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CRESCENDO 4/18 Juni-Juli-August 2018

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit John Neumeier, Sophie Pacini, Hans Sigl und David Aaron Carpenter.

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H Ö R E N & S E H E N<br />

Marie-Elisabeth Hecker<br />

Schmerz und<br />

Sehnsucht<br />

Wer sich entscheidet, Edward Elgars Cellokonzert<br />

einzuspielen, läuft stets Gefahr, mit der<br />

unvergessenen Aufnahme der jungen Jacqueline<br />

du Pré verglichen zu werden, die das spätromantische<br />

Werk 1965 wieder populär machte.<br />

Das Konzert sei „ein Schwanengesang, von<br />

seltener und vergänglicher Schönheit“ urteilte<br />

der Kritiker Neville Cardus. Zum Glück ist<br />

diese Schönheit nur so vergänglich, dass es immer<br />

wieder gelingt, sie zu erwecken. Cellistin<br />

Marie-Elisabeth Hecker vermag dies auf ihrer<br />

neuen Aufnahme hervorragend. In Kombination<br />

mit dem selten gespielten Klavierquintett,<br />

das mit hochkarätigen Kammermusikpartnern<br />

besetzt ist, gelingt ihr ein feinsinniges Porträt<br />

des späten Elgar. Die beiden Stücke sind seine<br />

letzten vollendeten Werke, beide entstanden<br />

im Frühjahr 1919, einer schweren Zeit im Leben<br />

des Komponisten. Seine Frau war schwer<br />

krank und der Erste Weltkrieg hatte ihn stark<br />

mitgenommen. Diese Musik ist der Schwanengesang<br />

eines Mannes, der voller Schmerz und<br />

Sehnsucht zurückblickt – und hier unglaublich<br />

durchdringend interpretiert wird. SK<br />

E. Elgar: „Cello Concert, Piano<br />

Quintet“, Marie-Elisabeth<br />

Hecker, Antwerp Symphony<br />

Orchestra (Alpha)<br />

Track 6 auf der crescendo<br />

Abo-CD: Sospiri, op. 70<br />

Lili Boulanger<br />

Vergessene<br />

Komponistin<br />

Der 100. Todestag<br />

von Claude Debussy<br />

steht in diesem Jahr<br />

weltweit im Fokus.<br />

Weitaus weniger<br />

Aufmerksamkeit<br />

erhält Lili Boulanger,<br />

die 19<strong>18</strong> im Alter<br />

von nur 24 Jahren starb. Dabei hielt der<br />

Dirigent Igor Markevitch sie sogar für die<br />

„größte Komponistin der Musikgeschichte“.<br />

Für das Label Carus haben das Orpheus<br />

Vokalensemble und der Pianist Antonii<br />

Baryshevskyi unter Leitung von Michael<br />

Alber mystische Chorwerke und an Klangfarben<br />

reiche Klavierstücke aufgenommen.<br />

Boulanger ließ vom Symbolismus inspirierte<br />

Landschaften erstehen, in denen sich flötespielende<br />

Hirten und Sirenen tummeln. Subtil<br />

perlende Melodien verraten den Einfluss<br />

zeitgenössischer Vorbilder wie Debussy.<br />

An dessen Klavierkomposition La cathédrale<br />

engloutie aus dem ersten Band seiner<br />

Préludes erinnern die dramatischen Steigerungen<br />

in Boulangers Hymne au soleil. Dieses<br />

Album lädt dazu ein, das eindrucksvolle<br />

Oeuvre einer viel zu wenig beachteten<br />

Künstlerin zu entdecken. CK<br />

Lili Boulanger: „Hymne au Soleil“, Orpheus Vokalensemble,<br />

Antonii Baryshevskyi, Michael Alber (Carus)<br />

SOLO<br />

Caroline Goulding<br />

Wunderkinder<br />

unter sich<br />

Wolfgang Amadeus<br />

Mozart ist das beliebteste<br />

Wunderkind der<br />

Musikgeschichte. Gut<br />

150 Jahre nach seinem<br />

Tod wurde dem jungen<br />

Erich Wolfgang Korngold<br />

in Wien ebenfalls eine<br />

musikalische Hochbegabung attestiert. Heute<br />

verbindet man Korngold vor allem mit seiner<br />

Oper Die tote Stadt und seinen oscarprämierten<br />

Filmmusikkompositionen. Auf Caroline Gouldings<br />

Album reichen sich die beiden Komponisten<br />

über die Jahrhunderte hinweg die Hand.<br />

Die Interpretationen von Mozarts Violinkonzert<br />

Nr. 5 und Korngolds Violinkonzert Nr. 1 erscheinen<br />

trotz aller stilistischen Unterschiede wie aus<br />

einem Guss und offenbaren die immense klangliche<br />

Vorstellungskraft der jungen Künstlerin, die<br />

2017 im Rahmen der Sommets Musicaux de<br />

Gstaad mit dem Prix Thierry Scherz ausgezeichnet<br />

wurde. Das Album ist das klangvolle Ergebnis<br />

der Preisvergabe und wurde im Zusammenspiel<br />

mit dem Berner Symphonieorchester unter<br />

der Leitung von Kevin John Edusei eingespielt.<br />

KK<br />

E. W. Korngold, W. A. Mozart: „Violin Concertos“, Caroline Goulding,<br />

Berner Symphonieorchester, Kevin John Edusei (Claves)<br />

Track 1 auf der crescendo Abo-CD:<br />

Violinkonzert Nr. 5 A-Dur KV 219. I. Allegro aperto von Mozart<br />

JAZZ<br />

esbjörn svensson trio<br />

Drei Körper, ein Gehirn<br />

Auch zehn Jahre nach seinem tragischen Tod mit nur 44 Jahren<br />

ist die Faszination des schwedischen Jazzpianisten<br />

Esbjörn Svensson um keine Spur verblasst: Sein legendäres<br />

Trio e.s.t. gilt immer noch als wegweisende Formation eines<br />

neuen, weltoffenen, aus Klassik, Rock, Minimalismus schöpfenden<br />

europäischen Jazz, der sich endgültig emanzipiert<br />

hat von allen amerikanischen Vorbildern und auf geradezu<br />

magische Weise Verständliches zu höchster Komplexität<br />

verdichtet. Zu den Höhepunkten ihrer allzu kurzen Karriere<br />

zählt das Livekonzert in der Londoner Barbican Hall im<br />

Jahr 2005, das jetzt in audiophiler Qualität auf einem Doppelalbum<br />

veröffentlicht wurde: Es dokumentiert in zehn<br />

teilweise bekannten Titeln den charismatischen Zauber der<br />

drei geradezu symbiotisch interagierenden Topmusiker und<br />

verwandelt das Riesenauditorium für knapp zwei Stunden<br />

in ein Obdach höchster Intimität, einen Sehnsuchtsort der<br />

Klarheit, der Zärtlichkeit, der inneren Ruhe und unendlich<br />

ausströmender Linien: e.s.t. glich<br />

einem Fabelwesen aus drei Körpern<br />

und einem kreativen Motor. Es<br />

hat das Triospiel neu definiert. AC<br />

„e.s.t. live in london“, esbjörn svensson trio<br />

(ACT)<br />

Jacqueline du Pré<br />

Versengende Glut<br />

VINYL<br />

Als Jacqueline du Pré und Daniel Barenboim im Jahr 1967 heirateten,<br />

waren sie „das“ Traumpaar der internationalen Klassikszene.<br />

Doch dauerte der kometenhafte Höhenflug der 1945 in<br />

Oxford geborenen Cellistin nur wenige Jahre: Denn bereits<br />

Anfang der 70er-Jahre beendete eine Multiple-Sklerose-Erkrankung<br />

ihre kurze Karriere. Sie wurde nur 42 Jahre alt. Einen Höhepunkt<br />

ihrer schmalen Diskografie bildete im November 1970 das<br />

Dvořák-Konzert, das sie mit dem Chicago Symphony Orchestra<br />

und Barenboim im berühmten Medinah Temple aufnahm. Während<br />

der damals 27 Jahre junge Barenboim und das CSO sie „auf<br />

Händen trugen“ , spielte sie ihren Solopart mit einer inneren Glut,<br />

einer lyrischen Kraft und einer herzzerreißenden Intensität, die<br />

existenziell anmuteten und charismatischen Zauber verströmten.<br />

Das ganze Konzert wirkte wie eine große, schmerzlich-schöne<br />

Arie, wie ein unendliches Ausatmen einer starken, zwischen Leidenschaft,<br />

Verzweiflung und Sanftmut<br />

wogenden Seele. Es hat bis<br />

heute nichts von seiner betörenden<br />

Magie eingebüßt. AC<br />

Dvořák: „Cello Concerto in B Minor,<br />

Silent Woods“, Jaqueline du Pré,<br />

Chicago Symphony Orchestra, Daniel<br />

Barenboim (Warner)<br />

42 w w w . c r e s c e n d o . d e — <strong>Juni</strong> – <strong>Juli</strong> – <strong>August</strong> 20<strong>18</strong>

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