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SOM_3_2022

Arzneipflanzen, Funktionelle Störungen im Mund- und Kieferbereich, Antikörperfreisetzung, Mundgsundheit, Störfelder, Posturologie , Esskultur , Süßholz

Arzneipflanzen, Funktionelle Störungen im Mund- und Kieferbereich, Antikörperfreisetzung, Mundgsundheit, Störfelder, Posturologie , Esskultur , Süßholz

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10. Jahrgang · Ausgabe 3/2022 · 11,50 €

Gesellschaft für Ganzheitliche Zahnmedizin e.V.

Von Kopf bis Fuß

Funktionelle Neurologie

Posturologie

Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022 1


CURRICULA

zu gefragten Tätigkeitsschwerpunkten

Save the Date!

Haranni-Curricula sind auf Master-Studiengänge der DTMD University anrechenbar!

ENDODONTOLOGIE

AB DEM 28./29. OKTOBER 2022

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Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022


5 Editorial

Wissenschaft

6 Arzneipflanzen in der Zahnheilkunde

Michael Keusgen

14 Diagnostik und Behandlung funktioneller Störungen im Mund- und Kieferbereich

Philip Eckardt

18 Ekel fördert die Antikörperfreisetzung im menschlichen Speichel

Statistik

20 Stellenwert der Mundgesundheit

Praxis

22 Störfelder im Mund- und Kieferbereich als mögliche Ursache chronischer Krankheiten

Knut Hennig

31 Mit dem Lollipop gegen Karies?

32 Posturologie in der Zahnmedizin

Roland Pfeiffer

32 Esskultur als Teil der zahnheilkundlichen Therapie

Monika Pirlet-Gottwald

Pflanzenportrait

42 Süßholz – Glycyrrhiza Glabra

Fortbildung

41 GZM Veranstaltungen

Claudia Reimer

4 Impressum 17 GZM-Mitgliedsantrag

Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022 3


Zu Gast bei Freunden

Ich grüße Sie dieses mal aus Berlin,

wo ich als Gasthörerin am Hypnose

Kongress der Deutschen Gesellschaft

für Zahnärztliche Hypnose e.V. teilnehmen

darf. Unser befreundeter Verein

bietet hier über mehrere Tage ein

spannendes Programm, bei denen die

Teilnehmenden erfahren, wie Hypnosetechniken

PatientInnen helfen können.

Nicht nur PatientInnen profitieren von

diesen Hypnosetechniken, sondern auch

die Praktizierenden selbst. Persönlicher

Kontakt und das miteinander-voneinander

Lernen ist nach wie vor ein wichtiger

Baustein einer medizinischen oder

zahnmedizinischen Gesellschaft. Daher

möchte ich Sie schon an dieser Stelle

ganz herzlich zu unseren Seminaren und

Angeboten in Freudenstadt und Baden

Baden einladen. Nutzen Sie die Gelegenheit,

sich mit Kolleginnen und Kollegen

auszutauschen, in Verbindung zu kommen

und Neues zu lernen. (Seite 41) Seien

Sie hier mit Gleichgesinnten zu Gast

bei Freunden, denn die Veranstalter der

Kongresse, der Zentralverband der Ärzte

für Naturheilverfahren e.V. und die

Gesellschaft für Erfahrungsheilkunde

bieten schon seit vielen Jahren - freundschaftlich

verbunden - eine Plattform

für die ganzheitliche Zahnmedizin.

Arzneipflanzen in der Zahnheilkunde

werden seit Anbeginn der Zeit für die

Zahnpflege verwendet. Michael Keusgen

verschafft uns einen Überblick

Fachorgan der Internationalen Gesellschaft für Ganzheitliche ZahnMedizin e. V.

IMPRESSUM

Herausgeber & Verlag:

Internationale Gesellschaft

für Ganzheitliche ZahnMedizin e. V.

Kloppenheimer Straße 10

68239 Mannheim

Tel.: +49 621 4824300

Fax: +49 621 473949

Internet: www.gzm.org

E-Mail: gzm@gzm.org

ISSN 2194-945X

Erscheinungsweise:

Format/Umfang:

Auflage:

4-mal jährlich

SOM: DIN A4 / 48 Seiten

MuM: DIN A4 / 8 Seiten

SOM: 2.000 Stück

MuM: 2.500 Stück

Preise:

GZM-/SGZM-

MitgliederInnen:

im Mitgliedsbeitrag

enthalten

Nicht-MitgliederInnen: € 45,00/Jahr

Studierende:

€ 27,00/Jahr

Einzelverkaufspreis: € 11,50/Exemplar

Chefredaktion:

Constance Nolting

Anschrift der Redaktion:

Kloppenheimer Straße 10

68239 Mannheim

E-Mail: gzm.redaktion@gzm-org.de

Redakteur

Mensch & Mund:

Ludwig Fiebig

Manuskripte, Rechte:

Manuskripte sind an die GZM-Chefredaktion zu senden.

Die Autoren sind für den Inhalt der Artikel verantwortlich

und bestätigen mit der Einsendung, dass sie

das volle Urheberrecht am Beitrag (inkl. Bildmaterial)

besitzen und der Beitrag keine Rechte Dritter verletzt.

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vorher noch gleichzeitig anderweitig zur Veröffentlichung

in Zeitschriften, Büchern, Internet usw. anbieten.

Die GZM-Redaktion behält sich eine Kürzung

und Bearbeitung der eingesandten Manuskripte und

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Mit der Einsendung der Manuskriptunterlagen überträgt

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und Übersetzungen vornehmen sowie Unterlizenzen

erteilen. Die Veröffentlichung an anderen

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72270 Baiersbronn

Gedruckt auf 100 % Recycling-Papier

4 Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022


über ausgewählte Arzneipflanzen und

deren bioaktive Inhaltsstoffe ab Seite 6

Aufgrund der deutlichen Menge an Triterpensaponinen

und der demzufolge

antiinflammatorischen Wirkung rückt

die Süssholzwurzel in den Mittelpunkt

des Pflanzenportraits ab Seite 42.

Was macht man, wenn keine eindeutige

Befundung möglich ist? Ist Psychologisierung

der Schlüssel? Oder kann

auch eine funktionelle Störung Ursache

des Übels sein. Dieser Frage geht Philip

Eckardt in seinem Artikel über die Diagnostik

und Behandlung funktioneller

Störungen ab Seite 14 nach. Störungen

können auch mit der Elektroakupunktur

nach Voll aufgedeckt werden. Einige von

Ihnen arbeiten bereits seit Jahren mit

dieser Methode. Für diejenigen, denen

dieses Verfahren noch unbekannt ist,

stellt Ihnen Knut Henning die Elektroakupunktur

vor und erläutert, inwiefern

Störfelder im Mund- und Kieferbereich

mögliche Ursachen von chronischen

Krankheiten sein können.

Wussten Sie eigentlich, dass Ekel die

Antikörperfreisetzung im menschlichen

Speichel fördert? Das könnte ganz neue

Perspektiven bei diversen Behandlungsansätzen

befördern. Allerdings klappt

das nicht mit jeder Art von Ekel. Wovor

Sie sich zur Anitkörpergewinnung genau

ekeln sollten, erfahren Sie auf Seite 18.

Es soll ja Menschen geben, die sich - unabhängig

von dem Gedanken an Antikörper

- vor dem ein oder anderen Lebensmittel

ekeln. Wenn Sie dieses nicht

tun und - ganz im Gegenteil über leckeres

Essen nachdenken und sich ein solches

zubereiten, dann bringen Sie wahrscheinlich

auch die passende Esskultur

mit. Monika Pirlet-Gottwald hat ab

Seite 32 ein paar Ideen, wie die Esskultur

zu einem Teil der zahnärztlichen

Therapie werden kann. Neun wertvolle

Tipps helfen dabei; diese können Sie

auch gerne an Ihre Patienten und Patientinnen

weiter geben.

Gelegentlich soll der Genuss von Speisen

zu unangenehmen Gerüchen aus

dem Mundraum führen. Aber nicht nur

entsprechende Lebensmittel begründen

schlechten Atem. Halitosis plagt etwa

jede vierte Person in Europa. Die Betroffenen

berichten von Einschränkungen

im sozialen Leben, von der Isolation

von anderen Menschen und sogar von

schlechteren Chancen im Berufsleben.

In etwa 90% alles Fälle liegt das Problem

im Mundraum, in einigen Fällen

kann auch ein internistisches Problem

als Ursache vorliegen. Die bekanntesten

Ursachen von Mundgeruch sind Zungen-

und Zahnbelag, marginale und

profunde Parodontitiden, multiple kariöse

Läsionen, Zahnfleischerkrankungen,

sowie auch insuffizient gepflegter

Zahnersatz. In den überwiegenden Fällen

kommt es durch bakterielle Zersetzung

zur Bildung von unangenehmen

Atem. Eine Reduzierung der Bakterien

und ihrer Abbauprodukte ist z.B. ein

wirksamer Therapieansatz. In seltenen

Fällen liegen internistische Ursache vor,

beispielsweise ein schlecht eingestellter

Diabetes mellitus, Reflux, Tonsillensteine,

oder Leber- oder Nierenprobleme.

Dieses muss dann an anderer Stelle als

der Zahnarztpraxis abgeklärt werden.

Da es nicht immer leicht ist, den Patienten

oder die Patientin konkret anzusprechen,

haben wir das Thema in der

Mensch und Mund aufgearbeitet. Vielleicht

hilft das als Einstieg in die Thematik

und dient Ihren PatientInnen als

Informationsgrundlage.

Übrigens wurde schon in der Antike

eine soziale Ächtung von unter Mundgeruch

leidenden Personen beschrieben.

So strafte die Göttin Aphrodite aus Wut

alle Bewohnerinnen der Insel Lemnos.

Sie gab den Damen schlechten Atem.

Das hatte zur Folge, dass alle Männer

die Insel fluchtartig verließen. Ein geselliges

Miteinander der Geschlechter war

wohl somit nicht mehr möglich. Damit

es nicht soweit kommt, sorgen Sie für die

Geruchsneutralität Ihrer PatientInnen -

zum Wohle aller, der ProtagonistInnen

selbst und natürlich der Menschen, die

in sich in unmittelbarer Nähe befinden.

Und sollte man demnächst bei Freunden

zu Gast sein, sei es im privaten oder auf

einem Kongress, schadet es nicht, den

eigenen Atem zu überprüfen. Aber: Sie

sind ja vom Fach und können reagieren,

bevor es zu größeren Fluchtbewegungen

kommt.

Herzlichst

Ihre

Constance Nolting

Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022 5


Wissenschaft

Arzneipflanzen in

der Zahnheilkunde

Michael Keusgen

Zusammenfassung

Arzneipflanzen vielfältigster Art werden schon seit Menschengedenken

zur täglichen Pflege der Zähne oder für andere

zahnheilkundliche Zwecke verwendet, wobei die Palette

der eingesetzten Pflanzen und Pflanzenteile überaus breit ist.

Diese beginnt mit einer Reihe von holzigen Pflanzenteilen, die

historisch als „Zahnbürste“ verwendet wurden. In der modernen

Phytotherapie spielen Hölzer eine untergeordnete Rolle;

vielmehr stehen Arzneipflanzen mit einer antibiotischen, antiinflammatorischen,

analgetischen, lokalanästhetischen und

adstringierenden Wirkung im Vordergrund. Hierbei gibt es

global betrachtet erhebliche Unterschiede, je nachdem, welche

Pflanzen für die unterschiedlichen Anwendungsgebiete regional

gut verfügbar sind. Prominente Beispiele aus unserem Kulturkreis

sind die Echte Kamille, die Gewürznelke, Salbei sowie

gerbstoffhaltige Pflanzen und Pflanzenteile wie beispielsweise

Tee und Rhabarberrhizom. Dabei könne auch Mischungen dieser

Arzneipflanzen verwendet werden sowie daraus hergestellt

Extrakte. Hier besteht bei pflanzlichen Pflegeprodukten und

pflanz lichen Arzneimitteln für die Zahnheilkunde ein noch erhebliches

Entwicklungspotential.

Schlüsselwörter: Arzneipflanzen in der Zahnheilkunde, ätherische

Öle, Polyphenole, Gerbstoffe

6 Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022

Bildquellen: unsplash.com


Wissenschaft

Abb. 3: Grüner Tee

Ausgewählte Arzneipflanzen in

der Zahnheilkunde

Nachfolgend werden einige wichtige Pflanzen vorgestellt, die

in der Zahnheilkunde eine Rolle spielen. Dabei werden solche

Arzneipflanzen berücksichtigt, die in Deutschland und Europa

eine dokumentierte Tradition haben und in pharmazeutischer

Qualität zur Verfügung stehen. Die Liste ist keinesfalls abschließend,

insbesondere, wenn man andere Regionen wie Asien und

Amerika stärker betrachtet und die auch dort traditionell genutzten

Arten mitberücksichtigt.

Grundsätzlich lassen sich anhand der bioaktiven Inhaltsstoffe

dieser Arzneipflanzen drei Gruppen bilden:

1) Arzneipflanzen, die deutliche Mengen ätherisches Öl enthalten

(> 1 %). Ein ätherisches Öl ist eine Mischung aus

leicht flüchtigen Substanzen, die beim Verdunsten keinen

Rückstand bilden. Diese Stoffe können Zellmembranen

überwinden, insbesondere solche von Mikroorganismen. Bei

höheren Dosierungen zeigen ätherische Öle auch beim Menschen

unerwünschte Wirkungen. Dieses Problem besteht

aber nur für Präparate mit reinem ätherischen Öl, weniger

für Gesamtextrakte oder Arzneitees von Ätherisch-Öl-Pflanzen.

Gegen Mikroorganismen wie Bakterien und Pilze sind

ätherische Öle zumeist gut wirksam. Zusätzlich kann auch

die Hülle von Viren zerstört werden, woraus sich eine gewisse

virustatische Aktivität ergibt. Beispiele für potente Ätherisch-Öl-Pflanzen

sind die Kamille (Matricaria chamomilla),

der Eukalyptus (Eucalyptus globulus), Pfefferminze (Mentha

piperita) und die Gewürznelke (Syzygium aromaticum).

2) Arzneipflanzen, die in erheblichem Maß Polyphenole, insbesondere

Gerbstoffe enthalten. Gerbstoffe haben eine

adstringierende Wirkung, wodurch Proteine der Mukosa

denaturiert werden (zumeist reversibel) und somit als Ankerpunkte

für Mikroorganismen einschließlich Viren nicht

mehr zur Verfügung stehen. Somit wird eine Infektion präventiv

unterbunden. Die Anwendung von gerbstoffhaltigen

Arzneipflanzen ist aber auch bei kleineren Läsionen der

Mundschleimhaut sinnvoll, da durch eine Denaturierung des

Wundgewebes das Bakterienwachstum gehemmt wird und

somit die natürliche Wundheilung beschleunigt wird. Wichtig

ist, dass bei den Gerbstoffen die Anzahl an phenolischen

Gruppen sowie der Polymerisationsgrad nicht zu hoch ist, da

sich sonst gerbende (irreversible Denaturierung), toxische

Effekte zeigen können. Ebenfalls sind Arzneipflanzen mit einem

hohen Anteil an Gallussäure zu vermeiden (z.B. Eichenrinde),

da diese in höheren Dosierungen lebertoxisch sind.

Brauchbare gerbstoffhaltige Arzneipflanzen sind der Grüne

Tee (Camellia sinensis), Salbei (Salvia officinalis, enthält

zusätzlich ätherisches Öl) und der Rhabarber-Wurzelstock

(Rheum officinals, Rheum palmatum).

3) Sonstige Wirkstoffe. Pflanzen im Allgemeinen enthalten

Vielstoffgemische, was gegenüber chemisch-definierten

Wirkstoffen ein erheblicher Vorteil sein kann, sofern diese

Inhaltsstoffe synergistisch agieren. Ein gutes Beispiel hierfür

ist die Kamille. Neben dem ätherischen Öl sind auch zahlreiche

Flavonoide enthalten, die formell auch als Polyphenole

betrachtet werden können. Der Gesamtextrakt der Kamille

hat neben einer antibiotischen Wirkkomponente eine antiinflammatorische

und spasmolytische Wirkung. Ein weiteres

Beispiel ist die Süßholzwurzel (Glycyrrhiza glabra), welche

unter anderem Triterpensaponine und bestimmte Zucker

enthält, die eine antiadhäsive Wirkung für bestimmte Bakterien

haben (siehe auch das Pflanzenportrait Seite 42).

Abstract

Different medicinal plants have been used since time immemorial

for the daily care of the teeth or for other dental purposes,

with the range of plants and parts of plants used being

extremely wide. This begins with a series of woody plant

parts historically used as a "toothbrush".

In modern phytotherapy, wood plays a subordinate role;

Rather, medicinal plants with an antibiotic, anti-inflammatory,

analgesic, local anesthetic and astringent effect are in the

foreground. Keywords: medical plants for dental purposes,

essential oils, polyphenols, tannins

Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022 7


Wissenschaft

Eukalyptus

Kurzporträts ausgewählter Arzneipflanzen

(in alphabetischer Reihenfolge)

Gewürznelke (Syzygium aromaticum). Diese arzneilich genutzte

Blüte steht nicht umsonst an erster Stelle dieser Kurzporträts.

Die Gewürznelke hat nichts mit den „Nelken“ zu tun, sondern

ist der Blütenbestandteil eines Baumes, der beispielsweise

in subtropischen Regionen wie auf den Komoren kultiviert wird

(Abb. 1). Verwendet wird der verwachsene Kelch der Blüte, welcher

aufgrund des ätherischen Öls einen starken, charakteristischen

Geruch hat. Wertbestimmend ist das Caryophyllen, was

für die lokalanästhetische Wirkung des Nelkenöls maßgeblich

verantwortlich ist. Darüber hinaus hat die Gesamtmischung des

ätherischen Öls antibiotische Eigenschaften. (Abb.1)

Grüner Tee (Camellia sinensis). Im Gegensatz zum schwarzen

Tee handelt es sich beim grünen Tee um die nicht fermentierten

Blätter des Teestrauches (oder des Teebaums, je nach Kulturform).

Diese sind außerordentlich reich an Gerbstoffen;

das ebenfalls enthaltene Koffein spielt hier keine Rolle. Die

Gerbstoffe eines wässrigen Auszugs des grünen Tees wirken

deutlich adstringierend und verhindern somit das Anheften

von Mikroorganismen an die Mukosa. Wie alle Gerbstoffe hat

auch der Auszug aus dem grünen Tee in höheren Konzentrationen

einen eher unangenehmen, bitteren Geschmack. Durch

Fermentation wie bei der Herstellung des schwarzen Tees werden

die Gerbstoffe weitgehend oxidiert und abgebaut, wodurch

die adstringierende Wirkung deutlich abgeschwächt wird. Deshalb

ist schwarzer Tee weniger als Adstringents geeignet. (Abb.

3.)

Eukalyptus (Eucalyptus globulus). Vom Eukalyptus wird üblicherweise

das reine ätherisches Öl verwendet, was aus den

Blättern durch Wasserdampfdestillation gewonnen wird. Dieses

Öl hat eine ausgeprägte antibiotische Wirkung gegen ein breites

Spektrum von Mikroorganismen. Bei der Anwendung ist unbedingt

auf die Dosierung zu achten, da es bei Überdosierung zu

unerwünschten Wirkungen, auch auf das ZNS, kommen kann.

Bei Kleinkindern unter zwei Jahren ist die Anwendung von reinen

ätherischen Ölen jeglicher Art grundsätzlich kontraindiziert

(Larynxspasmus!).

Abb. 1: Blüten des Gewürznelkenbaums (Syzygium aromaticum) auf einer

Plantage auf den Komoren, Ostafrika. Deutlich erkennbar ist der rötlich gefärbte

Kelch, der große Mengen ätherisches Öl enthält, was sich bereits mit leichtem

mechanischem Druck (z.B. zwischen den Fingern) auspressen lässt.

(Foto: Keusgen)

Granatapfel (Punica granatum). Mit dem Granatapfel verbindet

man die fruchtig-sauer schmeckende fleischige Hülle der

einzelnen Samen, die genauso wie der daraus hergestellte Saft

eine leicht adstringierende Wirkung haben. Der Saft des Granatapfels

ist arzneilich aber weniger interessant (enthält ja auch

Fruchtsäuren und Zucker!), sondern es kommt auf die die äußere

Schale an. Diese enthält aus der Gruppe der Polyphenole

Flavonoide und Gerbstoffe, die adstringierend wirken und

beispielsweise bei Stomatitis zur Anwendung kommen können.

(Abb. 2)

Abb. 2: Granatapfelbaum

8 Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022

Bildquellen: unsplash.com/adobe.stock.com


Wissenschaft

Kamille (Matricaria chamomilla). Eine der wichtigsten Arzneipflanzen

unseres Kulturraums überhaupt. Bei der Kamille

wird üblicherweise ein alkoholischer oder wässriger Auszug

verwendet. Als wichtigste Wirkkomponenten sind das ätherische

Öl und die Flavonoide zu nennen, die eine antibiotische,

antiinflammatorische und wundheilfördernde Wirkung haben.

Als Indikation können hier kleinere Läsionen der Mundmukosa

genannt werden. Der Einsatz des reinen ätherischen Öls ist

weniger sinnvoll, da hierdurch der Synergismus zwischen den

einzelnen Wirkstoffgruppen verloren geht.

Myrrhe (Myrtus communis). Myrrhe ist das getrocknete Harz

(Exsudat) des Myrrhe-Baums. Harze sind Vielstoffgemische, die

im Falle von Myrrhe hauptsächlich Gerbstoffe und ätherisches

Öl enthalten. Diese Gerbstoffe haben einen ausgesprochen bitteren

Geschmack. Myrrhe-Tinktur hat eine gewisse Tradition

in der Behandlung von kleineren Läsionen im Mund-Rachenraum,

wobei das ätherische Öl eine antimikrobielle Wirkung

hat und die Gerbstoffe eine adstringierende – eine natürliche,

synergistische Kombination an Inhaltsstoffen! (Abb. 4)

Rhabarber (Rheum palmatum, R. officinalis). Die oberirdischen

Teile des Rhabarbers enthalten erhebliche Mengen Oxalsäure,

die gesundheitlich eher bedenklich ist, da Kalzium komplexiert

wird, auch das Kalzium der Zähne, was beim Verzehr

vom Rhabarber-Stängel direkt spürbar ist (Zähne fühlen sich

„rau“ an). Ganz anders verhält es sich mit dem Wurzelstock,

welcher Anthrachinone (abführender Effekt) sowie in großen

Mengen Gerbstoffe enthält. Aufgrund des relativ hohen

Gerbstoffgehaltes hat die Rhabarbertinktur eine Tradition in

der Behandlung der Stomatitis. (Abb. 5)

Abb. 5: Fruchtende Rhabarberpflanze. Arzneilich verwendet wird jedoch der unterirdische

Wurzelstock. (Foto: Keusgen)

Rhatan-Wurzel (Krameria triandra). Wie schon beim Rhabarber

erörtert, enthalten viele Wurzel und Wurzelstöcke hohe

Gerbstoff-Konzentrationen. Dieses ist insbesondere bei der

Rhatan-Wurzel der Fall, deren Tinktur aufgrund der adstringierenden

Wirkung ähnlich wie Rhabarber-Tinktur angewandt

werden kann.

Abb. 4: Myrrhe

Pfefferminze (Mentha piperita). Bei der Pfefferminze muss

zwischen dem ätherischen Öl und einer Tinktur bzw. einem Extrakt

unterschieden werden. Das ätherische Öl, welches in höhere

Dosierung neurotoxisch ist, hat einen deutlichen antimikrobiellen

Effekt, wobei ein Extrakt bzw. eine Tinktur deutliche

weniger ätherisches Öl enthält, aber zusätzlich Rosmarinsäure

(„Lamiaceen-Gerbstoff “), die leicht adstringierende und antivirale

Effekte hat – also wieder ein sinnvoller Synergismus (siehe

Myrrhe).

Salbei (Salvia officinalis). Ähnlich wie Pfefferminze enthält

Salbei ätherisches Öl und Lamiaceen-Gerbstoffe, zusätzlich

weitere Bitterstoffe, die aber nicht adstringierend wirken. Ätherisches

Öl und Gerbstoffen ergeben erneut einen sinnvollen Synergismus,

weshalb nicht das reine ätherische Öl, sondern eine

Tinktur, bzw. der Extrakt angewandt werden soll. Traditionelle

Anwendungsgebiete für Salbei sind Stomatitis, Tonsillitis und

Erkältungskrankheiten.

Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022 9


Wissenschaft

Süßholzwurzel (Glycyrrhiza glabra). Der Einsatz von Süßholzwurzel

in der Zahnheilkunde überrascht zunächst etwas, den

der Gehalt an Gerbstoffen – die meisten Wurzeln enthalten

Gerbstoffe – ist eher moderat. Allerdings enthält die Süßholzwurzel

deutliche Mengen Triterpensaponine, die eine antiinflammatorische

Wirkung haben. Zusätzlich sind spezifische

Zucker in der Wurzel enthalten, die eine antiadhäsive Wirkung

für bestimmte Bakterien entfalten, was ein durchaus sinnvoller

präventiver Effekt ist. (Anm.d.Red. siehe auch das Pflanzenportrait

Seite 42)

Thymian (Thymus vulgaris). Das ätherische Öl des Thymians

enthält mit den Substanzen Thymol und Carvacrol die wohl aktivsten

natürlichen Antiseptika, wodurch eine breite Palette von

Mikroorganismen abgetötet werden. Zusätzlich sind aber auch

Lamiaceen-Gerbstoffe enthalten (adstringierende und antivirale

Wirkung), was den Einsatz einer Tinktur bzw. eines Extraktes

an Stelle des reinen ätherischen Öls sinnvoll erscheinen lässt

(Abb. 6).

Abschließende Bemerkung

Die oben aufgeführten Arzneipflanzen können in ganz unterschiedlichen

Weisen appliziert werden. Die ursprünglichste

Anwendung ist die von Tees oder Tinkturen (alkoholischer

Auszug, Droge/Extrakt-Verhältnis 1:10). Diese Darreichungsformen

sind relativ einfach und zeigen bei fachgerechter Zubereitung

aber zumeist eine ausreichende Bioaktivität. Durch

spezielle, industrielle Extraktionsverfahren kann der Wirkstoffgehalt

deutlich gesteigert werden. Ätherische Öle werden

üblicherweise durch Wasserdampfdestillation gewonnen und

stellen eine hoch konzentrierte Darreichungsform dar; diese

sind deshalb mit entsprechender Vorsicht anzuwenden, da bei

Überdosierung mit toxischen Effekten zu rechnen ist. Da viele

Arzneipflanzen neben ätherischem Öl auch Gerbstoffe enthalten

(siehe oben: Pfefferminze, Myrrhe, Salbei, Thymian), ist

der Einsatz eines reinen ätherischen Öls nur bedingt sinnvoll,

da hierdurch der Synergismus zwischen ätherischem Öl und

Gerbstoffen (sowie weiteren Inhaltsstoffen) verloren geht.

Selbstverständlich können unterschiedliche Arzneipflanzen

bzw. die Auszüge aus diesen miteinander kombiniert werden.

Hierbei sollen nach Möglichkeit unterschiedliche Angriffspunkte

adressiert werden, beispielsweise die antimikrobielle

Wirkung der ätherischen Öle sowie die adstringierende Wirkung

der Gerbstoffe. Auszüge aus Arzneipflanzen können auch

Medizinprodukten und Implantmaterialien sowie Pflegeprodukten

zugesetzt werden, wobei es hauptsächlich auf die antimikrobielle

Wirkkomponente ankommt.

Bildquellen: unsplash.com/adobe.stock.com

Abb. 6: Thymian

Autoren

Prof. Dr. rer. nat.

Michael Keusgen

Dekanat Pharmazie

Philipps-Universität Marburg

Wilhelm-Roser-Str. 2

35032 Marburg

10 Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022


Einladung

zur satzungsgemäßen ordentlichen

Online-Mitgliederversammlung *

Am Mittwoch, den 09. November 2022 ab 18:30 Uhr per Zoomkonferenz!

Die Einwahldaten dazu erhalten Sie nach Anmeldung kurzfristig per E-Mail!

Tagesordnung:

1. Begrüßung und Feststellung der Beschlussfähigkeit

2. Mitglieder-Ehrung

3. Rechenschaftsbericht des Vorstandes

4. Bericht der Kassenprüfer

5. Entlastung des Vorstandes

6. Satzungsänderung

7. Beschlussfassung über eingebrachte Anträge

(Anträge sind bis spätestens 14 Tage vor Versammlung

schriftlich bei der Geschäftsstelle einzureichen)

8. Verschiedenes

Christine Albinger-Voigt

Dr. med. dent Christel Foch

Elke Glenz-Scotland,

Constance Nolting

Dr. med. dent Gerasimos S. Papathanasiou

* Aufgrund der Sonderregelung durch das Gesetz vom 27.03.2020: Artikel 2 § 5 Absatz 2: Online-Mitgliederversammlung;

ist es uns noch ohne besondere Satzungsregelung möglich, die Mitgliederversammlungen unseres Vereins

Systemische virtuell abzuhalten.

Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022 11


Wissenschaft

Diagnostik und Behandlung

funktioneller Störungen im

Mund-Kieferbereich

Bildquelle: ©Andrii Zastrozhnov-stock.adobe.com

Philip Eckardt

Was macht man, wenn ein Patient oder eine Patientin Beschwerden hat, aber kein eindeutiger Befund

vorliegt? Diese Frage stellen sich MedizinerInnen und TherapeutenInnen aus allen Disziplinen

täglich. Gerne kommt es dann zu einer Psychologisierung, d.h. wenn kein Befund vorliegt, dann muss

es wohl einen psychischen Grund für die Beschwerden geben. Während das durchaus der Fall sein

kann, wird man damit aber einer großen Anzahl an PatientInnen nicht gerecht. Der Begriff, der wohl

am ehesten die Lücke zwischen einem klaren klinischen Befund und einer psychischen Ursache

schließt, ist die funktionelle Störung.

Wirft man einen Blick in die S3-Leitlinien, wird dort beschrieben,

dass bis zu 50% Prozent der PatientInnen unter funktionellen

Störungen in der Hausarztpraxis leidet. Dabei sind in dieser

Beurteilung nur eine begrenzte Anzahl an Störungen berücksichtigt.

Immerhin wird in den S3-Leitlinien mittlerweile auch

von dem Begriff der Somatisierung Abstand genommen. Man

hat mittlerweile erkannt, dass möglicherweise das Nervensystem

eine Rolle spielen könnte, wenn auch die Beschreibung der

Pathogenese immer noch sehr allgemein und ungenau ist (6).

Lässt sich das nicht auf ein solides und klar anwendbares Fundament

der funktionellen Neurologie stellen, so dass keine veralteten

Erklärungsmodelle, wie jene aus der TCM herangezogen

werden müssen? Die klare Antwort ist ja, und wird im Verlauf

dieser Darstellung erklärt, am Beispiel von Beschwerden im

Mund-Kieferbereich.

Funktionelle Neurologie als Basis einer

funktionellen Medizin

Wenn man sich die Frage stellt, welches System im Körper für

die meisten Funktionen verantwortlich ist, dann kommt man

nicht um das Nervensystem und das Gehirn herum. Natürlich

gibt es auf zellulärer Ebene molekulare Mechanismen, welche

auch unabhängig von Nervensignalen funktionieren können,

aber auf globaler Ebene ist eine koordinierte Funktion des

menschlichen Organismus ohne das Nervensystem undenkbar.

Eigentlich ist das jedem in der Medizin Tätigen klar, schließlich

lernt man ja auch Hirnnerven mit lustigen Eselsbrücken auswendig,

um sie dann relativ schnell wieder zu vergessen und bei

der Therapie eher auf Gelenke Muskeln Faszien etc. einzugehen.

Woran liegt es dann, dass das Nervensystem in der funktionellen

Behandlung keine ausreichende Würdigung bekommt?

Die Antwort ist einfach: Es fehlt bisher an einem klaren und

anwendbaren Konzept.

Auf der Suche nach einem klaren Konzept habe ich mir alte Methoden

wie die TCM angeschaut, aber auch Fortbildungen manuelle

Medizin und Osteopathie absolviert, bis ich schließlich

2003 meine erste Berührung mit der funktionellen Neurologie

in Neuseeland bei Allan Phillips DO hatte. Mir war sofort klar,

dass diese Sichtweise das Fundament für eine funktionelle Medizin

sein muss.

Anwendung der funktionellen Neurologie

im Mund-Kieferbereich

Sobald man neurologisch denkt, denkt man auch systemisch.

Zum einen ist auch eine lokal begrenzte sensorische oder motorische

Funktion immer gekoppelt an zentrale Funktionen des

Nervensystems. Zum anderen kommt es über die starke Vernetzung

der Körpersysteme über das Nervensystem, zum Zwecke

der Koordination, aber auch einfach im Sinne der „zufälligen“

segmentalen Kopplung, zu vermeintlich lokalen Beschwerden

mit eigentlicher systemischer Problematik. Manchmal wirken

12 Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022


Wissenschaft

diese Verbindungen zunächst unlogisch, wirft man aber einen

Blick hinter die Kulissen, d.h. beschäftigt man sich mit dem

Aufbau der Leitungsbahnen und der Vernetzung der Systeme

untereinander, so wird meistens eine zumindest anatomische

Logik oft klar.

In Bezug auf den Mund-Kieferbereich steht natürlich der Nervus

trigeminus im absoluten Mittelpunkt und das Verständnis

über die zentralen Kerngebiete und die Leitungsbahnen zum

Gehirn sowie die Vernetzung zu anderen Systemen sind unabdingbare

Voraussetzungen unklare Beschwerden zu diagnostizieren

und schließlich auch zu behandeln. Dabei ist es nicht so

dass das bei der Diagnostik immer schon alles ganz komplex

sein muss, und auch die Behandlung folgt nicht primär der

Logik, sondern in erster Linie der funktionellen Testung der

Zusammenhänge. So kann man sich oft zurücklehnen, untersuchen,

testen, behandeln und hinterher die Anatomie nutzen,

um das Problem letztlich logisch zu erfassen.

Anteile des Nervensystems. Diese Nutzung ist eine erweiterte

Nutzung der klassischen, einfachen Muskelfunktionsdiagnostik

(Abb. 1) in der Neurologie hin zu einer integrierten, systematischen

Muskelfunktionsdiagnostik als integrierte Reaktion auf

spezifische Reize zu sehen.

Diagnostik

Die Diagnostik umfasst im Wesentlichen drei Aspekte der

Funktionen:

1. Autonome Funktion

2. Sensomotorische Funktion

3. Mentale Funktion

An dieser Stelle kann es schon knifflig werden, denn die autonome

Dysfunktion kann peripher sein z.B. im Sinne einer

vaskulären Problematik im Gewebe. Sie kann aber auch zentral

vorliegen, im Sinne einer vaskulären Problematik im Bereich

des zentralen Nervensystems, z.B. als Folge eines Schädel-Hirn-Traumas.

Ich möchte es an dieser Stelle aber erst mal

einfach halten und nur auf die peripheren sensorischen Funktionen

eingehen.

Abb. 1: Einfache, klassische Muskelfunktionsdiagnostik

Dabei geht es in erster Linie nicht so sehr darum bestimmte

anatomische Leitungen zu treffen, sondern einfach erst mal darum

zu schauen, ob die verschiedenen Qualitäten, die die Nerven

im Gewebe messen und überwachen, einzeln als Reiz-Reaktionsmusters

zu überprüfen. Dabei handelt es sich in jedem

Gewebe in erster Linie um propriozeptive und interozeptive

Qualitäten wie Druck, Zug, Vibration, Position, Wärme, Kälte,

Spitz-Stumpf-Empfinden, etc. So kann man im Bereich der

Beschwerden diese Qualitäten der Reihe nach durchtesten, also

den Reiz applizieren und Reaktion am Muskel messen. In der

Regel bedeutet das, dass ein Reiz dann auffällig ist, wenn ein

zuvor normal ansteuerbarer Muskel an Kraft und/oder Koordination

verliert (Abb. 2).

Testung der Sensorik

Klagt eine Patientin, ein Patient über Schmerzen im Zahnbereich

für die es keine zahnärztliche Begründung gibt, dann wäre

der nächste Schritt an eine Störung der Nervenfunktion zu denken.

Diese kann im Sinne der funktionellen Neurologie zum Teil

mit relativ einfachen Tests untersucht werden. Der wesentliche

Punkt dabei ist, dass man sich der Patientin, des Patienten bei

der sensorischen Testung nicht auf das subjektive Empfinden

des Patienten bezieht, sondern, im Sinne einer sensomotorische

Reaktion, die motorische Funktion als Reaktion auf den sensorischen

Reiz „misst“. Dieses Verfahren wird bereits in der AK

(Applied Kinesiology) für die Suche der Therapielokalisation

eingesetzt, im Rahmen der Neurofunktionellen Integration nutzen

wir die Muskelfunktionsdiagnostik zur Differenzierung der

Leitungsbahnen und der Beteiligung zentraler und peripherer

Abb. 2: Inhibierter Muskel

Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022 13


Wissenschaft

Bemerkung: Die Wissenschaft zur Muskelfunktionsdiagnostik,

auch der klassischen neurologischen Muskelfunktionsdiagnostik,

ist dünn, bzw. nicht vorhanden. Zudem werden oft typische

Test der AK mit Substanzen für die Studien benutzt, in der Regel

gibt es dann als Resultat nicht mehr als den Zufall. Inwiefern

einfache sensorische Reize die Muskelfunktion verändern

können, und ob das auch in gleicher Weise durch verschieden

Untersucher zu reproduzieren ist gilt es noch zu klären. Realität

bleiben, trotz der Unklarheiten, die Patienten mit unklaren

Beschwerden.

Schritt 1: Anwendung der sensorischen Testung

Widmen wir uns nun der praktischen Anwendung. Kommt eine

Patientin, ein Patient wie oben bereits angedeutet, mit Schmerzen

zum Beispiel im Bereich des Oberkiefers (14er) und die

eingehende Untersuchung des Kiefers und der Zähne inklusive

Vitalitätsprüfung, Panorama-Aufnahme etc. ergibt absolut

keinen Anlass zu denken, dass ein Zahn selber ein zahnärztlich

zu behandelndes Problem hat. Dann kann man der Reihe

nach sensorische Funktionen der Nerven am Oberkiefer oder

dem Zahn testen. Mann appliziert also einen Reiz und testet

anschließend eine Muskelfunktion, am besten zunächst im Bereich

des zu testenden Zahnes/ Oberkiefers, in unserem Beispiel

also die proximale Muskulatur im Bereich des rechten Glenohumeralgelenks

(Abb. 3).

Zeigt sich dabei zum Beispiel, dass ein Vibrationsreiz im Bereich

des Oberkiefers in unmittelbarer Proximität zum 14er eine

Inhibition im Glenohumeralgelenk rechts verursacht (Abb. 3),

dann kann das als Zeichen einer dysfunktionalen Verwertung

der Vibrationsinformation gesehen werden. Die Vibration kann

zum Beispiel mit einer 128 Hz Stimmgabel erzeugt werden. Was

genau diesen Kontrollverlust verursacht ist aktuell vollkommen

unklar. Dies ist auch nur der erste Schritt, um die Beschwerden

der Patientin, des Patienten sichtbar und zugänglich zu machen.

Zugänglich für den eigentlich wichtigen Schritt: Die gezielte

Aktivierung des Nervensystems, welche die Reaktion auf den

Reiz verändert/normalisiert.

Schritt 2: Gezielte Aktivierung des Nervensystems

Während Schritt eins in erster Linie dazu dient das Problem

sichtbar zu machen, ist Schritt zwei der eigentliche diagnostische

und dann auch therapeutische Schritt. Diagnostisch, weil

es um Netzwerke geht und der zweite Test-Schritt das neurologische

Netzwerk anzeigt. Therapeutisch, weil der zweite Schritt

anzeigt welcher Teil des neurologischen Netzwerks zur Behandlung

aktiviert werden muss, um die Fehlreaktion auf den Reiz

aufzuheben. Es geht im Kern also darum, das Nervensystem so

zu aktivieren, dass die auffällige primäre Testung nicht mehr

auffällig ist. Technisch sieht das so aus, dass das Nervensystem

so lange zusätzlich zum dysfunktionalen Reiz an verschiedenen

Stellen aktiviert wird bis die Inhibition des Muskels, in unserem

Fall durch die Vibration am Oberkiefer, aufgehoben wird. Das

kann zum Beispiel durch zusätzliche Aktivierung des unteren

Hirnstamms erfolgen (Abb. 4).

Abb 3: Auffälliger Test

Abb. 4: Korrektur des auffälligen Tests durch zusätzliche Aktivierung des

unteren Hirnstamms (Medulla oblongata MOG)

14 Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022


Wissenschaft

Schritt 3: Integration der integrierten Aktivierung

Im nächsten Schritt werden die Dysfunktion (Vibration am

Oberkiefer) und der Kontakt zur Aufhebung der Dysfunktion

(in unserem Beispiel MOG) zeitgleich oder kurz nacheinander

aktiviert und über einen zusätzlichen Reiz an der Schädelkalotte

(Integrationsreiz) integriert (Abb. 5). Der Integrationsreiz ist

ein Erfahrungswert und geht auf Allan Phillips, DO in Neuseeland

zurück.

Vibration über dem 24er oder auch über dem 44er eine Inhibition

eines Muskels auslöst. Ist das nicht der Fall kann man von

einer recht spezifischen Reaktion im N. maxillaris rechts ausgehen.

Diese vergleichenden Tests sind wichtig, ein auffälliger

Test muss sich ja in irgendeiner Weise von einem unauffälligen

Test unterscheiden.

Abb. 5: Integration des korrigierenden Reizes an der MOG und über die Schädelkalotte oberhalb der Ohren beidseits.

Warum ein Muskel tatsächlich

bei einem Reiz inhibiert, und bei

einem anderen Reiz am gleichen

Nerv nicht, ist letztlich unklar.

Eine sehr allgemeine Theorie ist,

dass der Reiz eine Störung im Nervensystem

verursacht, die dadurch

aber nicht verursacht werden sollte.

Oder anders gesprochen, das

Nervensystem zeigt an der Stelle

ein zu leichte Störbarkeit. Durch

die Aktivierung des im zweiten

Schritt ermittelten Kontaktes kann

diese Störbarket reduziert werden.

Wie ist das möglich? Tauchen wir

dafür noch mal etwas tiefer in die

Physiologie ein.

Nach der Integration wird der ursprüngliche Störreiz erneut

getestet, und falls weiterhin auffällig mit weiteren Kontakten

integriert, falls nicht mehr auffällig werden weiter Reiz-Qualitäten

am Oberkiefer/Zahn getestet und gegebenenfalls integriert.

So können propriozeptive und interozeptive Leitungen getestet

werden.

Praktische Tatsachen und theoretische

Interpretationen

Was sind die Tatsachen, und was ist das was wir denken, was

da passiert? Als Tatsache könnte man erst mal damit anfangen

zu sagen, dass z.B. Druck keine Inhibition eines Muskels verursacht

hat, Vibration aber schon, es also eine Veränderung der

Reaktion gegeben hat. Zudem kann es sein, dass eine Inhibition

in den ipsilateralen Extremitäten nicht aber in den kontralateralen

Extremitäten auftaucht. Zudem könnte man testen, ob die

Nervensignale

Nervensignale bestehen, neben den Neurotransmitter Signalen,

aus zwei verschiedenen elektrischen Signalen. Das eine Signal

ist das bekannte Aktionspotenzial. Es ist ein digitales an-oderaus

Signal und übermittelt den Inhalt der Informationen.

Digitale Signale sind dafür sehr gut geeignet, da sie eine hohe

Informationsdichte übermitteln können. Damit der Inhalt

übermittelt werden kann müssen sich jedoch die weit auseinander

liegenden Zellsysteme zunächst einmal synchronisieren.

Dieser Vorgang wird in Bezug auf die Muskulatur kortiko-motorische

Kohärenz (5) genannt (Abb. 6). Wenn man gleichzeitig

ein EEG und ein EMG abnimmt, sieht man dabei, dass die

Zellen im ZNS und die Zellen im Muskel elektrisch gekoppelt

sind. Letztlich funktionieren alle Kommunikationssysteme,

die wir technisch nutzen, auf ähnliche Weise. Für die Nutzung

des Internets zum Beispiel ist es notwendig, dass der Router

Abb. 6:

Zellkomunikation

Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022 15


Wissenschaft

und der Server vom Telekommunikationsanbieter ausreichend

synchronisiert sind, um Informationen zu transferieren. Das

digitale Aktionspotenzial wird in biologischen Systemen dem

Neuron selber zugeschrieben, das analoge Synchronisationssignal

wird dem perineuralen Gewebe zugeordnet. Physikalisch

wird argumentiert, dass Signale ohne Synchronisation

über langen Strecken nicht übermittelt werden können. Dabei

spielen Schwingungsmuster der sendenden und empfangenden

Zellen eine Rolle, als auch die Abschirmung der schwachen

elektrischen Signale gegenüber einer Umwelt mit starken elektromagnetischen

Feldern (Erdmagnetfeld).

Eine Hypothese ist also, dass ein Nerv aufgrund mangelnder

Synchronisation, und damit mangelnder Kohärenz, eine zu

leichte Störbarkeit aufweisen kann, und durch die Aktivierung

des Nervensystems in erster Linie die Kohärenz zwischen zentralen

und peripheren Systemen wiederhergestellt und damit die

Störbarkeit verringert wird. Das könnte auch erklären, warum

manchmal einfachste Techniken komplexe Veränderung der

Körperfunktion hervorrufen können. Es geht in erster Linie

halt nicht um den Inhalt der Information, sondern die Möglichkeit

die Information überhaupt erst mal störungsfrei zu übertragen.

Das wäre auch ein Paradebeispiel für die Ermöglichung

der Selbstregulation in dem Sinne, dass die Information für die

richtige Funktion im System eigentlich enthalten ist und wir

nur dafür sorgen müssen, dass die Information auch störungsfrei

von A nach B gelangen kann. Technisch gesprochen sind

wir also nicht diejenigen, die den Computer oder den Drucker

neu programmieren, sondern nur das Kabel zwischen Computer

und Drucker überprüfen und den Wackelkontakt beheben.

Zugriff auf das zentrale Nervensystem

Eine Herausforderung bei der Arbeit mit dem Nervensystem ist

der Zugriff auf das zentrale Nervensystem. Während wir periphere

Nerven über direkte Stimulation erreichen können, ist das für

das zentrale Nervensystem nur bedingt direkt möglich. In erster

Linie arbeiten wir hier mit externen Kontakten im Bereich des

Kopfes. Die Verknüpfung oberflächliche Kontakte am Schädel zu

den darunter liegenden kortikalen Arealen ist durchaus anatomisch

über Verknüpfung des N. trigeminus in den Suturen und

in den Gefäßen des Kortex zu erklären (2, 3), der oberflächliche

Zugriff auf tiefer liegende Strukturen kann allerdings nur über

assoziierte Funktionen verifiziert werden. Aber trotz der Unsicherheiten

und Ungenauigkeiten kann erfahrungsgemäß einiges

funktionell in Gang gesetzt werden, Voraussetzung ist immer

eine potentiell uneingeschränkte Funktion des Nervensystems.

Ist das Nervensystem bereits durch Unfälle, Operationen oder

degenerative Erkrankungen geschädigt, führt eine Wiederherstellung

der Synchronisation durch die Integration der Nervenfunktion

natürlich nicht zu einer normalen Funktion.

Zurück zum 14er (und dem Rest

des Körpers)

Ist das alles? Eine propriozeptive Leitung integriert und der

Zahn gibt Ruhe? Nicht ausgeschlossen, wahrscheinlicher ist es

aber, dass mehrere Leitungen und mehrere ZNS Areale integriert

werden müssen. Zudem kann es sein, dass nach ein paar

Tagen noch weitere Störungen auftauchen, die davor unauffällig

waren. Zudem muss man auch berücksichtigen, dass andere Bereiche

des Körpers auf die Funktion des N. trigeminus Einfluss

nehmen können. Man denke z.B. nur an die Afferenzen des N.

vagus, des N. glosspharyngeus, und der oberen HWS Segmente

in den spinalen Trigminuskern (4). Zudem können auch tiefere

Spinalsysteme über den Ncl. paratrigeminalis mit dem N. Trigeminus

kommunizieren (1). Das hat sicher einen physiologischen

Sinn, aber im Falle eine Störung, kann sich diese von Kopf

bis Fuß oder Fuß bis Kopf im Körper ausbreiten. So kann eine

Zahnstörung nicht nur im Körper für Ärger sorgen, sondern

umgekehrt auch eine Störung im Bereich des Körpers auch dafür

verantwortlich sein, dass ein Zahn nicht zu Ruhe kommt.

Deshalb sollte man immer den ganzen Körper im Blick haben,

um nachhaltige Lösungen zu finden.

Also alles Neuro?

Natürlich nicht, strukturelle Störungen müssen ausgeschlossen

sein, was aber nicht bedeutet, dass funktionelle Neurologie

nicht immer Teil der Lösung sein kann oder sogar sein sollte.

Definitiv sollte funktionelle Neurologie Teil der funktionellen

Medizin sein. Funktionelle Medizin im Wesentlichen auf die

(funktionelle) Biochemie zu reduzieren und das Nervensystem

dabei zu ignorieren wäre also würde man in der Biochemie das

möglicherweise zentrale Organ, die Leber, ignorieren. Aber ignorieren

geht nicht mehr, es gibt Möglichkeiten der Behandlung,

sie müssen nur noch genutzt werden.

Literaturverzeichnis

Autor

Dr. med. Philip Eckardt

Johannisstr. 8

82418 Murnau

(1) Driessen AK. Vagal Afferent Processing by the Paratrigeminal Nucleus. Front Physiol.

2019 Aug 28;10:1110. doi: 10.3389/fphys.2019.01110. PMID: 31555145; PMCID:

PMC6722180.

(2) Edvinsson JCA, Viganò A, Alekseeva A, Alieva E, Arruda R, De Luca C, D'Ettore

N, Frattale I, Kurnukhina M, Macerola N, Malenkova E, Maiorova M, Novikova A, Řehulka

P, Rapaccini V, Roshchina O, Vanderschueren G, Zvaune L, Andreou AP, Haanes

KA; European Headache Federation School of Advanced Studies (EHF-SAS). The fifth

cranial nerve in headaches. J Headache Pain. 2020 Jun 5;21(1):65. doi: 10.1186/s10194-

020-01134-1. PMID: 32503421; PMCID: PMC7275328.

(3) Henssen DJ, Kurt E, Kozicz T, van Dongen R, Bartels RH, van Cappellen van Walsum

AM. New Insights in Trigeminal Anatomy: A Double Orofacial Tract for Nociceptive

Input. Front Neuroanat. 2016 May 10;10:53. doi: 10.3389/fnana.2016.00053.

PMID: 27242449; PMCID: PMC4861896.

(4) https://www.ncbi.nlm.nih.gov/books/NBK539823/

(5) Liu J, Sheng Y, Liu H. Corticomuscular Coherence and Its Applications: A Review.

Front Hum Neurosci. 2019 Mar 20;13:100. doi: 10.3389/fnhum.2019.00100. PMID:

30949041; PMCID: PMC6435838.

(6) S3 Leitlinie "Funktionelle Körperbeschwerden“, AWMF-Reg.-Nr. 051-001, Langfassung

16 Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022


Systemische Orale Medizin · · 10. Jahrgang 3/2022 3/2021 17 43


Wissenschaft

Ekel fördert die Antikörperfreisetzung

im menschlichen

Speichel

Redaktion

Judith K. Kellera, Clemens Wülfing, Jannes Wahla und Esther K. Diekhofa beschäftigen sich mit dem

Verhaltensimmunsystem und den Einflüssen und Interaktionen mit dem physiologischen Immunsystem.

Im Rahmen dessen haben sie in einer neue Studie untersucht, wie sich Ekel auf die Antikörperfreisetzung

im menschlichen Speichel auswirkt.

Bildquelle: ©Rainer Fuhrmann-stock.adobe.com

Aerosol Disease Video (A)

Das Verhaltensimmunsystem (BIS) umfasst vielfältige Mechanismen,

die das physiologische Immunsystem (PIS) bei der

Bekämpfung von Infektionen unterstützen und sogar Ansteckungsrisiken

verringern können. Erste Hinweise auf mögliche

Wechselwirkungen zwischen den beiden Systemen gaben

frühere Studien, die sich ebenfalls mit starken Gefühlen, wie

zum Beispiel Ekel beschäftigten. In der vorliegenden Studie

verwendeten die Forschenden einen Video-Priming-Ansatz,

um Einblicke in den Einfluss der Wahrnehmung von Ekelund

krankheitsbezogenen Reizen auf die schnelle physiologische

Immunantwort zu erhalten, wie die Veränderungen des

sekretorischen Immunglobulin A (S-IgA) im Speichel anzeigt.

Beim sekretorischen IgA (S-IgA) handelt es sich um einen Antikörper,

der hauptsächlich in den externen Körperflüssigkeiten

vorkommt und dort eine bedeutende Abwehrbarriere gegen

Krankheitserreger bildet.

18 Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022


Wissenschaft

In der Studie wurden drei Einführungsvideos und ein Kontrollvideo

erstellt, die verschiedene Kategorien von krankheitsbezogenen

Ekel-Inhalten oder generellen Ekel-Inhalten darstellten.

Zwei der Videos zeigten krankheitsbedingte Situationen, die

mit ansteckenden Virusinfektionen der Atemwege verbunden

waren, wobei Aerosole unterschiedlich präsentiert wurden.

Das dritte Video umfasste Situationen, die bekanntermaßen

Ekel hervorrufen, zum Beispiel verdorbene Lebensmittel, verwesende

Tierkadaver oder Kakerlaken. Als Kontrolle diente ein

viertes Video mit Landschaftseindrücken und ohne jeden Ekelanspruch.

Den 107 gesunden Teilnehmenden wurden die verschiedenen

Videos nach Zufallsprinzip gezeigt. Ziel war es, drei ekel- und/

oder krankheitsassoziierte Primer zu vergleichen, die unterschiedlich

stark Ekel und Ansteckungsangst auslösten. Alle

Videos zeigten eine Kombination aus kurzen Videoclips und

Bildern, die zu einem Video von 1:20 min Länge zusammengesetzt

wurden. Um einen ausreichenden Priming-Effekt zu

erzielen, wurde jedes Video einmal wiederholt (sie Gesamtvideolänge

= 2:40 min).

Angesichts der Rolle von S-IgA bei der mukosalen Immunabwehr

wurden Unterschiede in der S-IgA-Reaktion zwischen

den beiden Videos, die auf ein erhöhtes Ansteckungsrisiko in

der Luft hindeuten – also dem ersten und dem zweiten Video

(A und CC) und dem allgemeinen Ekel-Video (CD) deutlich,

wobei das höchste S-IgA nach dem Aerosol-Video (A) auftrat.

Während des gesamten Experiments bewerteten die Teilnehmenden

zusätzlich ihre Eigenschaft zu Ekel, Anfälligkeit für

Krankheiten und Zustandsänderungen, Stimmung usw. im Zusammenhang

mit dem Video in Fragebögen.

Die Beobachtungen legten nahe, dass die bloße visuelle

Wahrnehmung von Videos, die realistische Situationen eines

Die Studie

Abstufung der Videos:

Aerosol Disease Video (A): Dieses

Video sollte einen hohen Ekel und

eine hohe Ansteckungsangst auslösen.

Es umfasste Videoclips und

Bilder von Personen, die unverdeckt entweder direkt in die

Kamera oder in deren Nähe niesten, wobei teilweise sichtbar

Aerosole austraten.

Concealed Contagion Disease Video (CC): Dieses Video

zeigte Menschen beim Niesen, ohne Aerosole freizusetzen

(z. B. Niesen in ein Taschentuch). Andere Personen in dem

Video zeigten sichtbare Anzeichen von Krankheit, wie z. B.

fieberhaftes Aussehen oder krank im Bett liegend. Dieses Video

sollte im Vergleich zu dem ersten Video weniger Ekel

und eine mittlere bis hohe Ansteckungsangst hervorrufen.

Core Disgust Video (CD): Unter der Annahme, dass Bedrohungen

durch nicht über die Luft übertragene Krankheiten

eine andere Immunantwort auslösen, wurde ein Video gezeigt,

das verdorbenes Essen, tote Tiere mit Maden und Ratten

zeigt. Durch dieses Video sollte ähnliche Ekelreaktionen

wie das erste Aerosol Disease Video hervorrufen, jedoch mit

einer deutlich verringerten Angst vor einer Ansteckung.

Controlvideo (C): In diesem Video wurden Videoclips und

Fotos von Gebäuden, Skylines, Verkehrskreuzungen und anderen

Landschaftsansichten kombiniert. Dieses Video sollte

keine Ekel- oder Krankheitsreaktionen auslösen.

erhöhten Ansteckungsrisikos zeigen, eine erhöhte Freisetzung

von Antikörpern im Speichel hervorrufen kann.

Concealed Contagion Disease Video (CC). Core Disgust Video (CD). Controlvideo (C). Fotos: stock.adobe.com

Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022 19


Statistik

Bewusstsein für

In einer Studie wurde das Verhalten von VerbraucherInnen

in Bezug auf Ihre Mundgesundheit und Zahnpflege untersucht.

Befragt wurden Personen unterschiedlichen Alters

und Geschlechts in 15 verschiedenen Ländern.

Teilnehmende Länder: Argentinien, Brasilien, China,

Deutschland, Frankreich, Indonesien, Italien, Japan,

Mexiko, Niederlande, Singapure, Spanien, Thailand, United

Kingdom und USA. TeilnehmerInnen: 15.000 (1.000/Land).

63 % der Briten putzen

zweimal täglich ihre Zähne.

33 % der Argentinier, Briten

und Italiener geben an, niemals

das Zähneputzen zu vergessen.

Gesamtbild: 53 % aller Befragten kümmern sich um

ihre Zahngesundheit. Es putzen mindestens 35% zweimal

täglich die Zähne. 50% haben zwischen ein und

zehn Füllungen. 20 % essen rege mäßig Süßigkeiten

und trinken gesüßte Getränke, 20 % rauchen.

27 % gaben an, während der Pandemie häufiger die

Zähne geputzt zu haben und 22% haben zusätzlich

Mundspülungen eingesetzt.

Ich gehe zweimal im Jahr

zum Zahnarzt?

Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Zahngesundheit

und dem allgemeinen Gesundheitszustand?

Allgemein

33 %

Allgemein

21 %

Argentinien

35 %

Argentinien

17 %

Brasilien

33 %

Brasilien

28 %

China

23 %

China

16 %

Deutschland 45 %

Deutschland 22 %

Frankreich

34 %

Frankreich

22 %

Indonesien

21 %

Indonesien

15 %

Italien

37 %

Italien

23 %

Japan

26 %

Japan

38 %

Mexiko

34 %

Mexiko

15 %

Niederlande

40 %

Niederlande

14 %

Singapur

28 %

Singapur

18 %

Spanien

31 %

Spanien

23 %

Thailand

30 %

Thailand

24 %

United Kingdom

42 %

United Kingdom

12 %

USA

36 %

USA

24 %

20 Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022


Statistik

Mundgesundheit

81 % der Mexikaner lassen sich von ihrem

Zahnarzt beraten. Die ist vielleicht auch der

Grund warum Mexiko das beste Verständnis

für den Zusammenhang von Mundund

Gesamtgesundheit und Rauchen hat.

Deutschland hat mehr ZahnärztInnen,

ZahntechnikerInnen

und Zahnarzthelferinnen als jedes

andere EU-Mitglied.

Quelle: Ziller, Eaton&Widström, 2015

16 % der Deutschen haben keine Füllungen

oder Implantate, 40 % Prozent haben ein

bis fünf Füllungen. 31 % gaben an, dass sie

keine Probelme mit der Mundgesundheit

haben.

18 % der Niederländer wollen keine kosmetische

Behandlung für ihre Zähne. Sie sind weltweit

die glücklichsten Menschen mit ihren Zähnen.

In Spanien und Italien würden nur 5 % auf eine

kosmetische Behandlung verzichten

Wäre Ihre Zahnarztpraxis einguter Ort

für einen allgemeinen Gesundheits-Check?

52 % der Brasilianer putzen regelmäßig ihre

Zahnzwischenräume, im Gegensatz dazu schneiden

die Indonesier mit nur 12 % schlecht ab. Auf dem

vorletzten Platz liegen die Franzosen mit 16 %.

Allgemein

52 % 33 %

15 %

Argentinien

46 %

36 %

18 %

Brasilien

53 %

34 %

13 %

China

59 %

31 %

10 %

Deutschland

39 %

37 %

24 %

Frankreich

41 %

37 %

22 %

Indonesien

Italien

Japan

Mexiko

Niederlande

Singapur

Spanien

Thailand

United Kingdom

USA

61 %

49 %

54 %

55 %

48 %

58 %

57 %

61 %

49 %

57 %

26 %

12 %

35 %

17 %

27 %

20 %

28 %

17 %

33 %

18 %

35 %

7 %

30 %

13 %

34 %

4 %

35 %

17 %

32 % 11 %

Quelle: Sunstar-Global-Healthy-Thinking-Report-2021_Oral-Health-Report

Ja Könnte ich mir vorstellen Nein

Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022 21


Praxis

Störfelder im Mund- und Kieferbereich

als mögliche Ursache

chronischer Krankheiten

Bildquelle: ©alessandro de carli/EyeEm-stock.adobe.com

Knut Henning

Dr. med. Reinhold Voll, Entwickler der Elektroakupunktur, litt an einer Krankheit, die in der 50er Jahren

als unheilbar galt. Ärzte prognostizierten eine 4-6-jährige Überlebenszeit. Voll übernahm die Idee,

Schwachstrom zur Stimulation von Akupunkturpunkten einzusetzen. Bei einer Demonstration seiner

Methode in Plochingen erkannte Voll, dass Messwerte sich reproduzierbar veränderten, wenn ein

Patient oder eine Patientin ein Medikament in der Hand hielt. Damit eröffnete sich ein neuer Weg für

die Therapie.

Bei diesem Verfahren können akuten und chronischen Krankheiten durch eine Messung der elektrischen

Leitwerte an Meridianen und Akupunkturpunkten ermittelt werden. Therapien erfolgen mit

Medikamenten, die den negativ veränderten Leitwert verbessern

Zusammenfassung

Der Körper ist nicht nur Chemie, sondern auch ein Energiefeld.

Deshalb entsteht Krankheit in der materiellen Körperstruktur

und zeigt sich vor allem auch als Störung im

energetisch vernetzten System (Meridian –Gefäßumlauf mit

seinen Organverbindungen). Seit mehr als 60 Jahren gibt es

die Möglichkeit, in professioneller Form den Einfluss von gut

gemeinten Manipulationen und/oder eingebrachten Fremdstoffen

in die Mundhöhle durch bioenergetische Mess –und

Analyseverfahren auf der energetischen Ebene festzustellen.

Hierzu gehört die klassische EAV-Elektroakupunktur

nach Dr. Voll - heute als Bioenergetische Systemdiagnostik

bezeichnet. Letztere hat die ganzheitliche Zahnheilkunde

als einen diagnostischen Schwerpunkt im System. Der Einfluß

neuer Techniken und Materialien in der Zahnheilkunde

kann mit Hilfe der Bioenergetischen Systemdiagnostik

(EAV) überprüft werden. Keine andere gerätetechnische Methode

ist in der Lage, einzelne Techniken oder Symptome aus

dem Stomatognaten-System in einer Herd/-Fernwirkung auf

das Energiesystem des Menschen zu testen.

Schlüsselwörter: EAV, Elektroakupunktur nach Voll, Grundregulation

22 Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022


Praxis

Interaktion zwischen Odonton

und Organen, sowie dem Umfeld

Der Mensch als komplexe Einheit besteht aus mehreren Teilsystemen

(Funktionskreisen/TCM), die neben den Wechselbeziehungen

der Zähne auch untereinander informativ (über das Meridiansystem

und dem Grundregulationssystem nach Pischinger/

Mesenchym) vernetzt sind. Dieses „offene“ System nimmt unter

anderem permanent Einflüsse aus seinem Umfeld auf.

Abstract

The body is not just chemistry, it is also an energy field. This

is why illness develops in the material body structure and

shows itself above all as a disturbance in the energetically

networked system (meridian – vascular circulation with its

organ connections). For more than 60 years there has been

the possibility of professionally determining the influence

Zur erfolgreichen Behandlung bei Zahnproblemen ist es wichtig,

dynamische Prozesse zu erkennen und eine Störung auch als

Mangel an Energiefluss zu verstehen. Dabei sind Energiedefizite

zu regulieren, was je nach Konstitution und Immunsystem des

Patienten oder der Patientin unterschiedlich ausfallen kann.

of well-intentioned manipulations and/or foreign substances

introduced into the oral cavity using bioenergetic measurement

and analysis methods on the energetic level.

Keywords: EAV, electro-acupuncture according to Voll, regulation

Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022 23


Praxis

Einflussnehmende („Stör“) –Faktoren aus

dem Mund-Kieferverbund

In der nachfolgenden Auflistung sind die wesentlichen Behandlungsbereiche

und problemrelevanten Erkrankung aus Immunologischer

und regulativer Sicht im Überblick zusammengefasst:

1. Zahnproblematik in Abgrenzung zu Kopfherde

Den nervalen Störfeldern und bakteriellen Herden im

Zahn-Kieferbereich kommt eine besondere pathogene und

damit therapeutische Bedeutung zu, die in der Praxis meist

unterschätzt wird. Dabei handelt es sich häufig um potentielle

Störfelder, die, ähnlich einem ruhenden Vulkan, jeder

Zeit tätig werden können. Zur Aktivierung eines solchen

Störfeldes bedarf es einer geringen Veränderung im Sinne

einer reduzierten, körpereigenen Abwehrkraft. Aus diesem

potentiellen Störfeld wird dann ein aktives Herdgeschehen,

das sowohl lokal als auch über eine Fernwirkung an den Organismus

manifest werden kann. Dabei ist aber zu beachten:

Nicht jedes Störfeld ist ein Herd, aber jeder Herd ist ein

Störfeld! Die Spezialität der Systemdiagnostik besteht darin,

mittels eines sog. Stromreiz-Tests (Zahnreiz-Test) neben

dem vorhanden sein eines Herdes auch den einzeln betroffenen

Zahn zu lokalisieren.

Neben einem Odontogenen „Herd“ können auch Störfelder

aus dem sinusidalen- und tonsillogenen- Bereich Einfluss

nehmen. In der Systemdiagnostik wird mit Hilfe von Organpräparaten

eine Abgrenzung und Wertigkeit des im Vordergrund

stehenden Herdes getestet. Dies ist notwendig, da beispielsweise

ein schlechter Messwert (hohe Werte, mit oder

ohne Zeigerabfall) am Lymphmesspunkt von Ober –und

Unterkiefer nicht ausschließlich auf eine Zahnproblematik

hinweist. Der Grund ist die räumliche Nähe von tonsillogenen-

und sinusidalen-Faktoren, die in Ihrer „Streuung“ den

Messwert am Zahnmesspunkt irritieren können.

Durch die Arbeiten von Pischinger wurde ein Komplex bestehend

aus: „Kapillaren-Grundsubstanz-Zelle“ als kleinster

lebender Funktionskreis des hochentwickelten menschlichen

Organismus wissenschaftlich belegt. Das Mesenchym

stellt hier die Transitstrecke des komplexen Netzwerkes dar.

Jede Irritation in einem Systemkreis kann zur Störfeldbildung

führen. Hier gibt es keine Einbahnstraßen! Der Zahn

24 Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022


Praxis

kann in Richtung des Organismus wirken und umgekehrt.

Beispielsweise ist der devitale Zahn nicht isoliert, sondern

über die Dentinkanälchen mit dem übrigen Organismus

So sind Entzündungen (Gingivitis), die nur die Mundschleimhaut

betreffen von den entzündlichen Veränderungen

des Zahnhalteapparates (Parodontitis) zu trennen. Der

Grund liegt in der energetischen Kausal-Analyse der einzelnen

Systemkreise. Bei Veränderungen der Mundschleimhaut

ist der Systemkreis (Meridian/- Gefäßumlauf) von:

Dickdarm - Lunge und Bindegewebe - Haut sowie von Milz/

Pankreas – Magen und Nerven – Organ-System als Ursache

zu sehen.

Wenn im Gegensatz zur Gingivitis bereits das Parodont befallen

ist, können diese Entzündungen mit Ihrem Eiweißzerfall

(Testprodukte: Mercaptan und Thioäter) in Richtung

einzelner Organe chronische Vorgänge herdwirksam verursachen.

So sind im klinischen Sinne pathologische Veränderungen

und irreguläre Zustände in Leerkieferbereichen

(keine Zähne mehr vorhanden) nur unzureichend aufzufinden.

Nicht selten genug werden bei solchen Untersuchungen

retinierte Zähne, Kieferzysten, eingehüllte Wurzelreste,

Restostitiden, Fremdkörper und avitale Knochenbezirke

unzureichend diagnostiziert. Hier hat die bioenergetische

Systemdiagnostik (EAV) mit Ihrer klar definierten Widerstandsmessung

im Akupunkturpunkt auch gegenüber der

Kinesiologie und Tensor-Testung für die Glaubwürdigkeit

von ZahnärztInnen große Vorteile. Das Ergebnis kann

„bildgebend“ in Form von elektrischen Messungen in übersichtlichen

Protokollbögen dargestellt werden.

verbunden. Er ist biologisch gesehen nicht tot. Der so bestehende

Dauerreiz kann sich durch ererbte oder im Laufe

des Lebens an erworbenen Schwachstellen auswirken und

eine neue Krankheit entstehen lassen. Es wäre sehr hilfreich,

wenn sich jede Fachdisziplin über die aktuellen Erkenntnisse

der Matrix-Forschung informieren würde!

2. Wechselwirkungen von Odonton und Organen

Im bezahnten Kiefer sollte die Beurteilung des Parodontium

auf Veränderungen des Zahnfleischs um die einzelnen

Zähne herum erfolgen. Daher gehört auch für einen „Nicht-

Zahnarzt“ immer die „Inspektion der Mundhöhle“ zum

ersten Schritt dazu, bevor er mit einem bioenergetischen

Testverfahren zur Tat schreitet.

Die ersten energetischen Beziehungen in der Zuordnung

einzelner Zähne zu System- oder Funktionskreisen (TCM)

wurden von Dr. Gleditsch und anschließend von Dr. Voll,

Dr. Kramer und Dr. Thomsen weiterentwickelt. In der

komplementärmedizinischen Betrachtung wurden die 8er

neben der Wechselwirkung zu Herz-Dünndarm zusätzlich

dem Immunsystem zugeordnet. So haben beide Weisheitszähne

des Oberkiefers Bezug zum Nieren-Bezug und die

beiden Weisheitszähne des Unterkiefers Bezug zur Nebenniere.

Der über die Jahre in der EAV herausragende Stellenwert

des 8ten Zahnfachs repräsentiert die gesamte vegetative,

endokrine und psychische Energie-Achse des Patienten.

Viele allergische Reaktionen und Symptome (z.B. erhöhte

Infekt Anfälligkeit) lassen sich hier wieder finden.

Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022 25


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3. Irritation durch zahnärztliche Werkstoffe

Ständig zunehmende Störeinflüsse aus der Umwelt, wie Abgase,

Insektizide, Pestizide, Metalle, Konservierungsstoffe,

Farbstoffe, Düngerrückstände, Nitrite, Nitrate, aber auch

Tattoos und über lange Zeit getragene Piercings sind nur

einige mögliche Faktoren, die die energetische Leistung im

Meridian- Gefäßumlauf reduzieren können.

Im Laufe des Lebens verändert sich die Reaktionslage des

Menschen auf aktiv oder passiv erworbene Einflüsse, die zu

immunologischen Veränderungen führen können. Das Reaktionsschema

ist von der Immunologie her immer einheitlich,

nur die Auswirkungen sind individuell unterschiedlich.

Nun können alle zusätzlich in den Körper eingebrachten

Materialien „das Fass zum Überlaufen bringen“! Dies kann

sich überall, z.B. am Nervensystem oder an den Gelenken

zeigen. Auch können sich Erkrankungen am Knochenmark,

den Gefäßen, am Herzen, an den Nieren, dem Stoffwechsel

26 Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022


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und nicht zuletzt im Bindegewebe (Gewebs-Übergiftung)

manifestieren. Es ist bei einem eingeschränkt-funktionierenden

Immunsystem unerheblich, welche Materialien

(Metalle, Kunststoffe, Wurzelfüllungen, usw.) in die Mundhöhle

eingegliedert werden. Immunpathologische Reaktionen

lassen sich an einem erhöhten Immunglobulinspiegel

(IgE, IgA und IgG) im Blut erkennen, nicht selten forciert

durch Schwermetallintoxikationen (besonders Quecksilber,

Amalgam und Palladium). Diese kann eine immunsupprimierende

Wirkung auf das darmassoziierte Immunsystem

hervorrufen. Schwermetalle triggern Azidosen. Eine so

entstandene saure Stoffwechsellage kann mitverantwortlich

sein für eine Osteoporose durch Kalziummobilisierung,

verstärkt im schwammartigen, porösen Knochen des

Oberkiefers. Zudem spielen bakterielle (durch mangelhafte

Mundhygiene) und iatrogene Belastungsfaktoren durch Metall-

und Kunststoffkronen (Füllungen) bei einer Überreizung

der Abwehrbarriere im Zahnhalteapparat eine große

Rolle. Es kann zu einem Anstieg der weißen Blutkörperchen

und verstärkter Antigen-Antikörper-Bildung kommen. Dies

zeigt sich vermehrt in einer generalisierten, fortgeschrittenen

Parodontopathie.

4. Amalgam – Einfluss aus Füllmaterialien

Um den Bedarf beim Legen von Füllungen mit Amalgam

(immer noch) zu decken, werden jährlich zehn Tonnen benötigt.

Das BFArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und

Medizinprodukte) hat in diversen Änderungen zum Anwendungsbereich

für Amalgam unter anderem folgende

Hinweise veröffentlicht: Nicht verwenden bei: nachgewiesener

„Amalgam-Allergie“, bei bestimmten Formen von Nierenerkrankungen,

bei Schwangerschaft, bei Kindern unter

6 Jahren, bei retrograden Wurzelfüllungen, außerhalb des

kaudrucktragenden Seitenzahnbereichs, als Stumpfaufbau

bei Kronen und Inlays, bei okklusalem oder aproximalem

Kontakt mit bereits vorhandenem gegossenem Zahnersatz.

Dies sind nur einige Informationen aus der Vergangenheit

im Umgang des Amalgams als Zahnfüllstoff. Für zahnärztliche

Zwecke wird Legierungspulver mit Quecksilber

meistens im Verhältnis 1:1 vermischt und so zu Amalgam

verarbeitet. Der hauptsächliche Bestandteil des Legierungspulvers

ist : – Silber: das mit Quecksilber reagiert; -Kupfer:

ist für die Härte und Druckfestigkeit verantwortlich; Zinn –

soll die Reaktion zwischen Silber und Quecksilber kontrollieren.

Einige Legierungen enthalten u.a. Zink und eventuell

Spuren von Edelmetallen, wie Gold, Platin oder Palladium.

Ein ganzheitlich orientierter Therapeut oder eine Therapeutin

muss hier direkt an die Regulationsfähigkeit jedes einzelnen

Systemkreises aus dem Schema des Meridian-Gefäßumlaufs

(TCM) denken.

Um die Aufklärung von Betroffenen richtig zu führen, sollte

man wissen, dass grundsätzlich jedes zahnärztliche Material,

einschließlich Gold oder Kunststoff, Unverträglichkeitserscheinungen

hervorrufen kann. Ein Weg ist der „korrekt“

durchgeführte Zahnmaterial-Verträglichkeits-Test, unter

der individuellen Berücksichtigung der immunologischen

Lage des Patienten oder der Patientin. Hier ist auf die langjährige,

praktische Erfahrung der Elektroakupunktur nach

Dr. Voll hinzuweisen.

Ein ganzheitlich denkender Therapeut oder die Therapeutin

sollte sich von pauschalen Verteufelungen oder Empfehlungen

einzelner Werkstoffe distanzieren, da bei intaktem Immunsystem

viele Menschen z.B. das Amalgam oder Goldkronen

problemlos vertragen.

Bei Verwendung von Goldfüllungen kann jedoch z.B. bei

einem „Aurum-Typen“ (mit einer entsprechenden Gemütslage

im homöopathischen Sinne), eine einzige Goldkrone

eine Depression auslösen!

Zur Analyse der Amalgamintoxikation sollte immer das

klinische Labor Berücksichtigung finden. Der Therapeut

und die Therapeutin sollte über ein umfangreiches Wissen

und Können verfügen, wie z.B. Kenntnisse der homöopathischen

Arzneimittel-Bilder der Metalle, z.B. Mercurius sol.,

Aurum met. usw.

Desweiteren sollten die Symptome durch Amalgamintoxikation

bekannt sein und bereits im Anamnesegespräch erfragt

werden. Das Wissen über die Zusammenhänge von

Symptom und möglicher Ursache sollte in das weitere Vorgehen

miteinfließen.

Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022 27


Praxis

ihrer Symptomarmut anfangs unerkannt, zur Zellschädigung

betroffener Organe (auch fernab durch Fernwirkung).

Sie bleiben aufgrund der Symptom-Armut häufig unerkannt

und können über Jahre Einfluss nehmen auf zellulärer, humoraler

und neuraler Ebene.

Aus der EAV sind Messpunkte des sogenannten Lymphgefäßes

an der medialen Daumenseite bekannt. Diese können

zur Differentialdiagnostik genutzt werden.

Der Lymphbereich des Kopfes ist systemisch mit inneren

Lymphbahnen gekoppelt.

5. Klinische Diagnostik muss hinzugezogen werden.

Auch bei der Systemdiagnostik (EAV), Kinesiologie und

Tensor-Testung ist es unumgänglich verschiedene, klinische

Verfahren als Basis zur Bewertung des Problems heranzuziehen.

OPG (Panoramaaufnahme des Kiefers), digitales

Röntgen, LTT-Test sind nur einige notwendige Maßnahmen.

Komplementäre TherapeutInnen können die gut gemeinten

„Manipulationen“ und vorhandenen Begebenheiten in der

Mund-Kiefer-Region nicht durch einfaches „in den Mund

schauen“ erkennen. Erst klinische Befunde können das Vorhandensein

einer energetischen Wechselbeziehung und den

Zusammenhang auf unklare Beschwerdebilder des Betroffenen,

zulassen.

6. Verknüpfung der inneren „Lymphe“ zum Kopfbereich

In der ganzheitlichen Betrachtung des hochvernetzten,

energetisch-offenen Systems „Mensch“ können Bezirke mit

chronisch-minimalen Dauerbelastungen (Herde und Störfelder)

oft eine übergeordnete Rolle spielen. Diese Dauerbelastungen

führen häufig über viele Jahre hinweg, aufgrund

Dies erklärt, weshalb ein Herd mittels Fernwirkung Symptome

an anderen Körperstellen hervorrufen kann. Gerade

durch die Punktzuordnung der EAV eröffnen sich ungeahnte

Möglichkeiten in der Erkennung von kausalen Zusammenhängen

zwischen Kopfherden und dem Organsystem.

7. Zahn-Nosoden zur differential Diagnostik von

Kopfherden

Auch durch die hohe Qualität und dem rasanten Fortschritt

von „Bildgebenden-Verfahren“ in der Zahnmedizin, stellen

bioenergetische Messverfahren eine gute Ergänzung dar.

Nicht spezielle Messpunkte alleine können schon Auskunft

geben, sondern die Hinzunahme von Testpräparaten wird

notwendig. Erst durch die geeigneten Testampullen kann im

ersten Schritt zwischen den sinusidalen, odontogenen und

tonsillogenen Störfaktoren differenziert werden (bevorzugt

durch Organpräparate). Sollte es sich dann beispielsweise in

der Wertigkeit ursächlich um einen odontogenen Herd handeln,

stehen auch hier in Form von Nosoden ausreichende

Testinformationen zur Verfügung. Neben den Zahn-Noso-

Der Ly-Rachenring dienst als Immunabwehr

und reagiert auf Krankheitserreger, die durch

Mund oder Nase in den Körper gelangen

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Praxis

den der ehemaligen Fa. Staufen-Pharma sind auch virtuelle

Testsatz-Datenbanken einsetzbar. In der EAV kann neben

dem „Schweregrad“ einer Belastung durch, der sog. quantitative

Testung (verschiedene Potenzstufen), auch das genaue

Zahnfach mittels eines Zahnreiztests lokalisiert werden.

8. Die Weisheitszähne aus immunologischer Sicht

Nach dem Schema der energetischen Wechselbeziehungen

gehört das 8. Zahnfach zum Energiekreis „Dünndarm und

Herz“. Somit lässt sich Beschreiben, dass eine Allergie im

Dünndarm beginnt und dieser Bereich im energetischen

Sinne der angewandten Komplementärmedizin Beachtung

finden sollte. Selbst Herzrhythmusstörungen können eine

Folge einer ingestiven-allergischen Reaktion im Dünndarm

sein, hervorgerufen durch die Irritation des Weisheitszahnes.

Weitaus größere Beachtung sollte der immunologische

Aspekt spielen. Aus langjähriger Erfahrung der EAV (nach

Dr. Beisch) gehören die oberen Weisheitszähne zur Niere

und die unteren zu den Nebennieren. Das hat zur Folge,

dass Nichtanlagen oder Retention der 8ter Zähne als Ausdruck

der suprarenalen Defizienz gewertet werden müssen.

Es wird von prophylaktischen Germektomien (Entfernung

eines Zahnkeims) abgeraten. Stattdessen wird eine kieferorthopädische

Behandlung der dritten Molaren empfohlen

und eine Systemstärkung von Niere und Nebenniere inkl.

des endokrinen Systems. Bei Nichtbeachtung, kann in zunehmenden

Alter der verlagerte Weisheitszahn zu einem

sich verselbstständigen Herdgeschehen entwickeln. Sollte

aus zahnärztlicher Sicht dennoch eine Extraktion notwendig

sein, sind eine besondere Reihenfolge und einzelne Sitzungen

(nicht alle 4 Weisheitszähne auf einmal) notwendig.

Vor dem vereinbarten Termin muss das energetische System

aufgebaut und gestärkt werden. Dies ist zu empfehlen, damit

es nach der Entfernung zu keiner Langzeitbeeinflussung

oder Entwicklung von chronischen Zuständen kommt.

9. Implantate als Fremdfeld eines biologischen Systems

Implantate sind aus der modernen, zahnärztlichen Praxis

nicht mehr wegzudenken, da in Leerkieferstrecken und

größeren Zwischenräumen optimale Aufbauten erfolgen

können. Die Hauptgefahr eines Implantates liegt in der

Fernwirkung des zugehörigen Meridian-Paares. Der Körper

identifiziert jedes Implantat als Fremdkörper und das Implantat

kann so zum Störfeld werden, auch wenn es histologisch

inkorporiert worden ist.

Aus dem Wissen der Wechselbeziehungen sollte der immunologische

Aspekt auf der „Organ-Seite“ behandelt

und gestärkt werden. Nach systemstärkenden, aufbauenden

Maßnahmen und einer Regenerationsphase wird das

Fremdmaterial besser toleriert und es entstehen nach dem

Setzen keine Symptome oder Beschwerden. Wenn das vom

Zahnarzt oder der Zahnärztin vorgeschlagene Material vorher

im bioenergetischen Testverfahren hinreichend geprüft

wurde, ist es bei „Verträglichkeit“ weitestgehend egal, ob es

sich hier um Titan oder anderen Materialien (auch Keramik

und vieles mehr) handelt.

10. Stellenwert des Kiefergelenks

Das Kiefergelenk kann bei spezifischen Fehlfunktionen Störungen

auf andere Systeme auslösen. Meist liegt keine mechanische

Ursache zu Grunde, sondern eine gestörte, innere

Dynamik. Eine Fehlfunktion kann durch Palpation und

Röntgen abgeklärt werden. Da die Grundlage eines Kiefergelenk-Problems

oftmals in der Peripherie entsteht, ist die

Systemdiagnostik durch Messungen am Messpunkt für das

Kiefergelenk/Atlas-Axis (GDG3/Pos.7) und die dazugehörigen

Organ-Messpunkte optimal geeignet.

Der Dreifache Erwärmer (endokriner Meridian) ist energetisch

für den oberen Teil des Kiefergelenkes zuständig. Der

Magenmeridian hingegen repräsentiert den unteren Anteil

des Kiefergelenkes. Durch den nachbarschaftlichen Verlauf

zum Kiefergelenk ist auch ein Einfluss durch den Gallenblasenmeridian

und den Dünndarm gegeben. Symptome können

sich in Form von Regelstörungen oder klimakterischen

Beschwerden äußern, sowie als Sinusitis, Schilddrüsenfunktionsstörung

oder Tinnitus.

Treten nach Implantat-Versorgung Beschwerden auf, gehen

die Betroffenen häufig nicht zurück zum Zahnarzt oder

der Zahnärztin, sondern wendet sich entsprechend der Beschwerden

an ÄrztInnen, OrthopädInnen, RheumatologInnen,

etc. Die Beschwerden treten häufig erst sehr viel später

auf und werden häufig nicht mit dem Implantat in Verbindung

gebracht.

Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022 29


Praxis

11. Galvanische Ströme in der Mundhöhle

Kommen Metalle (Füllungen/Kronen) und Elektrolyte ( im

Speichel) in der Mundhöhle miteinander in Verbindung,

können Ströme entstehen. Es ist möglich, dass die gesamte

Bioenergetik des Menschen durch diese „vagabundierenden

Ströme“ beeinflusst wird. Metall-Ionen werden über den

Speichel in den Organismus „verschleppt“. Hier können diese

bei der Entstehung von allergischen Reaktionen beteiligt

sein.

Die Durchführung der Mundstrommessung im Mund kann

durch regelmäßige Kontrolle einer pH-Wert Messung im

Mund hilfreich auf ein „saures Millieu“ in der Mundhöhle

stattfinden. Ein erhöhter galvanischer Strom entsteht erst in

einer veränderten, „sauren“ Umgebung.

12. Wurzelfüllmaterialien

Diese werden eingesetzt, um einen Zahn mit erkrankter

Pulpa zu erhalten. Aus energetischer Sicht wird in den Zahn

ein „Fremdstoff “ eingebracht, der einen Dauerreiz auf das

zugehörigen Meridian-Organsystem verursacht. Eine vorhandene

Wurzelfüllung schwächt über den Systemkreis auf

lange Zeit das Immunsystem, ganz besonders die Milz. Mit

der EAV kann am RES-Messpunkt der Milz (reticuloendotheliales

System), die „Milz-Leistung“ gemessen werden.

Hier kann (neben dem Lymphabfluss OK/UK-Punkt) z.B.

mit dem Testpräparat „Wurzelfüllmaterial“ die Auswirkung

auf die Milz geprüft werden.

Zum Füllstoff können (u.a. zwecks lokaler Vorbehandlung)

arsenhaltige Pasten und Formaldehyd zur Anwendung

kommen. Gerade die in den Dentinkanälchen verbleibenden

Reste sind aus bioenergetischer Sicht noch lange über

EAV, Kinesiologie und Tensor nachweisbar.

13. Testung auf Verträglichkeit von zahnärztlichen

Materialien (Werkstoffen)

Zahnärztliches Material kann vor der Eingliederung in die

Mundhöhle auf Verträglichkeit getestet werden. Bei immunschwachen

Patienten wird eine belastende Einwirkung mit

negativem Einfluss auf den Meridian-Gefäßumlauf geprüft.

Der Werkstoff-Verträglichkeitstest erfolgt vor der Planung

einer prothetischen oder konservierenden zahnärztlichen

Behandlung. Da es keinen universal - verträglichen Werkstoff

gibt, kann der Zahnarzt und die Zahnärztin seine in

der Praxis verwendeten Materialen auf Verträglichkeit abklären

lassen. Hier kann das Zusammenarbeiten zwischen

den Zahnärzten und naturheilkundlich-behandelnden Praxen

den PatientInnen hilfreich sein.

Autor

Literaturverzeichnis:

Lfd. Nr. Autor: Name Titel/Buch Verlag

1. Jan Bartak Homöopathie nicht nur für

Zahnärzte Grundlagen+Praxis Verlag Leer

2. Joachim Thomsen Odontogene Herde und Störfaktoren MLVerlag, Uelzen

3. Dr. Reinhold Voll Kopfherde ML Verlag, Uelzen

4. Henning Härtel Bildatlas der Herddiagnistik Haug Verlag

5. Dr. Helmut Huf Firmenzeitschrift „Spectrum“

der Firma Pekana Heilmittel Eigenverlag/

Werbebroschüre

Knut Henning

Geschäftsführer MGSR-EAV e.V.

Lindenstr. 1

65555 Limburg

30 Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022


Praxis

Mit dem

Lollipop gegen Karies?

Redaktion

Gemäß einer Studie, die mit chinesischen Vorschulkindern durchgeführt wurde, zeigen Lutscher aus

Süßholzextrakten eine starke antimikrobielle Wirkung. Sie reduzieren die Besiedlung mit Streptococcus

mutans und erhalten die orale mikrobielle Vielfalt.

Der Kräuterlutscher enthält Süßholzextrakte mit Glycyrrhizol A,

eine Verbindung, die eine starke antimikrobielle Aktivität gegen

Streptococcus mutans zeigt. Unter Verwendung eines gut etablierten

oralen In-vitro-Mikrobiommodells wurde in dieser Studie

gezeigt, dass Süßholzextrakt eine gezielte Reduktion gegen Streptococcus

mutans erzielt – allerdings, ohne die Biodiversität des Speichelmikrobioms

zu beeinträchtigen. Die In-vivo-Studie bestätigte

die In-vitro-Ergebnisse und zeigte bei Kindern mit hohem Kariesrisiko

im Alter von 3–6 Jahren mit Streptococcus mutans-Konzentrationen

>5x105 Zellen/ml im Speichel, dass die tägliche

Anwendung von 2 lakritzhaltigen Lutschern über 3 Wochen die

Streptococcus mutans-Konzentrationen im Speichel im Vergleich

signifikant reduzierte zur Kontrollgruppe.

Ein neues Paradigma im humanassoziierten Mikrobiom legt nahe,

dass die meisten kommensalen Arten für die Aufrechterhaltung

einer ausgewogenen mikrobiellen Gemeinschaft unverzichtbar

sind und positiv zur Gesundheit des Wirts beitragen. Diese neuen

Erkenntnisse erfordern eine neue Strategie zur Kariesprävention.

Anstelle einer diskriminierungsfreien Abtötung des oralen Mikrobioms,

die oft zu einer weiteren Verschlechterung des Zustands

führt, wäre eine gezieltere Abtötung kariogener Bakterien ohne

Beeinträchtigung der gesamten mikrobiellen Biodiversität vorzuziehen.

Die Daten der Studie zeigten, dass die Verwendung des

Lutschers zwar die Anzahl der S. mutans im Speichel signifikant reduzierte,

die Behandlung aber nicht nur die mikrobielle Diversität

beibehielt, sondern bei zwei Personen mit sehr geringer Alpha-Diversität

zu Studienbeginn eine Zunahme der Biodiversität nach der

Behandlung beobachtet wurde. Diese Daten deuten darauf hin, dass

Süßholzextrakt in den Lutschern keine Breitband-Tötungsaktivität

hat und die Vielfalt des oralen Mikrobioms erhalten oder sogar erhöhen

kann, was oft mit einer erhöhten Gesundheit verbunden ist

Die Ergebnisse deutet darauf hin, dass die Verwendung von Süßholzextrakt-haltigen

Lutschern eine einfache und effektive Möglichkeit

sein können, das Risiko von Zahnkaries bei Kindern zu

verringern. Die Speichel-Mikrobiom-Analyse zeigte entweder keine

Veränderung oder sogar eine Zunahme der phylogenetischen

Vielfalt der oralen Gemeinschaft nach der Verwendung von Kräuterlutschern.

Da der Lolli bei Kindern, die gerne zu Süßigkeiten greifen beliebt

ist, kann dieser zuckerhaltige Süßigkeiten ersetzten. Die Inhaltsstoffe

des Lutschers sind alle von der FDA für den menschlichen

Verzehr zugelassen, und im Gegensatz zu Fluoridprodukten oder

Antibiotika besteht ein geringeres Risiko von Nebenwirkungen

durch übermäßigen Gebrauch.

Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022 31


Praxis

Posturologie in der Zahnmedizin

Roland Pfeiffer

Roland Pfeiffer ist Arzt und Osteopath. Seit über 20 Jahren beschäftigt er sich in seiner Privatpraxis in

Stuttgart mit chronischen Schmerz- Und Erschöpfungssyndromen. Mit der Zeit hat Roland Pfeiffer

eine Leidenschaft für die Behandlung von Migräne-PatientInnen entwickelt. Sein erfolgreiches Buch

„Der Migräne-Detektiv“ wird Ende des Jahres in der zweiten Auflage mit vielen neuen Fallbeispielen

und Erkenntnissen erscheinen. Roland Pfeiffer ist zudem als Dozent in der Lehre tätig, unter anderem

auf den Kongressen der Ärzte der Naturheilverfahren in Freudenstadt.

Der Zusammenhang zwischen Augen- und

Kiefermuskeln, Körperhaltung und Migräne

Seit dem Erscheinen meines Buches „Der Migräne Detektiv“ 2017,

in welchem ich die ausführliche Migräne-Ursachenanalyse und 44

geheilte Migränepatienten und -patientinnen mit den verschiedensten

Ursachen vorstelle, sind etwa 80% meiner Patienten Migränepatienten

und -patientinnen. Auf keinem anderen Gebiet

konnte ich so viele, bis dahin nicht kausal behandelte und fehlbehandelte

Menschen finden, denen ich gut weiterhelfen konnte.

Zur Ursachenanalyse führe ich zunächst eine ausführliche Anamnese

durch, beauftrage dann notwendige Laboruntersuchungen

(z.B. auf Hormone, NahrungsmittelIntoleranzen, Histamin-Intoleranz,

Nitrostress, Entzündungsparameter etc.) und untersuche

und behandle dann die Patienten und Patientinnen je nach Ursache

medikamentös, diätetisch, neuraltherapeutisch, osteopathisch

und/ oder posturologisch.

Bildquelle: ©Axel Kock-stock.adobe.com

Für ZahnärztInnen und KieferorthopäInnen sind folgende Aspekte

interessant, die ich an einem Fallbeispiel erläutern möchte:

Ein 19-jähriges Mädchen litt an 2-3 Tagen pro Woche an

rechtsseitiger Migräne. Die übrigen Tage verspürte sie einen

niederschwelligen Dauerkopfschmerz. Die Beschwerden begannen

im Alter von 11 Jahren und wurden zunehmend häufiger

und stärker. Von Ihrem 12 bis zum 15 Lebensjahr hatte sie eine

feste Zahnspange getragen. Ein besonderes, auslösendes Ereignis

war nicht zu finden, alle Laboranalysen waren vollkommen

32 Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022


Praxis

normal. Bei der osteopathischen Untersuchung fielen ein besonders

rechts stark angespannter m. trapezius und eine LWS-Skoliose

mit leichter Lordose auf. Das Becken war nach anterior

verschoben. Im Bereich des Cranio-Zervikalen Übergangs war

rechts eine stark druckdolente Stelle am Ansatz des m. trapezius

tastbar. Die Patientin berichtete, dass von dieser Stelle aus auch

die Migräneanfälle ausgingen.

Die Lösung dieses Falles habe ich Dr. Antonio Fimiani aus Neapel

zu verdanken, in dessen Seminar ich einen ähnlichen Fall erleben

durfte. Seither ist die posturologische Untersuchung aus meiner

Migräne-Ursachenanalyse nicht mehr wegzudenken. Um den Untersuchungsgang

zu verstehen, muss ich zunächst erklären:

Der Trigeminusnerv, ohne dessen Aktivierung kein Migräneanfall

möglich ist, ist gleichzeitig der posturale Nerv: Die Hautrezeption

und die Propriozeption der vorderen Hälfte des Kopfes, von Augen,

Mund, Zähnen, Zungenspitze und Zungenrand werden über die

Trigeminus-Kerne C1 und C2 auf Nackenmuskeln (m. rectus capitis

major und – minor, m. obliquus capitis superior und –inferior

und- lateralis) übertragen.

Der Trigeminusnerv reguliert das Gleichgewicht zwischen den Augen-

und den Kaumuskeln. Die Augenmuskeln steuern die Schädelachse,

die Kaumuskeln passen den Unterkiefer an die Schädelachse

an. Aus diesem Grund kann man sagen, dass ein Mensch, der seinen

Kopf nicht frei um ca. 90 Grad nach links und rechts drehen

kann, einen von den Augenmuskeln ausgehenden Muskelzug und

einen aktivierten Kaumuskel hat, die beide die Nackenmuskulatur

stören. So ist beispielsweise bekannt, dass jede Konvergenzstörung

und jede Heterophorie der Augen zu einer muskulären Asymetrie

im Zervikal- und Scapularbereich führt. Es muss daher zwangsläufig

auch zu einer Beeinflussung des Kauapparates kommen.

Dr. Antoniio Fimiani aus Neapel entdeckte, dass es 2 neuromuskuläre

Züge gibt, sogenannte Flaschenzüge und die sich von den

Augenmuskeln der einen Kopfseite über den Tractus Tectospinalis

auf die Nackenmuskeln, Rückenmuskeln und Beinmuskeln der anderen

Körperhälfte auswirken.

Der obere Flaschenzug beginnt mit den oberen Augenmuskeln:

Rectus superior, Obliquus superior, Rectus medialis, deren Aktivierung

zur Anspannung des Trapez-Muskels und /oder des Splenius

colli- Muskels der Gegenseite führt. Die Anspannung des rechten

Trapezmuskels führt dazu, dass die rechte Schulter angehoben wird

und der Kopf zur linken Seite geneigt wird.

Der untere Flaschenzug beginnt mit den unteren Augenmuskeln:

m.rectus inferior, m.obliquus inferior, und m. rectus lateralis und

führt zu einer Anspannung des m.sternocleidomastoideus auf der

Gegenseite.

Zusätzlich zu diesen beiden Spannungsketten wirken sich 3 Kaumuskeln

auf folgende Weise aus: Der m.dicastricus wirkt auf den

m.splenius cervicis derselben Körperhälfte und sein Hypertonus

bewirkt langfristig eine Skoliose der oberen BWS. Der m.splenius

cervicis hat seinen Ursprung an den Dornfortsätzen des 3.-6. Brustwirbels

und setzt an den Querfortsätzen der oberen 3 Halswirbel

an. Bei einseitiger Anspannung neigt und dreht er den Kopf zur

gleichen Seite oder, bei beidseitiger Anspannung wird der Kopf in

den Nacken gezogen und es kommt zu einer Streckung der Halswirbelsäule.

M. masseter und m. digastricus aktivieren den m. sternokleidomastoideus

derselben Köperhälfte, wodurch der Kopf auf derselben Seite

nach vorne gezogen wird.

Unsere Körperhaltung wird in den Basalganglien und andern Hirnregionen

(Kleinhirn, Thalamus, Colliculus superior, Nuclei vestibulare)

aus den Einflüssen von Augenmuskeln, Kaumuskeln und

Haut, (insbesondere der Haut der Fußsohlen) berechnet. So kann

beispielsweise ein kleiner Augenmuskel oder Kaumuskel eine ganze

myofasziale Kette (wie von Myers in seinem Buch „Anatomy-Trains

beschrieben) von Kopf bis Fuß anspannen und die Wirbelsäule in

eine Fehlhaltung und eine Skoliose ziehen. Dementsprechend sind

Fehlhaltungen und Skoliosen also die Folge von asymetrisch gespannten

Augenmuskeln, Kiefermuskeln und Fußmuskeln und lassen

sich auch über diese untersuchen und letztendlich auch kausal

behandeln.

Dr. med. Roland Pfeiffer

Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022 33


Praxis

Auch der m. pterigoideus lateralis und der m. temporalis aktivieren,

ähnlich wie der obere Flaschenzug wieder den m.trapezius. Der

Unterschied ist nur, dass der m. pterigoideus lateralis und der m.

temporalis auf derselben Körperseite zur Anspannung des m.trapezius

führen, während der obere Flaschenzug auf Grund der diagonal

durch den Schädel verlaufenden Sehbahnen zur Anspannung

des m. trapezius auf der Gegenseite führt. Der m.temporalis ist wiederum

Teil einer muskulo-faszialen Kette, die auf den m. trapezius,

und den m. quadratus lumborum derselben Körperseite einwirkt

und so eine Skoliose der LWS verursachen kann.

Stellt man nun den Patienten oder die Patientin mit geschlossenen

Füßen hin und klebt einen winzigen Magneten auf den

richtigen Muskel über oder unter dem Auge und im Bereich

der Kiefermuskeln, so wird sofort die ganze neuromuskuläre

Kette von Kopf bis Fuß entspannt und der Patient kann den

Kopf schlagartig viel weiterdrehen als ohne Magnet. Inhibiert

man die betroffenen Augenmuskeln und die betroffenen Kaumuskeln

gleichzeitig mit 2 Magneten, so addiert sich die Wirkung

und der Kopf kann noch weiter gedreht werden.

Bildquelle: ©HANK GREBE-stock.adobe.com

34 Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022


Praxis

Meine 19-jährige Patientin bat ich also

zunächst im Stehen und mit geschlossenen

Beinen den Kopf so weit wie möglich nach

links und anschließend nach rechts zu drehen.

Auffällig war, dass sie den Kopf nur 30

Grad nach links drehen konnte und 40 Grad

nach rechts.

Ich klebte also bei der Patientin einen Magneten

zunächst direkt über das linke Auge,

und testete die Rotation des Kopfes erneut.

Sofort konnte sie den Kopf nach links und

rechts auf 60 Grad drehen. Diesen Effekt

konnte ich weder mit dem Magneten über

dem rechten Auge noch mit dem Magneten

unter dem linken oder rechten Auge erzielen.

Die Schlussfolgerung war also, dass der linke obere Flaschenzug

(ausgehend vom m. rectus superior, m.obliquus superior und

m.rectus medialis) mit seiner Wirkung auf den m. temporalis

auf der Gegenseite an der Rotationseinschränkung des Kopfes

Schuld war. Die Stimulation von m. rectus superior links verursacht

eine Anspannung des m.temporalis, des m. trapezius

sowie des m. quadratus lumborum jeweils rechts .

Ich ließ nun den Magneten zunächst unter dem linken Auge

kleben und begann mit der Untersuchung der Kiefermuskeln.

Ziel war einen weiteren Muskel zu finden, der die Kopfrotation

einschränkt. Ich klebte nacheinander einen Magneten auf den

hinteren Ast des m. temporalis, den m. digastricus und den m.

masseters. Erst links, dann rechts.

Als der Magnet auf dem rechten hinteren Ast des m. temporalis

klebte, bat ich die Patientin erneut den Kopf soweit sie konnte

in beide Richtungen zu drehen. Und siehe da! Plötzlich konnte

sie den Kopf um 90 Grad frei in jede Richtung drehen. Den gleichen

Effekt konnte ich übrigens auch erzielen, als die Patientin

ein Watteröllchen rechts zwischen die beiden letzten Backenzähne

klemmte, was ebenfalls den m. temporalis dazu bringt

sofort loszulassen. Die Patientin war sehr verwundert über die

plötzliche Bewegungsfreiheit. Sie rief: „Unglaublich! So frei hat

sich mein Nacken trotz zahlreicher physiotherapeutischer und

osteopathischer Behandlung schon jahrelang nicht mehr angefühlt!“

Jetzt wurde auch offensichtlich, warum der Cranio-Zervikale

Übergang gerade rechts im Bereich des m. trapezius so stark

gespannt und druckdolent war: Er wurde sowohl vom linken

oberen Neuro-myo-faszialen Flaschenzug als auch vom rechten

m. temporalis getriggert und übte im Bereich der Linea nuchae

superior eine starke einseitig rechte Zugspannung auf die Galea

Aponeurotica des Kopfes und damit auch auf den m. frontalis

und die oberen Muskeln des rechten Auges aus. Hierdurch

wurden sowohl die Nn. occipitalis major und minor als auch,

der Gesicht, Kiefer und Zähne sensibel innervierende Trigeminusnerv

irritiert, welchen wir als Migränenerv kennen. Damit

erklärte sich auch warum die Migräneattacken immer rechts

auftraten.

Bildquelle: ©HANK GREBE-stock.adobe.com

Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022 35


Praxis

Nun ist es natürlich für eine junge Frau keine angenehme Idee

längere Zeit mit 2 Magneten im Gesicht herumzulaufen. Daher

probierten wir nun vom anderen Ende der neuro-myo-faszialen

Linie , also von den Fußsohlen aus, mit posturologischen Einlagen

nach Bernard Bricot die Myofaszialen Ketten zu beeinflussen.

In der Mitte dieser Einlagen ist ein galvanisches Element

eingearbeitet. Durch symmetrisch wirkenden Reiz unter den

Fußsohlen wird das Gehirn gezwungen sich ein neues, stabiles

Gleichgewicht zu suchen. Die zentrale Erhöhung (verstärkter

Druck) unter der Fußmitte veranlasst das ZNS die Muskelketten

reflektorisch zu aktivieren um die Fußmitte zu entlasten.

Zudem werden die Pronatoren und die Supinatoren der Füße

entspannt.

Wie Dr. Bernard Bricot und Dr. Fimiani erforscht haben, finden

die Magnete um die Augenmuskeln und auf den Kaumuskeln

ihre Entsprechung in kleinen Korkhalbmonden, welche unter

die posturologischen Einlagen geklebt werden. Der Magnet

über dem linken Auge entspricht einer kleinen Korkunterlage

unter dem rechten Großzehengelenk und der Magnet auf dem

rechten m. temporalis entspricht einer Fersenerhöhung am

rechten Fuß um in der Regel 2mm-4mm.

Wir nahmen also die Magnete wieder ab und testeten nochmal

die Rotation ohne Magnete. Wie erwartet war sie wieder

genauso eingeschränkt wie am Anfang. Nun stellte ich die Patientin

auf die posturologischen Einlagen mit den Korkunterlagen

unter dem rechten Großzehengelenk und der Fersenerhöhung

rechts. Wie erwartet war die Rotation des Kopfes mit einem

Mal wieder bei 90 Grad in beide Richtungen. Ich verordnete der

Patientin also die posturologischen Einlagen und bat sie alle 3

Monate zur Kontrolle wiederzukommen.

Man kann davon ausgehen, dass nach etwa 30 Monaten konsequenten

Tragens der Einlagen in allen Schuhen die neue, entspannte

Haltung im Gehirn neu programmiert und abgespeichert

ist und damit keine Einlagen mehr notwendig sind. Bis

dahin fallen die Patienten wieder in die alte Fehlhaltung zurück

sobald sie nicht auf den Sohlen stehen.

Nach 3 Monaten konnte die Patientin mir berichten, dass sie

statt 2-3 Mal in der Woche nur noch 2 Mal im Monat Migräne

habe. Nach 6 Monaten hatte sie nur noch alle 5-6 Wochen Migräne

und nach 9 Monaten erzählte sie mir glücklich, dass sie seit

3 Monaten keine Migräne mehr gehabt habe.

Was empfehle ich nun ZahnärztInnen oder KieferorthopädInnen,

die Migränepatienten und chronischen Kopfschmerzpatientenhelfen

möchten, um abzuklären ob die

Ursache der Schmerzen im zahnmedizinischen oder kieferorthopädischen

Bereich liegen könnte?

1. Bedenken Sie, dass das stomatognathe System zum

tonischen Haltungssystem gehört.

Es ist Verbindungsglied zwischen vorderen und hinteren Muskelketten.

Unterkiefer, Zunge und Os hyoideum sind unmittelbar

in die vorderen Muskelketten eingebunden. Der Oberkiefer

ist über den Schädel in Verbindung mit den hinteren Muskelketten.

Störungen im stomatognathen System dekompensieren

das tonische Haltungssystem (Z.B. Kreuzbiss, offener Biss,

Schmalbiss) während umgekehrt Assymetrien des Haltungssystems

den Kauapparat stören. Beispielsweise lässt sich feststellen,

dass ein Rückwärtsverlagerung der Mandibula (Prognathie)

mit einer mit einer Verlagerung des Kopfes und der Schultern

nach vorne einhergeht, während bei einer Vorverlagerung des

Unterkiefers der Kopf nach hinten verlagert wird. Typisch für

Kopfschmerzen, die ihre Ursache im Kauapparat haben, ist das

vorwiegende Auftreten gegen Ende der Nacht und vor dem

Aufstehen. Die Patienten wachen mit Schmerzen und steifer

Nackenmuskulatur auf. (Cave: Differentialdiagnose: Nächtliche

Hypoglykämien können ebenfalls nächtliche Migräneanfälle

auslösen)

2. Prüfen Sie ob ein Vorkontakt vorliegt.

Ein Vorkontakt verursacht eine Entspannung der homolateralen

Adduktoren (M. masseter, temporalis und pterygoideus medialis)

und eine Anspannung der heterolateralen Abduktoren

(Obere- und untere Zungenbeinmuskeln) und Auf die andere

Seite ist es umgekehrt. Längere Zeit bestehende, einseitig hypertone

Muskeln können Spannungskopfschmerz und Migräne

triggern.

3. Prüfen Sie das Gebiss auf fehlende Zahnelemente und

schließen Sie Lücken.

Zahnlücken führen dazu, dass die Patienten, ständig einseitig

die Zungenmuskulatur aktivieren. Dies wiederum triggert die

vordere myofasziale Kette, wirkt sich negativ auf das Gleichgewicht

des tonischen Haltungssystems aus, und wird früher

oder später dazu führen, dass die Patienten mit offenem Mund

schlafen, schnarchen und Schlafstörungen und Kopfschmerzen

entwickeln.

36 Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022


Praxis

4. Prüfen Sie ob es einen zeitlichen Zusammenhang zwischen

Auftreten der Kopfschmerzen und dem Einsetzten

einer festen Zahnspange oder eines Retainers gibt.

Ich konnte in den letzten Jahren immerhin 3 jungen Patienten

alleine durch die Empfehlung ihren Retainer entfernen zu lassen,

von ihrer Migräne befreien. Hier müssen wir verstehen,

von Kopfschmerz ist ein Dauerkopfschmerz, der progressiv zunimmt

und immer unerträglicher wird. Oft setzen sich dann

noch Migräneattacken darauf. Der RANTES- Wert kann allerdings

auch bei Artritis oder anderen Entzündungen ansteigen.

6. Entstören Sie neuraltherapeutisch alle, insbesondere aber,

die im Kopf/ Hals/ Nackenbereich vorliegenden Narben.

Insbesondere vor Kieferorthopädischen Maßnahmen.

Jede Narbe kann Hautrezeptoren dehnen und dadurch Fehlinformationen

an den Rezeptoren des Gammaregelkreises verursachen,

wodurch ein Muskel falsch reguliert wird. So lösen

beispielsweise Narben auf der Bauchmitte eine Verlagerung des

Körperschwerpunktes und der Scapularebene nach vorne, während

seitliche Narben Rotationen auslösen. Sehr häufig erlebe

ich, dass ich eine Narbe am Hals mit Procain infiltriere und

danach ein stark rotations-eingeschränkter Kopf plötzlich frei

rotiert in beide Richtungen. Pathologische Narben stellen ein

Hindernis sowohl für die posturologische Untersuchung, als

auch für die posturale Umprogrammierung und die erfolgreiche

kieferorthopädische Behandlung dar.

dass der Körper als Ganzes gesehen werden muss und wir nie

eine Spannung im Körper verändern können ohne damit die

Spannungsverhältnisse im gesamten Körper zu beeinflussen.

(Tensegity-Modell) Wird zum Beispiel die Incisura maxillaris

verklammert, so kann es sein, dass sich Spannungen, die sich

normalerweise dort entladen hätten, zu Spannungen an anderen

Schädelnähten führen und dort den Trigeminusnerv triggern,

und/oder sich über die myofaszialen Ketten auf die Wirbelsäule

legen und dort eine Skoliose auslösen.

5. Prüfen Sie bei chronischen Kopfschmerzpatienten

ob NICOS (Neuralgie induzierende, Cavitäten

bildende Osteolysen des Kieferknochen) vorliegen.

Ein interessanter, bei NICOS immer erhöhter, aber nicht spezifischer

Laborwert ist „RANTES.“ (Ein chemotaktisches Zytokin

mit proinflammatorischer Wirkung, welches durch TNF-Alpha

und Interleukin 1 induziert wird). Wenn dieser Wert erhöht ist,

lohnt es sich mit bildgebender Diagnostik nach Kieferosteolysen

zu suchen. Leider sind diese nicht immer im OPG und auch

nicht in der DVT zuverlässig zu erkennen. Deshalb empfehle

ich in diesem Fall eine CAVITAT oder CAVITAU- Knochendichtemessung

durchzuführen. Bei dieser Untersuchung ist

gesunder Knochen grün dargestellt und aufgelöste, osteolytische

Areale werden rot dargestellt. Typisch ist bei dieser Art

7. Arbeiten Sie, wenn Sie das Gebiss kieferorthopädisch behandeln

wollen, mit einem Kollegen mit posturologischer

Ausbildung zusammen.

… oder machen Sie selbst eine Posturologische Ausbildung bei

der Forschungsgruppe-Posturologie! So haben Ihre Patienten

und Patientinnen ein schönes Gebiss und die Sicherheit, eine

Skoliose oder ein chronisches Kopfschmerzsyndrom vermeiden

zu können. Hilfreich sind die Informationen der Webseite der

Forschungsgruppe Posturologie unter: www.posturmedizin.de.

Autor

Dr. med. Roland Pfeiffer

Alexanderstr. 46

70182 Stuttgart

Tel. 0711/ 24847175

Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022 37


Praxis

Esskultur als Teil der

zahnheilkundlichen Therapie

Monika Pirlet-Gottwald

Bildquelle: ©Drobot Dean-stock.adobe.com

„Festes sollst du trinken, Flüssiges sollst du kauen“

(Hippokrates)

Tagtäglich werden wir mit einer Fülle von Ratschlägen konfrontiert

darüber, was wir essen sollen, wie viele Kalorien, Kohlenhydrate,

Fette, Eiweiße, Vitamine wir zu uns nehmen sollen oder dürfen. Es

fehlt uns in unserer Fast-Food-Esskultur häufig an Zeit, Ruhe und

Aufmerksamkeit bei der Nahrungsaufnahme: Wir essen in Hektik

und Stress.

Die physiologische naturgemäße Mundverdauung – das Riechen,

das Kauen, Schmecken und Aus-Kosten – haben wir häufig verlernt:

Wir essen zu schnell. Zudem haben sich unsere Lebensmittel

verändert: Zusatzstoffe, Glutamate, Farb- und Duftstoffe und versteckte

Zucker verändern den Geschmack, die Speichel- und Enzymproduktion,

den Appetit und die Sättigung: Eine Folge davon

ist häufig, dass wir das Falsche essen. Größere Nahrungsmengen

bringen dabei keine Verbesserung der Situation: Wir essen zu viel.

Erschwerend: Was wir am Tag an gutem Essen verpasst haben, wird

am Abend nachgeholt: Wir essen zur falschen Zeit.

Kochsendungen im Fernsehen, Lebensmittel- und Gewürzangebote

aus aller Welt und rund ums Jahr versprechen mehr Gesundheit

und Wohlbefinden. Doch der erste notwendige Schritt zu mehr Genuss,

einer besseren Verdauung, zur Gesundung des Mundraumes

und des Stoffwechsels ist eine neue Ess-, Kau-, und Schmeck-Kultur:

„Das Was bedenke, mehr das Wie.“

(Goethe).

Schnelles Essen gehört zu den schwerwiegendsten Ursachen für

die Adipositas, dabei ist es nach neueren Studien nebensächlich,

ob man Fast Food, Slow Food, Bio oder vollwertig isst. Wer die

Nahrung in sich hineinschlingt, nimmt nicht nur mehr Kalorien zu

sich, bevor die Sättigung eintritt, auch die verminderte Verdauung

im Mund spielt eine Rolle. Dies erscheint zunächst paradox. Man

könnte annehmen, dass ein geringerer Grad der Verdauung die Resorption

im Darm vermindert. Schließlich werden Kohlenhydrate

nur als Einfachzucker resorbiert. Doch die Studien belegen: je

besser die enzymatische Aufschlüsselung der Nahrung im Mund,

Magen und Zwölffingerdarm, desto früher tritt Sättigung ein und

desto besser ist die Stoffwechselregulation: Beim genussvollen Kauen

und Ausschmecken der Nahrung ist der postprandiale Blutzuckeranstieg

signifikant geringer, auch die Insulin-Sekretionskurve

ist flacher, sowohl bei Normal- als auch bei Übergewichtigen mit

Insulinresistenz. Auch die beiden Stellglieder der Appetitregulation,

Leptin und Adiponectin, verbessern sich signifikant!

„Gesund beginnt im Mund“!

Kauen, Einspeicheln und Schmecken sind ein komplexes Zusammenspiel

mechanischer, gustatorischer, chemischer Vorgänge und

erste Schritt der Digestion und Resorption unserer Nahrung. Die

Produktion des Speichels und der Enzyme werden durch komplexe

hormonelle Regelungen beeinflusst: Stress hemmt die Verdauungsenzyme,

der Parasympathikus verbessert die Produktion und Sekretion.

(Die Abb. 1 veranschaulicht die Zusammenhänge.)

Ganz am Anfang steht die mechanische Zerkleinerung der Nahrung:

Die Ober- und damit die Angriffsflächen für die enzymatische

Aufspaltung werden größer: Grobe Brocken der Lebensmittel

werden zerteilt, zerrieben und zermahlen. Nur so können die Enzyme

im Mund, im Magen und aus der Gallenblase den Speisebrei

durchdringen. Angeregt wird der Speichelfluss reflektorisch über

Reizungen des gusto-olfaktorischen Nervensystems getriggert:

Riechen, Sehen, Tasten und Schmecken – je intensiver, desto mehr

38 Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022


Praxis

fließt der Speichel und die Nahrung wird mit dem Speichel vermischt

und verflüssigt. Nahrungssäuren werden neutralisiert und

so die Erosionen an den Zähnen verhindert.

Säuren aus Obst und bestimmten Gemüsesorten (insbesondere

Zitrate und Oxalate) verbinden sich mit Kalzium zu biologisch-inaktiven

Salzen. Den Zähnen, den Schleimhäuten und den Körpersäften

wird biologisch-aktives Kalzium entzogen, es entsteht ein

versteckter Kalziummangel. Erosionen an den Zähnen und Reizzustände

an der Magen- und Darm-Schleimhaut sind die Folge. Die

Verdauung ist eingeschränkt, durch Gärung und Fäulnis entwickelt

sich das Bild der Vergiftung vom Darm.

Der Speichelfluss lässt den ph-Wert im Mund auf 7,0–7,2 ansteigen,

neutralisiert die Nahrungssäuren und verhindert so die Bildung

dentaler Plaques. Er enthält Natrium, Chlorid und Calcium-Ionen

und fördert damit ganz entscheidend die Zahn-Remineralisierung

und schützt so vor Erosionen an den gastro-intestinalen Schleimhäuten.

Je stärker der Speichelfluss, desto besser die Remineralisierung.

Das wichtigste Enzym des Speichels ist die alpha-Amylase Ptyalin,

sie spaltet komplexe Kohlenhydrate in Zucker: Brot schmeckt beim

richtigen Kauen süß! Daneben finden sich auch Lipasen für eine

erste Fettverdauung. Zu beachten ist, dass viele Pharmaka (insbesondere

die so oft verschriebenen H2-Blocker) sowie Schwermetalle

wie Blei, Cadmium, Arsen oder Quecksilber und auch Toxine aus

dem Wasser, aus der Nahrung wie auch aus Implantaten verändern

und behindern die katalytische Aktivität der Enzymen und damit

die Digestion und Resorption.

Von besonderer Bedeutung sind die im Speichel gebildeten Muzine.

Diese sind ein Gemisch aus Polysacchariden und Glykoproteinen.

Bekannt ist ihre Aufgabe, die Gleitfähigkeit des Nahrungsbreis

in der Speiseröhre zu verbessern. Die wichtigste Aufgabe des

Mucus jedoch ist der Schutz der gastro-intestinalen Schleimhaut!

Diese Muzine bilden einen heilenden Film über die Schleimhäute,

beeinflussen maßgeblich die Darm-Mirkobiota, stärken die Darmbarriere,

das mucosale Immunsystem und die vegetative Balance.

9 goldene Regeln zum Schmauen!

1. Warten Sie mit Essen auf das sich einstellende Hungergefühl.

Lassen Sie sich nicht zum Essen verleiten. Hören Sie

auf Ihr eigenes Bedürfnis.

2. Richten Sie sich einige Bissen, einige Stücke Käse, ein kleines

Stück Fleisch, etwas Gemüse auf einem kleinen Teller in appetitlicher

Form. Nehmen Sie sich Zeit und Ruhe.

3. Setzen Sie sich entspannt in bequemer Körperhaltung an

den Tisch. Essen Sie nicht im Stehen: Genießen Sie den Anblick

der Speisen. Nehmen Sie den Geruch wahr und den

aufkommenden Speichelfluss. Sprechen Sie ev. ein Tischgebet.

4. Nehmen Sie einen kleinen Bissen der Speisen in den Mund

und legen Sie das Besteck wieder ab. Lehnen Sie sich zurück

und entspannen Sie sich und lassen Sie sich nicht durch Lesen,

Fernseher oder Gesprächen ablenken.

5. Kauen Sie einmal, zweimal – dreißig Mal. Konzentrieren

Sie sich zunächst auf das mechanische Zerkleinern der

Speisen, dann auf den fließenden Speichel. Feste Nahrung

bleibt im vorderen Mundraum, nur die schon flüssigen Anteile

rutschen nach hinten und können geschluckt werden.

So verbinden Sie Kauen mit Schmecken: Während dieses

„Schmauens“ beginnt Ihre Zunge den Kauprozess völlig

neu zu koordinieren. Sie hilft, zum einen, bei der Durchmischung

des Speisebreis mit den Mundsäften bis zum

Geschmackshöhepunkt (bis zur enzymatischen Aufspaltung!)

und kontrolliert gleichzeitig, welche Nahrung bereits

schluckfertig ist und somit freigegeben werden darf.

6. Schmecken Sie! Kosten Sie! Nehmen Sie alle Geschmacksnuancen

wahr: Lassen Sie die Speisen auf der Zunge zergehen.

Lassen Sie Ihr Bewusstsein „auf den Speisen spazieren

gehen“! Das ist ein Mehr an Genuss! Speisen, die einen unangenehmen

Geschmack entwickeln, schlucken Sie nicht.

7. Kauen und schmecken Sie auch alle Getränke und flüssige

oder breiige Nahrung!

8. Nehmen Sie den aufkommenden angenehmen Sättigungsreflex

wahr. Wenn die Lust am Kauen und Einspeicheln abnimmt,

dann haben Sie genug: hören Sie auf.

9. Schon nach wenigen Tagen wird Ihnen dieses neue Essverhalten

zur Gewohnheit werden und Sie werden zum wahren

Genießer! Dann wird es Ihnen leicht fallen, diese neu programmierte

Esskultur auch in Gesellschaft beizubehalten.

Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022 39


Praxis

Auch die immunologische Abwehr von fremden Keimen und Entzündungen

beginnen mit dem Speichel: Lysozyme verhindern oder

beruhigen schleichende Entzündungsprozesse („Silent Inflammation“),

die für die Entstehung der Parodontitis aber auch von

Herz-Kreislauf-Erkrankungen eine wesentliche Rolle mit-verantwortlich

zu machen sind.

Das sekretorische Immunglobulin A ist für die Schleimhautintegrität

und -Abwehr wersentlich. Wenn diese gestört ist, können

Bakterien, Viren oder auch unverdaute Nahrungsproteine in das

mucosalen Immunsystem und den Blutkreislauf eindringen und

vielfältige immunologische Abwehrreaktionen auslösen. Das sogenannte

„Leaky-Gut“ beginnt im Mund!

Darüber hinaus sezerniert der Speichel auch eine Fülle anderer

stoffwechselaktiver Proteine wie Lactoferrin zur Eisenresorption

und Haptocorrine, die zusammen mit dem Intrinsicfactor des Magens

für die Absorption von Vitamin B12 verantwortlich sind.

Die im Speichel gelöste Nahrung führt über die Geschmackssinneszellen

zur Ausschüttung von Neuropeptiden und Neurotransmittern,

insbesondere Serotonin, Dopamin und Gamma-Amino-Butter-Säure:

Das bedeutet: Kauen macht glücklich! und Kauen wirkt

dem Stress entgegen!

Doch Kauen und Schmecken, das Kosten, das intensive Geschmackserlebnis,

will wieder gelernt – und geübt werden. Nicht

immer ist „der Letzte bei Tisch“ auch ein guter Kauer! Nicht das

gelangweilte Zähne-Zusammenbeißen ist gemeint, sondern das

Durch-Speicheln, Aus-Kosten: ein intensiver Prozess.

Bei gestillten Säuglingen (nicht bei Flaschenkindern!) kann diese

physiologische „Zungen-Saug-Technik“ beobachtet werden: Flüssige

Nahrung wird im Mund fraktioniert, portionieren und durch

das Aussaugen der Speicheldrüsen mit dem Speichel im Verhältnis

1:1 vermischt. Dann erst gleitet dieser „Brei“ den Gaumen hinunter.

In den frühen zwanziger Jahren wurde das Kauen als „Fletschern“

(nach Horace Fletcher) populär: „... man ziehe den Geschmack,

der sich in der Nahrung befindet, aus ihr heraus und warte, bis

sie sozusagen von selbst verschluckt wird.“ Die Kau-Schulung

ist Grundbaustein jeder F.X.-Mayr-Kur und kann natürlich auch

in der zahnärztlichen Praxis gelehrt werden. Vielleicht haben Sie

selbst Lust, es auszuprobieren. 9 Tipps für Ihre PatientInnen finden

Sie auf Seite 33.

Autor

Dr. med.

Monika Pirlet-Gottwald

Waisenhausstraße 52a

80637 München

pirlet-gottwald@t-online.de

40 Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022


Fortbildung

GZM-Veranstaltungen

Weitere Termine im Internet unter www.gzm.org

Weitere Veranstaltungen

und detaillierte Informationen

verschiedener Anbieter finden Sie

auf unserer Internetseite unter:

www.gzm.org/35-0-seminare.htm.

CURRICULA

KONGRESSE

Curriculum Systemische ZahnMedizin

Alle Blöcke auch einzeln buchbar – Übersicht

Start: Neues Curriculum – Januar 2023

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Kieferorthopädie

Start Neues Curriculum – März 2023

Informationen: Internationale Gesellschaft

für Ganzheitliche Zahnmedizin e.V.

Kloppenheimer Str. 10

Tel.: + 49 621 4824300

Fax: + 49 621 473949

E-Mail: info@gzm-org.de

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den Arm nach van Aasche

Termin: 01. bis 02. Oktober 2022

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Ort:

Dr. Martina Obermeyer

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Logopädie, Physiotherapie

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63741 Aschaffenburg

Anmeldung: Internationale Gesellschaft für

Ganzheitliche Zahnmedizin e.V.

Kloppenheimer Str. 10

Tel.: + 49 621 4824300

Fax: + 49 621 473949

E-Mail: info@gzm-org.de

Seminare SGZM

Bionator Tageskurs

Termin: 26. November 2022

Referentin ZÄ Sandrina Reisinger

Anmeldung: Sekretariat SGZM

E-Mail: kurse@sgzm.ch

Tel:. 0041 31 952 57 03

143. ZAEN-Kongress

Termin: 21. bis 25. September 2022

Ort: Freudenstadt

Weitere Informationen:

ZAEN Freudenstadt

Am Promenadenplatz 1

72250 Freudenstadt

Tel.: +49 7441 918580

Fax: +49 7441 9185822

E-Mail: info@zaen.org

www.zaen.org

55. Medizinische Woche Baden-Baden

Effizienz durch nachhaltige Medizin

Termin: 28.10 bis 01.11. 2022

Zahnärztetag: 29.11.2022

Anmeldung: EMENDO Event & Congress

Tel.: +49 711 8931-365

Fax: +49 711 8931-370

E-Mail: info@med-woche.de

Information: www.medwoche.de

Ganzheitlich orientierte Zahnarztpraxis

insgesamt 140 qm Nutzfläche

im Oberharz ( Hasselfelde) abzugeben

Programm am Samstag,

29. Oktober 2022 Sitzungsraum 1/1. OG

Tagesvorsitzende: Christine Albinger-Voigt

08.30-08.35 Uhr Begrüßung

Christine Ailbinder-Voigt

08.35-09.00 Uhr Dr. med. Philip Eckart

inkl. Diskussion Neurofunktionelle Zusammenhänge

zwischen dem Mund-,

Kiefer-, Gesichtsbereich und

dem Rest des Körpers

9.00-09.30 Uhr Dr. rer. nat. Bruno Frank

inkl. Diskussion Entscheidung auf der Schleimhaut

– Pathogenität respiratiorischer

Viren

09.30-10.00 Uhr Dr. med. Rainer Stange

inkl. Diskussion Pflanzen gegen Viren, wo findet

die beste Abwehr statt?

10.00-11.00 Uhr Pause

11.00-11.30 Uhr Dr. med. Chistian Maier

inkl. Diskussion Neuraltherapie in der ganzheitlichen

ZahnMedizin ein

Erfolgsmodell

11.30-12.00 Uhr Dr. med. dent.

inkl. Diskussion Christel-Maria Foch

Interdisziplinäres Netzwerken

12.00-12.30 Uhr Dr. med. dent Sandra Umbreit

inkl. Diskussion Biologische Zahnmedizin –

Antibiose adé

Alternative Behandlungsmethoden

unter Einsatz von Ozon-/

Sauerstoff

Rückmeldung bitte per Mail:

info@zahnarzt-lambrecht.de

Nachfolge

gesucht

Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022

41


Pflanzenportrait

Süßholz - Glycyrrhiza Glabra

Wohlschmeckend und nützlich – auch für Mund und Zähne

Eine Ehrung vorweg: Süßholz wurde 2012 in Deutschland zur Arzneipflanze des Jahres gekürt. Anerkennung

einer langen Geschichte: Schon im 14. Jahrhundert wurde der eingedickte Saft der Süßholzwurzel

in Deutschland genossen – gewissermaßen eine Vorform der heutigen Lakritze. Dabei ist die

Verwendung von Süßholz noch viel älter: Die Wurzeln der Pflanze werden schon seit Jahrtausenden

in der Volksmedizin vieler Regionen auf der Welt geschätzt. Denn Süßholz entfaltet vielfältige positive

Einflüsse auf den menschlichen Körper – und könnte sogar in Zusammenhang mit COVID-19 noch

viel positives Potenzial besitzen.

Die Gattung der Süßhölzer (Glycyrrhiza)

gehört zur Familie der

Hülsenfrüchtler (Fabaceae), zu

denen beispielsweise auch Erbsen,

Bohnen und der Ginster gezählt werden.

Echtes Süßholz (Glycyrrhiza glabra)

ist vor allem bekannt durch die aus der

Süßholzwurzel gewonnene Süßigkeit

Lakritze – ein Name mit kurvenreicher

Etymologie. Der deutsche Name Lakritze

geht über mittelhochdeutsch lakeritze

und mittellateinisch liquiritia wie

der Gattungsname auf das lateinische

glycyrrhiza zurück. Dieses wiederum ist

ein Lehnwort aus dem griechischen glykyrrhíza

von γλυκύς (glykys, „süß“) und

ῥίζα (rhiza, „Wurzel“). Mit dem Begriff

glycyrrhizium (also: Süßwurzel) wurde

ursprünglich die trockene Wurzel, dann

die ganze Pflanze bezeichnet.

Der lateinische Name wurde bereits im

Mittellateinischen unter dem Einfluss

von liquor („Flüssigkeit“) volksetymologische

zu liquiritia, woraus dann die

deutsche Bezeichnung Lakritze entstanden

ist.

Süßholz: Glycyrrhiza

glabra

Systematik:

Eurosiden I

Ordnung: Schmetterlingsblütenartige

(Fabales)

Familie: Hülsenfrüchtler

(Fabaceae)

Unterfamilie: Schmetterlingsblütler

(Faboideae)

Gattung: Süßhölzer (Glycyrrhiza)

Art: Echtes Süßholz

Systematik und Merkmale

Das Süßholz ist in der Mittelmeerregion

und in Westasien beheimatet. Es ist

frostempfindlich und bevorzugt volle

Sonne und tiefe, humusreiche, durchlässige

Erde. Heute wird Süßholz hauptsächlich

in China, Russland, der Türkei,

Italien, Bulgarien und Spanien angebaut.

Die Gattung der Süßhölzer (Glycyrrhiza)

umfasst ca. 30 verschiedene Arten, von

denen drei medizinisch genutzt werden:

• Glycyrrhiza glabra L. („echtes“ Süßholz)

• Glycyrrhiza inflata

• Glycyrrhiza uralensis

Süßholz ist eine mehrjährige, krautige

Pflanze, die Wuchshöhen von 50 bis zu

150 Zentimetern erreicht. Eine dicke,

holzige Pfahlwurzel bildet zahlreiche Nebenwurzeln

mit meterlangen Ausläufern.

Die verholzten, faserigen Wurzeln sind

gelb gefärbt mit graubrauner Rinde. Im

Spätsommer (Juni bis Juli) erscheinen

bläulich-violette und weiße Schmetterlingsblüten.

Als Früchte bilden sich später

Hülsen, die zwei bis acht Samen enthalten.

Die Wurzeln – die medizinische interessanten,

weil nutzbaren Teile – werden im

Herbst geerntet. Bei der Ernte werden die

oft meterlangen, dreijährigen Wurzeln so

geschnitten, dass die Stammpflanze erhalten

bleibt.

42 Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022


Pflanzenportrait

Süßholz: Eigenschaften

und Anwendungsgebiete

Süßholz auf einen Blick

Lateinischer Name:

Glycyrrhiza glabra

weitere Namen: Gemeines Süßholz,

Kahlfruchtiges Süßholz, Spanisches

Süßholz, Deutsches Süßholz

Pflanzenfamilie: Hülsenfrüchtler

(Fabaceae)

Verbreitungsgebiet: Mittelmeergebiet,

Westasien

Standort: voll sonnig auf tiefen, humusreichen,

durchlässigen Böden

Blätter: wechselständige, gestielte

Blätter; unpaarig gefiedert mit 9–17

Fiederblättern, je ca. 2–5 cm lang

und 1,5–2,5 cm breit

Blüten: bläulich-violette und weiße

Schmetterlingsblüten, 8–12mm lang

Blütezeit: Spätsommer

Erntezeit: Herbst (Wurzeln)

Höhe: 50–150 cm

Alter: mehrjährig

Eigenschaften:

• abführend

• antibiotisch

• antimikrobiell

• antioxidativ

• antiparasitär

• antitumoral

• antiulzerogen

• antiviral

• auswurffördernd

• blutdrucksteigernd

• blutreinigend

• entzündungshemmend

• fungizid

• harntreibend

• krampflösend

• schleimverflüssigend und -lösend

• schmerzlindernd

Anwendungsgebiete:

• Bronchitis

• Gastritis

• Gicht

• Heißhunger

• Hepatitis

• Husten mit Schleimbildung

• Kopfschmerzen

• Magengeschwür

• Magenkrämpfe

• Migräne

• Niedriger Blutdruck

• Rheuma

• Sodbrennen

• Übergewicht

• Verstopfung

• Zwölffingerdarmgeschwür

Bildquelle: Getty Images/iStockphoto

Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022 43


Pflanzenportrait

Süßholz-Anbau in Deutschland

Anders als im Mittelalter, ist Deutschland

heute kein Anbaugebiet für Süßholz mehr

– mit einer bemerkenswerten Ausnahme:

In Bamberg betreibt die Bamberger Süßholz-Gesellschaft

Süßholzanbau, erntet die

Wurzeln und stellt in kleinen Mengen Süßholzprodukte

her – eine in Deutschland einmalige

Aktivität.

Der Verein beteiligt sich damit am innerstädtischen

Erwerbsgartenbau in Bamberg, der

inzwischen sogar in das Bundesverzeichnis

des immateriellen Kulturerbes aufgenommen

wurde.

Süßholz in Fertigpräparaten

Süßholz ist in verschiedenen Hustentees

(neben Thymian, Spitzwegerich, Fenchel,

Isländisch Moos, Eibisch) oder auch in

Iberogast® (neben Bitterer Schleifenblume,

Engelwurz, Kümmel, Kamille, Mariendistel,

Pfefferminze, Schöllkraut, Melisse) enthalten.

Nebenwirkungen

Keine Wirkung ohne Nebenwirkung – so

auch bei Süßholz: Glycyrrhizin, das auch

dem enterohepatischen Kreislauf unterliegt,

verlangsamt in allen Dosierungen mittels

Hemmung zweier Enzyme den körpereigenen

Cortisolabbau. In sehr hohen Dosen

wirkt es auch direkt am Mineralocorticoidrezeptor.

Dies führt bei Menschen unter Langzeitgabe

zur Ausbildung eines Pseudohyperaldosteronismus

mit Ödembildung,

Bluthochdruck und Kaliumverlusten.

Die Hauptinhaltsstoffe von

Süßholz

Die Süßholzwurzel enthält über 400 Inhaltsstoffe.

Die pharmakologisch wichtigsten

sind:

• 2–15% Triterpensaponine wie Glycyrrhizin

(50-mal süßer als Rohrzucker)

und 18β-Glycyrrhetinsäure

• 10% Polysaccharide

• 0,65–2% Flavonoide, z. B. das Chalcon

Isoliquiritigenin, Isoliquiritin (gelbe

Wurzelfarbe), Licochalcon A und prenylierte

Isoflavone, z. B. Glabrin

• 0,04–0,06% ätherisches Öl, Cumarine

und Phytoöstrogene

Schon in der Antike

geschätzt

Erstmals schriftlich erwähnt wurde Süßholz

in einer mesopotamischen Schrift

um 1200 v. Chr. Die Skythen, Reiternomaden

der eurasischen Steppe, brachten

das Süßholz nach Griechenland. Theophrast

beschrieb die wasserretinierende

und durstlöschende Wirkung des Süßholzes,

die den Nomaden lange Wüstendurchquerungen

ermöglichte. Griechen

und Römer verwendeten Süßholz u.a. gegen

Nierenleiden und Blasenentzündung

sowie bei Fußschmerzen. Ein Mundwasser

aus Süßholz und Maulbeersaft half bei

Aphthen. Glycyrrhiza galt als allgemeines

Stärkungsmittel und als Gegenmittel gegen

unbekannte Gifte.

pflanze der Sage nach um 1000 n. Chr.

Damals schenkte die Heilige Kunigunde,

Gemahlin von Kaiser Heinrich II, sie ihrer

Lieblingsstadt Bamberg. Das Bamberger

Umland entwickelte sich daraufhin

zu einem bedeutenden Anbaugebiet und

wurde bekannt für seine aus eingedicktem

Süßholzsaft hergestellten Leckeritze

(1394) bzw. später Lakritze (1429).

Volksmedizinische Nutzung

des Süßholzes

Süßholz entfaltet seine Kräfte vor allem

dann, wenn der Körper geschwächt ist,

z.B. in einer Umbruchphase wie der Menopause,

in der Rekonvaleszenz oder unter

psychischem Druck. Es vermag Entzündungen

im ganzen Körper zu lindern,

wobei der Schwerpunkt im Atmungsund

Verdauungstrakt liegt.

Zahlreiche Husten- und Bronchialtees

sowie Lutschpastillen nutzen die sekretolytischen,

auswurffördernden und bei

Halsschmerzen entzündungshemmenden

Eigenschaften des Süßholzes. Es

schützt die Magenschleimhaut und wirkt

krampflösend bei nervösen oder chronischen

Gastritiden sowie Obstipationen

im Verdauungstrakt.

Süßholz gegen COVID-19?

Weitere volksheilkundliche Anwendung

findet Süßholz bei Entzündungen

In Versuchen mit einigen DNA- und RNA-Viren

zeigte sich, dass Glycyrrhetinsäure die

des Urogenitaltrakts, Rheuma, Arthritis,

Hautkrankheiten wie Psoriasis, bei

Virusanheftung und die Virusvermehrung

hemmt und zeitgleich die Produktion von

Epilepsie, zur Gedächtnisstärkung, bei

Interferon γ stimuliert. Dasselbe geschah Im antiken China gehörte Süßholz zu den Sexualschwäche und zur Förderung der

in Zellkulturen mit SARS-CoV-Erregern aus 120 Drogen 1. Klasse, die das menschliche

Milchbildung.

klinischen Isolaten von im Jahre 2003 Erkrankten.

Leben erhalten und dabei helfen, „alt

Somit rückten Süßholz und vor zu werden, ohne zu altern“.

allem seine Triterpenoide in den Fokus der

Pflanzenheilkundliche

aktuellen Forschung.

Hildegard von Bingen notierte im 12.Jh.,

Computergestützte Ergebnisse legen nahe, als die Süßholzwurzel bereits fester Bestandteil

Empfehlungen

dass Glycyrrhizinsäure die Anheftung von

der Kloster- und Kräutermedi-

Der Ausschuss für pflanzliche Arzneimit-

SARS-CoV-2 erschwert und Glasperin A dessen

zin war: „Es ist gut für die klare Stimme, tel (HMPC) erachtet die traditionelle An-

Replikation in der Wirtszelle stört.

helle Augen und einen milden Sinn. Auch wendung bei dyspeptischen Beschwerzin

Darüber hinaus besitzt Süßholz einen modulierenden

dem Geisteskranken hilft es, weil es die den, Sodbrennen und als Expectorans bei

Effekt auf das Immunsystem, Wut, die in seinem Gehirn ist, auslöscht.“ erkältungsbedingtem Husten als sinnvoll,

indem es die Wirksamkeit körpereigenen Nach Deutschland kam die Süßholz- der Dachverband nationaler europäi-

Cortisols verstärkt, was sich bei COVID-19-Erkrankten

als hilfreich erwies.

44 Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022


Pflanzenportrait

scher Gesellschaften für Phytotherapie

(ESCOP) spricht sich für die unterstützende

Therapie bei Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüren

sowie bei Gastritis

und als Expectorans bei Husten und

Bronchialkatarrh aus.

Die Wirkungsweisen im

Einzelnen

Die Einsatzmöglichkeiten für Süßholz

sind vielfältig, doch die grundlegenden

therapeutischen Eigenschaften von Süßholz

lassen sich wie folgt gruppieren:

Antioxidativ: G. glabra besitzt aufgrund

der enthaltenen Flavonoide und Polysaccharide

gute antioxidative Eigenschaften.

Entzündungshemmend: Die im Süßholz

enthaltene Glycyrrhetinsäure verlangsamt

durch Hemmung zweier Enzyme

den Abbau körpereigenen Cortisols

und wirkt somit entzündungshemmend

und antiallergisch. Zusätzlich beeinflussen

Glabridin und Isoliquiritin über

Hemmung der Lipoxygenase und der

Cyclooxygenase (Glabridin) sowie von

Prostaglandin E2, Leukotrienen und

Thromboxan (Isoliquiritin) das Entzündungsgeschehen.

Immunmodulierend: In Fütterungsversuchen

bei Schweinen und Hühnern, die

0,1% Süßholzextrakt zum täglichen Futter

bekamen, verbesserte sich die Immunreaktion

auf spezifische und unspezifische

Antigene deutlich und es konnte ein

Anstieg der weißen Blutkörperchen im

Blut beobachtet werden. Synergie mit einer

Impfung gegen virale Entenhepatitis

wurde über Aktivierung der T-Lymphozyten

beobachtet.

Antibakteriell: Im Rahmen aktueller

Resistenzforschung zeigten die Süßholzflavonoide

eine gute bakteriostatische

Wirkung gegen grampositive und

gramnegative Erreger, wie Streptococcus

mutans, Staphylococcus aureus, MRSA,

E. coli, Bacillus subtilis und Mycobakterium

tuberculosis. Als sog. „resistance

modifier“ kann G. glabra resistente Keime

für bestimmte Antibiotika wieder

sensibilisieren. Außerdem kann Süßholzwurzelextrakt

die Bildung eines Biofilms

und pathogener Exotoxine bei Staphylococcus

aureus hemmen – beides wichtige

Eigenschaften zur Behandlung von

Wundinfektionen.

Antiparasitär: Chalcone, wie Licochalcon

A aus G. inflata, greifen in die Atmungskette

von Parasitenmitochondrien

ein. So konnte bei Mäusen Plasmodium

yoelli vollständig eliminiert werden. Toxische

Nebenwirkungen traten nicht auf.

Antiviral: Neben seiner allgemeinen

Immunstärkung besitzt Süßholz antivirales

Potenzial. In Versuchen mit dem

Newcastle Virus bei Hühnerembryonen

und dem Paramyxovirus Typ 1 bei Tauben

vermochte Süßholzextrakt das Virus

in Schach zu halten.

Bildquelle: iStock/valio84sl

Mäuse, die intraperitoneal 10 μg Glycyrrhizin/kg

einen Tag vor und am Tag 1 und

4 nach einer letalen Influenza-A-Virusdosis

bekamen, überlebten alle, die Kontrollgruppe

verstarb vollständig.

Hilfreich im Körper

Dank seiner genannten therapeutischen

Eigenschaften ist Süßholz vor allem für

die folgenden Bereiche geeignet.

Atmungstrakt: Die im Süßholz enthaltenen

Saponine, v. a. das Glycyrrhizin, reizen

bei oraler Aufnahme den Vagus. Dies

regt über einen gastropulmonalen Reflex

die Bronchialschleimhaut zur Sekretion

eines dünnflüssigen Schleimes an. Dieser

verbessert die mukoziliäre Reinigung.

Magen-Darm-Trakt: Süßholz ist für seinen

positiven Einfluss auf Magen- und

Zwölffingerdarmgeschwüre bekannt.

Glycyrrhizin erhöht den Serotonin- und

Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022 45


Pflanzenportrait

Prostaglandin-Gehalt im Magen-Darm-

Trakt. Dies steigert die Mukussekretion,

verlängert die Überlebenszeit der Magenepithelzellen

und reduziert die Pepsinsekretion.

Zusätzlich besitzt Glycyrrhizin

eine bakteriostatische Wirkung auf

Helicobacter pylori, auch auf resistente

Stämme.

Leber: Süßholzextrakt schützt die Leber

vor Toxinschäden, senkt bei nichtalkoholischer

Fettleber die Leberwerte im Serum

und hemmt die Bildung von Lebergranulomen.

Haut: Zahlreiche Tierversuche bestätigen

die antiphlogistische Wirkung von

Süßholzextrakten auf der Haut. Nicht zuletzt

aufgrund corticomimetischer Eigenschaften

eignen sie sich zur Behandlung

von Ekzemen, Pruritus und atopischer

Dermatitis.

Nervenzellen: Im Rahmen der Alzheimerforschung

zeigte Süßholzextrakt

neben antioxidativen und antiinflammatorischen

Eigenschaften eine weitere

neuroprotektive Wirkung: An Neuronen

konnte die hemmende Wirkung von

Süßholzextrakt auf Fehlfaltungen des

Tau-Proteins gezeigt werden.

Süßholz-Tee zubereiten

Für einen Süßholz-Tee übergießt man 1-2 TL Süßholzwurzeln mit 1 Tasse

kochendem Wasser und lässt ihn 15 Minuten ziehen. Anschließend abseihen

und in kleinen Schlucken trinken. 1–3 Tassen täglich.

Teemischung für Kinder

40 g Süßholzwurzeln

30 g Fenchelsamen

15 g Anissamen

15 g Spitzwegerichblätter

Besonderer Fokus: Zahnund

Mundgesundheit

Neben allen genannten positiven Eigenschaften

des Süßholzes sind insbesondere

die Effekte auf Zahn- und Mundgesundheit

bemerkenswert. Und die

gehen weit über die rein mechanische

Wirkung beim Kauen der Süßholzwurzel

hinaus: Die faserige Struktur der Wurzel

wirkt gewissermaßen wie die Urform einer

Zahnbürste und entfernt so gröbere

Speisereste von den Zahnoberflächen.

Interessanter sind allerdings die in der

Wurzel enthaltenen Substanzen.

So könnte der entzündungshemmende

Effekt wie Glycyrrhizin, Glabridin und

Licoricidin zur Karies- und Parodontitisvorbeugung

beitragen, wie klinische

Studien im Ansatz zeigten. Mehrere kleinere

Studien mit Zahnpasta, Zahngel,

Kaugummi oder Lollys mit Glycyrrhizin

oder Glycyrrhizol lieferten allerdings uneinheitliche

Ergebnisse.

Eindeutig positive Auswirkungen auf

die orale Mundflora dank ihrer entzündungshemmenden

Qualitäten zeigte

die Süßholzwurzel in einer klinischen

Studie bei Patienten mit rekurrierender

aphthöser Stomatitis: Schmerz, Rötung

und die Ausdehnung der nekrotischen

Bereiche waren deutlich vermindert. So

lassen sich bei regelmäßiger Anwendung

von Mundwasser aus Süßholzwurzel bei

Mundaphthen ein Rückgang der Entzündung

bewirken und Schmerzen lindern,

was Süßholz konventionellen Therapieansätzen

zumindest ebenbürtig erscheinen

lässt.

In vitro hemmen verschiedene Süßholzextrakte

die Vermehrung oraler

Bakterien ohne Resistenzbildung. Die

Inhaltsstoffe Licochalcone A und Glabridin

besitzen therapeutisches Potenzial bei

oralen Candida-albicans-Infektionen. La-

46 Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022


Pflanzenportrait

Der Ausdruck „Süßholz raspeln“ steht für ein schmeichelndes, Komplimente machendes Verhalten,

insbesondere von Männern, die eine Frau umwerben. Die Substantivform Süßholzraspler ist seit

1848 belegt und ist „ein Spott auf den, der aller Welt nur Angenehmes zu sagen bestrebt ist“.

kritzlipopolysaccharide hemmen als einziger

spezifischer Inhibitor die Adhäsion

von Porphyromonas gingivalis.

Auch in der Bekämpfung des Mundsoor

(Befall des Mundraums durch den Pilz

Candida albicans) zeigte die Süßholzwurzel

vielversprechende Ergebnisse,

allerdings bisher nur im Rahmen von experimentellen

Modellversuchen.

Gleiches gilt für Laborversuche hinsichtlich

der Bekämpfung von Bakterienarten,

die für die Entstehung der Gingivitis und

Parodontitis verantwortlich sind. In einem

Modellversuch konnte ein Extrakt

aus der Süßholzunterart Glycyrrhiza uralensis

das Wachstum einiger Parodontitis-Bakterien

hemmen und den Prozess

der durch die Zahnfleischentzündung

verursachten Gewebezerstörung aufhalten.

Für die Kariesprävention bei Kindern

eignet sich ein zuckerfreier Süßholz-Lolly

gut, weil die Hemmschwelle viel niedriger

ist als beim Zähneputzen. Durch das

Lutschen am Lolly wird die Speichelproduktion

angeregt, was insofern wichtig

für die Prävention von Karies ist, da Speichel

anti-bakteriell wirkt, einen reinigenden

Effekt aufweist und zur Re-Mineralisierung

der Zähne beiträgt.

Fazit: Was gut schmeckt,

kann doch gesund sein

Die Süßholzwurzel enthält zahlreiche therapeutisch

interessante Inhaltsstoffe, sie

auch in der derzeitigen COVID-19-Pandemie

hilfreich sein können: Die Süßholzwurzel

hat das Potenzial, Virusanheftung

und -vermehrung zu unterdrücken

und stärkt gleichzeitig die spezifische und

unspezifische Immunantwort. Sie schützt

durch ihre antioxidativen Fähigkeiten die

Organe – insbesondere Lunge und Blutgefäße

– und wirkt über eine Verstärkung

der körpereigenen Cortisonwirkung antiinflammatorisch.

Zeitgleich könnten

Sekundärinfektionen gehemmt und im

Krankheitsgeschehen gebildete Toxine

besser ausgeschieden werden. Angstlösende

und antidepressive Wirkungen sind

zudem eine hilfreiche Unterstützung der

Psyche (und damit indirekt des Immunsystems).

In China wurde 2003 bei SARS-Patienten

begleitend zur Schulmedizin erfolgreich

die TCM eingesetzt. Hierbei hat auch

die Süßholzwurzel eine wichtige Rolle

gespielt. Von derartigen klinischen Erfahrungen

könnte man in der derzeitigen

Situation profitieren.

Mehr Offenheit in Europa gegenüber der

phytotherapeutischen Erfahrungsmedizin

aus Ost und West wäre sicher eine gute

Unterstützung in der Behandlung vielfältiger

Beschwerden, auch im Mundraum.

Süßholz eignet sich hierfür optimal.

Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022 47


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48 Systemische Orale Medizin · 10. Jahrgang 3/2022

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