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SOM-2_2020

Auf allen Ebenen gesunden

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Wissenschaft

Fasten und orale Gesundheit

Die Auswirkungen irgendeiner Form des intermittierenden

wie des Langzeit-Fastens auf die Mundgesundheit sind bislang

praktisch nicht erforscht. Grundsätzlich sind erwünschte wie

unerwünschte Effekte zu erwarten, weil:

▶ sämtliche Schleimhäute im Fasten Funktions- und Strukturänderungen

durchlaufen,

▶ Fasten Auswirkungen auf das Mikrobiom auch der Mundhöhle

hat.

▶ die systemischen anti-entzündlichen Wirkungen des Fastens

sich bis ins Parodontium fortsetzen könnten.

Der Beitrag der Schleimhäute der Mundhöhle zu den Verdauungskräften

besteht während der dort stattfindenden mechanischen

Zerkleinerung vor allem in Einspeichelung und

erstem Kontakt mit verdauungsaktiven Enzymen, hier vor

allem der α-Amylase Ptyalin. Die Speichelproduktion verbraucht

Energie und Aminosäuren für die Enzyme und den

intrinsischen Faktor. Im Langzeit-Fasten, das im Körper einen

maximalen „Sparzwang“ auslöst, lässt die Speichelproduktion

deutlich nach, auch weil visuelle, olfaktorische und geschmackliche

Reize des Essens sowie seine Zerkleinerung als

natürliche Stimuli weitgehend ausbleiben. Faster bestätigen

dies, wenn sie eine bis dato meist nicht bekannte Xerostomie

erfahren. Diese ist unangenehm und begünstigt zudem zeitabhängig

Karies und Zahn- wie Speichelsteinbildung, worauf in

der Fastenberatung hingewiesen werden muss. Die Speichelproduktion

lässt sich durch zusätzliche bewusste Zungen- und

Kieferbewegungen stimulieren, ggf. auch durch Kaugummis.

Haut und Schleimhäute sind schon im Normalzustand, umso

mehr im Fasten auch Ausscheidungsorgane. Der Fastende und

seine Umgebung merken dies am verstärkten Odor, der nicht

nur durch Aceton geprägt ist sowie an ungewohnt pelzigen

Zungenbelägen, wie man sie sonst vielleicht aus schweren Infektionserkrankungen

kennt. Für welche Substanzen der Körper

diesen recht ungewöhnlichen Ausscheidungsweg wählt,

bleibt eine der vielen ungelösten Fragen bereits an die Physiologie

des gesunden Fastenden. Gute Fastenführer empfehlen

hier regelmäßiges Zungenbürsten mit einer extrem weichen

Bürste.

Das Mikrobiom des gesamten Verdauungstraktes reagiert sehr

schnell auf jede Änderung des intraluminalen Nährstoffangebots,

umso mehr auf die plötzliche, ca. 90 %-ige Reduktion

im Fasten. Hierüber ist bislang nur eine Untersuchung mit

Stuhlproben von 15 gesunden Fastern erfolgt, die unmittelbar

nach dem Fasten dramatische Veränderungen, nach 3 Monaten

jedoch eine annähernde Restitution dieses sehr variablen

Bakterienspektrums aufwiesen [8]. Obwohl enge Zusammenhänge

zwischen Darm- und Mundflora bestehen, sollte dies

dringend für die Mundflora untersucht werden.

Zusammengefasst können derzeit durch keine Fastenform gesicherte

Vorteile für die Mundgesundheit postuliert werden.

Religiös motiviertes

intermittierendes Fasten

Der Ramadan stellt ein über 29 Tage kontinuierliches intermittierendes

Fasten mit allerdings auch Flüssigkeitskarenz zwischen

Sonnenauf- und -untergang dar. Je nach zeitlich etwas

variierender Jahreslage, vielmehr aber in Abhängigkeit von geografischen

Bedingungen (insbesondere dem Breitengrad), kann

der tägliche Zeitraum extrem unterschiedlich sein, die Bedingung

einer mindestens 14-Stunden-Nahrungskarenz ist jedoch

meist erfüllt. Er stellt somit ein jährlich von vielen Millionen

Menschen in der Welt wiederholtes Massenexperiment mit intermittierendem

Fasten dar, das sowohl Gesunde wie auch viele

chronisch Kranke relativ strikt einhalten.

Die publizierte Forschung bezüglich Sicherheit und gesundheitlicher

Vorteile des Ramadan wertet dieses Experiment relativ

positiv. Aus traditionell westlich medizinischer Sicht wundert

dies umso mehr, als auch in den heißen muslimischen Kernländern

und auch von älteren, herzkreislauf- wie nierenkranken

Bürgern eine hier meist 12-stündige Flüssigkeitskarenz

gefordert und auch eingehalten wird. Die Sicherheitsforschung

zum Ramadan lieferte bislang etwa Daten zur Therapiequalität

und zu möglichen Dosierungsänderungen für Vitamin-K-Antagonisten

sowie zur erheblichen Gefährdung höhergradig niereninsuffizienter

Patienten.

Ausblick

IF in seinen verschiedenen Formen ist konzeptuell grundsätzlich

sehr alt. Massenhaft praktiziert wie beforscht wird es jedoch

erst seit gut einer Dekade von Gruppen und Individuen,

die nicht an die traditionellen medizinischen Fastenschulen anknüpfen,

sondern sich eher aus der experimentellen Forschung

zu Fragen von Energieaufnahme und Lebenserwartung bei verschiedensten

Lebewesen ableiten.

Ein Vergleich zwischen IF und dem in Mitteleuropa seit Langem

praktizierten, präventiv oder therapeutisch intendierten

medizinischen Fasten, neuerdings zur Abgrenzung auch als

LZ-Fasten bezeichnet, fällt schwer. Die hier sich äußerst rasch

entwickelnde Forschungsaktivität mit zahlreichen randomisierten

Studien hat sich bislang primär auf die Fragen der Gewichtskontrolle

bei Übergewichtigen mit und ohne Typ-2-Diabetes

sowie körperliche Leistungsfähigkeit konzentriert (Übersicht

z. B. in [9]). In keinem Falle ist bisher versucht worden – und

auch demnächst ist dies vermutlich nicht zu erwarten –, dass

wichtige Fragen der Vergleichbarkeit von IF und LZ-Fasten

etwa durch randomisierte klinische Studien einer Klärung zugeführt

würden.

Die durch therapeutisches LZ-Fasten erzielten bzw. in vergleichsweise

wenigen Studien nachgewiesenen Effekte, etwa auf rheumatische

Erkrankungen, sind durch alle Formen des IF bislang

nicht untersucht bzw. (soweit erfahrungsseitig beurteilbar) nicht

erreicht worden. Zu erwarten und zu hoffen ist, dass es gelingt,

Systemische Orale Medizin · 9. Jahrgang 2/2020 25

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