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CRESCENDO 4/18 Juni-Juli-August 2018

CRESCENDO - das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit John Neumeier, Sophie Pacini, Hans Sigl und David Aaron Carpenter.

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haben. Bis heute spiele ich gerne Böhmsystem, wenn ich Bassklarinette spiele.“<br />

Worin aber liegt nun der Unterschied? Am offensichtlichsten ist die Klappenkonstruktion.<br />

Manche Töne sind auf den Klarinetten unterschiedlich zu<br />

greifen und – vereinfacht formuliert – auf der Böhmklarinette stehen für einen<br />

Ton oftmals mehrere Griffmöglichkeiten zur Verfügung. Ein weiterer Unterschied<br />

ist die Innenbohrung der beiden Klarinettensysteme, die beim Böhmsystem<br />

deutlich weiter ist als bei der deutschen Klarinette. Ebenso werden zum<br />

Teil völlig andere Mundstücke und Blätter verwendet, was auch klangliche<br />

Unterschiede hervorbringt und gewisse Spieltechniken wie etwa das Lippenvibrato<br />

auf dem deutschen System schwieriger macht. Denn auf der deutschen<br />

Klarinette werden schwerere Blätter gespielt, was zunächst deutlich anstrengender<br />

ist.<br />

Warum aber gibt es überhaupt zwei Systeme? Ein kleiner historischer<br />

Exkurs soll Licht ins Dunkel bringen: Als<br />

Erfinder der Klarinette gilt der deutsche<br />

Instrumentenbauer Johann Christoph<br />

Denner (1655–1707). Seine Modernisierung<br />

des Chalumeaus, eines einfachen<br />

Volksinstruments, stieß wegen des besonderen<br />

Klangs auf großen Zuspruch. Ab<br />

1732 wurde das Instrument als Klarinette,<br />

also kleine Clarin-Trompete, bezeichnet.<br />

Viele Jahre lang wurde an der Klarinette<br />

weitergetüftelt, aber erst etwa 100<br />

Jahre nach Denner machte Iwan Müller<br />

(1786–<strong>18</strong>54) einen entscheidenden Schritt:<br />

<strong>18</strong>12 stellte er ein Instrument mit 13 luftdichten<br />

Klappen und Blattschraube vor,<br />

auf dem es nun endlich möglich war, auch<br />

„DAS FESTHALTEN<br />

AN DEN BEIDEN SYSTEMEN<br />

HAT DURCHAUS<br />

CHARME, WEIL DAMIT<br />

– WIE IN DER SPRACHE –<br />

EIN BESTIMMTER<br />

UNVERWECHSELBARER<br />

DIALEKT<br />

BEWAHRT WIRD“<br />

chromatisch zu spielen. Trotz eines negativen Gutachtens des Pariser Konservatoriums<br />

setzte sich das Instrument schon wenige Jahre später andernorts<br />

immer mehr durch.<br />

In Frankreich ging man um <strong>18</strong>40 andere Wege: Hyacinthe Klosé und<br />

Louis Buffet übertrugen das Ringklappensystem der Böhm-Flöte auf die Klarinette<br />

und präsentierten so ein Instrument mit 17 Klappen. Spieltechnische<br />

Erleichterungen und auch Verbesserungen der Intonation waren das Ergebnis.<br />

Die vereinfachte Technik und die akustischen Verbesserungen galten hier als<br />

entscheidendes Kriterium für die Qualität des Instruments.<br />

Die Müller-Klarinette wurde dagegen nur sehr langsam und in kleinen<br />

Schritten weiterentwickelt. Man bemühte sich besonders, das romantische<br />

Klangideal zu wahren. Etwa 20 Jahre lang war die Böhm-Klarinette deutschen<br />

Instrumenten technisch überlegen. Carl Baermann erkannte schließlich, dass<br />

das System der Böhm-Klarinette wohl die einzige Möglichkeit sei, eine „Überladung<br />

des Instruments mit Klappen und Hebeln“ zu vermeiden.<br />

Auch der Belgier Eugène Albert behalf sich bei seinem Instrument mit<br />

Elementen der Böhm-Klarinette, allerdings war seine Klarinette intonationsgenauer.<br />

<strong>18</strong>90 entwickelte Oskar Oehler dann die letzten großen Neuerungen am<br />

deutschen System: Sein Instrument mit 22 Klappen zeichneten vor allem klangliche<br />

Verbesserungen aus.<br />

Bis heute ungeschlichtet ist der „Streit“ zwischen Böhm- und deutschem<br />

System. Die Böhm klingt schärfer, heller, vielfältiger, begünstigt das Vibrato,<br />

die Virtuosität, die schnellen Läufe, die Eleganz – und den Geldbeutel. Die<br />

„deutsche“ klingt wärmer, dunkler, obertonärmer, begünstigt die Tonbeugung<br />

und das Glissando, verlangt Gabelgriffe, Zungen- und Fingertricks. Und es gibt<br />

einen klanglichen Unterschied. Dieser ist allerdings sehr stark von Blatt, Mundstück<br />

und Anblasart abhängig. Der Zuhörer kann nicht unbedingt zuordnen,<br />

welches System gespielt wird. Es kommt sehr auf den Spieler und das verwendete<br />

Material an, wie eine Klarinette klingt. Die Schule, aus der der Spieler<br />

kommt, ist sehr viel entscheidender dafür als das Instrument selbst. Die<br />

Schwachstellen sind letztlich bei beiden Systemen die gleichen – und meistens<br />

ist der Spieler eine davon.<br />

■<br />

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