

FRANKREICH<br />

Debussy, Messiaen und die<br />

Musik des Sonnenkönigs<br />

Christa<br />

Ludwig<br />

„Mit 90 Jahren habe ich<br />

das Recht, faul zu sein!“<br />

B47837 Jahrgang 21 / 02_20<strong>18</strong><br />

Mit Beihefter<br />

CLASS: aktuell<br />

und Sonderseiten der<br />

Deutschen Mozart-Gesellschaft<br />

MUSIK IN DER<br />

FRAUENKIRCHE DRESDEN 20<strong>18</strong><br />

„Inspiration und Reflexion“<br />

Über 120 Veranstaltungen laden<br />

ein, die Vielfältigkeit von Werken,<br />

Künstlern und Interpretationen<br />

zu entdecken.


FESTWOCHEN DER AUTOSTADT<br />

I N W O L F S B U R G<br />

04. APRIL 06. MAI 20<strong>18</strong><br />

WÜRDE<br />

Stand: 9. Januar 20<strong>18</strong>; Änderungen vorbehalten<br />

KONZERTE<br />

Laura Jurd’s Dinosaur · Dominic J. Marshall<br />

Emil Brandqvist Trio · Mario Biondi<br />

Gregory Porter · Indra Rios-Moore<br />

Annika Treutler · Kit Armstrong<br />

Peter Tilling & das Ensemble Risonanze Erranti<br />

William Youn · Ran Jia<br />

Cédric Pescia · Severin von Eckardstein<br />

TANZ<br />

Ballet BC<br />

Company Wayne McGregor<br />

Compagnie DCA ⁄ Philippe Decouflé<br />

Sydney Dance Company<br />

Cloud Gate Dance Theatre of Taiwan<br />

zero visibility corp.<br />

Grupo Corpo<br />

LESUNGEN & SCHAUSPIEL<br />

Boris Aljinovic · Iris Berben<br />

Samuel Finzi · Sylvester Groth<br />

Philipp Hochmair · Burghart Klaußner<br />

Wolfram Koch · Maren Kroymann<br />

Claudia Michelsen · Caroline Peters<br />

Sophie Rois · Alexander Scheer<br />

Thomas Thieme<br />

WEITERE<br />

INFORMATIONEN:<br />

0800 288 678 238 ODER<br />

WWW.MOVIMENTOS.DE<br />

KULTURPARTNER:


P R O L O G<br />

FOTOS TITEL: ROMAN LITSCHKE / AMALTHEA VERLAG; STIFTUNG FRAUENKIRCHE DRESDEN / KILLIG<br />

WINFRIED HANUSCHIK<br />

Herausgeber<br />

VIVE LA FRANCE !<br />

Liebe crescendo-Leser,<br />

Christa Ludwig ist die Grande Dame des<br />

Opernbetriebs. Ihre Stimme prägte Rollen<br />

und Inszenierungen an den wichtigsten<br />

Bühnen weltweit: Ob Wiener Staatsoper,<br />

Salzburger und Bayreuther Festspiele oder<br />

Metropolitan Opera und <strong>Mai</strong>länder Scala.<br />

Ihr Repertoire reichte von den großen<br />

Wagner-, Verdi- und Strauss-Partien bis<br />

zum lyrischen Lied. Am 16. <strong>März</strong> feiert sie<br />

ihren 90. Geburtstag. Wir trafen die<br />

quietschfidele alte Dame zu Hause in der<br />

Nähe von Wien, wo sie uns einiges über<br />

Freud und Leid des Sängerberufs, über die<br />

Kraft der Stille und über Stricken gegen<br />

Lampenfieber erzählte. Das Video zum<br />

Interview finden Sie unter: www.youtube.<br />

de/crescendomagazin. Wir wünschen<br />

Frau Ludwig alles Gute zum Geburtstag!<br />

Ein anderes Jubiläum inspirierte uns<br />

zu unserem Themenschwerpunkt: Den<br />

100. Todestag des Claude Debussy<br />

nahmen wir zum Anlass, nicht nur über<br />

An dieser Stelle<br />

ist keine Abo-CD vorhanden?<br />

Sie sind Premium-Abonnent, aber die CD fehlt?<br />

Dann rufen Sie uns unter 089/85 85 35 48 an.<br />

Wir senden Ihnen Ihre Abo-CD gerne noch einmal zu.<br />

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In der Premium-Ausgabe finden Sie nicht nur doppelt so viel Inhalt: mehr Reportagen, Porträts, Interviews und<br />

Hintergründe aus der Welt der Klassik – in einer besonders hochwertigen Ausstattung –, sondern auch unsere<br />

crescendo Abo-CD. Sie ist eine exklusive Leistung unseres crescendo Premium-Abonnements. Premium-Abonnenten<br />

erhalten sechs Mal jährlich eine hochwertige CD mit Werken der in der aktuellen Ausgabe vorgestellten Künstler.<br />

Mittlerweile ist bereits die 71. CD in dieser crescendo Premium-Edition erschienen.<br />

den großen Impressionisten selbst,<br />

sondern über Musik in Frankreich<br />

allgemein nachzudenken. Gibt es so etwas<br />

wie eine „französische Musik“? Welche<br />

Auswirkungen hatten die Machtstrukturen<br />

und Intrigen am Hof des strahlenden<br />

Sonnenkönigs Ludwig XIV. auf die<br />

Kulturgeschichte? Warum sind aktuell die<br />

Werke der großen französischen Oper<br />

plötzlich wieder auf allen europäischen<br />

Bühnen populär? Uns hat das Eintauchen<br />

in ein wenig französisches Savoir-vivre<br />

großen Spaß gemacht. Ich hoffe, Ihnen<br />

auch!<br />

Gleich zwei große crescendo-Premieren<br />

sind im <strong>Mai</strong> und Juni zu erleben: Am<br />

8. <strong>Mai</strong> laden wir Sie ein zu einer inspirierenden<br />

musikalischen Hör-Reise mit<br />

unserem Chefrezensenten Attila Csampai.<br />

Erstmals live bei Steinway & Sons<br />

München auf einer Soundanlage von<br />

Devialet. Für crescendo-Leser ist der<br />

Eintritt frei! Mehr auf S. 36.<br />

Vom 17. bis 24. Juni wird dann zum ersten<br />

Mal die crescendo-Musikwoche in der<br />

Kärntner Natur- und Wellnessoase<br />

Mountain Resort Feuerberg stattfinden.<br />

Unsere leitende Redakteurin Dr. Maria<br />

Goeth begleitet Sie eine Woche lang<br />

allabendlich mit verblüffenden, heiteren<br />

und bewegenden Musikthemen durch<br />

Ihren Aufenthalt in 1.760 Meter Höhe am<br />

Aussichtsberg Gerlitzen! Nähere Infos<br />

dazu finden Sie in unserem Reise & Kultur<br />

Special auf Seite 93.<br />

Mit herzlichen Grüßen<br />

Ihr Winfried Hanuschik<br />

ONLINE PREMIUM-SERVICES:<br />

TRETEN SIE EIN!<br />

* Als Premium-Abonnent registrieren Sie sich beim<br />

ersten Eintritt mit Ihrer E-<strong>Mai</strong>l-Adresse und Ihrer Postleitzahl.<br />

Alle anderen crescendo Premium-Käufer oder -Leser<br />

brauchen für die erstmalige Registrierung den Registrierungscode.<br />

Dieser lautet für die aktuelle Ausgabe:<br />

Registrierungscode:<br />

212403<br />

www.crescendo.de — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong> 3


P R O G R A M M<br />

11<br />

PATRICIA<br />

KOPATCHINSKAJA<br />

Die private Playlist der<br />

moldauisch-schweizerischen<br />

Geigerin enthält einige<br />

Raritäten.<br />

22<br />

PIOTR<br />

ANDERSZEWSKI<br />

Voll Selbstkritik disqualifizierte<br />

sich der polnische Pianist<br />

bei einem Wettbewerb sogar<br />

einmal selbst.<br />

25<br />

ELDBJØRG HEMSING<br />

Doppelte Norwegen-Power:<br />

Geigerin Eldbjørg Hemsing<br />

interpretiert die Werke ihres<br />

wenig bekannten Landsmanns<br />

Hjalmar Borgström.<br />

ALP 389<br />

SHOSTAKOVICH<br />

Symphony no.6<br />

Sinfonietta<br />

arranged for String orchestra<br />

and timpani by abram Stasevich<br />

ESTOnIAn FESTIVAl<br />

OrCHESTrA<br />

PAAVO JärVI<br />

Das von Järvi ins Leben gerufene<br />

Estonian Festival Orchestra gibt<br />

auf Anhieb eine beeindruckende<br />

musikalische Visitenkarte ab.<br />

SPIEGEL online<br />

Eine herausragende Interpretation!<br />

PIZZICATO<br />

STANDARDS<br />

03 PROLOG<br />

Der Herausgeber stellt<br />

die Ausgabe vor<br />

06 BLICKFANG<br />

Gauthier Dance Company<br />

08 OUVERTÜRE<br />

Dr. Goeths Kuriosa<br />

Musikkritiker-<br />

Bullshit-Bingo<br />

Ein Anruf bei …<br />

Sabine Ruchlinski von<br />

KulturRaum München<br />

Ensemble<br />

Mit unseren Autoren<br />

hinter den Kulissen<br />

Klassik in Zahlen<br />

Playlist<br />

Patricia Kopatchinskaja<br />

35 IMPRESSUM<br />

36 RÄTSEL &<br />

ATTILA CSAMPAI<br />

LIVE<br />

98 HOPE TRIFFT …<br />

Silke Zimmermann von<br />

Schloss Elmau<br />

KÜNSTLER<br />

12 EIN KAFFEE MIT …<br />

Heino Ferch<br />

14 CHRISTA LUDWIG<br />

Eine große Sängerin feiert<br />

ihren 90. Geburtstag<br />

17 BEAT FURRER<br />

Wie der Schweizer<br />

Komponist „Musik denkt“<br />

<strong>18</strong> PHILIPPE<br />

ENTREMONT<br />

Seine erste Banane aß er<br />

mit zehn Jahren zwischen<br />

den Trümmern von Reims<br />

20 FRANZ<br />

WITTENBRINK<br />

In den 60ern malte er sich<br />

bunt an und lief durch die<br />

Straßen Heidelbergs<br />

22 PIOTR<br />

ANDERSZEWSKI<br />

Ein genialer Zweifler, der<br />

mit Ideal und Wirklichkeit<br />

hadert<br />

24 DANIEL<br />

BARENBOIM<br />

Von Debussy und<br />

Impressionismus-Klischees<br />

HÖREN & SEHEN<br />

25 DIE WICHTIGSTEN<br />

EMPFEHLUNGEN DER<br />

REDAKTION<br />

26 ATTILAS AUSWAHL<br />

Magier, Poeten und<br />

Charismatiker<br />

34 UNERHÖRTES &<br />

NEU ENTDECKTES<br />

Nicolas Flagello<br />

EXKLUSIV<br />

FÜR ABONNENTEN<br />

Hören Sie die Musik zu<br />

unseren Texten auf der<br />

crescendo Abo-CD –<br />

exklusiv für Abonnenten.<br />

Infos auf den Seiten 3 & 88<br />

FOTOS: JULIA WESELY; ARI ROSSNER / WARNER CLASSICS; NIKOLAJ LUND<br />

Note 1 Music gmbh<br />

Carl-Benz-Str. 1 - 69115 Heidelberg<br />

Tel 06221 / 720226 - Fax 06221 / 720381<br />

info@note1-music.com<br />

www.note1-music.com<br />

www.outhere-music.com<br />

4 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


PIERRE-LAURENT AIMARD<br />

Der Guardian lobte Pierre-Laurent<br />

Aimard als „einen der besten<br />

Messiaen-Interpreten unserer Zeit“.<br />

Auf seinem neuen Album präsentiert<br />

der Ausnahmepianist seine erste<br />

Aufnahme der umfangreichsten,<br />

anspruchsvollsten und vielfältigsten<br />

Klavierkomposition von<br />

Olivier Messiaen.<br />

PTC 5<strong>18</strong>6670<br />

44<br />

SCHOSTAKOWITSCH<br />

TAGE GOHRISCH<br />

Bis heute brennend aktuelle<br />

Musik von Komponisten, die<br />

in der Unterdrückung um ihr<br />

Ideal kämpften.<br />

65<br />

FRANKREICH<br />

Von Musik als Mittel der<br />

Macht bei Ludwig XIV. über<br />

große französische Oper bis zu<br />

Debussy und Messiaen.<br />

84<br />

WENDT & KÜHN<br />

Mit ihrer Manufaktur für<br />

Miniaturfiguren revolutionierten<br />

zwei Frauen vor über<br />

100 Jahren Sachsen.<br />

Neues<br />

Album<br />

ERLEBEN<br />

37 DIE WICHTIGSTEN<br />

TERMINE UND<br />

VERANSTALTUN-<br />

GEN IM FRÜHJAHR<br />

44 SCHOSTAKOWITSCH<br />

TAGE<br />

Russische und polnische<br />

Moderne im sächsischen<br />

Gohrisch<br />

46 FRAUENKIRCHE<br />

DRESDEN<br />

Eine perfekte Synthese<br />

zwischen Klang und Raum<br />

48 BACHFEST LEIPZIG<br />

Über Intuition, Tiefsinnigkeit<br />

und den einzigartigen<br />

Stil Bachs<br />

SCHWERPUNKT<br />

66 FRANKREICH<br />

Musikintrigen am Hof des<br />

Sonnenkönigs<br />

70 CLAUDE DEBUSSY<br />

Die farbenfrohe Musik des<br />

großen Impressionisten<br />

72 DENKEN AN<br />

CLAUDE<br />

Gedanken und aktuelle<br />

Neuerscheinungen zum<br />

100. Todestag von Debussy<br />

74 BEST OF DEBUSSY<br />

Die wichtigsten<br />

Neuerscheinungen zum<br />

Gedenkjahr<br />

76 GRAND OPÉRA<br />

Die große französische<br />

Oper ist zurück auf den<br />

Bühnen Europas!<br />

LEBENSART<br />

84 WENDT & KÜHN<br />

Die Manufaktur der<br />

himmlischen Wesen aus<br />

dem Erzgebirge<br />

86 STARS KOCHEN<br />

FÜR <strong>CRESCENDO</strong><br />

Die Singphoniker mit<br />

Pizza mare & monti<br />

89 REISE & KULTUR<br />

Unser Special mit<br />

Kulturhighlights von<br />

Kärnten bis ins Wendland<br />

97 WEINKOLUMNE<br />

John Axelrod über Parsifal<br />

und französischen Wein<br />

PTC 5<strong>18</strong>6669<br />

BEJUN MEHTA<br />

Bejun Mehta hat mit der Akademie für<br />

Alte Musik sein neues Soloalbum<br />

CANTATA - yet can I hear… eingespielt:<br />

Die Sammlung weltlicher und geistlicher<br />

Solokantaten aus den Federn<br />

von Händel, Vivaldi und Bach ist intim,<br />

tiefgründig und transzendent zugleich.<br />

FOTOS: SLUB DEUTSCHE FOTOTHEK; WENDT & KÜHN<br />

MOZART!<br />

Die Seiten der Deutschen<br />

Mozart-Gesellschaft<br />

Ein Beihefter mit<br />

eigenen Themen &<br />

Empfehlungen rund um<br />

den Komponisten.<br />

Ab Seite 49<br />

78 KOMMENTAR<br />

Axel Brüggemann über<br />

nationale Unterschiede bei<br />

musikalischen Vorlieben<br />

80 OLIVIER MESSIAEN<br />

Farbklang, Religion und<br />

die Musik der Vögel<br />

82 WOHER KOMMT<br />

EIGENTLICH ...<br />

... die Marseillaise?<br />

www.pentatonemusic.com<br />

Im Vertrieb von NAXOS Deutschland<br />

Neues<br />

Album<br />

5


O U V E R T Ü R E<br />

6 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


Heiterer Geschlechtermix<br />

In der neuen, fantasievoll-verrückten Choreografie Bullshit des israelischen Choreografen Nadav Zelner begegnen wir reichlich<br />

pinken Cross-Gender-Wesen. Männer wie Frauen der jungen Stuttgarter Gauthier Dance Compagny haben dabei ihre<br />

gegelten Haare mit bis zu 150 Nadeln zurückgesteckt und tragen eine „Schamkapsel“ – in Mittelalter und Renaissance ein<br />

über der Strumpfhose getragenes Symbol der Männlichkeit – in Kombination mit einer weiblichen Vulva.<br />

7<br />

FOTO: REGINA BROCKE


O U V E R T Ü R E<br />

Dr. Goeths Kuriosa<br />

MUSIKKRITIKER-BULLSHIT-BINGO<br />

Lesen Sie Musikkritiken. Haken Sie die entsprechenden Phrasen ab.<br />

Wer waagrecht oder senkrecht zuerst eine Reihe voll hat, gewinnt! Viel Glück!<br />

warmer,<br />

lyrischer Klang<br />

Transparenz<br />

fulminantes<br />

Klangfeuerwerk<br />

fein austariert /<br />

ziseliert<br />

klare Formgebung<br />

Fest für die Sinne<br />

überaus<br />

empfindsam<br />

mit frappierender<br />

technischer Präzision<br />

von großer<br />

Strahlkraft<br />

bringt jede feinste<br />

Nuance<br />

zum Schwingen<br />

dekonstruiert<br />

[Mozart, Beethoven,<br />

Brahms]<br />

mit romantischem<br />

Gestus<br />

Das ist<br />

[Klavier, Violine,<br />

Gesang] pur<br />

historisch schlank<br />

lässt […]<br />

in neuem Glanz<br />

erstrahlen<br />

oszillierend<br />

hautnahe<br />

Sinnlichkeit<br />

Ausnahmekünstler<br />

Momente dramatischer<br />

Spannung<br />

Eine Sternstunde<br />

der Musik!<br />

ZITAT DES MONATS<br />

„DIE MUSIK MUSS<br />

IMMER<br />

EIN SEHNEN<br />

ENTHALTEN, EIN<br />

SEHNEN ÜBER<br />

DIE DINGE DIESER<br />

WELT HINAUS.“<br />

GUSTAV MAHLER<br />

HÄTTEN SIE’S GEWUSST?<br />

Auch Elefanten haben ein Faible für klassische<br />

Musik! Bereits im <strong>Mai</strong> 1798 wurde im Botanischen Garten<br />

von Paris ein Versuch mit dem Dickhäuter-Pärchen<br />

Margrethe und Hans unternommen. Von Leckereien<br />

abgelenkt, reagierten die beiden sofort, als sich eine<br />

Falltür zu einem Ensemble öffnete, das ihnen ein Konzert<br />

gab. Besonders heftig reagierten sie auf einen Tanz<br />

aus Glucks Iphigénie en Tauride. Die „Allgemeine musikalische<br />

Zeitung“ von 1799 dokumentiert: „Zuweilen bissen<br />

sie ins Gitterwerk ihrer Käfige, schüttelten sie mit<br />

ihren Rüsseln, stemmten sich mit ganzem Leibe daran<br />

[…]. Von Zeit zu Zeit entschlüpfte ihnen bald ein durchdringender<br />

scharfer Schrei, bald ein leiser Pfiff.“<br />

8 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


O U V E R T Ü R E<br />

KLASSIK<br />

IN ZAHLEN<br />

12<br />

Anzahl<br />

der Geschwister von<br />

Franz Wittenbrink<br />

(siehe S. 20)<br />

28,5<br />

Mio. Euro: Einnahmen<br />

der Salzburger Festspiele<br />

aus Kartenverkäufen 2017<br />

44.143<br />

Anzahl der Personen,<br />

die laut Statistik in Deutschland<br />

bei Theatern, Kultur- und<br />

Rundfunkorchestern<br />

fest angestellt sind.<br />

2.772<br />

Anzahl der Takte in<br />

Bachs Matthäus-Passion<br />

NEWSTICKER<br />

Gergiev verlängert: Der russische Dirigent Valery Gergiev bleibt bis 2025 Chefdirigent der Münchner Philharmoniker. Dies entschied der<br />

Münchner Stadtrat mit einigen Gegenstimmen. +++ Brutaler Diebstahl Mit Messer an der Kehle wurde die preisgekrönte französische Cellistin<br />

Ophélie Gaillard ihres 1,2 Millionen Euro teuren Musikinstruments beraubt. Glück im Unglück: Nachdem die Instrumentalistin einen Aufruf<br />

über die sozialen Medien gestartet hatte, gab der Dieb das wertvolle Stück mittels anonymem Anruf und Depot in einem Wagen vor Gaillards<br />

Wohnung wieder zurück. +++ Jóhann Jóhannsson ist tot Der isländische Filmkomponist verstarb im Alter von nur 48 Jahren am 9. Februar in<br />

seiner Berliner Wohnung. Die Todesursache ist noch unbekannt. Berühmt wurde Jóhannsson etwa durch die Musik zum Stephen-Hawking-Film<br />

Die Entdeckung der Unendlichkeit, für die er mit dem Golden Globe ausgezeichnet und für den Oscar nominiert wurde, oder den Soundtracks zu<br />

Filmen wie Sicario, Mother! oder Arrival.<br />

9


O U V E R T Ü R E<br />

Kulturelle Grundversorgung<br />

Ein Anruf bei Sabine Ruchlinski, Vorstandsmitglied von KulturRaum München.<br />

Hier wird ähnlich wie bei „Tafeln“ gearbeitet – nur dass statt Lebensmitteln kostenfreie Tickets<br />

für Kulturveranstaltungen vermittelt werden.<br />

Sabine Ruchlinski freut sich<br />

über inzwischen rund<br />

150 Ehrenamtliche, die Kultur-<br />

Raum München bereichern<br />

crescendo: Frau Ruchlinski, was hat es mit Kultur­<br />

Raum München auf sich?<br />

Sabine Ruchlinski: KulturRaum München ist ein<br />

Verein, der 2011 gegründet worden ist und sich der<br />

kulturellen Teilhabe von Menschen mit geringem<br />

Einkommen verschrieben hat, indem Karten für<br />

Veranstaltungen vermittelt werden. Das passiert via<br />

persönlicher Telefongespräche.<br />

Wie kam es zur Initiative?<br />

Die Idee kommt von der Journalistin Christine<br />

Krauskopf aus Marburg. Selbst bin ich über das Projekt<br />

KulturLeben Berlin darauf gestoßen. Ich habe<br />

am Theater gearbeitet und fand die Idee, nicht verkaufte<br />

Plätze an Menschen zu geben, die sie sich<br />

nicht leisten können, total überzeugend. In München<br />

gab es das noch nicht, und es fanden sich mehrere<br />

Menschen zusammen, um einen Verein zu gründen.<br />

Wie wird das angenommen?<br />

Sehr gut! Wir haben inzwischen rund 10.000 Gäste, die wir erreichen,<br />

darunter 3.000 Einzelgäste und der Rest über soziale Einrichtungen,<br />

die als Gruppen Kulturveranstaltungen besuchen. Wir haben inzwischen<br />

noch zusätzliche Angebote für bestimmte Zielgruppen entwickelt,<br />

zum Beispiel Kulturpaten für Menschen, die Begleitung brauchen,<br />

wie Geflüchtete oder Menschen mit Behinderung, ein Projekt<br />

für Jugendliche, „KulturKick“, und „KulturKinder“.<br />

Spüren Sie eine Hemmschwelle bei den Leuten, die sich melden?<br />

Nein, weil wir ganz eng mit sozialen Einrichtungen zusammenarbeiten.<br />

Das heißt, die Gäste müssen sich nicht bei uns ausweisen,<br />

sondern wir vertrauen den über 420 Einrichtungen vom Alten-Servicezentrum<br />

über Mutter-Kind-Einrichtungen, Einrichtungen<br />

für Geflüchtete bis hin zu psycho-sozialen<br />

Wohngruppen. Diese Sozialpartner bestätigen<br />

auf der Anmeldung, dass die Gäste berechtigt sind.<br />

Erreichen Sie kulturelle „Erstkontakte“ oder eher<br />

Menschen, die Erfahrung damit haben?<br />

Beides! Wir haben sehr viele Rentner, die schon immer<br />

kulturinteressiert gewesen sind und die sich<br />

aufgrund ihrer Mini-Rente keinen Kultur besuch<br />

mehr leisten können, tatsächlich erreichen wir aber<br />

auch Menschen, die noch nie in einem Theater oder<br />

klassischen Konzert gewesen sind. Von denen bekommen<br />

wir oft auch sehr schöne telefonische<br />

Rückmeldungen.<br />

Besteht die Gefahr, dass Kultureinrichtungen das<br />

Projekt als „Füller“ für schlecht verkaufte Vorstellungen<br />

missbrauchen?<br />

Viele stellen uns inzwischen langfristig Karten zur Verfügung, weil<br />

sie das Projekt unterstützen und die Zielgruppe erreichen wollen. So<br />

sitzen unsere Gäste auch in ausverkauften Veranstaltungen und auf<br />

sehr guten Plätzen. Wir haben aber eine erhöhte Nachfrage an Kino-,<br />

Zirkus- und Musicalkarten, die wir am wenigsten bekommen.<br />

Was gibt es aktuell für Besonderheiten?<br />

Viele! Etwa eigene Konzerte, die junge Geflüchtete und Nicht-Geflüchtete<br />

im Projekt „MixMuc“ organisieren, einen Lesekreis und einen<br />

Kalender „Eintritt.frei“ für alle Bürgerinnen und Bürger, nicht<br />

nur unsere Gäste, in dem wir alle Veranstaltungen in München sammeln,<br />

die kostenlos sind – das sind ungefähr 300 im Monat!<br />

Weitere Infos unter: www.kulturraum-muenchen.de<br />

HINTER DER BÜHNE<br />

Die Welt von crescendo lebt von den Künstlern und Mitarbeitern,<br />

die sie mit Leben füllen. Deshalb der gewohnte Blick hinter die Kulissen der Produktion.<br />

SANDRINE EXPILLY<br />

Die französische Fotografin Sandrine Expilly lebt und arbeitet in Paris. Seit Abschluss<br />

ihres Studiums der Angewandten Künste stellte sie bereits vielfach in Europa aus,<br />

arbeitete für Labels wie Alpha, Naive oder Universal und porträtierte Künstler wie<br />

Véronique Gens, Sandrine Piau oder das Ensemble Perspectives. Außerdem arbeitet<br />

sie für Theater, Museen, Verlagshäuser und Luxusmarken. Für uns begleitete sie einen<br />

Hausbesuch bei Klavierlegende Philippe Entremont fotografisch.<br />

SINA KLEINEDLER<br />

Direkt nach ihrem Abi wirbelte Sina Kleinedler bereits als Praktikantin durch die<br />

crescendo-Redaktion. Ein Musikjournalismus- und Cellostudium in Dortmund schlossen<br />

sich an. Heute gibt sie unter anderem regelmäßig Konzerteinführungen in der Philharmonie<br />

Köln. „In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst“ (Augustinus<br />

Aurelius), lautet ihre Devise. Für diese Ausgabe sprach sie mit Michael Stegemann über<br />

Olivier Messiaen, dessen Werk sie selbst bestens als Instrumentalistin kennt.<br />

FOTOS: MAILE HELBIG; PRIVAT<br />

10 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


FOTO: JULIA WESELY<br />

PLAYLIST<br />

Eine spannende Mischung von<br />

zeitgenössischen Kompositionen ist<br />

es, die sich auf der privaten Playlist der<br />

moldauischen Geigerin<br />

Patricia Kopatchinskaja finden.<br />

Sie selbst hat gerade ein neues Duo-<br />

Album mit Werken von Bartók, Ravel<br />

und Poulenc herausgebracht.<br />

1. Maria Tanase: Malediction d’amour.<br />

In Tanases hypnotisch beschwörender Stimme spiegelt sich meine ganze Herkunft, meine<br />

Heimat, das Leid und die Leidenschaft dieser Länder, der Urgrund meiner Musik und<br />

meiner Empfindungen.<br />

2. Francisco Coll: Four Iberian Miniatures<br />

Dieser junge spanische Komponist schöpft unter anderem aus der Tradition seines Herkunftslandes.<br />

Er evoziert iberische Farben und Formen mit Neuheit, Witz und Sinnenfreude.<br />

Selten hört man Musik, die einerseits so herausfordert, aber gleichzeitig zu hören<br />

und spielen Spaß macht. Coll ist auch Maler mit einer ausgesprochen gefühlvollen<br />

Beziehung zu Pinsel und Farbe. Ebenso sind seine Kompositionen keine konstruierten<br />

Kopfgeburten, sondern sinnlich erfahrbare Wesen. Er hat für mich und die Cellistin Sol<br />

Gabetta ein Doppelkonzert geschrieben, das wir 2019 mit der Camerata Bern uraufführen<br />

werden.<br />

3. Michael Hersch: Die Zerstörung der Blumen, 20. Satz<br />

Michael Hersch ist ein Komponist und Pianist aus den USA. Trotz seines relativ jungen<br />

Alters, wurde er durch schwerste Krankheit mit den letzten Dingen konfrontiert. Seine<br />

Musik beschäftigt sich damit und mit der Frage, was wir derzeit mit unserem Planeten<br />

anstellen. Hier gibt es keine schönen, unterhaltsamen Oberflächen. Alles ist direkt und<br />

schonungslos. Neben ihm erscheint die Beschäftigung mit Barock, Klassik und Romantik<br />

fast wie feiger Eskapismus. Es ist eine Auseinandersetzung mit den eigenen Kräften, die<br />

an die Grenzen gehen.<br />

4. Márton Illés: Polydimensionale Szenen VII „Vonalmezök“<br />

Márton Illés ist ein ungarischer Pianist und Komponist. Seine Werke haben die Qualität<br />

des neuartig „Unerhörten“ und gleichzeitig etwas Unbedingtes, das mich vollkommen<br />

bannt. Ich freue mich und bin unendlich gespannt auf sein neues Violinkonzert<br />

in Köln.<br />

5. Luca Francesconi: Duende, The Dark Notes<br />

Der Italiener Luca Francesconi hat bei Luciano Berio studiert und ist<br />

der Doyen der hier präsentierten Komponisten. Seine Musik hat die<br />

Qualität, sofort Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und gefangen zu<br />

halten. Und in der Einspielung mit Leila Josefowicz ist eine unerschrockene<br />

Geigerin zu hören, die ihre enorme musikalische Intelligenz,<br />

Virtuosität, Schönheit und Bühnenpräsenz der bequemen Klassikroutine<br />

völlig verweigert und nur noch Neue Musik spielt. Ein neues<br />

Stück für Violine solo von Francesconi werde ich auf einem Album<br />

mit dem Ensemble Il Giardino Armonico aufnehmen.<br />

Bartók, Poulenc, Ravel: „Deux“, Patricia Kopatchinskaja,<br />

Polina Leschenko (Alpha)<br />

Track 1 auf der crescendo Abo-CD: Tzigane M. 76 von Maurice Ravel<br />

11


K Ü N S T L E R<br />

Auf einen Kaffee mit …<br />

HEINO FERCH<br />

VON VERENA FISCHER-ZERNIN<br />

„ICH BIN EMOTIONALER<br />

ALLESFRESSER“<br />

FOTO: AGENTUR<br />

12 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


Heino Ferch (*1963) ist ein in Bremerhaven geborener<br />

Schauspieler. Berühmt wurde er durch Kinofilme wie<br />

Comedian Harmonists, Der Untergang oder Vincent will Meer.<br />

crescendo: Herr Ferch, haben Sie schon einmal eine Opernarie<br />

gesungen?<br />

Heino Ferch: Viele! Don Giovanni und Sarastro und solches Zeug.<br />

Was halt zu meiner Stimmlage passte, Bariton bis Bassbariton.<br />

Das klingt ja fast nach einem Plan b zu Ihrer Schauspiel karriere.<br />

Ich habe am Mozarteum in Salzburg Schauspiel studiert. Bei der<br />

Opernklasse habe ich einfach aus Spaß mitgemacht. In den drei<br />

Jahren dort war ich von morgens um acht bis nachts um zwölf in<br />

der Hochschule. Wir wollten alles mitnehmen, was geht. Das war<br />

eine ganz tolle Zeit.<br />

Don Giovanni, Die Zauberflöte<br />

– Mozart würde man nicht als<br />

Ersten mit Ihnen in Verbindung<br />

bringen. Eher amerikanische<br />

Unterhaltungsmusik wie in<br />

Ihrem berühmten Film Comedian<br />

Harmonists.<br />

Das haben wir natürlich mit der<br />

Opernklasse auch gemacht. Wir<br />

sind getingelt mit Annie Get Your Gun, ich habe den Riff aus der<br />

West Side Story gesungen. Und Chansons. Für mich als Norddeutschen<br />

war Salzburg ein veritabler Kulturschock. In dem Sommer,<br />

in dem ich am Mozarteum aufgenommen wurde, habe ich zum<br />

ersten Mal bei den Salzburger Festspielen gespielt und gemerkt:<br />

Das ist aber toll, das ist aber geil, Salzburg. Man atmet wirklich<br />

Musik.<br />

Bei den Festspielen waren Sie bei Un re in ascolto von Berio<br />

dabei, das ist nicht gerade Unterhaltungsmusik.<br />

Das war hardcore Zwölfton.<br />

Froh, dass Sie nicht singen mussten?<br />

Und wie! Da war ich als Artist.<br />

Was heißt das, haben Sie jongliert?<br />

Nö, ich war Kunstturner. Ich habe Bundesliga geturnt, bis ich auf<br />

die Hochschule gegangen bin.<br />

Wie sind Sie überhaupt zur Kunst gekommen?<br />

Als ich 15 war, hat ein Regisseur am Theater in Bremerhaven für<br />

das Musical Can Can von Cole Porter Jungs gebraucht, die durch<br />

die Luft fliegen, die Flicflacs machen und Mädels stemmen und<br />

sich nicht auf die Schnauze legen dabei. Und dann hieß es, wir<br />

haben hier einen Verein, die sind sehr gut, die haben vielleicht ein<br />

paar, die Lust haben.<br />

Wann war der Moment, in dem das Theater Sie infiziert hat?<br />

Das weiß ich noch genau. Bei der Premiere von Can Can. Wie der<br />

Lappen aufging. Wir haben das Stück dann 50-mal gespielt, und als<br />

es abgespielt war, waren alle krank. Nicht weil sie sich so verausgabt<br />

hatten. Sondern weil sie Kummer hatten, ob’s das jetzt war.<br />

Was haben denn Ihre Eltern zu diesem Fieber gesagt?<br />

Die haben sich gefreut, dass ich von der Straße war! Ich war<br />

sowieso von der Straße, weil ich jeden Tag drei Stunden in der<br />

Turnhalle verbracht und Sport gemacht habe. Die Schule ist bissl<br />

zu kurz gekommen in der Zeit, das ging gerade so knirsch und<br />

Kante. Aber mein Vater, der Seefahrer war, hat gesagt, wenn der<br />

Junge was macht, was ihm Spaß macht, bin ich heilfroh.<br />

Es ging also weiter nach Can Can?<br />

„ICH HABE BUNDESLIGA GETURNT,<br />

BIS ICH AUF DIE HOCHSCHULE<br />

GEGANGEN BIN“<br />

Bis zum Abi habe ich ungefähr 20 Produktionen mitgemacht. Als<br />

Cascadeur, Akrobat, mal ein paar Sätze gesagt, Tür auf, Tür zu,<br />

bisschen gesungen, im Weißen Rössl gesteppt und vom Sprungbrett<br />

in den Wolfgangsee gesprungen, das heißt, in die Weichschaummatten<br />

hinter der Kulisse.<br />

Diese Zeit der Comedian Harmonists, von Bernstein und Porter,<br />

ist das ein Stil, den Sie auch persönlich mögen?<br />

Klassisches amerikanisches Musical liebe ich sehr. Das habe ich als<br />

Jugendlicher unheimlich viel geschmettert. Ein Sonntag mit Fred<br />

Astaire, Ginger Rogers und Gene Kelly, das waren so Lieblingsnachmittage.<br />

Zu Hause bei Regen?<br />

Ja, und auch bei Sonnenschein.<br />

Und heute, legen Sie etwas auf<br />

und zelebrieren es?<br />

Selten.<br />

Sind Sie Spotifyer?<br />

Ich bin Spotifyer, aber ich wähle<br />

auch bewusst aus. Aktuelles und<br />

Klassik. Ein Requiem oder eine Ouvertüre oder eine Opernszene,<br />

was weiß ich.<br />

Sind Sie ein musikalischer Allesfresser?<br />

Ich bin emotionaler Allesfresser. Musik geht für mich sehr stark<br />

mit Stimmung und Tagesform einher. Ich mag mir nichts vornehmen<br />

– außer dass man zu Weihnachten ein bisschen mehr Jingle<br />

Bells hört als sonst oder Last Christmas oder was die Kinder hören<br />

und lieben – aber ansonsten höre ich Musik komplett nach Gefühl.<br />

Kommt es vor, dass Sie ein Stück hören und sofort wissen, das<br />

habe ich in diesem oder jenem wichtigen Moment gehört?<br />

Das ist ein emotionales Gedächtnis, das sofort mitarbeitet. In<br />

meinem ersten Semester Schauspielstudium kam Amadeus von<br />

Miloš Forman ins Kino. Der Film hat mich unglaublich beeindruckt.<br />

Da ist diese wunderbare Szene, wo Constanze mit den<br />

Handschriften von Mozart zu Salieri kommt ...<br />

... das ist die mit den Venusbrüstchen!<br />

Eigentlich bittet sie um einen Job für ihren Mann. Salieri, also<br />

F. Murray Abraham, schlägt die Mappe auf, und während er liest,<br />

hört man dieses Potpourri an Sequenzen und sieht und fühlt, wie<br />

er verzweifelt: was für ein Genie!<br />

Nicht eine Note darf man ändern.<br />

Nicht eine! Verrückterweise habe ich die Szene gerade gestern<br />

gegoogelt, um sie Freunden vorzuspielen. Das ist eine der Gänsehautszenen<br />

überhaupt im guten alten 80er-Jahre-Kino.<br />

Wenn Sie als Sänger oder Musiker einen Wunsch frei hätten, was<br />

würden Sie gerne mal tun?<br />

Dirigieren.<br />

Dirigieren! Was denn?<br />

Also so genau habe ich mir das noch nicht überlegt – aber ich finde<br />

es einen faszinierenden Beruf.<br />

Und ohne zu überlegen?<br />

Na dann: Mozart-Requiem.<br />

Am <strong>18</strong>., 19. und 21.3. ist Heino Ferch jeweils um 20.15 Uhr im ZDF-Dreiteiler „Ku‘damm 59“<br />

zu sehen, wo er den eifersüchtigen Dr. Jürgen Fassbender spielt.<br />

13


K Ü N S T L E R<br />

5<br />

1<br />

4<br />

2<br />

3<br />

6<br />

FOTOS: LOUIS MÉLANÇON (3); BILDARCHIV DER ÖSTERREICHISCHEN NATIONALBIBLIOTHEK; SIEGFRIED LAUTERWASSER; ANGUS MCBEAN / WARNER CLASSICS; SCHAFFLER (DG)<br />

1) Mit Walter Berry in Frau ohne Schatten 2) Mit Jon Vickers in Les Troyens 3) Als Carmen 4) Im Konzert mit Leonard Bernstein<br />

5) Als Waltraute in Götterdämmerung 6) Als Ortrud in Lohengrin<br />

14 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


QUIETSCHFIDELE<br />

NEUNZIG<br />

Christa Ludwig über das große Unglück<br />

eines reifenden Sängers, Stricken gegen Nervosität<br />

und den Luxus, den Tag im Morgenmantel zu verbringen.<br />

VON JENS LAURSON<br />

Crescendo: Liebe Frau Ludwig, die ganze Aufmerksamkeit,<br />

die Ihnen zum 90. Geburtstag widerfährt – ist<br />

das angenehm oder geht Ihnen das auf die Nerven?<br />

Christa Ludwig: Ich sag Ihnen was: Die Tatasache, dass man sich<br />

an mich erinnert, obwohl ich jetzt 90 bin, auch dass ich noch nicht<br />

gestorben oder in der Versenkung verschwunden bin, das finde ich<br />

schön! Aber jeden Tag Interviews sind eigentlich lästig. Ich muss<br />

mich anziehen, mir die Haare machen, mich schön zurechtmachen<br />

– das ist lästig, aber schön. Also: Ich freue mich, dass Sie da sind.<br />

Hin und wieder allerdings schlunze ich richtig herum. Dann ziehe<br />

ich mich nicht an, sondern bleibe im Morgenrock. Das macht mir<br />

ungeheure Freude. Früher, als ich im Beruf war, konnte ich das<br />

nicht. Aber jetzt habe ich das Recht, faul zu sein, und kann den<br />

ganzen Tag im Morgenrock herumlaufen, wenn ich weiß, dass<br />

keiner kommt. Das ist etwas Wunderbares.<br />

Sie standen 50 Jahre auf der Bühne, was sicher nicht immer<br />

ganz einfach war …<br />

Karriere ist nicht nur „nicht ganz einfach“, sie ist überhaupt nicht<br />

einfach. Man gibt so vieles auf. Man geht mit Scheuklappen durch<br />

die Welt, darf sich nicht erkälten, nicht mal den Ansatz eines<br />

Schnupfens bekommen! Es fängt im Kopf an. Man hat permanente<br />

Angst. Schließlich heißt es bei den Freiberuflern nicht von<br />

ungefähr: „Koa Musi, koa Göd.“ Da ist diese ewige Angst, immer<br />

topfit sein zu müssen. Wie weiß ich, ob ich am 5. April in drei<br />

Jahren bei Stimme bin? Aber ich unterschreibe einen Vertrag und<br />

ich muss an diesem Tag gut bei Stimme sein.<br />

Genießen Sie, das jetzt alles hinter sich zu haben?<br />

Ja. Ich trauere meinem Beruf überhaupt nicht nach. Ich finde das<br />

herrlich! Nachdem ich das letzte Mal an der Wiener Oper<br />

gesungen habe, am 14. Dezember 1994 (Klytämnestra in Richard<br />

Strauss’ Elektra – Anm. d. Redaktion), bin ich am nächsten Tag –<br />

es war eiskalt und hatte geschneit – hier in Wien mit offenem<br />

Kragen durch die Kärntnerstraße gelaufen und wollte mich einmal<br />

in aller Ruhe verkühlen. Aber es ist mir bis heute nicht gelungen,<br />

einen Schnupfen zu bekommen.<br />

In diesen 50 Jahren hat sich im Gesang viel getan, was Stil und<br />

Ästhetik betrifft. Hat sich Ihre Meinung davon, was Sie gerne<br />

hören und für schön empfinden, in der Zeit geändert?<br />

Nein, ich glaube nicht. Eine schöne Stimme ist immer eine schöne<br />

Stimme. Nur sehe ich bei den jungen Sängern, die ich manchmal<br />

unterrichte, dass sie alle gleichförmig singen. Ich könnte die vielen<br />

Soprane oder Mezzosoprane – meistens habe ich Frauen im<br />

Unterricht, die Männer gehen zu den Männern und die Frauen zu<br />

den Frauen, das hat sich leider so eingebürgert! – nicht unterscheiden.<br />

Früher konnte ich zwischen den Stimmen unterscheiden. Die<br />

machten drei Töne, und ich wusste, wer es ist. Heute ist das nicht<br />

mehr so, und ich weiß nicht genau, was da los ist. Sie singen heute<br />

technisch meist sehr gut, zumindest fehlerlos – und ihnen wird<br />

dauernd gesagt: „Du darfst dies nicht machen, du darfst jenes nicht<br />

machen.“ Man hat damals die Stimmen auch an ihren Fehlern<br />

erkannt und fand sie trotzdem toll. Heute müssen alle gleichmäßig<br />

gut singen, was zuweilen auf Kosten des Charakters geht.<br />

Ist nicht auch eine Natürlichkeit hinzugekommen? Wenn man<br />

sich heute zum Beispiel eine Erika Köth anhört, klingt das<br />

anders, als was man heutzutage gewohnt ist.<br />

Erika Köth habe ich nicht mehr im Ohr, aber ich erinnere mich an<br />

eine Begegnung. Ich war <strong>18</strong> Jahre alt, sie ein bisschen älter als ich<br />

(Jahrgang 1925 – Anm. d. Redaktion). Wir waren zusammen zu<br />

einem Wettbewerb beim Rundfunk in Frankfurt gekommen. Um<br />

neun Uhr morgens wurden alle bestellt. Das war eine Zeit, in der<br />

15


K Ü N S T L E R<br />

„JETZT HABE ICH DAS RECHT,<br />

FAUL ZU SEIN!“<br />

FOTO: SUSESCH BAYAT<br />

ich unentwegt gestrickt habe, weil ich beim Stricken meine<br />

Nervosität durch die Finger wegbekommen habe. Und Erika Köth<br />

sagte: „Christa, du machst mich ganz nervös mit der ewigen<br />

Strickerei.“ Ich habe allerdings immer schön weitergestrickt und<br />

kam erst abends um sechs Uhr mit dem Singen dran. Also habe ich<br />

wirklich lange gestrickt. Und wir gewannen beide einen Preis!<br />

… und Sie hatten einen Pullover.<br />

Ha! Ja, fast.<br />

Wenn Sie an Sänger denken, denken Sie sofort an Opernsänger?<br />

Ja, denn es gibt keine Liedersänger mehr. Es gibt viele Sänger, die<br />

Lieder singen, aber das müssen noch lange keine Liedersänger sein.<br />

Das ist ein Unterschied. Zugegebenermaßen gehe ich kaum noch<br />

in Liederabende. Aber wenn ich sehe, wie Opernsänger Liederabende<br />

geben, denke ich, dass etwas verkehrt ist.<br />

Da liegt das Problem oft schon an der Umgebung. Wenn ich in<br />

einem großen Opernhaus einen<br />

Liederabend gebe, ist das zum<br />

„MAN HAT DAMALS DIE STIMMEN AUCH<br />

AN IHREN FEHLERN ERKANNT UND<br />

FAND SIE TROTZDEM TOLL“<br />

Scheitern verurteilt, oder?<br />

Ich habe in der Metropolitan<br />

Opera vor fast 4.000 Menschen die<br />

Winterreise gesungen, immerhin.<br />

Und die fanden es schön.<br />

Aber leidet nicht die Intimität<br />

eines Liederabends in einem<br />

fußballstadiongroßen Opernhaus wie der Met?<br />

Die Intimität eines kleinen Saales macht Angst. Es ist viel schwieriger,<br />

vor 20 oder 10 Leuten zu singen als vor 4.000. 4.000 sind eine<br />

unbekannte abstrakte Masse. Aber Einzelne, die man vielleicht<br />

sogar kennt, und die ganz nahe vor einem sitzen – da bekommt<br />

man fürchterliche Angst. Gott sei Dank haben diese Opernhäuser<br />

eine gute Akustik, da kann man so leise singen wie möglich. Ich<br />

erinnere mich an einen Liederabend in der Avery Fisher Hall<br />

(inzwischen David Geffen Hall – Anm. d. Redaktion). Meine liebe<br />

Kollegin Gundula Janowitz war dort in einem vorangegangenen<br />

Liederabend – ich glaube von Birgit Nilson – gewesen und sagte<br />

mir: „Christa, wenn du den Liederabend dort singst, darfst du<br />

nicht meinen, dass du dort lauter singen musst. Das kleinste Piano<br />

ist bis ganz hinten hörbar.“ Tatsächlich konnte ich in der Metropolitan<br />

pianissimo singen, und es war zu hören.<br />

Sie haben erwähnt, dass Sie nur noch wenig Musik hören, im<br />

Konzert und aus der Konserve. Warum?<br />

Wissen Sie, seit meiner Kindheit höre ich nur Musik. Von morgens<br />

bis abends nur Musik. Und wenn Sie dann mal nichts zu singen<br />

haben, müssen Sie etwas lernen oder sich einsingen. Da habe ich<br />

einmal genug gehabt von Musik. Und jetzt liebe ich die Stille. Ich<br />

liebe es, einem Vogel zuzuhören, wenn er „tirrili“ macht. Oder<br />

wenn er gar nichts macht. Die Stille ist etwas Wunderbares. Ich<br />

höre die Stille!<br />

Kennen Sie diese wunderbare kleine Geschichte von Heinrich Böll,<br />

„Doktor Murkes gesammeltes Schweigen“? Der hat sich aus den<br />

Bändern im Radio die ganzen Pausen herausgeschnitten und sie zu<br />

Hause laufen lassen. Wunderbar! Sehen Sie, so geht’s mir auch: Ich<br />

lasse nur noch die Pausen laufen. Aber ich höre schon hin und wieder<br />

Musik. Neulich war ich in<br />

Bruckners Neunter mit den<br />

Philharmonikern hier in Wien. Es<br />

war eine Sternstunde, und ich war<br />

von Musik erfüllt. Da habe ich<br />

dann aber für eine Woche genug<br />

Musik in mir.<br />

Man muss sie auch verarbeiten. Ein<br />

Sänger zum Beispiel muss einen<br />

Text und die Musik ja erst mal begreifen, bis er sie wirklich<br />

wiedergeben kann. Das ist ein langer Prozess und ein ewiges<br />

Lernen. Und wenn man älter wird, ändert sich der Blick auf Text,<br />

Musik und Interpretation. Das ist wunderschön. Da kommt es<br />

dann darauf an, wie reif man ist. Für die meisten kommt die Reife<br />

viel später als die Stimme, und das ist das Unglück eines Sängers:<br />

Der Tonus der Stimmbänder ist nicht mehr da, aber man weiß<br />

genau, wie man’s tut. Das ist wie bei einem Eunuchen: Man weiß,<br />

wie man es macht, aber man kann es nicht mehr.<br />

Das ist unser großes Unglück!<br />

■<br />

The Christa Ludwig Edition (Deutsche Grammophon).<br />

Eine weitere Box zum Geburtstag finden Sie auf S. 36, die aktuelle<br />

Autobiografie auf S. 29.<br />

Das Video zum Interview: www.youtube.de/crescendomagazin<br />

16 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


MUSIK DENKEN!<br />

Gerade wurde der Schweizer Komponist und Dirigent Beat Furrer<br />

mit dem Ernst von Siemens Musikpreis für sein Lebenswerk geadelt.<br />

Uns weiht er in seinen Schaffensprozess ein.<br />

VON KATHERINA KNEES<br />

Ein paar Klicks, und schwupps,<br />

schon ist die Verbindung da.<br />

Dank Skype kann ich dem Komponisten<br />

Beat Furrer mühelos<br />

einen virtuellen Besuch abstatten,<br />

mitten in der Abgeschiedenheit<br />

der Steiermark, in die er sich zum<br />

Komponieren gerne zurückzieht.<br />

„Früher war es mir egal, wo ich<br />

komponiere. Aber jetzt brauche<br />

ich doch irgendwie Ruhe und<br />

kann keine Ablenkung vertragen.<br />

Die Umgebung hier erlaubt eine<br />

wunderbare Konzentration, einfach,<br />

weil es so still ist. Es gibt weit<br />

und breit keine Straße, keine Zivilisation.<br />

Das ist ein Ort, an dem<br />

ich sehr gut arbeiten kann. Auch<br />

die Konfrontation mit der Natur<br />

hier finde ich – ganz unromantisch<br />

– sehr wohltuend. Und ich werde hier<br />

absolut auf mich selbst zurückgeworfen.<br />

Trotzdem bin ich kein Eremit.“ Beat Furrer<br />

schmunzelt. Er wirkt sympathisch und<br />

reflektiert und strahlt eine angenehme<br />

Besonnenheit aus. Gerade wurde er für sein<br />

Lebenswerk mit dem Ernst von Siemens<br />

Musikpreis ausgezeichnet. Lebenswerk<br />

klingt ihm jedoch zu final. „Ich freue mich<br />

über die Wertschätzung und die Anerkennung<br />

meiner Arbeit. Die Arbeit wird ja auch<br />

oft von Zweifeln begleitet, und da ist eine<br />

Bestätigung nicht unwesentlich. Der Preis<br />

kommt zur rechten Zeit, es gibt noch viel zu<br />

tun!“<br />

Auch wenn Beat Furrer als Dirigent<br />

immer wieder die Gelegenheit bekommt,<br />

zurückzuschauen und mit Werken zu arbeiten,<br />

die er vor vielen Jahren geschrieben hat,<br />

liegt sein Fokus auf den jeweils aktuellen<br />

Arbeiten. Gerade sitzt er an der Fertigstellung<br />

seiner Oper Violetter Schnee, danach<br />

steht ein Violinkonzert auf dem Plan.<br />

Als Professor für Komposition an der<br />

Hochschule für Musik und Darstellende<br />

Kunst in Graz teilt Beat Furrer seinen reichen<br />

Erfahrungsschatz mit seinen Studenten.<br />

„Es geht mir darum, ein Bewusstsein<br />

dafür zu vermitteln, dass die Arbeit eine<br />

Kontinuität hat. Und dass wir nicht im<br />

geschichtslosen Raum hantieren. Und ich<br />

fordere meine Studenten dazu auf, sich zu<br />

artikulieren. Also nicht einfach nur zu sagen:<br />

„Ich schreibe das, weil ich es schön finde“,<br />

sondern zu hinterfragen: „Warum finde ich<br />

das eigentlich schön?“ Das ist noch interessanter.<br />

Im Prinzip kann ich niemandem das<br />

Komponieren beibringen, ich muss nur zur<br />

rechten Zeit die richtigen Fragen stellen“.<br />

Als ich ihn bitte, mich in den Entstehungsprozess<br />

seiner Stücke einzuweihen,<br />

lächelt Beat Furrer nachdenklich.<br />

„Das ist ganz schwer zu<br />

erklären. Ich nenne es ,Musik<br />

denken‘. Klang ist natürlich ein<br />

physisches Ereignis, es gibt eine<br />

konkrete Vorstellung von Klang.<br />

Aber es gibt eben auch ein Denken<br />

darüber, den Versuch, das zu<br />

fassen. Und Denken geschieht ja<br />

mittels der Sprache. Das ist ein<br />

Grenzbereich. Also ,Musik denken‘<br />

ist vielleicht etwas zwischen<br />

formal logischem Denken und<br />

Klang erleben. Ich glaube, das<br />

ausgetüfteltste formale Konzept<br />

wäre ohne das physische Erfahren<br />

von Klang wertlos.“<br />

Wenn Beat Furrer die Arbeit<br />

an einem Stück abgeschlossen hat<br />

und es nach dem intimen Entstehungsprozess<br />

den Augen und Ohren von Interpreten<br />

und Öffentlichkeit ausgesetzt wird, entdeckt<br />

der Komponist seine Werke selbst immer<br />

wieder neu. „In der ersten Interpretation ist<br />

vielleicht noch nicht alles realisiert, was<br />

möglich wäre. Ein uraufgeführtes Werk vielleicht<br />

noch nicht zum Leben erweckt, es<br />

entwickelt sich über Jahrzehnte. Das ist das<br />

Schöne. Dass ich mit einem Ensemble wie<br />

dem Klangforum Wien, dem Ensemble<br />

Modern oder dem Ensemble intercontemporain<br />

die Möglichkeit habe, Stücke immer<br />

wieder zu hören und weiter daran zu arbeiten<br />

– so fangen sie an zu leben. Manchmal,<br />

wenn ich eigene frühe Werke aus den<br />

1980ern höre, denke ich, dass ich das heute<br />

nicht mehr so schreiben könnte, und doch<br />

ist es Bestandteil meiner aktuellen Arbeit.<br />

Das ist wie der Blick auf ein Jugendfoto.“ ■<br />

FOTO: EVS MUSIKSTIFTUNG | FOTO: MANU THEOBALD<br />

17


K Ü N S T L E R<br />

„ICH HASSE<br />

LANGWEILIGKEIT!“<br />

83 Jahre ist Klavierlegende Philippe Entremont alt! Von einer Kindheit zwischen Kriegstrümmern,<br />

der Eroberung eines eigenen Lebens und von Strawinsky im Suff.<br />

VON TERESA PIESCHACÓN RAPHAEL<br />

FOTO: SANDRINE EXPILLY<br />

<strong>18</strong> w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


D<br />

ie Place Vendôme: einer der fünf „königlichen<br />

Plätze“ von Paris zwischen der Oper und dem Jardin<br />

des Tuileries. Jeder Stein hier atmet Geschichte, besonders die Siegessäule,<br />

die Napoleon nach der Revolution errichten ließ. Wie<br />

Models der Pariser Fashion Week wirken die schönen großen<br />

Frauen, die in den eleganten Arkaden entlang der Juwelierläden<br />

flanieren. In einer Seitenstraße wohnt Philippe Entremont. Wer<br />

hinter der prunkvoll klassizistischen Fassade großbürgerliches<br />

Ambiente mit Stuck, Empiremöbeln, Marmorkamin und freistehendem<br />

Konzertflügel erwartet, ist überrascht. Entremont bittet in<br />

einen sehr kleinen Raum. Bücher,<br />

Partituren stapeln sich auf Boden,<br />

Tisch und um den Flügel herum,<br />

der wie ein Wunder hier noch Platz<br />

gefunden hat. Hier arbeitet er –<br />

inmitten seiner Götter. Eine<br />

Tuschezeichnung im Regal zeigt<br />

Claude Debussy, eine andere Chopin.<br />

„Das ist das letzte Bild von<br />

ihm, kurz vor seinem Tod. Es ist ein Original“, sagt er stolz, während<br />

er das Bild zurechtrückt, um es vor den einfallenden Sonnenstrahlen<br />

zu schützen. Er geht zum offenen Fenster. „Sehen Sie das<br />

Haus dort? Nummer 12 Place Vendôme?“ Man kann ihn kaum<br />

hören, so laut ist der Straßenlärm. „Dort starb Chopin.“<br />

crescendo: Was ist für Sie typisch französisch?<br />

Philippe Entremont: Das ist schwer zu sagen. Ich habe einen sehr<br />

typischen französischen Nachnamen, aber nicht unbedingt<br />

„reines“ französisches Blut. Die Familie väterlicherseits stammt<br />

aus Savoyen und dem italienischen Piemont. Meine Mutter war<br />

Belgierin, und meine geliebte Großmutter kam aus Köln. Ich<br />

fühle mich also sehr europäisch.<br />

Sie wurden 1934 in Reims geboren.<br />

Ich habe noch sehr lebhafte Erinnerungen an meine Kindheit. Ich<br />

erinnere mich an die erste Banane, die ich erst mit zehn Jahren zu<br />

essen bekam. Da werden Sie jetzt lachen, aber wir hatten keine<br />

Früchte. Ich wurde in einer Stadt in Trümmern geboren. Gerade<br />

fing Reims an, sich von dem Ersten Weltkrieg, der die Stadt sehr<br />

zerstört hat, zu erholen. Und da war schon wieder Krieg. Seit 1940<br />

war Reims, die alte Krönungsstadt der französischen Könige, von<br />

der deutschen Infanteriedivision besetzt. Ich erinnere mich an<br />

Bombardierungen. Ich habe deswegen kein Trauma erlitten.<br />

Meine Familie hat ja überlebt. „Traumatisch“ war für mich eher<br />

die lange Zugfahrt nach Paris zum Conservatoire, um Klavierunterricht<br />

zu nehmen. 11 bis 13 Stunden brauchte man damals<br />

von Reims nach Paris, eine Strecke von 130 Kilometern! Ein<br />

„französischer Pianist“ aber wurde ich in Paris nicht.<br />

Ist der anders als andere?<br />

Oh ja! Er ist elegant, ein bisschen leichtfüßig im Spiel, sehr<br />

artikuliert, sehr genau, sehr exakt. Wie langweilig! Ich hasse das!<br />

Wie sind Sie denn?<br />

In jedem Fall nicht langweilig. Ich war kein einfacher Schüler.<br />

Ich hatte Ideen und wollte unbedingt meine eigenen Fehler<br />

machen. Nur so kann man einen eigenen Weg finden. Das passte<br />

nicht jedem.<br />

Ihre Mutter, eine Pianistin, war Ihre erste Lehrerin.<br />

Das war nicht einfach. Mein Vater spielte sehr gut Klavier und<br />

Geige und er war ein ausgezeichneter Dirigent. Meine Mutter war<br />

eine strenge, sehr fordernde Pädagogin. Ich musste zuerst<br />

„ICH WURDE IN EINER STADT<br />

IN TRÜMMERN GEBOREN“<br />

Musiktheorie lernen – dieses schreckliche Solfeggio! – und<br />

konnte sehr schnell die schwierigsten Partituren lesen. Mit 16 gab<br />

ich mein erstes Konzert mit Orchester, in Ludwigshafen. Meine<br />

Mutter kam hinter die Bühne mit diesem typischen „Oh, my<br />

darling!“ Und ich: „Ich bin froh, dass es dir gefallen hat. Denn es<br />

wird dein letztes Konzert gewesen sein.“ Ich wollte endlich mein<br />

eigenes Leben haben. Sie kam erst 25 Jahre später wieder in eines<br />

meiner Konzerte.<br />

Eine andere Lehrerin wurde die berühmte Marguerite Long,<br />

die mit Claude Debussy, Gabriel Fauré, Isaac Albéniz und<br />

Maurice Ravel befreundet war.<br />

Ich war zehn, als ich sie zum ersten<br />

Mal erlebte. Sie kam mir damals<br />

vor wie aus einem anderen<br />

Jahrhundert. Sie war eine exzellente<br />

Pianistin. Sie brachte mir die<br />

Bedeutung der linken Hand bei. Sie<br />

muss gut gewesen sein, denn ich<br />

gewann den Preis beim Marguerite<br />

Long Wettbewerb. Die Jury bestand damals aus Emil Gilels, Artur<br />

Rubinstein und solchen Herrschaften. Sie kannte sie alle. Eines der<br />

Stücke aus Le Tombeau de Couperin widmete Ravel übrigens<br />

ihrem Mann, der im Ersten Weltkrieg gefallen war.<br />

Es heißt, Sie beginnen den Tag mit Le Gibet aus Ravels Gaspard<br />

de la Nuit.<br />

Ja, der Galgen! Aber nicht ich werde daran hängen! Auch wenn<br />

das Stück extrem kompliziert ist und man es sich schwer merken<br />

kann. Ich habe übrigens auch Ravels Klavierkonzert G-Dur<br />

gespielt, das von Marguerite Long 1932 uraufgeführt wurde. Sie<br />

sagte immer: „Spiel es nicht! Es gehört mir!“<br />

An einer Stelle sagen Sie, dass heute kein Lehrer mehr den Stil<br />

von Ravel oder Debussy beherrscht.<br />

Ja. Ich weiß nicht, warum. Der Respekt vor der Partitur fehlt.<br />

In der französischen Musik muss man das tun, was in der<br />

Partitur steht. Debussys Schreibweise war sehr präzise, sein<br />

Klaviersatz folgt sehr klaren Gesetzen. Jedes Vortragszeichen<br />

muss beachtet werden, auch wenn man als Interpret eine<br />

eigene Sprache finden muss.<br />

Wie hilfreich sind da die Komponisten?<br />

Na ja, ich weiß nicht. Einige haben mir Werke gewidmet. Und ich<br />

traf Igor Strawinsky.<br />

„Wie ein dürrer Baum lief er herum“, schreiben Sie in Ihren<br />

Erinnerungen.<br />

Ein schrecklicher Mann. Er war ständig betrunken, ständig<br />

beleidigt und unangenehm. Irgendwie traurig. Seine Musik<br />

aber ist großartig. Ich habe viele Werke von ihm aufgenommen.<br />

Der Produzent und das Orchester waren Gott sei Dank auf<br />

meiner Seite.<br />

Last but not least: Franz Schubert!<br />

Den traf ich nicht. Aber ich liebe sein Werk! Am Conservatoire<br />

lag der Schwerpunkt auf den Virtuosen des 19. Jahrhunderts und<br />

auf Beethoven und manchmal Mozart. Aber Brahms und<br />

Schubert? Zero! Man hat Schubert einfach nicht beachtet. Er war<br />

denen nichts wert! Deshalb bin ich auch kein<br />

wirklicher Franzose.<br />

Schubert: „Sonata No. 21 D 960“, Philippe Entremont (Solo Musica)<br />

Track 5 auf der crescendo Abo-CD:<br />

Sonate B-Dur Nr. 21 D 960. II. Andante sostenuto<br />

■<br />

19


K Ü N S T L E R<br />

C<br />

MEINE AGENDA WAR<br />

DIE REVOLUTION!<br />

Als sechstes von 13 Kindern geboren, war Franz Wittenbrink Soziologiestudent,<br />

Maschinen- und Klavierbauer, Müllwagenfahrer und Barpianist, bevor er sich zu einem<br />

der berühmtesten Arrangeure von szenischen Liederabenden entwickelte.<br />

rescendo: Herr Wittenbrink, Ihre szenischen Liederabende<br />

sind im deutschsprachigen Raum seit Jahrzehnten<br />

eine Sensation. Laufen Sie mit Abenden wie „Männer“,<br />

„Sekretärinnen“ oder „Mütter“ nicht Gefahr, sich in Stereotypen<br />

zu verfangen?<br />

Franz Wittenbrink: Den Vorwurf des Klischees kann man jedem<br />

machen, der an zentralen Themen andockt. Das Interessante am<br />

Leben ist, dass es oft dem Klischee unglaublich nahekommt. Meine<br />

Idee ist, Klischees zu benutzen, um die Aufmerksamkeit zu bekommen,<br />

und sie dann zu unterlaufen und auszudifferenzieren. Eindimensionale<br />

Figuren gibt es bei mir kaum. Sie haben immer eine<br />

Fallhöhe zwischen Wollen und Können. Etwa eine Arroganz, hinter<br />

der dann plötzlich der jämmerliche kleine Junge auftaucht. Deshalb<br />

sind bei aller Lustigkeit meine Abende immer auch traurige.<br />

Sie haben Ihre musikalische Karriere bei den Regensburger<br />

Domspatzen begonnen, wo Sie auch Missbrauch erfahren<br />

haben. Hat sich das auf Ihre Arbeit ausgewirkt?<br />

Ich habe mit dem Berliner Ensemble einen Abend über Kindesmissbrauch<br />

gemacht („Schlafe, mein Prinzchen“). Da mache ich<br />

bewusst keine Schuldzuweisung<br />

nach rechts oder links, sondern<br />

stelle klar, dass das ganze<br />

Ideologiegequatsche meistens ein<br />

Ablenkungsmanöver ist. Der erste<br />

Teil geht um die Domspatzen, die<br />

nicht explizit genannt sind, aber<br />

es spielt in einem gotischen,<br />

übermächtigen Dom. Im zweiten<br />

Teil geht es um die Odenwaldschule – also zwei ganz konträre<br />

Ideologien: einmal der katholische Hochkonservatismus, zum<br />

anderen die linke Vorzeigeidylle zur Befreiung der Menschheit. In<br />

beiden sind die Kinder geknechtet, kaputtgemacht und vergewaltigt<br />

worden – mit der gleichen Verlogenheit gegenüber den Eltern<br />

und den gleichen sozialen Abstufungen. Auch an der Odenwaldschule<br />

wurden nicht die Kinder von Weizsäcker und anderen<br />

Promi familien zu den Sexwochenenden gezwungen, sondern die<br />

Sozialfälle, bei denen die Eltern glücklich waren, dass die Kinder<br />

überhaupt die Schule besuchen konnten. Bei uns bei den Domspatzen<br />

war das genauso: Ich bin zwar nackt verprügelt worden,<br />

was semisexuell ist, musste aber keine harten sexuellen Handlungen<br />

ausführen, weil ich der Neffe des bayerischen Ministerpräsidenten<br />

Alfons Goppel war.<br />

Und jetzt? Ihre Haltung zur aktuellen #MeToo-Debatte?<br />

VON MARIA GOETH<br />

„EINE GESELLSCHAFT VON VIELEN<br />

MILLIONEN MENSCHEN KANN OHNE<br />

MACHTSTRUKTUREN ÜBERHAUPT<br />

NICHT EXISTIEREN“<br />

Das ist relativ einfach! Der große Fortschritt, der geschehen ist,<br />

nachdem dieser Teil der Kindeszerstörung öffentlich diskutiert<br />

worden ist, ist die höhere Sensibilisierung. Egal ob im Verhältnis<br />

Mann/Frau, Mann/Kind und Gewalt oder Sexualität, die Konstellation<br />

und die Gefahr werden bleiben. Aber es ist ein Unterschied,<br />

ob ich als Kind zaghaft versuche zu sagen: „Da hat der Herr Pfarrer<br />

aber dies und jenes mit mir gemacht!“ oder ob man mir heute<br />

wirklich zuhören würde. Heute wüsste ich, dass ich eine Möglichkeit<br />

habe, da rauszukommen! Das ist in der #MeToo-Debatte<br />

dasselbe. Ich gehöre nicht zu den Anarchisten, die sagen, es gibt<br />

eine machtfreie Gesellschaft. Eine Gesellschaft von vielen Millionen<br />

Menschen kann ohne Machtstrukturen überhaupt nicht<br />

existieren! Gleichzeitig hat Ballung von persönlicher Macht und<br />

Abhängigkeiten automatisch und immer die Gefahr der Ausnutzung<br />

– ob sexuell oder, wie das viele Regisseure machen, durch die<br />

Vernichtung eines schwächeren Schauspielers, um den anderen zu<br />

demonstrieren, wie stark man ist.<br />

Sie kommen aus einem sehr katholischen, CSU-nahen Elternhaus,<br />

traten später aus der Kirche aus und waren Mitbegründer<br />

des Kommunistischen Bunds<br />

Westdeutschlands. War das echte<br />

Ideologie oder eine Art<br />

„Dagegen“-Haltung?<br />

Ideologie ist eines meiner großen<br />

Lebensthemen. Mit dem Katholizismus<br />

bin ich aufgewachsen. Mit<br />

dem Älterwerden denkt man nach<br />

und bekommt den Verdacht, dass<br />

er dem Wohl des Menschen gar nicht so nah ist. Ich habe die<br />

Kirche nicht als menschen- und kinderfreundliche Institution<br />

erlebt. Und über die Frage von Schuld, Sünde und Gottes Existenz<br />

kann man ohnehin streiten. In den Kommunismus bin ich<br />

freiwillig geraten. Davon waren mindestens 80 Prozent freudigst<br />

aufgenommener Zeitgeist. Man kommt aus einer verklemmt<br />

katholischen Familie, macht Abi 1968 zur Hippie-Zeit – was für ein<br />

Spaß! Meine Freundin und ich haben uns mit Plaka-Farben als<br />

Ganzkörperskulptur im Niki-de-Saint-Phalle-Stil bemalt. So sind<br />

wir bunt bemalt und fast nackig und bester Laune durch die<br />

Fußgängerzone in Heidelberg gelaufen. Die Omis sind vor Schreck<br />

fast in Ohnmacht gefallen. Da war Euphorie, Spaß und Spiel.<br />

Das änderte sich dann?<br />

Schlimm wurde es, als sich die Bewegung in ein paar Rest-Hippies<br />

und die Leninisten, Stalinisten und andere kommunistische<br />

20 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


FOTO: PRIVAT<br />

Regisseur, Pianist, Komponist und Arrangeur Franz Wittenbrink hat nichts übrig für Totalitarismus<br />

Pseudo-Parteien aufspaltete. Da wurde es menschenfeindlichste<br />

Ideologie. Für die Leute in den Folterkellern ist es egal, ob sie von<br />

rechts oder links kaputtgemacht werden. In den letzten drei Jahren<br />

beim Kommunistischen Bund Westdeutschlands war ich schon in<br />

innerer Opposition, hatte aber ein schlechtes Gewissen, weil ich so<br />

viele Leute reingequatscht hatte. Dann wollte ich möglichst viele<br />

Leute aus dieser Sekte rausbringen, das ist mir nicht gelungen. Die<br />

Realität hat nicht interessiert. Wir mussten Berichte schreiben, wie<br />

revolutionär die Betriebe sind und wie faschistisch der Staat ist,<br />

denn dann war der Zusammenbruch des Kapitalismus nah. Es gab<br />

von Willy Brandt den Radikalen-Erlass im öffentlichen Dienst.<br />

Daraufhin haben wir die Lehrer gezwungen, kommunistische<br />

Volkszeitungen in der Schule zu verkaufen, damit sie rausfliegen<br />

und wir Märtyrer haben. Das brauchen alle! Das ist das Dilemma<br />

an Europa. Europa hat keine Märtyrer, keine Führer, keine Opfer.<br />

Deshalb interessiert das keinen Menschen, obwohl ich es für einen<br />

der größten Fortschritte seit Menschengedenken halte.<br />

Zum Kommunismus kamen Sie im Bundeswehrknast?<br />

Der Fähnrich gab mir ein Kommunistisches Manifest, und mir<br />

schien es, als würden mir Schuppen von den Augen fallen.<br />

Warum waren Sie überhaupt im Knast?<br />

Ich war rebellisch, habe immer den Gehorsam unterminiert. Zum<br />

Beispiel habe ich bei Schießübungen immer danebengeschossen<br />

und nur aus Trotz die letzten drei haargenau versenkt. Beim<br />

Marschieren machte ich immer die gegenläufige Armbewegung<br />

zum Rest der Truppe und sagte zum Spieß: „Ich bin unmusikalisch<br />

und weiß nicht, wie man richtig geht!“ Und nachts auf den<br />

Kleindruckmaschinen der Kaserne haben wir Flugblätter gegen die<br />

NATO geschrieben, weil wir sie kriegstreiberisch fanden – auf<br />

bundeswehreigenem Papier!<br />

Würden Sie sich heute als Sozialdemokrat bezeichnen?<br />

Dieser Begriff ist zu sehr kontaminiert. Ich gehöre zur radikalen<br />

Mitte! Ich will eher dazu beitragen, dass die Menschheit ein<br />

Vergnügen daran findet, ohne Märtyrer auszukommen. Man muss<br />

nicht so vernagelt sein, dass man immer erst mal ein paar Menschen<br />

töten muss, damit eine Idee ein Fundament kriegt.<br />

Versuchen Sie, diese Demokratie-Idee selbst umzusetzen?<br />

Innerhalb des Theaterschaffens versuche ich das sehr stark. Zwar<br />

braucht es im Theater eine gewisse Führung, aber ich versuche nie,<br />

mit Gewalt Dinge durchzupressen. Mein Weg ist nicht die Ansage,<br />

sondern die Verführung!<br />

Ist Theater nicht per se eine Enklave des Totalitarismus?<br />

Das stimmt, und es hat auch in gewisser Weise seinen Sinn.<br />

Wenn ich ein Ensemble von sieben Leuten habe und will, dass eine<br />

Produktion ein Profil und Kanten hat, dann kann ich es nicht<br />

demokratisch organisieren, weil sieben Menschen sieben verschiedene<br />

Geschmäcker haben und es sich sonst auf eine gefällige Mitte<br />

abschleift.<br />

Und nun ein von Ihnen komponiertes Pumuckl-Musical am<br />

Münchner Gärtnerplatztheater. Ist das nicht Aufspringen auf<br />

einen Nostalgie-Zug?<br />

Es gibt eine Möglichkeit, Kinderstücke so zu machen, dass man<br />

auch jenseits der Nostalgie Spaß hat. Beim Pumuckl geht das sehr<br />

gut: Er ist eigentlich ein kleiner Anarchist mit hohem Liebreiz und<br />

sympathischen Schwächen, und da er nicht aus der menschlichen<br />

Welt kommt, hat er einen Außenblick. Er hinterfragt Wörter und<br />

Begriffe, geht in Opposition. Pumuckl ist ambivalent, eine Figur,<br />

die auch für eine Erwachsenenwelt sehr<br />

spannend ist. <br />

■<br />

Pumuckl – Das Musical. Von Franz Wittenbrink<br />

Premiere am 19.4., Münchner Gärtnerplatztheater<br />

21


K Ü N S T L E R<br />

Piotr Anderszewski hat<br />

seine innere Heimat in<br />

Mozart gefunden<br />

FOTO: ARI ROSSNER / WARNER CLASSICS<br />

DER<br />

PERFEKTIONIST<br />

Pianist Piotr Anderszewski ist ein genialer Selbstzweifler.<br />

Dabei ist sein Spiel über alle Skepsis erhaben.<br />

VON DOROTHEA WALCHSHÄUSL<br />

22 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


K<br />

aum etwas ist schwerer zu überwinden als der<br />

eigene Anspruch. Piotr Anderszewski arbeitet<br />

seit über 25 Jahren daran. „Man muss akzeptieren, dass man eben<br />

nur ein Mensch ist und auch mal Fehler macht. Einfach ist das<br />

nicht. Ich übe noch immer“, so Anderszewski. Der polnisch-ungarische<br />

Pianist ist längst dort angekommen, wovon andere nur<br />

träumen. Er spielt mit führenden Orchestern, gastiert auf großen<br />

Bühnen und hat diverse Preise gewonnen. Und doch: Der ewige<br />

Zweifel bleibt. „Ich bin kein Skeptiker“, sagt Anderszewski, und er<br />

habe auch kein fixes Klangideal im<br />

Kopf. Er wisse nur ziemlich genau,<br />

was er nicht wolle, und das versucht<br />

er durch Üben so weit wie möglich zu<br />

reduzieren.<br />

Der 48-Jährige mit den kurzen<br />

grauen Haaren und den braunen<br />

Augen ist das Gegenteil eines hoch<br />

polierten Shootingstars. Selbstkritisch<br />

und reflektiert wirft er einen faszinierend<br />

anderen Blick auf das Dasein als<br />

professioneller Musiker und den<br />

internationalen Konzertbetrieb.<br />

Anderszewski kam am 4. April<br />

1969 in Warschau auf die Welt. Sein<br />

Vater war Pole, seine Mutter ungarisch-jüdischer<br />

Abstammung, beide<br />

waren sie keine professionellen Musiker,<br />

aber Liebhaber von Musik. Als<br />

Kind hörte er Beethovens 5. Klavierkonzert<br />

und Mozarts Kleine Nachtmusik,<br />

mit sechs Jahren fing er an,<br />

Klavier zu spielen. Als er sieben Jahre<br />

alt war, zog seine Familie nach Lyon.<br />

Die Liebe zum Klavier blieb, und<br />

Anderszewski entschied sich zum<br />

Klavierstudium, erst in Warschau<br />

und Frankreich, später in Kalifornien.<br />

Noch mitten im Studium,<br />

nahm er 1990 in Leeds am Klavierwettbewerb<br />

teil. Er hatte sich keine<br />

Chancen ausgerechnet, wollte einfach<br />

nur in die zweite Runde gelangen,<br />

erzählt er heute. Doch es kam<br />

anders. Er war erfolgreich, sehr<br />

erfolgreich sogar. Schließlich landete<br />

er im Semifinale und wurde als heißer Kandidat für den Sieg<br />

gehandelt. Bis er mittendrin aufstand und die Bühne verließ. Er<br />

hatte Beethovens Diabelli-Variationen gespielt, gefolgt wären<br />

Weberns Variationen op. 27, doch Anderszewski war mit seinem<br />

eigenen Spiel so unzufrieden, dass er sich selbst disqualifizierte.<br />

Spricht man ihn heute auf diese Episode an, winkt er genervt<br />

ab. Schon so viele Male habe er erklären sollen, was damals los war,<br />

dabei sei das doch so lange her. Die Jahre direkt nach dem Wettbewerb<br />

waren nicht einfach, so Anderszewski, auch wenn 1991 sein<br />

gefeiertes Debüt in der Londoner Wigmore Hall folgte. Schließlich<br />

sei er immer dieser seltsame Typ gewesen, der den Wettbewerb<br />

abgebrochen habe – ein Ruf, den es zu korrigieren galt. „In den<br />

Jahren nach Leeds wurde ich mit der Realität konfrontiert“, sagt<br />

Anderszewski. „Und die bedeutet: Wenn man Pianist ist und<br />

„EINE INTERPRETATION<br />

SOLLTE SO SEIN,<br />

ALS WÜRDE DIE MUSIK<br />

IM MOMENT DES SPIELS<br />

NEU ERSCHAFFEN“<br />

FOTO: SIMON FOWLER<br />

davon leben will, dann muss man Konzerte spielen. Perfektionismus<br />

ist dabei eine gefährliche Sache, die man manchmal bewusst<br />

stoppen muss.“ Leichter gesagt als getan. Schließlich hat man als<br />

Künstler oft monatelang an jeder Nuance eines Stücks gefeilt. „Und<br />

dann ist es irgendwann acht Uhr abends und du musst raus auf die<br />

Bühne, ob du gerade willst oder nicht.“ Es ist diese Diskrepanz<br />

zwischen Ideal und Wirklichkeit, die ihm zu schaffen macht,<br />

ebenso wie die eigentliche Unvereinbarkeit zwischen der Härte<br />

und Professionalität des Konzertbetriebs und der gleichzeitigen<br />

Intimität einer Interpretation. Ist das<br />

zu lösen? „Ich habe keine Ahnung“,<br />

sagt Anderszewski. „Manchmal<br />

gelingt es mir besser, manchmal<br />

schlechter.“<br />

2016 hat er sich deshalb für eineinhalb<br />

Jahre zurückgezogen und ein<br />

Sabbatical genommen. Er wollte dem<br />

Hamsterrad entkommen, sich ganz<br />

der Musik widmen können, ohne ein<br />

konkretes Projekt vor Augen zu<br />

haben. „Not to kill the music“ – das<br />

war sein Ziel. Längst ist der Musiker<br />

auf den Bühnen zurück und begeistert<br />

allerorts mit seinem sensiblen,<br />

geistvollen und warm tönenden Spiel.<br />

Anderszewski verfügt über eine feine<br />

Anschlagskultur und durchdringt die<br />

jeweiligen Werke kompromisslos.<br />

Seine Interpretationen strahlen eine<br />

packende Konzentration und Intensität<br />

aus, die tief berührt und auch bei<br />

oft gespielten Werken neue Perspektiven<br />

aufzeigt. „Im besten Fall soll eine<br />

Interpretation so sein, dass es für den<br />

Hörer wirkt, als würde die Musik im<br />

Moment des Spiels neu erschaffen“,<br />

sagt Anderszewski. Das gelingt ihm<br />

sehr oft.<br />

Ende Januar ist nun ein Album<br />

mit Mozarts Klavierkonzerten Nr. 25<br />

und Nr. 27 erschienen. Zusammen<br />

mit dem Chamber Orchestra of<br />

Europe, das Anderszewski vom Flügel<br />

aus auch dirigiert, bringt der Pianist<br />

die beiden Werke mit kammermusikalischer<br />

Innigkeit, singender Melodik und erzählerischer<br />

Weite zum Erblühen. „Mozart war mir schon immer am nächsten“,<br />

bekundet der Pianist. Während Bach eher seinen Intellekt<br />

anspricht, berühre Mozart ihn direkt im Herzen. Für Piotr Anderszewski,<br />

den ewig Suchenden, ist Mozart aber noch weit mehr. So<br />

sagt der Pianist: „Seit 25 Jahren suche ich zwischen all den Städten,<br />

in denen ich lebe und spiele, nach einem Zuhause. Ich habe es bis<br />

heute nicht gefunden. Aber Mozart ist meine innere Heimat.“ ■<br />

Mozart: „Piano Concertos 25 & 27“, Piotr Anderszewski,<br />

Chamber Orchestra of Europe (Warner Classics)<br />

Termine: <strong>18</strong>.4. Berlin, Boulez Saal; 21.4. Dortmund, Konzerthaus;<br />

23.4. Wien (AT), Konzerthaus; 24.4. Innsbruck (AT), Tiroler Landeskonservatorium<br />

23


K Ü N S T L E R<br />

MIT DEBUSSY AUF<br />

GEDANKENREISE<br />

Für Daniel Barenboim ist Claude Debussy ein verkanntes Genie. Wir sprachen mit dem<br />

Pianisten und Dirigenten über Impressionismus-Klischees und mächtige Vorbilder.<br />

VON CORINA KOLBE<br />

crescendo: Herr Barenboim, in<br />

dieser Saison dirigieren und<br />

spielen Sie viele Werke von<br />

Debussy. Zu seinem 100. Todestag<br />

widmen Sie ihm auch ein Klavieralbum.<br />

Wann haben Sie seine<br />

Musik kennengelernt?<br />

Daniel Barenboim: Als ich sehr<br />

jung war, spielte ich Children’s<br />

Corner. Ein Stück über Kinder, das eigentlich gar nicht für Kinder<br />

bestimmt ist. Damals habe ich mir auch einen Satz aus Estampes<br />

vorgenommen, nämlich Jardins sous la pluie, außerdem einige<br />

Préludes. Mit seiner Orchestermusik wurde ich erst später vertraut,<br />

als ich Chefdirigent des Orchestre de Paris war (1975–1989, Anm.<br />

der Red.). In der Zeit habe ich häufig Werke von Debussy aufgeführt.<br />

Gab es dafür Vorbilder?<br />

Durch Debussys eigene Aufnahmen seiner Klavierwerke auf<br />

Welte-Mignon-Rollen habe ich als Pianist viel gelernt. Fasziniert<br />

hat mich insbesondere der zweite Satz von Estampes, La soirée dans<br />

Grenade. Der Klang, die Dynamik und das Rubatospiel sind<br />

wunderbar. Aber bitte fragen Sie mich so etwas nicht, dann<br />

überlege ich, warum ich das überhaupt selbst aufgenommen habe?<br />

Auch Arturo Benedetti Michelangeli und Claudio Arrau waren<br />

große Debussy-Interpreten. Und wenn Martha Argerich Estampes<br />

spielt, zeigt sie eine ebenso große Kreativität und musikalische<br />

Empfindsamkeit wie der Komponist selbst.<br />

Sie kennen Martha Argerich seit Ihrer Kindheit in Buenos Aires<br />

und musizieren oft mit ihr.<br />

Gemeinsam haben wir so ziemlich alles gespielt, was es an<br />

Klavierwerken von Debussy gibt, Originalstücke und Bearbeitungen.<br />

Ende <strong>März</strong> treten wir bei den Festtagen der Staatsoper Berlin<br />

wieder zusammen auf. Natürlich steht Debussy auf dem Programm,<br />

unter anderem Six épigraphes antiques und Prélude à<br />

l’après-midi d’un faune für Klavier zu vier Händen und La mer auf<br />

zwei Klavieren.<br />

Welcher Dirigent hat Sie besonders beeinflusst?<br />

Die Begegnung mit Pierre Boulez war mir sehr wichtig. Er war ein<br />

analytischer Denker und sah das Moderne in Debussys Werken,<br />

ohne ihren Bezug zur Vergangenheit aus dem Blick zu verlieren.<br />

Von den Debussy-Dirigenten meiner Generation hat mich Claudio<br />

Abbado am stärksten beeindruckt. Für seine Aufführungen von<br />

La mer und La damoiselle élue habe ich ihn sehr bewundert. Der<br />

größte Meister aber war Sergiu Celibidache, er schien für diese<br />

Daniel Barenboim ist<br />

von Debussy fasziniert<br />

Musik geboren zu sein.<br />

Celibidache wurde auch als Interpret<br />

von Maurice Ravel geschätzt.<br />

Welche Verbindungen sehen Sie<br />

zwischen den beiden Komponisten?<br />

Viel mehr interessiert mich, was<br />

sie voneinander unterscheidet. Ich<br />

vermeide es, ihre Werke in einem<br />

Programm zusammenzubringen, denn dann würden sie mir zu<br />

ähnlich klingen. Man kann höchstens Ravels Boléro mit Ibéria von<br />

Debussy verbinden, aber das ist eine Ausnahme. Anders als Ravel<br />

war Debussy nicht besonders an Farben interessiert.<br />

Dabei wird Debussy oft als „Impressionist“ bezeichnet. Ist das<br />

ein unzutreffendes Klischee?<br />

Dieses Etikett ist falsch, denn in Wirklichkeit ließ er sich nicht von<br />

der Malerei inspirieren. Seine Fantasie wurde durch die Literatur<br />

und die Natur angeregt. Er hat einmal einen wunderbaren Satz<br />

gesagt, den ich immer wieder gern zitiere: „Wenn man sich keine<br />

Reise leisten kann, muss die Imagination einspringen.“<br />

Bei Debussy erlebt man nicht nur Gärten im Regen. Auch sonst<br />

spielt das Thema „Wasser“ bei ihm eine große Rolle.<br />

Dieser Aspekt fasziniert mich. Man braucht nur an La mer und<br />

Reflets dans l’eau aus der Sammlung Images I zu denken. Wasser<br />

oder Wind kommen bei ihm häufig vor, auch in einigen Préludes<br />

wie etwa La cathédrale engloutie und Le vent dans la plaine.<br />

Auf Ihrem neuen Album ist unter anderem das erste Buch der<br />

Préludes zu hören. Fiel es Ihnen schwer, eine Auswahl zu treffen?<br />

Nein, ich möchte schließlich für spätere Aufnahmen noch etwas<br />

übriglassen! In einem Konzert habe ich kürzlich auch Deux<br />

arabesques, zwei charmante frühe Stücke, sowie L’isle joyeuse<br />

gespielt. Ich bin ein sehr glücklicher Mensch, weil ich mich jetzt<br />

monatelang auf Debussy konzentrieren kann, als Pianist,<br />

Kammermusiker und Dirigent. Bei den Festtagen der Berliner<br />

Staatsoper führe ich mit Solisten, der Staatskapelle und dem<br />

Staatsopernchor die Bühnenmusik zu Le martyre de Saint<br />

Sébastien auf. Im <strong>Mai</strong> und Juni dirigiere ich das lyrische Drama<br />

Pelléas und Mélisande. Meiner Ansicht nach hat Debussy bisher<br />

nicht den Platz in der Musikwelt, den er<br />

verdient. Für die Zukunft wünsche ich mir, dass<br />

mehr Werke von ihm gespielt werden. ■<br />

Claude Debussy: „Estampes, Clair de lune u. a.“, Daniel Barenboim<br />

(Deutsche Grammophon)<br />

FOTO: TILO KRAUSE / DG<br />

24 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


HÖREN & SEHEN<br />

Die besten CDs, DVDs & Vinylplatten des Monats von Oper über Jazz bis Tanz<br />

Attila Csampais Auswahl (Seite 26)<br />

crescendo-Empfehlungen lesen und direkt kostenlos dabei anhören?<br />

Kein Problem: Auf www.crescendo.de finden Sie unsere Rezensionen mit direktem Link zum Anhören!<br />

Eldbjørg Hemsing<br />

Der verschollene<br />

Norweger<br />

Zwei Entdeckungen auf einem Album: Die norwegische<br />

Violinistin Eldbjørg Hemsing und das<br />

Violinkonzert ihres Landsmanns Hjalmar<br />

Borgström (<strong>18</strong>64–1925). Borgström war zu<br />

Beginn des 20. Jahrhunderts als Kritiker und<br />

Komponist bekannt. In Vergessenheit geriet<br />

seine Musik höchstwahrscheinlich dadurch,<br />

dass er sich weigerte, eine typisch skandinavische<br />

Klangsprache zu adaptieren – wie Grieg<br />

es getan hatte. Dennoch zog das 1914 geschriebene<br />

Violinkonzert Hemsing sofort in ihren<br />

Bann, auch weil dessen Klangsprache sie an ihre<br />

Heimat erinnerte. Im Kontrast zu Borgströms<br />

romantischem Werk steht Dmitri Schostakowitschs<br />

Erstes Violinkonzert. Seine Klangsprache<br />

ist weniger pastoral, eher dramatisch und<br />

schmerzerfüllt, doch auch hier schafft Hemsing<br />

es gemeinsam mit den Wiener Symphonikern<br />

und Olari Elts, eine überzeugende, farbenreiche<br />

und persönliche Interpretation zu präsentieren.<br />

Mit durchweg brillierendem Klang und flexiblem<br />

Ausdruck macht Eldbjørg Hemsing<br />

dieses Album absolut hörenswert. SK<br />

SOLO<br />

Borgström, Shostakovich:<br />

„Violin Concerto op. 25 &<br />

Violin Concerto No. 1“,<br />

Eldbjørg Hemsing,<br />

Wiener Symphoniker (BIS)<br />

Track 3 auf der crescendo Abo-CD:<br />

Violinkonzert G-Dur op. 25,<br />

II. Adagio von Hjalmar Borgström<br />

FOTO: NIKOLAJ LUND<br />

25


H Ö R E N & S E H E N<br />

Empfehlungen von Attila Csampai<br />

MAGIER, POETEN<br />

UND CHARISMATIKER<br />

… bestimmen Attila Csampais April-Auswahl<br />

JOSEPH HAYDN: „AN IMAGINARY ORCHESTRAL<br />

JOURNEY“<br />

London Symphony Orchestra, Sir Simon Rattle<br />

(LSO live)<br />

Nach 16 Jahren an der Spitze der Berliner Philharmoniker<br />

kehrt Simon Rattle auf die Insel<br />

zurück und übernimmt das LSO, Londons<br />

bestes Orchester. Und was setzt er bei einem seiner ersten Konzerte<br />

aufs Programm – nicht Elgar oder Vaughan-Williams, sondern<br />

Haydn, den größten Meister des Understatements und den<br />

britischsten aller Klassiker. Er dirigiert auch kein „normales“ Programm,<br />

sondern eine ganz persönliche Auswahl von Favoritstücken,<br />

die er zu einem elfteiligen „Imaginary Orchestral Journey“<br />

bündelt: Dieses „Best of“ enthält die wunderbaren Introduktionen<br />

zur Schöpfung oder zum Winter aus den Jahreszeiten, eine<br />

selten gespielte Opernouvertüre, sowie ein halbes Dutzend extravaganter<br />

Symphoniesätze, die allesamt den musikalischen Revolutionär<br />

Haydn aufleuchten lassen und die noch heute durch ihre<br />

Modernität verblüffen oder ihre schlichte Schönheit bezaubern.<br />

Das mit nur acht ersten Geigen schlank besetzte Londoner Toporchester<br />

folgt seinem neuen Chef mit großer Hingabe und unterstreicht<br />

sehr eindringlich seine stilistische Flexibilität: Sie klingen<br />

wie eine hochsensible „historisch orientierte“ Originalklang-<br />

Truppe. Auf weitere Haydn-Abenteuer der neuen Liaison darf<br />

man gespannt sein.<br />

W. A. MOZART: „KLAVIERKONZERTE C-DUR<br />

KV 503 UND B-DUR KV 595“<br />

Pjotr Anderszewski,<br />

Chamber Orchestra of Europe (Warner)<br />

Der polnische Pianist Piotr Anderszewski ist<br />

ein hochsensibler Lyriker, der gerne eigene<br />

Wege und den Dingen auf den Grund geht: In<br />

seiner mittlerweile ansehnlichen Diskografie hat der 48-Jährige<br />

schon zwei Alben mit Mozart-Konzerten veröffentlicht, und da,<br />

vom Flügel aus dirigierend, der feinsinnigen kammermusikalischen<br />

Interaktion den Vorzug gegeben. So jetzt auch auf seinem<br />

neuen, den späten Konzerten in C-Dur (KV 503) und B-Dur<br />

(KV 595) gewidmeten Album, bei dem er das exzellente Chamber<br />

Orchestra of Europe zu lebendig pulsierenden, atmenden, feinfühligen<br />

Dialogen mit dem Klaviersolisten animiert. Für seine poetisch-zärtliche,<br />

stets glasklare, natürlich fließende Klangrede<br />

scheint der deutlich zurückgenommene, ständig zwischen hell<br />

und dunkel pendelnde Tonfall des späten Mozart geradezu ein ideales<br />

Terrain zu sein. Es gelingt ihm vor allem in den beiden langsamen<br />

Sätzen, die sich stetig ausbreitende Melancholie Mozarts in<br />

seinen letzten Lebensjahren, diese tief beseelte „heitere Trauer“,<br />

mit berückender Sensibilität und Schlichtheit in Klang zu setzen<br />

und dabei die ständigen Licht- und Stimmungswechsel als inneres<br />

Drama einer hochsensiblen Seele auszuweisen: Mozarts Wahrheit,<br />

das wird hier deutlich, ist von einer anderen, höheren Welt.<br />

CHOPIN: „ETÜDEN OP. 10 & 25“<br />

Tatiana Chernichka (Ars Produktion)<br />

Die in München lebende russische Pianistin<br />

Tatiana Chernichka hat eine besondere Beziehung<br />

zu den Etüden von Chopin: Ihre Mutter,<br />

ebenfalls eine Pianistin, die kurz nach ihrer<br />

Geburt starb, führte beide Etüdenzyklen zum<br />

ersten Mal überhaupt zusammenhängend auf – und zwar in ihrer<br />

Heimatstadt Novosibirsk. 2014 spielte Chernichka dann an gleicher<br />

Stelle beide Zyklen zu ihrem Andenken und produzierte 2016<br />

in Brüssel eine Studioversion, die jetzt auf CD erschienen ist. Es ist<br />

eine ganze besondere, aus dem Ozean des nur Demonstrativen<br />

herausragende Interpretation des Doppelzyklus, die fast jedem<br />

einzelnen Stück existenzielle Bedeutung abtrotzt. In beiden Zyklen<br />

bevorzugt Chernichka drängende, flüssige Tempi, und doch<br />

gelingt es ihr, durch hochdifferenzierte Pedal-Sensibilität alles<br />

Effektvolle, alle technische Bravour von ihrer warm timbrierten,<br />

lyrisch-sanglichen Deutung abfallen zu lassen: Sie erzählt uns da<br />

eine zusammenhängende Geschichte in 24 tief empfundenen,<br />

innerlich glühenden Charakterbildern, wobei sie die massiven<br />

technischen Herausforderungen mühelos einbindet in einen Reigen<br />

flüchtiger Momente des Schönen, der Trauer, der Leidenschaft<br />

ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ<br />

26 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


und der Verzweiflung: So schließt sich der Kreis in der pathetisch aufflammenden letzten<br />

c-Moll-Etüde (op. 25, 12) als tragische Antwort auf den energischen Lebenswillen der allerersten<br />

C-Dur-Etüde (op. 10, 1). In Chernichkas schlüssiger Deutung wirkt dieses bittere<br />

Ende erschütternd und tröstlich zugleich.<br />

MUSIK AUF REISEN<br />

CLAUDE DEBUSSY: „PIANO MUSIC VOL. V“<br />

Michael Korstick (SWR Music)<br />

Rechtzeitig zum 100. Todestag Claude Debussys hat Michael Korstick<br />

die fünfte und letzte Folge seiner Gesamteinspielung des Solo-Klavierwerks<br />

veröffentlicht, mit den späten zwölf Etüden, die man schon<br />

wegen ihrer technischen Herausforderungen nicht oft zu hören<br />

bekommt. In diesem Chopin gewidmeten hochkomplexen Zyklus<br />

weist Debussy in teilweise kühnen harmonischen und fingertechnischen Experimenten<br />

den Weg in die Moderne. Und Korstick erweist sich auch in dieser schwierigen Materie als<br />

unbestechlicher Objektivist, der mit rigoroser Detailgenauigkeit und adäquaten Tempi<br />

die hinter den fingertechnischen Aufgabenstellungen lauernden elementaren Naturkräfte<br />

freilegt, gleichzeitig aber mit feinsten Pedalabstufungen auch das oft enigmatische Klangmysterium<br />

des späten Debussy zum Leuchten bringt: Hier verschmelzen höchste strukturelle<br />

Klarheit und „musikalische Mathematik“ mit meditativen Klangvisionen zu unerhört<br />

modernen, suggestiven und doch magisch-imaginären Charakterstudien. Dieses<br />

Album setzt neue Maßstäbe.<br />

SERGEI RACHMANINOV: „KLAVIERKONZERT NR. 2 & 3“<br />

Yevgeny Sudbin, BBC Symphony Orchestra, Sakari Oramo (BIS)<br />

In England , wo er seit 1997 lebt, ist der in Leningrad geborene Pianist<br />

Yevgeny Sudbin längst ein Star. Seine zuletzt erschienenen Aufnahmen<br />

der Klavierkonzerte Beethovens zählen zu den besten der gesamten<br />

Diskografie. Jetzt ist er zu Rachmaninow, einem seiner Favoritkomponisten,<br />

zurückgekehrt und hat seine beiden populärsten Werke,<br />

nämlich das zweite und dritte Konzert, mit dem BBC Symphony Orchestra unter Sakari<br />

Oramo eingespielt. Sudbin verfügt über eine atemberaubende Technik, die er aber auch<br />

hier wieder so souverän und uneitel in den Dienst der Musik stellt, dass sie an keiner Stelle<br />

demonstrativ herausknallt. Die extremen manuellen Anforderungen vor allem des<br />

d-Moll-Konzerts meistert er mit einer Mühelosigkeit und einer Nonchalance, dass man sie<br />

gar nicht richtig wahrnimmt: So verschmilzt sein Klavierpart mit dem Orchesterklang zu<br />

einer nahtlosen homogenen Struktur, die den inneren Kontext der Musik, also den so<br />

improvisatorisch anmutenden lyrisch-dramatischen Erzählfluss, in den Vordergrund<br />

rückt und alles Virtuos-Zirzenische ausblendet. So kann sich die tief romantische, durchaus<br />

melancholische und in zärtliches Pathos gehüllte Seelenbotschaft beider Konzerte in<br />

berückender Intensität entfalten.<br />

GUSTAV MAHLER: „SYMPHONIE NR. 7“<br />

Royal Concertgebouw Orchestra, Mariss Jansons (RCO)<br />

Die 1905 vollendete Siebte ist die am längsten missverstandene Sinfonie<br />

Gustav Mahlers: Sein vertrackt-virtuoses Spiel mit den Bausteinen<br />

und Ingredienzien des Romantischen hat die Dirigenten lange verunsichert.<br />

Mahler selbst bezeichnete diese Nachtsinfonie nämlich als<br />

„ein Werk vorwiegend heiteren Charakters“, was damals niemand verstand,<br />

und genau diesen Aspekt einer fast schon ironisch gebrochenen Retrospektive auf<br />

die „große“ romantische Sinfonie und ihre Tonfälle kultiviert jetzt Mariss Jansons in seiner<br />

mittlerweile vierten Einspielung des Werks in verführerischer Klangschönheit. Den<br />

eher heiteren Grundcharakter der rätselhaften Siebten trifft der 75-jährige Lette durch<br />

phänomenale Detailgenauigkeit, wobei er sehr souverän die innere Vielschichtigkeit und<br />

die bizarre Vielstimmigkeit des Werkes herausarbeitet, sodass der vermeintlich rückwärts<br />

blickende Mahler hier auch als genialer Prophet der Moderne erkennbar wird. So<br />

gerät das Scherzo zu einem wahrlich sinistren Walzer-Kehraus der untergehenden Donaumonarchie,<br />

während das ominöse C-Dur-Jubelfinale mehr nach nihilistischem Verwirrspiel<br />

denn nach Wagnerscher Festwiese tönt und als Katalog fröhlich lärmender Orchestereffekte<br />

Beethovens Utopiemodell beendet.<br />

ATTILA CSAMPAI LIVE<br />

Am 8. <strong>Mai</strong> ist in München eine besondere Premiere zu erleben: crescendo-Chefrezensent und<br />

Kritikerlegende Attila Csampai stellt live bei Steinway & Sons München seine Lieblingsplatten<br />

und außergewöhnliche Neuerscheinungen vor. Mehr Informationen dazu auf S. 36.<br />

Barockspezialistin Midori Seiler entführt mit<br />

ihrem kongenialen Partner Concerto Köln in die<br />

Lagunenstadt Venezia di Anna Maria. Mit Edition<br />

Europa hält Ludwig Güttler auf 4 CDs Rückschau<br />

auf die musikalische Geschichte des Kontinents.<br />

Helge Burggrabes Hagios II geht auf Spurensuche<br />

nach der bewegenden Kraft des Gesangs. „Gedrängt,<br />

wie durchaus genial“ – Bachs Johannespassion live<br />

aus der Dresdner Frauenkirche.<br />

www.berlin-classics-music.com<br />

27


H Ö R E N & S E H E N<br />

Thomas Albertus Irnberger<br />

Musikalität und<br />

Schaffensdrang<br />

JAZZ<br />

Melody Gardot<br />

Intime Momente<br />

der Erinnerung<br />

Das Cover von Melody Gardots erstem Livealbum ziert ein Aktfoto der Sängerin mit<br />

Gitarre im gleißenden Bühnenlicht: So nackt und verwundbar fühlt sich ein Künstler auf<br />

der Bühne, wenn er sich dem Publikum völlig öffnet. Und genau dieses Gefühl von Zerbrechlichkeit<br />

und Intimität vermittelt ihre Auswahl von 15 meist eigenen Songs, die sie<br />

zwischen 2012 und 2016 live in zehn europäischen Metropolen dem sichtlich verzauberten<br />

Publikum so zärtlich und innig ins Ohr hauchte, dass jeder einzelne sich direkt<br />

angesprochen fühlte. Die 32-jährige amerikanische Songwriterin ist eine echte Sirene,<br />

die mit ihrem zarten Vibrato und ihren exzellenten, stets unplugged und feinfühlig agierenden<br />

Mitstreitern jeden noch so großen Saal augenblicklich in eine Oase der Entspannung,<br />

der Empfindsamkeit und einer warmherzigen Pianokultur verwandeln kann und<br />

die sich in diesen faszinierenden Live-Acts dann auch die nötige Zeit nimmt, um den<br />

sanften Zauber und den feinen inneren Puls ihrer Love-Songs in extenso zu entfalten.<br />

Das ist Seelenmassage und musikalische Hypnose der noblen Art und eine wunderbare<br />

Revue ihrer stärksten musikalischen Momente der letzten Jahre. AC<br />

Melody Gardot:<br />

„Live in Europe“ (Decca)<br />

FOTO: FRANCO TETTAMANTI<br />

Handelte es sich um ein Album mit<br />

Werken männlicher Komponisten, so<br />

würde man vermutlich kein Wort<br />

über diese Tatsache verlieren. Der<br />

österreichische Geiger Thomas<br />

Albertus Irnberger und die Pianistin<br />

Barbara Moser haben für ihr Album<br />

„Ladies’ Night“ jedoch ganz bewusst<br />

den Fokus auf Künstlerinnen des<br />

<strong>18</strong>., 19. und 20. Jahrhunderts gelegt<br />

und mit einer wohlüberlegten Auswahl<br />

von eher unbekannten Werken<br />

die sechs Komponistinnen Amy<br />

Beach, Luise Adolpha le Beau, Pauline<br />

Viardot-Garcia, Amanda Röntgen-<br />

<strong>Mai</strong>er, Maria-Theresia Paradis und<br />

Dora Pejacevic porträtiert. Das<br />

Booklet verrät biografische Details zu<br />

den Künstlerinnen. Mehr als 40 Alben<br />

hat Thomas Albertus Irnberger<br />

bereits aufgenommen, und seine vielseitigen<br />

Produktionen zeichnen sich<br />

stets sowohl programmatisch als auch<br />

künstlerisch durch eine große Portion<br />

Musikalität mit Tiefgang aus. „Ladies’<br />

Night“ setzt diese Reihe in jeder Hinsicht<br />

gelungen fort. KK<br />

„Ladies‘ Night“, Thomas Albertus Irnberger,<br />

Barbara Moser (Gramola)<br />

Track 2 auf der crescendo Abo-CD:<br />

Romanze G-Dur op. 35, Andante con moto<br />

von Luise Adolpha le Beau<br />

Isabelle Faust & Kristian Bezuidenhout<br />

Vielstimmiges Duo<br />

SOLO<br />

Schon als Kind war die Geigerin Isabelle Faust fasziniert von der Musik Johann Sebastian Bachs. Seit sie die historisch<br />

informierte Aufführungspraxis entdeckte, nähert sie sich diesen Stücken mit frischer Neugier. Die Partiten und Sonaten<br />

für Violine solo spielte sie vor einiger Zeit auf ihrer mit modernen Stahlsaiten bezogenen „Dornröschen“-Stradivari ein,<br />

verwendete aber einen Barockbogen. Bei den Sechs Sonaten für Violine und obligates Cembalo BWV 1014–1019 hat sie<br />

sich jetzt für eine wärmer klingende Stainer-Barockgeige mit Darmsaiten entschieden. Faust<br />

und der Cembalist Kristian Bezuidenhout präsentieren sich auf ihrem ersten gemeinsamen<br />

Album als perfekt miteinander harmonierendes Duo. Bei den Trio-Sonaten, von denen jede<br />

ihren individuellen Charakter zeigt, teilen sich die beiden Instrumente drei, stellenweise sogar<br />

fünf eng miteinander verwobene Stimmen. Eine Aufnahme, die man mehrmals hören sollte, um<br />

alle feinen Nuancen wahrzunehmen. CK<br />

J. S. Bach: „Sonatas for Violin & Harpsichord“, Isabelle Faust, Kristian Bezuidenhout (harmonia mundi)<br />

28 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


Roger Doyle<br />

Drama im Flow<br />

Eine Oper passend zum Label, das<br />

dürfte nicht allzu häufig vorkommen.<br />

Meistens werden Labelnamen von musikalischen<br />

Sachverhalten oder Werken<br />

abgeleitet, bei Heresy war es gewissermaßen<br />

umgekehrt: Hier ließ sich Labelchef<br />

Eric Fraad von dem irischen Komponisten<br />

Roger Doyle eine gut zweistündige<br />

Oper schreiben, die genauso wie<br />

das Label heißt und welche sich – welch’<br />

Überraschung – um Häresie dreht. In<br />

diesem Fall um den Ketzer Giordano<br />

Bruno, der 1600 für seine Lehren auf<br />

dem Scheiterhaufen sterben musste.<br />

Natürlich ist dieses Stück keine Oper im<br />

herkömmlichen dramatischen Sinn, die<br />

Beschreibung als „electronic opera“<br />

deutet es bereits an. Das Drama läuft<br />

„im Flow“ ab, Musik und Handlung<br />

mäandern in elektronischen Soundscapes<br />

umeinander. Goutieren werden<br />

das die traditionellen Opernfans eher<br />

weniger als zeitgeistige Hipster, die<br />

schon im Elektro-Flow<br />

angekommen<br />

sind.<br />

GK<br />

Roger Doyle: „Heresy.<br />

An electronic opera“<br />

(Heresy)<br />

OPER<br />

Frauenkirche Dresden<br />

Musikalische<br />

Raumweiten<br />

CHOR<br />

Frauenkirchenkantor Matthias Grünert weiß<br />

mit der nicht einfachen Akustik des Architektursymbols<br />

Frauenkirche gekonnt umzugehen.<br />

Das hört man aus diesem Livemitschnitt noch<br />

deutlicher als dort beim unmittelbaren Konzerterlebnis.<br />

Der Streicherklang verfließt zum<br />

Raunen, indes die Holzbläser bemerkenswert<br />

runde Kontur gewinnen. Der in der räumlichen<br />

Weite füllig anmutende Kammerchor<br />

der Frauenkirche passt zu diesem Klanggestus.<br />

Unter der Führung des gewinnenden Evangelisten<br />

Tilman Lichdi vereint das Solistenquartett<br />

eine schlank-nüchtern agierende Herrenund<br />

die in fast zu warmem Überschwang pulsierende<br />

Damen-Seite. Herausragend durch<br />

ihren bei Bach ungewohnt großen lyrischen<br />

Strauss-Sopran dialogisiert Semperoper-Star<br />

Camilla Nylund emotional mit dem Ensemble<br />

Frauenkirche, das in die besinnlichen Flächen<br />

manchmal sogar etwas weltlichen Glanz<br />

mischt. Eine Aufnahme mit hohem Souvenir-<br />

Faktor. DIP<br />

J. S. Bach: „Johannespassion“,<br />

Kammerchor der Frauenkirche<br />

Dresden, Ensemble Frauenkirche<br />

Dresden, Matthias Grünert<br />

(Berlin Classics)<br />

Bachchor & Bachorchester <strong>Mai</strong>nz<br />

Leidensmusik<br />

„Herr, unser Herrscher, dessen Ruhm in allen<br />

Landen herrlich ist! Zeig uns durch deine Passion,<br />

dass du, der wahre Gottessohn, zu aller<br />

Zeit, auch in der größten Niedrigkeit, verherrlicht<br />

worden bist!“ So beginnt die Johannes-<br />

Passion von Johann Sebastian Bach. Passionsmusiken,<br />

während der Karwoche aufgeführte<br />

musikalische Erzählungen des Leidensweg<br />

Christi, lassen sich bis ins Mittelalter zurückverfolgen,<br />

wo sie zunächst nur auf einem einzigen<br />

„Passionston“ vorgetragen wurden. Auch<br />

Bachs Vertonung wurde traditionsgemäß an<br />

einem Karfreitag, dem 7. April 1724, in der<br />

Leipziger Nikolaikirche uraufgeführt. Fast 300<br />

Jahre später entstand in der <strong>Mai</strong>nzer Christuskirche<br />

diese Aufnahme des Bachchors und<br />

Bachorchesters <strong>Mai</strong>nz unter Ralf Otto. Seit<br />

32 Jahren Leiter des Bachchors, dirigiert Otto<br />

nun dessen erste Einspielung der Johannes-<br />

Passion mit großartig besetzten Solopartien.<br />

Historisch informiert und fein artikuliert weiß<br />

dieses Album zu überzeugen. SK<br />

J. S. Bach: „Johannes-Passion“,<br />

Bachchor und Bachorchester<br />

<strong>Mai</strong>nz, Ralf Otto (Naxos)<br />

Track 9 auf der<br />

crescendo Abo-CD: Ruht wohl,<br />

ihr heiligen Gebeine<br />

SOLO<br />

Joyce DiDonato<br />

Heiliger Strohsack!<br />

Joyce DiDonato scheint derzeit die Frau für die schrägen<br />

Töne und Rollen zu sein. In einer Doku mimte sie Florence<br />

Foster Jenkins, die selbst ernannte Operndiva und schlechteste<br />

Sängerin aller Zeiten. 2015 verkörperte sie in Jake<br />

Heggies Great Scott die gefeierte Mezzosopranistin Arden<br />

Scott. Heggies Opernpersiflage kommt nicht ohne Klischees<br />

aus, denn was wäre die Oper ohne Wahnsinn-<br />

Szenen und die Storys dahinter? Die Welturaufführung<br />

der gerade wiederentdeckten Oper Rosa Dolorosa von<br />

Vittorio Bazzetti steht also an, ein netter Seitenhieb auf<br />

den Entdeckungseifer einer Bartoli. Hinter den Kulissen<br />

tobt es. Opernmanagerin Winnie Flato (Frederica von<br />

Stade) kämpft ums Überleben der Kompagnie. Und auch<br />

Arden hadert, denn die Konkurrenz schläft nicht. Und die<br />

ist natürlich aus Osteuropa. Alles also wie im wahren<br />

Leben, so wie die stilistisch jedes Register ziehende DiDonato,<br />

die sich auch in den Höhen als<br />

wahre Diva behauptet – als eine,<br />

die wirklich singen kann. „Great<br />

Scott!“ Heiliger Strohsack! TPR<br />

Jake Heggie, Terrence McNally: „Great Scott“,<br />

Joyce DiDonato (Erato)<br />

BUCH<br />

Christa Ludwig<br />

Sie ist einfach<br />

die Beste!<br />

Als Mezzosopranistin Christa Ludwig 1994 nach<br />

50 Jahren Bühnenkarriere ihre Abschiedsvorstellung<br />

an der Wiener Staatsoper gab – als Klytämnestra in<br />

Richard Strauss’ Elektra – kniete der damalige<br />

Operndirektor Ioan Holender vor ihr nieder. Und<br />

Leonard Bernstein entzückte sich: „Sie ist einfach die<br />

Beste und der beste aller möglichen Menschen!“ Zu<br />

ihrem 90. Geburtstag (siehe auch S. 14) ist im Amalthea<br />

Verlag nun ihre Autobiografie erschienen. Darin<br />

plaudert die Grande Dame in ihrer unverwechselbaren<br />

Natürlichkeit, unerschrockenen Ehrlichkeit und mit einer gehörigen<br />

Portion Witz etwa darüber, wie sie im Krieg Pulswärmer für Soldaten<br />

strickte, bis das Haus der Familie nach einem Bombenanschlag<br />

völlig ausbrannte, über die Rivalitäten mit ihrem ersten Ehemann, dem<br />

Opernsänger Walter Berry, über das „Ankommen“ bei ihrem zweiten<br />

Ehemann, dem französischen Schauspieler Paul-Émile Deiber, über<br />

Stimmkrisen und die Bürde, Talent zu haben, und natürlich über Paradiesvögel,<br />

Helden und Kuriositäten des Opernbetriebs. Ein Buch, das –<br />

salopp gesagt – ganz wunderbar „flutscht“ und nicht nur einmal Lächeln<br />

und Staunen macht! Mit 58 Abbildungen, biografischem Anhang und Rollenverzeichnis.<br />

MG<br />

Christa Ludwig: „,Leicht muss man sein‘. Erinnerungen an die Zukunft.<br />

Aufgezeichnet von Erna Cuesta und Franz Zoglauer“ (Amalthea)<br />

29


H Ö R E N & S E H E N<br />

ORCHES-<br />

TER<br />

Hamburger Symphoniker<br />

Klassik-Entdeckung<br />

FOTO: J.KONRAD SCHMIDT<br />

Muss man Antonio Rosetti (1750–1792) unbedingt<br />

mit Haydn oder Mozart vergleichen? Freilich nicht,<br />

auch wenn man schon bei den ersten Takten der<br />

D-Dur-Sinfonie sofort die beiden Superstars der<br />

Klassik im Kopf hat. Aus Ostschwaben ging sein Ruf<br />

in die Welt. Und er war, wie sonst vielleicht nur<br />

noch Johann Martin Kraus (der im selben Jahr wie<br />

Rosetti, und eines nach Mozarts Tod, starb), repräsentativ<br />

für die Klassik außerhalb Wiens. Als<br />

Mozart – selbst von Rosettis Hornkonzerten inspiriert<br />

– 1791 starb, wandte man sich in Prag an den<br />

im beschaulichen Leitmeritz als Franz Anton Rösler<br />

geborenen Komponisten, um das eine Genie mit<br />

einem Requiem des anderen zu ehren. Die vorliegenden<br />

Aufnahmen von 2001/02 bieten fünf von<br />

etwa 50 erhaltenen Rosetti-Sinfonien und drei –<br />

jeweils für Oboe, Flöte und zwei Geigen – von<br />

knapp 70 Konzerten. Bei allen wunderbaren Haydnund<br />

Mozart-Werken, die wir schnell zur Hand<br />

beziehungsweise in den Ohren haben, lohnt es sich<br />

doch immer wieder, auch andere Komponisten dieser<br />

Zeit zu entdecken und ihnen zu lauschen.<br />

Abwechslung und Genuss bietet Rosetti auf jeden<br />

Fall reichlich, zumal in so frisch und ansprechend<br />

gespielten Interpretationen, wie sie hier<br />

von den Hamburger Symphonikern unter<br />

Rosetti-Liebhaber Johannes Moesus zum<br />

Besten gegeben werden. JL<br />

Antonio Rosetti: „Symphonies & Concertos“,<br />

Hamburger Symphoniker, Johannes Moesus (MDG)<br />

SOLO<br />

Michael Rische<br />

Bach-Sohn<br />

mit Biss<br />

Carl Philipp Emanuel Bachs Klavierkonzerte<br />

gehören wegen ihrer ungewöhnlichen Rhythmik<br />

und ihrer formalen und harmonischen<br />

Kühnheiten zu den originellsten Kompositionen<br />

des <strong>18</strong>. Jahrhunderts, doch dem heutigen<br />

Publikum sind sie kaum bekannt. Der<br />

Pianist Michael Rische möchte hier eine<br />

Lücke schließen und hat bereits vier Alben<br />

mit C. P. E. Bachs Konzerten auf dem modernen<br />

Flügel eingespielt, nun präsentiert er<br />

Album Nr. 5 mit den Berliner Barock<br />

Solisten. Es enthält neben Bachs Erstling<br />

(1733) auch sein letztes Klavierkonzert in<br />

D-Dur Wq. 45 (1778) sowie das ebenso experimentelle<br />

wie virtuose e-Moll-Konzert.<br />

Rische nähert sich den Werken mit klarem,<br />

schlankem Ton und kontrollierter Leidenschaft.<br />

Die virtuosen Passagen haben Biss,<br />

und die lyrischen Episoden zeugen von hoher<br />

Klangkultur, dabei sind die wunderbar transparent<br />

und mit warmem Ton aufspielenden<br />

Berliner Barock<br />

Solisten ein idealer<br />

Partner. MV<br />

C. P. E. Bach: „Piano Concertos.<br />

Wq. 1, 45, 15“, Michael<br />

Rische, Berliner Barock<br />

Solisten (Hänssler)<br />

Lucerne Festival Orchestra<br />

Wiederentdeckter<br />

Strawinsky<br />

Mit einem wehmütigen Totenlied erinnerte Igor<br />

Strawinsky 1908 an seinen Lehrer Nikolai Rimski-<br />

Korsakow. Seit der russischen Oktoberrevolution<br />

war das Manuskript des Chant funèbre verschollen.<br />

Erst 2015 tauchte es zufällig im St. Petersburger<br />

Konservatorium auf und sorgte für eine Sensation.<br />

Riccardo Chailly hat dieses Frühwerk mit dem<br />

Lucerne Festival Orchestra nun erstmals auf CD<br />

eingespielt. Tiefe Streicher und Bläser beschwören<br />

eine gespenstische Stimmung herauf, die für Gänsehaut<br />

sorgt. Auf der Liveaufnahme aus dem Sommer<br />

2017 sind auch die wenig bekannten Stücke<br />

Feu d’artifice und Scherzo fantastique zu hören,<br />

außerdem drei frühe Lieder mit dem Titel Le Faune<br />

et la Bergère, denen das warme Timbre der Mezzosopranistin<br />

Sophie Koch atmosphärische Dichte<br />

verleiht. Die hämmernden Rhythmen in Le Sacre<br />

du Printemps treten unter Chaillys straffem Dirigat<br />

höchst plastisch hervor. Ein Album, auf dem sich<br />

das von Claudio Abbado gegründete Festivalorchester<br />

unter seinem Nachfolger mit neuem<br />

Repertoire präsentiert. CK<br />

Igor Strawinsky: „Chant funèbre/<br />

Le Sacre du printemps“, Lucerne<br />

Festival Orchestra, Riccardo Chailly<br />

(Decca)<br />

Radio-Symphonieorchester Wien<br />

Konzertanter<br />

Psychothriller<br />

Bereits im <strong>Mai</strong> 2010 hat sich das Radio-<br />

Symphonieorchester Wien unter der Leitung<br />

seines damaligen Chefdirigenten<br />

Bertrand de Billy mit Eine florentinische Tragödie<br />

in Alexander Zemlinskys musikalisches<br />

Spannungsfeld begeben und im Wiener Konzerthaus<br />

eine Liveaufnahme geschaffen, die<br />

elektrisierende Sogkraft besitzt. Mit der<br />

Veröffentlichung beim Label Capriccio lässt<br />

sich die umjubelte konzertante Aufführung<br />

von Zemlinskys Einakter nun glücklicherweise<br />

noch einmal nacherleben – und das<br />

lohnt sich! Abgesehen von der rundherum<br />

beeindruckenden Leistung des österreichischen<br />

Radio-Symphonieorchesters, sticht<br />

unter den drei exzellenten Gesangssolisten<br />

vor allem der für seine Wagnerrollen gefeierte<br />

Bariton Wolfgang Koch hervor, der als<br />

Simone mit glühender Intensität die psychologischen<br />

Abgründe von Liebe, Tod, Verletzlichkeit,<br />

Verachtung und Rache besingt. KK<br />

Alexander von Zemlinsky:<br />

„Eine florentinische<br />

Tragödie“, ORF Vienna<br />

Radio Symphony Orchestra,<br />

Bertrand de Billy<br />

(Capriccio)<br />

30 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


Kirill Gerstein<br />

Let’s play!<br />

Die Trennung zwischen E- und U-Musik war<br />

einmal, und sie war reichlich absurd. Das<br />

beweist nicht zuletzt dieses bemerkenswerte<br />

Album, auf dem der vielseitige Pianist<br />

Kirill Gerstein zusammen mit der St. Louis<br />

Symphony herrlich unverkrampft in Gershwin<br />

schwelgt. Gerstein, der selbst über den<br />

Jazz zum Klavier kam, setzt sich mit seiner<br />

Interpretation von Gershwins Rhapsody in<br />

Blue und dem Concerto in F galant über stilistische<br />

Kategorien hinweg. Beim Konzert<br />

spart er nicht an virtuosen Verzierungen,<br />

überrascht mit einer Kadenz im langsamen<br />

Satz und wahrt doch ebenso kunstvoll wie<br />

verspielt die Balance zwischen dem Jazz und<br />

der Klassik. Dazwischen gestreut finden sich<br />

Arrangements von Somebody Loves Me oder<br />

Summertime, als Zugabe erklingt Embraceable<br />

You. So ist dieses Album ein gelungenes Beispiel<br />

für den lustvoll direkten und hingebungsvollen<br />

Umgang mit dem farbenfrohen<br />

Werk Gershwins. DW<br />

Als neuer Abonnent erhalten<br />

Sie diese CD (siehe S. 88)<br />

Gershwin: „Rhapsody in<br />

Blue & Concerto in F“, Kirill<br />

Gerstein (Myrios)<br />

Track 6 auf der crescendo<br />

Abo-CD: Summertime<br />

SOLO<br />

Xavier de <strong>Mai</strong>stre<br />

Flamenco und<br />

Kastagnetten<br />

Ein Wiederhören der Evergreens des spanischen<br />

klassischen Gitarrenrepertoires!<br />

Das Besondere: Sie werden auf der Harfe<br />

gespielt. Das Erstaunliche: Die meisten<br />

wurden eigentlich für Klavier geschrieben.<br />

Dass das so Vertraute durch das Spiel des<br />

Harfenmagiers Xavier de <strong>Mai</strong>stre wieder<br />

unvertraut wird, macht dieses Album<br />

hörenswert. Im Sinne Felipe Pedrells sind es<br />

die Klassiker der spanischen Moderne wie<br />

Granados’ Andaluza, Isaac Albéniz’ Asturias<br />

oder de Fallas Danza española, die für den<br />

gelungenen Brückenschlag zwischen Folklore<br />

und neuer Formensprache stehen.<br />

Nur Guridis Viejo Zortzico ist eine Komposition<br />

für Harfe. Das tatsächlich für Gitarre<br />

geschriebene Recuerdos de l’Ahambra, das<br />

der Komponist Francisco Tárrega sich<br />

ursprünglich als Tremoloetüde vorstellte,<br />

wird in den Händen de <strong>Mai</strong>stres zur leuchtenden<br />

Krönung seines spanischen Nachthimmels.<br />

Großer Wurf mit persönlicher<br />

Note! SELL<br />

Granados, Albeniz, Soler u. a.: „Serenata Española“,<br />

Xavier de <strong>Mai</strong>stre (Sony)<br />

FOTO: JEAN-BAPTISTE MILLOT<br />

Lika Bibileishvili<br />

Sergej Prokofjew<br />

Klaviersonate Nr. 6, op. 82<br />

Maurice Ravel<br />

Gaspard de la Nuit<br />

Jean Sibelius<br />

Aus 13 Klavierstücke, op. 76<br />

Béla Bartók<br />

Sonate für Klavier, Sz 80<br />

Lika Bibileishvili<br />

Prokofjew<br />

Ravel<br />

Sibelius<br />

Bartók<br />

B 108099<br />

CD im Fachhandel sowie<br />

als Download erhältlich.<br />

www.farao-classics.de<br />

Telefon 089 14330080<br />

31


H Ö R E N & S E H E N<br />

FOTO: BRESCIA E AMISANO TEATRO ALLA SCALA<br />

TANZ<br />

Ballett der <strong>Mai</strong>länder Scala<br />

Mozarts Liebesuniversum<br />

W. A. Mozart: „The Lovers’ Garden“, Ballet Company<br />

of Teatro alla Scala, Massimiliano Volpini (C Major)<br />

Eine verzauberte Nacht: junge ausgelassene Menschen bei einem Gartenfest. Musik<br />

erfüllt den Park: Mozart-Quartette. Und wie hypnotisiert von den Streichern, Flöten,<br />

Oboen und Klarinetten gleitet ein Paar unmittelbar in das Liebesuniversum von<br />

Mozarts Opern. Nacheinander treten hinter den hohen Buchsbaumhecken Graf<br />

Almaviva, Figaro, Susanna und Rosina hervor, Giovanni und sein Leporello, die beiden Così fan<br />

tutte-Paare und die Königin der Nacht. Die verschiedenen Liebeshändel bleiben bei Massimiliano<br />

Volpini im ständigen Fluss seiner fast durchgehend heiter belebten Choreografie, der ein<br />

Septett im Bühnenvordergrund tanz-achtsam zumusiziert. Das Ballett der <strong>Mai</strong>länder Scala, im<br />

Zentrum die Ersten Solisten Nicoletta Manni und Roberto Bolle, scheint wie hineingeboren in<br />

Volpinis modern entspannten neoklassischen Stil. Auf Video verliert diese 2016 zu Mozarts<br />

225. Todestag kreierte Hommage, auch dank Erika Carrettas Naturszenerie und hinreißenden<br />

postmodernen Rokoko-Kostümen, nichts an Farbkraft und Ausstrahlung. GRA<br />

Nicolai Pfeffer & Felix Wahl<br />

Aura der Reife<br />

Die letzten Werke, die ein Komponist<br />

vor seinem Tod komponiert, umgibt eine<br />

besondere Aura. Der Pianist Felix Wahl<br />

und der Klarinettist Nicolai Pfeffer haben<br />

dieser nun im Werk von Johannes Brahms<br />

nachgespürt. Neben den beiden Sonaten<br />

für Klarinette und Klavier Nr. 1 und Nr. 2<br />

finden sich die vier Intermezzi op. 119 auf<br />

dem Album, wobei es sich um die letzten<br />

kammermusikalischen Werke sowie das<br />

letzte Stück für Klavier Solo von Brahms<br />

handelt. Wahl und Pfeffer gestalten diese<br />

besonderen Stücke mit berührender<br />

Demut. Aus dem feinsinnigen Zusammenspiel<br />

der beiden Musiker heraus, das<br />

gleich einem intensiven Dialog in den<br />

Bann zieht, entsteht ein vielschichtiges<br />

Porträt des reifen Komponisten. Mit eindringlichem<br />

romantischem Gestus, ausdrucksstark<br />

und kontrastreich in den<br />

Sonaten, verinnerlicht und fragil in den<br />

Intermezzi, zeigt sich Johannes Brahms in<br />

seinem ganzen Facettenreichtum. DW<br />

Johannes Brahms:<br />

„Clarinet Sonatas<br />

op. 120, Piano Pieces<br />

op. 119“, Nicolai<br />

Pfeffer, Felix Wahl (Avi)<br />

KAMMER-<br />

MUSIK<br />

ORCHES-<br />

TER<br />

Kammerorchester Basel<br />

Spektakuläre Sturmund-Drang-Sinfonien<br />

Obwohl Joseph Haydn als „Erfinder“ der klassischen<br />

Sinfonie gilt, gab es von seinen 104 Arbeiten<br />

bislang nur zwei komplette Schallplatten-<br />

Zyklen – unter Antal Doráti und Adam Fischer. Sie<br />

liegen beide viele Jahre zurück und sind derzeit<br />

nicht greifbar. Seit 2015 stellt sich der italienische<br />

Originalklang-Crack Giovanni Antonini der Herkulesaufgabe<br />

und will das Mammutprojekt bis 2032,<br />

zu Haydns 300. Geburtstag, abschließen: Nach den<br />

ersten vier Alben, die er mit seinem Ensemble<br />

Il giardino armonico bestritt, hat er für die aktuelle<br />

fünfte Folge das ebenfalls historisch orientierte<br />

Kammerorchester Basel verpflichtet, das sich ähnlich<br />

schwungvoll, rasant und kammermusikalisch<br />

filigran ins Zeug legt. Diesmal hat Antonini die beiden<br />

spektakulären Sturm-und-Drang-Sinfonien<br />

Nr. 80 und 81 mit der frühen Nr. 19 kombiniert und<br />

eine tief ernste c-Moll-Sinfonie des „schwedischen<br />

Mozart“ Joseph Martin Kraus hinzugefügt. Der<br />

direkte Vergleich beider Klassiker lässt Haydns<br />

kühnen Experimentiergeist und<br />

seinen subtilen Humor noch<br />

deutlicher hervortreten.<br />

AC<br />

„Haydn 2032 – L’homme de génie<br />

(Vol. 5)“, Kammerorchester Basel,<br />

Giovanni Antonini (Alpha)<br />

Simon Höfele<br />

Herrlich gewagt!<br />

„Das Neue, das Unbekannte interessiert<br />

mich ungemein“, erzählt der Trompeter<br />

Simon Höfele. Spätestens seit er vor zwei<br />

Jahren den Deutschen Musikwettbewerb<br />

gewann, zählt er zur den begehrten Künstlern<br />

seines Fachs. Höfele ist kein Vertreter<br />

der Schneller-höher-lauter-Fraktion. Der<br />

gebürtige Darmstädter (Jahrgang 1994) liebt<br />

die leisen Töne. Das vorliegende Album<br />

bedient genau diese Welt, die Auswahl ist<br />

herrlich gewagt und spannt einen Bogen über<br />

50 Jahre jüngerer Musikgeschichte – von<br />

Japan über Ungarn, Frankreich und Schottland<br />

bis nach Wien. Ligetis Mysteries of the<br />

Macabre ist voller Extreme und lässt auch<br />

den Zuhörer kaum zur Ruhe kommen.<br />

Jolivets Heptade ist da ein gutes Gegengewicht.<br />

Es folgen Hosokawa, Hamilton und<br />

Takemitsu. Den Abschluss bildet Exposed<br />

Throat von HK Gruber, das Höfele selbst als<br />

„besonders extrem und in ihrem Anspruch<br />

wirklich abartig nah an der Grenze des Machbaren“<br />

bezeichnet.<br />

Das ist kühn, spannend<br />

und irritierend<br />

schön. KH<br />

Ligeti, Jolivet, Hosokawa<br />

u. a.: „Mysteries“,<br />

Simon Höfele (Genuin)<br />

SOLO<br />

Michael Barenboim<br />

Italienischer<br />

Grenzritt<br />

Am Falle Michael Barenboims zeigt sich in<br />

hinreißender Weise, was eine hochkarätige<br />

Musikausbildung immer mit Blick auf den<br />

subs tanziellen Gehalt auszurichten vermag.<br />

Er spannt hier einen faszinierenden Bogen<br />

durch die Geschichte der italienischen Violinmusik<br />

vom visionären Spätbarock Tartinis<br />

über sechs Capricen Paganinis zur Moderne<br />

Berios (Sequenza VIII) und Sciarrinos<br />

(6 Capricci), wobei das Programm auf drastischen<br />

Kontrast angelegt ist und Paganini zum<br />

Schluss dem einleitenden Sciarrino den Spiegel<br />

entgegenhält. Tartinis Teufelstriller-Sonate<br />

bildet solistisch mit herrlich wild expressivem<br />

Sinn für formale Balance gemeinsam mit<br />

Berio das Zentrum des Programms. Paganini<br />

wurde seit Paul Zukofsky nicht als so radikal<br />

strukturell verstandener Grenzritt gehört.<br />

Dass Technik und Klang auf höchstem Niveau<br />

sind, ebenso wie die Aufnahmequalität und<br />

das Booklet-Interview, stärkt den superben<br />

Eindruck. CS<br />

„Sciarrino, Tartini, Berio,<br />

Paganini“, Michael<br />

Barenboim (Accentus)<br />

32 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


Claire Huangci<br />

Raritäten der<br />

Leidenschaft<br />

Manchmal lohnt es sich, eingefahrene Hörgewohnheiten<br />

zur Seite zu schieben, um sich<br />

unverhofften klanglichen Genüssen hingeben<br />

zu können. Wer in dieser Aufnahme die<br />

ersten Takte von Beethovens berühmtem<br />

Violinkonzert zu erkennen glaubt, von den<br />

Musikern des Brandenburgischen Staatsorchesters<br />

unter der Leitung von Howard<br />

Griffiths überzeugend und gefühlvoll interpretiert,<br />

wird überrascht sein, nach der Einleitung<br />

nicht die Violine, sondern das Klavier<br />

als Soloinstrument zu hören. Auch in dieser<br />

viel seltener gespielten Bearbeitung des<br />

Komponisten verliert die Musik keineswegs<br />

ihren Zauber, sondern entwickelt einen<br />

eigenen, einzigartigen Charme. Der weiche,<br />

in hohen Lagen geradezu silbrig-feine<br />

Anschlag von Claire Huangci sowie ihr<br />

Gespür, ihr Instrument mal melancholisch,<br />

mal verträumt und mal übermütig-verspielt<br />

klingen zu lassen, machen das Konzert<br />

zu einem Feuerwerk virtuoser<br />

Leidenschaft. US<br />

„Beethoven Rarities“, Claire Huangci,<br />

Brandenburgisches Staatsorchester (Klanglogo)<br />

Track 4 auf der crescendo Abo-CD: Klavierkonzert<br />

D-Dur op. 61a, II. Larghetto von Beethoven<br />

SOLO<br />

FOTO: GREGOR HOHENBERG<br />

Ermanno Wolf-Ferrari<br />

Steh auf!<br />

Der Name Friedrich Haider ist inzwischen<br />

untrennbar mit dem von Ermanno Wolf-<br />

Ferrari (<strong>18</strong>76–1948) verbunden. Als der<br />

Ausnahmedirigent 2002 in einem Londoner<br />

Antiquariat die Partitur der Opera Buffa<br />

Il segreto di Susanna entdeckt, ist es um ihn<br />

geschehen. Dieses und weitere Werke hat<br />

er bereits gemeinsam mit der Oviedo Filarmonia<br />

kongenial aufgenommen. Nun die<br />

Weltersteinspielung des „sakralen Mysteriums“<br />

Talitha Kumi! (aramäisch: „Steh<br />

auf!“). Besser hätten sich Solisten, Chor<br />

und Orchester nicht finden können, famos,<br />

was Haider da zutage bringt. Der deutschitalienische<br />

Komponist hat sich stets dem<br />

Diktat der Neutöner entzogen und hinterließ<br />

eine völlig eigene, fast zeitlose Klangwelt.<br />

Wie diese Herzensmusik von betörender<br />

Schönheit – ganz besonders auch<br />

die Otto cori op. 2 – mit Feuereifer und<br />

inniger Hingabe dargeboten wird, macht<br />

das Album so empfehlenswert. Exorbitant!<br />

SELL<br />

Ermanno Wolf-Ferrari: „Talitha Kumi!“,<br />

Oviedo Filarmonía, Friedrich Haider<br />

(Naxos)<br />

Track 8 auf der crescendo Abo-CD:<br />

La Passione op. 21, Religiöser Gesang<br />

für gemischten Chor a cappella<br />

ORCHES-<br />

TER<br />

CHEFDIRIGENT MICHAEL SANDERLING<br />

© Markenfotografie<br />

EIN JAHR<br />

DRESDNER PHILHARMONIE<br />

IM NEUEN KONZERTSAAL<br />

NEUE<br />

AUSSICHTEN<br />

F E S T W O C H E<br />

22.–29. APRIL<br />

33<br />

kulturpalast-dresden.de | dresdnerphilharmonie.de


H Ö R E N & S E H E N<br />

Unerhörtes & neu Entdecktes<br />

von Christoph Schlüren<br />

FEGEFEUER INNERER SCHMERZEN<br />

Sein unorthodoxer Auftritt erinnerte mehr an einen Mafioso als an einen Akademiker.<br />

Wohl weil er die Kunst der Selbstvermarktung nicht beherrschte,<br />

ist Nicolas Flagello heute so gut wie in Vergessenheit geraten.<br />

Am 15. <strong>März</strong> wäre Nicolas Flagello<br />

(1928–1994) 90 Jahre<br />

alt geworden. Er war einer<br />

der ganz großen Komponisten<br />

der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.<br />

Aus einer italienischen Musikerfamilie,<br />

die sich in New York niedergelassen<br />

hatte (sein Großvater mütterlicherseits<br />

war einer der letzten Schüler von Verdi)<br />

stammend, wuchs er in einer von Belcanto<br />

und spätromantischer Emphase<br />

geprägten Umgebung auf. Mit drei Jahren<br />

erhielt er Klavierunterricht, mit acht<br />

Jahren begann er zu komponieren.<br />

Sein großer Lehrmeister wurde<br />

Vittorio Giannini, den Richard Strauss<br />

in den 1930er-Jahren als neuen Hoffnungsträger protegierte. Doch<br />

es kam anders, der Krieg zerstörte viele Hoffnungen, und danach<br />

stand Gianninis aus der Tradition gewachsenes Ethos wider den<br />

Zeitgeist, der die Brücken zur Vergangenheit abbrechen wollte.<br />

Giannini und Flagello wurden enge Freunde und bildeten eine<br />

ästhetische Haltung aus, die in den USA einzigartig war: Schönheit,<br />

existenzielles Drama, Kunst der organischen sinfonischen Formung,<br />

vollendete Beherrschung der kontrapunktischen Techniken<br />

und harmonischen Mittel auf der Grundlage einer erweiterten kantablen<br />

Tonalität. Ende der 1950er-Jahre zeichnete sich in Flagellos<br />

Schaffen eine stilistische Wandlung ab, die auch auf Giannini<br />

zurückfärbte: Die Musik spiegelte in ihrer dunklen Glut immer<br />

mehr Zustände dramatischer Verzweiflung, Rebellion gegen die<br />

Ignoranz und Veräußerlichung der modernen Zivilisation und seelische<br />

Vereinsamung in der kalten Betonwelt der Metropole wider.<br />

Ein brodelnder Abgesang.<br />

In den 1970er-Jahren geriet Flagello allmählich in einen<br />

Zustand innerer Verlorenheit und tiefer Depression, sein Leben<br />

endete in geistiger Umnachtung. Dass er ein Outsider blieb, hat<br />

jedoch nicht unbedingt mit seiner künstlerischen Haltung zu tun,<br />

die ihn ohne jede Rücksicht auf Moden unbeugsam seinen Weg<br />

gehen ließ. Andere, wie Barber oder Bloch, wurden für ihren offenen<br />

Neoromantizismus gefeiert. Er hingegen, der viel mehr furioser<br />

Nicolas Flagello<br />

Existenzialist als Nostalgiker war, dessen<br />

Musik den Hörer oft durch ein Fegefeuer<br />

innerer Schmerzen führt, verstand<br />

es einfach nicht, sich „gut zu verkaufen“.<br />

Obwohl selbst ein exzellenter Pianist<br />

und Dirigent, musste er die Aufnahmen<br />

seiner Musik in Italien machen, denn<br />

sein unorthodoxer Auftritt erinnerte<br />

mehr an einen Mafioso als an einen<br />

gewandten Akademiker. Er blieb sozusagen<br />

ein „Mann von der Straße“, dessen<br />

Musik zwar die Kenner herausfordert,<br />

aber zugleich für jeden Hörer<br />

unmittelbar verständlich ist.<br />

Flagello musste fast zwangsläufig<br />

eine tragische Figur werden. Seine<br />

Musik spricht in ihrer Zeit eine so unverstellt vehemente Sprache wie<br />

Tschaikowsky in seiner. Sie nimmt den Hörer ebenso stürmisch und<br />

zärtlich mit in ihre leidenschaftlichen und intimen Regionen und ist<br />

zugleich kompromisslos klar, unbestechlich balanciert geformt. Auf<br />

CD ist Flagello mittlerweile so dokumentiert, dass man sich – bei<br />

allen Lücken – einen Überblick verschaffen kann (etliche Einspielungen<br />

sind bei NAXOS erschienen), doch seine Hauptwerke sind nach<br />

wie vor fast nie im Konzert zu hören. Manche harren trotz Ersteinspielung<br />

weiter der Uraufführung. Es ist nicht einfach, beim vielseitigen<br />

Reichtum seines Schaffens Empfehlungen abzugeben. Doch<br />

möchte ich seine beiden Sinfonien nennen, das herrlich zwischen<br />

improvisatorischem Gestus und expressionistischer Gesangsszene<br />

angesiedelte Capriccio für Cello und Orchester, die übermütig an den<br />

Montmartre entführende Lautrec-Suite mit einem abgründigen Valse<br />

triste, wie sie sich selbst Sibelius nicht erträumt hätte, oder der Piper<br />

of Hamelin, eine der hinreißendsten Kinderopern der Geschichte.<br />

Nie hat sich der Bekenntnismusiker Flagello, der 1968 mit der Passion<br />

of Martin Luther King sein berühmtestes Werk schrieb, der Sentimentalität<br />

der nostalgischen Neoromantik ergeben, immer halten<br />

das vielfältige rhythmische Pulsieren, der weit dimensionierte harmonische<br />

Spannungsverlauf, die lineare Energie das stringent konturierte<br />

Geschehen im Fluss. Wer Schostakowitsch liebt, dürfte auch<br />

Flagello lieben. Nur muss man ihn zuerst kennenlernen. n<br />

FOTO: WALTER SIMMONS<br />

34 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


Michel Legrand<br />

Ein Pariser erobert New York<br />

Michel Legrand, Jahrgang 1932, ist der erfolgreichste Filmkomponist<br />

Frankreichs. Er verschaffte sich auch als Jazzpianist, Dirigent und Arrangeur<br />

weltweites Ansehen und eroberte schon früh die US-Musikszene.<br />

Bereits 1958, mit 26, produzierte er für Columbia sein erstes amerikanisches<br />

Album „Legrand Jazz“ und engagierte dafür die gesamte Jazz-<br />

Prominenz New Yorks, insgesamt 31 Topmusiker, die dann in elf<br />

bekannten Standards Legrands erfrischend unkonventionelle Arrangements<br />

mit ihren Improvisationskünsten anreicherten. Miles Davis ließ<br />

seine leise Magie in Round Midnight aufleuchten und teilte sich dann in<br />

anderen Titeln die Soli mit Herbie Mann, John Coltrane, Phil Woods und<br />

Bill Evans. Auch Hank Jones, Ben Webster, Donald Byrd und andere Größen<br />

würzten das französische Raffinement und die klassisch inspirierten<br />

Bläsersätze Legrands mit amerikanischer Coolness<br />

und schwarzem Timing. Diese extravagante<br />

Mixtur aus Flair und Swing, aus Pariser und New<br />

Yorker Lebensgefühl ist jetzt vom US-Label<br />

Impex in exzellenter Stereoqualität auf SACD<br />

überspielt worden. AC<br />

„Legrand Jazz (1958)“, Michel Legrand (Impex Records)<br />

Niels W. Gade<br />

Fulminant und heroisch<br />

Jugendsünde oder Geniestreich? Vermutlich keins von beiden, auch wenn<br />

die Kantate Comala des von Felix Mendelssohn Bartholdy sehr geschätzten<br />

Nils W. Gade in jungen Jahren entstanden ist und danach einen Siegeszug<br />

durch die Konzertsäle der damaligen Zeit angetreten hat. Übrig<br />

geblieben ist davon nicht viel, das Stück ist nahezu vergessen. Umso dankenswerter<br />

ist es, nun wieder eine Einspielung zu haben, die diesem<br />

Werk zu mehr Beachtung verhilft. Laurence Equilbey heizt Orchester<br />

und Chor mächtig ein, das heroische Moment in diesem Werk lässt sich<br />

jedenfalls kaum verhehlen. Die Männerstimmen klingen in der Höhe<br />

zuweilen etwas angestrengt, aber musikalisch bleibt hier ansonsten kein<br />

Wunsch offen. Die Solisten singen mit angemessener Grandezza, Gades<br />

Musik wird stilgerecht und mit pastosem Pathos<br />

neuer Atem eingehaucht. Das gelingt hier ausgesprochen<br />

fulminant! GK<br />

ORCHES-<br />

TER<br />

JAZZ<br />

Niels W. Gade: „Comala“, Danish National Symphony Orchestra &<br />

Choir, Laurence Equilbey (DaCapo)<br />

Track 7 auf der crescendo Abo-CD: Einleitung aus: Comala op. 12<br />

Nuria Rial<br />

Katalanisch-brasilianische Glut<br />

Acht Celli und eine kongeniale Nuria Rial, bisher eher aus der Barockmusik<br />

bekannt … das sind die Zutaten für ein glutvolles Album, das die<br />

Bachianas Barsilieras Nr. 5 enthält – ein Werk, das tatsächlich ursprünglich<br />

für diese seltene Besetzung komponiert wurde und in dem sich die<br />

Musik J. S. Bachs mit der Brasiliens paart, dann die Weltersteinspielung<br />

von Bernat Vivancos Vocal Ice, einem berührenden, nur auf die Vokale „a“<br />

und „o“ intonierten Trauergesang, sowie das katalanische Volks- und<br />

Freiheitslied El Cant dels Ocells. In den über das Album versprengten<br />

Instrumentalteilen klingt Tango-„Halbgott“ Astor Piazzollas Gegenentwurf<br />

zu Vivaldi: die Vier Jahreszeiten von Buenos Aires, bei denen die Cellisten<br />

des SO Basel auf ihren Instrumenten nicht<br />

nur singen, sondern angelegentlich auch leidenschaftlich<br />

klopfen, kreischen, wimmern und kratzen.<br />

Zum Tanzen und Schwelgen! MG<br />

Nuria Rial: „Vocalise“, 8 Cellists of the Sinfonieorchester Basel<br />

(Sony)<br />

IMPRESSUM<br />

VERLAG<br />

Port Media GmbH, Rindermarkt 6, 80331 München<br />

Telefon: +49-(0)89-74 15 09-0, Fax: -11<br />

info@crescendo.de, www.crescendo.de<br />

Port Media ist Mitglied im Verband Deutscher Zeitschriftenverleger<br />

und im AKS Arbeitskreis Kultursponsoring<br />

HERAUSGEBER<br />

Winfried Hanuschik | hanuschik@crescendo.de<br />

VERLAGSLEITUNG<br />

Petra Lettenmeier | lettenmeier@crescendo.de<br />

ART DIRECTOR<br />

Stefan Steitz<br />

REDAKTIONSLEITUNG<br />

Dr. Maria Goeth (MG)<br />

REDAKTION „ERLEBEN“<br />

Ruth Renée Reif (RR)<br />

SCHLUSSREDAKTION<br />

<strong>Mai</strong>ke Zürcher<br />

KOLUMNISTEN<br />

John Axelrod, Axel Brüggemann, Attila Csampai (AC),<br />

Daniel Hope, Christoph Schlüren (CS), Stefan Sell (SELL)<br />

MITARBEITER DIESER AUSGABE<br />

Roland H. Dippel (DIP), Verena Fischer-Zernin (VFZ), Malve Gradinger (GRA), Ute Elena<br />

Hamm (UH), Klaus Härtel (KH), Sina Kleinedler (SK), Katherina Knees (KK), Corina Kolbe<br />

(CK), Guido Krawinkel (GK), Jens Laurson (JL), Anna Mareis (AM), Teresa Pieschacón<br />

Raphael (TPR), Alexander Rapp (LXR), Antoinette Schmelter-Kaiser (ASK), Uta Swora<br />

(US), Mario Vogt (MV), Dorothea Walchshäusl (DW)<br />

VERLAGSREPRÄSENTANTEN<br />

Tonträger: Petra Lettenmeier | lettenmeier@crescendo.de<br />

Kulturbetriebe: Cornelia Engelhard | engelhard@crescendo.de<br />

Touristik & Marke: Heinz Mannsdorff | mannsdorff@crescendo.de<br />

Verlage: Hanspeter Reiter | reiter@crescendo.de<br />

AUFTRAGSMANAGEMENT<br />

Michaela Bendomir | bendomir@portmedia.de<br />

GÜLTIGE ANZEIGENPREISLISTE<br />

Nr. 21 vom 09.09.2017<br />

DRUCK<br />

Westermann Druck, Georg-Westermann-Allee 66, 38104 Braunschweig<br />

VERTRIEB<br />

PressUp GmbH, Wandsbeker Allee 1, 22041 Hamburg<br />

www.pressup.de<br />

ERSCHEINUNGSWEISE<br />

crescendo ist im Zeitschriftenhandel, bei Opern- und Konzert häusern, im Kartenvorkauf<br />

und im Hifi- und Tonträgerhandel erhältlich. Copyright für alle Bei träge bei Port Media<br />

GmbH. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Verfassers, nicht<br />

unbedingt die der Redaktion wieder. Nachdruck und Vervielfältigung, auch auszugsweise,<br />

nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags. Für unverlangt eingesandte Manuskripte<br />

und Fotos wird keine Gewähr übernommen.<br />

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Das crescendo Premium-Abo umfasst sieben Ausgaben inklusive „crescendo<br />

Festspiel-Guide“ und zusätzlich sechs exklusive heftbegleitende Premium-CDs und kostet<br />

EUR 55,- pro Jahr inkl. MwSt. und Versand (Stand: 01.01.2017). Versand ins europ. Ausland:<br />

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Telefon: +49-89-85 85-35 48, Fax: -36 24 52, abo@crescendo.de<br />

Verbreitete Auflage:<br />

67.234 (lt. IVW-Meldung 1V/2017)<br />

ISSN: 1436-5529<br />

geprüfte Auflage<br />

(TEIL-)BEILAGEN / BEIHEFTER:<br />

CLASS: aktuell; Deutsche Mozartgesellschaft;<br />

Reise und Kultur I-20<strong>18</strong>; Messe München; Schubertiade<br />

DAS NÄCHSTE <strong>CRESCENDO</strong><br />

ERSCHEINT AM 16. APRIL 20<strong>18</strong>.<br />

crescendo<br />

unterstützt<br />

35


R Ä T S E L<br />

GEWINNSPIEL<br />

Wer verbirgt sich hinter diesem Text?<br />

ATTILA CSAMPAI<br />

LIVE<br />

Am 8. <strong>Mai</strong> ist in München eine echte<br />

Weltpremiere zu erleben: crescendo-<br />

Chefrezensent und Kritikerlegende<br />

Attila Csampai („Attila empfiehlt“,<br />

siehe Seite 26) stellt live bei Steinway<br />

& Sons München seine Lieblingsplatten<br />

und außergewöhnliche Neuerscheinungen<br />

vor. Präsentiert werden<br />

die Hör-Leckerbissen auf einem<br />

innovativen Highend-Soundsystem:<br />

dem Devialet Gold Phantom.<br />

Mein Leben war wie eine Rose: voll Dornen und schön zugleich<br />

Mein Leben war vorgezeichnet, als ich als Tochter einer minderjährigen<br />

Straßensängerin und eines Akrobaten in den Salons des<br />

großmütterlichen Bordells aufwuchs. Schon in jungen Jahren<br />

hatte ich meinen eigenen Willen, entkam der Gewalttätigkeit des<br />

Milieus und verließ den Wanderzirkus meines alkoholsüchtigen<br />

Vaters. Mein Schicksal wendete sich nicht, als ich früh Mutter<br />

wurde und mein einziges Kind im Kleinkindalter starb oder als<br />

mein Mentor ermordet wurde, ich öffentlich der Mitwisserschaft<br />

bezichtigt wurde und die Stadt verlassen musste. Aber ich stand<br />

immer wieder auf und eines Tages feierte man mich und meine<br />

Skandale auf Europas Bühnen.<br />

Zeit meines Lebens strickte ich an meiner eigenen Legende.<br />

Die Presse lag mir zu Füßen und berichtete von meinen Schmerzen,<br />

die ich mit Morphium und Alkohol stillte, oder von der endlosen<br />

Schlange an Geliebten, darunter mein tragisch verunglückter<br />

Lebensgefährte oder mein viel zu junger Ehemann. Meine Liebens-<br />

und Leidensfähigkeit gab meiner Musik die gewaltige<br />

Authentizität, die das Glück und die Trauer, die Lust und das<br />

Elend meiner Seele widerspiegelten. Ich förderte den musikalischen<br />

Nachwuchs meines Heimatlandes, begeisterte mit der<br />

Melancholie meiner Melodien die Welt und führte ein Leben für<br />

die Bühne. Und nein, gar nichts, ich bedaure nichts!<br />

RÄTSEL LÖSEN UND<br />

CHRISTA LUDWIG GEWINNEN!<br />

Was ist hier gesucht? Wenn Sie die Antwort kennen,<br />

dann schreiben Sie Ihre Lösung unter dem Stichwort<br />

„Alltags-Rätsel“ an die crescendo- Redaktion,<br />

Rindermarkt 6, 80331 München oder per E-<strong>Mai</strong>l an<br />

gewinnspiel@crescendo.de. Unter den richtigen Einsendungen<br />

verlosen wir die CD-Box „Christa Ludwig. The Complete Recitals on<br />

Warner Classics“ (Warner). Einsendeschluss ist der 30.4.20<strong>18</strong>.<br />

Die Gewinnerin unseres letzten Alltagsrätsels ist Nicole Nelle aus<br />

Göppingen. Die Lösung war „Ennio Morricone“.<br />

Der in Budapest geborene Csampai stammt aus einer österreichisch-ungarischen<br />

Musikerfamilie. Die Mutter Opernsängerin,<br />

der Vater Geiger, war er von klein auf von Musik umgeben. Der<br />

ungarische Volksaufstand zwang ihn 1957 zur Emigration nach<br />

München, wo er Musikwissenschaft, Theatergeschichte, Philosophie,<br />

Soziologie, Mathematik und andere Fächer studierte.<br />

Seine Essays, seine Aufsätze und Werkkommentare in Fachzeitschriften<br />

und vor allem seine zahlreichen Musikbücher sind seitdem<br />

legendär und begleiteten nicht nur Generationen von<br />

Musikwissenschaftlern, sondern auch interessierte Laien und die<br />

Künstler selbst. 32 Jahre lang war Attila Csampai beim Bayerischen<br />

Rundfunk beschäftigt. Für seine private Plattensammlung<br />

musste er regelrecht anbauen: Sie umfasst rund 40.000 CDs<br />

und 8.000 LPs. Bei „Attila Csampai live“ wird er besonders<br />

herausragende historische Interpretationen mit ungewöhnlichen<br />

aktuellen Hör-Raritäten und Hör-Sensationen kontrastieren<br />

– immer gepaart mit einem unglaublichen, über Jahrzehnte<br />

angesammelten Hintergrundwissen. Die Moderation des<br />

Abends übernimmt Dr. Maria Goeth, leitende Redakteurin<br />

von crescendo.<br />

Das Soundsystem zum Vortrag stammt vom französischen<br />

Unternehmen Devialet und hat durch seine besondere Analog-<br />

Digital-Hybrid-Technologie einen außergewöhnlichen Klang mit<br />

sehr klaren Höhen und voluminösen Bässen. Tatsächlich ist<br />

Devialet derzeit das am häufigsten ausgezeichnete Start-up der<br />

Welt. Alle Bauteile, Technologie und Design werden in Frankreich<br />

entwickelt und produziert.<br />

Dienstag, 8. <strong>Mai</strong> um <strong>18</strong>.30 Uhr, Steinway & Sons,<br />

Landsberger Str. 336, 80687 München, Eintritt: 10 Euro<br />

Exklusiv für crescendo-Leser:<br />

Bei Voranmeldung unter www.crescendo.de/attilalive<br />

erhalten Sie freien Eintritt!<br />

36 w w w . c r e s c e n d o . d e — Februar – <strong>März</strong> 20<strong>18</strong>


ERLEBEN<br />

Die wichtigsten Termine und Veranstaltungen im <strong>März</strong>, April und <strong>Mai</strong> im Überblick (ab Seite 38)<br />

Schostakowitsch Tage Gohrisch: Ein Komponist in Zerissenheit zwischen Repression und Ideal (Seite 44)<br />

Frauenkirche Dresden: Wie Klang und Raum in Harmonie verschmelzen (Seite 46)<br />

14. bis 22. April<br />

MÜNCHEN<br />

BALLETT-<br />

FESTWOCHE<br />

Wayne McGregor begreift den<br />

Körper nicht bloß als Instrument<br />

lyrischer Bewegungen. Vielmehr<br />

sieht er weiteres physisches Potenzial,<br />

das er mit seinen Choreografien<br />

zu ergründen sucht. „Jeder trägt seine<br />

eigene körperliche Geschichte“,<br />

betont er. Das Bayerische Staatsballett<br />

widmet ihm zum Auftakt seiner<br />

BallettFestwoche einen dreiteiligen<br />

Porträtabend. „Borderlands“<br />

zur Musik von Joel Cadbury und Paul<br />

Stone entstand aus der Inspiration<br />

von den streng geometrischen Formen<br />

Josef Albers’. Die Choreografie<br />

lässt die Gemälde des Bauhaus-<br />

Künstlers im Tanz erfahrbar werden.<br />

Für „Kairos“, übersetzt mit „Wetter“,<br />

verwendet McGregor die Neukomposition<br />

der Vier Jahreszeiten, die<br />

Max Richter vornahm, indem er aus<br />

Vivaldis Musik Muster ausschnitt und<br />

auf subtile Weise neu einfügte. Den<br />

Schlussteil bildet die Uraufführung einer<br />

Choreografie, die McGregor mit<br />

den Tänzern in München einstudiert.<br />

München, Bayerische Staatsoper,<br />

www.staatsoper.de<br />

FOTO: JUDITH SCHLOSSER<br />

37


E R L E B E N<br />

<strong>März</strong> / April / <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong><br />

DIE WICHTIGSTEN<br />

VERANSTALTUNGEN AUF<br />

EINEN BLICK<br />

Ihr persönlicher Navigator für Premieren, Konzerte und Festivals<br />

PREMIEREN<br />

15.3. MÜNCHEN GÄRTNERPLATZ-<br />

THEATER Weiße Rose / U. Zimmermann<br />

16.3. BRAUNSCHWEIG<br />

STAATSTHEATER Elektra / R. Strauss<br />

16.3. LÜBECK THEATER<br />

Luci mie traditrici / S. Sciarrino<br />

16.3. HEIDELBERG THEATER<br />

Faust (Margarete) / C. Gounod<br />

17.3. BERLIN KOMISCHE OPER<br />

Blaubart / J. Offenbach<br />

17.3. ERFURT THEATER<br />

Der fliegende Holländer / R. Wagner<br />

17.3. HOF THEATER<br />

Ein Traumspiel / A. Reimann<br />

17.3. LEIPZIG OPER<br />

Tannhäuser / R. Wagner<br />

17.3. MAINZ STAATSTHEATER<br />

Don Carlo / G. Verdi<br />

17.3. NÜRNBERG STAATSTHEATER<br />

Die Soldaten / B. A. Zimmermann<br />

17.3. REGENSBURG THEATER<br />

Cabaret / J. Kander<br />

17.3. WIEN (AT) VOLKSOPER<br />

Carousel / R. Rodgers<br />

<strong>18</strong>.3. BERLIN DEUTSCHE OPER<br />

Das Wunder der Heliane / E. Korngold<br />

<strong>18</strong>.3. KÖLN OPER<br />

Gli Uccellatori / F. L. Gassmann<br />

23.3. LEIPZIG OPER<br />

Alice im Wunderland / M. Mahr<br />

24.3. AUGSBURG THEATER<br />

La forza del destino / G. Verdi<br />

24.3. CHEMNITZ THEATER<br />

Die Walküre / R. Wagner<br />

24.3. KAISERSLAUTERN THEATER<br />

The Rake‘s Progress / I. Strawinsky<br />

24.3. KASSEL STAATSTHEATER<br />

The Rake‘s Progress / I. Strawinsky<br />

24.3. TRIER THEATER<br />

Into the woods / S. Sondheim<br />

24.3. WIEN (AT) STAATSOPER<br />

Dantons Tod / G. v. Einem<br />

24.3. LUZERN (CH) THEATER<br />

Faust-Szenen / R. Schumann<br />

25.3. BERLIN STAATSOPER<br />

Falstaff / G. Verdi<br />

25.3. MANNHEIM NATIONALTHEATER<br />

Pelleas und Melisande / C. Debussy<br />

25.3. STUTTGART STAATSTHEATER<br />

Don Pasquale / G. Donizetti<br />

28.3. BASEL (CH) THEATER<br />

Trouble in Tahiti / L. Bernstein<br />

29.3. ULM THEATER<br />

Motezuma / A. Vivaldi<br />

4. April bis 6. <strong>Mai</strong>, Wolfsburg<br />

FORTGESCHRIEBENE<br />

MUSIKGESCHICHTE<br />

Cellist Benedict Klöckner und Violinistin Franziska Hölscher mit<br />

dem Leiter des Ensembles Risonanze Erranti Peter Tilling<br />

Mit seinen über 400 Kompositionen hat Wolfgang Rihm ein Universum<br />

geschaffen. Anlässlich seines 65. Geburtstags vermittelt<br />

das Ensemble Risonanze Erranti unter Peter Tilling im Rahmen<br />

der Movimentos Festwochen Einblicke in die Anfänge von Rihms<br />

kompositorischer Arbeit. Von der prägenden Erfahrung „schöpferischen<br />

Zwangs“ sprach Rihm einmal. Sie führte ihn schon in den<br />

60er-Jahren zum Komponieren. 1968 kam er in die Kompositionsklasse<br />

von Eugen Werner Velte an die Karlsruher Musikhochschule.<br />

Tilling studierte ebenfalls an dieser Hochschule. Risonanze<br />

Erranti gründete er als Solistenensemble für Neue Musik mit befreundeten<br />

Musikern von der Hochschule. Auch mit Rihm, der<br />

1985 seinem Lehrer Velte als Professor für Komposition nachgefolgt<br />

war, kam er in einen künstlerischen Austausch. So überließ<br />

Rihm ihm zwei Stücke zur Uraufführung, die er im Alter zwischen<br />

17 und <strong>18</strong> Jahren geschrieben hatte: Concertino für Violine und Streicher<br />

und Doppelkonzert für zwei Celli und Streichorchester. Auf dem<br />

Programm des Porträtkonzerts stehen zudem auf besonderen<br />

Wunsch Rihms zwei Sinfonien von Carl Philipp Emanuel Bach. Zum<br />

Abschluss erklingt Epilog, Rihms Abschiedsgeschenk an Hans-Peter<br />

Jahn, den Leiter der Stuttgarter Tage für Neue Musik Eclat, der<br />

für Rihm die schönsten Worte fand: „Er hat die Musikgeschichte<br />

weitergebracht.“<br />

Wolfsburg, verschiedene Spielorte, www.movimentos.de<br />

FOTO: IRENE ZANDEL<br />

31.3. BREMEN THEATER<br />

Die Fledermaus / J. Strauß<br />

31.3. ESSEN THEATER<br />

Salome / R. Strauss<br />

1.4. FRANKFURT OPER<br />

Aus einem Totenhaus / L. Janáček<br />

2.4. AUGSBURG THEATER<br />

Die große Wörterfabrik / M. Zels<br />

6.4. DRESDEN OPER<br />

Cabaret / J. Kander<br />

6.4. HALLE OPER<br />

Inferno / E. Palomar<br />

7.4. BERN (CH) KONZERTTHEATER<br />

Carmen / G. Bizet<br />

7.4. BRAUNSCHWEIG<br />

STAATSTHEATER Gold! / L. Evers<br />

7.4. DÜSSELDORF OPERNHAUS<br />

Siegfried / R. Wagner<br />

7.4. LEIPZIG OPER<br />

Herzog Blaubarts Burg / B. Bartók<br />

7.4. PLAUEN THEATER<br />

Im weißen Rössl / R. Benatzky<br />

7.4. GRAZ (AT) OPER<br />

Il viaggio a Reims / G. Rossini<br />

8.4. DESSAU THEATER<br />

Aglaja / A. Hantke<br />

8.4. DORTMUND THEATER<br />

Nabucco / G. Verdi<br />

8.4. ZÜRICH (CH) OPERNHAUS<br />

Maria Stuarda / G. Donizetti<br />

11.4. BRAUNSCHWEIG STAATS-<br />

THEATER La voix humaine / F. Poulenc<br />

12.4. MANNHEIM<br />

NATIONALTHEATER Die Krönung der<br />

Poppea / C. Monteverdi<br />

13.4. MEININGEN STAATSTHEATER<br />

Ariadne auf Naxos / R. Strauss<br />

13.4. MÜNCHEN STAATSOPER<br />

Der Diktator, Der zerbrochene Krug /<br />

E. Krenek, V. Ullmann<br />

14.4. HANNOVER STAATSTHEATER<br />

Aida / G. Verdi<br />

14.4. LINZ (AT) LANDESTHEATER<br />

Eugen Onegin / P. Tschaikowsky<br />

14.4. MÜNSTER THEATER<br />

Aschenputtel / J. Massenet<br />

14.4. WIEN (AT) VOLKSOPER<br />

Marilyn Forever / G. Bryars<br />

14.4. PASSAU STADTTHEATER<br />

Lucrezia Borgia / G. Donizetti<br />

15.4. AACHEN THEATER<br />

Dialogues des Carmélites / F. Poulenc<br />

<strong>18</strong>.4. KÖLN OPER<br />

Mosè in Egitto / G. Rossini<br />

21.4. SALZBURG (AT)<br />

LANDESTHEATER Cardillac /<br />

P. Hindemith<br />

38 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


Münchener Biennale 20<strong>18</strong>:<br />

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DU: 25-02-20<strong>18</strong><br />

FOTOS: ANNE VAN AERSCHOT; GEGHARD ENSEMBLE; MARGARET MALANDRUCCOLO / DG; JULIA BAIER; HOLGER TALINSKI; JAKOB ERPF LAURA VANSEVICIENE; MANFRED ESSER; ESTHER KOCHTE; DOMINIK ODENKIRCHEN; MEI LEWIS; CORA SUNDMACHER; STEPHAN POLZER<br />

17. <strong>März</strong> bis 21. April<br />

HEIDELBERG HEIDELBERGER FRÜHLING<br />

„Eigen-Arten“ lautet der Leitgedanke des internationalen<br />

Festivals Heidelberger Frühling.<br />

Damit findet die Trilogie zu Kernmotiven der<br />

Aufklärung ihre Fortsetzung. Den emphatischen<br />

Begriff der Freiheit, für den die USA stehen,<br />

lassen das Binnenfestival „Standpunkte“<br />

mit Werken von John Cage, Samuel Barber,<br />

Charles Ives und Philip Glass sowie das Wandelkonzert mit Werken der<br />

Exilkomponisten Ernst Krenek, Paul Hindemith und Hanns Eisler hörbar<br />

werden. Igor Levit erinnert in einem Ragtime-Konzert mit Musik<br />

schwarzer Komponisten wie Scott Joplin dagegen daran, dass die USA<br />

kein Hort der Freiheit für alle Bevölkerungsgruppen sind. „Neuland.<br />

Lied“ greift den Leitgedanken aus allgemein menschlicher Perspektive<br />

auf. Was macht uns aus?, fragen Tara Erraught, Anna Lucia Richter, Anna<br />

Stéphany, Sarah Maria Sun sowie Ilker Arcayürek und Mark Padmore mit<br />

fünf großen Schumann-Zyklen. Ebenfalls mit fünf Programmen ist der<br />

Cellist Jean-Guihen Queyras (Bild) als Artist in Residence zu erleben.<br />

Mit Sokratis Sinopoulos auf der Lyra erkundet er die Begegnung abendländischer<br />

und orientalischer Kultur in Thrakien, und mit der Choreografin<br />

Anne Teresa De Keersmaeker und drei Tänzern widmet er sich<br />

den Cellosuiten Bachs. Über 100 Veranstaltungen umfasst das Programm,<br />

das vom Mahler Chamber Orchestra unter François-Xavier<br />

Roth und Daniele Gatti umrahmt wird.<br />

Heidelberg, verschiedene Spielorte, www.heidelberger-fruehling.de<br />

17. und <strong>18</strong>. <strong>Mai</strong><br />

ESSEN HOLLYWOOD<br />

„Hollywood gleicht einer wunderbaren,<br />

gigantischen Berg- und Talbahn mit wahnsinniger<br />

Geschwindigkeit und halsbrecherischen<br />

Krisen“, beschrieb Vicki Baum die Traumstadt.<br />

Nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs<br />

wurde sie zur lebensrettenden Adresse für<br />

zahlreiche Emigranten. Der Violinist Daniel<br />

Hope (Bild) erinnert mit den Essener Philharmonikern an die Komponisten,<br />

die von Hollywood angezogen wurden und vor Hitler ins Exil<br />

flohen. Max Steiner machte sich 1929 mit Beginn des Tonfilms auf die<br />

Reise und schrieb Musik für die Liebesgeschichte Vom Winde verweht.<br />

Erich Wolfgang Korngold folgte 1934 einer Einladung Max Reinhardts<br />

und entkam dank seiner Tätigkeit für Warner Brothers Hitlers Schergen.<br />

Miklós Rózsa, der für Hitchcocks Spellbound komponierte, emigrierte<br />

1940. Am Pult der Philharmoniker steht John Axelrod, und so<br />

sind die beiden Abende auch ein Zusammentreffen zweier crescendo-<br />

Kolumnisten.<br />

Essen, Philharmonie, www.philharmonie-essen.de<br />

12. <strong>Mai</strong> bis 30. September<br />

MAULBRONN KLOSTERKONZERTE<br />

Seit 50 Jahren bieten die Klosterkonzerte<br />

Chor- und Kammermusik in stimmungsvoller<br />

Atmosphäre. Maulbronn gilt als die am vollständigsten<br />

erhaltene Klosteranlage des Mittelalters<br />

nördlich der Alpen. Aus dem von den<br />

Zisterziensern begonnenen Bau entstand über<br />

die Jahrhunderte eine riesige Klosterstadt, die<br />

seit 1993 zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt. Die räumlichen Gegebenheiten<br />

ermöglichen eine Vielfalt an Konzertformaten sowie anregende<br />

Begegnungen zwischen Künstlern und Publikum. Seit 2014 laden<br />

zudem Orgelkonzerte an der neuen Orgel aus der Werkstätte Gerhard<br />

Grenzings in die Klosterkirche. Es spielen Martin Sander, Erika Budday<br />

und Iveta Apkalna die Werke der lettischen Komponisten Alfrēds Kaliņš<br />

und Lūcija Garūta sowie ein Letzterer gewidmetes Werk von Ēriks<br />

Ešenvalds. Geistlichen und weltlichen Chorgesang bringt das Geghard<br />

Ensemble aus Armenien. Der Frauenchor des St. Geghard Klosters im<br />

Azat-Tal wurde 2001 von der Sängerin und Dirigentin Anahit Papayan<br />

Hauptsponsoren<br />

MÜNCH—N—R<br />

BI—NNAL—<br />

F—STIVAL FÜR<br />

N—U—S<br />

MUSIKTH—AT—R<br />

2.–12.6.<strong>18</strong><br />

Münchener Biennale<br />

Festival für neues Musiktheater<br />

info@muenchenerbiennale.de<br />

www.muenchenerbiennale.de<br />

Rheingau<br />

Musik<br />

Festival<br />

23. Juni bis 1. Sept. 20<strong>18</strong><br />

www.rheingau-musik-festival.de<br />

Telefon 0 67 23 / 60 21 70<br />

Co-Sponsoren<br />

Medienpartner<br />

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39


E R L E B E N<br />

24. <strong>März</strong> bis 2. April<br />

OSTERFREUDEN IN BERLIN<br />

Wagners Parsifal in Berlin<br />

FOTO: RUTH WALZ<br />

„Alles ist Spaß auf Erden“ – mit einer Neuinszenierung von Falstaff<br />

feiert Berlin die Ostertage. Mario Martone inszeniert Verdis Alterswerk.<br />

In der Rolle des Schwerenöters und betrogenen Betrügers ist<br />

Michael Volle zu erleben. Daniel Barenboim führt den Taktstock.<br />

Er leitet auch die Wiener Philharmoniker am Eröffnungsabend bei<br />

Mahlers Siebter Sinfonie sowie Wagners Parsifal in der Inszenierung<br />

von Dmitri Tcherniakov mit Andreas Schlager in der Titelrolle.<br />

Das Dirigieren ermüde ihn nicht, erklärte er einmal, im Gegenteil,<br />

die Musik gebe ihm Energie. Und so sitzt er zum Abschluss neben<br />

Martha Argerich am Flügel beim Duo-Recital mit Werken von<br />

Claude Debussy.<br />

Berlin, Staatsoper Unter den Linden, www.staatsoper-berlin.de<br />

KÜNSTLER<br />

ALLIAGE QUINTETT<br />

17.4. Hannover, Forum am<br />

Schiffsgraben<br />

PIOTR ANDERSZEWSKI<br />

<strong>18</strong>.4. Berlin, Boulez Saal<br />

21.4. Dortmund, Konzerthaus<br />

23.4. Wien (AT), Konzerthaus<br />

24.4. Innsbruck (AT), Tiroler<br />

Landeskonservatorium<br />

ARTEMIS QUARTETT<br />

20.3. Bremen, Die Glocke<br />

22.3. Frankfurt, Alte Oper<br />

DANIEL BARENBOIM<br />

<strong>18</strong>., 25., 28., 30.3., 1., 2.4.<br />

Berlin, Staatsoper<br />

23.3. Leipzig, Gewandhaus<br />

24.3. Wien (AT), Konzerthaus<br />

29., 31.3., 16., 17.4. Berlin,<br />

Philharmonie<br />

MICHAEL BARENBOIM<br />

24.3. Hamburg, Elbphilharmonie<br />

LISA BATIASHVILI<br />

3.4. Wien (AT), Musikverein<br />

17.4. Berlin, Staatsoper<br />

KRISTIAN BEZUIDENHOUT<br />

13.4. Berlin, Boulez Saal<br />

22.4. Lorrach, Burghof<br />

GÁBOR BOLDOCZKI<br />

12.4. Nienburg, Giebelsaal<br />

14.4. Grenchen, St. Eusebius<br />

15.4. Bad Säckingen, Kursaal<br />

IAN BOSTRIDGE<br />

26.3. Hamburg, Laeiszhalle<br />

BRANDENBURGISCHES<br />

STAATSORCHESTER<br />

23.3., 8., 13., 14.4. Frankfurt (Oder),<br />

Konzerthalle<br />

1.4., 14.4. Potsdam, Nikolaisaal<br />

ISABELLE FAUST<br />

24.3. Heidelberg, Stadthalle<br />

20.4. München, Prinzregententheater<br />

DAVID FRAY<br />

6.4. Heidelberg, Stadthalle<br />

KIRILL GERSTEIN<br />

15., 16., 17.4. Köln, Philharmonie<br />

22.4. Berlin, Philharmonie<br />

SOL GABETTA<br />

<strong>18</strong>.3. Heidelberg, Stadthalle<br />

19.3. Köln, Philharmonie<br />

25., 26., 31.3., 1.4. Salzburg (AT),<br />

Mozarteum<br />

9.4. München, Prinzregententheater<br />

10.4. Hamburg, Elbphilharmonie<br />

11.4. Düsseldorf, Tonhalle<br />

14., 15., 16.4. Wien (AT), Konzerthaus<br />

CHRISTIAN GERHAHER<br />

<strong>18</strong>., 23., 25.3. Zürich (CH), Opernhaus<br />

11.4. Bamberg, Konzerthalle<br />

13.4. Frankfurt, Alte Oper<br />

15., 21.4. Wien (AT), Konzerthaus<br />

RAPHAELA GROMES<br />

15.4. Rheinberg, Stadthalle<br />

21.4. Kempten, Stadttheater<br />

HILARY HAHN<br />

17.3. Hamburg, Elbphilharmonie<br />

19.3. München, Gasteig<br />

ELDBJØRG HEMSING<br />

11.4. Paderborn, PaderHalle<br />

12.4. Minden, Stadttheater<br />

13.4. Herford, Stadtpark Schützenhof<br />

14.4. Bad Salzuflen, Konzerthalle<br />

15.4. Bad Oeynhausen, Theater im Park<br />

17.4. Detmold, Konzerthaus<br />

<strong>18</strong>.4. Gütersloh, Stadthalle<br />

SIMON HÖFELE<br />

17.3. Berlin, Konzerthaus<br />

22., 23.4. Aachen, Eurogress<br />

JONAS KAUFMANN<br />

17.4. Hamburg, Staatsoper<br />

23., 26., 29.4., 2.5. Wien (A),<br />

Staatsoper<br />

9.5. Nürnberg, Meistersingerhalle<br />

16.5. Stuttgart, Liederhalle<br />

21.5. Salzburg (A),<br />

Großes Festspielhaus<br />

28.6. München, Staatsoper<br />

IGOR LEVIT<br />

14.4. Heidelberg,<br />

Konsgesshaus Stadthalle<br />

29.4. München, Prinzregententheater<br />

16., 17.5. Wien (A), Musikverein<br />

19.5. Potsdam, Nikolaisaal<br />

22.5. Baden-Baden, Festspielhaus<br />

24.5. Bremen, Die Glocke<br />

27.5. Hannover, Sendesaal<br />

28.5. Braunschweig, Stadthalle<br />

29.5. Berlin, Konzerthaus<br />

30.5. Frankfurt am <strong>Mai</strong>n, Alte Oper<br />

REGULA MÜHLEMANN<br />

17.3. Ludwigsburg, Forum am<br />

Schlosspark<br />

19.3. Wien (AT), Theater an der Wien<br />

25.3. Freiburg, Konzerthaus<br />

29.3. Basel (CH), St. Martin<br />

30.3. Luzern (CH), KKL Luzern<br />

ANDRIS NELSONS<br />

16.3., 19.4. Leipzig, Gewandhaus<br />

40 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


FOTOS: ANNE VAN AERSCHOT; GEGHARD ENSEMBLE; MARGARET MALANDRUCCOLO / DG; JULIA BAIER; HOLGER TALINSKI; JAKOB ERPF LAURA VANSEVICIENE; MANFRED ESSER; ESTHER KOCHTE; DOMINIK ODENKIRCHEN; MEI LEWIS; CORA SUNDMACHER; STEPHAN POLZER<br />

gegründet. Künstlerischer Leiter ist Mher Navoyan, Spezialist für mittelalterliche<br />

Musik am Konservatorium Jerewan. Gefeiert wird das Jubiläum<br />

an einem Festwochenende im Klosterhof. Auf einer großen Open-Air-<br />

Bühne entzünden Perkussionist Martin Grubinger, Permament Artist in<br />

Residence Bernd Glemser am Flügel und die SWR Big Band ein musikalisches<br />

Feuerwerk. Das GrauSchumacher Piano Duo und Klaus Maria<br />

Brandauer verzaubern mit Shakespeares Sommernachtstraum und<br />

Mendelssohn Bartholdys Musik.<br />

Maulbronn, Klosteranlage, www.klosterkonzerte.de<br />

10. April<br />

BREMEN 150 JAHRE BRAHMS-REQUIEM<br />

„Was den Text betrifft, so will ich bekennen,<br />

dass ich recht gern auch das ‚Deutsch‘ fortließe<br />

und einfach den ‚Menschen‘ setzte“, schrieb<br />

Johannes Brahms an Karl Rheinthaler, den Dirigenten<br />

des Domchores in Bremen. Ein deutsches<br />

Requiem nach Worten der heiligen Schrift entstand<br />

zwischen <strong>18</strong>57 und <strong>18</strong>68. „Den Menschen, die<br />

da Leid tragen; sie sollen getröstet werden“, wählte Brahms als Widmung<br />

für die Partitur. <strong>18</strong>68 brachte Rheinthaler das Requiem im Dom<br />

zur Uraufführung. 150 Jahre danach kommt es „am Ort des Triumphes“<br />

durch die Kammerphilharmonie Bremen und ihren Chefdirigenten Paavo<br />

Järvi erneut zur Aufführung.<br />

Bremen, St. Petri Dom, www.kammerphilharmonie.com<br />

28. April bis 11. <strong>Mai</strong><br />

KÖLN ACHT BRÜCKEN<br />

Eine jener Findungen, wie sie gelegentlich<br />

nach langen Jahren des Suchens zuteilwerden“,<br />

nannte Bernd Alois Zimmermann das<br />

Drama Die Soldaten des Sturm-und-Drang-<br />

Dichters Jakob Lenz. Der Oberspielleiter des<br />

Kölner Opernhauses hatte ihn darauf hingewiesen,<br />

und Zimmermann schuf daraus eines<br />

der großen lyrischen Meisterwerke des 20. Jahrhunderts. Er wollte<br />

damit seine Vorstellung von der „Kugelgestalt der Zeit“ umsetzen,<br />

nach der Gegenwart schon Vergangenheit ist, indem sie geschieht,<br />

und Zukunft bereits Gegenwart geworden ist. Der Zuschauer sollte<br />

alle drei Zeitebenen vor sich haben. Anlässlich der 100. Wiederkehr<br />

von Zimmermanns Geburtstag kommt die Oper im Rahmen des<br />

Acht-Brücken-Festivals unter der musikalischen Leitung von François-Xavier<br />

Roth und in der Inszenierungen von Carlus Padrissa<br />

wieder auf die Kölner Bühne. 56 Veranstaltungen mit 17 Uraufführungen<br />

bietet das Festival insgesamt.<br />

Köln, verschiedene Spielorte, www.achtbruecken.de<br />

26. <strong>Mai</strong><br />

MANNHEIM VESPERTINE<br />

Die Klangwelten der Pop-Musikerin Björk faszinieren<br />

durch ihren Facettenreichtum. Aus Glockenklängen,<br />

Harfen und Alltagslauten webt sie<br />

auf dem Album „Vespertine“ (Abendlich) eine<br />

intime Atmosphäre, die sich immer wieder zu<br />

großem Orchesterklang öffnet. Kirsten Dehlholm<br />

(Bild) und ihre Künstlergruppe Hotel Pro<br />

Forma lassen sich davon zu einer Oper inspirieren. Eine Wissenschaftlerin<br />

und ihre Doppelgängerin sind die Protagonistinnen. Sie vergraben<br />

sich in die Geheimnisse des Laboratoriums und die Hervorbringung von<br />

Leben. Zum ersten Mal in der Geschichte ist die Menschheit in der Lage,<br />

künstliches Leben und künstliche Intelligenz zu schaffen. Gottgleiche<br />

Möglichkeiten scheinen in Reichweite. Wird ein goldenes Zeitalter anbrechen?<br />

Auf der Grundlage des altgriechischenen Mythos Gaia stellt<br />

„Vespertine“ Fragen über die Erde, die Natur sowie das menschliche und<br />

himmlische Universum.<br />

Mannheim, Nationaltheater, 26. (Premiere) und 30.5., 3., 10. und 20.6. sowie<br />

5. und 25.7., www.nationaltheater-mannheim.de<br />

ALICE SARA OTT<br />

21., 22.3. Krün, Schloss Elmau<br />

7., 8.4. Dresden, Kulturpalast<br />

<strong>18</strong>.4. Köln, Philharmonie<br />

24.4. München, Gasteig<br />

25.4. Regensburg, Audimax<br />

ANDREAS OTTENSAMER<br />

20.3. Dortmund, Konzerthaus<br />

QUATUOR ÉBÈNE<br />

15.4. Düsseldorf, Tonhalle<br />

17.4. Fürth, Stadttheater<br />

<strong>18</strong>., 19., 20.4. Krün, Schloss Elmau<br />

JEAN RONDEAU<br />

22.3. Köln, Balloni Hallen<br />

1.4. Passau, Heilig-Geist-Kirche<br />

GRIGORY SOKOLOV<br />

19.3. Freiburg, Hochschule für Musik<br />

15.4. Heidelberg, Stadthalle<br />

19.4. Homburg, Kulturzentrum Saalbau<br />

21.4. München, Herkulessaal<br />

MARTIN STADTFELD<br />

14.4. Böblingen, Sparkassenforum<br />

5.5. Baden-Baden, Festspielhaus<br />

16.5. Bregenz (A), Festspielhaus<br />

17.5. Innsbruck (A), Congress<br />

29.5. Köln, Philharmonie<br />

31.5. Dresden,<br />

Palais im Großen Garten<br />

ALEXANDRE THARAUD<br />

1.4. Erfurt, Theater<br />

2.4. Weimar, Schießhaus<br />

FRANZ WITTENBRINK<br />

28.3. Leipzig, Oper<br />

<strong>18</strong>. <strong>Mai</strong> bis 21. Oktober, München<br />

JUTTA KOETHER<br />

Jutta Koether ist eine der anregendsten Künstlerinnen der Gegenwart.<br />

Sie trat als Malerin, Performerin, Schriftstellerin und Theoretikerin<br />

in Erscheinung. Mit artifiziell „femininem“ Habitus setzte sie den<br />

männlichen Malern und ihren aus der Bohème-Tradition stammenden<br />

Künstlerattitüden ein weibliches Äquivalent entgegen. Die Überblicksausstellung<br />

„Tour de Madame“ zeichnet anhand von über 150<br />

Werken ihr bildnerisches Schaffen chronologisch nach. Aus den 80er-<br />

Jahren, als Koether die öffentliche Bühne betrat, sind die neo-expressionistischen<br />

und signalhaft roten Gemälde zu sehen. In den 90er-Jahren<br />

suchte Koether in New York nach Wegen, um ihre Arbeiten ins<br />

Alltägliche einzubringen. Sie malte in Fabrikräumen, arrangierte ihre<br />

Bilder in Parks und stellte auf Flohmärkten, bei Konzerten und Modenschauen<br />

aus. Auch fügte sie Textpassagen von William Blake, Walter<br />

Benjamin und William S. Burroughs in ihre Gemälde ein. Gezeigt<br />

werden in München die großformatigen, energiesprühenden Bildserien<br />

der 90er-Jahre ebenso wie die schwarzen Gemälde und Materialcollagen<br />

der frühen 2000er-Jahre. Seit 2009 setzt Koether sich mit der<br />

Tradition des His torienbildes auseinander. In einer für die Ausstellung<br />

entworfenen zwölfteiligen Bildserie thematisiert sie, in Anspielung auf<br />

den Lepanto-Zyklus, mit dem Cy Twombly an all die Schlachten auf<br />

dem Mittelmeer erinnerte, ihre „Schlacht mit der Kunstgeschichte“.<br />

München, Museum Brandhorst, www.museum-brandhorst.de<br />

JUTTA KOETHER: „EMMA“, ÖL AUF LEINWAND, 1984, FOTO: ©JUTTA KOETHER / MUSEUM BRANDHORST<br />

41


E R L E B E N<br />

20. bis 22. April, München<br />

<strong>CRESCENDO</strong><br />

AUF DER MESSE „DIE 66“<br />

Sie ist wieder da! Deutschlands größte 50plus Messe – das Inspirations-Event<br />

für alle, die sich voller Energie, Lust und Wissensdurst<br />

auf diesen neuen, spannenden Lebensabschnitt einlassen wollen.<br />

400 Aussteller, mehr als 300 Vorträge, Shows und Workshops<br />

– und das aus zentralen Lebensbereichen wie Reisen, Freizeit und<br />

Hobby, Gesundheit, Sport und Fitness, Beauty, Immobilien oder<br />

Finanzen. Auch dieses Jahr ist crescendo im Kulturbereich wieder<br />

offizieller Kooperationspartner der Messe. crescendo präsentiert<br />

unter anderem Klavierexperte Jens Schlichting, der seine Instrumentalkurse<br />

speziell für Senioren vorstellt, einen Steinway-Flügel<br />

zum Selberspielen und Opernsängerin Cornelia Lanz, die Sie zusammen<br />

mit Gitarrist Mazen Mohsen in die Welt deutsch-arabischer<br />

Liebeslieder entführt. Beide sind im Verein Zuflucht Kultur e.V. aktiv,<br />

der mit Opernprojekten in Zusammenarbeit von europäischen<br />

Profis mit Geflüchteten aus aller Welt Furore machte und macht.<br />

Kulturbereich auf der Messe DIE 66<br />

Auch sonst ist in der Kulturlounge reichlich geboten: Über das Älterwerden<br />

in einer eitlen Branche erzählt „Rosenheim-Cop“ Markus<br />

Böker. Außerdem können Sie sich unter professioneller Anleitung<br />

in Malerei, Lyrik und sons tigem kreativen Schreiben versuchen,<br />

oder gemeinsam mit Mit gliedern der Bayerischen Philharmonie unter<br />

Mark Mast singen. Auf weiteren Bühnen begegnen Sie prominenten<br />

Gästen wie Schauspieler Max Simonischek, Schlagersängerin<br />

Nicki oder Fernsehkoch Alfons Schuhbeck.<br />

Exklusiv für crescendo-Leser:<br />

Unter www.crescendo.de/die66 können Sie den Gutschein<br />

für eine kostenlose Tageskarte herunterladen!<br />

München, Messe Eingang Ost, Am Messeturm 4, 8<strong>18</strong>29 München,<br />

www.die-66.de, 20. bis 22. April 20<strong>18</strong>, 10 – 17 Uhr<br />

Britten<br />

War<br />

Requiem<br />

Bundesjugendorchester<br />

Bach-Verein Köln<br />

06.04. Kölner Philharmonie<br />

08.04. National Forum of Music Wrocław<br />

10.04. Berliner Philharmonie<br />

Deutscher Musikrat und<br />

Europäisches Kulturerbejahr 20<strong>18</strong><br />

FOTO: MESSE MÜNCHEN<br />

12. April<br />

BAYREUTH WIEDERERÖFFNUNG DES<br />

OPERNHAUSES<br />

Nach Abschluss der Sanierungsarbeiten kommt<br />

wieder eine Oper auf die Bühne des Markgräflichen<br />

Opernhauses. Seit 2012 steht das holzgefertigte<br />

Logentheater, das aufgrund seiner<br />

stuckierten, geschnitzten und gemalten Dekoration<br />

als weltweit einzigartig gilt, auf der Liste<br />

des UNESCO-Weltkulturerbes. Studierende<br />

der Münchner Theaterakademie August Everding und das Ensemble Hofkapelle<br />

München bringen Johann Adolph Hasses Oper Artaserse über den<br />

persischen Großkönig zur Aufführung. Regie führt Balázs Kovalik. Die<br />

musikalische Leitung hat Michael Hofstetter. Mit der Wahl Hasses soll an<br />

die Eröffnung des Hauses im Jahr 1748 durch Markgräfin Wilhelmine erinnert<br />

werden. Sie wählte damals Hasse für die Einweihungsfeierlichkeiten<br />

aus.<br />

Bayreuth, Markgräfliches Opernhaus, 12. (Premiere), 14. und 15.4.,<br />

www.theaterakademie.de<br />

1. <strong>Mai</strong><br />

BERLIN SIR ROGER NORRINGTON<br />

Sir Roger Norrington liebt es, wenn im Konzert<br />

das Eis bricht, wenn das Publikum plötzlich zwischen<br />

den Sätzen applaudiert und spontan auf<br />

die Musik reagiert. Er zögert auch nicht, sich<br />

während seines Dirigats zum Publikum umzudrehen,<br />

um seine Freude zu teilen und zu sagen:<br />

„Ist das nicht wunderbare Musik?“ Mit Bohuslav<br />

Martinů hat er genau den Komponisten gewählt, der solche Begeisterung<br />

auszulösen vermag. Als einer der letzten „böhmischen Musikanten“ wird<br />

er gesehen. Seine Musik ist überreich an fantasievollen Einfällen und vermittelt<br />

Spielfreude. Mit der Ersten Sinfonie aus dem Jahre 1942 beginnen<br />

Norrington und das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin ihren Aufführungszyklus<br />

aller sechs Sinfonien Martinůs.<br />

Berlin, Philharmonie, www.dso-berlin.de<br />

21. April<br />

NÜRNBERG LANGE NACHT DER ALTEN<br />

MUSIK<br />

„Take Five“ – das ist in Anspielung an den legendären<br />

Jazztitel das Motto der Langen Nacht der<br />

Alten Musik Nürnberg. Zum fünften Mal findet<br />

sie statt, und fünf Ensembles wirken daran mit.<br />

Das Pulcinella-Ensemble unter Ophélie Gaillard<br />

wartet auf mit rasanter Boccherini-Virtuosität.<br />

Die Sopranistin Chen Reiss singt, begleitet von<br />

der Wiener Akademie unter Ilia Korol, Kantaten von Hasse und Bach.<br />

Le Poème Harmonique unter Vincent Dumèstre weist musikalisch in die<br />

französische Liebeskunst ein, während Rapper Robert Gwisdeck mit<br />

dem Ensemble Continuum vorführt, was man aus historischen Instrumenten<br />

im Hier und Jetzt herausholen kann. Und zur Besinnung erinnert<br />

das Vokalensemble VocaMe in der Kartäuserkirche mit Chansons und<br />

Balladen an die Philosophin und Schriftstellerin Christine de Pizan aus<br />

dem 15. Jahrhundert.<br />

Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum und andere Spielorte, www.gnm.de<br />

20. <strong>Mai</strong><br />

HAMBURG FRANKENSTEIN<br />

Vor 200 Jahren entstand in Byrons Villa am Genfer<br />

See eine monströse Kreatur. Der Hausherr<br />

hatte vorgeschlagen, zur Überbrückung einer<br />

Reihe von Regentagen Geistergeschichten zu erzählen.<br />

Mary Wollstonecraft Shelley, die 20-jährige<br />

Frau des englischen Romantikers Percy Bysshe<br />

FOTOS: ANNE VAN AERSCHOT; GEGHARD ENSEMBLE; MARGARET MALANDRUCCOLO / DG; JULIA BAIER; HOLGER TALINSKI; JAKOB ERPF LAURA VANSEVICIENE; MANFRED ESSER; ESTHER KOCHTE; DOMINIK ODENKIRCHEN; MEI LEWIS; CORA SUNDMACHER; STEPHAN POLZER<br />

42 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong><br />

BJO_Anz_Cresc_072702<strong>18</strong>.indd 1 27.02.<strong>18</strong> 16:56


Shelley, verstand es am besten, die Zuhörer mit ihren grotesken Fantasien<br />

zu beeindrucken. Zum Jubiläum bringen Regisseur Philipp Stölzl und der<br />

Komponist Jan Dvorak den Schauerroman Frankenstein oder der moderne<br />

Prometheus über das Monster des Naturwissenschaftlers Victor Frankenstein,<br />

das nicht lieben darf und daher tötet, als „Gothic Opera“ auf die<br />

Bühne. Die Rolle des Wissenschaftlers, der von der Idee besessen ist, das<br />

Elixier des Lebens zu finden, spielt Viktor Rud. Das von ihm geformte<br />

Monster ist Catrin Striebeck. Am Pult steht Johannes Harneit.<br />

Hamburg, Kampnagel [k6], 20. (Premiere), 21., 23., 25. und 27.5.,<br />

www.staatsoper-hamburg.de<br />

<strong>18</strong>. bis 22. <strong>Mai</strong><br />

BADEN-BADEN PFINGSTFESTSPIELE<br />

Bryn Terfel (Foto) ist der begehrteste Bassbariton<br />

der Welt. Seine volltönende Stimme, unerschöpflich<br />

in ihrem Farbenreichtum, und seine<br />

Bühnen präsenz machen ihn zum Heldenbariton<br />

des 21. Jahrhunderts. Mit der Partie des fliegenden<br />

Holländers in Wagners romantischer<br />

Oper eröffnet er die Pfingstfestspiele in Baden-<br />

Baden. Valery Gergiev leitet die konzertante Aufführung am Pult der<br />

Münchner Philharmoniker. Verdis Arien und Duetten widmen sich Diana<br />

Damrau und Bassbariton Nicolas Testé. Meisterwerke von Jean Sibelius<br />

bringen die Violinistin Janine Jansen und das London Symphony Orchestra<br />

unter Michael Tilson Thomas. Und zum Ausklang spielt Igor Levit<br />

Klavierkonzerte von Mendelssohn.<br />

Baden-Baden, Festspielhaus, www.festspielhaus.de<br />

19. bis 23. April<br />

HANNOVER KLANGBRÜCKEN<br />

Luciano Berio war ein Liebhaber der Stimme. Unersättliche Lektüren<br />

regten ihn zu immer neuen Versuchen an, die Unterscheidung zwischen<br />

Sprache und Musik aufzuheben. In seinen Kompositionen lotete er alle<br />

ihre Möglichkeiten aus, vom Reden über das Lachen bis zu den zahlreichen<br />

Variationen des Singens. „Ihr das erschwiegene Wort“ steht als<br />

Inschrift über der Komposition Notturno. Die Zeile entstammt einem<br />

Gedicht Paul Celans, für den die Nacht das Symbol dunkler Erinnerung<br />

war. „Notturno“ sei still, weil es „aus unausgesprochenen Worten und<br />

unvollständigen Gesprächen besteht“, erläuterte Berio selbst. Das Stück<br />

erklingt zum Auftakt des Festivals Klangbrücken, das sich anlässlich von<br />

Berios 15. Todestag dessen Werk zuwendet. Am Eröffnungskonzert wirken<br />

das Ensemble Musica Assoluta und der Norddeutsche Figuralchor<br />

unter Thorsten Encke mit.<br />

Hannover, verschiedene Spielorte, www.musik21niedersachsen.de<br />

27. April<br />

HALLE<br />

MEIN STAAT ALS FREUND UND GELIEBTE<br />

Der Chor ist der Protagonist in Johannes Kreidlers<br />

neuem Musiktheaterstück. Er steht für Gemeinschaft,<br />

verkörpert das Volk und kommentiert<br />

das Geschehen. Musik hat für den Komponisten<br />

und Aktionskünstler Kreidler mit Technik<br />

zu tun und mit der Politik, die hinter der Technik<br />

steht. So lässt sich Politik für ihn nicht ausklammern,<br />

wenn er komponiert. Seine Oper Mein Staat als Freund und Geliebte<br />

für Chor, Video, einen Schauspieler, einen dramatischen Tenor, Ballett,<br />

Orchester und Elektronik hinterfragt Gemeinschaftskonzepte wie Brüderlichkeit,<br />

Liebe zur Nation, Opfer für die Gemeinschaft und lässt sie als<br />

Konstrukt politischer Interessen erfahrbar werden, die libidinöse Bindungen<br />

instrumentalisieren. Zu den Mitwirkenden zählen Chor und Extrachor<br />

der Oper Halle, das Ballett Rossa sowie der Tenor Christian<br />

Voigt. Die musikalische Leitung übernimmt Christopher Sprenger. Regie<br />

führt Kreidler selbst.<br />

Halle, Oper, 27.4. (Premiere), 6., 12., 26., und 30.5. sowie 16. und 22. 6.,<br />

www.oper-halle.de<br />

43


E R L E B E N<br />

PLÄDOYER<br />

FÜR DIE MENSCHLICHKEIT<br />

Bei den Schostakowitsch Tagen Gohrisch verwandelt sich eine Scheune in den Austragungsort<br />

eines packenden Festivals, das nicht nur seinem großen Namensgeber alle Ehre macht.<br />

VON UTE ELENA HAMM<br />

„Die Gegend ist unerhört schön“, schreibt Dmitri Schostakowitsch<br />

einem Freund nach seinem ersten Aufenthalt in Gohrisch, einem<br />

kleinen Kurort in der Sächsischen Schweiz, nicht weit von Dresden<br />

entfernt. Schostakowitsch ist im Juli 1960 hier offizieller Staatsgast<br />

der DDR und soll eigentlich die Musik zu einem ostdeutsch-sowjetischen<br />

Propagandafilm komponieren. Doch statt an seinem offiziellen<br />

Auftrag zu arbeiten, bringt Schostakowitsch innerhalb von nur<br />

drei Tagen sein 8. Streichquartett op. 110 zu Papier – jenes Streichquartett,<br />

das sein persönlichstes und bekenntnisreichstes Werk werden<br />

sollte und 50 Jahre später den Grundstein der ersten Schostakowitsch<br />

Tage in Gohrisch legt. Diese finden 20<strong>18</strong> nun zum neunten<br />

Mal statt.<br />

Was macht Schostakowitsch über diese Anekdote hinaus überhaupt<br />

für ein deutsches Festival interessant, das zudem das einzige<br />

weltweit ist, das sich jährlich dem russischen Komponisten widmet?<br />

Zuallererst natürlich die Musik an sich, „die<br />

einen unmittelbar anspricht, die in ihrer Emotionalität<br />

auch heute noch brennend aktuell ist“,<br />

so Tobias Niederschlag, Mitbegründer und von<br />

Beginn an künstlerischer Leiter des Festivals,<br />

„aber auch Schostakowitschs besonderes Schicksal<br />

als Künstler in der ehemaligen Sowjetunion“.<br />

INTERNATIONALE<br />

SCHOSTAKOWITSCH TAGE<br />

GOHRISCH<br />

22. bis 24. Juni<br />

Informationen und Kartenservice:<br />

tickets@schostakowitsch-tage.de<br />

www.schostakowitsch-tage.de<br />

Die Entstehungsgeschichte des Streichquartetts ist nicht nur eine<br />

nette Festival-Anekdote, sondern zeigt, dass hier ein Komponist<br />

gewürdigt wird, der, obwohl zerrissen zwischen Repression und<br />

Ideal, in seiner Musik letztlich zu einem Plädoyer für die Menschlichkeit<br />

findet. Die Schostakowitsch Tage sollen damit auch über<br />

sich hinausweisen, genauer gesagt Richtung Osten.<br />

Im Mittelpunkt steht diesmal, abgesehen von Schostakowitsch<br />

selbst, die sogenannte polnische Moderne: namentlich die Komponisten<br />

und zugleich Jubilare Witold Lutosławski, Krzysztof Penderecki<br />

und Krzysztof Meyer. Lutosławski wäre in diesem Jahr 105<br />

Jahre alt geworden, Penderecki und Meyer feiern ihren 85. und<br />

75. Geburtstag. Die beiden Letzteren sind beim Festival nicht nur<br />

durch ihre Musik vertreten, sondern werden auch persönlich anwesend<br />

sein und sich zusammen mit ihren Ehefrauen, der Kulturmanagerin<br />

Elżbieta Penderecka und der Musikwissenschaftlerin<br />

Danuta Gwizdalanka, bei einem Round Table<br />

zum Gespräch einfinden. Die Geschichte ihrer<br />

Freundschaft zu Schostakowitsch ist ein Beweis<br />

für das völkerverbindende Element, das für<br />

Tobias Niederschlag im Programm des Festivals<br />

auch immer mitschwingt. Die Musik am Festival-<br />

Wochenende umfasst Kammer-, Chor- und<br />

44 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


25. <strong>Mai</strong> – 10. Juni 20<strong>18</strong><br />

ERLEBEN SIE<br />

an authentischen Orten in der Geburtsstadt von Händel!<br />

FOTOS: COLIVER KILLIG; DENIS MATSUEV; ŁUKASZ RAJCHERT<br />

Lutosławski-Quartett; auch der russische Pianist Denis Mazujew wird<br />

beim Festival auftreten<br />

Orchestermusik von Schostakowitsch und den drei genannten polnischen<br />

Komponisten.<br />

Außerdem wird es zwei Uraufführungen geben: das 15. Streichquartett<br />

von Krzysztof Meyer, gespielt vom Lutosławski-Quartett,<br />

und eine neue Bearbeitung der Chaconne für Streichsextett von<br />

Krzysztof Penderecki, dargeboten von Mitgliedern der Sächsischen<br />

Staatskapelle Dresden.<br />

Gelegenheit, Schostakowitsch von einer anderen Seite zu entdecken,<br />

geben deutsche Erstaufführungen, zum Beispiel Bearbeitungen<br />

von Werken anderer Komponisten für Klavier vierhändig:<br />

Igor Strawinskys Psalmen-Sinfonie, der zweite Satz der Zehnten Sinfonie<br />

von Gustav Mahler und der Dritten Sinfonie von Arthur<br />

Honeg ger. Mit diesen und anderen Stücken erwacht der Kurort<br />

Gohrisch für ein Sommerwochenende zu neuem Leben – und das<br />

ist wörtlich zu nehmen. Denn eigens für die Festivaltage wird eine<br />

Scheune, in der über den Winter hinweg Stroh und Heu gelagert<br />

werden, zum Konzertsaal für rund 500 Besucher samt dazugehöriger<br />

Infrastruktur umfunktioniert und umgebaut. (Fast) ganz<br />

Gohrisch ist in das Festival-Geschehen mit eingebunden und packt<br />

mit an. Auf diese Weise sind die Schostakowitsch Tage über die<br />

Jahre quasi zu einer Art Dorffest geworden – nur eben einem mit<br />

Musik aus dem 20. und 21. Jahrhundert. Das Ländliche von<br />

Gohrisch, das Schostakowitsch 1972 übrigens mit seiner Frau ein<br />

zweites Mal besuchte, macht für Tobias Niederschlag eine weitere<br />

Besonderheit dieses Festivals aus. Es sei eine ungezwungene Atmosphäre,<br />

in der Künstler und Publikum die Musik gemeinsam erleben<br />

können und sich auch die Gelegenheit ergäbe, miteinander ins<br />

Gespräch zu kommen. Mitinitiatorin des dreitägigen Festivals ist<br />

die Sächsische Staatskapelle Dresden, die das Festival erneut am<br />

Vorabend mit einem Sonderkonzert in der Semperoper einläutet<br />

und zum Abschluss auch mit einer Kammerorchesterformation in<br />

Gohrisch präsent ist. Jahr für Jahr können Mitglieder aus ihren Reihen<br />

und andere internationale Künstler für Konzerte von und „für“<br />

Schostakowitsch gewonnen werden. Honoriert werden sie übrigens<br />

nur symbolisch. <br />

n<br />

Opern<br />

Rinaldo (HWV 7), Oreste (HWV A 11 ) ,<br />

Muzio Scevola (HWV 13)<br />

Oratorien<br />

Messiah (HWV 56), Samson (HWV 57),<br />

Jephtha (HWV 70)<br />

Festkonzerte<br />

Joyce DiDonato, Magdalena Kožená,<br />

Nathalie Stutzmann,<br />

Max Emanuel Cencic<br />

u. v. a. m.<br />

JETZT TICKETS SICHERN!<br />

www.haendelhaus.de<br />

+49 (0) 345 565 27 06<br />

und bundesweit an allen<br />

CTS-Eventim-Vorverkaufsstellen<br />

20. Jubiläumsfestival<br />

HH_ANZ_HFSP_20<strong>18</strong>_crescendo_90x126_DU_17.02.20<strong>18</strong>.indd 1 12.02.<strong>18</strong> 22:57<br />

MOZARTS<br />

ZAUBERFLÖTE<br />

BEETHOVENS<br />

9. SINFONIE<br />

20/21/22<br />

JULI 20<strong>18</strong><br />

MEHR INFOS UNTER<br />

www.konzerte-im-fronhof.de<br />

20 Jahre Open-Air-Konzerte im Fronhof – Mitwirkende sind u.a.:<br />

Sharleen Joynt, Till von Orlowsky, Johannes Martin Kränzle, Daniel Gurfinkel, Teresa Schwamm<br />

(Artist in Residence), Marie Heeschen, Lena Haselmann, Angelo Pollak, Ulrich Reß, die Augsburger<br />

Domsingknaben, der via-nova-chor München sowie das SUK-Symphony Orchester Prag unter der<br />

Leitung von Wilhelm F. Walz<br />

45


E R L E B E N<br />

Ein architektonisches Wunderwerk:<br />

die Frauenkirche Dresden<br />

PERFEKTE<br />

VERSCHMELZUNG<br />

VON MUSIK UND RAUM<br />

Auch dieses Jahr bringen wieder spektakuläre 120 Veranstaltungen<br />

von Superstar bis Orgelspezialist, von A-cappella-Koryphäe bis Nachwuchs-Talent<br />

das Rund der Dresdner Frauenkirche zum Klingen.<br />

VON ANTOINETTE SCHMELTER-KAISER<br />

Ein teilweise überwucherter Hügel aus Trümmern, rechts und<br />

links flankiert von hoch aufragenden Mauerfragmenten: In diesem<br />

Zustand überdauerte die Dresdner Frauenkirche mehr als<br />

fünf Jahrzehnte. Am 13. und 14. Februar 1945 hatten Luftangriffe<br />

britischer und amerikanischer Bomber das evangelische Gotteshaus<br />

schwer beschädigt, das ausbrannte, zusammenbrach und in<br />

diesem Zustand liegen blieb. 20 Jahre später wurde ihre Ruine von<br />

FRAUENKIRCHE DRESDEN<br />

Informationen und Kartenservice:<br />

Tel.: +49-(0)351-65 60 67 01<br />

ticket@frauenkirche-dresden.de<br />

www.frauenkirche-dresden.de<br />

der DDR zum Mahnmal für den Frieden<br />

erklärt. Nach der Wende keimte der Gedanke<br />

eines Wiederaufbaus, der 1991 beschlossen<br />

und 2005 fertiggestellt wurde: Für <strong>18</strong>0 Millionen<br />

Euro – 135 davon finanziert durch Spenden<br />

– entstand eine Rekonstruktion des barocken Bauwerks von<br />

George Bähr, in dessen Außenfassade 3.539 Originalbestandteile<br />

eingefügt wurden. Seither ist das Monument, das an Santa Maria<br />

della Salute in Venedig erinnert, Besuchermagnet Nummer eins<br />

für Dresden-Touristen. Von der Aussichtsplattform lässt sich aus<br />

67 Meter Höhe ein Überblick über Innenstadt und Elbufer verschaffen.<br />

Weitere Highlights sind regelmäßige Führungen sowie<br />

eine Vielzahl an Konzerten.<br />

120 Einzelveranstaltungen stehen auch<br />

20<strong>18</strong> wieder auf dem Programm, die laut Inspizient<br />

und Leiter des Konzertbüros Christian<br />

Drechsel ein „Gesamterlebnis“ sind:<br />

46 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


FOTOS: SUSANN HEHNEN; MATT DINE; TIBOR BOZI; FABIEN MONTHUBERT<br />

Geiger und crescendo-Kolumnist Daniel Hope ist neuer künstlerischer Leiter der Frauenkirche; Oboist Albrecht Mayer; Flötist Emmanuel Pahud<br />

„Musik und Raum verschmelzen auf eine Weise, die Besucher und<br />

Musizierende gleichermaßen beeindruckt.“ Ein Grund ist die<br />

Anordnung der 1.600 Plätze: Kreisförmig liegt ein Großteil von<br />

ihnen auf vier Emporen unter der in Pastelltönen ausgemalten<br />

und stuckatierten Steinkuppel, die mit 24 Meter Höhe und 26<br />

Meter Durchmesser die größte nördlich der Alpen ist. Auch im<br />

runden Kirchenschiff sind die Reihen leicht gebogen auf den<br />

Chorraum mit dem weiß-goldenen Altar des Bildhauers Johann<br />

Christian Feige ausgerichtet. „Das Publikum ist bei uns wegen<br />

des Zentralbaus besonders nah am Geschehen“, so Christian<br />

Drechsel. Bei Konzerten mit bis zu 160 Mitwirkenden sorgt diese<br />

Konstellation für einen Klang, der sich gleichmäßig im Raum<br />

ausbreitet. Im Fall von Solisten wie Yo-Yo Ma, der am 31. Januar<br />

mit den sechs Suiten für Violoncello solo von Johann Sebastian<br />

Bach brillierte, kommen auch einzelne Instrumente bei Rezitals<br />

zur Geltung.<br />

Auch wenn die Dresdner Frauenkirche keine eigene<br />

Gemeinde mehr hat, spielt ihre Nutzung als „City-Kirche“ mit<br />

regelmäßigen Gottesdiensten und Andachten eine Hauptrolle.<br />

Unter der Leitung von Frauenkirchenkantor Matthias Grünert<br />

werden viele von ihnen musikalisch durch zwei eigene Chöre und<br />

ein Kammerorchester begleitet, dessen Stammbesetzung der<br />

Sächsischen Staatskapelle sowie der Dresdner Philharmonie<br />

angehört. Darüber hinaus verantwortet Matthias Grünert die<br />

Reihe der Geistlichen Sonntagsmusiken und bringt auch in diesem<br />

Jahr große geistliche Werke wie Bachs Matthäus-Passion am<br />

Karfreitag oder Händels Messias am 3. Oktober im Rahmen der<br />

Frauenkirchen-Bachtage zur Aufführung. Omnipräsent sind die<br />

Klänge der Orgel, die mit 4.876 Pfeifen und 68 klingenden Registern,<br />

die der Elsässer Daniel Kern baute, von Frauenkirchenorganist<br />

Samuel Kummer gespielt wird und an 40 Abenden in verschiedenen<br />

Konzertreihen im Mittelpunkt steht.<br />

Ergänzt wird das alles um Konzerte externer Gäste, die anteilig<br />

etwa 40 Prozent ausmachen, dieses Jahr unter dem Motto „Inspiration<br />

und Reflexion“ stehen und bislang von Dr. Ralf Ruhnau<br />

ausgewählt wurden. Dabei sind renommierte Interpreten wie Flötist<br />

Emmanuel Pahud, Klarinettist Andreas Ottensamer und Oboist<br />

Albrecht Mayer, die Solo-Holzbläser der Berliner Philharmoniker<br />

sind, oder Pianist Francesco Tristano und Trompeter Ludwig<br />

Güttler zu Gast, der sich für den Wiederaufbau der Frauenkirche<br />

eingesetzt hat. Als A-cappella-Koryphäen kommen der Chor der<br />

Westminster Abbey, der Tölzer Knabenchor, die Regensburger<br />

Domspatzen und die King’s Singers, die ihr 50-jähriges Bühnenjubiläum<br />

feiern. Künstlerische Kooperationen mit der Dresdner<br />

Philharmonie, den Dresdner Musikfestspielen, der Sächsischen<br />

Staatskapelle Dresden und dem Heinrich-Schütz-Musikfest werden<br />

fortgesetzt. Zu einer weiteren Säule des Programms haben sich<br />

Nachwuchstalente entwickelt. Mit jungen Musikern zwischen elf<br />

und 19 Jahren tritt 20<strong>18</strong> erstmalig die Deutsche Streicherphilharmonie<br />

auf. Ebenfalls zu hören sind das Bundesjugendorchester<br />

und Preisträger des Fanny Mendelssohn Förderpreises oder des<br />

Internationalen Musikwettbewerbs der ARD.<br />

Zukünftig liegt die Gesamtkonzeption der Konzerte in den<br />

Händen von Star-Geiger und crescendo-Kolumnist Daniel Hope.<br />

Die Frauenkirche auch als Symbol für Frieden, Versöhnung und<br />

Toleranz mit Musik füllen zu dürfen, ist für ihn Herausforderung<br />

und Chance zugleich. Ab 2019 möchte er Partner, Solisten und<br />

Klangkörper aus der Welt einladen, aber auch Nachwuchskünstlern<br />

aus Deutschland und darüber hinaus weiterhin eine<br />

Bühne bieten. <br />

n<br />

47


E R L E B E N<br />

Thomanerchor<br />

Prof. Robert Levin<br />

FOTO: LTS-SCHMIDT; MATTHIAS KNOCH; CLIVE BARDA<br />

DIE WAHRE ART,<br />

DAS KLAVIER ZU SPIELEN<br />

Prof. Robert Levin ist Präsident des Internationalen Johann-Sebastian-Bach- Wettbewerbs Leipzig<br />

und einer der wichtigsten Bach-Interpreten und Mozart-Editoren. VON ROLAND H. DIPPEL<br />

crescendo: Seit 15 Jahren sind Sie Präsident des Internationalen<br />

Bach-Wettbewerbs, der alle zwei Jahre nach dem Leipziger<br />

Bachfest stattfindet. Was ist Ihr persönliches Anliegen dabei?<br />

Robert Levin: Tiefsinnigkeit und Stilkenntnis. Hier geht es nicht<br />

nur um makellose Leistungen. In unseren Jurys sitzen einige der<br />

weltweit besten Bach-Interpreten verschiedenen Alters, die über<br />

Reife und ein persönliches Ausdrucksspektrum verfügen.<br />

Sie selbst spielen auf dem Cembalo, Hammerklavier und Flügel<br />

Werke vom späten 17. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Wie<br />

ausschlaggebend sind für Sie in diesem enormen Spektrum<br />

Epochenbegriffe wie „Barock“ oder „Romantik“?<br />

In den nächsten Monaten erscheint beim Label ECM mein Zyklus<br />

aller Klaviersonaten von Wolfgang Amadeus Mozart, die ich auf<br />

seinem Hammerklavier in Salzburg einspielen durfte. Das erwähne<br />

ich, weil ich bei Recherchen für Werke Mozarts und seiner Zeitgenossen<br />

immer wieder auf theoretische Ausführungen der Aufklärung<br />

zurückkomme. Hier darf nicht die eigene emotionale Subjektivität<br />

im Vordergrund stehen, sondern die „wahre Art, das Klavier<br />

zu spielen“, um es mit Carl Philipp Emanuel Bach zu sagen. Er gibt<br />

kaum Anweisungen zu einer emotionalen oder philosophischen<br />

Auslegung, sondern zu Spiel, Technik und Aufführungspraxis.<br />

Da unterscheiden sich das von aufklärerischen Impulsen geprägte<br />

<strong>18</strong>. und das in der Kunst eher emotional geprägte 19. Jahrhundert<br />

voneinander.<br />

Warum?<br />

Betrachten Sie die Notationen für Cembalo aus dem <strong>18</strong>. Jahrhundert.<br />

Bei den Bach-Söhnen und ihren Zeitgenossen steht die Artikulation<br />

ganz vorn: Die Notation zeigt mit penibler Genauigkeit<br />

die Töne, die abzusetzen beziehungsweise<br />

in kleinen Gruppierungen gebunden zu<br />

erklingen haben. Frédéric Chopin hat<br />

um <strong>18</strong>30 dagegen lange Legato-Bögen<br />

BACHFEST LEIPZIG 8. bis 17. Juni<br />

Informationen und Kartenservice:<br />

Tel.: +49-(0)341-91 37 300<br />

bachfest@bach-leipzig.de | www.bachfestleipzig.de<br />

gewölbt, die oft über Notenzeilen hinausreichen: Das Tasteninstrument<br />

hatte nicht mehr zu sprechen, sondern zu singen. Robert<br />

Schumann hatte dagegen meist das Wort „Pedale“ am Satzanfang<br />

eingetragen, um dem Interpreten die Verantwortung zu überlassen.<br />

Gibt es eine wissenschaftlich legitimierte Grenze zwischen der<br />

Intuition des Augenblicks im Konzert und dem Notentext?<br />

Der Notentext stellt die Absichten des Komponisten dar, ist jedoch<br />

keinesfalls ein lückenloses Indiz zum Vortrag. Im Barock und der<br />

Klassik bis in das 19. Jahrhundert waren Verzierung und Improvisation<br />

Bestandteile der Aufführung, und die Komponisten gingen<br />

von diesen Ergänzungen aus, besonders bei Wiederholungen.<br />

Wollen Sie junge Musiker zu mehr Risiko und Individualität<br />

ermutigen?<br />

Eine gelungene Interpretation muss im Zuhörer das Gefühl des<br />

Risikos wachrufen. Die Bereitschaft, Chancen zu nehmen, steigert<br />

das Drama und wird aus der Intuition des Augenblicks springen.<br />

Intuition ist eine Synthese von Instinkt, der uns angeboren ist, und<br />

Wissenschaft, die wir studiert haben. Immer wieder entdeckt man<br />

sogar bei Werken, die man schon oft aufgeführt hat, Feinheiten,<br />

die man immer übersehen hat. Das beeinflusst natürlich die Einstellung<br />

zu den Werken und die Interpretation.<br />

Wer hat Sie inspiriert?<br />

Im Alter von 12 bis 16 Jahren hatte ich das Riesenglück, Schüler<br />

von Nadia Boulanger zu sein, der wohl genialsten Musiklehrerin<br />

des 20. Jahrhunderts. Das bereichert mein gesamtes musikalisches<br />

Leben bis heute.<br />

Treten Sie dieses Jahr selbst beim Bachfest auf?<br />

Am 15. Juni spiele ich im vierten Teil des Zyklus aus dem Wohltemperierten<br />

Klavier und die Sieben Charakterstücke<br />

des Gewandhauskapellmeisters<br />

Felix Mendelssohn Bartholdy. n<br />

48 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


SCHWERPUNKT<br />

FRANKREICH<br />

Macht, Intrige und Musik am Hof des Sonnenkönigs (Seite 66)<br />

Vive Debussy!!! Zum 100. Todestag des großen Impressionisten (Seite 70)<br />

Frankreichs<br />

Tonkünstler 3 x 3<br />

VON STEFAN SELL<br />

Georges Bizet Maurice Ravel Camille Saint-Saëns<br />

Rekordverdächtig<br />

Carmen ist die weltweit beliebteste<br />

und meist gespielte Oper. Das<br />

belegen auch ihre Leinwanderfolge:<br />

1954 kam Carmen Jones in die<br />

Kinos. 1983 löste die Verfilmung<br />

von Carlos Saura eine regelrechte<br />

Flamenco-Welle aus, 2001 machte<br />

MTV aus ihr eine Hip Hopera,<br />

und 2004 verlegte U-Carmen in<br />

Xhosa gesungen das Sujet in die<br />

Townships Südafrikas.<br />

Auf Ravels Vorwurf, Toscanini<br />

lasse zu schnell spielen, antwortete<br />

der: „Monsieur, Sie verstehen<br />

nichts von Ihrer Musik.“ Kam<br />

Ravel selbst mit dem Boléro 1930<br />

auf knapp 16 Minuten Spielzeit,<br />

brauchte Leopold Stokowski zehn<br />

Jahre später nur noch sensationelle<br />

12 Minuten. Pedro de Freitas<br />

Branco dagegen dehnte das Werk<br />

1953 auf <strong>18</strong> Minuten und 30<br />

Sekunden.<br />

Er toppt sie alle. Mit zweieinhalb<br />

Jahren lernt er Noten lesen und<br />

war mit drei bereits Komponist.<br />

Sein erstes Stück für Klavier<br />

stammt vom 22. <strong>März</strong> <strong>18</strong>39. Mit<br />

86, drei Tage vor seinem Tod, stellte<br />

er noch die Orchesterfassung<br />

seines Valse nonchalante op. 110<br />

fertig. Auch Rekordhalter für die<br />

meisten Tiere in einem<br />

Musikstück ist er bis<br />

heute geblieben.<br />

Wo<br />

Frankreich<br />

einem<br />

spanisch<br />

vorkommt<br />

Bizet, der Spanien nie sah, gefiel<br />

die Melodie eines spanischen<br />

Volksliedes so gut, dass er daraus<br />

seine berühmte Carmen-Arie<br />

L’amour est un oiseau rebelle<br />

schuf. Selbst der Text stammt<br />

aus seiner Feder. Was Bizet nicht<br />

bedachte: Es war kein Volkslied,<br />

sondern El arreglito, ein Werk von<br />

Sebastián de Yradier, der durch<br />

La Paloma unsterblich wurde.<br />

„Nur einmal schaffte ich es, meine<br />

Absichten ganz zu realisieren:<br />

im Boléro“, bekannte der im<br />

Baskenland geborene Ravel über<br />

den spanischen Tanz. Vielleicht<br />

inspirierte ihn das baskische<br />

„Txistu y tamboril“-Spiel, bei<br />

dem ein Flötist sich selbst auf der<br />

Trommel begleitet. Ob L’Heure<br />

espagnole oder Rapsodie espagnole,<br />

Ravel blieb Spanien treu.<br />

„Ich könnte dir ein<br />

Konzert für 25 Gitarren<br />

komponieren, für dessen Aufführung<br />

du ganz Kastilien und Andalusien<br />

entvölkern müsstest, aber für<br />

Trompete – unmöglich!“, konterte<br />

Saint-Saëns einst eine Anfrage.<br />

Auch das für seinen Freund, den<br />

spanischen Geigenvirtuosen Pablo<br />

de Sarasate, geschriebene klingt<br />

sehr spanisch.<br />

Ausbleibender<br />

Tantiemen-<br />

Segen<br />

Bizet hätte in Tantiemen baden<br />

können. Ob Spike Jones, der 1953<br />

den witzigsten Schnelldurchlauf<br />

der Oper Carmen auf Schallplatte<br />

brachte, Sex-Pistol-Manager und<br />

Modedesigner Malcolm McLaren,<br />

der 1985 die Habanera dancefloor-tauglich<br />

mixte, oder der<br />

belgische Produzent Stromae, der<br />

mit ihr 2015 die Charts eroberte –<br />

alle hätten zahlen müssen.<br />

Seit 2016 fallen für den Boléro keine<br />

Tantiemen mehr an. Schade eigentlich,<br />

denn bis dahin lief es ganz gut:<br />

1939 beswingte ihn Benny Goodman,<br />

1961 sang ihn Gilbert Bécaud<br />

als Chanson, 1962 stellte Shirley<br />

Bassey mit ihm prophylaktisch<br />

die Frage What now my<br />

love?, 2002 wurde Symphonic<br />

Techno daraus<br />

und 2003 ein Rap.<br />

Fauré prophezeite seinem Freund<br />

Saint-Saëns, dass die Orgelsinfonie<br />

„sehr viel länger leben wird als<br />

wir beide, selbst wenn wir unsere<br />

Lebensjahre aneinanderhängen<br />

würden!“. Das hätte Tantiemen<br />

gegeben! 1977 schöpfte der Schotte<br />

Scott Fitzgerald aus ihr den Hit<br />

If I had words, der 1995 durch den<br />

Film Ein Schweinchen namens<br />

Babe noch populärer wurde.<br />

65


L A F R A N C E<br />

Intrigen am französischen Hof – hier in Bezug<br />

auf Louis XIII. – in Charles Gounods Der Rebell<br />

des Königs (Cinq-Mars) an der Oper Leipzig<br />

(s. auch S. 76)<br />

FOTO: TOM SCHULZE<br />

66 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


MACHT, GLANZ UND<br />

INTRIGE – DIE MUSIK DES<br />

SONNENKÖNIGS<br />

Wohl nie war die Geschichte eines Herrschers so eng mit der Musik verwoben<br />

wie die von Ludwig XIV. Manipuliert von seinem Haus- und Hofkomponist Jean-Baptiste Lully,<br />

wurde Musik zu einer grandiosen Inszenierung seiner königlichen Gewalt.<br />

VON TERESA PIESCHACÓN RAPHAEL<br />

Da funkelte er in zartem Rosa und Silber im Glaskasten<br />

bei Christie’s in Genf und strahlte wie die Welt, die er<br />

einst repräsentierte: der 19,07 Karat schwere Diamant<br />

„Grand Mazarin“. Für schlappe zwölf Millionen Euro<br />

ging er im November 2017 über den Tisch und stach den „Raj Pink“<br />

aus, mit 37,3 Karat immerhin doppelt so viel wert. Der „Mazarin“<br />

aber hat eine illustre Geschichte. Er zierte Kronen und Diademe<br />

und gehörte einst dem Kardinal Mazarin, dem seinerzeit mächtigsten<br />

Mann in Frankreich, mächtiger als der König selbst. Ludwig<br />

XIII. schien schwach und naiv – so<br />

wird er jedenfalls in Alexandre Dumas’<br />

Die drei Musketiere beschrieben. Als er<br />

1643 stirbt, ist sein Sohn Ludwig XIV.<br />

erst vier Jahre alt. Kommissarisch übernimmt<br />

seine Mutter die Regentschaft<br />

über ein Land, das seit 13 Jahren mit<br />

Spanien Krieg führt und geschwächt ist<br />

durch die „Fronde“, die aufflackernden<br />

Aufstände des Volkes und des Hochadels.<br />

Da bietet sich Kardinal Mazarin<br />

an, als Retter der Bourbonen-Regentschaft und als Taufpate<br />

und Ersatzvater für Ludwig. Mazarins diplomatischer Kunst wird<br />

Frankreich den Westfälischen Frieden (1648) und die Versöhnung<br />

mit Spanien im Pyrenäenfrieden (1659) verdanken. „Ein Mann an<br />

der Macht beweist seine Fähigkeit, die Staatsgeschäfte zu führen,<br />

indem er die seinen florieren lässt“, sagt der „Schiedsrichter Europas“<br />

und handelt auch so. Böse Liedchen, „Mazarinaden“, wird<br />

ihm das Volk dichten, weil er rücksichtslose Steuerpolitik betrieb<br />

und unfassbares Vermögen anhäufte.<br />

Mazarin ist auch ein Mann der Bildung. Lange bevor General<br />

Bonaparte Kunstwerke aus Italien als Kriegsbeute nach Paris<br />

schickt, tut er es bereits. Seine Bibliothek umfasst 40.000 Bücher.<br />

Auch die Oper interessiert ihn, die italienische natürlich, und er<br />

will sie am französischen Hof etablieren. 1645 startet er den ersten<br />

Versuch. In Anwesenheit der Regentin erklingt La Finta Pazza von<br />

Francesco Sacrati im Theater Petit-Bourbon.<br />

Am 7. <strong>März</strong> 1661 lässt er sich Haare und Bart kräuseln und<br />

parfümieren und erwartet, in prachtvolle Staatsgewänder gehüllt,<br />

UM DIE MÄCHTIGEN ZU<br />

KONTROLLIEREN, LÄSST DER<br />

KÖNIG SIE ALLE IN SEINEM<br />

SCHLOSS WOHNEN, ABGE-<br />

SCHNITTEN VOM REST DER WELT<br />

den Tod. In der Nacht vom 8. auf den 9. <strong>März</strong> ist es so weit. In<br />

Frankreichs Kirchen wird für ihn wie für einen König gebetet. Ludwig,<br />

der wahre König, ist 23 Jahre jung und bereit. Die politischen<br />

Winkelzüge hat er von Mazarin gelernt. Nur die Liebe zur italienischen<br />

Kunst teilt er nicht. Eine „Grande Nation“ braucht schließlich<br />

eine eigene Musik.<br />

Über Nacht werden alle italienischen Musiker entlassen, auch<br />

der berühmte Francesco Cavalli, der 1660 auf Bitte von Mazarin<br />

nach Paris gekommen war, um mit einer Oper die Hochzeit Ludwigs<br />

XIV. mit Maria Teresa von Spanien<br />

1660 zu feiern. Der alternde Mazarin<br />

kann die Sabotage von Cavallis Musik<br />

nicht verhindern. Längst hat ein anderer<br />

die Macht übernommen. Sein (italienischer)<br />

Name: Giovanni Battista Lulli.<br />

Als Lakai war der florentinische Müllersohn<br />

nach Paris gekommen. Dort hatte<br />

er sich als Geiger und Tänzer die Gunst<br />

Ludwigs, der selbst ein ausgezeichneter<br />

Tänzer war, erworben. Gemeinsam treten<br />

sie 1653 im mythologischen Ballet Royal de la Nuit auf – am<br />

Tag nach der Niederschlagung (!) der Fronde-Aufstände. Ein symbolischer<br />

Moment für das Land: Der 14-jährige Dauphin inszeniert<br />

sich als Sonne, um die alle Planeten kreisen. Sein mit edlen Steinen<br />

besetztes Kostüm als leuchtender Apollon setzt ein unmissverständliches<br />

Signal an seine Untertanen: Hier steht der Repräsentant der<br />

göttlichen Allgewalt, das Zentralgestirn Frankreichs, von dem alles<br />

Licht ausgeht. „L’état c’est moi!“ – „Der Staat bin ich!“, Worte, die er<br />

übrigens nie gesagt hat.<br />

Lully sonnt sich in diesem Licht. Bald wird der König nicht<br />

nur zu Lullys gravitätisch punktierten Rhythmen schreiten, sondern<br />

auch nach seiner Pfeife tanzen. Im Gegenzug liefert Lully tönende<br />

Lobpreisungen auf seinen Herrn, die sich im Prolog seiner Opern<br />

äußern und im Ballet de cour (Hofballett), in dem sich Ludwig XIV.<br />

in seinem absolutistischen Herrscherverständnis inszeniert. Ort<br />

der King(sized) Shows wird Versailles. Aus dem alten Jagdschlösschen<br />

seines Vaters draußen im Sumpf südwestlich von Paris hat er<br />

das prächtigste Schloss der Welt errichten lassen. Die Fronde, eine<br />

67


L A F R A N C E<br />

Beginn des 4. Akts<br />

von Lullys tragischer<br />

Oper Thésée<br />

1600<br />

Kardinal Mazarin war<br />

Taufpate, Ersatzvater<br />

und Ratgeber des<br />

Sonnenkönigs<br />

1645 AUFFÜHRUNG DER<br />

ERSTEN OPER in Frankreich:<br />

La Finta Pazza von Francesco<br />

Sacrati in Paris auf Initiative von<br />

Kardinal Mazarin (1602–1661)<br />

1660 HOCHZEIT<br />

Ludwigs XIV. mit Maria<br />

Teresa von Spanien<br />

1661 LULLY wird<br />

zum Surintendant de<br />

la musique<br />

1687<br />

TOD LULLY<br />

1610 1620 1630 1640 1650 1670 1680 1690<br />

1638<br />

GEBURT LUDWIGS XIV.<br />

1648<br />

WESTFÄLISCHER FRIEDEN<br />

1659<br />

PYRENÄEN FRIEDEN<br />

Versöhnung mit dem Erbfeind Spanien<br />

1661<br />

TOD KARDINAL MAZARINS<br />

Entlassung italienischer Musiker<br />

1673 TRAGÉDIE<br />

LYRIQUE Lullys Erfindung<br />

einer nationalen<br />

französischen Oper.<br />

Die erste ist Cadmus &<br />

Hermione<br />

1673 TOD MOLIÈRES<br />

Lullys Cadmus &<br />

Hermione an der Opéra<br />

Comique in Paris<br />

Serie von Aufständen und Bürgerkriegen, hatten Ludwig gelehrt,<br />

dass man niemandem trauen kann, schon gar nicht der Familie.<br />

Um die Mächtigen zu kontrollieren, lässt er sie alle in seinem<br />

Schloss wohnen, abgeschnitten vom Rest der Welt. Dort agieren sie<br />

nun, gefangen im Korsett eines starren Hofzeremoniells unter steter<br />

Beobachtung ihres Herrschers. Er wusste um ihre Eitelkeit, ihre<br />

Gier nach Geld und Ansehen, nach Luxus und Amüsement. Kostümaufmärsche,<br />

Theater, Musik, Ballette und splendide Feste sollten<br />

sie ablenken, keine Orgien, sondern minutiös arrangierte Feste,<br />

bei der der „Honnête homme“ nobles Verhalten an den Tag zu legen<br />

hatte. Der König selbst machte es vor: „Niemals ging er auch nur an<br />

der geringsten Magd vorüber, ohne den Hut zu lüften“, schrieb der<br />

scharfsinnige Chronist Herzog von Saint-Simon.<br />

Und Lully lieferte den musikalischen Stoff dazu, grandios<br />

pathetische Opern, deren gravitätisch einleitende „Französische<br />

Ouvertüren“ dem Herrscher Raum zur Inszenierung geben. Tragédie<br />

lyrique heißt die französische Nationaloper, die sich als Gegenpol<br />

zur italienischen Oper versteht. Sie orientiert sich am klassischen<br />

französischen fünfaktigen Theater, hat ausgiebige Ballett- und<br />

Chorszenen und – da man Kastraten ablehnte – einen speziellen<br />

Gesangsstil, den der komponierende Philosoph Jean-Jacques Rousseau<br />

viele Jahre später als „fortgesetztes Bellen, jedem Ohr, das nicht<br />

daran gewöhnt ist, unerträglich“ beschimpft. 16 dieser Tragédies liefert<br />

Lully, einige mit Molière, die meisten mit dem Librettisten Philippe<br />

Quinault erarbeitet, darunter Atys von 1676, an der Ludwig<br />

angeblich mitkomponierte. Fürstlich ausgestattet sind die Orchester:<br />

24 Violons du Roi, dazu zwölf Oboen und Block- und Traversflöten.<br />

Und eine Continuogruppe mit Lauten, Gitarren, Cembalo<br />

sowie Pauken und Trompeten.<br />

Die Nähe zum König steigert Lullys Macht. 1661 steigt er zum<br />

Surintendant de la musique auf, 1672 sichert er sich die Rechte an<br />

der Académie Royale de Musique, die in einem einzigartigen, von<br />

Ludwig XIV. unterzeichneten Patentbrief dokumentiert sind: „Sehr<br />

ausdrücklich verboten ist allen Personen, von welchem Stand und<br />

welcher Anstellung sie auch sind, … einzutreten, ohne zu bezahlen.<br />

Ebenso irgendein vollständiges Stück mit Musik aufzuführen,<br />

sei es mit französischen Versen oder in einer anderen Sprache, ohne<br />

Bewilligung des besagten Sieur Lully, mit einer Buße von 10.000<br />

Livres und der Konfiszierung von Theater, Bühnenmaschinerie,<br />

Bühnenbild, der Kostüme etc., wovon ein Drittel uns zu übergeben<br />

ist, ein Drittel dem Hospital General und ein Drittel besagtem Sieur<br />

Lully.“ Skrupellos wird Lully diese verteidigen, sich auch vermeintlicher<br />

Konkurrenten wie Molière entledigen, der mit seinen brillanten,<br />

vom König geliebten Satiren über Jahre den geistreichen Rahmen<br />

für Lullys Comédie-ballets geliefert hatte, Komödien mit Ballett-<br />

und Musikeinlagen, eine Art Musical des 16. Jahrhunderts und<br />

68 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


Im Inneren der<br />

Comédie-Française<br />

Großes Fest mit<br />

Theater, Tanz und Musik<br />

in Versailles 1664<br />

1690 F. COUPERIN<br />

kommt an den Hof<br />

Ludwigs XIV.<br />

1722 JEAN-PHILIPPE RAMEAU<br />

veröffentlich sein Musiktraktat Traité<br />

de l’harmonie réduite à ses principes<br />

1700 <strong>18</strong>00<br />

naturels<br />

1752 bis 1754<br />

BOUFFONISTEN-<br />

STREIT Ausweisung<br />

italienischer Komödianten<br />

1710 17220 1730 1740 1750 1760 1770 1780 1790<br />

1715 TOD<br />

LUDWIGS XIV.<br />

1692 TE DEUM<br />

VON CHARPENTIER<br />

zur Feier des französischen<br />

Sieges von<br />

Steenkerk<br />

Ludwig XIV. im<br />

Krönungsornat<br />

Schloss Versailles als Zentrum der Macht<br />

neben der Tragédie lyrique eine weitere typisch französische Musikgattung.<br />

Molière kommt ihm zuvor. Ausgerechnet in einer Vorstellung<br />

von Der eingebildete Kranke merken Kollegen, dass dieser sich<br />

auf der Bühne in seinem Sessel nicht mehr regt. Er stirbt 1673 mit<br />

51 Jahren. Den Ledersessel kann man heute in der Comédie-Française<br />

in Paris besichtigen.<br />

Die Musik zum Malade imaginaire hatte übrigens – Ironie des<br />

Schicksals – nicht Lully geschrieben, sondern Marc-Antoine Charpentier,<br />

obwohl ihn der Surintendant vom Hofe fernhielt. Doch<br />

Lullys Stern beginnt zu sinken. Die frömmelnde Madame de <strong>Mai</strong>ntenon,<br />

die Geliebte des Königs, stört sich an seinem pädophilen<br />

Lebenswandel. 1687 stirbt Lully einen Tod, der so spektakulär wie<br />

sein Aufstieg ist. Beim Dirigieren rammt er sich den Zeremonienstab<br />

in den Fuß und stirbt an einer Blutvergiftung.<br />

Andere übernehmen seinen Platz: Der brave Delalande, der<br />

feinsinnige Organist François Couperin und der Gambist Marin<br />

Marais. Auch der König hat sich verändert, er kränkelt, er macht<br />

sich Sorgen um sein Seelenheil. Die Party scheint vorbei, noch nicht<br />

aber die Kriege, die auch zu Charpentiers Stunde werden. 1692 zur<br />

Feier des französischen Sieges von Steenkerk wird sein Te Deum<br />

aufgeführt – durch den Gebrauch seines Präludiums als Eurovisionshymne<br />

(seit 1954) bis heute sein bekanntestes Werk.<br />

Täglich besucht Ludwig die Messe und übt sich in barocker<br />

Glaubensversenkung mit Motetten und Psalmen aus der Feder Couperins,<br />

des Lehrers seiner Kinder. Sonntags begegnet man sich in<br />

den Privatgemächern des Königs zu den „Concerts royaux“ mit<br />

Couperin am Cembalo. In Versailles findet Couperin reichlich Stoff<br />

für seine kleinen „Charakterstudien“ für Cembalo, denen er rätselhafte<br />

Titel gibt. „Die Mehrheit dieser schmeichelnden Titel gehört<br />

den liebenswürdigen Originalen …, die ich darstellen wollte“,<br />

schreibt er mit feiner Ironie, „und weniger den Kopien, die ich von<br />

ihnen machte.“ „Le Grand“, wie man ihn nannte, ist ein malender<br />

Musiker wie 200 Jahre vorher Clément Jannequin. Und 200 Jahre<br />

später Debussy.<br />

Vom französischen musikalischen „Reinheitsgebot“ und Universalanspruch<br />

hält Couperin nichts. Glaubenskriege interessieren<br />

ihn nicht. Anders Jean-Philippe Rameau. Der Verfasser einer wegweisenden<br />

Harmonielehre und genialer Komponist von heroischen<br />

und komischen Ballettmusiken stellt sich im Buffonistenstreit –<br />

einer Auseinandersetzung um die Vorherrschaft der französischen<br />

oder der italienischen Oper – auf die französische Seite. Pragmatisch<br />

löst Christoph Willibald Gluck den Konflikt. Eine italienische<br />

und eine französische Version seines Orfeo wird er anfertigen.<br />

„Die Franzosen sind und bleiben halt Eseln“, schrieb Mozart dazu<br />

aus Paris 1778, „sie können nichts, sie müssen Zuflucht zu Fremden<br />

nehmen.“<br />

■<br />

69


L A F R A N C E<br />

TRAUMENTRÜCKTER<br />

EINZELGÄNGER<br />

Mit Claude Debussy begann in der abendländischen Musik das 20. Jahrhundert.<br />

Er entwarf eine fantastische Klangwelt und ebnete zahlreichen Komponisten nach ihm den Weg.<br />

Am 26. <strong>März</strong> jährt sich sein Todestag zum 100. Mal.<br />

VON RUTH RENÉ REIFF<br />

Seine Freunde<br />

nannten Debussy<br />

„Prinz der<br />

Dunkelheit“<br />

Pierre-Laurent Aimard<br />

fühlte sich bereits in<br />

früher Jugend überwältigt<br />

von Debussys<br />

Musik. Martha Argerich<br />

hatte als Kind seinen<br />

Namen „Claude Achille“ über<br />

dem Bett hängen. Sie nennt<br />

Debussy ihren Lieblingskomponisten.<br />

Das gilt auch für<br />

Leif Ove Andsnes. Er bekennt sich zur „Freude am Klang“ und<br />

zum Experiment.<br />

Debussy veränderte die französische Musiksprache. Er begeisterte<br />

sich für alles Neue und Unbekannte. War er anfangs von der<br />

Verehrung für Wagners Musik durchdrungen, so schlug diese<br />

bereits beim Tristan seiner zweiten Bayreuth-Reise in Enttäuschung<br />

um. Was ihn stattdessen faszinierte, waren die Klänge der chinesischen,<br />

japanischen, javanischen und annamitischen Orchester,<br />

die er ebenso wie den andalusischen Cante jondo auf der Pariser<br />

Weltausstellung <strong>18</strong>89 hörte. Die Ursprünglichkeit jener Musikarten<br />

beschrieb er als wohltuenden Gegensatz zum „auftrumpfenden Stil<br />

des Bayreuthers“.<br />

Aus Leidenschaft für Exotik und den Japonismus, der damals<br />

die Kunstszene beherrschte, legte er sich eine Sammlung japanischer<br />

Holzschnitte zu. Die intensiven Farben und klaren Linien<br />

regten seine musikalischen Visionen an. Für Dietrich Fischer-Dieskau,<br />

der über Debussy und seine Welt eine Biografie verfasste, ist es<br />

die „rätselvolle Fertigkeit“, fremde Musik ohne Bruch in die eigene<br />

eingehen zu lassen, die aus Debussy „einen bis heute unverändert<br />

modernen Komponisten“ macht.<br />

Obgleich er Zeit seines Lebens ein einsamer Einzelgänger<br />

blieb, suchte er die Bekanntschaft<br />

bildender Künstler und<br />

Dichter. Er führte das Leben<br />

eines Bohemiens, verbrachte<br />

viele Stunden in Cafés und<br />

gab sich dem Nachtleben hin.<br />

„Prinz der Dunkelheit“ nannten<br />

ihn seine Gefährten. „Wir<br />

sahen ihn mit düsterer Miene<br />

ankommen, in eine große,<br />

traurige Kapuze eingewickelt“, erzählte Léon-Paul Fargue. Ungewöhnliche<br />

Menschen zogen Debussy an. So verband ihn ein tiefes,<br />

wenn auch für viele unergründliches Verhältnis mit Erik Satie. Er<br />

half ihm, seine kompositorischen Ideen umzusetzen und widmete<br />

ihm das Buch der Kantate La Damoiselle élue: „Für Erik Satie, den<br />

mittelalterlichen und sanften Musiker, der sich in dieses Jahrhundert<br />

verirrt hat, zur Freude seines ihm herzlich zugetanen Claude<br />

– A. Debussy, 27. Oktober <strong>18</strong>92.“<br />

Das Jahr war bedeutsam für Debussy. Er wurde 30 Jahre<br />

alt, sah Maurice Maeterlincks Drama Pelléas et Mélisande auf der<br />

Bühne und begann, Stéphane Mallarmés Gedicht zu vertonen. <strong>18</strong>94<br />

erklang in Paris Prélude à l’après-midi d’un faune. Es war Debussys<br />

erstes orchestrales Meisterwerk, und man nannte es das „Manifest<br />

des musikalischen Impressionismus“. Debussy malte mit seiner<br />

Musik die Träume und Begierden, die den Faun in der nachmittäglichen<br />

Schwüle heimsuchen. 1912 inspirierte das Werk Vaslav Nijinsky<br />

zu einem Ballett neuer Tanztechniken.<br />

1902 erfolgte an der Opéra Comique in Paris die Uraufführung<br />

von Pelléas et Mélisande. Sie bescherte Debussy einen Skandal und<br />

Ruhm. Eine unübersehbare Zahl an Musikern scharte sich um ihn<br />

und feierte ihn als „Claude de France“. Der Debussysmus trieb kuri-<br />

70 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


Mary Garden als umjubelte Mélisande; Bühnenbild und Programmheft von Léon Bakst zur Aufführung von L’Après-midi d’un faune;<br />

Paris zur Zeit der Weltausstellung <strong>18</strong>89<br />

ose Blüten. Junge Männer kleideten sich wie er, und Mädchen versuchten,<br />

so dünn und zerbrechlich auszusehen wie Mary Garden,<br />

die Darstellerin der Mélisande. Überall in Europa erregten die Aufführungen<br />

von Debussys Werken heftige Diskurse. Seine Klangwelt<br />

verführte zur Nachahmung.<br />

Debussy schuf eine Musik traumentrückter Stimmungen. In<br />

dem sinfonischen Triptychon Nocturnes, das ihn 1900 bekannt<br />

machte, oder der sinfonischen Dichtung La mer gestaltet er mit<br />

zarten Klängen und mannigfaltigen Farben das Vorbeiziehen der<br />

Nachtwolken wie das kräuselnde Spiel der sich im Wind aufbäumenden<br />

Wellen nach. Er arbeite an<br />

gewissen Dingen, „die erst von den<br />

Enkeln des 20. Jahrhunderts begriffen<br />

werden“, schrieb er an den Dichter<br />

Pierre Louÿs.<br />

Seine Klänge ließen die seriellen<br />

Strukturen Anton Weberns erahnen<br />

und nahmen das Phänomen<br />

der Klangfarben vorweg. Wie Pierre<br />

Boulez feststellte, strahlte Debussy „verführerische Kräfte“ aus. Für<br />

Olivier Messiaen war Pelléas et Mélisande eine Offenbarung. Ernst<br />

Krenek entdeckte im Orchestervorspiel zum letzten Akt der Oper<br />

einen Akkord, der ihn tief berührte und „einen magischen Reiz“ auf<br />

ihn ausübte. Er ließ seine Oper Orpheus und Eurydike damit beginnen<br />

und enden und den Klang während des ganzen Stücks immer<br />

wieder auftreten. Béla Bartók fand in Debussys Partituren, die Zoltán<br />

Kodály voll Begeisterung aus Paris brachte, einen der wichtigsten<br />

Anreize zur Herausbildung seines neuen Stils.<br />

Doch die Klänge, mit denen Debussy sein Publikum verzauberte,<br />

waren einem tragischen Leben abgerungen. Angefangen von<br />

der Kindheit mit einer Mutter, der er eine Last war und die kein<br />

SELBST IN SEINER LETZTEN LEBENS-<br />

PHASE BELASTETEN IHN SO ENORME<br />

SCHULDEN, DASS ER IN BRIEFEN VON<br />

SELBSTMORD SCHRIEB<br />

Gespür für sein außergewöhnliches Talent besaß, bis zu seinem Tod<br />

in Krankheit und Krieg war er stetig begleitet von Problemen und<br />

Krisen. Da waren die schwierigen Verhältnisse zu seinen Frauen<br />

und die beständigen Geldnöte, die ihn bedrückten. Selbst in seiner<br />

letzten Lebensphase, als er Erfolg hatte und scheinbar im Wohlstand<br />

lebte, belasteten ihn so enorme Schulden, dass er in Briefen<br />

von Selbstmord schrieb.<br />

Hinzu kamen Depressionen, Ängste und Selbstzweifel. Sie verdammten<br />

ihn immer wieder zu wochenlanger Untätigkeit und verhinderten<br />

die Fertigstellung vieler Werke. Der Komponist Robin<br />

Holloway spricht vom „Zwang zur<br />

Nichtvollendung“. Das Fragment<br />

des Operneinakters La chute de la<br />

maison Usher nach Edgar Allan Poe<br />

wurde 1979 von dem Komponisten<br />

Juan Allende-Blin orchestriert<br />

und an der Deutschen Oper Berlin<br />

uraufgeführt. 2006 „vollendete“<br />

der Musikwissenschaftler Robert<br />

Orledge die Oper mit Debussys Material. Ein im Zuge der im Verlag<br />

Durand erscheinenden „Œuvres Complètes de Claude Debussy“<br />

entdeckter Entwurf lieferte das Motiv der „Schwarzen Flügel des<br />

Schicksals“ für den Schluss.<br />

„Immer wieder kommt etwas ans Licht“, bestätigt Denis Herlin,<br />

der 2002 François Lesure als Herausgeber der Ausgabe nachfolgte.<br />

Er betont zudem die Sorgfalt, die Debussy für sein Werk aufwandte:<br />

„Seine Manuskripte sind Meisterwerke musikalischer Grafik.“<br />

Debussy nahm sie wiederholt zur Hand, um bis in den Probenprozess<br />

hinein zu feilen und zu ändern. „Er wollte immer weitergehen<br />

in seinem Werk und sich nicht wiederholen.“ 20<strong>18</strong> erscheint der 21.<br />

Band. 2030 soll die Ausgabe vollständig vorliegen. <br />

■<br />

71


L A F R A N C E<br />

DENKEN AN CLAUDE<br />

Am 25. <strong>März</strong> ist es 100 Jahre her, dass Claude Debussy seiner Krebserkrankung erlag.<br />

Doch der große Impressionist bleibt unvergessen. Künstler erinnern sich.<br />

Debussy: „Sonates & Trio“,<br />

Renaud Capuçon, Bertrand Chamayou,<br />

Emmanuel Pahud u. a. (Erato)<br />

Emmanuel Pahud FLÖTIST<br />

„Debussy schafft Platz und Raum für die ENTFALTUNG DER EIGENEN FANTASIE DES<br />

ZUHÖRERS: Die Musik steckt in den Beziehungen zwischen den Tönen selbst. Das Ergebnis<br />

ist eine unglaublich intensive und auch sehr subjektive Musik, die extrem vielfältig ist. Ich habe<br />

als Student die Musik von Debussy nur mit einer gewissen klischeehaften „impressionistischen“<br />

Musik verbunden. Ab 30 habe ich dann entdeckt, was für eine belebte Traumwelt dahintersteckt,<br />

und bin seitdem der größte Fan! Debussy hat sehr schöne und wichtige Stücke für ein<br />

damals neues Instrument – die Metall-Querflöte – geschrieben: Syrinx für Soloflöte, die Triosonate<br />

für Flöte, Viola und Harfe, die Chansons de Bilitis für 2 Flöten, 2 Harfen und Celesta und dann immer<br />

eine prominente Rolle im Orchester wie im Prélude zum Nachmittag eines Faunes, La Mer,<br />

Nocturnes, Images, Jeux oder in seiner Oper Pelléas und Mélisande.“<br />

72 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


Bertrand Chamayou PIANIST<br />

„Ich erinnere mich, wie ich sein frühes Werk Rêverie spielte – für hartgesottene<br />

Debussy-Fans ein etwas zuckriges Werk, aber nichtsdestotrotz<br />

mit einzigartigem, unleugbarem Charme. Ich hatte damals gerade<br />

mal ein knappes Jahr lang Klavierunterricht und hatte das Gefühl, mit<br />

dem zarten Trällern der linken Hand wie auf Wolken zu schweben. Ich<br />

verliebte mich sofort in Debussys Musik, und mein Klavierlehrer am<br />

Konservatorium von Toulouse ermutigte mich, mehr Debussy zu spielen<br />

und zu hören.<br />

Meine Lieblingsaufnahme war die Einspielung des gesamten Klavierwerks<br />

von Gieseking, aber ich hörte mir auch Orchesterwerke wie<br />

La Mer und Les Nocturnes an. Debussy war der SOUNDTRACK<br />

MEINER KINDHEIT UND JUGEND.<br />

Debussys Musik wirkt manchmal wie improvisiert, sie geht wie natürlich<br />

in die Finger, als würde man ganz spontan das Instrument streicheln.<br />

Außerdem spüre ich bei Debussy das Verlangen, mit der Natur<br />

im Einklang zu sein – sie nicht zu zähmen, sondern ihr in seiner Musik<br />

freien Lauf zu lassen –, seine tiefsten Gefühle in Musik auszudrücken.“<br />

Debussy: „Sonates & Trio“, Renaud Capuçon, Bertrand Chamayou, Emmanuel Pahud u. a. (Erato)<br />

FOTOS: JOSEF FISCHNALLER LICENSED TO EMI CLASSICS; MARCO BORGGREVE / WARNER CLASSICS; OCHEN BERGER; JULIEN MIGNOT<br />

Michael Korstick PIANIST<br />

„Die Musik Debussys ist ein ZAUBERGARTEN DER<br />

KLÄNGE, Farben und Düfte, der aber nichts Vages an<br />

sich hat, sondern immer einer glasklaren Architektur<br />

verpflichtet ist. Für den Pianisten eine große Aufgabe,<br />

die scheinbar gegensätzlichen Elemente<br />

in Balance zu bringen und in<br />

Klang umzusetzen.“<br />

Debussy: „Piano Music Vol. V“, Michael Korstick<br />

(SWR Music)<br />

HISTORISCHE ZITATE<br />

Jean Cocteau<br />

SCHRIFTSTELLER & MALER, 1926<br />

„Debussy existierte bereits vor Debussy. Da war eine Architektur,<br />

die sich im Wasser spiegelt; da waren Wellen, die sich bilden<br />

und wieder zusammenstürzen; Zweige, die einschlafen, Pflaumen,<br />

die herabfallen, sich zu Tode quälen und Gold bluten. [...]<br />

TAUSEND UNBESTIMMTE WUNDER DER NATUR<br />

haben endlich ihren Übersetzer gefunden.“<br />

Pierre Boulez<br />

KOMPONIST UND DIRIGENT, 1962<br />

„Unter allen Musikern blieb Debussy einer der einsamsten – und<br />

seine Epoche zwang ihn zuweilen zu geschmeidigen und unauffälligen<br />

Lösungen. [...] Debussy STRAHLT VERFÜHRERISCHE<br />

KRÄFTE AUS von geheimnisvoll hinreißendem Zauber. Seine<br />

Position an der Schwelle der Neuen Musik gleicht einem Pfeil, der<br />

einsam in die Höhe schießt.“<br />

Raphaël Merlin<br />

CELLIST DES QUATUOR ÉBÈNE<br />

„Das wunderbare Streichquartett von Debussy<br />

besitzt eine regelrechte Unverfrorenheit: eine<br />

derartige Meisterschaft im Kompositionsprozess,<br />

eine Kraft, EIN HÖHENFLUG ALLER<br />

FARBEN UND TEMPERATUREN – von<br />

der Hitze Spaniens im Scherzo, das einen an<br />

Flamenco erinnert über die schwüle Hitze des<br />

Nachmittags eines Faunes am Ende des ersten<br />

Satzes bis zum frischen Abendwind am Anfang<br />

des Finales. Dieser junge Komponist hatte<br />

schon die Türen zu einem völlig einzigartigen Weg geöffnet, auf dem<br />

sich harmonische Neuerung mit einem außergewöhnlichen Gespür<br />

für Farbe, für Geheimnisvolles, für Poesie und für harmonischen<br />

Genuss verbindet. Auch wenn sich Ravels und Faurés Quartette, ehrlich<br />

gesagt, nicht verstecken müssen, ist das<br />

von Debussy am körperlichsten, am unvergesslichsten.<br />

Insgesamt hat Debussy in seinem<br />

Œuvre für Orchester und Gesang besser als<br />

alle anderen die Idee des Impressionismus in<br />

der Musik herauskristallisiert. Damit war er<br />

Wegbereiter etwa für Kodály, Bartók oder<br />

Dutilleux. Und ihm gebührt der Preis für die<br />

beste Konzentration von Emotionen trotz relativer<br />

Durchsichtigkeit bei gleichzeitiger Bewahrung<br />

seiner antiken Wurzeln. Wir lieben ihn von<br />

ganzem Herzen!“<br />

„Eternal Stories“, Michel Portal, Quatuor Ébène (Erato)<br />

73


L A F R A N C E<br />

C’EST MAGNIFIQUE !<br />

Zur Würdigung von Debussys 100. Todestag darf auch eine Vielzahl von Neuerscheinungen<br />

nicht fehlen! Wir haben einige besonders lohnenswerte für Sie herausgepickt.<br />

Komplett!<br />

Ach, du dickes Ding! Auf 33 CDs beglückt das Label Warner<br />

mit einer Gesamtaufnahme aller Werke des großen Impressionisten.<br />

Etliche Werke davon liegen sogar erstmalig in einer<br />

Einspielung vor, etwa die lyrische Komödie Diane au bois für<br />

Sopran, Tenor und Klavier oder das Chanson des brises für Solo-<br />

Sopran, Frauenchor und Klavier zu vier Händen oder die erste<br />

vollständige Einspielung des Bühnenwerks Le Martyre de Saint<br />

Sébastien. Als Interpreten sind etwa Pierre-Laurent Aimard,<br />

Michel Béroff, Martha Argerich oder Yehudi Menuhin zu hören.<br />

Als Bonusmaterial gibt’s die einzige bekannte Einspielung Debussys<br />

als Klavierbegleiter für Mary Garden sowie 14 Klavierstücke,<br />

die der Meister selbst 1913 auf Welt-Mignon-Walze, also einer<br />

frühen Form des selbst spielenden Klaviers, die schon eine recht<br />

authentische Wiedergabe ermöglichte, einspielte.<br />

Claude Debussy: „The Complete Works“ (Warner Classics)<br />

Verpuppt<br />

Gut 12 cm ist er groß, der<br />

handgefertigte kleine<br />

Claude aus Holz, Draht,<br />

Ton und Farbe – natürlich<br />

stilecht mit schwarzem<br />

Anzug, langem Mantel,<br />

schwarzer Krawatte und<br />

einer Komposition in der<br />

Hand. Für rund 45 Euro<br />

lässt sich das kleine Kerlchen<br />

auf Etsy – einem Internetportal<br />

für Handgemachtes<br />

– bestellen.<br />

www.uneekdolldesigns.etsy.com<br />

Vom Altmeister<br />

Pianist Menahem Pressler ist eine<br />

Legende! 55 Jahre stellte er seine<br />

Karriere in den Dienst des Beaux<br />

Arts Trios. Mit stattlichen 84 Jahren<br />

begann er dann seine Solokarriere. Und nun – mit<br />

unglaublichen 94 Jahren! – hat er sich seiner geliebten<br />

französischen Komponisten angenommen: Fauré,<br />

Ravel und natürlich auch Debussy. Letzterer begleitet<br />

ihn schon seit seinen Jugendjahren und der dramatischen<br />

Flucht mit seiner jüdischen Familie von<br />

Deutschland nach Palästina zu Zeiten des Nationalsozialismus.<br />

Noch auf der Flucht sandte ihm sein ehemaliger<br />

Klavierlehrer eine Debussy-Partitur nach! Mit<br />

welcher Intensität und Frische Pressler diese Werke<br />

präsentiert, ist schlichtweg unglaublich!<br />

Debussy, Fauré, Ravel: „Clair de lune“, Menahem Pressler<br />

(Deutsche Grammophon)<br />

Briefoffenbarung<br />

Verleger Jacques Durand war nicht nur einer der wichtigsten Geschäftspartner<br />

für Debussy, sondern auch Freund, Mäzen und Ratgeber. Nun ist die<br />

Korrespondenz mit ihm und Debussys anderen Verlegern erstmals auf<br />

Deutsch erschienen – inklusive erläuternder Kommentare. Intime Dokumente,<br />

die nicht nur musikhistorisch faszinieren, sondern auf eine Zeitreise<br />

in die Epoche zwischen Fin de siècle und Erstem Weltkrieg entführen.<br />

„Claude Debussy. Briefe an seine Verleger. Übersetzt und herausgegeben von Bernd Goetzke“ (OLMS)<br />

74 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


Inspiration<br />

Als Synästhetikerin, die Klänge als Farben<br />

wahrnimmt, war die deutsch-ukrainische Pianistin<br />

Marina Baranova schon als Kind völlig<br />

von Claude Debussys Musik fasziniert. Tief<br />

eintauchen wollte sie vor allem in seine gehaltvollen<br />

Schattenseiten – jenseits seines unsteten<br />

Privatlebens und seiner stürmischen Liebschaften.<br />

So entschloss sie sich zu einer improvisatorisch<br />

entwickelten, vollkommen neuen<br />

Interpretation seiner Werke auf Instrumenten<br />

wie Una Corda, Fender Rhodes, präpariertem<br />

Klavier und Bechstein-Flügel. Ein Album, das<br />

Liebhabern klassischer wie zeitgenössischer<br />

Musik spannende Klänge über und mit<br />

Debussy präsentiert.<br />

Marina Baranova: „Unfolding Debussy“ (Neue Meister)<br />

Préludes mal drei<br />

Zum Gedenktag dürfen natürlich auch unzählige Neueinspielungen der<br />

Debussy’schen Préludes nicht fehlen! Uns haben drei davon besonders gut<br />

gefallen: Da wäre einmal die irisierende Einspielung des finnischen Pianisten<br />

Paavali Jumppanen – eine Entdeckung! Neben den Préludes lässt er auch<br />

Children’s Corner erklingen, die Debussy seiner dreijährigen Tochter Emma-<br />

Claude, genannt Chouchou, widmete.<br />

Lyrisch tönt die Interpretation von Vincent Larderet, der neben dem zweiten<br />

Buch der Préludes und den Images auch die Ersteinspielung einer<br />

Transkription der sinfonischen Fragmente von Le Martyre de Saint Sébastien<br />

vorlegt. Hier schlagen zwei französische Seelen im Einklang.<br />

Schließlich wäre da noch das Remastering des absoluten Klassikers unter<br />

den Einspielungen auf CD und LP: Glenn Goulds Version von 1969. Hier<br />

lässt sich in einer sehr unmittelbaren, sehr nahe an den Saiten aufgenommenen<br />

Aufnahme Debussys Nähe zum Jazz regelrecht einatmen.<br />

Debussy: „Préludes, Children’s Corner“, Paavali Jumppanen (Ondine)<br />

„Debussy Centenary 19<strong>18</strong>–20<strong>18</strong>”, Vincent Lardent (Ars Produktion)<br />

Debussy: „24 Préludes”, Friedrich Gulda (MPS)<br />

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L A F R A N C E<br />

WONNESCHAUER MIT<br />

SUCHTFAKTOR<br />

Die französische Oper hatte über viele Jahrhunderte hinweg in<br />

Deutschland keinen leichten Stand, die „Erbfeindschaft“ wurde auch hier geschürt.<br />

Nun feiern diese zeitlosen Werke eine gigantische Renaissance.<br />

VON ROLAND H. DIPPEL<br />

Marianne Crebassa in<br />

Offenbachs Fantasio<br />

an der Opéra-Comique<br />

in Paris<br />

Süßlich, äußerlich, flach!<br />

So lautete noch vor 50<br />

Jahren das „Expertenurteil“<br />

über das weite<br />

Feld französischer Opern.<br />

Damals, als Charles Gounods<br />

kürzlich von der Opéra Genève<br />

als „‚Icône“ gelobter Faust in<br />

Deutschland noch Margarete<br />

hieß. Man schämte sich für die<br />

Freude über die vielen Schlager<br />

dieser Partitur, die vermeintlich<br />

trivial an Goethes Faust I kratzt.<br />

Als kulturfähig galten im deutschen<br />

Sprechraum nur Offenbachs<br />

Les contes d’Hoffmann und natürlich Carmen. Im Repertoire<br />

der Met verankerte Juwelen wie Gounods Roméo et Juliette oder<br />

Jules Massenets wunderbare Kurtisanenoper Thaïs kannte man<br />

nur von Plattenaufnahmen mit einer rassigen Anna Moffo auf der<br />

Posterbeigabe oder Fernsehübertragungen.<br />

Das änderte sich erst mit der Massenet-Einspielungswelle kurz<br />

vor Erfindung der CD und einer eisbrechenden Produktion: Nach<br />

Massenets Werther im Nationaltheater München 1977 mit der aufregenden<br />

Brigitte Fassbaender und Plácido Domingo überrollte eine<br />

Werther-Welle das Land. Charles de Gaulles und Konrad Adenauers<br />

deutsch-französischer Freundschaftsvertrag (1963) hatte doch noch<br />

einen förderlichen Einfluss auf das nach dem Jahr 2000 endlich in<br />

voller Üppigkeit gedeihende Orchideenrepertoire aus Frankreich.<br />

Den Höhepunkt bildet die Edition Palazzetto Bru Zane mit<br />

Aufnahmen und wissenschaftlich verlässlichen Noteneditionen:<br />

Gerade räumten Ulf Schirmer und das Münchner Rundfunkorchester<br />

mit der Weltersteinspielung von Camille Saint-Saëns’ Proserpine<br />

den begehrten International Classical Music Award 20<strong>18</strong><br />

ab. Überhaupt ist Ulf Schirmer bei den Sonntagskonzerten des<br />

Bayerischen Rundfunks für Palazetto Bru Zane ein passionierter<br />

Wiederholungstäter mit Benjamin Godards Dante und Gounods<br />

Mantel-und-Degen-Oper Cinq-Mars, die er 2017 an der<br />

Oper Leipzig mit einer umjubelten Produktion hinterherschickte.<br />

Ein Spitzenwerk wie Halévys La juive (jüngst erst in Mannheim,<br />

München, Nürnberg) ist ein<br />

wichtiges Beispiel für die Spiegelung<br />

antisemitischer Tendenzen<br />

in urbanen Kulturformen<br />

und gehört seit Neil Shicoffs<br />

rückhaltloser Identifikation<br />

mit dem Juden Eléazar fast wieder<br />

zum Standardrepertoire.<br />

In Stuttgart dauerte der Abend<br />

mit nur einer kurzen Pause<br />

fünfeinhalb Stunden.<br />

Regisseure wie Christof<br />

Loy und Peter Konwitschny<br />

nutzen diese französischen<br />

Opernpanoramen für bezwingende<br />

Szenerien und Menschenbilder. Es hat also Gründe, wenn<br />

sich strichlose Aufführungen von Verdis französischer Don Carlos-Fassung,<br />

Les vêpres Siciliennes (in Genf, London und Amsterdam<br />

mit der kurzweilig 27-minütigen Balletteinlage) oder Rossinis<br />

Guillaume Tell häufen und Wagners vermeintliche Rekordlängen<br />

lässig übertrumpfen.<br />

Diese französischen Funde beweisen ihre auch für die heutige<br />

Zeit ästhetische und qualitative Relevanz. Das liegt auch daran,<br />

dass die Muster der französischen Oper bereits seit den barocken<br />

Spitzenkomponisten Rameau und Lully weitaus multipler waren als<br />

jene der „lyrischen Dramen“ Italiens, die sich wie die deutsche Oper<br />

und auch Tschaikowsky an französischen Vorbildern orientiert hatten.<br />

Bis zum Aufstieg Bayreuths war Paris mit der Académie nationale<br />

und der Opéra-Comique das Vorbild für Europa, Amerika, den<br />

Nahen Osten. Oscar Bie erklärte die geschmeidige Opéra-Comique<br />

mit ihren gesprochenen Dialogen in seiner Basisschrift Die Oper<br />

(1913) noch auf dem Höhepunkt des Wagnerkults zur idealen, weil<br />

dramatisch flexibelsten Opernform. Paul Bekker wies in Wandlungen<br />

der Oper (1934) aus Zürich der deutschen Oper als wesentlichen<br />

Parameter die Deklamation zu, der italienischen das Melos und der<br />

französischen Oper den Tanz. Also umgekehrt zu den späteren Ausreden:<br />

Da wurde die Schwierigkeit der Übersetzung in andere Sprachen<br />

oder einer korrekten Diktion genannt, um französische Opern<br />

zu meiden. Teils berechtigt, hört man heute zum Beispiel Mayer-<br />

76 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


FOTOS: PIERRE GROSBOIS; BILL COOPER; GREGORY KUNDE<br />

Verdis Les vêpres siciliennes am Royal Opera House in London;<br />

Meyerbeers Le prophète an der Deutschen Oper Berlin<br />

beers Gli ugenotti von der <strong>Mai</strong>länder Scala mit Franco Corelli oder<br />

Peter Maags entstellende Einrichtung von Massenets Manon. Die<br />

Meisterung stilistischer Herausforderungen sind heute Standard<br />

auch kleinerer Theater, so nachzuhören auf dem Album mit der<br />

sensationellen Wiederentdeckung von Gounods Schaueroper Die<br />

blutende Nonne am Theater Osnabrück.<br />

Endlich finden die großen Werke des Berliners Giacomo<br />

Meyerbeer, möglich durch die kritische Werkausgabe, ihren Weg<br />

zurück auf die Bühnen, zum Beispiel im Kraftakt eines vierteiligen<br />

Zyklus an der Deutschen Oper Berlin. Spannend ist das sogar bei<br />

der leider nicht ganz überzeugenden Produktion Le prophète 2017.<br />

Zu einer atemberaubenden Aktualisierung des Wiedertäufer-<br />

Dramas wurde dieser allerdings 2015 durch den Regisseur Tobias<br />

Kratzer und das Ensemble des Badischen Staatstheaters Karlsruhe.<br />

Überwunden scheinen jene Polemiken, die um 1770 mit<br />

Gottscheds und Schillers Kritik an der klassischen Tragödie<br />

Frankreichs begannen, mit Richard Wagners neidischen Invektiven<br />

ihren Höhepunkt erreichten und in den weichlichen Kritiken<br />

der Nachkriegszeit versandeten. Ganz gewiss lag es nicht am<br />

gewandelten Zeitgeschmack, dass nach 1914 Rossinis Wilhelm Tell,<br />

Meyerbeers Die Hugenotten und Der Prophet von den Bühnen verschwanden.<br />

Man wollte nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg<br />

und den Verträgen von Versailles einfach keine Werke aus dem<br />

Lager des Erzfeinds auf den Spielplänen sehen. Später perfektionierte<br />

der engstirnige Propagandablick der Nationalsozialisten<br />

diese Ausgrenzung. Mit bekannt absurden Auswirkungen, die erst<br />

seit Beginn des französischen Opernbooms durch deliziöse Wonneschauer<br />

gesühnt werden.<br />

Ein besonders markantes Opfer des deutsch-französischen<br />

Opernkampfes ist Jacques Offenbachs Fantasio, der wie die stoffgebende<br />

Komödie Alfred de Mussets in München spielt. Am Originalschauplatz<br />

steht die Erstaufführung dieses elegisch-bezaubernden<br />

Werks übrigens noch immer aus. Nach dem Deutsch-<br />

Französischen Krieg <strong>18</strong>70/71 war der gebürtige Kölner Offenbach<br />

in Frankreich als deutschstämmiger Theaterleiter wirtschaftlich<br />

erledigt – im Deutschen Reich galt er, weil nach Paris umgesiedelt,<br />

als Abtrünniger. Die Fantasio-Uraufführung an der Opéra-<br />

Comique konnte <strong>18</strong>72 so nur zum Achtungserfolg werden. Dank<br />

der kritischen Edition von Jean-Christophe Keck trieb der Münchner<br />

Student, der Prinzessin Elisabeth von Bayern vor einer unsinnigen<br />

Verlobung rettet, zuletzt 2017 in Paris und Genève in der<br />

Darstellung durch die wunderbare Marianne Crebassa sein bittersüßes<br />

Unwesen. Dieser liebenswerte Hasardeur ist pariserisch,<br />

münchnerisch, französisch, deutsch und mit seinem Pazifismus<br />

international. So international wie die Vielfalt noch zu entdeckender<br />

Opern aus Frankreich. Ein unerschöpflicher Suchtfaktor für<br />

Geist, Herz und Sinne. C’est ça!<br />

■<br />

77


L A F R A N C E<br />

Der Axel-Brüggemann-Kommentar<br />

NATIONAL – INTERNATIONAL<br />

– VÖLLIG EGAL?<br />

Musik ist eine universelle Sprache. Richtig ist aber auch:<br />

Sie erzählt viel über nationale Eigenheiten.<br />

Was Deutschland und Frankreich voneinander lernen können …<br />

ES GAB EINE ZEIT, ALS DAS<br />

DEUTSCHE REGIETHEATER<br />

INTERNATIONAL ALS<br />

„GERMAN TRASH“<br />

BEZEICHNET WURDE<br />

Gern betonen wir die Internationalität der Musik, die Möglichkeit<br />

des Klangs, Grenzen zu überwinden und Menschen zusammenzuführen.<br />

All das ist im Grunde richtig. Gerade in der Dur-Moll-<br />

Harmonik gibt es ein kollektives Verstehen, ein internationales<br />

Verständnis über die Kategorien von schön und hässlich, leidenschaftlich<br />

und langweilig, konventionell und mutig.<br />

Doch das ist nur ein Teil der Wahrheit. Der andere geht so:<br />

Natürlich gibt es nationale Besonderheiten,<br />

regionale Kulturen und Geschmäcker<br />

– ja, zuweilen unterscheiden sich gar die<br />

Auffassungen darüber, welche Rolle die<br />

klassische Musik innerhalb einer Nation<br />

einnehmen soll, von Land zu Land.<br />

Die Beziehungen zwischen Ländern<br />

wie Frankreich und Deutschland sind seit<br />

jeher komplex. Belastet durch den Gang<br />

der Geschichte und flankiert von musikhistorischen<br />

Mythen, die der Geschichte<br />

ihren ureigenen Soundtrack verliehen haben. Einer der größten dieser<br />

deutsch-französischen Mythen ist wohl die Pariser Tannhäuser-<br />

Aufführung von <strong>18</strong>61, in der Richard Wagners Werk hemmungslos<br />

ausgebuht und mit Trillerpfeifen niedergelärmt wurde.<br />

Wagner selbst hat diese Enttäuschung nie wirklich überwunden<br />

und sie später zur nationalen Gretchenfrage stilisiert: der deutsche<br />

Wahl-Franzose Meyerbeer oder er? Der italienische Superstar<br />

in Paris, Rossini, oder er? Was Wagner gern verschwieg: Natürlich<br />

profitierte er von der großen französischen Operntradition, orientierte<br />

sich in seinen frühen Werken an der Grand Opéra, wie sie<br />

eines seiner großen Vorbilder, Daniel-FranÇois-Esprit Auber, der<br />

Komponist der Stummen von Portici, prägte. Und natürlich hätte<br />

Wagner sich in jungen Jahren nichts mehr gewünscht, als in Paris<br />

gefeiert zu werden, als anzukommen in den großen Salons des<br />

internationalen Melting-Pots, in dem deutsche, italienische und<br />

französische Musik miteinander in Dialog standen. Doch Wagners<br />

Werk war zu sperrig und er begann, den „welschen Tand“ zu diskreditieren,<br />

nahm eine nationalistische Position ein, selbst noch in<br />

späteren Opern wie den Meistersingern. Ein Nationalismus, der im<br />

Deutsch-Französischen Krieg ebenso wie in den beiden Weltkriegen<br />

dazu führte, Wagner als Alibi deutscher Kulturüberlegenheit<br />

zu stilisieren. Als Wagners Werk sich schließlich doch in Frankreich<br />

durchsetzte, machten sich sofort Komponisten wie Claude<br />

Debussy daran, mit Opern wie Pelléas et Melisande eine bewusst<br />

französische Version des Tristan zu verfassen:<br />

mehr Melodie, weniger Leiden,<br />

mehr Intimität statt großem Orchester,<br />

mehr impressionistisches Wasser als<br />

moosbehafteter deutscher Wald.<br />

Der Versuch, den sogenannten<br />

„Erbstreit“ im 19. Jahrhundert auch in der<br />

Musik zu verankern, scheint historisch<br />

nachvollziehbar, ebenso wie die Konsequenz,<br />

dass sich die beiden Länder spätestens<br />

nach Ende des Zweiten Weltkrieges<br />

und der neuen, intensiven deutsch-französischen Freundschaft,<br />

wie Konrad Adenauer und Charles de Gaulle sie eingeleitet haben,<br />

angenähert haben sollten. Wenn man aber genau hinschaut, überwiegt<br />

in der klassischen Musik tatsächlich noch immer das Trennende.<br />

Es reicht bereits ein Blick in die Klassik-Charts, um zu sehen,<br />

wie unterschiedlich nationale Geschmäcker innerhalb Europas<br />

noch heute sind. In Deutschland rangieren in diesen Tagen Cecilia<br />

Bartoli und Sol Gabetta, Albrecht Mayer, Anne-Sophie Mutter oder<br />

Teodor Currentzis auf den Top-Platzierungen. Keiner von ihnen<br />

taucht in der entsprechenden Statistik in Frankreich auf, nicht einmal<br />

Anna Netrebko oder Jonas Kaufmann, obwohl der sein neues<br />

Arienalbum gerade der französischen Oper gewidmet hat. Sie alle<br />

sind zunächst einmal Phänomene des deutschen Plattenmarktes.<br />

Ein weiterer Blick, etwa auf das Programm des Radiosenders<br />

France Musique, zeigt, dass die Stars in Frankreich ganz andere<br />

Namen tragen. Unter ihnen Stéphane Denève, Ian Bostridge, Nel-<br />

ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ<br />

78 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


son Goerner oder Roberto Alagna. Und auch das gespielte Repertoire<br />

unterscheidet sich erheblich von den in Deutschland beliebten<br />

„Klassikern“. In Frankreich wird sehr viel Alte Musik gehört,<br />

auffällig auch die Liebe zu slawischen Komponisten und in der<br />

Oper natürlich auch zu Werken von Rossini oder Janáček, dazu<br />

französische Komponisten wie Lully, Berlioz oder Bizet. Augenfällig<br />

auch, dass keine einzige der Goldauszeichnungen des Magazins<br />

Diapason in den deutschen Klassik-Charts rangiert, weder die<br />

Beethoven-Sonaten von Richard Goode noch die Troyens mit John<br />

Nelson oder die mittelalterlichen Gesänge Parle Que Veut.<br />

Wer glaubt, dass der deutsche und der französische Markt<br />

sich antipodisch verhalten, der wird über den Markt in Großbritannien<br />

staunen, auf dem alles noch einmal ganz anders geordnet<br />

ist. Unangefochten auf Platz eins der – wohlgemerkt! – Klassik-Charts<br />

steht hier der Star-Wars-<br />

Soundtrack, daneben unendlich viele<br />

Einspielungen von Ludovico Einaudi,<br />

aber auch die Sinfonien von Michael<br />

Tippett mit dem BBC Orchestra oder<br />

die Bach-Sonaten mit Kristian Bezuidenhout.<br />

Hinter dieser Auflistung verbergen<br />

sich nicht nur individuelle nationale<br />

Vorlieben, die auf der Hand<br />

liegen. Klar, dass deutsche Künstler<br />

in Deutschland, französische in<br />

Frankreich und britische Künstler in<br />

England die größten Erfolge feiern,<br />

logisch auch, dass jede Nation am liebsten jene Musik hört, die zur<br />

Geschichte des Landes gehört; Opern und Arien, die in der eigenen<br />

Sprache gesungen werden; Musik, die einen Franzosen, Deutschen<br />

oder Engländer seit der Schule begleitet. Aber etwas anderes<br />

fällt ebenfalls auf, und das ist ein eher struktureller Unterschied.<br />

Die Charts in Deutschland sind vornehmlich PR-getrieben,<br />

kaum ein kleines Label, das es in die Top Ten schafft. Und es sind<br />

vornehmlich sogenannte „ernsthafte“ Klassikkünstler, die von den<br />

Labels vorgestellt und von den Hörern gehört werden. Um in die<br />

Charts aufgenommen zu werden, müssen tatsächlich „klassische“<br />

Titel eingespielt werden, anders als auf dem britischen Markt, auf<br />

dem Filmmusik die Klassikverkaufszahlen der Labels in die Höhe<br />

treibt (erstmals übrigens mit dem Titanic-Soundtrack). Außerdem<br />

spielen hier Künstler eine größere Rolle, die in der Masse populär<br />

sind, etwa Andrea Bocelli, über den ein Jonas-Kaufmann-Fan vielleicht<br />

gern die Nase rümpft. Aber es geht hier nicht um ein Besser<br />

oder Schlechter, sondern darum zu verstehen: Der britische Markt<br />

lebt von einer breiten Masse, die nicht immer im Elfenbeinturm<br />

der Musik sitzt, sondern gern auch an der Grenze zum Populären<br />

tanzt – jenem Populären, das in England jenseits der etablierten<br />

Opern- und Konzerthäuser und der Labels durch Medien wie das<br />

Radio und das Fernsehen als Klassik definiert wird.<br />

Und auch der Vergleich zwischen Deutschland und Frankreich<br />

ist erhellend. Während Deutschland mit seiner einmaligen<br />

Orchester- und Opernstruktur, die in jeder größeren Stadt einen<br />

weitgehend erschwinglichen Live-Zugang zur Musik ermöglicht,<br />

darauf setzt, dass die klassische Musik grundsätzlich Allgemeingut<br />

und kein Distinktionsmerkmal sein soll, sieht die französische<br />

Struktur anders aus: Orchester und Opernhäuser sind<br />

hauptsächlich in großen Städten zu Hause, die Subventionen<br />

wesentlich geringer als bei uns – die klassische Musik dadurch<br />

immer auch ein Ort des Bürgerlichen oder zumindest ein Zeichen<br />

von erreichter Bürgerlichkeit. Dieser Zustand sagt zunächst<br />

ES REICHT EIN BLICK IN DIE KLASSIK-<br />

CHARTS, UM ZU SEHEN,<br />

WIE UNTERSCHIEDLICH<br />

NATIONALE GESCHMÄCKER<br />

INNERHALB EUROPAS<br />

NOCH HEUTE SIND<br />

etwas über das Selbstverständnis und weniger über die Qualität<br />

aus – im Gegenteil.<br />

Der Unterschied der Erwartungen an die klassische Musik und<br />

ihre gesellschaftliche Rolle zeigt sich nirgends so konzentriert wie<br />

im deutsch-französischen Fernsehsender Arte, in dem beide Länder<br />

an der Programmgestaltung beteiligt sind. So liefert Frankreich auf<br />

Arte Concert etwa ein Programm mit der Pianistin Beatrice Rana,<br />

mit Antoine Tamestit, Leonidas Kavakos oder oder Daniil Trifonov,<br />

während Deutschland Teodor Currentzis mit dem SWR, eine<br />

Mozart-Session mit Andreas Ottensamer und Anna Prohaska oder<br />

Andris Nelsons mit dem Gewandhausorchester beisteuert.<br />

Es ist aber nicht allein die gegenseitige inhaltliche Bereicherung,<br />

sondern auch der Umgang damit, wie Klassik dem jeweiligen<br />

Publikum in Frankreich und Deutschland vermittelt wird. Während<br />

das französische Publikum in erster<br />

Linie sachliche Informationen erwartet,<br />

also Geschichten über das Leben<br />

und Werk der Komponisten, eine historische<br />

Einordnung und eine knappe<br />

musikalische Analyse, dazu eine weitgehend<br />

unkritische, in Superlativen<br />

erzählende Begleitung der Konzerte,<br />

scheint für einen Großteil des deutschen<br />

Publikums eher die Individualität<br />

und Persönlichkeit der Musizierenden<br />

im Vordergrund zu stehen, ihre<br />

privaten Zugänge zur Musik und die<br />

eher kritische Grundfrage nach der<br />

gesellschaftlichen Bedeutung eines Werkes. Zwei grundverschiedene<br />

Erzählarten von Musik. Der französische Narrativ mag vielen<br />

Deutschen zu didaktisch wirken, zu oberlehrerhaft und unkritisch,<br />

der deutsche vielen Franzosen zu respektlos, zu hinterfragend, zu<br />

kritisch und experimentell.<br />

Ein Phänomen, das übrigens auch auf den Opernbühnen der<br />

beiden Länder zu sehen ist. Es gab eine Zeit, als das deutsche Regietheater<br />

international als „German Trash“ bezeichnet wurde, der Versuch,<br />

alte Stoffe in unsere Zeit zu übersetzen, sich mit dem Faktum<br />

auseinanderzusetzen, dass Musik immer eine zweite Schöpfung<br />

beherbergt, immer nur im Hier und Jetzt entsteht, die Frage nach<br />

ihrer aktuellen Relevanz – all das ist in Frankreich nur selten zu<br />

sehen. Hier ist Oper oft hauptsächlich eine repräsentative Größe,<br />

die den Alltag verschönern und zur Einkehr einladen soll. Das mag<br />

auch daran liegen, dass die klassische Musik in Frankreich eine<br />

weitgehend klare Position einnimmt, mit der sie gut fährt: Sie ist<br />

zum einen Unterhaltung und Besinnung, zum anderen Ausdruck<br />

bürgerlicher Lebensqualität, ein Synonym für Wissen, Erkenntnis<br />

und Geschichtsbewusstsein.<br />

Vielleicht liegt gerade in diesen Unterschieden das eigentliche<br />

Spannende, wenn wir über die Internationalität der Kunst sprechen.<br />

Wir befinden uns schon lange nicht mehr im Zeitalter der Nationalismen<br />

(auch wenn diese gerade eine Renaissance zu feiern scheinen),<br />

haben das 19. und das 20. Jahrhundert mit all ihren nationalen<br />

Kriegen überwunden und stehen vor dem großen Luxus, dem<br />

anderen mit Neugier begegnen zu können. Gerade deshalb ist es<br />

erstaunlich, wie getrennt die einzelnen nationalen Welten – besonders<br />

in der Internationalität der Klassikszene – noch immer sind.<br />

Und wie gering das gegenseitige Interesse daran zu sein scheint, einander<br />

besser kennenzulernen. Dabei lohnt ein Blick auf den französischen<br />

Markt durchaus, denn hier lassen sich schon an der Oberfläche<br />

Musik und Musiker entdecken, die bei uns in Deutschland oft<br />

zu Unrecht im Schatten stehen. <br />

■<br />

79


L A F R A N C E<br />

KATHOLIZISMUS UND<br />

VOGELSTIMMEN<br />

Olivier Messiaen ist zweifellos der große Charakterkopf der französischen Musik.<br />

Wir sprachen mit seinem Schüler Michael Stegemann.<br />

VON SINA KLEINEDLER<br />

Olivier Messiaen und seine zweite Ehefrau, Pianistin Yvonne Loriod – Muse und wichtige Interpretin seiner Werke<br />

Rhythmusbesessener, Vogelstimmenverehrer, unerschütterlich<br />

Glaubender: Olivier Messiaen (1908–1992) ist<br />

einer der schillerndsten Komponisten des 20. Jahrhunderts.<br />

Die Mutter Dichterin, der Vater Shakespeare-Übersetzer<br />

– da wundert es nicht, dass Messiaens Musik in besonderer<br />

Weise mit Sprache verbunden ist. Doch auch eine ganz andere<br />

Form von Sprache, nämlich die der Vögel, übte großen Reiz auf<br />

den französischen Komponisten aus. Als leidenschaftlicher Ornithologe<br />

konnte er mehrere hundert Vögel anhand ihrer Stimmen<br />

erkennen. Die Melodien ihrer Gesänge machte er zu seinen eigenen,<br />

indem er sie zu Musik transkribierte und in seinen „cahiers“,<br />

seinen Notizbüchern, sammelte.<br />

Als Lehrer war Messiaen höchst anerkannt. Zu seinen Schülern<br />

am Pariser Conservatoire zählten Boulez, Stockhausen und Xenakis.<br />

Auch der Musikwissenschaftler, Rundfunkautor, Schriftsteller<br />

und Regisseur Michael Stegemann war von 1976 an Messiaens<br />

FOTO: MALCOLM BALL<br />

80 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


Die Gartengrasmücke lieferte Titel und musikalisches Material für Messiaens La fauvette des jardins;<br />

Mitte: Die Kirche La Trinité in Paris, in der Messiaen 60 Jahre lang Organist war<br />

Student. Mit gerade einmal 20 Jahren bestand<br />

er die Aufnahmeprüfung in Paris und<br />

kam in Messiaens Meisterklasse. Für<br />

crescendo erinnert er sich.<br />

Mit sieben anderen<br />

internationalen Kompositionsstudenten,<br />

unter anderem<br />

George Benjamin und<br />

Michèle Reverdy, wurde Stegemann<br />

anderthalb Jahre lang von Messiaen<br />

ausgebildet. „Wir hatten alle<br />

unglaublichen Respekt vor diesem<br />

Meister. Alles, was er sagte, haben<br />

wir erst einmal so hingenommen.<br />

Wenn er sagte, dass er Beethovens<br />

späte Streichquartette nicht möge,<br />

weil er die Musik ‚zu grau‘ findet,<br />

dann hätte keiner gewagt zu sagen:<br />

‚Entschuldigung, Maître, das sehe ich<br />

anders.‘“ Während unter den acht<br />

in unterschiedlichen Stilrichtungen<br />

– von freier Atonalität bis zu streng<br />

seriellen und elektronischen Werken<br />

– komponierenden Studenten<br />

immer wieder „die Fetzen flogen“,<br />

stellte Messiaen bei Diskussionen<br />

nur eine simple Frage: „Warum?“<br />

„Er hat nie direkt eingegriffen und<br />

gesagt ,Das gefällt mir‘ oder ,Das<br />

würde ich anders machen‘. Er hat<br />

immer nur gefragt: ,Warum machst<br />

du das an der Stelle so?‘ Mit dieser<br />

Frage, quasi einem sokratischen<br />

Prinzip, war man gezwungen, seine<br />

eigenen ästhetischen Entscheidungen<br />

auf die Prüfwaage zu legen.“<br />

Trotz aller Bekanntheit legte<br />

Messiaen großen Wert darauf, sich keine „Stiljünger“ zu erschaffen.<br />

Tatsächlich gibt es niemanden, der seinen Stil unmittelbar<br />

fortgeführt hat. Was aber machte den persönlichen Stil Messiaens<br />

aus? Rhythmus, Modi, das Nichtumkehrbare, Vogelstimmen,<br />

Religion. Das sind die Parameter, die seinem Schüler sofort einfallen:<br />

„Sein profunder Katholizismus hat ihn manchmal in die<br />

Nähe von fast kitschigen Klängen geführt, im guten Sinne. Was<br />

ihn ausmacht, sind aber nicht nur einzelne Elemente, sondern<br />

deren Kombination. Es sind sein Klang, seine Farben. Messiaen<br />

ist einer der meist aufgeführten Komponisten der Moderne. Das<br />

wäre nicht der Fall, wenn man bei ihm nicht eine Art sinnlichen<br />

Zugang finden würde, der sich einem, wenn man sich darauf einlässt,<br />

unmittelbar öffnet.“<br />

Ist Messiaens Musik typisch „französisch“? Stegemann bejaht<br />

das: „Er war ein typischer Franzose, mit seiner Klangsinnlichkeit.<br />

Bei Messiaen ist es immer der Klang, der an erster Stelle steht. Er<br />

dachte in Klängen und Farben – als Synästhetiker hat er bei Klängen<br />

tatsächlich Farben gesehen! Sehr französisch ist auch sein Verhältnis<br />

zur Sprache. Schon seit dem französischen Barock ist das<br />

prosodische Denken ein wichtiges Element: Musik ist eine Sprache.<br />

Die Kunst, Musik zu schreiben, hat ähnliche Regeln bezüglich<br />

Grammatik, Zeichensetzung, Längen, Kürzen und Pausen wie<br />

die französische Literatur. Das findet man bei Lully, Rameau …<br />

DIE VÖGEL WAREN FÜR IHN<br />

VERMITTLER ZWISCHEN HIMMEL<br />

UND ERDE UND IHRE MELODIEN DIE<br />

URSPRÜNGLICHSTE MUSIK<br />

ganz deutlich bei Ravel und vor allem Debussy – der war Messiaens<br />

Gott, der Allerheiligste von allen. Immer, wenn ich Messiaen<br />

höre, habe ich das Gefühl, als ob man eine verständliche Sprache<br />

in musikalischen Klängen wahrnimmt. Sprache und Klangfarben<br />

waren für ihn die beiden Hauptparameter, um Musik zu<br />

inspirieren und generieren.“ In seinen Analysekursen brachte<br />

Messiaen den Studierenden neben Werken wie Wagners Walküre,<br />

Debussys Pelléas et Mélisande<br />

oder Ravels Gaspard de la nuit auch<br />

Musik von Komponisten nahe, die<br />

außerhalb von Frankreich kaum<br />

oder gar nicht bekannt waren. Stücke<br />

seines Lehrers Paul Dukas etwa,<br />

oder des in Paris geborenen Charles<br />

Koechlin: „Diese Kurse haben uns<br />

allen die Ohren geöffnet. Messiaen<br />

lehrte mich ein bestimmtes Wahrnehmen<br />

von Musik, weit jenseits<br />

eines vordergründigen Betrachtens.<br />

Eine Art Entdeckungsreise, die ich<br />

durch, mit und dank ihm unternehmen<br />

durfte.“<br />

Auch ganz reale Reisen durfte<br />

der junge Deutsche in Paris mit seinem<br />

Lehrer unternehmen. Jedes<br />

Jahr gab es einen von den Studenten<br />

gefürchteten Pflichttermin: „Morgens<br />

um vier mussten wir mit Messiaen<br />

in den Bois de Boulogne, dann<br />

hat er mit der Klasse das Erwachen<br />

der Vögel verfolgt und kommentiert.<br />

Wir haben es natürlich<br />

gehasst, morgens um drei aufzustehen<br />

und bei irgendeinem Mistwetter<br />

in den Wald zu fahren“, gesteht<br />

Stegemann und lacht. „Messiaen<br />

hat sich immer geweigert, die technischen<br />

Elemente mithilfe derer er die Vogelstimmen transkribierte,<br />

zu erklären. Er sagte nur: ‚Das muss jeder, der das machen<br />

möchte, für sich selbst herausfinden.‘“ Sein Interesse für Ornithologie<br />

stand bei Messiaen in enger Verbindung mit seinem streng<br />

katholischen Glauben. Die Vögel waren für ihn Vermittler zwischen<br />

Himmel und Erde und ihre Melodien die ursprünglichste<br />

Musik.<br />

Auf die Frage, ob er den Lehrer auch an der Orgel gehört<br />

habe, entfährt Stegemann ein begeistertes „Aber ja!“. Jeden Sonntag<br />

gingen viele seiner Schüler in die Trinité, die Kirche, in der<br />

Messiaen Organist war. „Ich habe in den anderthalb Jahren sicher<br />

20 große Improvisationen von ihm erlebt. Das war unglaublich.<br />

Ich bin und war kein gläubiger Mensch, aber da hätte man wirklich<br />

gläubig werden können.“<br />

Auch nach Ende seines Studiums blieb Stegemann, vor allem<br />

durch seine journalistischen Tätigkeiten, mit Messiaen in Kontakt.<br />

„Messiaen ist einer der ganz wenigen Komponisten, die Sie nach<br />

zehn Sekunden erkennen. Sofort weiß man: Das ist Messiaen und<br />

kann auch niemand anderes sein. Der höchste Grad von künstlerischer<br />

Vollendung ist es, wenn man es schafft, eine so unverwechselbare<br />

Personalsprache zu entwickeln. Davor habe ich staunenden<br />

Respekt. Wenn ich Messiaens Musik höre, tauche ich in eine<br />

völlig einzigartig Klangwelt ein.“<br />

■<br />

81


L A F R A N C E<br />

WOHER KOMMT<br />

EIGENTLICH …<br />

… die Marseillaise ?<br />

VON STEFAN SELL<br />

BILD: EUGENE DELACROIX / LA LIBERTE GUIDANT LE PEUPLE<br />

Der Fall scheint klar und hat<br />

bereits Literaturgeschichte<br />

geschrieben. Stefan Zweig hob<br />

ihn empor zum „Genie einer<br />

Nacht“. Der Franzose Claude Joseph<br />

Rouget de Lisle (1760–<strong>18</strong>36) hat Text<br />

und Musik der Marseillaise verfasst, die<br />

zunächst Chant de guerre pour l’armée du Rhin hieß.<br />

Rouget weilte als Hauptmann beim „Corps royal du Génie“ in<br />

Straßburg. Als die französische Nationalversammlung Österreich<br />

den Krieg erklärte, traf man sich am Abend des 25. April 1792 im<br />

Hause des Bürgermeisters Dietrich und war sich bald einig, bevor<br />

Truppen in den Krieg ziehen, bedarf es eines patriotischen und<br />

schmissigen Liedes. Da Rouget Geige spielte und als Dichter, Librettist<br />

und Übersetzer wirkte, schien er geeignet, eine Hymne zu<br />

schreiben. Noch in der gleichen Nacht soll er sich daran gemacht<br />

und wie in einem Rausch Verse und Melodie bis zum frühen Morgen<br />

gefunden haben. Erst zwei, drei Monate später, als mehrere<br />

Kompanien Freiwilliger aus Marseille damit singend nach Paris<br />

marschierten, bekam das Lied den Namen Marseillaise.<br />

Bei der Spurensuche allerdings wird man stutzig. Rouget war<br />

mit dem damaligen Domkapellmeister des Straßburger Münsters,<br />

Ignaz Pleyel, befreundet. Der Geiger, Pianist und Komponist hatte<br />

schon 1791 einen Text von Rouget unter dem Titel Hymne à la<br />

Liberté vertont. Warum hat Rouget hier die Musik nicht selbst<br />

geschrieben?<br />

Pleyel stand öfter im Verdacht, der Komponist der Marseillaise<br />

zu sein. Doch wie es scheint, war er es nicht. Pleyel wurde in den<br />

Unwägbarkeiten der Revolution seines Amtes enthoben. Zu der<br />

Zeit, als Rouget seinen Geniestreich ausführte, hielt Pleyel sich nicht<br />

mehr in Straßburg auf. Er befand sich anlässlich eines musikalischen<br />

Wettstreits im gegenseitigen Einverständnis mit seinem<br />

Freund Haydn, dessen Schüler er lange war, in London. 1795 zog es<br />

ihn samt Familie nach Paris, wo er nicht nur Verleger wurde, sondern<br />

auch noch Klavierfabrikant.<br />

Wie aber gelangte die Melodie elf Jahre vor Rougets magischer<br />

Nacht in Giovanni Battista Viottis Tema e variazioni? Der Geiger<br />

Guido Rimonda hat zusammen mit der Camerata Ducale vor Kurzem<br />

eine Weltersteinspielung dieses Werkes für Violine und Orchester<br />

vorgelegt, samt einem Faksimile des Autografen. Wirklich verblüffend<br />

– hat etwa ein Italiener die französische<br />

Nationalhymne geschrieben?<br />

Einzig das Datum auf dem Faksimile<br />

trägt eine andere Handschrift, wirkt wie<br />

nachträglich notiert: „2 mars 1781“. Der<br />

Titel des Werkes ist italienisch, das<br />

Datum französisch, „mars“ statt „marzo“,<br />

warum? Nicht, dass Viotti kein Französisch konnte, er lebte zeitweise<br />

in Paris, reüssierte 1782 mit überragendem Erfolg bei den<br />

Concerts spirituels und stand zwei Jahre im Dienste der Königin<br />

Marie Antoinette.<br />

Viotti und Pleyel waren ebenfalls gute Freunde, Pleyel wurde<br />

später Viottis Verleger. Er war so begeistert von dem Geigenvirtuosen,<br />

dass er ihm zwei Streichquartette widmete. Ferner verbindet<br />

die beiden, dass ihnen die Schöpfung der berühmten Melodie nachgesagt<br />

wird. Wenn das Datum nicht original ist, dann hat Viotti sich<br />

wohl eher vom Aufbruch der aufrührerischen Melodie in Stimmung<br />

bringen lassen und in dieser Schwingung das Thema erst<br />

nach 1792 mit wunderbaren Variation versehen.<br />

Wenn auch auch Viotti nicht infrage kommt, wie kann es sein,<br />

dass im Dezember 1786, also sechs Jahre vor Rougets Eingebung,<br />

Mozart sein C-Dur Klavierkonzert (KV 503) fertigstellte, worin im<br />

ersten Satz, Allegro maestoso, unüberhörbar das Thema der Marseillaise<br />

anklingt? Ein Jahr darauf, 1787, immer noch fünf Jahre zu früh,<br />

ist die Melodie bereits im Oratorium Esther von Jean-Baptiste Grisons<br />

zu hören.<br />

Vielleicht lag die Melodie, wie so oft, einfach in der Luft, als<br />

Rouget in dieser Nacht auf seiner Geige eine Melodie suchte und sie<br />

sich, wer weiß woher, wie von selbst spielte, passgenau zum Text.<br />

<strong>18</strong>30 hat Berlioz den Gesang des Rouget de Lisle für großes Orchester<br />

und Doppelchor eingerichtet. Rouget dankte ihm in einem herzlichen<br />

Brief und wollte Berlioz treffen.<br />

„Ich erfuhr später“, hielt Berlioz fest, „daß Rouget de Lisle, der,<br />

beiläufig gesagt, noch viele andere schöne Lieder, als die Marseillaise,<br />

geschaffen hat, in seiner Mappe ein Opernbuch Othello liegen<br />

hatte, das er mir in Vorschlag bringen wollte. Aber da meine Abreise<br />

von Paris dem Empfangstage seines Briefes unmittelbar folgte, so<br />

entschuldigte ich mich bei ihm und verschob den schuldigen Besuch<br />

auf die Zeit meiner Rückkunft aus Italien. Inzwischen starb der<br />

arme Mann. Ich habe ihn nie gesehen.“<br />

■<br />

82 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


LEBENSART<br />

Wendt & Kühn: Zwei starke Frauen gründeten vor über 100 Jahren einen einzigartigen Betrieb (Seite 84)<br />

crescendo – Hier kochen die Stars: Pizza „mare & monti speciale“ mit den Singphonikern (Seite 86)<br />

In der Manufaktur<br />

Wendt & Kühn im Erzgebirge<br />

entstehen in liebevoller<br />

Handarbeit sehr individuelle<br />

kleine Figürchen<br />

FOTO: WENDT & KÜHN<br />

83


L E B E N S A R T<br />

Die Manufaktur<br />

der Engel<br />

Mitten im Erzgebirge versteckt sich<br />

das Werk von Wendt & Kühn. Vor über<br />

100 Jahren waren es zwei Frauen, die<br />

dort mit der Fertigung ganz besonderer<br />

Holzfiguren begannen.<br />

VON ROLAND H. DIPPEL<br />

An diesem Wintertag zeigt sich das sonnenüberflutete<br />

Flöhatal im Erzgebirge von seiner<br />

schönsten Seite. Ziel des Ausflugs ist jedoch<br />

nicht einer der Orte mit reicher Industrievergangenheit<br />

im Tal, sondern die Gemeinde<br />

Grünhainichen. Dort, auf der Straße Richtung Schloss<br />

Augustusburg, gab es keine Schwerindustrie. Anfang des 20.<br />

Jahrhunderts schenkte eine für Volkskunst und zeitgenössische<br />

Kulturströmungen aufgeschlossene Mittel- und Oberschicht<br />

dort den schönen Dingen des Daseins ihre Aufmerksamkeit.<br />

Das bescherte Grünhainichen einen Schatz mit heute weltweiter<br />

Ausstrahlung.<br />

Das sorgfältig in Stand gehaltene Herz des Ortes ist sofort<br />

erkennbar, nachdem man vom eingleisigen Bahnbetrieb von Chemnitz<br />

nach Olbernhau-Grünthal mit beträchtlicher Steigung eine<br />

Höhe erklommen hat. In Nähe zur Kirche und zum Museum Erzgebirgische<br />

Volkskunst befindet sich die Manufaktur Wendt & Kühn.<br />

Seit 1915 entstehen dort hölzerne Sockelfiguren: Margeritenengel<br />

und Blumenkinder, dazu Kunstartikel wie Christbaumschmuck,<br />

Wanduhren und Spieldosen. Teile des Sortiments erhielten 2016<br />

sogar bei der Kaiserfamilie Japans einen ehrenvollen Platz. Denn es<br />

handelt sich um Handarbeit in einem Manufakturbetrieb, nicht um<br />

industrielle Volkskunst. Die Manufaktur Wendt & Kühn vereint,<br />

was man in dieser Verbindung nur selten findet: versachlichende<br />

Moderne und familiäre Emotionen.<br />

Die zum 100-jährigen Jubiläum 2015 um eine „Erlebniswelt“<br />

erweiterte Manufaktur ist für Sammler von Argentinien bis Australien<br />

ein ebenso wichtiger Ort wie für Bewunderer Bachs die Leipziger<br />

Thomaskirche. Zwar gibt es im erzgebirgischen Spielzeugdorf<br />

Seiffen eine Dependance. Aber nur aus dem Gründungsort werden<br />

die in Seidenpapier gewickelten und in moosgrüne Kartons verpackten<br />

Figuren an sorgfältig ausgewählte Fachverkaufsstellen versendet.<br />

In Grünhainichen ist man dem Geist und den Ideen der<br />

Manufaktur-Gründerinnen viel näher als in Seiffen. Und natürlich<br />

auch dem feinen Geruch von Holz und Farben aus den lichten<br />

Arbeits- und Lagerräumen.<br />

„Nur wenn man etwas mit Liebe tut, kann das auch wieder<br />

Liebe geben“, war der Wahlspruch von Margarete Wendt (<strong>18</strong>87–<br />

1979), die nach ihrer Mitwirkung im Kunstausschuss der Bayerischen<br />

Gewerbeschau München 1912 nach Grünhainichen zurückkehrte<br />

und dort, getragen vom familiären Rückhalt, mit der Gestalterin<br />

Margarete Kühn (<strong>18</strong>88–1977) die Manufaktur gründete. Beide<br />

besuchten die erste Damenklasse der Königlichen Sächsischen<br />

Kunstgewerbeschule Dresden, die sich als Opposition zur Repräsentationskunst<br />

verstand, und beendeten ihre Ausbildung 1911 als<br />

„architektonische Musterzeichnerinnen“: Studium, Firmengründung,<br />

künstlerischer Unternehmergeist – ihre Lebenswege unterschieden<br />

sich deutlich von denen anderer Frauen dieser Zeit, nicht<br />

nur in ländlichen Regionen.<br />

Bis heute sind alle Geschäftsleitungen dem Vermächtnis der<br />

Gründerinnen verbunden: Im jährlich wechselnden Sortiment von<br />

Wendt & Kühn finden sich nur mustergetreue Fertigungen von<br />

deren Originalentwürfen und dezente, ganz behutsame Varianten.<br />

Eine Erweiterung durch Designs der Popkultur wäre ein Sakrileg.<br />

Wer sich einen kleinen Engel mit E-Gitarre oder Mikro vorstellt,<br />

versteht, warum.<br />

So etwas passt nicht zu dem 1923 erstmals aus der Manufaktur<br />

schwebenden „Grünhainichener Engel“ mit den klassischen elf<br />

Punkten auf den grünen Flügeln. Die etwa fünf Zentimeter hohen<br />

84 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


„Nur wenn man etwas mit Liebe tut, kann das auch wieder Liebe geben“, war der Wahlspruch der Gründerinnen von Wendt & Kühn<br />

Fotos: Wendt & Kühn<br />

und ein ganzes Orchester bildenden Engelchen ankern vor allem als<br />

Weihnachtsdekoration im Bewusstsein. Doch die Glücksbringer<br />

und Freudenspender verteilen ihren Zauber eigentlich über das<br />

ganze Jahr. Augenpaare aller Generationen leuchten bei ihrem<br />

Anblick. In vielen Familien wäre eine Nische ohne die Figuren mit<br />

den durch ausgebildete Fachmaler unverwechselbar gestalteten<br />

Gesichtern nicht denkbar.<br />

Eigentlich kennt jeder diese Engel, deren feiste Schenkelchen<br />

der Statik und praktikabel möglichen Feinarbeit geschuldet sind.<br />

Die „Grünhainichener Engel“ unterscheiden sich durch ein oft<br />

unbemerktes Detail von prunkvollen Darstellungen der Sakral- und<br />

Salonmalerei: Die kurzen Ärmel ihrer<br />

schlichten Hemden entstammen der<br />

Arbeits- und Alltagswelt ärmerer Schichten.<br />

Sozialistische Hintergründe hat das<br />

nicht, auch wenn sich Margarete Wendt in<br />

den Jahren vor dem Mauerbau 1961 nach<br />

intensivem Ringen entschlossen hatte,<br />

doch in der DDR zu bleiben.<br />

Von 1972 bis 1989 wurde aus Wendt<br />

& Kühn der Volkseigene Betrieb Werk<br />

und Kunst, doch in der DDR waren die Figuren schwer zu bekommen.<br />

Der größte Teil wanderte für begehrte Devisen ins Ausland.<br />

Die Jahre der Wiedervereinigung und danach überlebte der Betrieb<br />

auch deshalb, weil die Lager vorsorglich mit dem wichtigen Werkstoff<br />

Holz gefüllt waren und jeder Farbton in der Manufaktur von<br />

Hand angemischt wird. Heute erweist sich vor allem ein Gedanke<br />

der beiden Gründerinnen als tragfähig und wertbeständig: Beerenund<br />

Blumenkinder, Engel und Spieldosen aus Grünhainichen verfügen<br />

über zeitresistente „soft skills“: Gefühl und Sinnhaftigkeit<br />

„TEILE DES SORTIMENTS<br />

ERHIELTEN SOGAR BEI DER<br />

KAISERFAMILIE JAPANS<br />

EINEN EHRENVOLLEN PLATZ“<br />

auch für bewegte Jahrzehnte. Kenn- oder Prüfzahlen, gar Statistiken<br />

zählen hier wenig. Eine echte Katastrophe wäre allerdings das Versiegen<br />

des Korrespondenzstroms, in dem langjährige Sammler die<br />

Geschichte „ihrer“ Figuren mitteilen. Ein grünes Signet unter dem<br />

Sockel ist der Beweis für die Herkunft aus dem Stammhaus. Den<br />

originalen Entwürfen der Gründerinnen erweist man dort Respekt<br />

und Ehre: Weniger ist mehr. Das gilt ebenso für das Abwägen, welche<br />

Modelle in die jährlich wechselnde Kollektion aufgenommen<br />

werden.<br />

Wendt & Kühn ist ein gelebtes Modell gegen die Wegwerfgesellschaft.<br />

Unter den insgesamt 195 Mitarbeitern, die 70 Maler<br />

unter ihnen zeigen die hohe Bedeutung<br />

der gefühlsbetonten Figurengestaltung,<br />

gibt es sechs Vollzeitstellen für Restauration<br />

und Reparatur. Sogar die veränderte<br />

Oberflächenbeschaffenheit sehr alter<br />

Figuren lässt sich nach einem detailgenauen<br />

Kostenvoranschlag spurenlos<br />

rekonstruieren. Beständigkeit ist also ein<br />

sinnstiftendes Alleinstellungsmerkmal.<br />

Noch finden an diesem Februartag nur<br />

wenige Gäste in die Erlebniswelt Grünhainichen. Aber so wie diese<br />

Manufaktur mit ihrer Betriebsführung gedrechselt ist, bleibt es nur<br />

eine Frage der Zeit, wann Anhänger nicht nur an den bewusst seltenen<br />

Schautagen um Christi Himmelfahrt oder zum ersten Advent<br />

teilnehmen, sondern an schönen Tagen auch den Wanderweg um<br />

den Ort erkunden. Eine gute Vorbereitung wäre das Familienbrettspiel<br />

„Wie der Engel zu seinen elf Punkten kam“. Dieses ist nicht nur<br />

ein Märchen aus dem Erzgebirge, sondern viel mehr: eine Werksphilosophie,<br />

die mit Gefühl aus dem Vollen schöpft.<br />

■<br />

85


L E B E N S A R T<br />

Pizza mare e<br />

monti speciale<br />

<strong>CRESCENDO</strong> –<br />

HIER KOCHEN DIE STARS<br />

„PIZZA IST BEI DEN<br />

SINGPHONIKERN EIN SEHR<br />

BELIEBTES PAUSENESSEN.<br />

SIE IST AUCH IM SINNE DES<br />

MANNSCHAFTSGEDANKENS<br />

DAS ESSEN DER WAHL“<br />

DIE SINGPHONIKER<br />

FOTOS: MARIA GOETH<br />

86 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


PIZZA MARE E MONTI SPECIALE<br />

ZUTATEN FÜR 4 PERSONEN<br />

Für den Teig:<br />

450 g Mehl (tipo 0, Pizzamehl)<br />

1 Würfel frische Hefe, ca. 250 ml warmes Wasser, 3–4 EL Olivenöl<br />

1 TL Salz, 1 TL Oregano<br />

Für den Belag:<br />

200 g geräucherter Schweinebauch in dünnen Scheiben<br />

200 g Shiitake-Pilze, 250 g Ricotta, 1 Bio-Zitrone<br />

12 Riesengarnelen, Salz, geräuchertes Paprikapulver oder Piment d’Espelette<br />

200 g Kirschtomaten, 3–4 Frühlingszwiebeln<br />

Käse zum Überbacken (Mozzarella oder Pizzakäse)<br />

Pfeffer, Oregano<br />

1. Für den Vorteig: Mehl sieben und eine Mulde darin formen. Hefe in ein wenig warmem Wasser<br />

auflösen, in die Mulde geben und vermengen. 15 Minuten gehen lassen.<br />

2. Für den Teig: Restliches Wasser, Öl und Salz zugeben und zu einem geschmeidigen Teig verkneten.<br />

Weitere 30 Minuten gehen lassen.<br />

3. Für den Belag: Den Schweinebauch in einer Pfanne auslassen, bis er braun geworden ist. Die Pilze im<br />

Speckfett anbraten. Den Ricotta mit etwas Abrieb von der Zitrone und etwas Zitronensaft verrühren.<br />

Garnelen (geschält, geputzt) mit Salz und geräuchertem Paprikapulver oder Piment d’espelette würzen.<br />

4. Teig mit der Hand oder einem Nudelholz auf einem gefetteten Backblech ausformen und mit der<br />

Ricotta- Zitronenmasse bestreichen. Mit Pilzen, Tomaten, Frühlingszwiebeln, Garnelen und Schweinebauch<br />

belegen und mit Salz, Pfeffer und Oregano würzen. Den Käse darüberstreuen.<br />

5. Blech direkt auf den Boden des auf 230 °C Ober-/Unterhitze vorgeheizten Ofens schieben und<br />

ca. 25 Minuten backen.<br />

Das Video zum Rezept finden Sie unter: www.youtube.de/crescendomagazin<br />

•<br />

DIE SINGPHONIKER<br />

VOKALENSEMBLE<br />

Die Singphoniker gehören zu den am längsten bestehenden Volkalensembles<br />

Europas. In seiner 34-jährigen Erfolgsgeschichte gab das Sextett weltweit über<br />

1.300 Konzerte in 9 Ländern. Für uns kochten die Sänger Michael Mantaj und<br />

Daniel Schreiber Pizza in der Küche von crescendo-Chefkoch und Blockflötist<br />

Stefan Temmingh (rechts im Bild).<br />

Die Singphoniker: „Georg Kreisler“ (Oehms Classics)<br />

87


R E I S E & K U L T U R<br />

Abonnieren Sie die schönsten Seiten<br />

der Klassik für nur 55 EUR*:<br />

❚ sechs Ausgaben crescendo<br />

❚ Festspiel-Guide ❚ Geschenk-CD<br />

www.crescendo.de<br />

Wir<br />

schenken<br />

Ihnen<br />

Gershwin:<br />

Rhapsody in Blue, Concerto in F.<br />

Kirill Gerstein, Storm Large,<br />

Saint Louis Symphony Orchestra,<br />

David Robertson<br />

(Myrios Classics)<br />

Abo bestellen unter:<br />

www.crescendo.de/abo, kostenlos unter 0800 / 66 66 300, per E-<strong>Mai</strong>l an abo@crescendo.de, per Fax an 089/741509-11<br />

oder per Post: Port Media GmbH, Vertrieb, Rindermarkt 6, 80331 München (bitte Code CPPAE02<strong>18</strong> angeben)<br />

*) Abo-Preis Inland bei Zahlung per Bankeinzug. Sollten Sie Bezahlung per Rechnung wünschen, fallen zusätzlich 5 EUR Bearbeitungsgebühr an. Versand ins Ausland gegen Gebühr. Das Abo läuft zunächst für ein Jahr und kann dann gekündigt<br />

werden. Das Angebot ist nur in Deutschland, der Schweiz und im EU-Ausland verfügbar und nicht wiederholbar. Geschenk-CD und Prämien: solange der Vorrat reicht. Widerrufsrecht: Die Bestellung kann ich innerhalb der<br />

folgenden zwei Wochen ohne Begründung bei Abo-Service crescendo in Textform (z. B. per <strong>Mai</strong>l oder Brief) oder durch Rücksendung der Zeitschrift widerrufen. Zur Fristwahrung genügt die rechtzeitige Absendung.<br />

Abb.: Portmedia Verlag; Strezhnev Pavel / fotolia.com<br />

88 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


REISE & KULTUR<br />

Themenspecial 9. Jahrgang | Frühling & Sommer 20<strong>18</strong><br />

KULTUR<br />

TRIFFT NATUR<br />

MUSIK &<br />

WELLNESS<br />

AUF DEM<br />

FEUERBERG<br />

GROSSE ALPENKULISSE<br />

Kultursommer im Kufsteinerland<br />

DIE GANZE STADT IST BÜHNE<br />

Musik, Kunst und Sonne in Salzburg<br />

NATURIDYLL & BRONZEZEIT<br />

Lebendige Region Wendland.Elbe<br />

NACHTS IM MUSEUM<br />

Kunstmetropole Frankfurt und<br />

die Rhein-<strong>Mai</strong>n-Region<br />

DIE <strong>CRESCENDO</strong>-MUSIKWOCHE<br />

Musikalische Inspirationen<br />

im Mountain Resort Feuerberg<br />

FOTO: FEUERBERG<br />

Sonderveröffentlichung/Anzeigen/Präsentationen 89


R E I S E & K U L T U R<br />

BLÜHENDE OASE<br />

AM KAISERGEBIRGE<br />

Im Kufsteinerland lockt die genussvolle Mischung aus Natur und Hochkultur.<br />

Kultursommer in der Tiroler Naturlandschaft, in der Region am Kaisergebirge<br />

Wo das Glück wohnt, entscheidet jeder selbst.<br />

Im Kufsteinerland aber hat es sicher schon<br />

einmal vorbeigeschaut. Es ist ein zauberhafter<br />

Fleck Erde, der sich dort vor der Kulisse des Kaisergebirges<br />

ausbreitet. Umrahmt von imposant aufragenden<br />

Bergmassiven und weich eingebettet in das ewige Grün<br />

der Wälder und die sanft geschwungenen Weidewiesen,<br />

laden acht Dörfer und ein Städtchen ein zum Verweilen,<br />

Entdecken und Genießen. Es kommt nicht von ungefähr,<br />

dass sich in einer derart reichen Naturregion auch kulturell<br />

vielfältigste Angebote angesiedelt haben.<br />

Da sind die Tiroler Festspiele Erl, die bis heute mit<br />

ihren starken Kontrasten faszinieren. Gummistiefel und<br />

Abendrobe, Kuhglockengeläut und Wagnerfanfaren –<br />

was kaum vereinbar scheint, verschmilzt hier schon seit<br />

20 Jahren zu einer einzigartigen Mixtur. Seit Dezember<br />

2012 begeistert nun das neue Festspielhaus mit seiner außergewöhnlichen<br />

Architektur wie Akustik als Spielstätte.<br />

Das ganze Jahr über finden hier hochkarätige Konzerte<br />

statt, und auch 20<strong>18</strong> präsentieren die Tiroler Festspiele Erl<br />

ein reichhaltiges Programm: Gioachino Rossinis Ermione<br />

steht neben dem Thannhäuser von Richard Wagner, als<br />

Krönung des Festspielsommers kommt Ende Juli der Ring<br />

des Nibelungen zur Aufführung. Eng mit dem Ort verbunden<br />

sind auch die berühmten Passionsspiele, bei denen<br />

über 600 Mitwirkende aus der Erler Gemeinde in eindrucksvollen<br />

Bildern das Leben und Sterben Jesu Christi<br />

vermitteln. Die nächsten Spiele finden 2019 statt.<br />

DER KULTURSOMMER<br />

glück.tage 24. bis 26. <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong><br />

+43-(0)5372-62 207 | www.glueck-tage.com<br />

Tiroler Festspiele Erl 5. bis 29. Juli 20<strong>18</strong><br />

+43-(0)5373-81 000 20 | www.tiroler-festspiele.at<br />

Academia Vocalis 9. bis 20. August 20<strong>18</strong><br />

+43-(0)5332-75660-0 | www.academia-vocalis.com<br />

OperettenSommer Kufstein 3. bis <strong>18</strong>. August 20<strong>18</strong><br />

Tickets +43-(0)512-561 561 | www.operettensommer.com<br />

Passionsspiele Erl <strong>Mai</strong> bis Oktober 2019<br />

+43-(0)5373-81 39 | www.passionsspiele.at<br />

90 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


arcona HOTELS & RESORTS<br />

Entdecken Sie Ihren<br />

neuen Lieblingsort!<br />

FOTOS: LOLIN; XIOMARA BENDER; KUFSTEINER LAND (2)<br />

Tiroler Festspielhaus Erl<br />

Mit der Academia Vocalis feiert in diesem Jahr eine<br />

namhafte Bildungseinrichtung ihr bereits 30-jähriges Bestehen,<br />

die sich als Ergänzung zur universitären Ausbildung<br />

versteht. So werden in ihrem Rahmen internationale<br />

Meisterkurse veranstaltet, bei denen vielversprechende<br />

Sängerinnen und Sänger die Möglichkeit erhalten, bei<br />

Weltstars an ihrer Stimme und Interpretation, ihrer Ausdruckskraft<br />

und Bühnenpräsenz zu feilen. Das Besondere<br />

daran: Das Angebot richtet sich zum einen an Sängerinnen<br />

und Sänger aller Sparten, von der Volksmusik über<br />

den Liedgesang bis hin zur Oper. Zum anderen können<br />

sowohl Musiker in Ausbildung als auch bereits fest engagierte<br />

Künstler daran teilnehmen. Einen faszinierenden<br />

Eindruck von der intensiven Arbeit in den verschiedenen<br />

Kursen vermitteln die Abschlusskonzerte der Meisterklassen.<br />

Außerdem veranstaltet die Academia Vocalis in diesem<br />

Jahr verschiedene spezielle Jubiläumskonzerte zu<br />

„30 Jahre Academia Vocalis“.<br />

Ein beliebtes Highlight im reichhaltigen Kulturleben<br />

des Kufsteinerlands ist darüber hinaus der Operetten-<br />

Sommer Kufstein, der bereits seit über zehn Jahren das<br />

Publikum begeistert. Mit der Festung Kufstein hat er eine<br />

wahrhaft beeindruckende Kulisse gefunden, die einen<br />

einzigartigen Rahmen für ein berauschendes und farbenreiches<br />

Klangerlebnis in einer Sommernacht bietet. In diesem<br />

Jahr wird unter dem Titel Anatevka eine farbenfrohe<br />

Inszenierung des Kult-Musicals Fiddler On The Roof auf<br />

die Bühne gebracht. Die berührende Geschichte vereint<br />

jiddische Folklore, melancholischen Humor und Melodien<br />

von einnehmender Schönheit und wird von namhaften<br />

Solisten, einem herausragenden Ballett und einem exzellenten<br />

Orchester dargeboten.<br />

So ist auch 20<strong>18</strong> das Glück zu finden im Kufsteinerland,<br />

jener Oase aus Natur und Hochkultur inmitten der<br />

Berge, und das nicht nur an den glück.tagen.<br />

INFORMATIONEN<br />

Tourismusverband Kufsteinerland<br />

Unterer Stadtplatz 11–13<br />

6330 Kufstein<br />

+43-(0)5372-62 207<br />

www.kufstein.com<br />

Von der Ostseeküste bis<br />

zum Alpenvorland, vom Landidyll<br />

bis zur Metropole: Bei arcona<br />

checkenSie immer mit der<br />

komfortablen Gewissheit ein,<br />

dass Sie sich wie zu Hause<br />

fühlen werden.<br />

So abwechslungsreich wie<br />

Ihre Reisegründe, so einzigartig<br />

und bunt sind unsere <strong>18</strong> Hotels<br />

und ihre Angebote.<br />

Das Wohlfühlerlebnis.<br />

Abschalten, den Stress vergessen<br />

und sich einfach fallen<br />

lassen – eine Leichtigkeit<br />

im arcona LIVING SCHAFF-<br />

HAUSEN. Freuen Sie sich<br />

auf eine erholsame Zeit, denn<br />

im asia spa erwartet Sie eine<br />

1200 m 2 große Wellnessoase<br />

voll wohltuender Angebote.<br />

www.schaffhausen.arcona.ch<br />

Leipzig bewegt.<br />

Hochkarätige Museen und<br />

weltberühmte Konzerthäuser,<br />

herrliche Parks und traditionsreiche<br />

Cafés laden zum<br />

Bummeln ein. Anschließend<br />

logieren Sie im historischen<br />

Gebäudeensemble des arcona<br />

LIVING BACH14 mit Blick<br />

auf die Thomaskirche.<br />

www.bach14.arcona.de<br />

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Steinstraße 9 · <strong>18</strong>055 Rostock<br />

Tel. +49 381 4585-110<br />

info@arcona.de · www.arcona.de<br />

Sonderveröffentlichung/Anzeigen/Präsentationen 91


R E I S E & K U L T U R<br />

EINZIGARTIGE PREZIOSEN<br />

Salzburg ist ein Glücksfall: Es besticht mit einem einzigartigen Zusammenwirken von<br />

Baukunst und Landschaft, und der Frühling bringt musikalische Vielfalt.<br />

Terrassen am<br />

Mönchsberg mit Blick auf<br />

die Altstadt und den Dom<br />

Die Felsenreitschule<br />

Wenn der Schnee sich<br />

auf die Berge zurückzieht,<br />

allerorts Musik<br />

erklingt und Kräuter-Palmbuschen<br />

die Haustüren schmücken,<br />

beginnt in Salzburg die Osterzeit.<br />

Schon belebt auch Festspielfreude<br />

vom 24. <strong>März</strong> bis 2. April die Stadt. Eine Überraschung<br />

verspricht Michael Sturminger mit seiner Tosca-Inszenierung.<br />

Anja Harteros singt die Titelpartie, und Christian<br />

Thielemann, der künstlerische Leiter der Festspiele, steht<br />

am Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden.<br />

Den Zeitenbrüchen des Jahres <strong>18</strong>68 widmet sich Cecilia<br />

Bartoli als künstlerische Leiterin der Pfingstfestspiele<br />

(<strong>18</strong>. bis 21. <strong>Mai</strong>). „Einzigartige Preziosen zu kreieren,<br />

die man nur in Salzburg erleben kann“, formuliert sie ihr<br />

Anliegen. Mit Isabella in L’italiana in Algeri gibt sie ihr<br />

Rollendebüt und erweist Gioachino Rossini zum 150. Todestag<br />

eine Hommage. <strong>18</strong>68 war das Entstehungsjahr<br />

von Offenbachs La Périchole, die mit Les Musiciens du<br />

Louvre unter Marc Minkowski zur Aufführung kommt.<br />

Zum abschließenden Festkonzert laden Cecilia Bartoli,<br />

Rolando Villazón, Jonas Kaufmann und die Staatskapelle<br />

Berlin. Zwei Monate darauf versammeln<br />

sich zu den Sommerfestspielen<br />

(20. Juli bis 30. August),<br />

dem weltweit bedeutendsten Festival<br />

für klassische Musik, erneut<br />

internationale Künstler in Salzburg.<br />

Mit den Neuinszenierungen<br />

der Zauberflöte, Strauss’ Salome, Tschaikowskys Pique<br />

Dame, Monteverdis L’incoronazione di Poppea sowie The Bassarids<br />

von Hans Werner Henze erklingen Werke der<br />

„Passion, Leidenschaft und Ekstase“. Konzertant dargeboten<br />

werden Les pêcheurs de perles von Bizet und<br />

Der Prozess von Gottfried von Einem, dessen Geburtstag<br />

sich zum 100. Mal jährt und der die Festspiele „als Plattform<br />

für die zeitgenössische Musik“ etablieren wollte.<br />

Sein Wunsch findet Erfüllung in den Konzerten „Zeit mit<br />

Furrer“.<br />

„Die ganze Stadt ist Bühne!“ – Was Max Reinhardt,<br />

der Mitbegründer der Festspiele, einst festhielt, gilt nicht<br />

bloß für die Festspielzeit. Die barocke Altstadt, die seit<br />

1997 auf der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes steht,<br />

bildet mit ihren Kirchen, Kuppeln und Arkaden das ganze<br />

Jahr über ein großartiges Schauspiel.<br />

FOTOS: TOURISMUS SALZBURG GMBH<br />

INFORMATIONEN<br />

Tourismus Salzburg<br />

+43-(0)662-88 98 70<br />

www.salzburg.info<br />

www.osterfestspiele-salzburg.at<br />

www.salzburgerfestspiele.at<br />

SALZBURGER PACKAGES<br />

Pauschalangebote für eine Reise<br />

nach Salzburg zu den Festspielen im<br />

Frühjahr und Sommer enthalten<br />

Übernachtung und Eintrittskarten.<br />

Mehr Info dazu unter:<br />

www.salzburg.info/pauschalen<br />

92 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


MUSIK AUF 1.766 METERN<br />

Vom 17. bis zum 24. Juni findet im Mountain Resort Feuerberg zum ersten Mal eine<br />

crescendo-Musikwoche statt. Wellness- und Kulturgenuss par excellence!<br />

Hoch über dem Ossiacher See, im Herzen Kärntens<br />

und auf 1.766 Meter Höhe, schmiegt sich<br />

das Mountain Resort Feuerberg in die atemberaubende<br />

Landschaft des Aussichtsbergs Gerlitzen. Ein<br />

idealer Ort für eine inspirierende Premiere im Juni: die<br />

erste Musikwoche von crescendo – Deutschlands großem<br />

Magazin für klassische Musik & Lebensart. Die leitende<br />

crescendo-Redakteurin Dr. Maria Goeth präsentiert allabendlich<br />

ein verblüffendes, heiteres oder nachdenk liches<br />

Musikthema. Morgens kann im Ruheraum „Wolke 7“ auf<br />

einer exzellenten Musikanlage noch mal einiges nachoder<br />

durchgehört werden, was in der Musikstunde angerissen<br />

wurde. Da wird es etwa um Dr. Goeths Leib- und<br />

Magenthema „Musik und Humor“ gehen, also um allerlei<br />

kunstvollen Schabernack, den sich Komponisten von<br />

Mozart bis Wagner, von Bach bis Haydn erlaubten. Oder<br />

um die völlig absurde platonische Liebesgeschichte zwischen<br />

Peter Iljitsch Tschaikowsky und Nadeshda von<br />

Meck, die sich mehr als 1.200 intime Briefe schrieben.<br />

Und natürlich darf auch der aktuelle Blick hinter die<br />

Kulissen des Opern- und Konzertbetriebs nicht fehlen.<br />

Tagsüber können Sie die Natur genießen und kaiserlich<br />

entspannen: Es stehen unter anderem 8 Innen- und<br />

Außenpools, 11 Saunen, 15 Ruheoasen und ein Wellnesszentrum<br />

dafür bereit.<br />

Musik- und Wellnessgenuss im Frühsommer (03.06. – 08.07.20<strong>18</strong>):<br />

3 Übernachtungen inkl. Verwöhnpension ab 441,– Euro pro Person.<br />

Exklusiv für Reise&Kultur-Leser:<br />

eine Flasche prickelnder Champagner von <strong>Mai</strong>lly.<br />

Nennen Sie bei der Reservierung das Kennwort „Reise&Kultur“.<br />

FOTOS: ANDREAS TISCHLER<br />

IMPRESSUM Reise & Kultur ist ein Themenspecial von <strong>CRESCENDO</strong> –<br />

Deutschlands großem Magazin für klassische Musik & Lebensart<br />

Verlag: Port Media GmbH, Rindermarkt 6, D-80331 München, Tel. 089 74 15 09-0<br />

Herausgeber: Winfried Hanuschik (v. i. S. d. P.) | Redaktion: Petra Lettenmeier<br />

Autoren: Maria Goeth, Ruth Renée Reiff, Dorothea Walchshäusl<br />

Artdirector: Stefan Steitz | Anzeigen: Petra Lettenmeier, Heinz Mannsdorff,<br />

www.crescendo.de/media, anzeigen@portmedia.de, Tel. +49-(0)89 74 15 09-20<br />

Verbreitete Auflage 132.000 Expl. | Druck: Westermann, D-38104 Braunschweig<br />

INFORMATIONEN<br />

Mountain Resort Feuerberg<br />

Gerlitzenstraße 87<br />

A-9551 Bodensdorf am Ossiacher See<br />

+43-(0)4248-28 80<br />

kontakt@hotel-feuerberg.at<br />

www.hotel-feuerberg.at<br />

Sonderveröffentlichung/Anzeigen/Präsentationen 93


R E I S E & K U L T U R<br />

2<br />

3<br />

4<br />

1 ) Städel Museum Frankfurt<br />

2) Bad Homburger Sommer 3) Jugendstiltage Darmstadt 4) Rheingauer Weinwoche Wiesbaden<br />

1<br />

KUNST UND KULTUR SATT<br />

Die Frankfurter Rhein-<strong>Mai</strong>n-Region und ihre kulturelle Vielfalt.<br />

Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute<br />

liegt so nah? In Frankfurt zum Beispiel, jenem<br />

pochenden Kunstzentrum im Herzen von<br />

Deutschland. Verschiedenste Museen liegen hier fußläufig<br />

voneinander entfernt und bieten ein reiches Angebot<br />

quer durch alle Epochen, von der antiken Statue bis zum<br />

Designermöbel.<br />

Ein besonderes Highlight ist Anfang <strong>Mai</strong> die Nacht<br />

der Museen am Frankfurter Museumsufer. 40 Kunst- und<br />

Kulturinstitutionen öffnen bis zwei Uhr früh ihre Tore,<br />

begleitet von Musik, Performances und Partys. Ob nachts<br />

oder tagsüber: Ein Besuch der vielfältigen Ausstellungen<br />

lohnt zu jeder Zeit. Da ist die außergewöhnliche Jil- Sander-<br />

Ausstellung „Präsens“ im Museum Angewandte Kunst,<br />

die noch bis zum 6. <strong>Mai</strong> zu erleben ist, oder die Ausstellung<br />

„Die Kraft der Verwandlung“ im Städel Museum<br />

(8. Februar bis 21. <strong>Mai</strong>), die sich dem Werk von Rubens<br />

widmet. Im Filmmuseum steht bei einer Sonderausstellung<br />

Stanley Kubrick im Zentrum, schließlich wird sein<br />

epochaler Film „2001. A Space Odyssey“ 20<strong>18</strong> 50 Jahre<br />

alt. Fotografie-Fans kommen derweil bei der „Internationalen<br />

Fotografie-Triennale RAY“ (24. <strong>Mai</strong> bis 9. September)<br />

mit ihrem internationalen Festivalprogramm auf ihre<br />

Kosten. Ganz neue Dimensionen erschließen sich dem<br />

Frankfurt-Besucher ab Ende September: Dann wird die<br />

neue Frankfurter Altstadt mit einem großen Eröffnungswochenende<br />

eingeweiht, und das Historische Museum<br />

Frankfurt trumpft mit seinem Neubau und der komplett<br />

überarbeiteten Dauerausstellung auf.<br />

Auch um Frankfurt herum faszinieren verschiedene<br />

Kulturstädte mit einem lebendigen Programm. Da ist<br />

Wiesbaden, die grüne Stadt im Herzen des Rhein-<strong>Mai</strong>n-<br />

Gebiets. Von den Internationalen <strong>Mai</strong>festspielen, einem<br />

echten Höhepunkt im Theaterkalender, über die Rheingauer<br />

Weinwoche bis hin zum zauberhaften Sternschnuppen<br />

Markt sind hier das ganze Jahr über facettenreiche<br />

Veranstaltungen geboten.<br />

Südlich von Frankfurt am <strong>Mai</strong>n vereint die Europastadt<br />

Darmstadt weltoffen Geist und Forschung, Kunstsinn<br />

und Innovationskraft. Im Juni findet hier eine Festwoche<br />

rund um Europa statt, ein weiteres Highlight ist<br />

zudem die Ausstellung „Lumières d’Afriques“ mit zeitgenössischen<br />

Kunstwerken aus jedem der 54 Länder Afrikas.<br />

Geschichtsträchtig und modern zugleich empfängt<br />

auch Bad Homburg mit einer Vielfalt an kulturellen Veranstaltungen<br />

seine Gäste. Im Juni verführt das Poesieund<br />

Literaturfestival mit feiner Muse, im Sommer gibt es<br />

hier drei prall gefüllte Wochen lang eintrittsfrei Kunst<br />

und Kultur unter freiem Himmel, im September sorgt das<br />

Orgelfestival Fugato für Furore.<br />

FOTOS: STAEDELMUSEUM; NINA GERLACH; DARMSTADT MARKETING / RUEDIGER DUNKER; WIESBADEN MARKETING GMBH / ANNIKA LIST<br />

FOTO: ANJA JAHN<br />

INFORMATIONEN<br />

Frankfurt Tourismus<br />

www.kultur-frankfurt.de<br />

www.frankfurt-tourismus.de/<br />

pauschalen<br />

www.museumsufer-frankfurt.de<br />

Darmstadt<br />

www.darmstadt-tourismus.de<br />

www.mathildenhoehe.eu<br />

Wiesbaden<br />

www.wiesbaden.de/tourismus<br />

Bad Homburg<br />

www.bad-homburg.de<br />

www.bad-homburger-sommer.de<br />

94 w w w . c r e s c e n d o . d e — April – <strong>Mai</strong> 20<strong>18</strong>


GELEBTE KREATIVITÄT<br />

Die Urlaubsregion Wendland.Elbe zeichnet sich durch abwechslungsreiche Landschaften,<br />

bauhistorische Sehenswürdigkeiten und künstlerische Lebendigkeit aus.<br />

2 4<br />

1 3 5<br />

1) Jede Wiese eine Leinwand 2) Schäfer in der Nemitzer Heide 3) Elbtalaue bei Dömitz<br />

4) Das Rundlingsdorf Lübeln 5) Sommerliche Musiktage in Hitzacker<br />

Urige Fachwerkhäuser schimmern rötlich im Sonnenlicht.<br />

Jedes hat eine Geschichte zu erzählen,<br />

die weit zurückreicht. Bereits zur Bronzezeit siedelten<br />

in Hitzacker (Elbe) die ersten Menschen. Aber die<br />

Insel-Altstadt des Fachwerkstädtchens hat auch eine lebendige<br />

Gegenwart. Alljährlich im Frühjahr lädt der bekannte<br />

Oboist Albrecht Mayer zur Musikwoche Hitzacker. Und<br />

auch im Sommer versammeln sich seit über 70 Jahren in<br />

und um Hitzacker renommierte Interpreten der klassischen<br />

Musik für das älteste Kammermusikfestival Deutschlands<br />

– die Sommerlichen Musiktage.<br />

Hitzacker liegt inmitten der Urlaubsregion Wendland.Elbe<br />

mit ihren traumhaften Naturlandschaften und<br />

wild wachsenden Mischwäldern, die zu Wanderungen,<br />

Radtouren und Floßfahrten einladen. Pferdeliebhaber<br />

können zum Beispiel die Farbenpracht der Nemitzer Heide<br />

und ihre seltenen Vogelarten hoch zu Ross oder mit<br />

einer Kutschfahrt erkunden. Oder wie wäre es mit einer<br />

Eselwanderung? Ein besonderes Naturidyll sind die<br />

Elbtal auen. Morgens kurz vor Sonnenaufgang hört man im<br />

Auwald den Zaunkönig rufen. Störche schreiten im Sommer<br />

durch die von Obstbaumalleen gesäumten Wiesen<br />

und im Herbst trompeten die Kraniche – Vögel des Glücks.<br />

Im Dreieck zwischen Hitzacker, Clenze und Schnackenburg<br />

erstreckt sich die einzigartige Kulturlandschaft<br />

des Wendlands mit den Rundlingsdörfern. Bei dieser historischen<br />

Siedlungsform, über deren Entstehung eines der<br />

13 Museen der Region Auskunft gibt, sind die Häuser<br />

kreisförmig um einen baumbestandenen Dorfplatz angeordnet.<br />

Heute leben und arbeiten viele Künstler und<br />

Kunsthandwerker in den Fachwerkhäusern. Sie erfüllen<br />

die Dörfer mit ihrer Kreativität und erwecken sie zu neuem<br />

Leben. Besuchern öffnen sie gern ihre Ateliers und<br />

Werkstätten, um ihre Arbeiten zu zeigen. Schnackenburg,<br />

die einstige Zollstelle zwischen Brandenburg und dem<br />

Königreich Hannover, lockt im Spätsommer mit Schubertiaden.<br />

An vier Abenden finden in der spätromanischen<br />

Backsteinkirche St. Nicolai Kammerkonzerte statt.<br />

FOTOS: NEMITZER HEIDE TOURISTIK; HEIKO DYBSKI; MARKETINGBÜRO WENDLAND.ELBE;<br />

T. JANSSEN; DIETER DAMSCHEN; SKYIMAGE<br />

INFORMATIONEN<br />

Wendland.Elbe<br />

info@wendland-elbe.de<br />

www.wendland-elbe.de<br />

Gästeinformation Dannenberg (Elbe)<br />

Am Markt 5, 29451 Dannenberg (Elbe) | +49-(0)5861-808 545 | gaesteinfo@dannenberg.de<br />

Touristinformation im Rathaus Gartow<br />

Springstr. 14, 29471 Gartow | +49-(0)5846-333 | touristinfo@gartow.de<br />

Kur- und Touristinformation Hitzacker (Elbe)<br />

Am Markt 7, 29456 Hitzacker (Elbe) | +49-(0)5862-969 70 | touristinfo@hitzacker.de<br />

i.wend Gästeinformation im Wendland<br />

Amtshof 2a, 29439 Lüchow (Wendland) | +49-(0)5841-12 64 50 | info@region-wendland.de<br />

Sonderveröffentlichung/Anzeigen/Präsentationen 95


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John Axelrods Weinkolumne<br />

WAGNERS HEILIGER GRAL<br />

Französischer Wein inspirierte Wagner, inspirierte Debussy.<br />

Über den Tropfen, unter dessen Einfluss der Parsifal entstand.<br />

ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ<br />

Manche Komponisten waren echte Weinliebhaber.<br />

Ravel verehrte erlesene Tröpfchen,<br />

die sein Dandytum unterstrichen.<br />

Beethoven soll drei Flaschen Frankenwein<br />

täglich konsumiert haben. Pierre Boulez<br />

andererseits war strikt gegen Alkohol. Und<br />

wieder andere nutzten Wein zur Inspiration,<br />

so etwa Richard Wagner. Einen davon liebte<br />

er sogar so sehr, dass er sich 100 Flaschen<br />

davon in sein Haus in Bayreuth liefern ließ.<br />

Diesen Saint-Péray, einen brillanten Weißwein,<br />

den es in einer sprudelnden und einer<br />

stillen Variante gibt, trank er, als er seinen<br />

Parsifal komponierte. Dieser „Heilige Gral<br />

unter den Opern“ inspirierte wiederum<br />

Debussy – den wir ja in dieser Ausgabe<br />

zu seinem 100. Todestag würdigen – zu<br />

seiner Oper Pelléas et Mélisande.<br />

Debussy schrieb über Parsifal,<br />

dass er einen der schönsten Momente<br />

der Musikgeschichte beinhalte, unvergleichlich,<br />

verblüffend, brillant und<br />

stark. Et voilà! So inspirierte ein<br />

französischer Wein einen deutschen<br />

Komponisten, der wiederum<br />

die französische Musik inspirierte.<br />

Das gibt der Redewendung<br />

„à la française“ gleich eine ganz<br />

andere Bedeutung – quasi mit teutonischer<br />

Wendung.<br />

Nur allzu verständlich, dass<br />

der Wein aus Saint-Péray die Welt<br />

der Künstler, der Schönen und<br />

der Reichen in Europa eroberte,<br />

obwohl er nach der Französischen<br />

Revolution einen sekularen Namen<br />

annahm: Eine Zeit lang war er schlicht als<br />

„Péray-Weißwein“ bekannt – ganz ohne<br />

religiöse Heiligsprechung. Lamartine,<br />

Daudet, Maupassant und Baudelaire<br />

erwähnen alle den Wein in ihren Schriften.<br />

Sogar Papst Pius VII. lobte ihn.<br />

Der Weißwein hat einen robusten,<br />

dicken, buttrigen Geschmack nach Mandel,<br />

Honig und sämigen Früchten wie Pfirsich<br />

oder Aprikose. Dieser und die sprudelnde<br />

Variante werden aus der Marsenne- und<br />

Rousanne-Traube gekeltert, die in kühlerem,<br />

feuchterem Klima gedeiht und sich für<br />

tiefgründige Weiß- und Perlweine im Burgunderstil<br />

eignet. Die Trauben werden<br />

gepresst. Fermentiert werden sie bei<br />

kalten Temperaturen in Bottichen und<br />

Eichenfässern. Die besten Produzenten<br />

dieses Weins wie Yves Cuilleron und<br />

Alain Voge sind für ihre speziell limitierten<br />

Editionen bekannt, aber der<br />

von Michel Chapoutier ist vielleicht<br />

der beste, erschwinglichste und am<br />

leichtesten zu beschaffende unter<br />

ihnen. Zusammen mit der französischen<br />

Starköchin Anne-Sophie<br />

Pic hat die Chapoutier-Familie ein<br />

hervorragendes und bezahlbares<br />

Beispiel für einen Marsenne Saint-<br />

Péray herausgebracht.<br />

Und für den Besten der Besten<br />

sollten Sie den „Fleur du Crussol“<br />

von Alain Voge probieren –<br />

mit besten Parker-Punkten bewertet<br />

und Musterbeispiel für einen Wein aus<br />

dieser Region.<br />

Innovation und Inspiration waren im<br />

Spiel, als Louis-Alexandre Faure, ein Winzer<br />

der Region, angeregt von den Methoden,<br />

die es in der Champagne gab, seinen<br />

ersten sprudelnden Saint-Péray produzierte.<br />

Im 20. Jahrhundert sollte der Wein<br />

WAGNER LIESS SICH<br />

100 FLASCHEN<br />

DIESES WEINS<br />

IN SEIN BAYREUTHER<br />

HAUS LIEFERN<br />

große öffentliche Anerkennung genießen:<br />

Am 8. Dezember 1936 erlangte der Saint-<br />

Péray als einer von nur neun Weinen AOC-<br />

Status, also das Gütesiegel „Appellation<br />

d’Origine Contrôlée“. Leider hat dieser<br />

Wein heute seinen Glamour-Faktor verloren<br />

und wird außerhalb von Frankreich<br />

kaum noch vertrieben, während seine stille<br />

Variante ein Favorit unter Sammlern, Kennern<br />

und natürlich auch unter Komponisten<br />

und Dirigenten geblieben ist. Und<br />

Wagner – wie indirekt später dann auch<br />

Debussy – hatte also das Glück, seinen persönlichen<br />

Heiligen Gral unter den Weinen<br />

gehabt zu haben. Warten Sie nicht weiter<br />

auf Ihre Inspiration – Ihre Muse „à la française“<br />

ist schon bereit … ■<br />

John Axelrod ist Generalmusikdirektor und Geschäftsführer des Real Orquesta Sinfónica de Sevilla und erster Gastdirigent des Orchestra Sinfonica di Milano „Giuseppe Verdi“. Nebenbei schreibt er<br />

Bücher und sorgt sich um das Wohl des crescendo-Lesergaumens. Außerdem schreibt er einen englischsprachigen Blog zum Thema Wein und Musik: www.IamBacchus.com.<br />

Infos zum Marsenne Saint-Péray von Anne-Sophie Pic und Michel Chapoutier finden Sie hier: www.pic-chapoutier.com/saint-peray-white-wine. Infos zum „Fleur du Crussol“ von Alain Voge hier:<br />

www.alain-voge.com/fr/saint-peray/fleur-de-crussol<br />

97


H O P E T R I F F T<br />

Daniel-Hope-Kolumne<br />

MAN DARF SEIN PUBLIKUM<br />

FORDERN!<br />

Daniel Hope im Gespräch mit Silke Zimmermann,<br />

der künstlerischen Leiterin des Kulturprogramms im Hotel Schloss Elmau.<br />

Silke Zimmermann mit Daniel Hope<br />

Daniel Hope: Silke, seit Jahren hältst du auf<br />

Schloss Elmau in der Nähe von Garmisch-<br />

Partenkirchen das Musikprogramm lebendig.<br />

Dabei hast du vor allem auch verschiedene<br />

Genres auf einmalige Weise zusammengebracht:<br />

Klassik, Jazz und Weltmusik.<br />

Was ist dabei das Besondere für dich?<br />

Silke Zimmermann: Dass es keine Grenze<br />

gibt. Die Grenze ist eigentlich nur die Größe<br />

der Bühne. Sonst herrscht ein Geist von völliger<br />

Offenheit. Ich habe die Freiheit, einfach<br />

gute Musiker einzuladen – egal aus welchem<br />

Genre!<br />

Hast du dich mit solchen Genre-Kombinationen<br />

auch schon beschäftigt, bevor du<br />

nach Elmau kamst, oder war das neu?<br />

So viel Freiheit, wie hier herrscht, trauen sich<br />

wenige Veranstalter. Viele schauen auf die<br />

Vermarktbarkeit des Repertoires und limitieren<br />

sich damit selbst. Ich habe gemerkt,<br />

dass man sein Publikum sehr wohl fordern<br />

darf. Die Gäste sind meist viel intelligenter,<br />

als wir denken. Deshalb sage ich: Man muss<br />

etwas wagen, Dinge mischen! Vieles gehört<br />

traditionell ja auch zusammen und war früher<br />

gar nicht so scharf getrennt.<br />

Am Anfang gab es – etwa bei Konzertabenden<br />

mit Maria João und anderen – aber<br />

doch kleine Skandale oder zumindest<br />

starke Reaktionen von Zuschauern, die seit<br />

Jahrzehnten hierherkommen und die das<br />

nicht ertragen wollten.<br />

Damit muss ich mich schon manchmal konfrontieren.<br />

Aber gerade dadurch gibt es<br />

manchmal die unglaublichsten Erlebnisse:<br />

Gerade weil die Besucher hier ja Hotelgäste<br />

– und eben nicht alle Musikgäste – sind. Es<br />

gibt Gäste, die geraten sozusagen zufällig in<br />

ein Konzert, haben hinterher Tränen in den<br />

Augen, klopfen ihrer Frau auf die Schulter<br />

und sagen: „Wir müssen wieder viel mehr<br />

Musik hören, das ist ja der Wahnsinn!“ Diese<br />

Menschen kommen also unfreiwillig mit<br />

etwas in Berührung, mit dem ich sie konfrontiere,<br />

und finden es ganz toll.<br />

Allerdings war das anfangs hier schon ein<br />

fast rein klassisch geprägtes Haus. Sicher war<br />

da immer wieder jemand beleidigt, aber das<br />

hat sich in zwischen ganz gut halbe/halbe<br />

ausbalanciert: Die einen kommen für das<br />

eine, die anderen für das andere …<br />

Was ist dein persönliches Highlight der<br />

letzten Jahre?<br />

Das klingt jetzt ein bisschen nach einer<br />

Phrase: Aber das Tollste sind tatsächlich die<br />

Begegnungen. Wenn man hier zum Beispiel<br />

ein renommiertes Streichquartett zu Gast<br />

hat, und in der zweiten Reihe sitzt ein britischer<br />

Starautor, der zufällig – oder besser<br />

natürlich nicht zufällig – seine Ferien hier<br />

verbringt, und dann zu erleben, dass diese<br />

Menschen sich begegnen, obwohl gerade wir<br />

Deutschen sie ja immer sehr gerne „einkasteln“,<br />

also Menschen in bestimmte Schubladen<br />

stecken. Oder im nächsten Jahr einen<br />

großen englischen Sänger hier zu begrüßen,<br />

der zufällig in das Konzert eines der größten<br />

Jazzpianisten geht, woraufhin der Jazzpianist<br />

sagt: „Hey, es wäre eigentlich toll, eine Kantate<br />

für dich zu schreiben! Deine Stimme ist<br />

ein Traum!“ Das erlebt man nicht so oft, aber<br />

hier ist es möglich. Auch weil es hier so intim<br />

zugeht.<br />

Nun geht ein Kapitel zu Ende. Du wirst<br />

Elmau verlassen. Was sind deine Pläne?<br />

Meine Pläne sind zunächst einmal privater<br />

Natur: Ich muss mich um meine Eltern kümmern,<br />

die leider nicht mehr so jung sind wie<br />

wir. Und anschließend heißt es – wie man im<br />

Englischen so schön sagt –, the sky is the<br />

limit, also: Nach oben ist alles offen! Tatsächlich<br />

ist es sehr schwer, nach Elmau etwas<br />

Neues zu machen, weil man hier schon so<br />

viele wunderbare Dinge getan hat. Aber ich<br />

bin sicher, dass uns die Musikbranche wieder<br />

verbinden wird. Das ist das Schöne an<br />

der Musik, sie ist global!<br />

n<br />

ZEICHNUNG: STEFAN STEITZ<br />

FOTO: DANIEL HOPE, PRIVAT<br />

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