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CRESCENDO 4/18 Juni-Juli-August 2018

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit John Neumeier, Sophie Pacini, Hans Sigl und David Aaron Carpenter.

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Interviews unter anderem mit John Neumeier, Sophie Pacini, Hans Sigl und David Aaron Carpenter.

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„ICH KANN ES NIE ERWARTEN,<br />

VOR PUBLIKUM AUFZUTRETEN.<br />

WARUM MAN VOR KONZERTEN ÜBERHAUPT<br />

LAMPENFIEBER HABEN KANN,<br />

VERSTEHE ICH NICHT“<br />

An internationaler Anerkennung fehlt es David<br />

Aaron Carpenter nicht. Der 32-jährige Bratschist,<br />

auf Long Island bei New York aufgewachsen, gewann Preise bei<br />

mehreren Wettbewerben, wurde von Stars wie Pinchas Zukerman,<br />

Yuri Bashmet und Christoph Eschenbach gefördert und trat<br />

mit Mitgliedern der Berliner Philharmoniker auf. Unter Leitung<br />

von Dirigenten wie Vladimir Jurowski nahm er mit dem London<br />

Philharmonic Orchestra ein kürzlich bei Warner Classics erschienenes<br />

Album mit Werken von Antonín Dvořák, Béla Bartók und<br />

William Walton auf. „Ein überragender Violaspieler unserer<br />

Zeit“, jubelte ein Kritiker der Süddeutschen Zeitung, der ihm<br />

einen „ungemein offensiven,<br />

manchmal verzehrenden Ton<br />

von so lyrischer wie dramatischer<br />

Kraft“ bescheinigte.<br />

Konzerte zu geben und<br />

Alben einzuspielen füllt Carpenters<br />

Leben allerdings nicht<br />

aus. „Musik ist nicht das einzig<br />

Wichtige in meinem Leben.<br />

Mehr als zwei oder drei Stunden<br />

am Tag wollte ich nie üben“,<br />

erklärt er freimütig im Interview.<br />

Statt sich im Hotel auf<br />

Tourneeauftritte vorzubereiten,<br />

schaut er sich in fremden Städten<br />

lieber Museen an. Wie seine<br />

älteren Geschwistern Sean und<br />

Lauren, ebenfalls ausgebildete<br />

Musiker, studierte er an der<br />

Elite-Universität Princeton,<br />

machte einen Abschluss in Politikwissenschaften<br />

und spezialisierte<br />

sich danach auf Wirtschaft.<br />

Gemeinsam betreibt das<br />

Trio inzwischen einen offenbar<br />

florierenden Handel mit wertvollen<br />

Geigen, Violen und Violoncelli<br />

von legendären Instrumentenbauern wie Stradivari, Guadagnini<br />

oder Guarneri Del Gesù. Das 2010 gegründete Familienunternehmen<br />

beziffert den Wert seiner Geschäfte mit Instrumenten<br />

und Kunstwerken auf mehr als 150 Millionen Dollar.<br />

Carpenter, der in seinen extravaganten Designerjacken wie<br />

aus dem Ei gepellt aussieht, zog mit den Geschwistern in das ehemalige<br />

Townhouse des Dirigenten Lorin Maazel am Central Park<br />

und später in das luxuriöse Plaza Hotel. Als Unternehmer knüpfen<br />

die Carpenters seither geschickt Verbindungen zur Finanzund<br />

Musikwelt. Rare Instrumente wie Stradivari-Violinen sollen<br />

etwa bei Hedgefonds-Managern als sichere Kapitalanlagen hoch<br />

im Kurs stehen. Nach erfolgter Transaktion verleihen manche<br />

Käufer ihre Instrumente an Musiker des von den Geschwistern<br />

gegründeten Salome Chamber Orchestra, in dem die Carpenters<br />

zusammen mit Absolventen renommierter Hochschulen wie der<br />

Juilliard School oder dem Curtis Institute of Music spielen. Wie<br />

David Aaron Carpenter erklärt, könnten Nachwuchstalente Instrumente<br />

im Wert von 300.000 bis 500.000 Dollar wohl kaum aus<br />

eigener Tasche bezahlen. Die Erlöse von Benefizkonzerten des<br />

Orchesters, an denen sich beispielsweise auch der damalige Chefdirigent<br />

der New Yorker Philharmoniker, Alan Gilbert, beteiligte,<br />

gehen an gemeinnützige Organisationen. Die Carpenters haben<br />

sich auf diese Weise auch eine öffentlichkeitswirksame Plattform<br />

geschaffen, die ihren Geschäften förderlich ist.<br />

„Ich kann es nie erwarten, vor Publikum aufzutreten.<br />

Warum man vor Konzerten überhaupt Lampenfieber haben kann,<br />

verstehe ich nicht“, erklärt Carpenter mit einer Mischung aus<br />

kindlicher Unbefangenheit und einer gewissen Großspurigkeit.<br />

Wenn er über die Originalstücke und Transkriptionen spricht, die<br />

er auf seiner Viola von Michele Deconet aus dem Jahr 1766 spielt,<br />

zweifelt man nicht an seiner Begeisterung für Musik. Welchen<br />

Spagat er zwischen Kunst und<br />

Kommerz vollführt, zeigt sich<br />

allerdings deutlich, wenn er bei<br />

FOTO: CARRIE BUELL<br />

Werbeveranstaltungen von<br />

Auktionshäusern auftritt, die<br />

Instrumente zu horrenden Preisen<br />

anbieten. In einem Video<br />

auf Youtube spielt er bei<br />

Sotheby’s in New York die 1719<br />

von Stradivari gefertigte<br />

„MacDonald“-Viola. Das einstige<br />

Instrument von Peter<br />

Schid lof, dem 1987 verstorbenen<br />

Gründer des Amadeus<br />

Quartetts, sollte vor einigen<br />

Jahren für schwindelerregende<br />

45 Millionen Dollar den Besitzer<br />

wechseln. Unter dem Motto<br />

„Das teuerste Konzert aller Zeiten!“<br />

postete das Salome Chamber<br />

Orchestra einen Clip, auf<br />

dem Carpenter und andere<br />

Musiker auf insgesamt acht<br />

Stradivaris Astor Piazzollas<br />

Libertango spielen. Obwohl<br />

Carpenter mehrmals im Fernsehen<br />

auftrat, fand die<br />

„MacDonald“-Viola zu dem avisierten Preis keinen Abnehmer.<br />

Kunst hat zweifellos nicht nur einen ideellen, sondern auch<br />

einen materiellen Wert. Doch wie viel künstlerische Freiheit bleibt<br />

erhalten, wenn das Preisetikett stets übergroß sichtbar ist? Seine<br />

wertvolle Deconet-Viola spiele er nur zu seltenen Anlässen, sagt<br />

David Aaron Carpenter. „Auch meine Geschwister reisen nicht<br />

mit ihren Stradivaris und Guarneris durch die Welt, obwohl sie<br />

uns gehören. Bei besonders wichtigen Auftritten oder bei Plattenaufnahmen<br />

mache ich eine Ausnahme. Ansonsten benutze ich<br />

eine Kopie meines Hauptinstruments. Ich möchte ja nicht, dass es<br />

durch Kratzer oder Schweiß beschädigt wird.“ Viele Musiker, die<br />

ihr Instrument täglich spielen, um ihre Interpretationen weiterzuentwickeln,<br />

mögen hier vehement widersprechen. Denn ein<br />

Sammlerstück, das im Museum für die Zukunft konserviert wird,<br />

bleibt von der Gegenwart abgekoppelt. ■<br />

Bartók, Dvořák, Shor, Walton: „Motherland“, David Aaron Carpenter,<br />

London Philharmonic Orchestra (Warner)<br />

Termin: 31.5. Wien (AT), Musikverein<br />

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